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Jähe Veränderung

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Liz

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12.07.2002
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Jähe Veränderung

Er erwachte im fahlen Mondlicht, nicht wissend, wie lange er so da gelegen hatte. Die Kühle der Nacht war eine Wohltat für sein verschwollenes Gesicht. Auf seiner gestrigen Flucht durch den Wald hatten sich Fliegen an seinen Lidern und Lippen zu schaffen gemacht und die Schwellung sowie einen brennenden Juckreiz verursacht. Er war zu panisch gewesen, um sich zu ekeln, was eigentlich eine Untertreibung war. Zu Tode geängstigt brachte es eher auf den Punkt. Vorsichtig bewegte er seine Gliedmaßen. Die verletzte Schulter bereitete ihm Höllenqualen. Geräusche hallten durch die Nacht. In der Ferne knackte das Unterholz.

So durstig.

Er verlagerte seinen Körper in eine Position, die es ihm erlaubte, das von der Nachtluft nasse Gras abzulecken. Seine Zunge war ein pelziges Etwas, dass schmerzhaft an seinem Gaumen klebte. Nach dieser Kraftanstrengung sank er schlaff zusammen, halb bewusstlos und fiebrig vor sich hindämmernd. Blut sickerte aus der durch die Bewegung aufgebrochenen Schulterverletzung und durchnässte sein T-Shirt.

„Ich bin nicht unverwundbar“, dachte er unzusammenhängend, „dies zu glauben ist anmaßend, eitel und arrogant. Gefährliche Eigenschaften, die einen jederzeit in eine missliche Lage bringen können. Welch fataler aber dennoch menschlicher Irrtum, von der eigenen Unverwüstlichkeit überzeugt zu sein.“

Vorerst war er sich sicher, dass er seine Verfolger abgehängt hatte. Vermutlich spielte es keine Rolle, weil er in diesem Wald sterben würde. Er dachte an seine Familie und ließ den Tränen freien Lauf. Das brennende Gebäude stand vor seinen Augen, ein Inferno des Todes, ein Grab für drei Menschen. Ausgelöscht. Asche zu Asche, Staub zu Staub.

Die guten Tage waren vorbei. Es würde keine Angelausflüge mehr geben, keine Streitereien am Frühstückstisch und keine Auseinandersetzungen zum Thema Partys, die er nach Meinung seiner Eltern in zu hohem Ausmaß besuchte. Keine Spielabende mit der Familie, an denen er eher belustigt als begeistert teil genommen hatte. Nie wieder würde er seine Schwester mit der ganzen Erhabenheit eines 14-jährigen necken können. Nie wieder würde er seine Mutter im Tennisdress vorbeihasten sehen, ihm einen fröhlichen Kuss auf die Stirn verpassend, den er mit gequältem Gesichtsaudruck über sich ergehen ließ. Keine Grillabende mehr, bei denen sein Dad manchmal zuviel Wein trank und anschließend redselig die ganze Familie mit seinen Späßen unterhielt.

Kein geordnetes Vorstadtleben. Für ihn nicht mehr. Eine jähe Veränderung, die seinen Verstand völlig überforderte.

Er war nichts weiter als ein verängstigter, schwer verletzter 14-jähriger Junge, der an einem Tag seine Eltern und seine Schwester verloren hatte, fast zu Tode gehetzt worden war und denn Grund dafür nicht kannte. Tatsächlich verweigerte er schlicht und einfach den Grund zu kennen, um nicht durchzudrehen.

Tief in seinem Innersten versuchte ein düsteres Geheimnis brüllend seinem Gefängnis zu entweichen. Noch hielt die Festung dem Ansturm stand. „Nicht nachdenken“, befahl ihm sein überreizter Verstand.

Marc fiel in einen unruhigen Schlaf.

 
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Marc atmete tief durch, als sie sich in der Zwischenwelt wiederfanden. Suchend sah er sich um. „Wir werden ziemlich weit laufen müssen, um zur Siedlung zurückzukehren“, bemerkte er.
„Ja“, gab Lynn zu. „Aber immer noch besser, als in deiner Welt von Feuerwehr und Polizei entdeckt zu werden!“ Sie wies auf Ismael. „Was glaubst du, was sie mit ihm veranstalten würden?“
Marc schüttelte sich. „Ich glaube, darüber möchte ich gar nicht nachdenken. Was wird es jetzt tun?“
„Er!“, korrigierte Lynn. „Du magst ihn vielleicht als Monster sehen, aber das ist er nicht. Du siehst auch nicht seine wahre Gestalt, so wie dein eigenes Aussehen in dieser Welt vermutlich nicht dein eigentliches Aussehen ist.“
„Bitte? Was glaubst du denn, wie ich wirklich aussehe? Wie ich das sehe, habe ich mich bereits enorm verändert!“
Lynn lächelte. „Im Vergleich zu deinem bisherigen Leben, ja, das stimmt. Aber dein Ziel liegt nicht hier in der Zwischenwelt, sondern in der jenseitigen, und niemand von uns weiß, als was du dort erscheinen wirst.“
„Was ist die jenseitige Welt? Kannst du mir etwas darüber erzählen? Ich war kurz an einem anderen Ort, aber die Zeit reichte nicht, um ihn wirklich erfassen zu können.“
„Nein. Das muss Theoldin tun. Und jetzt sollten wir uns auf den Weg machen! Ismael, gehst du voraus?“
Der weiße Koloss schwang seinen mächtigen Schädel herum und gab ein an ein Schnauben erinnerndes Geräusch von sich.
„Ja, Ismael, ich weiß. Aber Theoldin musste dich aufhalten, um Marc zu schützen. Aber das weißt du inzwischen selbst, denn an ihm wird es sein, diese und alle anderen Welten zu bewahren!“
Ismael senkte den Kopf und drang in das dichte Unterholz ein, bahnte einen Weg für die ihm folgenden Geschöpfe.

Marc, der Cynthias Hand fest umschlossen hielt, dachte nach, während er hinter Lynn und dem Ungeheuer, als das er Ismael immer noch ansah, herlief. Manches hatte er inzwischen verstanden, aber welche Rolle war ihm zugedacht? Was meinte Lynn, als sie ihn als den Bewahrer der Welten bezeichnete? Nachdenklich betrachtete er ihren elastischen Körper, der sich in gleichmäßigen, energischen Schritten in der Spur des Wesens bewegte. Was war sie? Was war Cynthia – und all die anderen Wächterinnen? Wie viele von ihnen waren noch am Leben?

Nach drei Stunden bat Cynthia um eine Pause. „Ich weiß, dass wir uns beeilen müssen, Lynn“, sagte sie entschuldigend, „aber ich muss mich etwas ausruhen!“
Lynn sah die Ringe unter den Augen ihrer Kameradin, die bleiche, schweißglänzende Haut und nickte zustimmend. „In Ordnung. Nicht weit von hier fließt ein Bach, dort können wir rasten.“
Nachdem sie ihren Durst gelöscht hatten, lehnte Marc sich an einen Baum und legte den Arm um Cynthia, die sich dankbar an seine Schulter schmiegte und die Augen schloss. Wenig später war sie eingeschlafen.
„Lynn“, versuchte er es erneut. „Um was geht es? Was bin ich? Und wer ist Theoldin?“
Aber wieder schüttelte die Wächterin ablehnend den Kopf. „Nein, Marc. Ich darf und werde dir nichts erzählen, weil es nicht meine Aufgabe ist. Du musst warten, bis wir zu Theoldin kommen. Und ich fürchte, wir haben nicht viel Zeit!“
„Zeit wofür? Was ist denn so dringend?“
„Es geht um Marcel und dich, und wer von euch überleben wird. Alles Weitere wird Theoldin dir sagen.“
Dass Marcel sein ärgster Feind war, hatte Marc bereits erkannt, viel mehr, als John es gewesen war. Und auch, dass Marcel und er vieles gemeinsam hatten, so sehr sie sich auch äußerlich unterschieden.
Viel Zeit zum Ausruhen ließ Lynn ihnen nicht, schon nach einer halben Stunde drängte sie zum Aufbruch. Cynthia fiel es sichtlich schwer, sich aufzuraffen, aber auch Marc hätte gerne ein wenig geschlafen.

In der Abenddämmerung erreichten sie die Siedlung; kurz davor wandte Ismael sich ab, er wollte sie nicht weiter begleiten. Theoldin schien auf sie gewartet zu haben, denn er stand am Rand des Dorfes.
„Nein!“, sagte er schnell, als Lynn automatisch auf das Versammlungshaus zuhielt. „Nicht dort hinein – noch nicht. Erst sollten alle Spuren beseitigt sein.“
Lynn wandte sich ihm zu. „Wer ...“ Sie stockte, suchte nach Worten. „Wer ist denn noch am Leben?“
Theoldin schüttelte traurig den Kopf. „Nicht viele. Fünf aus der Gemeinschaft leben noch, die Heilerinnen kümmern sich um sie. Unverletzt blieb keine.“
Lynn ballte die Fäuste. „Ich wünschte ...“
„Nein, Lynn. Nicht du, und Rache war noch nie ein guter Ratgeber. Und jetzt kommt mit zu meinem Haus.“
Nachdem sie sich an einem runden Tisch niedergelassen hatten, sah Theoldin Marc aufmerksam an. „Ich nehme an, du weißt inzwischen etwas mehr?“
„Mehr? Wie man’s nimmt. Ich habe auf jeden Fall eine Menge Fragen!“
„Ich weiß. Und soweit ich kann, werde ich sie dir auch beantworten.“
„Wenn ich es richtig verstanden habe, entstanden Marcel und ich aus genetischen Versuchen, die John angestellt hat. Aber was bezweckte er?“
„Um dir das zu erklären, muss ich ein wenig weiter ausholen. Cornelius Morton kam in den Besitz eines Knochens. Ich weiß nicht, ob dir die fehlenden Zehen an Ismaels vorderer rechter Pranke aufgefallen sind, denn von ihm stammte dieser Knochen. Ismael ist ein Wesen aus der jenseitigen Welt, und niemals hätte etwas von dort in deine Welt gelangen dürfen, ebenso wenig in diese Welt, die Zwischenwelt.“
„Dieser Mönch war es, Markus, richtig?“
„Ja. Er hatte ein sehr altes Schriftstück entdeckt, welches es ihm ermöglichte, in die Zwischenwelt zu wechseln, und er gab dieses Wissen an seine Klosterbrüder weiter. Sie schrieben alles auf, was sie über die Welten erfuhren, was mehr war, als ein Mensch jemals wissen dürfte. Und diese Schriften wollte John haben, denn mit ihrer Hilfe meinte er, die jenseitige Welt unterwerfen zu können um so alle Welten beherrschen zu können. Hätte er nur die geringste Ahnung gehabt, mit was er so leichtfertig herumspielte, hätte er den Knochen sofort zerstört!“
„Von wem stammte denn diese alte Schrift, die Markus hatte?“
Theoldin seufzte. „Von mir. Diese und zwei weitere, die sich in den Bibliotheken des Vatikans befinden, die Pater Matthäus, der Ziehvater von Marcel, entdeckt hat, und um derentwillen er sterben musste.“
„Aber wie kann das sein? Wie alt bist du denn?“
Theoldin lächelte müde. „Viel älter, als du denkst, aber das spielt keine Rolle. Ich war einmal ein Mensch, und durch eine seltsame Verkettung noch seltsamerer Umstände wurde ich in die jenseitige Welt gerissen, ich kam nicht erst hierher. Dadurch wurde ich verändert, weniger äußerlich, aber in meiner genetischen Struktur, in meinem Denken und Wissen, und in meinen Fähigkeiten. Aber vor allem lernte ich, wie wichtig die Unversehrtheit dieser dritten Welt ist, denn wenn ihr Gleichgewicht gestört wird, kann das den Untergang von dieser und deiner Welt bedeuten.“
„Aber warum?“ Marc hatte das Gefühl, immer weniger zu verstehen. „Wo ist denn diese dritte Welt?“
„Marc, hast du eine Vorstellung davon, was das Universum ist?“
Marc nickte.
„Es ist überall, es umschließt unsere Erde ebenso, wie es alle Sonnen und Galaxien umschließt. Und so ähnlich ist es mit der dritten Welt, wenn auch etwas anders. Sie bestimmt die Daseinsform von deiner und von der Zwischenwelt, sie ist unmittelbar damit verbunden, ist aber andererseits sehr weit entfernt. Ich weiß, das klingt jetzt unverständlich, aber du wirst wissen, was ich meine, wenn du sie kennen lernst.“
„Wenn ich sie kennen lerne? Soll ich etwa dorthin?“
„Das wirst du müssen, denn Marcel wird dorthin gehen, und dort werdet ihr euren Kampf ausfechten müssen.“
„Aber warum? Ich verstehe es immer noch nicht!“
„Marc, eure Existenz stört das Gleichgewicht in der jenseitigen Welt, solange ihr beide am Leben seid. Nur einer von euch darf weiterexistieren, und das sollte zum Wohle aller Welten nicht Marcel sein. Wenn er die alleinige Macht hat, dann bestimmt er nicht nur das Verhalten der Natur – er könnte Erdbeben auslösen, Flutwellen, Klimakatastrophen –, sondern auch das Verhalten der Menschheit. Kannst du dir ausmalen, welche Kriege die Folge sein könnten?“
„War das die Macht, nach der John strebte?“
„Ja, aber er hatte keine Ahnung davon. Er war immer zu sehr mit seiner eigenen Welt verhaftet, sein Blick reichte kaum darüber hinaus.“
Plötzlich fuhr Marc hoch, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen. „Marcel ...!“, schrie er.

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Als ein Teil des gemauerten Treppenhauses zusammenbrach, fuhr frische Luft in die unterirdischen Gewölbe. Hustend und mit brennenden Augen kam Marcel wieder zu sich und erkannte, dass er gerettet war. Hastig zog er die Schriften aus seinem Hemd, um sie nachzuzählen. Ob er es wagen konnte, zurückzukehren und zu versuchen, die letzte Rolle zu holen? Aber er sah die dichten Rauchwolken und erinnerte sich an das magische Siegel – es hätte keinen Zweck. Noch mit den Dokumenten in der Hand raffte er sich auf, aber in diesem Moment geriet wieder ein Balken ins Rutschen. Angstvoll blickte er nach oben und versuchte, sich mit einer Hand an der Wand abzustützen. Als eine Wolke aus Sand, Mörtel und kleinen Stein auf ihn herabregnete, wollte er seine Augen mit dem Arm schützen, aber dabei entglitten ihm die Schriften. Mit einem Aufschrei griff er nach ihnen, bekam sie auch zu fassen, aber er konnte nicht verhindern, dass er stolperte und stürzte. Als der Staub sich halbwegs gelegt hatte, sammelte er schnell die Blätter ein - eines fehlte. Er brauchte nicht lange, um es zu entdecken; ein Balken hatte sich verschoben und es unter sich begraben, nur eine kleine Ecke war noch zu sehen. Wütend steckte er die verbliebenen fünf Schriften ein und versuchte, den Balken anzuheben oder zu verschieben, um das wertvolle Schriftstück zu retten, aber das schwere Holz hatte sich verkeilt, er konnte es um keinen Millimeter bewegen.
Wieder rieselten Steinchen auf ihn herab und er erkannte, dass er alles andere als in Sicherheit war: Er sollte lieber sehen, dass er diesen Keller verließ, bevor die Decke endgültig einstürzte.
Mühsam stand er auf. Als er sich die rußverklebten Haare aus der Stirn streichen wollte, entfuhr ihm ein Schmerzenslaut. Seine Hand war blutig und als er vorsichtig nachtastete, bemerkte er eine klaffende Platzwunde auf seiner Stirn. Das musste der Balken gewesen sein – aber er konnte froh sein, dass er noch am Leben war!
Der Weg hinaus war nicht einfach; er musste herabgestürzte Steine und Balken überklettern, aber endlich stand er im Freien. Tief atmete er durch. Aber was sollte er jetzt tun? In die Zwischenwelt wechseln und Marc suchen – und töten? Er würde nicht allein sein, er hatte Helfer. Zu dumm, dass John tot war; er hätte ihn jetzt gut brauchen können. Wenn er wenigstens noch eine Waffe hätte ...
Unbewusst tastete er nach den Schriftrollen, zählte sie mit den Fingern durch. Und ohne, dass er sich darauf konzentriert hätte, begann er zu wechseln, aber es war anders, als er es kannte: Diesmal wurde er nicht innerhalb der Dauer eines Lidschlages in die Zwischenwelt versetzt, sondern sein Körper begann sich zu dehnen. Es war, als würde er wie ein Gummiband in die Länge gezogen, wurde dabei immer transparenter und der am weitesten entfernte Teil verschwand. Marcel schrie, von Panik erfüllt, aber er konnte die Verwandlung nicht mehr aufhalten.
Und dann war es vorbei. Vorsichtig öffnete er die Augen, die er angsterfüllt zusammengepresst hatte.

