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Auf Achse

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13.06.2002
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Auf Achse

Irgendwo im Dunkeln, jetzt

Naja, eigentlich war meine Lage gar nicht mal so übel. Ich meine, es hätte mir natürlich auch besser gehen können, aber abgesehen von der Tatsache, daß mein bester Kumpel vermutlich gerade von einem verrückten Tennislehrer geköpft wurde, die Spinne in meinem linken Hosenbein langsam aber sicher gefährliches Terrain erreichte, ich mit der Nase in Hundescheiße lag und in der Dunkelheit nichts sehen konnte, war eigentlich alles in Ordnung. Daß Uschi weg war, war eigentlich nicht wirklich schlimm. Ich meine, das war eh eine Sache zwischen ihr und Kurt. Ein wenig deprimierender war da schon, daß sie die Kohle mitgenommen hatte. Aber abgesehen davon ging es mir echt ziemlich gut.

...

Der Stadtpark, gestern

Es ist nicht so, daß wir nichts besseres zu tun gehabt hätten, aber statt uns darüber Sorgen zu machen, warum wir an einem Wochentag wirklich nichts besseres zu tun hatten, lagen Kurt und ich lieber im Park und ließen uns die Sonne auf die Bäuche brennen.
"... und das, mein bester Freund von allen, ist der Grund, aus dem man niemals mit einem Waschbären pokern sollte", sagte Kurt gerade, als ich diesen Kerl am Rande der Wiese auftauchen sah. Er stand einfach nur da in seinem zur Jahreszeit vollkommen unpassendem schwarzen Anzug und beobachtete die Sonnenbadenden. Als er uns zwei bemerkte, rückte er seine schwarze Sonnenbrille zurecht, zupfte seine Krawatte gerade und kam schnurstracks auf uns zu - ohne die anderen Leuten auch nur eines Blickes zu würdigen. Da waren das knutschende Pärchen auf der Wolldecke, der Rentner, der auf einer Parkbank sitzend Tauben fütterte, die drei Mädchen in ihren knappen Bikinis und der picklige Student, dessen Rottweiler sich gerade direkt neben der Wolldecke des Pärchens erleichterte.
"Kennt ihr zwei diesen Kerl?", fragte der Mann im schwarzen Anzug und zeigte uns ein Foto, auf dem jemand gerade dabei war sich mit Genuß einen Fisch in den Mund zu stecken.
"Nein", sagte Kurt und ich schüttelte den Kopf.
"Dann seid ihr genau die Richtigen für diesen Job. Kommt mal mit zum Parkplatz."
"Warum, mein schwarzgewandeter Freund, sollten wir das tun?" Eins mußte man Kurt lassen: er mochte der faulste Sack auf diesem Planeten sein, aber er besaß eine gewisse Eloquenz.
"Ich könnte entweder in meine rechte Jackentasche greifen, oder in meine linke. Nur in einer von beiden habe ich Geld."
"Ich nehme nicht an", sagte Kurt, "daß sich in der anderen Tasche Diamanten befinden, oder?"
"Richtig geraten. Ich möchte ungerne in der Öffentlichkeit ein Blutbad anrichten, aber trotzdem solltet ihr besser mitkommen." Mit diesen Worten ließ er verstohlen den Griff einer Pistole aus seiner Tasche aufblitzen. Widerwillig erhoben Kurt und ich uns und folgten dem Mann in Schwarz auf den Parkplatz neben der Wiese. Er führt uns direkt auf einen feuerroten Wagen zu, der... nein, eigentlich war das nicht bloß ein Wagen. Dieser 1970er Pontiac Firebird war mehr als das. Das war eine Legende auf vier Rädern.
"Also, ich möchte, daß ihr einen kleinen Job für mich erledigt. Dieser Wagen hier..." Er klopfte mit der flachen Hand zärtlich auf die Motorhaube und wischte ein wenig Taubendreck weg. "... gehört einem Freund von mir. Morgen früh muß er in seiner Garage stehen, sonst haben wir ein Problem."
"Wir?", fragte Kurt.
"Ja, wir. Denn jetzt, wo ihr von meinem Freund wißt, steckt ihr mit drin. Hier ist der Schlüssel. Im Handschuhfach liegen eine Wegbeschreibung und ein paar Käsebrote für Unterwegs. Morgen früh Punkt zehn Uhr." Der Mann verließ den Parkplatz, doch dann drehte er sich noch einmal zu uns um. "Hier ist eure Anzahlung. Mein Freund wird euch morgen noch so einen Umschlag geben. Ach ja... es ist euch sicher klar, daß ihr niemandem gegenüber ein Wort über die Sache verliert, oder? Mein Freund legt großen Wert auf seine Anonymität."

...

Wenn man, aus welchem Grund auch immer, die Gelegenheit bekommt, in solch einem Wagen durch die Stadt zu brausen, gibt es nur eines, um diese Situation angemessen zu würdigen: Deep Purples Speed King. Den Lautstärkeregler auf das Maximum stellen und Ian Gillan und seine Freunde dazu einladen, die Boxen mit purem Schalldruck zu zerschmettern. Dummerweise hatte das Autoradio kein Kassettendeck und die lokalen Radiosender schwammen auf einer Welle des Kommerz. Und so hielten wir zu den ebenfalls - wenn auch aus anderen Gründen - hypnotischen Klängen von irgendeinem Fräuleinwunder der Musik vor Kurts Mietshaus.
"Ich muß meiner Uschi ja wenigstens noch kurz tschüß sagen", meinte er. Uschi war so etwas wie seine Frau. Okay, sie hatten keinen Trauschein und manchmal kam es vor, daß sie sich mehrere Monate lang am Stück nicht sahen, weil einer von ihnen gerade nicht in der gemeinsamen Wohnung wohnte, aber irgendwie waren sie doch ein glückliches Paar. Kurt liebte Uschi, weil sie eine intelligente, warmherzige und wunderschöne Frau war und sie liebte Kurt weil... nun, sie liebte Kurt.

"Hallo, mein Schatz, da bist du ja", sagte sie strahlend und gab Kurt einen zärtlichen Schmatzer auf die Stirn. "Und du hast Walther mitgebracht. Grüß dich." Ich grüßte zurück. Aus der Küche roch es verführerisch nach Hackbraten und da ich wußte, was für eine ausgezeichnete Köchin Kurts Freundin war, grummelte mein Magen irgendwas von setz dich einfach mit an den Tisch und hau rein - vielleicht merken sie es gar nicht.
"Willst du nicht mitessen, Walther? Dann schäl ich noch schnell ein paar Kartoffeln. Ist kein Problem. Erinnert mich nur daran, ein wenig mehr Salz ins Wasser zu tun."
"Das ist wahnsinnig nett und zuvorkommend von dir, oh du Perle meines Ozeans", sagte Kurt. "Aber eigentlich müssen wir gleich wieder weg und dem Ruf der Landstraße folgen."
"Hat euch schon wieder irgendein Anhalter Geld gegeben, damit ihr ihn kurz in die Nachbarstadt fahrt?", fragte Uschi und rieb ein wenig Bratensaft von ihren Händen in die Schürze.
"Kommst du jetzt schon wieder mit diesem doch eigentlich längst vergessenen Intermezzo mit dem Bankräuber? Wie hätten der Walther und ich das denn erkennen sollen?"
"Er hatte eine Strumpfmaske über dem Kopf."
"Es war immerhin Winter, meine Teuerste", sagte Kurt ein wenig hilflos und erntete ein mildes Lächeln. Eins der Sorte, die Frauen einem Mann immer schenken, wenn sie sich ihm hoffnungslos überlegen fühlen, diesem Häufchen Elend aber trotzdem oder gerade deshalb nicht böse sein können.
"Wenn es nach dir ginge, wäre das die Ausrede für alles, Kurt... Was ist jetzt, wollt ihr was essen?"

...

