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Die kleine Tür
Der Sadist (ohne kleine Tür)
Der Sadist
Im Morgengrauen lag die Stadt nun da nach dieser Nacht, die wie jede andere gewesen zu sein schien und nicht einmal das Vogelzwitschern konnte die junge Frau,die auf der Straße stand und nach oben blickte, beruhigen, sie davon überzeugen ruhig zu sein. Sie schrie immer noch innerlich und konnte nicht unterscheiden, ob es nach außen drang oder nur noch nachhallte in den Windungen ihres Kopfes.
Sie starrte auf den leblosen Körper des Freundes, hoffte, dass er wieder aufstand und doch wusste sie, wie sinnlos ihr Starren war, wurde es doch nicht mehr registriert. Der Tod interessiert sich nicht für seine Betrachter.
Im Grunde war ja auch alles geklärt. Noch vor ein paar Stunden hatte sie auf einer Party getanzt zu einer Musik, die sie nur noch als Schleier wahrgenommen hatte, als ihr Telefon unerbittlich klingelte und klingelte.
Langsam veränderte sich seine Farbe, wahrscheinlich durch den Lichteinfall. Es wurde offensichtlich, dass er tot war. Das Blau seiner Lippen erfüllte sie mit Abscheu. Sie dachte darüber nach, ob sie je etwas Schrecklicheres gesehen hatte, ob die Hässlichkeit sich ihr je so in dieser Form vorgestellt hatte.
Sie konnte sich nicht erklären, warum gerade sie hier sein musste. Warum ihr Handy mit seiner Nummer auf dem Display hatte klingeln müssen und er gerade sie darum gebeten hatte auf das Dach zu kommen, durch diese Tür zu gehen und ihn dort am Rand des Daches stehen zu sehen.
Sie kannten sich bereits seit ihrer Kindheit, hatten oft miteinander Sandburgen und Luftschlösser gebaut. Irgendwann trennte sie dann die Schule und sie sahen sich nur noch auf dem Heimweg. Dennoch teilten sie etwas. Etwas, dass sich schwer in Worte fassen ließ. Aber seit er dieses Zeug nahm, mit diesen Gedanken Wände in seinem Zimmer füllte und seit er angefangen hatte seine Arme zu zerschneiden, klingelte regelmäßig ihr Telefon und sie eilte zu jedem Ort, den er ihr nannte. Sie hatte oft versucht ihm beizustehen.
Immer wieder erfassten sie Übelkeit und Wut. Sie wollte das hier nicht betrachten und sie hatte auch weiß Gott bessere Dinge zu tun als neben ihm zu stehen. Und dann noch überall Blut. "Wenn man sich schon unbedingt umbringen will", dachte sie," warum nicht den armen Menschen, die sich das Unglück anschauen müssen, dieses rote, verkrustete, nach Metall schmeckende Zeug ersparen". Erhängen ist blutlos. Wie wäre es mit Tabletten? Ihretwegen die, von denen man erst furchtbare Krämpfe bekommt, wenn man das unbedingte Bedürfnis hat sich selbst noch einmal weh tun zu müssen, aber bitte nicht auf ein verdammtes Dach steigen und runterspringen. Der Körper hält den Aufprall nicht aus, das weiß jeder.
Sie wurde immer wütender und wäre ihr nicht bewusst gewesen, dass er es so wie so nicht mehr bemerkte, sie hätte ihm eine Ohrfeige verpasst.
Dieser Sadist. Schon vor einiger Zeit wollte er, dass sie seine Hand hielt, wenn er zu viel von den kleinen Pillen herunter schlucken sollte. Das hatte sie ausgeschlagen. "Bring dich um, bitteschön. Aber ich werde nicht dabei zusehen.", war ihre Antwort gewesen. Scheinbar wollte er das widerlegen.
Was ihm wohl gelungen zu sein schien.
Die Sirenen erreichten sie. Auf einmal quoll die Luft vor Stimmen. Ein Mann sprach zu ihr. Das sollte beruhigend wirken, so meinte sie, und um dem Mann ein wenig das Gefühl zu vermitteln, er würde helfen, ließ sie sich von ihm weg führen.
Die Wut erreichte einen neuen Pegel. "Wozu der ganze Aufstand?", fluchte sie tief drinnen. Sie wusste, er würde es nicht spüren, aber das war ihr gleich. Wozu der ganze Aufstand? All die Menschen, die jetzt nur damit zu tun hätten, seinen Leichnam weg zu schaffen, das Blut zu beseitigen, ihn dann noch einmal zu untersuchen um schließlich ein Formular auszufüllen, das nun wirklich von niemandem mehr gelesen werden würde. Warum ließ man ihn nicht einfach da liegen? Körper verwesen, werden zu Erde. Ob nun hier oder verbunden mit zahlreichen Umständen in einem teuren Sarg irgendwo unter einem Stein. Eine Verschwendung von Zeit. Solch theatralischer Schwachsinn sollte nicht noch mit Mühen und Kosten für andere, die wahrscheinlich liebten und weinten um ihn, verbunden ja sogar belohnt werden.Nun weinte sie doch, obwohl sie ihm diese Genugtuung eigentlich nicht geben wollte. Dieser Mistkerl, er konnte doh nicht einfach...
Gut, sie hätte damit rechnen müssen, aber so...
Letztendlich hätte man einfach über ihn weg steigen können und warten bis die Natur das erledigt hatte. Aber nein, ein Hin und Her, was Bedeutung verlieh, Bedeutung für eine Tat, die schmerzte.
Als sie nun im Wagen saß und alles mit diesem roten Licht der Krankentransportsirenen durchflutet war, dachte sie an ihr letztes Gespräch. Er hatte nicht allein sein wollen. Sie sei doch die einzige, die es verkraften würde. Und sie sei etwas besonderes gewesen, leider jedoch, reiche das nicht aus um am Leben zu bleiben. Sprung.
Es fühlte sich genau so an, wie er einmal gesagt hatte. Am Abgrund stehen und hinunter starren, nichts mehr wahrnehmen als das eigene Herz, das so laut schlägt, dass man es einfach zur Ruhe bringen muss.