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„Was ist?“ Theoldin war alarmiert aufgesprungen.
„Marcel ... Er hat die Schriften, und er ist gewechselt!“
„Hierher?“
„Nein. An einen anderen Ort ... Ich weiß nicht, wo er jetzt ist.“
„Er ist in der dritten Welt.“ Theoldin fixierte Marc mit seinem Blick. „Du musst gehen, Marc! Der Kampf muss beginnen!“
„Aber wie? Ich weiß nichts davon! Aber ... Ich sehe Marcel vor mir, und er greift nach etwas, will etwas haben ... Aber das darf er nicht! Ich muss ihn hindern!“
Und in diesem Moment begann seine eigene Wanderung in die jenseitige Welt. Entsetzt sah er Theoldin an, der nur den Kopf schüttelte, dann Lynn, die ihn entgeistert anstarrte. Cynthia war aus ihrem Halbschlaf aufgeschreckt und automatisch griff Marc nach ihrer Hand.
„Nein!“, schrie Theoldin noch, aber es war bereits zu spät, Marc konnte das Mädchen nicht mehr loslassen, konnte nicht verhindern, dass sie mitgezogen wurde. Sie war wie paralysiert vor Angst, konnte nicht einmal schreien, während sich die unheimliche Verwandlung vollzog.

Für einem Moment fragte Marc sich, was er erwartet hatte. Eine Welt, natürlich, irgendeine Welt, aber sicher nicht das, was er nun sah. Vorsichtig lockerte er seine Hand aus Cynthias Griff, da sie sich schmerzhaft verklammert hatte. „Ganz ruhig, Cyn, wir leben noch!“
„Aber wo sind wir?“
„Ich nehme an, dass dies die dritte Welt ist. Wir sollten uns umsehen.“
Sie befanden sich in einer tiefen Schlucht, aber wenn sie gemeint hatten, die um sie aufragenden Wände bestünden aus Fels, so erkannten sie schnell ihren Irrtum, als sie eine berührten: Das Material war nicht nur nachgiebig wie Gummi, es verhielt sich vielmehr wie eine zähe Flüssigkeit, in die sie langsam hätten eindringen können, wenn sie es versucht hätten. Aber das Erstaunlichste war, dass diese Masse transparent war und Einblick in andere Welten ermöglichte.
Marc sah genauer hin und erkannte, dass er einen Teil der Westküste Frankreichs sah. Durch Konzentration konnte er das, was er sah, wie mit einem Teleobjektiv vergrößern, bis er jeden einzelnen Bewohner eines Dorfes erkennen konnte. Erschrocken fuhr er zurück.
„Was ist?“, fragte Cynthia.
„Hast du das nicht gesehen? Ich kann Teile meiner Welt sehen!“
Das Mädchen ging näher an die Wand heran und starrte angestrengt hinein, um schließlich den Kopf zu schütteln. „Nein, ich sehe nur dieses seltsame Material, sonst nichts.“
Marc überlegte. Sollte das eine der Gaben sein, die nur ihm und Marcel gegeben waren und mit denen sie die allumfassende Macht hätten? Aber wie konnte er das herausfinden? Zögernd ging er einige Schritte weiter.
„Marc, lebt hier eigentlich etwas?“, fragte Cynthia ängstlich.
„Ich denke schon. Ismael kam schließlich von hier.“
„Und was machen wir, wenn wir angegriffen werden?“
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich ...“ Er zögerte, als ihm klar wurde, dass das, was er dachte, der Wahrheit entsprach. „Ich bin hier nicht fremd, ein Teil von mir stammt von hier.“ Er legte den Arm um Cynthia. „Lass uns weitergehen. Mir kommt es so vor, als wäre das hier nur so eine Art ... Landeplatz.“
Wenige Minuten später veränderte die Umgebung sich dramatisch: Die Felswände fielen in sich zusammen, machten einer flachen Landschaft Platz, und als Marc sich überrascht umdrehte, war auch die hinter ihnen liegende Schlucht verschwunden. Plötzlich griff Cynthia nach seinem Arm. „Marc ...“, flüsterte sie erstickt. „Sieh!“
Im ersten Moment erkannte Marc nichts, aber dann bemerkte er die Bewegung. Es war, als ob der Boden in Wellen auf ihn zurollen würde, wie die Dünung eines Meeres, und als die ersten Wellen ihn erreichten, wurde er emporgehoben und sank wieder herab. Und in jeder dieser Wellen sah er andere Teile der Erde. Nicht nur der Erde, wie er schnell feststellte, sondern auch der Zwischenwelt und dieser seltsamen jenseitigen Welt.
Nach einer Weile ebbten die Wellen ab und sie setzten ihren Weg fort. Aber jetzt fiel Marc der Himmel auf, den er kaum so zu bezeichnen wagte: Es war, als gäbe es keine Atmosphäre, obwohl sie atmeten, als befänden sie sich tief in der Unendlichkeit des Alls. Nicht nur einzelne Sterne waren zu erkennen, sondern auch ferne Galaxien, die so nah erschienen, als könnte er danach greifen. Waren auch diese enthalten in der Macht, die von hier aus ausgeübt werden konnte?
„Wo mag Marcel sein?“, fragte Marc sich laut. „Ich denke, ihn zu finden, sollte unser vorrangiges Ziel sein.“
„Nein“, widersprach ihm eine unglaublich tiefe Stimme und beide fuhren entsetzt herum. Aber hinter ihnen stand kein monströses Ungeheuer, sondern nur ein kleiner, glatzköpfiger Mann mit einem schneeweißen Haarkranz, der entfernt an Theoldin erinnerte.
„Wer bist du?“, fragte Marc sofort.
„Ich bin einer der Ältesten. Einer von jenen, die die Wächterinnen ausgewählt haben. Einer von jenen, die die Geschicke aller Welten lenken. Einer von jenen, die dir zu deinem Ziel helfen werden.“

 

„Marc ...“, hörte er leise Cynthia hinter sich, ihre Stimme war fast nur noch ein Flüstern.
Verwundert drehte er sich zu ihr um. „Was ist, Cyn?“
Aus weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an. „Du ... du veränderst dich!“
„Cyn, ich sehe schon lange nicht mehr so aus, wie in meiner Welt, fällt dir das erst jetzt auf?“
Sie schüttelte den Kopf. „Schade, dass ich keinen Spiegel habe, aber in dem Moment, als du dich zu ihm umgedreht hast ...“ Sie deutete auf den kleinen Mann, „... hast du angefangen zu leuchten! Sieh dich doch mal an!“
Als Marc seine Hände hob, sah er es selbst: Rotorangenes Licht ging von ihm aus, und es kam ihm vor, als hätte er an Substanz verloren, als wäre er leicht transparent geworden.
„Was ist das?“, murmelte er mehr zu sich selbst. „Was ist das?“, fragte er laut, an den Mann gerichtet. „Erkläre es mir, was passiert hier?“
Der Alte lächelte nachsichtig. „Eigentlich solltest du diese Frage nicht stellen müssen. Als du in die Zwischenwelt kamst, kamen Teile deines Erbes zum Vorschein, wie dir aufgefallen sein dürfte.“
Marc nickte. „Das ist mir nicht entgangen.“
„Und hier“, fuhr der Mann fort, „ist dein Erbe zuhause, von hier stammt es, und je länger du hier bist, desto mehr wird sich deine wahre Gestalt zeigen – allerdings nicht nur bei dir, sondern auch bei jenem anderen. Wenn auch etwas anders.“
„Bei wem? Marcel? Ist er auch hier?“
„Ja. Schon vor dir ist er hier angekommen.“
„Wo ist er? Ich muss ihn finden!“
„Ja, das musst du wohl. Aber ... Du solltest vorsichtig sein; noch ahnst du nichts von seinen Kräften und Fähigkeiten!“
Marc schnaubte zornig. „Kräfte? Fähigkeiten? Ich weiß nur, dass er brutal und grausam ist, dass er bedenkenlos tötet, und dass es ihm auch noch zu gefallen scheint! Und jetzt sag mir, wie ich ihn finden kann!“
„Du solltest erst erfahren, wer du selbst bist und welche Macht du hast – und welche du eines Tages haben wirst.“ Er sah zu Cynthia. „Es ist nicht gut, dass du sie mit hierher genommen hast, dies ist nicht ihre Welt, und sie ist deine Schwäche.“
„Meine Schwäche? Nein, sicher nicht! Aber ich habe jetzt keine Zeit, um mir anzuhören, wer ich vielleicht bin oder nicht bin, ich muss Marcel finden! Sag mir, wo er ist!“
„Das brauche ich nicht. Sieh dich um, du kannst ihn nicht verfehlen.“ So unvermittelt, wie er aufgetaucht war, verschwand er wieder, wurde durchsichtig, als bestände er aus Glas, um sich schließlich aufzulösen.
„Erstaunlich!“, bemerkte Marc. „Dann lass uns suchen!“ Entschlossen griff er nach Cynthias Hand. „Sieh du dich um und achte auf alles, was dir ungewöhnlich vorkommt, ich sehe in diese seltsame Welt hinein – vielleicht kann ich ihn entdecken.“
„Ungewöhnlich? Hier ist alles ungewöhnlich! Aber ich weiß, was du meinst.“

Marc brauchte nicht lange; er stellte schnell fest, dass er selbst bestimmen konnte, was er in der seltsamen Masse um sich herum erkennen konnte, ob es seine eigene Welt war, ein Teil der Zwischenwelt oder diese jenseitige Welt. War dies eine Welt, die parallel zu den anderen existierte, oder befand er sich auf einem fernen Planeten? Was war ihre Aufgabe, wo lagen ihre Möglichkeiten?
Er wurde abrupt aus seinen Überlegungen gerissen, als ihm ein rotes Glühen auffiel. Es war nicht golden leuchtend, wie seine eigene Ausstrahlung, sondern von dunklem, bedrohlichem Rot, an geronnenes Blut erinnernd. „Da muss er sein“, stellte er fest. „Nur er kann eine solche Farbe abgeben, die passt zu ihm! Aber wie kommen wir jetzt zu ihm?“
Noch während er daran dachte, geschah mit ihm das Gleiche, was er zuvor bei dem alten Mann hatte beobachten können: Er wurde durchsichtig, fast, als würde er sich in Wasser verwandeln. Es gelang ihm nicht mehr, rechtzeitig nach Cynthias Hand zu fassen, als er bereits an einen anderen Ort transportiert wurde. Wie aus der Ferne konnte er sie schreien hören.

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Nur langsam öffnete Marcel die Augen, als er das Gefühl hatte, den Wechsel hinter sich zu haben. Er befand sich auf festem Boden, aber er fühlte sich seltsam an, erinnerte ihn an federndes Hartgummi. Eine merkwürdige Umgebung war das, aber er war neugierig und merkte sehr schnell, welche Möglichkeiten ihm diese seltsamen Gesteinsformationen boten, die sich um ihn herum befanden.
Aber noch bevor er gezielt suchen konnte, wurde er unterbrochen.
„Du solltest nicht hier sein!“, dröhnte eine machtvolle Stimme und er drehte sich suchend um. Erst nach einer Weile entdeckte er den mageren alten Mann, der langsam auf ihn zukam.
„Ach ja, und warum nicht?“ Dieser Greis würde ihn sicher nicht aufhalten können, mit einem einzigen Schlag könnte er ihm das Genick brechen.
„Vielleicht könntest du das, aber vielleicht auch nicht“, kommentierte der Fremde seine unausgesprochenen Gedanken.
„Was willst du von mir? Ich habe etwas zu erledigen!“ Marcel war die Störung mehr als unwillkommen, denn er ahnte, dass dies die jenseitige Welt sein musste, die ihm unendliche Macht verleihen konnte. Und der erste Schritt zu dieser Macht würde sein, Marc zu vernichten. Er hätte nicht sagen können, woher er es wusste, aber er war sich sicher, dass Marc ebenfalls hier war oder hierher kommen würde.
„Er ist mächtiger als du!“, stellte der Mann fest. „Du wirst ihm nicht gewachsen sein, du solltest es nicht versuchen.“
Aber Marcel achtete nicht weiter auf ihn, denn in einem größeren steinähnlichen Gebilde hatte er etwas entdeckt: Da war Marc, in dieser verhassten Farbe schimmernd, welche auch der Phönix gehabt hatte, und genau in diesem Moment veränderte er sich, wurde durchscheinend. Aber bei ihm war diese kleine Wächterin, an der ihm so viel zu liegen schien – das wäre die Gelegenheit!
Ohne zu überlegen konzentrierte er sich auf sie, zu ihr musste er, sie wäre das Faustpfand, für das Marc ihm jedwede Macht überlassen würde, seine Geisel! Schneller, als er erwartet hatte, bewegte er sich auf sie zu, es war, als durchdringe er alle zwischen ihm und dem Mädchen liegenden Berge und Gestein, aber gleichzeitig verlor er Marc aus den Augen.
Plötzlich stand er neben Cynthia, deren blonde Haare in dem von ihm abgegebenen Licht rötlich schimmerten. Entsetzt fuhr sie zurück, als sie ihn erkannte, aber Marc war nicht mehr neben ihr.
Marcel erfasste sofort, was geschehen war: Marc hatte zu ihm gewollt – nun, diese Begegnung würde noch warten müssen! Mit einem Schritt war er bei dem erschrockenen Mädchen, packte sie an beiden Armen und riss sie mit sich, zurück in seine eigene Welt.

 
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„Oh Gott, nein! Marc, Cyn!“, schrie Lynn und griff nach den beiden, doch Theoldin riss sie zurück und drängte sie an die gegenüberliegende Wand.
„Was ist nur passiert? Wir müssen ihnen helfen!“, rief Lynn vorwurfsvoll und versuchte, sich aus Theoldins Griff zu befreien.
„Nein, Lynn!“, sagte er bestimmt und schüttelte sie sanft. Er schob Lynn wieder zu ihrem Stuhl, goss ihr und sich Tee ein und ließ sich ihr gegenüber nieder.
Nachdenklich drehte Theoldin seinen Becher in den Händen und seufzte: „Wir können jetzt nichts tun, Lynn. Sie sind in der jenseitigen Welt. Ich weiß, du würdest am liebsten sofort loseilen und den beiden zur Seite stehen. Aber das ist dir und mir nicht möglich. Du bist eine Wächterin und hast in der jenseitigen Welt nichts verloren“, erklärte Theoldin mit festem Blick.
„Warum folgst du ihnen nicht?“, presste Lynn hervor.
„Weil ich nicht weiß, wo sie sich aufhalten und die jenseitige Welt nicht mehr betreten kann, wann es mir lieb ist. Marc und Cynthia werden es schon schaffen“, erwiderte Theoldin.
„Wie kamst du eigentlich in die jenseitige Welt? Die Wächter hätten dich doch verjagen oder vernichten müssen?“, fragte Lynn neugierig.

Theoldin ließ sich Zeit mit seiner Antwort und zündete eine Öllame an, die auf dem Tisch stand.
„Meine Mutter wurde in der jenseitigen Welt geboren. Sie war schon viele Jahre mit einem Mann zusammen, der schwer krank wurde. Weder Zaubereien noch Medikamente wirkten. Sie wussten nur, dass der Saft einer Brennnessel helfen konnte. Doch in der jenseitigen Welt war diese Pflanze schon lange ausgestorben. Sie konnte das immer wechselnde Klima nicht vertragen. Meine Mutter machte sich auf den Weg in die Menschenwelt. Sie war die letzte noch lebende Miraseree, das heißt: Sie konnte sich in einen Wächter verwandeln und somit die Welten durchschreiten.
In der Nacht drang sie in die Menschenwelt ein, nahm die Gestalt eines Mädchens an und pflückte eine Brennnessel in einem Kräutergarten. Sie wollte wieder zurückkehren, doch bevor sie sich versah, hatte ein fremder Mann sie überwältigt und vergewaltigte sie. Während des Gewaltaktes traute sie sich nicht, zu wechseln. Sie wollte die anderen Welten nicht verraten und hätte den Mann mitnehmen müssen. Als er wankend wieder seines Weges ging, wechselte sie und rettete ihrem Liebsten das Leben.