Wenig später saßen wir zu dritt um den schönen Wohnzimmertisch herum und ließen es uns schmecken. Uschis Hackbraten war wirklich der beste auf der ganzen Welt, würde ich sagen. Irgendwann, so beschloß ich, würde ich sie mal nach dem Rezept fragen müssen.
Eigentlich war sie gar keine Köchin. Und eine Hausfrau schon gar nicht. Schon im zarten Alter von neun Jahren hatte sie ihre ersten Differentialgleichungen aufgestellt und nur wenige Jahre später auch gelöst. Ihre Eltern hatten die übermäßige Intelligenz ihrer Tochter bemerkt, als diese die Steuerklärung ihres Vaters innerhalb von nur zwei Stunden machte und dabei ein neues Steuerschlupfloch erfand, um ganz legal ein wenig Geld abzuzwacken. Damals war Uschi sieben. Es folgte eine kurze Schulaufbahn, an deren Ende schließlich ein erfolgreiches Studium gestanden hatte. Tatsächlich besaß Uschi jetzt nicht nur einen Doktortitel in Astrophysik und einen zweiten in Agrarwissenschaften, sondern hatte zudem ein paar interessante Computerprogramme geschrieben, die sich im Wesentlichen mit der Analyse von Musik und diesen kleinen Schrauben befaßten, die bei Ikea-Möbeln immer übrig bleiben.
Im Moment arbeitete sie in Heimarbeit an einer Dissertation über die Wahrscheinlichkeit intelligenten Lebens im All und hatte berechtigte Beweise gesammelt, daß es im Sternennebel Orion 4 - das ist gleich links hinter dem großen Bären - mindestens einen bewohnten Planeten geben müßte. Dessen Bewohner waren ihren Berechnungen zufolge nicht nur menschenähnlich, sondern hielten zudem auch domestizierte Schafe.

"Reichst du mir mal das Salz, mein bester Freund von allen?" Ich reichte Kurt das Salz.
"Wenn ihr gleich wieder wegfahrt, nehmt ihr mich dann mit?", fragte Uschi.
"Aber mein Honigtäubchen... das ist eine sehr gefahrenvolle und strapaziöse Fahrt, die wir da vor uns haben und..."
"Nenn mich nicht Honigtäubchen! Du weißt, daß du damit den Sexismus unterstützt. Und warum kann ich nicht mitkommen? Hältst du mich etwa für nicht belastbar?"
"Nein, mein Augenstern, natürlich nicht. Aber ich möchte halt nicht, daß dir etwas zustößt, verstehst du?" Ich konnte sehen, wie sich erste Schweißtropfen auf Kurts Stirn bildeten.
"Wenn die Sache so gefährlich ist, dann sollte ich dich am Besten gar nicht fahren lassen. Ich würde vor Sorge um dich umkommen."
"Aber... es ist... ich meine, nicht direkt gefährlich... eher... Walther, sag doch auch mal was!" Ich zuckte hilflos mit den Schultern.
"Ach, ich verstehe. Es ist also eine reine Männersache. Eine von denen, bei denen eine Frau nichts zu suchen hat, richtig?"
"Äh... ja, richtig..."
"Na gut, dann fahrt halt. Aber nehmt keine Anhalter mit. Und noch einen Rat gebe ich euch mit auf den Weg: Wenn ihr einen Pinguin seht, dann wechselt auf jeden Fall die Straßenseite."
Obwohl Kurt und ich keine Ahnung hatten, was sie damit meinte, fragten wir lieber nicht nach, sondern verdrückten uns lieber schleunigst, bevor sie ihre Meinung wieder ändern konnte. Hätten wir gestern Mittag geahnt, daß sie uns in ihrer klapprigen Ente - sie hatte diesen Wagen seid ihrer Studentenzeit - folgen würde, wären wir sicher niemals aufgebrochen.

"Brechen wir auf?", fragte Kurt, nachdem er hinter dem Steuer des Firebird Platz genommen hatte. Ich nickte verschwörerisch.
"Also gut, brechen wir auf." Er trat aufs Gaspedal, der Motor brüllte laut auf und wir machten uns auf den Weg. Wir bemerkten weder das Klopfen aus unserem Kofferraum, noch den Wagen, der uns folgte. Auch die Tatsache, daß auf einmal sämtliche Stopschilder und Ampeln am Straßenrand abgebaut zu sein schienen, fiel uns nicht weiter auf. Irgendein Radiosender hatte sich nämlich endlich erbarmt und spielte Speed King.

 
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Jetzt. Noch immer im dunklen Raum. (Leider.)

Huch... Huch... Huuuuch!
Ich will nur kurz rekapitulieren.
Meine Nase steckt mitten in der widerlichsten Hundescheiße, seit es Hunde gibt, die auf Gottes grüne Wiesen kacken. Nur das mein Gesicht samt Exkrement nicht von zarten Grashalmen gekitzelt wird, sondern auf hartem Beton liegt.
Huhuhuch!
Und ich frage mich langsam, ob man eine Allergie entwickeln kann, gegen diese Art von animalischer Ausscheidung, weil meine Nase bedrohlich zu jucken beginnt. Nur leider kann ich mich aus dieser misslingen Lage nicht befreien, da ich mit mehreren festen und rauen Seilen an einen umgekippten Stuhl festgebunden bin.
Und das alles nur wegen dieser blöden Uschi! Und wenn Jesus nicht... ach, das führt doch jetzt alles zu nichts.
Huuuuuuuch!
Was soll das denn werden, liebes Spinnchen?
Nein, nein, nicht da hin, nein, geh weg da. Das kann doch wohl nicht sein? Weg, gehst du da bitte weg, nein, nicht diese Richtung, weg, weeg! Verstehst du kein Deutsch? Weg da, nein, weg! Sofort.
Okay! Jetzt hast du mich aber soweit. Jetzt ist Schluss mit lustig. Wenn ich nicht gefesselt und geknebelt wäre, dann könntest du dich jetzt auf etwas gefasst machen. Dann wäre Schluss mit lustig, dann wäre es aus mit dir, dann könntest du im Spinnenhimmel mit deinen ganzen verblichenen Kameraden Netzte spinnen. Dann wurdest du den Zorn der Menschen, ach was, der ganzen Menschheit zu spüren bekommen. Dann wärst du platter als ein Blatt Papier, toter als tot, Geschichte... Ich habe schon andere wie dich bezwungen, die viel größer waren, viel gefährlicher, viel giftiger als du!
Ha! Das hat sie eingeschüchtert!
Ich bin ein Held! Ich bin ein Held! Ich bin ein Held!
Oh, Licht, das durch die Tür fällt. Ich drehe langsam meinen Kopf aus der Hundescheiße.
Da kommt eine Gestalt auf mich zu, ich kann sie noch nicht richtig erkennen, weil es so grell ist.
Aber, Moment, der Umriss, diese Art zu gehen. Das ist doch... das ist doch...
Das ist doch unmöglich!

Gestern, als die Dinge noch senkrecht standen.