In der jenseitigen Welt brachte sie mich auf die Welt und meine Mutter starb bei der Geburt. Ihr Mann verabscheute mich und bewies, dass ich Menschenblut in mir hatte. Man setzte mich aus und ich lebte neunzehn Jahre in einem Kloster hier in Deutschland.
Niemand wusste von meinen Fähigkeiten. Die ganzen Jahre hindurch wechselte ich immer wieder die Welten, bis mich ein alter Mann mit dem Namen Merimoht fragte, ob ich noch mehr lernen wollte. Und so blieb ich fast 374 Jahre bei ihm, bis ich erfuhr, dass die Welten in Gefahr waren und so schickten mich die „Alten“ hierher“.

Theoldin beobachtete Lynn, die auf ihrem Stuhl herumrutschte. „Warum haben sie nicht jemand anderen genommen? Dann hättest du ihnen jetzt helfen können“, fragte Lynn und trank einen Schluck von dem starken Tee.
„Nun ja, ich bin der Einzige, der alle drei Welten kennt und betreten kann, ohne dass mich Wächter zerfleischen“, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu.
„Dann ist es doch ein Leichtes für dich, wieder zu wechseln und Marc und Cyn zu helfen!“, bohrte Lynn nach und rührte ungeduldig in ihrer Tasse.
„Nein, leider nicht. Ich kann erst zurück, wenn die „Alten“ es erlauben und mir ein Zeichen geben. Ich wurde verbannt, weil durch mich die Welten in eine so große Gefahr kamen. Weil ich die Schriftrollen hatte. Du weißt selbst, welches Unheil daraus entstanden ist! Was ich hier tue, ist das Einzige, was ich tun konnte, um es wieder gut zu machen“, erklärte Theoldin und rieb sich müde die Augen.
„Aber sie müssen es doch nicht erfahren!“, bohrte Lynn nach.
„Die Wächter würden mich daran hindern und zwar, weil sie das hier bemerken würden“, antwortete Theoldin und zog sein Hosenbein ein wenig hoch. Lynn sah ein sonnenförmiges, tiefes Loch in der Wade. Die Wunde war noch nicht verheilt und die Haut darum leuchtete grünlich.
„Das ist eine Plijäridd. Wenn man nicht ursprünglich aus der jenseitigen Welt kommt, aber als Wechser leben will, bekommt man dieses Kraut in die Wade eingepflanzt. Das Plijäridd wurde mir wieder herausgenommen, damit ich nicht zurückkomme, bis die „Alten“ mir ein Zeichen schicken“.

"Dann schicken wir den beiden Ismael hinterher", meinte Lynn prompt.
„Er wird nicht wechseln wegen einer Wächterin. Ich denke, sie werden jemanden finden, der ihnen hilft. Sie werden es schon schaffen“, bemühte sich Theoldin zuversichtlich zu klingen.
„Dann werde ich ihn dazu zwingen“, schrie Lynn plötzlich wutentbrannt und starrte Theoldin an, der nun aufstand.
„Lynn, bitte sei vernünftig! Ismael lässt sich nicht zwingen. Wenn du das versuchst, tötet er dich und wir können seine Hilfe gewiss noch mal brauchen!“ Mit jedem Wort war Theoldin lauter geworden und nun stützte er sich keuchend auf den Tisch.
„Es tut mir leid“, murmelte Lynn und half ihm hinüber zu seinem Bett, „Wir können nichts tun als warten und das macht mich verrückt, verstehst du?“
„Natürlich verstehe ich das, Kleines. Wie wäre es, wenn du hinüber zu den Heilerinnen gehst und fragst, ob sie Hilfe gebrauchen können?“, sagte Theoldin sanft und ließ sich von ihr zudecken.

Lynn saß noch eine Weile nachdenklich am Bett lauschte seinen regelmäßigen Atemzügen. Schließlich stand sie auf, straffte sich und schloss leise die Tür hinter sich.
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Marc versuchte schwankend das Gleichgewicht wiederzuerlangen. Ihm war schwindlig und es kostete ihn einige Mühe, sich auf die Umgebung zu konzentrieren. Nach wenigen Sekunden der Orientierungslosigkeit sondierte er staunend seinen neuen Standort. Er befand sich in einem Gebäude, das aus purem Eis zu bestehen schien. Die Wände waren glatt, ziemlich dick, und das einfallende Licht wurde, in Spektralfarben gefächert, auf den Boden gelenkt, wo es die Illusion eines bunten Teppichs vorgaukelte. Überwältigt von der Schönheit um ihn herum ging Marc langsam zu der Wand auf seiner rechten Seite, legte ganz sacht seine Fingerkuppen auf deren Oberfläche und fuhr verblüfft zurück: Das Material fühlte sich warm an.
„Oh, er hat dich akzeptiert!“ Solch eine tiefe Stimme hatte er bereits einmal gehört. Marc drehte sich erschrocken um. In circa drei Meter Entfernung erblickte er ein paar glatzköpfige Männer mit schneeweißen Haarkränzen, offenbar weitere Vertreter der `weisen Alten`, denen die Zeit tiefe Furchen in die Gesichter gemeißelt hatte. Obwohl völlige Stille herrschte, war es ihnen gelungen, sich dem Jungen lautlos zu nähern.
„Wer hat mich akzeptiert?“, fragte Marc stirnrunzelnd.
„Der Kristall,“ entgegnete einer der Greise, als wäre dies eine Selbstverständlichkeit und machte eine allumfassende Geste.
„Wo bin ich hier?“ Marc überlief eine Gänsehaut, da er nicht erkennen konnte, was die Alten vorhaben mochten. Wenige Atemzüge später entspannte er sich, denn Feindseligkeit erspürte er nicht in ihrer Ausstrahlung.
„Im Zentrum.“ Der Sprecher lächelte nachsichtig. „Hier entstehen nach den Gesetzen des Chaos das Klima und die Naturgewalten. Und zwar für alle Welten in diesem System.“
In Marcs Kopf wirbelten Gedanken durcheinander wie Schneeflocken bei einem Sturm. Die Wucht dessen, was ihm da vermittelt wurde, drohte sein Fassungsvermögen zu sprengen.
„Keine Angst, junger Freund,“ hörte er die Alten im Chor sagen, „es gibt für alles eine Erklärung, und wir werden dir helfen, zu verstehen.“ Sie wandten sich zum Gehen und gaben Marc ein Zeichen, ihnen zu folgen. Marc atmete tief durch und setzte sich in Bewegung.

Die Ausmaße des Kristallpalastes waren gigantisch. Marc legte den Kopf in den Nacken, suchte die weitläufigen Begrenzungen der Halle mit seinen Blicken ab. Überall zeugten kunstvolle Reliefs von handwerklichem Können, das es nach menschlichem Ermessen gar nicht geben konnte. Geblendet von der glitzernden Pracht blinzelte er mehrmals und fiel immer wieder kurzfristig zurück. Durch die Decke schimmerte türkisfarbenes Licht in einer unwirklichen Intensität. Marc fühlte sich wie in einem Traum.
Geführt von den schweigsamen Alten durchschritt er nach und nach immer kleiner werdende Hallen, bis er schließlich einen runden Raum betrat, an dessen hintere Wand eine Art Grotte eingelassen war. Vom Innern derselben ging eine magische Anziehung aus, und Marc trat Schritt für Schritt näher. Auf einer leichten Erhebung befand sich ein tiefschwarzer Sockel, der von einem matt schimmernden Metallring gekrönt war. Dieser war mit unzähligen kleinen Kristallen bestückt, die in verschiedenen Farben leuchteten.
„So, hier befindet sich das Herz der Welten,“ hörte Marc einen der Männer sagen.
„Das Herz der Welten? Was ist damit gemeint?“
„Du siehst doch die Kristalle dort. Sie sind in einer bestimmten Konstellation zueinander ausgerichtet und diese Ordnung ist nun gefährdet. An dir liegt es, das Gleichgewicht der Welten zu bewahren.“ Der Junge schüttelte ungläubig den Kopf.
„Wie können diese paar Steine Welten beeinflussen?“
„Es sind die verschiedenen Schwingungen, die sie aussenden. Jeder Kristall hat eine besondere Eigenschaft, die sich auf das Klima und somit auch auf die Natur auswirkt.“
„Glaub´ ich nicht. Wie soll das funktionieren?“ Marc hatte in den letzten Tagen viele Dinge kennen gelernt, die für ihn früher unvorstellbar gewesen waren, aber diese Behauptung erschien ihm zu unfassbar.
„Lass uns überlegen, wie wir es dir am besten erklären können,“ bat die Stimme um Bedenkzeit. Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: „Ihr Menschen habt eine Theorie entwickelt, die besagt, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings das Wetter irgendwo auf der Welt beeinflusst. Hast du davon gehört?“ Kopfschütteln.
„Schade, denn das Prinzip dieser Theorie ist perfekt anwendbar. Hmh, sagt dir der Begriff `Atome` etwas?“ Eifriges Nicken.
„Sehr gut. Nun stell dir vor, dass die hier eingebetteten Kernstücke Atome in Schwingungen versetzen, welche sich auf den Hauptkorpus des Kristalls übertragen, der diesen Vorgang wiederum um ein Vielfaches verstärkt und an die Umgebung weiterleitet.“
„Ah, dann ist das hier so was wie ein Sender?“ Marc begann, zu begreifen.
„Genau. Von hier aus wird das `Alles` gesteuert. Und nun möchte eine dunkle Macht in die bestehende Ordnung eingreifen.“ Die sonore Stimme zitterte leicht. „Du bist der Einzige, der das verhindern kann.“
„Ich?“, fragte Marc verwundert. „Weshalb sollte ich gebraucht werden, wenn so viele andere die Zusammenhänge besser kennen?“
Die Männer traten gütig lächelnd auf ihn zu.
„Gib mir die Hand, mein Junge“, forderte einer von ihnen und streckte seine Rechte aus. Marc wollte sie nehmen und griff ins Leere. Erschrocken zuckte er zurück, als hätte er ein Gespenst berührt.
„Fürchte dich nicht! Wir sind nichts dergleichen, sondern körperlose Energien, die dir zuliebe diese Gestalt angenommen haben, damit du mit uns kommunizieren kannst. Begreifst du nun die Wichtigkeit deiner Aufgabe?“

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Cynthias Schrei erstarb. Der Schmerz an ihren Armen und die Angst vor Marcel ließen sie in einen dunklen Abgrund stürzen. Gnädige Bewusstlosigkeit umhüllte sie, ließ ihr Zeit, dringend benötigte Kräfte zu sammeln für das, was kommen sollte.

 
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Als sie wieder zu sich kam, lag sie unter einem grossen Olivenbaum. Marcel war immerhin so fürsorglich gewesen und hatte ihr seine Jacke als Kissen unter den Kopf geschoben. Ihr Handgelenk, an dem Marcel sie vorhin so grob mit sich gezogen hatte, schmerzte immer noch und wies rote Striemen auf.
Vorsichtig richtete sich Cynthia auf und schaute sich um. Die Landschaft sah einfach grandios aus. Unter ihr erstreckte sich ein Tal und soweit ihr Auge reichte, blickte sie auf Olivenbaumplantagen. Ein Baum stand fein säuberlich an den anderen gereiht. Das ganze wirkte fast so, als ob jemand auf ein Stück hellbraunen Stoff lauter Stecknadeln mit grünen Köpfen gesteckt hatte. Wo war sie hier nur gelandet? Von Marcel war keine Spur zu sehen.
Seufzend stand sie auf, irgendwie musste sie es schaffen, zu Marc zurückzugelangen, oder zumindest Lynn zu finden, die würde ihr bestimmt helfen. Gerade, als sie losgehen wollte, vernahm sie hinter sich eine Stimme.
„Halt, wo willst du hin? Du bleibst schön hier bei mir, ich brauch dich noch.“
Es war Marcel, der sie nun eingeholt hatte und nach ihrem Arm griff. Leider erwischte er dabei wieder die verletzte Stelle und Cynthia schrie auf.
„Pass doch auf“, fuhr sie ihn an.
„Stell dich nicht so an“, gab er zurück, ließ ihren Arm jedoch los.
„Die Sonne geht bald unter, wir werden uns jetzt erstmal ein Quartier für die Nacht suchen, und dann werde ich mich mit deinem netten Mark beschäftigen.
Er wird bestimmt begeistert sein, wenn er erfährt, dass du hier bei mir bist,“ sagte Marcel und grinste hämisch.
Allerdings wollte er vor Cynthia nicht eingestehen, dass er im Moment selber nicht so recht wusste, wie er nun vorgehen sollte. Zunächst einmal musste er herausfinden, wo sie hingewechselt waren. Die Landschaft war ihm vollkommen unbekannt, doch auf die mediterrane Bewachsung hin zu schließen, waren sie wohl nicht in Deutschland gelandet.
„Los komm, da vorne ist eine Strasse, mal sehen wo die hinführt.“ Er packte Cynthia an ihrem anderen Arm und zog sie hinter sich her. Die Straße führte schnurgerade durch die Olivenbaumplantagen, aber es war weit und breit kein Auto zu sehen. Schweigend gingen sie nebeneinander der langsam untergehenden Sonne entgegen.
Plötzlich erklang in der Ferne das Geräusch eines Fahrzeugs und als Marcel sich umdrehte, erkannte er, dass es sich hierbei um ein schnell näher kommendes Moped handelte.
„Du bleibst hier stehen und rührst dich nicht von der Stelle“, herrschte er Cynthia an. Sie sah, wie sich Marcel mitten auf die Strasse stellte und winkte. Der Fahrer des Motorrads, ein junger Mann hielt sofort an. Marcel sprach mit ihm, doch der Mann schien ihn nicht zu verstehen. Er zuckte nur mit den Schultern. Daraufhin erwiderte Marcel etwas und der Mann strahlte plötzlich über das ganze Gesicht und begann wild mit den Händen zu gestikulieren, während er auf Marcel einredete. Dann stockte Cynthia der Atem, als sie sah, wie Marcel den Mann an beiden Armen packte und mit einem Ruck von seinem Motorrad riss und in hohem Bogen zwischen die Olivenbäume schleuderte.
Marcel hob das Motorrad, das natürlich umgefallen war, von der Strasse auf, setzte sich drauf und winkte Cynthia zu, hinter ihn auf den Beifahrersitz zu klettern.
Cynthia gelang es gerade noch, sich an Marcel festzuklammern, als dieser bereits mit Vollgas losfuhr und das Motorrad einen gewaltigen Satz nach vorne machte. Die Sonne war mittlerweile hinter der im Westen liegenden Bergkette verschwunden und ließ auf dem Himmel ein grandioses Farbspiel in sämtlichen Orange- und Gelbtönen zurück. Während sie immer weiter fuhren, und es von Minute zu Minute dunkler wurde, zeichneten sich die Olivenbäume langsam als schwarze Siluetten vor dem immer noch orange leuchtenden Himmel ab. Plötzlich bremste Marcel, er hatte im Halbdunkeln die Umrisse eines alten Gebäudes ausgemacht, was sich nun bei genauerer Betrachtung als die Überbleibsel einer alten Finca herausstellte. Sie befanden sich nähmlich in Spanien, in Nordandalusien, wie Marcel von dem jungen Mann erfahren hatte, bevor er diesen von seinem Motorrad geworfen hatte.
„Hier werden wir übernachten“, bestimmte Marcel und stieß Cynthia unsanft vor sich her in die Ruine. In einem Zimmer, das wohl einmal vor vielen Jahren der Hauptwohnraum gewesen sein musste, und an dessen hinterer Wand sich ein Kamin befand, richteten sie sich so gut es ging ein Schlaflager her.
Marcel sammelte draußen ein paar trockene Äste und mit Hilfe des Strohs, das überall auf dem Boden herumlag, entzündete er ein Feuer im Kamin. Cynthia setzte sich in die hintere Ecke des Raumes, lehnte sich mit dem Rücken gegen die steinerne Wand und schloss die Augen.
Marcel ließsich ihr gegenüber nieder und betrachtete sie schweigend. Ihr blondes Haar schimmerte im Schein des Feuers wie flüssiges Gold und fiel bis zu ihrer Taille herab. Ihre Haut war weißund makellos und wirkte fast schon transparent.
Ein komisches Gefühl durchströmte Marcel, während er sie betrachtete, etwas, was er bisher noch nicht gekannt hatte, und es war ihm keineswegs unangenehm.

Marc war noch immer sprachlos angesichts dessen, was er soeben im Kristallpalast gesehen und gehört hatte. Er begriff nun vollends, dass es nichts Wichtigeres für ihn zu tun gäbe, als Marcel zu finden und ihn zu vernichten, um das Gleichgewicht der Welten zu gewährleisten. Doch zunächst galten seine Gedanken auch Cynthia, er musste herausfinden, wo sie sich befand.
Er verließ den Palast und ging zurück zu der Stelle, an dem er zuvor in den Wellen Einblick in sämtliche Orte der drei Welten gehabt hatte, von hier aus müsste er Cynthia eigentlich finden können. Er konzentrierte sich ganz fest auf sie und schon bald rollten die ersten Wogen auf ihn zu. Hoch wurde er hinausgetragen und erkannte unter sich in der ersten Welle die Umrisse von Europa. In der zweiten sah er die Siluette von Spanien und als er sich ganz genau darauf konzentrierte, merkte er, das er seine Augen wie ein Fernglas benutzen konnte und so entdeckte er schließlich die alte Finca in Nordandalusien, in der Marcel sich soeben über die schlafende Cynthia beugte.
„Du Schwein“, schrie er, „lass sie in Ruhe.“ Die nächste Welle hob ihn empor, das Bild von Cynthia und Marcel war verschwunden, anstelle dessen erblickte er Lynn in der Zwischenwelt, die sich im Versammlungshaus zusammen mit den Heilerinnen um die verwundeten Wächterinnen kümmerte.

 
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Die Heilerinnen zogen sich zurück, es gab nichts mehr, was sie tun konnten. Lynn, sowie fünf weitere Überlebende des Massakers saßen in einer Ecke des Hauptsaales und schwiegen sich gegenseitig an. Ihnen war klar, dass die schönen, unbeschwerten Zeiten durch den gewaltsamen Eingriff in den Frieden der Siedlung ein für alle Mal beendet worden waren. Immer wieder wanderten die Blicke der Frauen über die zerstörte Einrichtung, brannten das Bild von Tod und Verwüstung dauerhaft in ihre Köpfe hinein.

Lynns Wut auf Marcel kannte keine Grenzen. Er und John hatten in wenigen Minuten beinahe alles was ihren Lebensinhalt bedeutete vernichtet. Die Wächterin beabsichtigte nicht, untätig herum zu sitzen, während das Schicksal von Marc und Cynthia im Ungewissen lag. Sie erhob sich seufzend, nickte den anderen noch einmal zu und verließ das Gebäude in Richtung See. Ziellos spazierte sie umher, bemüht die wirren Gedanken zu ordnen, doch wie sie diese auch drehte und wendete, sie kam zu keinem befriedigenden Ergebnis. Ohne die Hilfe Ismaels wäre eine Suche in der jenseitigen Welt aussichtslos, das stand fest. Was waren Theoldins Worte? Er wird nicht wechseln wegen einer Wächterin. Schon klar. Wegen einer Wächterin wohl nicht. Aber: Der Koloss wartete nur auf eine Gelegenheit, seinen Auftrag endlich auszuführen. Auf ein Zeichen von ihrer Seite hin würde er sofort losstürmen, da war sie sich ganz sicher. Die Angst um die beiden Vermissten nagte an ihr, machte sie langsam verrückt. Sie musste handeln. Jetzt.

 
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Marc hatte nur einen kurzen Blick auf Lynn werfen können, bevor ihn die Welle weiter mit sich nahm und ihn dann sanft auf einem kargen Felsen absetzte. Gleich nach seiner „Landung“ hörte er eine bereits bekannte Stimme, ganz in seiner Nähe. Sie gehörte einem der `alten Weisen´, der schräg neben ihm aufgetaucht war.
„Nun, mein Junge, wie ich sehe, hast du dich hier schnell zurecht gefunden.“ Marc fuhr sich mit beiden Händen durch die zerzausten Haare, zupfte sein verrutschtes T-Shirt zurecht und entgegnete: „Na ja, wie man´s nimmt. Ist alles ziemlich seltsam.“ Der Alte nickte verstehend. „Selbstverständlich wirkt dies alles eigenartig auf dich. Noch. Aber du wirst sehen, je länger du hier bist, desto leichter kommst du mit den ungewohnten Verhältnissen, die hier herrschen, klar. Zumal deine Gaben erstaunlich ausgeprägt sind.“ Marc ergriff die Gelegenheit, endlich mehr über seine neu entdeckten Fähigkeiten zu erfahren.
„Was hat es denn nun mit meinen angeblichen Gaben auf sich? Und wie kann ich sie nutzen, um Cynthia zu befreien? Marcel hat sie entführt, und bei dem Gedanken, was er ihr antun könnte ...“ Er ballte seine Hände zu Fäusten, bis die Knöchel hervortraten. Der Weise sah ihn eindringlich an.
„Du kannst ihr am besten helfen, indem du Ruhe bewahrst. Sinnlose Raserei ist völlig fehl am Platz. Du wirst all deine Kraft und deine Sinne einsetzen müssen bei dem, was auf dich zukommt. Also musst du zunächst einmal versuchen, deine Ängste und Nervosität in den Griff zu bekommen. Es heißt nicht umsonst: In der Ruhe liegt die Kraft.“ Marc trat unruhig von einem Bein aufs andere.
„Schon, aber ...“, unterbrach er den Redefluss des Alten, der ihn mit einer angedeuteten Geste zum Schweigen brachte.
„Der beste Weg, einen Zugriff auf ungeahnte Energien zu erreichen, ist die Meditation. Es gibt in der Nähe des Kristallpalastes einen Punkt, der besonders geeignet wäre für ein Unterfangen, das ich dir vorschlagen möchte. Dort wirst du Antworten und innere Ruhe finden.“ Ohne ein weiteres Wort des Jungen abzuwarten, setzte er sich in Bewegung. Nach kurzem Zögern folgte ihm Marc.


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Lynn konnte und wollte nicht länger abwarten. Sie sandte einen Ruf jenseits akustisch hörbarer Frequenzen aus, in dem Bestreben, ihren Beitrag zur Rettung der Vermissten beizutragen. Ganz wohl war ihr bei der Sache nicht, zumal das Wesen, mit dem sie beabsichtigte, die Verfolgung aufzunehmen, eine gewisse Gefahrenquelle für Marc darstellte. Früher oder später würde der Wächter seinen längst überfälligen Auftrag erfüllen wollen. Sie schob diesen unangenehmen Gedanken beiseite, redete sich ein, in einer sich zuspitzenden Lage sicherlich noch rechtzeitig einen Ausweg zu finden. Es musste einfach einen geben! Als sie kurze Zeit später mit Ismael zusammen in die jenseitige Welt wechselte, nahm sie sich vor, noch mehr als sonst auf eventuelle Anzeichen seiner Angriffslust zu achten.

Kaum auf der anderen Seite angekommen, nahm Ismael witternd eine Fährte auf und lief, wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen nach Norden. Lynn hatte Mühe, diesem Wesen, dessen Beine wesentlich länger waren als ihre, zu folgen. Hinzu kam eine immer stärker werdende Müdigkeit, die sich in ihr ausbreitete. Sie hatte von dieser Art des Energieverlustes beim Überschreiten der Grenze gehört, wusste, dass dies mit dem Wechsel in direktem Zusammenhang stand und beschloss, diese Tatsache, solange wie möglich durch Willensstärke auszugleichen. Es gab Gegenmaßnahmen, die Nichtbewohner dieser Welt ergreifen konnten, doch war die Zeit dafür zu knapp gewesen.

Lynn nahm trotz der Eile staunend die vielfältigen Eindrücke der Gegend in sich auf. So bizarre Landschaften, unglaubliche Strukturen von äußerlich normal wirkenden Oberflächen und ein bisweilen zusätzlich kräftezehrender, federnder Untergrund waren für sie unvorstellbar gewesen. Über Berichte von Reisenden, die sie diesbezüglich bislang gehört hatte, konnte sie nur noch müde lächeln. Worte reichten nicht aus, um die hier bestehende Realität inklusive ihrer beständigen Veränderung zu beschreiben.

Am tiefsten Punkt eines weitläufigen, unbewachsenen Tales wäre die Wächterin beinahe auf ihren Vordermann geprallt, der unvermittelt stehen geblieben war. Sie folgte seinem Blick. Auf einem Hügel, in einiger Entfernung sah sie Marc, wie er eigentümlich leuchtend, bewegungslos im Schneidersitz auf einer rechteckigen Erhöhung hockte. Sofern sie es auf diese Distanz beurteilen konnte, schien er in dieser Haltung zu schlafen, zumindest zeigte er auf ihr Winken hin keine Reaktion. Dafür wurde Ismael umso unruhiger, was seinen ohnehin strengen Geruch noch verstärkte. Lynn rümpfte angewidert die Nase. Sie erspürte seine ungestüme, unbeherrschbare Wildheit und erkannte in diesem Moment, dass sie einen schwer wiegenden Fehler begangen hatte. In den gelblichen Augen des Kolosses las sie tödliche Entschlossenheit, die durch dumpfes, unheimliches Grollen Nachdruck erhielt. Zögernd griff sie nach seinem bepelzten Arm, in der Hoffnung, diese Bestie mit beruhigenden Worten von übereiltem Handeln abhalten zu können; doch Ismael war wie von Sinnen. Zu stark drängte seine ursprüngliche Bestimmung nach außen, explodierte förmlich und trieb seine Pranke quer über die Brust der Wächterin.

Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, stürmte er los, wie ein wilder Stier, der nur noch auf rotes Tuch fixiert war. Lynn schrie ihm hinterher, wollte ihm nachsetzen und sank schließlich aus vielen Wunden blutend auf die Knie. In Sekundenbruchteilen rasten Gedanken durch ihren Kopf, brachten jedoch keine akzeptablen Resultate, sondern liefen letztendlich alle auf das gleiche Ergebnis hinaus: Ein Tor musste geöffnet werden, um dem `Wuttier`, das seit seinem letzten Erscheinen an zerstörerischer Energie zugenommen hatte, freien Lauf zu lassen. Bereits einen Augenblick später schickte sie die entfesselte Energie dem Ungetüm hinterher und nach kurzer Jagd zeugten lediglich verstreute Körperteile von dem eben noch furchteinflößenden Wächter.

Lynn glitt unaufhörlich auf einen Dämmerzustand, eine gnädige Schwerelosigkeit zu. Erinnerungen wurden wach, Tränen um die, die sie verloren hatte, verschleierten ihre Sicht auf die Umgebung. Sie dachte an Marc und daran, wie gerne sie ihm geholfen hatte. War er das, was man einen Freund nannte? Zwischen zwei Lidschlägen blickte sie in seine Richtung und erschrak. Das von ihr gerufene Böse war im Begriff, sich dem Ahnungslosen dort oben zuzuwenden. Trotz des Nebels, der sich auf ihr Bewusstsein gelegt hatte, wusste sie, was zu tun war. Unter ungeheurer Anstrengung griff ihr Geist nach der gebündelten Energie, zwang sie hinter das Tor zurück, jedes noch so kleine Stück an verringerter Distanz ein Kampf gegen ihre eigene Schwäche. Ihr Lebenslicht flackerte. Nicht mehr lange ...
Mit ihrem letzten Atemzug verschloss sie das Tor hinter dem Bösen und betrat das Reich der `freundlichen Schatten`, an das sie ihr Leben lang geglaubt hatte.

 
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Und während Lynn ihren letzten Kampf focht, bevor sie für immer die Augen schloss, da hatte auch Cynthia zu kämpfen, zu kämpfen gegen Marcels Zudringlichkeiten.
Ihr war es schlussendlich gelungen, trotz der unbequemen Lage auf dem harten Boden der Finca in einen unruhigen Schlaf zu verfallen, aus dem sie erst erwachte, als sie ein Gewicht auf ihrem Körper spürte, das ihr fast die Luft zum Atmen nahm.
Als sie die Augen öffnete, erblickte sie Marcel genau über ihrem Gesicht, der gerade versuchte, seinen Mund auf ihre Lippen zu pressen.
„Geh sofort runter von mir“, schrie sie ihn an und versuchte ihn wegzustoßen. Doch Marcel hielt sie inzwischen an ihren beiden Armen fest und drückte diese auseinander.
„Zier dich doch nicht so“, keuchte er. „Was du Marc gibst, kannst du auch mir geben. Was seins war, ist nun meins.“ Dabei entblößte er mit einem teuflischen Grinsen seine spitzen Eckzähne, bevor er sich erneut zu Cynthia herunterbeugte und brutal seine Zunge in ihren Mund stieß. Er bog Cynthias Arme nach oben und hielt sie über ihrem Kopf mit seiner linken Hand fest umklammert, während er mit der rechten die Knöpfe ihres Overalls aufriss. Gierig fuhr er mit seiner Zunge über ihre entblößten Brustwarzen. Cynthia versuchte sich zu befreien, doch Marcel hielt sie fest gepackt. Da schloss sie die Augen und in ihrem Inneren tauchte das Bild von Marc auf, seine dunkelbraunen Augen, die sie fragend anblickten und seine vollen, roten Lippen, die sich zu einem Lächeln nach oben zogen.
„Marc“, flüsterte sie und auch wenn dieses eine Wort lautlos war, so hallte sein Echo doch in ihrem Kopf hundertfach zurück und weckte sie aus diesem Alptraum auf. Sie sammelte ihre ganze Energie und bündelte diese zu einem gewaltigen Kraftstrang. Marcel hielt einen Moment inne, als er die Wärme spürte und das Licht bemerkte, welches nun von Cynthia ausging. Und dann ließ sie einen gewaltigen Schrei los und ehe Marcel wusste, wie ihm geschah, flog er gegen die hintere Wand der alten Finca. Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, raffte Cynthia ihren Overall vor der Brust zusammen und verließ den Raum. Marcel, immer noch ganz perplex, erhob sich und folgte ihr nach draußen. Er konnte gerade noch sehen, wie Cynthias Körperkonturen sich langsam auflösten.
„Na warte, du entkommst mir nicht“, knurrte er und wechselte ebenfalls.

 
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Ganz leise, wie durch viele Schichten dämmender Watte, bahnten sich die Todesschreie Ismaels einen Weg zu Marcs verinnerlichtem Bewusstsein, das durch diese Geräusche langsam in die Realität zurück fand. Nach mehreren tiefen Atemzügen wich der eben noch meditative Zustand blankem Entsetzen. Marcs Blick glitt über die verstreut liegenden Leichenteile des Kolosses hin zu der leblosen Gestalt unten im Tal. Lynns rote Mähne bildete einen unübersehbaren Kontrast zu dem erdfarbenen Boden, auf dem die Frau lag. Hastig erhob sich Marc und rannte, so schnell ihn seine Beine trugen, den Hügel hinab. Bereits während des Laufes wurde das ungute Gefühl des Verlustes immer stärker, schließlich zur Gewissheit. Hier konnte er nichts mehr ausrichten. Er kniete neben sie nieder, hob den blutbesudelten, schlaffen Oberkörper an und strich ihr sanft die Haare aus dem Gesicht. Plötzlich wusste er, was passiert war, doch den entspannten Gesichtszügen nach zu urteilen, hatte sie trotz des grausamen Endes ihren Frieden gefunden.
„Welch eine tapfere Vertreterin der Schwesternschaft!“, erklang eine tiefe Stimme hinter ihm. Marc wusste, ohne sich umzudrehen, wem sie gehörte.
„Sie ist tot!“, presste er zornig hervor. Der Besitzer der Stimme zeigte keine Regung.
„Wir wussten, dass sie ihrer Bestimmung genügen würde, sonst hätten wir sie nicht erwählt.“
„Bestimmung?!“, rief Marc außer sich vor Trauer. „Soll das etwa heißen, dass diese ganze Sache geplant war, oder was?!“ Seine Worte wurden durch einen Kloß im Hals verzerrt.
„Nein, selbstverständlich nicht.“ Ein Weißhaariger trat in sein Sichtfeld und sah ihm ruhig in die Augen. „Alles was geschieht, ist Teil des weltenumfassenden Plans, der außerhalb unseres Einflusses liegt. Wir können lediglich unser Wissen und unsere Erfahrungen einbringen.“
Marc kämpfte mit den Tränen. In diesem Moment hasste er die Ungerechtigkeit des Schicksals, das ihm aufgezwungen worden war, fühlte sich mehr denn je als Spielball fremder Mächte, die ihn nach Belieben hin und her schoben, wie eine Figur auf einem Schachbrett. Lynns grünliches Blut tropfte auf seine linke Hand und holte ihn in die Gegenwart zurück. Übermächtige Trauer schnürte ihm die Kehle zu, und vor seinem inneren Auge entstanden schreckliche Bilder von einem leblosen Körper, der im Staub dieses Tales lag wie ein vergessener Kadaver.
„Ich bringe sie zurück in ihre Welt. Das bin ich ihr schuldig.“ Ohne eine Antwort des Weisen abzuwarten, erhob er sich, die Verblichene auf seine Arme gebettet, konzentrierte sich auf die Siedlung der Vulkanierinnen und benutzte seine Gabe, um mit seiner Last wechseln.