»Haben wir was zu essen, mein bester Freund auf der ganzen Welt?« fragte mich Kurt.
»Käsebrote«, erwiderte ich in meiner Funktion als sein bester Freund auf der ganzen Welt.
»Igitt.«
»Sehen eigentlich ganz lecker aus.«
»Ich bin gegen Käse. Momentan halte ich Diät.«
»Diät? Du?«
»Ja. Uh, ein McDonalds...«
Kurt riss das Lenkrad herum und der Firebird machte ein paar Geräusche, als ob ihm das gar nicht so gefallen würde. Wir fuhren auf den geräumigen Parkplatz und stellten den Wagen ab. Ich warf den Käsebroten noch einen sehnsüchtigen Blick zu, bevor ich die Wagentür schloss.
Vor dem Eingang zu dem McDonalds stand ein Mann mit langen braunen Haaren und einem fettigen Bart. Als er uns sah, deutete er mit seiner knochigen Hand auf mich und schrie: »Du bist verflucht! Verdammt! Verloren! Gottes Gericht wird über dich kommen, du Sünder, du wirst die göttliche Wahrheit erfahren, dein sündiger Leib wird den Flammen überantwortet werden, auf das du brennen magst, brennen, auf ewig! Und die Ewigkeit ist eine lange Zeit, zu lange, wenn du mich fragst.«
»Wer bist du denn?« fragte Kurt den Irren.
»Ich bin der Prophet des Untergangs, der Überbringer der Unheilsnachricht, ich bin euer Leiter, euer Früher auf dem Weg der Tugend, ein Weg der mit Vernichtung und Hass gepflastert ist. Ich bin Jesus«, sagte der Mann.
»Na dann«, meinte Kurt und ging nach innen. Er bestellte sich ein paar Burger und ich nahm eine Tüte Pommes. Dann setzten wir uns an ein Tischchen und beobachteten »Jesus«, der draußen stand und gerade auf eine junge Frau deutete und behauptete, ihr Säugling wäre der Antichrist.
»Komischer Typ das«, sagte ich zu Kurt.
»Lange Haare, Bart und Flip-Flops mit dem Aufdruck des Letzten Abendmahls machen noch keinen Propheten«, erwiderte Kurt scharfsinnig.
Wir aßen gemütlich zu Ende und verließen schließlich das Restaurant, wo Jesus noch immer am Eingang stand und inzwischen eine Zigarette rauchte.
»Alles klar?« fragte Kurt.
Jesus nickte. »Wie heißt ihr zwei Vögel eigentlich?« fragte Jesus.
»Ich bin Kurt«, sagte Kurt. »Und das ist mein bester Freund auf der ganzen Welt.«
»Ist das euer Schlitten?« Er deutete auf den Firebird.
Kurt grinste.
»Könnt ihr mich mitnehmen?«

»Du weißt doch, was Uschi über das Mitnehmen von Anhaltern gesagt hat?« fragte ich Kurt. »Deine Uschi, wenn ich dich erinnern darf.«
»Hey, Big Wee, jetzt will ich dir mal etwas erklären. Ich kenne mein honigsüßes Zuckerschnäuzchen. Und mein Röschen kennt mich. Wenn meine Venus mir etwas rät, dann weiß sie, dass ich das Gegenteil davon mache. Das ist umgekehrte Psychologie, mein kleines Feldhäschen ist gerissen.«
»Ich glaube nicht, dass...«
»Bin ich der große Frauenversteher oder du?«
»Wie bitte?«
»Hast du eine Freundin?«
»Nein, aber…«
»Habe ich eine Freundin?«
»Ja, aber…«
»Also, wer ist der große Frauenversteher?«
»Ich werde jetzt nicht ‚Du’ sagen, wenn es das ist, was du willst...«
»Wie, hast du gerade ‚Du’ gesagt?«
»Sorry, Jungs«, sagte Jesus vom Rücksitz aus. »Darf ich in dieser Karre rauchen?«

Wir hatten nun die Karte aus dem Handschuhfach geholt und waren noch einmal unsere Route durchgegangen. Keiner von uns kannte die angegebene Adresse (auch Jesus nicht), aber das bereitete uns nicht weiter Kopfzerbrechen.

»Ziemlich schweigsam der Typ«, sagte Jesus, während er sich seine inzwischen fünfte Zigarette ansteckte. »Und der Hund sabbert auf Petrus«, fuhr er fort und zeigte mit seinen rechten Schuh.
Der Indianer hatte bisher tatsächlich noch kein einiges Wort gesagt, seit wir ihn von der letzten Raststätte aufgelesen hatten. Sein Köter hingegen knurrte immer mal wieder und auch die Käsebrote konnten ihn nicht sonderlich beruhigen.
»Hey, Häuptling«, rief Kurt und warf einen Blick in den Rückspiegel.
Der Häuptling musterte ihn mit seinen schwarzen Augen. Er trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Rettet die Regenwälder« und hatte seine Arme vor der Brust verschränkt. In seiner linken Hand hielt er einen Tischtennisschläger. Der Hund war ein Mischling… vielleicht aber auch eine besondere Rasse. Er war so groß wie eine zwergwüchsige Ratte und hatte einen Blick, der mich an Verdammnis und Tod erinnerte.
»Bist du eigentlich ein Sioux – Indianer?« fragte Kurt.
»Das ist doch kein Sioux«, meinte Jesus, der sich scheinbar als Experte in allen Gebieten berufen fühlte.
»Ich meine ja nur«, erwiderte Kurt, nachdem der Häuptling noch immer keine Antwort gab.
Er schnitt eine Grimasse. »Irgend etwas stimmt da nicht«, sagte er dann.
»Was meinst du?« fragte ich.
»Hörst du das nicht?«
»Nein«, erwiderte ich, der ich jetzt angestrengt lauschte.
»Vielleicht haben wir etwas überfahren«, schlug Jesus vor.
»Blödsinn«, sagte Kurt.
»Wuff«, sagte der Hund.
»Ich werde mal anhalten und nachsehen«, sagte Kurt.
Er hielt den Wagen an und stieg aus. Jesus, der Häuptling, der Hund und ich taten es ihm gleich. Kurt ging um das Auto, Pardon, den Firebird (!) mehrmals herum und begutachtete ihn, so als hätte er wirklich Ahnung, was natürlich totaler Blödsinn war. Er drückte an den Reifen herum, fuhr mit Kennerblick über die Lackierung und legte die Stirn in Falten. Der Hund hob inzwischen an einer der Felgen sein Bein und keiner hinderte ihn daran.
»Der Kofferraum«, rief Kurt schließlich und öffnete den Kofferraum.
»Heilige Scheiße«, rief er.
Ich kam zu ihm gerannt.
»Mann, Mann, Mann, ihr seid ja drauf«, meinte Jesus.
»…«, sagte der Häuptling. Keiner verstand ihn. Da packte er den kleinen Hund und hob ihn hoch, damit auch er sehen konnte.
»Wuff«, machte der Hund.
Ich hätte es nicht besser ausdrücken können.

 

Jetzt. So dunkel, wie im Hinterteil einer schwarzen Kuh, die während einer mondlos wolkenverhangenen Nacht auf einer Wiese im Schatten einer Eiche steht und blind ist.

Vielleicht lag es an meinen getrübten Sinnen - wer kann schon klar denken, wenn er an einen Stuhl gefesselt und mit dem Gesicht in einem Hundehaufen auf dem Boden liegt - aber ich war mir ziemlich sicher, daß dort Jimmi Hendrix in der Tür stand. Er winkte mir freundlich zu und stellte meinen Stuhl wieder auf. Somit hatte sich meine Lage zumindest zum Teil gebessert.
Gerade, als ich Jimmi danken wollte, klopfte er mir aufbauend auf die Schulter und verließ mein Gefängnis, wobei er vergnügt Strangers in the Night pfiff. Irgendwie hatte ich meine Zweifel, ob das wirklich Jimmi Hendrix war.
Wenn jetzt noch die Spinne aufhören würde, zwischen meiner Hose und meinem Körper ein Netz zu bauen, wäre eigentlich wieder fast alles in Butter gewesen.
Hätte ich doch bloß Jesus gestern den zweiten Keks nicht gegeben.

...

Gestern. Bevor ich Jesus den zweiten Keks gegeben habe.