 
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In der jenseitigen Welt angekommen, irrte Marcel ziellos hin und her. Er konnte Cynthia weder sehen noch spüren. Wie von einer unsichtbaren Hand geführt, zog es ihn um eine Felsenkette, die ein riesiges Monument freisetzte. Der Anblick war absolut beeindruckend. Ein gigantischer Palast thronte auf der Erhebung, strahlte in einem unwirklichen Licht von innen heraus. Misstrauisch richtete Marcel aus sicherer Entfernung seine Sinne in alle Richtungen. Und tatsächlich, noch bevor er die zwei Wächter sah, nahm er deren Ausstrahlung wahr. Sie flankierten ein mächtiges Portal, hinter dem offenbar etwas darauf wartete, von einem mutigen Eindringling wie ihn entdeckt zu werden. Marcel konnte seine Neugier kaum zügeln und schob sich, seine potentiellen Gegner ständig im Auge behaltend, langsam um die Felsen herum. Von seinen Waffen, die von allzu großzügigem Gebrauch schnell munitions- und somit wertlos geworden waren, hatte er sich im Laufe der Zeit getrennt, weshalb er sich allein auf seine Fähigkeiten verlassen musste. Sich mit läppischen Spielchen aufzuhalten, schien ihm angesichts der tumben Kreaturen nicht angemessen. Dies hier würde eine leichtere Übung werden. Tief in seinem Innern machte sich tödliche Kälte breit, durchströmte jede Faser seines Körpers und wurde um ein vielfaches verstärkt. Seelenruhig verließ er seine Deckung, schlenderte hocherhobenen Hauptes dem Eingang entgegen, während kondensierte Atemluft seine lächelnde Grimasse umspielte.

Die Wächter drehten alarmiert die Köpfe in seine Richtung, streckten ihre massigen Körper und belauerten jede Bewegung Marcels, der sich mit federnden Schritten näherte. Er nahm deren wachsende Unruhe beinahe körperlich wahr und grinste breit. Nur noch wenige Meter trennten ihn von den beiden, als sie das Ausmaß der drohenden Gefahr erkannten. Brüllend rissen sie ihre Krallen hoch, um sich von zwei Seiten auf ihn zu stürzen. Marcel reagierte seinerseits mit Angriff. Zunächst schwenkte er nach links, schlüpfte unter den herabsausenden Pranken seines Widersachers hindurch, drehte sich und trat diesem mit voller Wucht in den Rücken. Der Wächter taumelte. Noch während er kopfüber zu Boden fiel, riss ihm ein fürchterlicher Hieb einen Teil seines Schädels weg. Marcel lachte triumphierend auf. Wächter Nummer zwei war im Begriff, sich auf ihn zu werfen, doch gegen einen dermaßen wendigen Gegner hatte der Koloss keinerlei Chance. Er unterschätzte die Reichweite von Marcels Arm, der ansatzlos vorschnellend seine Bauchdecke aufschlitzte. Hilflos musste der von dieser Attacke Überraschte mitansehen, wie sein Gedärm nach außen quoll und ihm an den Beinen herab baumelte. Marcel beobachtete fasziniert den Todeskampf des Verletzten. Ausübung von Gewalt verschaffte ihm immer eine besondere Art von Orgasmus, veranlasste ihn, gierig jedes Detail in sich aufzunehmen. Mehrere Minuten verbrachte er so, schwer atmend am Ort des Geschehens, bis er sich wieder auf den Palast besann.

Am Eingang angekommen, setzte er vorsichtig einen Fuß vor den anderen und betrat diesen. Beeindruckt von dem, was sich vor seinen Augen abspielte, drehte er den Kopf nach allen Seiten, um das Farbspiel in sich aufzunehmen, das sich durch die Reliefs an den Wänden zu überkreuzen begann, sobald er das Zentrum, den höchsten Punkt des Palastes, erreicht hatte. Trunken von so viel Schönheit schüttelte er den Kopf, um sich vom Bann der Lichtspiele loszureißen. Er wurde auf eine röhrenähnliche Abzweigung aufmerksam, aus der ihn Lichtreflexe geradezu anzulocken schienen.
Nach mehreren Biegungen erweiterte sich der Gang zu einer Halle, an deren entgegen gesetzter Seite eine Grotte in den Stein eingehauen war. An dieser angekommen, wagte er es zunächst nicht, die sanfte Erhöhung hinauf zu gehen, in deren Mittelpunkt sich ein Sockel aus massivem, schwarzem Granit befand. Darauf stand ein matt schimmernder Metallring von einem halben Meter Durchmesser, dessen Fuß in dem Granitsockel verankert war. Der mit in sich leuchtenden, verschiedenfarbigen Kristallen versehene Ring, zog ihn magisch an. Er spürte, dass von diesem Apparat eine nicht greifbare Kraft ausging. Er atmete hörbar ein, zugleich setzte er seinen linken Fuß auf die Stufe, beim Ausatmen zog er den rechten Fuß hinterher. Nun stand er vor dem Kristallkreis, durch den er mit seinem Kopf direkt durch die offene Mitte sehen konnte. Seine Hände wanderten, ohne dass er den Befehl dazu von seinem Gehirn geben musste, rechts und links an einen dafür vorgesehenen Haltegriff. Sofort durchflutete ihn Wärme, die sich gleichmäßig in seinem Körper verteilte. Er war sich seines Handelns nicht mehr bewusst. Die Temperatur in der Höhle fiel schlagartig auf den Gefrierpunkt, was Marcel jedoch nicht bemerkte. Keiner Wahrnehmung mehr mächtig, registrierte er auch nicht, wie der Kreis zu rotieren anfing. Die Kristalle vermischten sich, durcheinander gewürfelt begannen sie selbst zu strahlen. Neue Farben entstanden und verteilten sich wie kleine Lichtblitze und füllten den Raum der Grotte aus. In diesem Moment, ließ Marcel den Ring los und taumelte ein paar Schritte zurück. Ein schriller ohrenbetäubender Ton, der aus dem Inneren der Grotte zu kommen schien, durchdrang ihn und zwang ihn zum Verlassen des Palastes.
Nach endlos vorkommenden Minuten, dem Chaos entkommen, erreichte er den Eingang. Erschöpft ließ er sich in einigen Metern Entfernung neben einem Steinhügel nieder. Marcel sah aus wie jemand, der erfolgreich einen Bissen Fleisch ausgehustet hat, an dem er zu ersticken drohte. Dicke Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und an den Schläfen, gerade unterhalb des Haaransatzes. Er sah aufgewühlt und krank aus, als kämpfte er dagegen an, sein Essen von sich zu geben.
Benommen von den Ereignissen, saß er an den Stein gelehnt und überlegte. Den Blick starr vor sich ins Leere gerichtet nahm er auf Grund seiner Gabe war, wie sich die Erde in eine Welle erhöhte und langsam auf ihn zufloss.
Sie ragte schwarz und majestätisch über ihm auf, nichts hatte sich verändert, und doch war nichts, wie es noch vor einer Sekunde gewesen war. Irgendetwas… war geschehen. Nichts Sichtbares. Nichts Fühlbares, sondern eine… etwas wie eine Veränderung der Dinge an sich, als wäre die ganze Zwischenwelt, um ein winziges Stückchen zur Seite verschoben und hätte jetzt einen anderen Platz auf der Skala der Schöpfung eingenommen. Marcel nahm einen eigenartigen Kupfergeschmack wahr, der in der Luft zu hängen schien. Und die Veränderung hielt an. Nur wenige Meter vor ihm begann ein Schauspiel, welches ihm die Augen öffnete.
In der Welle formten sich Bilder, die einer Berglandschaft glichen. Dumpfes Grollen rollte als hundertfach gebrochener Donnerschlag zwischen den Berggipfeln ringsum heran, was den Boden, auf dem er immer noch kauerte, erbeben ließ. An einer Flanke des Berges löste sich eine riesige Gerölllawine, die sich ihren Weg durch das Tal suchte. Bäume wurden von den herunterstürzenden Felsmassen entwurzelt und unter der Masse begraben. Eine Schlucht die sich daraus bildete, begann in sich einzustürzen. Der Untergrund saugte das Geröll, welches die Wände herab fiel, einfach auf. Es floss ins Nichts. So, als ob die Welt sich selbst verschlingen würde. Dabei entstand ein dröhnendes, mahlendes Geräusch das Marcel zwang, sich die Ohren zuzuhalten.
Schwarzgraue Wolkengebilde quollen aus dem Nichts und verschlangen den Himmel. Ein nicht enden wollendes Donnern und Dröhnen, begleitet von zuckenden Blitzen, öffnete den Himmel und gab sturzbachähnlichen Regen frei.
Nun setzte sich die Welle sanft in Bewegung und glitt an ihm vorbei, eine sich neu bildende, schon im Schlepptau. Diese stoppte auf die gleiche Weise kurz vor ihm und gebot ein weiteres Ereignis aus der Welt in er aufwuchs, das seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Es handelte sich um eine Brücke, die mit Stahlseilen zu beiden Seiten des Festlandes miteinander verbunden war. Einige Autos und Fußgänger waren darauf unterwegs, und überquerten diese in beiden Richtungen auf das Festland zu. Schlagartig bedeckten Wolken den Himmel und schirmten das Sonnenlicht ab. Wolkenbruchartiger Regen setzte ein und trieb die Passanten, die sich notdürftig davor zu schützen versuchten, zur Flucht an. Zusätzlich schossen heftig nieder zuckende Blitze am Firmament entlang, die sich unaufhaltsam der Brücke näherten. Ein blauweißer Blitz bahnte sich durch die Autokolonne seinen Weg und schlug mit einem ungeheuren, peitschenden Knall in die Seilkonstruktion der Brücke ein. Fußgänger flüchteten aufgeschreckt in alle Richtungen davon. Die Gitterkonstruktion flammte auf, das geschmolzene Metall explodierte und ließ die Seile eines nach dem anderen zerbersten. Die Brücke wurde daraufhin so instabil, dass sie sich wand wie eine Schlange. Autos glitten wie Spielzeuge rechts und links von der Fahrbahn ab und fielen in den zu überbrückenden Fluss. Einige Passanten sprangen verzweifelt, um den abgerissenen Seilen, die wild um sich schlugen zu entkommen über den Rand der Fahrbahn in den sicheren Tod. Eine Frau versuchte, sich an einem verkeilten Auto festzuhalten, das nur noch mit dem Heck auf der Fahrbahn Halt fand. Sie und der restliche Teil desselben hingen über dem drohenden Abgrund, schaukelnd und hysterisch schreiend, nur einen Augenblick, da öffnete der Abgrund sein alles verschlingendes Maul und fand sein nächstes Opfer.

Ein zweites Mal setzte sich die Welle in Bewegung und ließ Marcel in halb zusammen gekrümmter Haltung zurück. Nach einiger Zeit, erhob er sich von seinem Sitzplatz, den rechten Arm ausgestreckt wie ein Blinder in unbekanntem Terrain, stolperte er einige Meter weiter, bis ihn eine neue Erscheinung zum Anhalten zwang.
Unmittelbar vor ihm erschien wie aus dem Nichts, einer dieser Ältesten und sprach mit ruhiger Stimme zu Marcel: „Nun, bist du stolz auf dich? Halt ein mit diesem teuflischem Werk bevor es dir aus den Fingern rinnt!“ Marcel hatte plötzlich das Gefühl, einem Geheimnis auf der Spur zu sein. So dicht, dass er nur noch die Hand auszustrecken brauchte, um die Lösung aufzudecken. Geschickt stellte er dem Alten eine Falle: „Nun, wenn nicht, wie willst du mich daran hindern?“ spottete er. „Niemand weiß das. Was ich weiß, ist nur, dass es bestimmt keine Zauberei war. Nichts geschieht, ohne dass zuvor etwas anderes geschehen wäre. Nur erkennen wir es manchmal nicht. Es wird einen Grund geben.“
Wie ein Blitzschlag kam ihm die Erkenntnis, dass es mit dem Geschehenen im Kristallpalast seinen Anfang gefunden hatte.

 
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Natürlich, der Kristallring! Er hatte ihn berührt, ihn verändert – aber konnte es sein, dass dieses kleine Instrument eine solche Wirkung hatte? Was war es, was hatte er tatsächlich ausgelöst? Und in diesem Moment begriff er: Dies war das Zentrum der Macht über die Welten, von hier aus wurden die Geschicke bestimmt, es war ein Ring des Schicksals. War das der Grund für den erbitterten Kampf, der vielleicht erst begonnen hatte? War es möglich, dass er diesen Ring steuern und dadurch die alleinige Macht an sich reißen konnte? Wenn dem so sein sollte, war auch klar, worum es Marc gehen musste: Er wollte die bestehende Ordnung, das so genannte Gleichgewicht aufrechterhalten. Marcel grinste. Das war lächerlich; Macht war dazu da, um gebraucht zu werden, um sie einzusetzen, um herrschen zu können. Aber das würde Marc vermutlich nie verstehen und deshalb würde er ihn vernichten müssen.
Er verzog das Gesicht; Marc war ein zäher und unerwartet starker Gegner, im Gegensatz zu John, der zunehmend feige und lästig gewesen war. Aber ... Ihm kam ein Gedanke: Er war hier, aber Marc nicht. Wenn er es fertig brächte, den Kristallring zu steuern, könnte er nicht nur Marc aufspüren, sondern ihn durch diese Macht auch zerstören! Und Cynthia bekommen ...
Entschlossen stand er auf und kehrte in den Palast zurück.

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Entsetzt stellte Cynthia fest, dass sie sich in einer Eiswüste wiederfand. Ein scharfer Wind trieb ihr winzige Kristalle ins Gesicht, so dass es sich anfühlte, als würde sie von Tausenden Nadeln gestochen. Schutzsuchend kauerte sie sich hinter einen Felsblock, um ein wenig vor diesem mörderischen Wind geschützt zu sein.
Verzweifelt fragte sie sich, ob Marc hier war, aber sie konnte ihn nicht spüren, nirgends das warme orangegoldene Glühen, das ihn in dieser Welt umgeben hatte, ausmachen. Nein, es hatte ihn nicht umgeben, es war von ihm ausgegangen. Obwohl sie inzwischen viel über ihn wusste, war sie sich nicht sicher, was er tatsächlich war, und sie erinnerte sich an die mythischen Geschichten, die ihr in ihrer Jugend und während der Ausbildung zur Wächterin erzählt worden waren: Geschichten über die Schöpfer der Welten, über die Steuermänner des Schicksals, die Bewahrer allen Daseins und über die Ordnung, die unbedingt erhalten werden musste, wenn nicht alle Welten ins Chaos gestürzt werden sollten.
Aber was konnte sie tun? War es nur ihre Aufgabe gewesen, Marc kurzfristig vor seinen Verfolgern zu retten, war das alles gewesen? Oder übersah sie etwas?
Ein Schauer überlief sie, als sie erkannte, dass sie durchaus noch etwas bewirken konnte: Marcel. Er war es, auf den sie Einfluss nehmen konnte, denn in seinen glühenden Augen hatte sie deutlich erkannt, dass er besessen war von ihr, als er sich über sie gebeugt hatte, um sich mit Gewalt zu nehmen, was sie ihm freiwillig niemals gegeben hätte. Aber diese Besessenheit gab ihr Macht über ihn und wahrscheinlich würde er erst versuchen, sie wieder in die Hände zu bekommen, bevor er sich daran machte, Marc zu vernichten.
Er musste sie finden!

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Marc spürte Lynns Gewicht kaum, als er mit ihr auf den Armen das Versammlungshaus betrat; ihm war nicht bewusst, wie sehr sich nicht nur sein äußeres Erscheinungsbild gewandelt hatte, auch seine Kräfte hatten enorm zugenommen.
Erschrocken fuhren die wenigen verbliebenen Wächterinnen hoch, als er die Tür aufstieß, um in lautes Wehklagen auszubrechen, sowie sie den toten Körper in seinen Armen erkannten.
Sachte ließ er Lynn zu Boden gleiten, strich ihr das goldblonde Haar aus der Stirn und strich ihr sanft über die Wange, bevor er sich wieder aufrichtete.
„Wo ist Cynthia? Ist sie hier?“, fragte er geradeheraus, denn er hatte keine Zeit zu verlieren.
Unbewusst wichen die Frauen ein wenig vor ihm zurück, denn sie sahen die Kraft, die von ihm ausging und sich in einer Lichtaura zeigte. „Nein, sie ist nicht hier, wir wissen nicht, was mit ihr geschehen ist!“
„Ich werde sie finden!“, versprach er und wandte sich zur Tür.
„Warte!“, hielt ihn eine der Wächterinnen, ein noch sehr junges Mädchen, zurück.
Ungeduldig blieb er stehen und sah sie an, worauf sie leicht errötete. „Du solltest wissen, dass ... Dinge im Gang sind, dass sich alles verändert. Aber das ist nicht gut, du musst es aufhalten!“
„Als ob ich das nicht wüsste!“, gab Marc zurück. „Aber um es aufzuhalten, muss ich Marcel und Cynthia finden!“
Sowie er das einstmals heitere und lichterfüllte, jetzt von Trauer und dem Geruch nach Blut und Tod erfüllte Gebäude verlassen hatte, atmete er tief durch. Er musste zurück in die jenseitige Welt; nur dort würde er erfahren können, wo sein Feind und seine Geliebte sich aufhielten. Grimmig ballte er die Fäuste, bevor er sich auf den Wechsel konzentrierte. Wenn Marcel ihr etwas angetan hatte ...

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Für einen Moment zögerte Marcel, als er wieder vor dem Kristallring stand. Ob er ihn wirklich beherrschen konnte? Aber es musste so sein, hatte nicht John den Weg zur absoluten Macht gesucht? Und dafür hatte er ihn gebraucht, also war er es, der diese Kräfte handhaben konnte!
Entschlossen griff er nach den Handgriffen und schloss die Augen, denn diesmal wollte er sich von dem explodierten Lichtspiel aus Farben und Blitzen nicht aus der Fassung bringen lassen. Wieder spürte er die Wärme, die sich in ihm ausbreitete, und ermahnte sich, tief und ruhig zu atmen.
Erst nach einer ganzen Weile öffnete er die Augen wieder und betrachtete die Kristalle. Sie bewegten sich, veränderten ihre Anordnung, aber als er einen von ihnen näher ins Auge fasste, hielt dieser inne, veränderte seinen Platz nicht mehr. So funktionierte es also, so konnte er sie steuern! Immer mehr Kristalle bannte er an ihren Platz, traute sich nach einer Weile auch zu, sie gruppenweise zu fixieren und erstarren zu lassen, bis endlich der gesamte Kreis zum Stillstand gekommen war. Langsam löste er seine Hände. Mit Sicherheit hatte er etwas verändert und nun wollte er herausfinden, was es war. Suchend sah er sich um. Bisher hatte ihn der Ring zu sehr fasziniert, als dass er sich die Höhle näher angesehen hätte, aber nun fielen ihm mehrere blank polierte Flächen in den Wänden auf, die ihn an Fenster oder Bildschirme denken ließen. Als er in einen hineinsah, erkannte er nur wirbelnde Wolken, wie dichter Nebel, die ihm die Sicht verwehrten, zudem schien die Fläche beschlagen zu sein. Unwillkührlich hob er seinen Arm und wischte damit über die Fläche, und plötzlich klärte sich das Bild. Zischend zog er die Luft durch die Zähne, als er erkannte, was er aus der Vogelperspektive sah: Es war eine Stadt, aber im ersten Moment konnte er sie nicht zuordnen. Doch dann entdeckte er ein Stahlgerüst, zusammengesunken, aber immer noch als die untere Hälfte des Eiffelturms erkennbar. Es war Paris, oder was von dieser Metropole noch übrig war, denn an ihrem Rand erhob sich ein Vulkan von sicher achthundert Metern Höhe, dessen Lavamassen sich auf die von dicken Ascheschichten bedeckten Häuser zuwälzten.
Wieder wischte er mit seinem Ärmel über die Fläche, worauf das Bild sich veränderte und ihm eine ausgedehnte Wasserfläche zeigte. Zuerst konnte er nicht zuordnen, welchen Teil der Erde er sah, aber als er sich konzentrierte, war es, als ob das Bild auf Weitwinkel gezoomt würde und er erkannte, dass er eigentlich Mexiko sehen müsste – doch alles, was davon noch übrig war, war eine Inselkette, die Spitzen der Kordilleren, der Rest der Landverbindung zwischen Nord- und Südamerika stand unter Wasser. Marcel fuhr sich mit seiner spitzen Zunge über die Lippen. Das war Macht, absolute Macht! Denn jetzt hatte er die Möglichkeit, Städte oder sogar ganze Länder und Kontinente zu vernichten, wenn seinem Willen nicht entsprochen wurde!
Dass er nicht die geringste Ahnung hatte, wie er wieder eine Ordnung herstellen sollte, daran dachte er nicht.
Aber jetzt wollte er Cynthia finden, er konnte nicht tolerieren, dass sie sich ihm einfach entzog, das stand ihr nicht zu. Nach einem erneuten Wischer über das Fenster konzentrierte er sich auf die jenseitige Welt, da er vermutete, dass sie in ihrer Panik hierher geflohen war. Sie würde glücklich und dankbar sein, an seiner Seite sein zu können, wenn sie erst erkannte, welche Macht er hatte, sie würde sich ihm bedingungslos unterordnen und freudig alles tun, was er von ihr verlangte! Suchend schweifte sein Blick über die verschiedenartigsten Landschaften und endlich entdeckte er sie im Windschatten eines Felsblockes, umtost von einem Schneegewitter. Umso besser, jetzt durfte sie ihm erstmal dankbar sein, wenn er sie vor dem sicheren Kältetod rettete!
Den rötlich-goldenen Schimmer, der in der Ecke des Bildschirmes auftauchte, sah er nicht.

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Zu Tode erschrocken fuhr Cynthia zusammen, als Marcel plötzlich hinter ihr auftauchte und nach ihren Armen griff. „Nein!“, schrie sie auf und versuchte, sich ihm zu entwinden, aber kräftemäßig war er ihr weit überlegen.
„Halt still! Ich bringe dich erstmal an einen wärmeren Ort! Ich will dich lebend, keine gefrorene Leiche!“ Grob zog er sie hoch und presste sie an sich, um sie mitzunehmen, als er zurück in den Kristallpalast wechselte.
Innerlich atmete Cynthia auf, erleichtert darüber, nicht nur dem Sturm zu entkommen, sondern auch wieder mit Marcel zusammen zu sein, denn vielleicht hatte sie wirklich Einfluss auf ihn. Trotzdem sträubten sich ihre Nackenhare als sie sich daran erinnerte, was er beim letzten Mal versucht hatte - ob sie ihn wieder würde abwehren können?

 

Nachdem Marc gewechselt hatte, überlegte er: Auf wen sollte er sich konzentrieren? Auf Cynthia oder auf Marcel? Welche Prioritäten setzte Marcel? Widerwillig gestand er sich ein, dass er vor allem ihn finden musste, obwohl seine Gedanken um die junge Wächterin kreisten. Aber er musste sich zusammenreißen, sich konzentrieren. Es dauerte einige Minuten, aber dann nahm er die Präsenz seines Widersachers wahr, konnte zumindest die Richtung erkennen, in welcher er suchen musste. Noch bevor er seinen Standort veränderte, erkannte er entsetzt, dass Marcel sich im Palast aufhielt. Die Kristalle! Schaudernd fragte er sich, ob sein Gegner ihre Bedeutung erkannt hatte.

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Marcel war zufrieden mit sich. Es wurde so viel über Harmonie geredet – vielleicht war eine gewisse Form von Harmonie auch nötig, um die Kristalle wirklich steuern zu können. Wenn dem so war, musste er sie nun erreicht haben, denn jetzt hatte er Cynthia. Ein Mann und eine Frau – welche perfektere Harmonie konnte es geben? Er wollte das Mädchen gerade durch das Portal ziehen, als er Marc wahrnahm. „Verdammt“, fluchte er halblaut. „Nicht jetzt!“
„Was ist?“, fragte Cynthia scheinbar ahnungslos. Auch sie hatte Marc wahrgenommen; jetzt musste sie verhindern, dass Marcel sich der Auseinandersetzung wieder entzog.
„Nichts weiter“, knurrte Marcel gereizt, griff fester nach ihrem Arm und riss sie mit sich in die Zwischenwelt.
„Nein!“, schrie Cynthia noch und versuchte verzweifelt, sich Marcels festem Griff zu entziehen, erfolglos. Erleichtert atmete sie auf, als sie sah, wohin er sie auf seiner Flucht gebracht hatte, denn diese Welt kannte sie besser als er.
Sie waren in einer kleinen Waldlichtung, etwa zwei oder drei Kilometer von der Siedlung der Wächterinnen entfernt. Aber von dort hatte sie keine Hilfe zu erwarten, vermutlich standen die wenigen Überlebenden noch unter dem Schock der jüngsten Ereignisse. Wer sonst könnte helfen? Theoldins Gesicht entstand vor ihrem inneren Auge. Aber würde er Marcels Kräften gewachsen sein? Oder würde ein Kampf seinen Tod bedeuten?
Marcel riss sie aus ihren Überlegungen. „Wo ist er jetzt?“, fragte er. „Du müsstest ihn wahrnehmen können, also konzentrier dich! Wo ist er?“
Cynthia schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht … Ich sehe ihn nicht!“
Marcel sah sie scharf an. „Ich glaube dir nicht, aber du wirst es mir noch verraten … schon bald!“ Sein Mund verzog sich zu einem hämischen Grinsen und ließ die spitzen Fangzähne aufblitzen. „Jetzt suchen wir uns ein hübsches Plätzchen, an dem wir die Nacht verbringen können – du und ich!“

Eine halbe Stunde zerrte er sie hinter sich durch dichtes Buschwerk, bis sie zu einer steil aufragenden Felswand kamen. Ein dünner Wasserfall rieselte von oben herab, aber eine vorkragende Steinplatte bot ausreichenden Witterungsschutz. „Hier bleiben wir!“, bestimmte Marcel, setzte sich in die Nische und zog Cynthia dicht zu sich. „Jetzt kann ich mich auch besser mit dir beschäftigen.“
„Was bringt dir das?“, fragte sie und rückte etwas von ihm ab. „Willst du mich mit Gewalt zu etwas zwingen? Was hast du davon?“
„Was ich davon habe?“ Er begann schallend zu lachen. „Du stellst seltsame Fragen! Erstens mein Vergnügen, und zweitens vermute ich, dass ich dich brauchen werde, um die Macht ausüben zu können. Das reicht doch als Begründung, findest du nicht?“
Cynthia schüttelte entschieden den Kopf. „Nein. Die Macht wirst du nie beherrschen können, und für das, was du vorhast, wird Marc dich töten!“
Marcel zuckte mit den Schultern. „Er kann es ja versuchen. Aber ob er Erfolg haben wird … Denkst du, dass er dein Leben für meines opfern würde? Ich kann es mir nicht vorstellen, dazu ist er zu weich. Er wird klein beigeben, in der Hoffnung, mit dir verschwinden zu können. Aber das werde ich ihm nicht gestatten!“
„Glaubst du denn, dass du die Macht beherrschen kannst? Glaubst du das wirklich? Und wozu willst du sie, was willst du damit erreichen?“
„Das kann ich dir sagen: Ich werde alles erreichen, was ich will, man wird mir geben, was ich will – weil ich jeden vernichten kann, wenn ich es will. Man wird mich verehren wie einen Gott, mir jedes Opfer darbringen – ich werde Gott sein!“
Cynthia erschrak, als sie das wahnsinnige Glitzern in seinen von roten Adern durchzogenen Augen sah, und erkannte, dass er um jeden Preis gestoppt werden musste. Erst jetzt sah sie, wie gefährlich er wirklich war. „Gott? Nein, das kannst du nicht sein, dafür bist du zu egoistisch, und deshalb wird die Macht nie wirklich dir gehören!“
„Meinst du?“, fragte er ungewohnt leise, sah sie einen Moment lang nur an, bevor er sie an den Schultern packte und grob zu Boden drückte. „Soll ich dir beweisen, wie viel Macht ich habe – als erstes über dich? Willst du sie kennen lernen?“
Verzweifelt versuchte sie, ihn wegzustoßen, aber er lachte nur und hielt sie eisern fest. „Gib es auf, du wirst mir kein zweites Mal entkommen, und dein Marc ist nicht hier, er wird dir nicht helfen können!“

 

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Als Marc vor dem Palastportal ankam, musste er enttäuscht feststellen, dass Marcel ihm schon wieder entwischt war, und er fragte sich, was er hier angerichtet haben mochte. Langsam trat er ein; es war anders, als er es kannte, die erhabene Stimmung, die vollkommene Harmonie war verschwunden. Eilig ging er weiter und unterdrückte einen Schreckenslaut, als er das Kristallrad sah: Nichts war mehr an seinem ihm bestimmten Ort, das Funkeln und Blitzen der Steine wirkte nicht mehr wie ein fröhliches Feuerwerk, es hatte vielmehr etwas Bedrohliches an sich.
Was sollte er jetzt tun? Versuchen, die alte Ordnung wieder herzustellen? Aber dafür würde er vermutlich viel Zeit benötigen, von der er sich nicht sicher war, ob er sie hatte. Und er konnte auch davon ausgehen, dass Marcel spüren würde, wenn er die Kristalle veränderte.
Er atmete tief durch. Es wurde Zeit, sich seinem Feind zum endgültigen Kampf zu stellen. Er war sich nicht sicher, ob er ihn hier austragen sollte, oder ob es besser wäre, Marcel zu folgen, um ihm Cyn zu entreißen. Warum hatte er sie entführt? Was konnte sie für ihn bedeuten?
Als er sich umdrehte, fiel sein Blick auf die Sichtflächen in den Wänden, aber was er dort sah, ließ ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Jetzt verstand er, worauf Marcel aus war: Macht, und zwar in ihrer bösartigsten Form, mit der Absicht, sie nach seinem eigenen Gutdünken rücksichtslos zu ge- und missbrauchen. Es wurde Zeit, er konnte nicht mehr warten, ob Marcel hierher kommen würde.
Als er den Palast verließ, wurde ihm bewusst, dass sich auch außerhalb einiges verändert hatte: Nicht weit entfernt fraß sich ein kochender Lavastrom durch die zuvor in stiller Schönheit eisblau leuchtenden Felsen; nur ganz kurz sah er ein gewaltiges Wesen, dessen Zähne überdimensioniert erschienen, das sich sofort hinter einem Vorsprung duckte. Marc presste die Lippen aufeinander. Würde er die Kraft haben, um die Welten wieder ins Gleichgewicht zu bringen?