"Aaargh... das ist er! Der Antichrist!", schrie Jesus und hätte vor Aufregung beinahe seine Kippe verschluckt.
"Nein, das ist ein Schaf", sagte Kurt.
"Vielleicht ist der Antichrist ja ein Schaf."
"Jetzt wirst du albern."
Das Schaf im Kofferraum glotzte uns eine Weile dämlich an und blökte. Ganz so, als wäre es das Normalste auf der ganzen Welt. Okay, Blöken mag für ein Schaf tatsächlich das Normalste auf der ganzen Welt sein, aber auch die Tatsache, daß es angeleint im Kofferraum des Firebird saß, schien das Tier nicht sonderlich zu beunruhigen.
"Ist hier noch jemand beunruhigt, weil wir ein Schaf im Kofferraum haben?", fragte Jesus aber niemand reagierte. Inzwischen hatte nämlich der Indianer, der sich keine Sekunde von dem Schaf hat irritieren lassen, die Sporttasche geöffnet, die ebenfalls mit im Kofferraum gelegen hatte.
"Ist das nicht...", begann Kurt. Ich nickte und zog das Foto aus meiner Jackentasche. Es zeigte einen Kerl, der gerade sich gerade genüßlich einen Fisch in den Mund steckte. Um genau zu sein, zeigte es nur dessen Kopf, der nun in all seiner ehemaligen Pracht vor uns im Kofferraum lag. Sogar der Fisch im Mund war derselbe. Jesus verschluckte vor Schreck seine Kippe.
"So, Leute, das reicht mir", sagte der Indianer. "Ich meine, bis eben war es ja auch total lustig mit euch und so, aber das ist mir echt ne Nummer zu groß."
"Du kannst sprechen?"
"Ich meine, ein Kopf... echt, Leute, das ist irgendwie voll nicht mein Ding und so."
"Seit wann kannst du sprechen?", fragte Kurt.
"Darum finde ich, ihr solltet mich an der nächsten Tanke einfach rauswerfen... oder nein, laßt mich am Besten gleich hier. Ich finde den Weg nach Hause schon alleine."
"Warum hast du uns das verschwiegen?"
"Also, ich geh dann jetzt einfach mal. Machts gut und so. Vielleicht trifft man sich ja mal wieder oder so. Komm, Sissi, wir gehen." Der Indianer setzte sich den kleinen Hund auf seine Schulter und marschierte ins Dickicht. Wir schauten ihm noch eine Weile hinterher, bevor ich dem Schaf ein wenig Gras pflückte und wir drei uns wieder in den Wagen setzten.

"Also, was machen wir jetzt?", fragte Kurt.
"Hat Uschi nicht irgendwelche Tips für solche Situationen parat gehabt?"
"Nein, mein bester Freund von allen. Es betrübt mich zutiefst, aber mein Honigpuffelchen hat nur Pinguine erwähnt, was mir, nebenbei bemerkt, ein wenig seltsam erscheint. Aber mein Knuffelchen wird sich schon etwas dabei gedacht haben. Außerdem finde ich es irritierend, daß der Indianer uns über seine verbalen Fähigkeiten im Dunkeln gelassen hat."
"Der hat uns einfach tierisch verarscht", sagte Jesus und steckte sich eine Zigarette in den Mund. "Wenn ihr mich fragt, der war bestimmt gar kein echter Indianer."
"Wie oft habe ich dir jetzt schon gesagt, daß du in dem Wagen hier nicht rauchen sollst?", fuhr Kurt unseren Anhalter auf einmal an. "Das waren doch jetzt mindestens fünf Mal oder?"
"Sechs Mal. Aber ich bin immerhin euer Hirte und Führer auf dieser Reise durch die Wirrungen der Wege des Herrn, die, wie wir alle wissen, unergründlich sind. Und gerade weil sie so unergründlich sind, braucht ihr mich. Hast du mal Feuer?"

...

Ein paar Minuten danach vertrieb Jesus sich die Zeit, indem er sich mit dem Tischtennisschläger des Indianers den Rücken kratzte. Die Geräusche, die er dabei von sich gab, erinnerten mich ein wenig an eine Käsereibe, die jemand zum Schaben von Karotten benutzt. Und irgendwie befürchtete ich, mit diesem Vergleich gar nicht so falsch zu liegen. Ich saß auf dem Beifahrersitz und studierte die Karte, während Kurt den Firebird zu den Klängen von den Four non Blondes über die Straßen lenkte. Whats Going On - eine verdammt gute Frage, wie ich fand. Kurt sang lauthals mit, was mich zumindest von den Vorgängen auf der Rückbank ablenkte.
"Hier rechts", sagte ich, als wir die Kreuzung erreicht hatten.
"Wie bitte?"
"Hier rechts."
"Hier?"
"Nein, jetzt sind wir vorbei."
"Soll ich kurz drehen? Ist überhaupt kein Problem, ich wollte schon immer mal einen echten Powerslide auf die Straße legen. So wie Dan Aykroyd in Blues Brothers." Während ich noch überlegte, wie ich Kurt begreiflich machen sollte, daß wir für solch ein Manöver viel zu schnell unterwegs waren, noch dazu auf einer engen Landstraße und mit einem Schaf im Kofferraum, da vollführte er auch schon eine astreine Wende um hundertachzig Grad, wobei sich aufgrund der Fliehkräfte - und der Tatsache, daß wir auf einer engen Landstraße viel zu schnell für solch ein Manöver waren - das Handschuhfach öffnete und seinen Inhalt über meinen Schoß ergoß. Ein Käsebrot, zwei kleine Flaschen Apfelsaft, drei Heftzwecken, ein Stoffleguan und...
"Hey, sind das da etwa Kekse?", fragte Jesus. Ich drückte ihm wortlos einen Keks in die Hand und versuchte dann, mein rasendes Herz wieder zu beruhigen, indem ich ihm gut zuredete und jede Menge Kaffee versprach.
"Was ist denn los, mein bester Freund von allen Freunden, die ich jemals hatte? Ist dir das Herz in die Hose gerutscht? Hat doch geklappt. Also, jetzt rechts?" Er gab Gas und bog rechts ab.
"Nein! Das ist jetzt links!"
"Ach ja, wir sind ja jetzt von der anderen Seite gekommen. Da habe ich gar nicht dran gedacht... soll ich kurz drehen?"

...

Wenig später hielt eine alte klapprige Ente an der Kreuzung. Die Fahrerin stieg aus und versuchte, anhand der Reifenspuren zu deuten, wo der Firebird abgebogen war. Beinahe wäre sie mit dem Fuß in eine Reißzwecke getreten, setzte sich achselzuckend wieder auf den Fahrersitz und bog auf gut Glück links ab.
Noch ein wenig später hielt ein pechschwarzer BMW an der Kreuzung. Der Fahrer stieg aus, rückte seine schwarze Sonnenbrille zurecht, zupfte seine Krawatte gerade und versuchte, anhand der Reifenspuren zu deuten, wo der Firebird abgebogen war. Er trat mit dem Fuß in eine Reißzwecke, setzte sich achselzuckend wieder auf den Fahrersitz und bog auf gut Glück rechts ab.
Und noch ein wenig später hielt ein LKW an der Kreuzung. Der Fahrer sah von seinem Sitz aus auf die Straße hinunter und bemerkte Reifenspuren, die nach links zeigten.
"Gott verdammt!", nuschelte er. "Wer auch immer da zum Haus der Witwe Wegner abgebogen ist, er hat hoffentlich verdammt gute Nerven. Naja, scheiß drauf." Er spuckte durch das geöffnete Fenster auf die Straße und fuhr geradeaus weiter.
Dann war Ruhe.

...

"Was meinst du, du mein bester Freund auf diesem schönen Planeten, haben wir Zeit für eine kurze Rast?" Ich nickte, Kurt fuhr den Wagen an den Straßenrand und verschwand mit zusammengepreßten Beinen hinter einem Busch. Ich nahm die Keksschachtel aus dem Handschuhfach und ging ebenfalls auf die Straße, um mir ein wenig die Beine zu vertreten.
"Hey, kann ich noch nen Keks haben?", fragte Jesus und folgte mir.
"Ja, warum nicht." Ich gab ihm einen Keks. In dem Moment hörte ich auf einmal Motorenlärm. Da kam uns ein Wagen entgegen. Es war ein ehemaliger Leichenwagen, den irgendein Scherzbold violett angemalt hatte.
"Verdammt, der will doch nicht etwa anhalten. Kriegen wir jetzt Probleme?", fragte Jesus.
"Nein, der will sicher nur nach dem Weg fragen oder so."
"Kennst du den Weg denn?"
"Das werde ich wissen, wenn er gefragt hat."
"Sieh nur, er kurbelt das Fenster runter."
"Scheiße!"
"Was denn?"
"Jetzt kriegen wir Probleme", sagte ich, als ich in die Mündung der Schrotflinte starrte, die der Fahrer der Leichenwagens aus dem Fenster hielt.

 
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Andernorts. Links hinter dem Großen Bären.

Natürlich hatte Uschi Recht behalten – nur für alle, die es wirklich interessiert.
»Du blödes Schaf«, sagte Tor, der kleine Schäfer.
»Mäh«, machte das Schaf.
»Noch mal erkläre ich es nicht«, ereiferte sich Tor.
»Mäh!«
»Wart du nur!« Tor hob drohend seine kleine Faust. »Von dir lasse ich mir das nicht gefallen.« Wutentbrannt drehte er sich um und stiefelte davon. Er hatte zum wiederholten Mal versucht, seinem Lieblingsschaf Doris zu erklären, dass das Licht nicht Teilchen oder Welle ist, sondern irgendwie beides.
Doris sah dem Schäfer lange nach, als er die saftig grünen Wiesen von Nebalon hinunterlief und funkelte ihn dabei so böse an, wie es nur ging.
»Du kleines Aas«, murmelte Doris schließlich, aber erst als sie sicher war, dass sie wirklich niemand mehr hören konnte. (Außer ein kleiner nebalesischer Schaffloh, aber der hatte andere Interessen und grub seinen Saugrüssel tief durch Doris’ dicke Haut.)

Jetzt. Wieder da, wo wir am liebsten sind: auf der Erde.

Ich frage mich langsam, wie das enden wird.
Gut, ich habe Jimmi Hendrix und Jesus getroffen. Und zwar innerhalb von 24 Stunden. Aber irgendwie tröstet mich das nicht wirklich.
Plötzlich höre ich ein Bellen von draußen.
Verdammt! Nicht schon wieder.
Die Tür öffnet sich und ich erkenne die düstere Silhouette des Indianers. Sissi kommt hereingewedelt und beginnt sofort, mich ausgiebig anzubellen.
Der Indianer dreht einen Tischtennisschläger zwischen seinen Händen und kommt näher auf mich zu.
»Soso«, sagt er. »Sind wir also wieder wach?«
»Was hast du vor, verdammt?« bringe ich irgendwie heraus.
»Ich will dir jetzt mal was erklären.« Der Indianer lächelt. »Es hat mit Schafen zu tun...«

Gestern, nachdem ich Jesus den zweiten Keks gegeben habe.

»Nimm dies, Ketzer«, rief Jesus und schleuderte den Keks in das offene Fester des Leichenwagens. Er traf dabei den Träger der Schrotflinte mit einer derartigen Wucht und Präzision, dass dieser mit einem Aufschrei zusammenzuckte, die Flinte nach oben riss und blindlings in den Himmel feuerte, worauf ein Vogel tot auf die Motorhaube des Firebirds fiel.
Der Keks war wahrscheinlich auch ziemlich alt und hart gewesen.
»Der schöne Lack«, schrie Kurt.
Doch Jesus hatte sich leider schon wieder in Rage geredet... »Du übles, verkommenes Subjekt«, schrie er lauthals und ging um den violetten Leichenwagen herum zur Fahrerseite, wo der Irre mit der Schrotflinte damit beschäftigt war, selbige nachladen.
»Wenn die Apokalypse diese Welt heimsuchen wird und die Himmelsscharen diese Welt zu ihrem blutigem Schlachtfeld machen, wirst du auf die Seite derjenigen stehen, deren Schicksal es ist, auf ewig in den Flammen der Verdammnis zu brennen. Denn du, mein verlorenes Schaf bist nichts weiter als das verkommene, rotzige, verderbte, sündige Fleisch ...«
»Jetzt aber Essig«, sagte der Mann und stieg aus. Er hielt Jesus die Mündung seiner inzwischen wieder voll funktionstüchtigen Flinte unter das Kinn und funkelte ihn wütend an.
»Immer cool bleiben, Bruder«, nuschelte Jesus verlegen.
»Wo ist das Geld?« fragte mich der Schrotflintenbesitzer.
»Ähm«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
»Wir hätten nur ein Schaf anzubieten«, meinte Kurt.
»Und ein paar ... Kekse«, sagte ich.
»Kekse, so?« fragte der Mann mit der Waffe.
»Ein Käsebrot wäre auch noch«, sagte Kurt. »Aber davon würde ich abraten.«
»Seid ihr total bescheuert?« fragte der Fremde. »Ich will das Geld.«
»Wir haben kein Geld«, erwiderte Kurt. »Nie gehabt.«
»Jetzt verliere ich aber langsam die Geduld...«
Wir hörten, wie ein Auto näher kam. Es war ein schwarzer BMW.
»Verflucht«, schrie der Fremde. Er schubste Jesus bei Seite und hechtete sich in seinen Leichenwagen zurück. Nachdem er den Motor angeschmissen hatte, brachte er die Reifen zum Durchdrehen und katapultierte davon.
»Saugeil«, meinte Jesus und steckte sich eine Zigarette an.
»Der schöne Lack«, sagte Kurt und wischte über die Stelle auf der Motorhaube, auf die der Vogel vorhin geknallt war.
Der BMW kam neben uns zu stehen. Zwei schwarz gekleidete Männer schälten sich aus dem Wagen.
»Und was seid ihr für Vögel?« fragte Jesus.
»BND«, sagte der eine von beiden und hielt mir einen Ausweis unter die Nase.»Ist das ihr Wagen?« Er deutete auf den Firebird.
»Nein«, sagte Kurt.
»Alles klar«, erwiderte der erste Agent, der noch immer den Ausweis in der Hand hielt. »Und Sie haben nicht zufällig etwas Auffälliges gesehen?«
»Auffällig?« fragte Kurt. »Inwiefern auffällig?«
Die beiden Agenten wechselten kurz Blicke.
»Naja«, sagte der erste Agent. »Wenn sie es gesehen hätten, wüssten sie schon, was wir meinen…«
»Dann können wir es unmöglich gesehen haben, denn ich habe keinen blassen Schimmer, wovon sie reden«, sagte Kurt.
»Na dann«, sagte der zweite Agent, der bisher geschwiegen hatte. »Angenehme Reise noch.«
Sie stiegen beide in ihren Wagen zurück und fuhren weiter.
»Ich spürte die Sünde in den beiden Männern«, sagte Jesus und blies mir den Rauch ins Gesicht.
»Und jetzt, mein bester Freund auf der ganzen Welt?« fragte mich Kurt.
Ich starrte ihn an. »Was meinst du damit? Und jetzt? Wir wären beinahe drauf gegangen… Dieser Irre mit der Schrotflinte, hätte mir um ein Haar den Kopf weggeschossen. Was sollte diese Aktion mit diesem verdammten Keks?« fuhr ich Jesus an.
»Hey, Alter…« Jesus hob abwehrend die Hände. »Du hast mir doch den Keks gegeben.«
»Da hat er Recht, Big Wee«, schaltete sich nun Kurt wieder ein.
Ich konnte erst einmal gar nichts sagen.
»Außerdem«, fügte Kurt an, »hätten wir doch links abbiegen müssen.« Er hatte die Karte auf der Motorhaube des Firebird ausgebreitet und fuhr mit seinem Finger die Linien nach. »Weißt du nicht?«, sagte er zu mir. »Süden ist immer unten, Big Wee, unten…«
Ich spielte ein bisschen die beleidigte Leberwurst und wir stiegen in den Wagen, um umzudrehen.
Jesus rauchte schon wieder. Nach einer Weile, denn er ertrug die Stille nicht, beugte er sich zu uns nach vorne und sagte: »Ich glaube nicht an alles, was in der Bibel steht, Jungs, aber eine Frage. Nur aus Interesse, hat nichts mit eurer Persönlichkeit zu tun oder so, das ist mir völlig klar. Aber, ihr seid nicht zufällig schwul, oder?«

Im Wald. Versteckt vor neugierigen Blicken.