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Cynthia schrie auf, als Marcel sich über sie wälzte, sie mit seinem Gewicht zu Boden presste. Er hielt sich nicht damit auf, ihren verschmutzten Overall zu öffnen, er schlitzte ihn mit seinen rasiermesserscharfen Krallen auf. Dass er dabei auch ihre Haut verletzte, interessierte ihn nicht.
Mit aller Kraft wehrte sie sich gegen ihn, zerkratzte sein Gesicht, aber er lachte nur. Einen Atemzug lang lag sie still, konzentrierte sich und sammelte ihre Energie, um den Sturm heraufzubeschwören, der sie, Lynn und Marc schon einmal gerettet hatte, aber Marcel richtete sich nur kurz auf, fuhr mit seiner rechten Hand mit einer herrischen Bewegung durch die Luft, und der bereits stark gewordene Wind erstarb.
Fassungslos starrte Cynthia ihn an; sie hatte nicht geahnt, dass er über derart starke Kräfte verfügte, und Angst umklammerte ihr Herz.
Mit dunkelroten Augen sah er sie wieder an und verabreichte ihr eine heftige Ohrfeige. „Versuch so etwas nicht wieder – es würde nichts nützen und dir wird es nicht bekommen, wenn ich wirklich wütend werde!“, fauchte er sie an und riss ihr die Kleidung herunter. Instinktiv hob sie die Hände gegen ihn, worauf er seine linke Pranke um ihren Hals schloss. Sie spürte die Krallen, die ihre Haut durchbohrten, als er seinen Griff verstärkte.
„Hörst du jetzt auf?“, fragte er warnend. „Oder soll ich noch fester zudrücken, bis du bewusstlos wirst?“ Er grinste, als sie die Hände sinken ließ. „Na also! Du lernst ja doch!“
Angewidert und erstarrt vor Entsetzen schloss sie die Augen, als er ihre Beine auseinander zwang und mit seinem übergroßen Glied schmerzhaft in sie eindrang. „Bist noch jungfräulich?“, knurrte er und stieß fester zu, bis sie einen Schmerzlaut nicht mehr unterdrücken konnte. „Klappe!“, schrie er sie an und ohrfeigte sie erneut, bevor er sich in sie ergoss.
Nur kurz verlor sein Körper an Spannung, zu kurz für sie, um sich ihm zu entziehen und zu fliehen, denn sofort griff er wieder nach ihrem Handgelenk. „Na, war das jetzt so schlimm? Vielleicht wird ja sogar ein kleiner Marcel daraus!“ Er lachte dröhnend, aber ihr kam es vor, dass das Brüllen eines Drachen dagegen wahrscheinlich melodisch geklungen hätte.
Verzweifelt schloss sie die Augen und fragte sich, was noch alles passieren sollte. So sah sie auch nicht das orangegoldene Licht, welches Marc ankündigte.
Wütend brüllte Marcel auf, packte Cynthia und riss sie vor sich, benutzte sie als Schutzschild, überzeugt, dass Marc ihr niemals etwas antun würde.

 
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Marc fing an zu rennen, als er Cynthia erkannte, die nackt und mit Kratzern übersät in Marcels Armen hing. Haarsträhnen hingen ihr über das Gesicht und Marc konnte nicht erkennen, ob sie bei Bewusstsein war. Sein Blick glitt an ihr hinab und er stockte im Lauf, als er sah, wie ein rotes Rinnsal ihr die Beine hinab lief. Sofort wurde ihm klar, was passiert war. „Was hast du mit ihr gemacht, du Monster!“, schrie Marc wutentbrannt und ging mit schnellen Schritten auf die beiden zu.
Ein süffisantes Grinsen überzog Marcels Gesicht, als er Marcs zorngerötetes Gesicht sah. Er hob die Hand und Marc prallte wie gegen eine unsichtbare Wand. Er strauchelte, fiel auf die Knie und unfähig sich zu bewegen, überkam ihn eine Vision:

Er stand in einem großen herrschaftlichen Haus und erkannte Cynthia, die auf einem Stuhl am Fenster saß und vor sich hinsummte. Als Marc näher trat, sah er, dass sie ein Bündel im Arm hielt, welches sie sanft hin und her wog. Langsam schob sich Marc ein wenig heran und erblickte einen kleinen Jungen mit rotgoldenem Haar, der selig in Cynthias Armen schlummerte. Der Kleine träumte wohl, denn er ließ ab und zu seine Krallen ausfahren.
Marc taumelte, denn er wusste: Das war unverkennbar Marcels Sohn.
Cynthia hob den Kopf, drehte sich um und blickte Marc voller Erstaunen an, bis sich ihr Gesicht in eine Maske verwandelte. Sie stand auf, den Kleinen an sich gepresst und ein strahlendes Lächeln glitt über ihr Gesicht. Erfreut trat Marc auf sie zu, froh darüber, das sie ihn wohl erkannt hatte, als Cynthia schnellen Schrittes durch ihn hindurch glitt, Marcel mit einem Kuss begrüßte, der sie an den Arm nahm und mit ihr lachend verschwand.

Der Raum verblasste und Marc wurde von einer zweiten Vision erfasst:
Wieder befand er sich in dem großen Haus, nur das die Umgebung düsterer war, als zuvor. Es stank nach verkohltem Holz und der Raum war rußbedeckt. Cynthia saß in einem Stuhl und nochmals machte Marc die schreckliche Entdeckung, dass das Kind von Marcel war.
"Geh", sagt sie leise drohend und drückte das Kind schützend an sich.
"Ich liebe Dich, Cyn...bitte, wir können ihn doch zusammen groß ziehen. Keiner muss erfahren, dass Marcel der Vater war. Ich könnte doch der Vater sein" flüsterte Marc.
"Wovon träumst Du? Ich habe Dich auch geliebt. Aber auch wenn Du die Welten vor Marcels Torheiten gerettet hast, so kann ich es Dir niemals verzeihen, dass du den Vater meines Kindes getötet hast!" schleuderte sie ihm entgegen und ihre Augen starren ihn eiskalt an.

Nur Sekunden mussten vergangen sein, als die Visionen Marc übermannten, denn Marcel und Cynthia hatten sich nicht gerührt. Erschüttert dachte Marc daran, dass er Cynthia verloren hatte, wenn er wirklich in die Zukunft gesehen hatte. So oder so.
Das orange Licht was Marc umhüllte wurde heller und heller bis alles um ihn herum gelb-weiß leuchtete. Marcs Wut und Verzweiflung trieben ihn zum Äußersten. Er sammelte all seine bekannten und ihm noch unbekannten Kräfte. Er war bereit.

Marcel blinzelte angesichts des grellen Lichtes und war erstaunt, dass Marc keine Miene verzog, als er aus den Visionen erwacht war, die auch Marcel gesehen hatte. Marcel war sich sicher, Marc vernichten zu können. Er hatte es gesehen. Er konnte ein siegesgewisses Lächeln nicht vermeiden. Mit einem tierähnlichen Laut verpasste er Cynthia einen Schlag auf den Kopf und schleuderte sie beiseite. Wie eine Gliederpuppe flog Cynthia durch die Luft und schlug ein paar Meter hart auf dem Boden auf, wo sie bewegungslos liegen blieb.
Alle dunklen Mächte und Begabungen brodelten in Marcel und drängten darauf, hervorzubrechen.

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Es schien, als würden selbst die Pflanzen die Luft anhalten um abzuwarten, welches Schicksal auf sie zukäme. In allen Welten verdunkelten sich die Himmel und die Wolken glühten in rot - orange ballten sich zu Türmen auf und sahen so aus, als wollten sie sich bekämpfen…schwarze Schleier durchzogen die Wolken und Angst schnürten den Bewohnern der Welten, die Kehlen zu.
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Von den herbeigerufenen Visionen erschöpft, ließ sich Theoldin schwer atmend in seinen Sessel fallen. Schweiß lief ihm das Gesicht hinab und er hoffte inbrünstig, dass die Visionen Marcel erreicht hatten, um ihm das Gefühl zu geben, schon gewonnen zu haben, ohne daran zu denken, dass Marc diese auch gesehen haben könnte.
Theoldin wußte, dass seine letzten Stunden angebrochen waren und er erinnerte sich an einen wohlbehüteten Gegenstand, den er Marc unbedingt noch übergeben musste, bevor er in Frieden ruhen konnte. So sammelte Theoldin seine restlichen Kräfte und machte sich auf den Weg.

 
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Marc machte sich schlimme Vorwürfe. Während er selbst Zeit mit Überlegungen verschwendet hatte, musste Cynthia leiden. Er unterdrückte einen ersten Impuls, der Bewusstlosen zu Hilfe zu eilen, verharrte auf der Stelle und belauerte zunächst jede Regung Marcels, dem ein rattenähnliches Geschöpf über den linken Fuß sprang. Fluchend trat er danach. Sein zufriedener Gesichtsausdruck bestätigte Marcs Befürchtung. Er hatte den Schwanz des Tieres erwischt, bückte sich und spießte den kleinen Körper mit einer seiner Krallen am Genick auf, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen.

Unbemerkt von Marcel, dessen Aufmerksamkeit auf den flinken Nager gerichtet war, tauchte Theoldin am Ort des Geschehens auf. Mit gütigem Lächeln zog er etwas unter seiner Kutte hervor, trat näher zu Marc und überreichte ihm einen runden, glänzenden Gegenstand.
„Was ist das?“, fragte Marc und betrachtete das Objekt von allen Seiten.
„Das, mein Junge, ist ein magischer Schild.“ Der Greis deutete auf die Wölbung, klopfte mit dem Knöchel des rechten Zeigefingers dagegen. Ein metallischer Ton erklang. „Was immer dich angreifen mag, kann diese Oberfläche nicht durchdringen.“
„Ganz bestimmt nicht?“ Stirnrunzeln.
„Nein, ganz bestimmt nicht. Der Schild ist uralt und mit einem Schutzzauber belegt. Ich schenke ihn dir.“ Seine Stimme klang fest und zuversichtlich.
„Hmh, Danke!“ Marc begutachtete skeptisch die Rückseite, die ein breites Band zierte. „Wozu ist das?“
„Das ist zum Festhalten. Aus Drachenleder.“ Versonnen strich Marc mit den Fingerspitzen über die uralte, gegerbte Haut. Drachenleder! Längst vergessene Geschichten aus seiner Kindheit kamen ihm in den Sinn.

"Seht her!" Marcels Ruf holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Die "Ratte" zappelte, quiekte in Todesangst und verlor Kot. Mit einem einzigen Ruck riss Marcel ihr den Kopf ab und schleuderte ihn nach Marc, der sich angeekelt abwandte.
Theoldin ging, ohne Marcel aus den Augen zu lassen zu Cynthia, wickelte sie in seinen Umhang und lud sie ächzend auf seine Arme. Bevor er jedoch mit ihr entschwinden konnte, war Marcel bei ihm und hielt ihn in eisernem Griff fest.
Reine Mordlust glitzerte in dessen Augen. All das Böse, das in ihm eine Personifizierung gefunden hatte, drängte aus ihm heraus, veränderte ihn nun vollends zu einer grauenhaften Bestie. Sein Anblick war furchterregend. Die Fangzähne in den gewaltigen Kiefern erinnerten an Beschreibungen des legendären Säbelzahntigers, struppiges Fell bedeckte seinen Körper vollständig und die überlangen Krallen der furchterregenden Pranken zerteilten mühelos einen Baumstamm in seiner Reichweite. Marc hingegen zögerte noch, den ihm fremden Wesenszügen nachzugeben. `Bewahrer der Ordnung´ hatte man ihn genannt. Zweifel nagten an ihm, ob er der Aufgabe gewachsen sein würde. Vor wenigen Tagen noch war er ein behüteter Junge, nun auserwählt, das Böse in seine Schranken zu weisen. Was, wenn er versagte? Auf seinen Schultern lastete immerhin die Verantwortung für die Zukunft dreier Welten. Während der Meditation war ihm klar geworden, dass er seine Fähigkeiten und Kräfte gezielt einsetzen musste, doch die durchstandene Angst, Trauer und die Verzweiflung über die Schändung Cynthias hatten sich in Wut und Kampfeswillen umgekehrt.
„Na los, worauf wartest Du?“ fragte Marcel mit provozierendem Grinsen. „Auf die Geburt meines Sohnes?“ Er lachte dröhnend und durchtrennte mit einer kurzen, schnellen Bewegung Theoldins Halsschlagader. Wie eine Fontäne schoss Blut aus der Wunde. Nun gab es für Marc kein Halten mehr. Brüllend stürmte er, den Schild vor die Brust haltend los, wollte den eigenen Schwung nutzen, um den Widersacher aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ein kurzer Körperkontakt genügte jedoch für einen spontanen Wechsel in die jenseitige Welt.

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Die beiden Kontrahenten fanden sich wenige Meter voneinander entfernt auf abgestorbenem Gras wieder, inmitten einer Lichtung zwischen hoch aufragenden, kalkähnlichen Felsen, verrottenden Baumleichen; einem trostlosen Ort. In der Ferne waren die Konturen des Kristallpalastes zu erahnen. Bedrohlich wirkende Flugwesen kreisten über dieser `Arena´, stießen hin und wieder schrille Schreie aus, die von dem Gestein widerhallten. Verkrüppelte ´lebende` Büsche peitschten mit ihren dürren Zweigen ziellos umher, Kleinstgetier suchte panisch nach Schlupflöchern und ein schwefelgelb gefärbter Himmel verhieß ebenfalls nichts Gutes. Eine ungeheure, elektrisierende Spannung lag in der zum Schneiden dicken Luft.

 
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Circa zehn Meter hinter Marcel lagen, wie hingeworfen, zwei Bündel auf dem kargen Boden. Der Bekleidung nach zu urteilen, handelte es sich um Cynthia und Theoldin, die als Anhang mitgerissen worden waren. Marc hatte keine Zeit, sich Gedanken über die beiden zu machen, denn sein Rivale hatte sich bereits aufgerappelt und rannte ihm mit blutunterlaufenen Augen knurrend entgegen. Seine gesamte Erscheinung signalisierte äußerste Aggression und Brutalität. Marcel riss seine rechte Pranke hoch. Er wollte Marcs Kopf mit einem gewaltigen Hieb zerschmettern, doch dieser reagierte aus reinem Reflex und stemmte den Schild gerade noch rechtzeitig über den gefährdeten Bereich. Das schrille Geräusch, das die Krallen erzeugten, als sie über die Oberfläche des mit Magie verstärkten Materials fuhren, hallte in Marcs Ohren eine Weile nach. Die Wucht des Angriffs warf ihn beinahe um und ihm war klar, dass er einer solchen Schlagkraft nicht lange gewachsen sein würde. Schnell entschlossen versuchte er mit einem Aufwärtshaken zu kontern, aber Marcel durchschaute den Plan, wich seitlich aus und ließ ihn ins Leere laufen. Dabei streiften die Spitzen seiner Krallen Marcs Rücken, dessen dichter Pelzbewuchs eine tiefere Fleischwunde verhinderte. Trotzdem würden ihn mehrere Attacken dieser Art über kurz oder lang zermürben, eventuell sogar eine tödliche Verletzung daraus resultieren. Wie zwei Gladiatoren standen sich die beiden nun gegenüber, tauschten mörderische Schläge aus, untermalt von fauchenden, tierischen Lauten.

Eines der Bündel bewegte sich. Zunächst wurde eine zierliche Hand sichtbar, dann eine blonde Mähne. Cynthia lag halb eingerollt auf der linken Seite. Sie stöhnte leise auf und hob benommen den schmerzenden Kopf leicht an, wobei ihr Blick auf das ihr zugewandte Gesicht Theoldins fiel, dessen starre Augen ins Nirgendwo gerichtet waren. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie das Bild bewusst aufgenommen hatte, dann sprang sie schockiert auf. Der Oberkörper des Alten lag in einem dampfenden See von Blut, in dem letzte Rinnsale aus einer klaffenden Wunde am Hals endeten. Angewidert registrierte sie eine beträchtliche Menge davon an sich selbst. Wie war es dorthin gekommen? Ihr Gehirn suchte hektisch nach Zusammenhängen. Er musste in ihrer direkten Nähe getötet worden sein, höchstwahrscheinlich von Marcel. Jetzt erst nahm sie die restliche Szenerie wahr. Sie befand sich zweifelsfrei in der Jenseitigen Welt. Eine kleine Steinlawine löste sich unweit entfernt, brachte die Erinnerung an heraufbeschworene Katastrophen zurück; der Lärm, der von den Kämpfenden ausging, zog ihre Sinne auf sich. Dunkelrot gegen Orangegold. Sie wusste, was das bedeutete. Marc war kein heimtückischer Aggressor, sondern bliebe selbst dann noch fair, wenn ihm dies zum Nachteil gereichte. Im Gegensatz zu ihm war Marcel gnadenlos und würde jede sich bietende Chance nutzen, seinen Konkurrenten um die Macht zu vernichten. Während sie innerlich aufgewühlt dastand, prasselte eine ganze Serie von Hieben auf Marcs Schild und Körper nieder. Offensichtlich konnte er sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten. Selbst auf die Distanz war erkennbar, dass er aus zahlreichen Wunden blutete. Wenn ihm niemand half, würde er diesen Tag nicht überleben. Sie überwand ihre Abscheu, bückte sich zu Theoldins Leichnam, um nach einem bestimmten Gegenstand zu suchen und wurde tatsächlich fündig. Zufrieden nahm sie die silberne Sichel an sich. Mit zitternden Händen zog sie den verrutschten Umhang sorgfältig über ihren teils entblößten Körper und atmete tief durch. Vielleicht gab es doch noch eine Möglichkeit ...
Schritt für Schritt, mit klopfendem Herzen, bewegte sie sich in Richtung der Kämpfer.