Elfen haben ein gewaltiges Problem: sie sehen eigentlich alle sehr weiblich aus.
Daher kommt es, dass ein Rendezvous meist mit der Frage endet: »Äh, du bist doch eine Frau, oder?«
Und mit der Antwort: »Und ich dachte du wärst... verdammt.«
Vielerorts spekuliert man auch, dass eben dies der Grund ist, warum es nur noch so wenige von diesem einst so stolzen Volk gibt.

Flur, Flor und Flar hielten sich an den Händen und tanzten um ein kleines Feuer.
Nach einigen Stunden verloren sie die Lust daran.
Sie ließen sich ins Gras fallen und kicherten.
Als Grobi, der Oberelf kam, kicherten sie noch immer.
»Seid wachsam, Elfen«, rief er ihnen zu. »Seid wachsam, denn es droht Gefahr!«
Flur, Flor und Flar sahen sich erschrocken an. »Gefahr?« fragten sie ihm Chor.
»Ja«, antwortete Grobi, »denn unser Todfeind ist nah und will die Herrschaft über diesen Planeten!«
»Huch«, riefen die drei Elfen im Chor. »Dann werden sie also kommen? Die Schafe ... wollen auch diese Welt?«

 

Vor ziemlich langer Zeit an einem Ort, der sich irgendwo hinter einem ziemlich großen Bären befindet... oder so...

"Nein, Doris, so ist es eben nicht! Wenn das Licht eine Welle wäre, würde dieses Dings hier gar nicht funktionieren." Tor fuchtelte hilflos mit seinen Armen vor einer seltsamen Apparatur herum, mit deren Hilfe man, wenn sie denn nicht zufällig kaputt gewesen wäre, hätte erklären können, warum sie nicht funktionieren würde, wenn Licht eine Welle wäre. Da es aber zur Zeit überhaupt nicht funktionierte, konnte der arme Tor im Moment nichts weiter tun, als seinem Schaf zu versichern, daß das Gerät auch dann nicht funktioniert hätte, wenn es im Moment nicht zufällig kaputt gewesen wäre.
"Aber wir haben doch eben bewiesen, daß Licht sich nicht aus Teilchen zusammensetzt", sagte das Schaf nicht ohne einen gewissen Scharfsinn. "Ich erinnere dich an diesen sehr plausiblen Versuch mit dem Fotopapier."
"Ja, genau darum geht es doch. Licht ist irgendwie so ein Mittelding, verstehst du?"
"Nein, das verstehe ich nicht."
"Ach, weißt du was? Ich gebe auf. Es gibt im ganzen Universum vermutlich nur eine Person, die dir das erklären kann." Tor zeigte seinem Schaf ein Foto.
"Warum streckt der Mann seine Zunge raus?"
"Weil er ein Genie ist. So, jetzt setz dich da rein. In ein paar Jahren komme ich und hol dich wieder ab." Der Schäfer führte Doris hinter seinen Schuppen, wo er seit jeher ein Raumschiff stehen hatte, das perfekt auf die Bedürfnisse eines Schafes ausgelegt war. Sogar mit Stroh war es gepolstert. Er programmierte die Koordinaten der Erde ein, schob das Schaf in das Schiff und drückte den Startknopf. Danach gab es Mittagessen.

...

Vor dreizehn Jahren auf der Erde - viele Jahre und noch mehr Kilometer von Einsteins Garage entfernt.

"Aber was passiert, wenn das Relais einmal ausfallen sollte?"
"Dieses Relais fällt nicht aus."
"Ja, aber wenn doch?"
"Das würde man sofort merken, weil diese Lampe hier dann nicht leuchten würde."
"Aber woher soll man denn wissen, daß die Lampe eigentlich hätte leuchten sollen?"
"Ich denke, die Situationen, in denen die Lampe leuchten sollte, wird man auch erkennen, ohne daß die Lampe dazu extra leuchten muß. Man kann also, sollte man sich in solch einer Situation befinden, sehr schnell feststellen, daß die Lampe eigentlich hätte leuchten sollen und das Relais auswechseln."
"Aber was, wenn die Lampe kaputt geht?"
"Die Lampe geht nie kaputt."

Die Lampe war nicht kaputt. Es hätte den nebulonischen Ingenieur sicher eine Menge Freude bereitet, wenn er gesehen hätte, mit welch technischer Perfektion das Schaltrelais, welches für die Aktivierung der Lampe zuständig war, im exakt richtigen Moment ein Signal aussandte und die Lampe aktivierte. Sofort wurde die kleine Pilotenkanzel des Raumschiffes in ein mattrotes Licht getaucht, was deutlich zeigte, daß mit den Überwachungssystemen alles in bester Ordnung war. Sie verrichteten genau die Arbeit, für die sie geschaffen waren und zeigten dem Piloten des Schiffes ordnungsgemäß, daß es sich in diesem Moment auf ein schwarzes Loch zubewegte.
Selbständig erwachte die KI des Navigationssystems aus ihrem virtuellen Kälteschlaf und überprüfte die Angaben des Warnsystems, stellte fest, daß sich ihren Informationen zufolge an dieser Stelle des Weltalls unmöglich ein schwarzes Loch befinden könne und hielt auch dann noch stur an seinem eingeschriebenen Kurs fest, als das Schiff schon mitten im tiefsten aller denkbaren Schlamassel steckte.

Die Tatsache, daß das Raumschiff mit dem nebulonischen Schaf nicht in der Garage von Albert Einstein landete, war allerdings weniger auf das schwarze Loch zurückzuführen, sondern mehr auf eine ziemlich verzwickte Geschichte, in die unter anderem zwei Aliens vom Kreuzsternnebel, eine äußerst kleine Zeitmaschine in Form einer Billardkugel und ein männliches Schaf namens Holger verwickelt waren.
Auf jeden Fall landete Doris' Schiff mit zwei Aliens, zwei Schafen und einer Zeitmaschine an Bord im Hinterhof einer Scheune irgendwo auf der Erde. Es kostete Doris eine Menge an Überredungskunst, ehe sie der Besitzerin der Schune klarmachen konnte, woher sie stammte und daß irgendwann ihr Schäfer auf die Erde kommen würde, um sie zurückzuholen - vor allem, da die Frau die nebulonische Sprache nicht verstand und Doris ihr das alles per Hufzeichen erklären mußte.
Danach legte Doris sich mit Holger in eine friedliche Ecke des Hofes und beschloß, einfach auf die Ankunft Tors zu warten. Und es hätte eine schöne Zeit werden können, wenn sie denn nur nicht dreizehn Jahre später zufällig Zeugin gewesen wäre, als diesem fischfutternden Kerl der Kopf abgeschlagen wurde.

...