Marcs Körper war übersät von Wunden. Zusätzlich zu den teils blutenden, teils nässenden Geweberissen machten ihm massive Blutergüsse zu schaffen. Jede Bewegung war eine einzige Tortur und hätte ihm der Schild nicht so wertvolle Dienste geleistet, wäre die Partie über den Schultern schon längst zu Brei geschlagen worden. Seine Gaben konnte er nicht nutzen. Marcels ständige Angriffe ließen ihm keine Gelegenheit, sie einzusetzen. Keine Sekunde verging ohne mächtige Hiebe, die seinen Widerstand erschüttern ließen und ihn näher an einen endgültigen Zusammenbruch führten. Und da: Ein Moment an Unaufmerksamkeit reichte aus und skalpellscharfe Krallen glitten durch die Muskeln seiner rechten Wade, kappten Fasern und Sehnen. Marc fiel keuchend auf die Knie, während Marcel kaum Spuren von Erschöpfung zeigte. Siegessicher stand er über ihm, wollte den finalen Todesstoß ansetzen.

„Hey, Marcel!“ Cynthias Ruf zog dessen Aufmerksamkeit auf sich. Verblüfft ließ er von seinem Opfer ab und wandte sich ihr zu. Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie den liebevollen Gesichtsausdruck Marcs, der sich aufrichten und zu ihr hinschleppen wollte, gewahrte. „Nein, bleib wo du bist! Du interessierst mich nicht!“ Cynthia konnte ihm nicht in die Augen schauen. „Ich will Marcel! Jetzt sofort!“ Für einen kurzen Moment war Marc irritiert. Die Visionen hatten tatsächlich eine mögliche Abwendung Cyns von ihm zugelassen. Andererseits spürte er die andauernde Verbundenheit mit ihr und ihren Widerwillen gegen Marcel. Was, zum Teufel, hatte sie vor? Völlig entkräftet kippte er bäuchlings ins Gras.

Cynthia registrierte die Unentschlossenheit Marcels. Noch zögerte er, wollte seinem Blutrausch nachgeben, dem verhassten Nebenbuhler den Kopf vom Hals katapultieren.
"Komm her zu mir!" Krampfhaft lächelnd öffnete sie den Umhang, gab ihre nackte, makellose Figur seinen gierigen Blicken preis. Der Schmerz zwischen ihren Beinen hatte nachgelassen, doch ihre Psyche wehrte sich gegen eine weitere Konfrontation mit diesem Scheusal. Es kostete sie einiges an Überwindung, die aufkommende Übelkeit zu unterdrücken. Die Erinnerung daran, auf welch brutale, erniedrigende Weise er über sie hergefallen war, weckte ihren Fluchtinstinkt. Sie umklammerte den Griff der Sichel, würgte trocken und erwartete still ergeben sein Kommen.

Nur noch ein Schlag und er war der absolute Herrscher über die Welten. Dieser Weichling, der nun vor ihm auf dem Boden kroch, hatte ihm doch tatsächlich Paroli bieten wollen! Lächerlich! Das Gefühl haushoher Überlegenheit schwemmte Endorphine in seinen Organismus, der von den vielen Glückshormonen in zusätzliche Wallung gebracht wurde. Eine Erregung bislang unbekannten Ausmaßes nahm von seinen Lenden Besitz.
Freilich wäre die Tötung dieses Wurms jetzt eine Leichtigkeit und sein Schwanz konnte noch warten, doch hatte die Vorstellung, Marc bei der Besteigung dieser bockigen Stute zusehen zu lassen, etwas besonders prickelndes. Er kickte mit dem rechten Fuß mehrmals gegen den wehrlosen Körper, entlockte ihm damit wimmernde Laute. Zufrieden beugte er sich zu Marc hinab.
"Du wirst dich noch einen Moment gedulden müssen, aber ich möchte die feuchte Schnecke dort drüben nicht warten lassen. Du verstehst?" Zufrieden grinsend richtete er sich wieder auf und schlenderte gelassen davon. Alles in Marc krampfte sich zusammen. Irgendwie musste er den Mistkerl aufhalten.

Die Auswölbung an Marcels Hose war unübersehbar und mit jedem Schritt, den er näher kam, wuchs Cynthias Ekel. Ihr grauste vor seinen Berührungen, seiner Zunge, seinem Geruch. Sie hoffte inständig, dass der Stahl in ihrer Hand seinen Zudringlichkeiten ein schnelles Ende setzen würde. Kleine Schweißperlen auf der Stirn wiesen auf ihre Anspannung hin, ihr Atem ging zu schnell und sie konnte das Flattern ihrer Lider nicht unterdrücken. Marcel kniff die Augen zusammen, er witterte Gefahr. Seinen ausgeprägten Sinnen entging auch nicht das Spiel der Muskeln an Cynthias rechtem Arm, der unter dem Umhang verborgen war. Die letzten Meter zu ihr überwand er in überraschend schnellen Sprüngen, sodass ihr für eine Gegenwehr keine Zeit verblieb. Laut lachend entwand er ihr mühelos die Waffe und warf diese in weitem Bogen davon. Schreiend registrierte Cynthia, wie sie in unerreichbarer Entfernung aufschlug. Jeglicher Zuversicht beraubt, schloss sie die Augen.

Marcs verzweifelte Wut machte sich selbständig. Etwas tief in seinem Innersten drängte vehement nach außen, brach schließlich durch und entlud sich knisternd. Staunend betrachtete er den Feuerball wenige Meter über sich, der Sekundenbruchteile später mit leisem Knall verpuffte. Instinktiv hatte sich seine Gabe Bahn verschafft. Durch dieses Ereignis beflügelt, ließ er erneut Flammen entstehen, die jedoch wirkungslos verlöschten. Das Feuer, seine Waffe wehrte sich gegen ihn. Doch weshalb? Spontan kamen ihm Bilder von seinem brennenden Elternhaus in den Sinn. Natürlich! Seine ureigensten Ängste verhinderten die Handhabe dieser wichtigen Fähigkeit. Theoldins Worte fielen ihm wieder ein. >In dem Moment, wo du die Kraft einsetzen willst, musst du dein Herz verschließen.<
"Oder das nutzen, was sie freisetzen könnte.", murmelte er leise vor sich hin. In der Meditation war ihm ein wichtiger Zusammenhang klar geworden. Er konzentrierte sich, fuhr mit der linken Hand an der Kette entlang und umklammerte den Anhänger, während er mit der rechten nach dem geflochtenen Gürtel tastete. Wieder bildeten sich aus dem Nichts heraus Flammen, die jedoch nun seltsamerweise die Gesichtszüge von Marcs Vater trugen.

Kleine Steinchen zwischen dem Gras scheuerten ihren Rücken wund, während Cynthia versuchte, alle Emotionen auf ein Minimum zu reduzieren. Sie wollte nichts mehr spüren, starrte mit leerem Blick den schwefelgelben Himmel an. Es gab nichts mehr, das ihr Leben lebenswert machte. Nahezu alles, was sie geliebt hatte, war zerstört worden, und wenn Marcel endlich von ihr abließ und seinen Mord vollendete, würde es für sie keinen Frieden mehr geben. Sie ignorierte so gut es ging seine fordernden Hände, die grob zwischen ihre Schenkel und über die samtweiche Haut ihrer Brüste fuhren, dachte statt dessen darüber nach, wie sie später wieder in den Besitz der Sichel gelangen könnte. Am Besten liegen bleiben und bewusstlos stellen. Sobald er sich dann zurück auf den Weg zu Marc machte, würde sie die gebogene Klinge in ihren Besitz bekommen und ihr Leben mit einem raschen Schnitt in das linke Handgelenk beenden.

Heller Schein hinter Marcels Rücken zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen! Eine mannshohe Fackel, die menschliche Umrisse aufwies glitt auf ihren Peiniger zu, streckte eine lodernde Hand nach ihm aus und legte einen wahrhaft heißen Finger auf seinen Pelz, der sofort in Brand geriet. Marcel ließ brüllend von ihr ab und warf sich rücklings auf den Boden. Er erstickte so die Flammen, drehte sich um und wich einer weiteren Berührung des Feuermannes aus. Ein Seitenblick auf Cynthia schien ihm eine teuflische Idee einzugeben, doch bevor er die junge Frau an sich reißen konnte, spaltete sich eine kleinere Fackel ab und schob sich zwischen ihn und sie. Cynthia meinte, durch einen Schleier aus Tränen hindurch Lynns Gestalt zu erkennen, die ihr kurz zuwinkte. Dann ging es sehr schnell. Die beiden Feuerwesen warfen sich auf den panisch um sich schlagenden Marcel, bis er in Todesangst schreiend verglüht war.

Marc war am Ende seiner Kräfte angelangt, aber glücklich. Sein Gegner existierte nicht mehr und Cynthia lebte. Er schloss die Augen, wehrte sich nicht mehr gegen die Kälte, die in ihm hochstieg und erwartete den Tod. Ein Gesang, der ihn an gregorianische Choräle erinnerte, die sein Vater so gerne gehört hatte, riss ihn aus der Lethargie. Neue Energie durchströmte seinen Körper und als er sich in Cynthias Armen liegend umschaute, erkannte er die Quelle der Töne: die Weisen standen in einem Halbkreis hinter ihm.

 

In zwei Gruppen aufgeteilt schwebten die Weisen rechts und links an Marc vorbei. Irgendetwas Unbestimmbares ließ ihn unruhig werden. Als sie ihn und Cynthia in ihrer Mitte hatten, blieben sie in ihrer Bewegung stehen. Eine Stimme besaß eine gebieterische Kraft, der man sich nicht ohne weiteres entziehen konnte. Einer der Weisen verschränkte die Arme vor der Brust und starrte Marc an, so wie dieser ihn anstarrte.
„Es ist vollbracht! Nach einem Aufenthalt bei den Heilerinnen wirst du die Zwischenwelt verlassen und deiner Bestimmung folgen.“ Ungläubig schaute Marc den Ältesten an. Nicht wissend was seine Bestimmung sei. Doch um den Weisen die Erklärung zu entlocken, würde es ihn an Kraft fehlen.
Erschöpft schloss er seine Augen und wechselte in Cynthias Armen liegend, in die Zwischenwelt. Dort angekommen vollbrachten die Heilerinnen ihr Werk an Marc, dass dieser gesundet und frisch gestärkt den Weisungen des Alten folgen konnte. Cynthia musste sich noch der Implantierung des Pleijarid unterziehen, dann wollte sie Marc folgen.
Wie von Geisterhand angezogen stand er am Eingang des Kristallpalastes und blickte in das nur dämmrig erhellte Innere, durch das er in den rückwärtigen Raum, wo sich das Schicksal entscheiden sollte treten musste.
Jeder Schritt der ihn dem Metallring näher brachte, erforderte mehr Anstrengung von ihm. Vor dem Sockel, auf dem der Ring mit den Kristallen auf die Umkehrung der Katastrophen wartete, hielt er an. Zitternd machte er den letzten Schritt auf die Stufe, trat vor den Ring, nahm diesen nach kurzem Zögern in seine schwitzenden Hände, schloss seine Augen und versuchte sich durch Konzentration die richtige Position der Kristalle ins Gedächtnis zu rufen. Vor seinem inneren Auge blieb es dunkel. Ratlos ließ er nach einem neuen gescheiterten Versuch, die Hände erschöpft nach unten sinken. „Was ist los?! Was mache ich Falsch?!“ Schrie er fassungslos in die Kuppel des Gebäudes. Da er seinen Blick nach oben gerichtet hatte, registrierte er nicht, wie aus einigen Öffnungen des Sockels, auf dem er stand, wie geisterhafte Federn weiße Rauchfäden hoch stiegen.
Als er das Phänomen bemerkte, machte er einen Satz nach hinten, strauchelte und konnte seinen Sturz im letzten Moment geschickt abfangen. Er beobachtete wie sich die feinen, gasförmigen Zungen zu einer durchscheinenden Fratze formten. Daraus formte sich ein zu einem Schrei öffnender Mund der sich zwar bewegte, doch aus dem kein Wort zu kommen schien. In seinen Gedanken erfasste er jedoch die Worte, mit der die Gestalt zu ihm sprach.
In demselben Moment öffnete sich etwas unterhalb des Sockels. Er griff vorsichtig in die aufgeklappte Luke. Seine Fingerspitzen ertasteten eine raue Oberfläche, die sich beim hineingreifen nach hinten weg schob. Marc griff zu und brachte eine Maske zum Vorschein. Das mit größter Sorgfalt geschnitzte Gesicht glich einer Menschen ähnlichen Totenmaske. Diese sollte er sich aufsetzen, erfassten seine Gedanken. Ehrfurchtsvoll streifte er das hölzerne Artefakt über. Mit glühenden Augenhöhlen betrat er den Sockel, griff mit den Händen zu, und jetzt fing der Metallring wieder an sich zu bewegen. Stöhnend hielt Marc ihn fest, aber allmählich ging ihm die Kraft aus, der Adrenalinspiegel seiner Muskeln sank und ließ sie bleiern werden, seine Handflächen waren glitschiger denn je und der Geruch dieser ätherartige Gestank der immer noch aus den Ritzen zu strömen schien, drohte beinahe ihn von seinem Vorhaben abzubringen.
Ein seltsamer Schauer durchflutete seinen Körper. Sofort versetzte ihn seine Gabe, in einen Trance ähnlichen Zustand und er sah durch die Augen des Besitzers. Er schien mit dem fremden Bewusstsein zu verschmelzen und tauchte in die längst vergessene geglaubte Zeit ein.
Vermummte Gestalten waren mit den letzten Handgriffen zur Vollendung des geheimnisvollen Konstruktes beschäftigt, an dem er selbst mitgearbeitet zu haben schien. Vom Stolz des anderen durchflutet, konnte er die letzten Sekunden vor Inbetriebnahme des gigantischen Weltenreglers, kaum abwarten. Seine lang erwartete Stunde war gekommen.
Als Auserwählter durfte er seine Lebensenergie opfern um das Werk zu vollenden. Begleitet von anerkennendem Gemurmel der Umstehenden näherte er sich euphorisch dem Aktivierungsmechanismus. Schlagartig verstummten alle Geräusche, als er seine zitternden Hände an den Ring legte. Ein fast lautloses Klicken erfolgte als seine Zeigefinger die winzigen Kontakte an der Rückseite ertasteten und die Arretierung lösten. Seine Finger umklammerten das Metall. Geräuschvoll nahm er seinen letzten Atemzug, bündelte seine gesamte Willenskraft und schleuderte das was ihn ausmachte, mit einem Feuerball ähnlichen Geschoss durch den Ring. Seine Aura hat ihn verlassen. Das letzte was Marc vernahm bevor die Verbindung zu seinem Okkupanten abriss war ein schrilles Summen.
Das also war der Grund dafür gewesen, dass der erste Anlauf zur „Reparatur“ der Kristalle fehlschlagen musste.
Marc streifte die Maske ab und legte sie wieder in das Versteck. Erneut nahm er seinen Platz auf dem Sockel ein. Vorsichtig suchte er mit den Fingerspitzen den Auslöser des Geschiebes, löste den Riegel und konzentrierte sich ein weiteres Mal.
Und siehe da!
Es tönten tief dröhnende Schläge durch den Palast die an den Wänden zurückhallten, als sich Fragment um Fragment mühelos an seinen richtigen Platz bringen ließ. Marc`s Herz hüpfte vor Freude, der Versuch war geglückt. Lautes Summen deutete daraufhin, dass ein Prozess in Gang gebracht worden war. Erschöpft und neugierig verließ er den Palast. Vor dem Gebäude stehend betrachtete er gespannt minutenlang die Umgebung. Er richtete seinen Blick zum Himmel wo sich das Schwefelgelb auflöste und an mehreren Stellen einen wunderschönen hellblau wich. Einige Meter vor ihm löste sich wie aus dem Nichts eine kleine Bodenwelle, die beim näher kommen einen Einblick in eine andere Welt bot. Der alles verschlingende Lavastrom, der sich gerade über ein kleines Dorf legen wollte, versiegte in seiner Bewegung und erstarrte.
Die nächste Welle bot ihm ein ähnliches Schauspiel. Eine Brücke, die sich wie eine Schlange über den Boden bewegte, verhielt in ihrer Position und ließ den Fußgängern das sichere überschreiten wieder zu.
Es war vollbracht, die alte Ordnung war wieder hergestellt. Mit flammenden Augen musterte er das Gebäude und rief den Namen von Cynthia.

 
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