Gestern. Erde. Die Rückbank eines Firebird

"Autsch! Gottver... ich meine... müßt ihr denn jedes Schlagloch mitnehmen?"
"Du mußt dir ja auch nicht ausgerechnet jetzt deine Fußnägel schneiden."
"Naja, wir fahren immerhin zur Witwe Wegner. Da möchte ich einen guten Eindruck machen."
"Witwe Wegner?"
"Ja, die wohnt da vorne."
"Wer ist das?", fragte ich.
"Eine Frau, die ihren Mann verloren hat und offensichtlich da vorne wohnt." Damit war das Thema für Kurt erledigt und er widmete sich wieder seinem Keks. Seit meinem zugegeben ziemlich blöden Fehler mit der Karte hatte er nicht mehr viel gesprochen - es ärgerte ihn einfach, daß wir soviel Zeit verloren hatten. Und Zeit, das wußte ich dank eines ausgesprochen informativen Gespräches mit Uschi, war eine Sache, die nunmal immer nur in eine Richtung läuft. Meistens in die, die man am wenigsten gebrauchen kann.
"Wo?"
"Mann, hat er doch gesagt! Da vorne." Ich konnte im Rückspiegel sehen, wie Jesus seine Zungenspitze zwischen den Lippen hervorlugen ließ - ein Zeichen äußerster Konzentration. Die Rundung am großen Zeh erfordete offenbar seine ganze Aufmerksamkeit.
"Aber da vorne ist nur Einöde... und ein Haus. Mit einer großen Parabolantenne."
"Ja, Witwe Wegner."
"Witwe Wegner ist eine Para..."
"Nun, mein kartenlesungstechnisch minderbemittelter Freund, ich nehme dir nur ungerne die Gelegenheit, diesen vollkommen veralteten und zudem hirnrissigen Witz zu erzählen, aber da vorne steht die Ente von meiner Uschi."
"Verdammt nochmal! Jetzt habe ich mich geschnitten." Verärgert warf Jesus seine Nagelschere aus dem offenen Fenster. Sofort strömten ein paar Ratten aus undefinierbaren Richtungen herbei, demontierten die Schere und trugen die Einzelteile in ein unterirdisches Höhlensystem.
Ich parkte den Wagen direkt neben Uschis Ente und bemerkte, daß irgendjemand mit einer Schrotflinte auf den vorderen rechten Kotflügel geschossen hatte - eine Tätigkeit, die normalerweise zu einem wirtschaftlichen Totalschaden eines Wagens führen würde, in diesem Fall aber durch den reinen Materialwert der Kugeln zu einer Wertsteigerung desselben geführt hatte. Während Kurt bestürzt nach Spuren seiner Freundin, Lebensgefährtin oder einfach Uschi, wie er sie manchmal auch nannte, suchte, sammelte ich am Wegesrand ein paar Gräser, um sie dem Schaf im Kofferraum zu fressen zu geben.
"Bei allen Wundern Gottes!", rief Jesus, nachdem ich den Kofferraumdeckel geöffnet hatte. "Das Vieh hat in deinen Wagen gemacht."
"Es ist nicht mein Wagen", sagte ich. "Er gehört dem Freund eines zwielichtigen Mannes im schwarzen Anzug." Ich warf das Gras in den Kofferraum und das Schaf bedankte sich artig, indem es mir sanft über die Hand leckte.
"Hier, sieh nur, da liegt eine Billardkugel." Tatsächlich lag dort eine schwarze Acht neben dem Tier. Auf der Rückseite war irgendein Datum eingraviert - und komischerweise auch eine Uhrzeit. Vermutlich, so dachte ich in diesem Moment, war die Kugel zu dieser Zeit gefertigt worden.
Jesus sagte irgendetwas von "Oh, man kann die Zahl in die Kugel reindrücken. Und jetzt blinkt sie..."

Schafe sind nicht dumm. Sie wissen jederzeit hundertprozentig genau, was um sie herum geschieht. Doris grinste.

 
Zuletzt bearbeitet:

Im Gebüsch, nahe der einsamen Hütte der Witwe Wegner.
Drei Gestalten hockten hinter einen einsamen Dornbusch und beobachteten den schwarzen Firebird, der soeben vor dem Haus zu stehen gekommen war. Drei Männer stiegen aus dem Wagen.
»Menschen« rief Flur entsetzt.
»Sei gefälligst leise«, zischte Flor.
Die drei kleinen Elfen beobachteten den Wagen weiterhin.
Einer der Männer spielte mit einer schwarzen Kugel in seiner Hand, ein anderer war dabei, den Weg abzusuchen und der dritte öffnete den Kofferraum.
»Huch!« schrien plötzlich alle Elfen zusammen.

Jetzt. Zur Abwechslung.
»Schafe«, doziert der Indianer, »sind etwas ganz besonderes. Was wären wir ohne Schafe, frage ich dich?«
Da meine Hände so fest an den Stuhl gefesselt sind, kann ich nicht einmal mehr mit den Schultern zucken.
»Es ist lange her, 13 Jahre nun ungefähr, als die Schafe von weither kamen, uns zu unterjochen. Uns und alle Lebewesen auf diesem Planeten.«
»Aber Schafe gibt es doch schon viel länger!« rief ich.
»Aber nicht die Schafe, die ich meine«, widersprach der Indianer ungehalten. Sissi kläffte zustimmend. »Ich rede von den nebalesischen Schafen, den Vorboten des Todes, den Unheilsbringern!«
»Bist du zu lange neben Jesus gesessen?«

Gestern. Bei dem Kofferraum. Vor dem Schaf. (»Mäh.«)
»Ich glaube, es beobachtet mich«, sagte Jesus. »Ja, ich spüre seine negative Kraft, seine unheilige Aura, seinen todbringenden Atem.«
»Musst du immer mit allem rumspielen?« fragte ich ihn, die blinkende schwarze Billardkugel in meiner Hand.
»Wo ist nur mein Sahnehäubchen?« erkundigte sich Kurt. Er rannte hektisch hin und her.
»Du bist der Antichrist«, redete Jesus weiter und deutete wütend auf das Schaf. »Du bist der Unheilsbote, der Fährmann auf dem letzten Fluss, der Meister des Obszönen und der Schlangen!«
»Ähm, Jungs, es blinkt schneller«, rief ich. Und die Kugel in meiner Hand machte plötzlich laute Geräusche, einem Wecker nicht unähnlich.
»Mein Üschelchen«, murmelte Kurt. »Wo steckst du? Du holde Maid mit deinem gelockten Haar.«
»Du bringst das Verderben, die Todsünden, den Untergang«, ereiferte sich Jesus, Geifer tropfte von seiner Lippe, in seine Stirn gruben sich Zornesfalten, sein Gesicht begann sich bedenklich zu röten.
»Ähm, Jungs, ich will ja nicht quengelig sein, aber jetzt vibriert sie sogar«, sagte ich und hielt blinkende, piepsende und vibrierende Kugel so weit wie möglich von mir weg.
»Honigtöpfchen!« rief Kurt schließlich, so laut es ging. »Zuckermäuschen! Schaumkrönchen!«
»Mäh«, machte das Schaf.
Die Kugel brachte meine Hand zu einem irrsinnigen Schütteln.
»Das kann doch nicht sein«, meinte Kurt und kam nun endlich zu mir her. »Was bist du nur für eine Memme, mein bester Freund auf der weiten Welt?«
Er packte meinen Arm, der die Kugel gerade fest umklammerte.
»Jetzt werde ich dein Pilatus sein«, schrie Jesus und wollte das Schaf erwürgen. Mit meiner freien Hand griff ich nach ihm und dann explodierte die Welt um uns herum.

Noch immer an derselben Stelle. Jedoch ohne drei Männer und einem Schaf.
Uschi kam gerade aus dem Haus der Witwe Wegner gestürmt, der Indianer folgte ihr und ganz am Ende kam Sissi.
Uschi versuchte sich möglichst schnell ein Bild zu machen.
Ihr Blick fiel auf den Firebird.
»Kurt«, murmelte sie.
Und dann erinnerte sie sich an den Knall, den sie eben gehört hatte.
Oh, mein Gott, schoss es ihr durch den Kopf.
Sie lief zum Firebird und sah den offenen Kofferraum, der etwas Stroh und Schafexkremente enthielt.
Oh, mein Gott, dachte sie erneut. Dieses Mal aber ein ganzes Stück kursiver.
Der Indianer näherte sich auf leisen Sohlen und legte langsam den Arm auf ihre Schulter.

Ein paar Meter entfernt.
Die Elfen waren aufgebracht.
»Das war Doris, das Schaf«, rief Flor.
»Ja, und sie hatten eine Zeitkugel«, meldete sich Flar.
»Und sie haben sie benutzt«, schrie Flur.
»Jungs, wir müssen uns beruhigen«, sagte Flor.
Und die drei Elfen nahmen sich an den Händen.
»Es ist ja eigentlich ganz leicht«, begann Flar endlich. »Uns gibt es ja schon länger. Wir müssen uns eigentlich nur darauf verlassen, dass unsere früheren Ichs die Sache regeln.«
»Ja«, stimmte Flor zu. »Genau.«
»Aber, Jungs«, sagte Flur. »Wie sollen unsere früheren Ausgaben denn wissen, dass das Oberschaf Doris in der Vergangenheit ist?«
»Dafür wird Doris selbst sorgen«, rief Flor begeistert. »Vergiss nicht, Bruder, die Elfen spüren die giftige Präsenz von wolligen Tieren.«
»Ähm, ich bin eine Schwester«, sagte Flur.
»Was? Ich dachte du wärst...«
»Nein. Und ich dachte, du...«
»Nein.«
Flor und Flur sahen Flar an.
Flar schüttelte den Kopf. »Und ich dachte immer, ihr...«

 

1907, November. Schnee. Und kalt.

»Ähm, Herr Obermeister?« Georg war noch nicht sehr lange bei den Propheten der Apokalypse 2004. Aber er wusste ziemlich genau, dass man den Chef besser nicht störte, wenn der gerade in seinem Zimmer war und »für das Heil all unserer Seelen betete«. Aber dieses Mal schien es ihm angemessen. Um ehrlich zu sein, hatte Georg große Angst vor dem Schaf. Das hatte ihn nämlich so durchdringend angestarrt und für einen Moment hatte er sogar geglaubt, dass sich der große Obermeister und Heilsprophet der Apokalypse 2004 vielleicht doch geirrt hatte. Mit der genauen Jahreszahl.
Der Weiseste alles Weisen öffnete die Tür, nur äußerst spärlich bekleidet mit einem Bademantel, auf dem groß der Schriftzug stand: »Schafe sind doof«.
»Was?« keifte er.
Georg stand etwas verdattert vor dem großen Ehrwürdigen und spielte mit seiner Robe herum.»Ähm«, würgte er hervor. Es kostete ihn einige Überwindung. Nicht jeden Tag stand er vor dem großen Schreckensverkünder - und noch seltener war eben dieser halbnackt.
»Habe ich nicht Hundert mal erklärt, dass es äußerst wichtig für unser aller Seelenheil ist, dass ich mindestens einmal täglich Sex habe?«
»Ja, aber… ähm, Herr Unheilsprophet, ähm, da gibt es jemanden, der sie dringend sprechen möchte...«
»Und?«
»Und...«, Georg schluckte, «und... ein Schaf.«
Jesus’ Kinnlade klappte nach unten.

Dieses Mal nicht »Ich«, sondern Doris.

Doris war »not amused«.
Sie blickte zuerst in Kurts etwas debiles Gesicht und dann ins Walthers, das Kurts eigentlich in nichts nachstand. Gut, das irritierte Doris nicht sonderlich, aber direkt vor ihr stand der große Albert Einstein (der eigentlich ziemlich klein war) und war ebenso verwirrt wie die anderen beiden Idioten.
Sie hatten wieder mal eine eher kurze Zeitreise hinter sich, in der sie mal eben ein knappes Jahr einfach so übersprungen hatten. Eigentlich relativ locker, nur schien Einstein mit diesen Begriff wenig anfangen zu können.
Was Doris auch störte: Obwohl sie sich wirklich abmühte, ihre Hufe, ihr Stummelschwänzchen und ihr grimasierendes Maul benutzte, niemand nahm Notiz von ihr oder schien sie zu verstehen.
Und nun waren sie also in irgendwelchen merkwürdigen Räumen gelandet. Und von allen Seiten grinste sie das dämliche Porträt dieses Oberspinners an, von dem Doris glaubte, dass sie ihn das letzte Mal endlich losgeworden wären.
»Jesus«, rief Walther, als Jesus das Zimmer betrat. Er trug nun eine goldbestickte Robe und lächelte etwas verschmitzt.
Er wurde von drei Robenträgern begleitet, die versuchten, zugleich ernst und verwirrt dreinzublicken und gar nichts erreichten, außer Gesichtsmuskelkrämpfe.
»Ja, Leute«, nuschelte Jesus zur Begrüßung.
»Hast dich ja ziemlich gemausert«, meinte Kurt anerkennend und sah sich um. »Das ist also deine Hütte?«
»Naja, Hütte klingt etwas abwertend«, widersprach Jesus. »Palast trifft es eher.«
»Und wie lebt es sich so?«
»Ach«, sagte Jesus, »ich hatte es schon mal schlechter.« Jetzt erst fiel sein Blick auf Doris.
Er erschrak und wich ein paar Meter zurück. Mit zitterndem Finger zeigte er auf das wollige Tier.
»Iiiieek«, schrie er.
»Du erinnerst dich also?«
»Wie heißt das Schaf eigentlich?« fragte Walther.
Kurt zuckte mit den Schultern. »Bertram?« schlug er vor.
»Nein«, schrie Doris. »Ich bin ein Mädchen!«
Alle beugten sich überrascht über das Tier. Und dann lächelten sie. »Es stimmt uns zu«, sagte Einstein ganz begeistert.
»Das ist ja Wahnsinn«, rief Kurt.
»Unglaublich, du hast seinen Namen erraten«, meinte Walther.
»Todesbringer«, zischte Jesus.
»Seid ihr total meschugge?«, rief Doris. »Ich bin ein weibliches Schaf. Wisst ihr überhaupt, was das ist?«
»Putzig«, stellte Albert Einstein fest.
Doris gab es auf.
»Was wollt ihr eigentlich hier?« fragte Jesus endlich.
Kurt zuckte mit den Schultern. »Wir haben immer noch nicht herausgefunden, wie dieses Ding funktioniert.« Er deutete auf die Zeitkugel in Walthers Hand, die prompt zu piepsen anfing.
»Siehst du«, sagte Kurt.
»Weg damit«, rief Walther und warf sie Kurt in die Hände. Die Kugel begann zu vibrieren.
»Ich will sie auch nicht«, sagte Kurt und gab sie Jesus.
»Spinnt ihr?« fragte Jesus und gab sie Einstein. Die Kugel blinkte.
»Ich behalte sie gerne, wenn die Herren gestatten«, meinte Einstein.
»Auf keinen Fall«, sagte Kurt und nahm die Kugel wieder an sich.
»Geschenkt ist geschenkt«, warf Einstein ein und riss Kurt die Kugel aus der Hand, die jetzt wild blinkte, vibrierte und piepste.
»Jetzt schlägt es aber Dreizehn«, rief Walther und packte die Kugel.
Doris schüttelte den Kopf. Nur Zahlen bis Zwölf schreibt man aus, dachte sie bei sich.
»Jetzt will ich sie aber auch wieder haben«, rief Jesus dazwischen und packte die Kugel; es gelang ihm aber nicht, sie Walther aus der Hand zu reißen.
»Her damit«, brüllte Kurt plötzlich, schubste Einstein zur Seite und ergriff ebenfalls die Kugel.
Doris verdrehte die Augen und biss Jesus in den heiligen Hintern.
ZACK!
Und weg waren sie.
Einstein stand etwas verwirrt in dem Zimmer, um ihn herum mehrere Anhänger der Sekte Propheten der Apokalypse 2004.
»Jetzt hätten Sie uns aber nicht die Zunge herauszustrecken brauchen, Herr Einstein«, meinte Georg etwas beleidigt.
»Und Sie hätten es nicht unbedingt fotografieren müssen«, konterte Einstein.

Wieder »Ich«.

ZACK!
»Ach, verdammt«, schrie Jesus. »Was bin ich nur für ein blöder Idiot.«
Wir standen vor einem großen Tisch. Dahinter arbeitet ein großgewachsener, bärtiger Mann mit langen Haaren.
Er sah uns etwas verwundert an.
»Ja?« fragte er dann.
»Können Sie uns sagen, wo wir sind?«
Der Mann sah uns etwas fragend an. »In Jerusalem, meine Herren.« Er warf einen Blick auf Bertram.
»Seid ihr Schäfer?«
»Ähm, nein.«
»Sondern?«
»Zeitreisende.«
»Ach, so.« Es schien ihn nicht weiter zu kümmern.
»Oh je, die Kugel piepst wieder. Jesus?«
»Ja«, sagte Jesues.
»Ja, bitte?«, sagte der Fremde.
»Huch«, riefen wir alle.

ZACK!
ICH: Wo sind wir denn jetzt gelandet.
KURT: Ich finde es passt besser: gestrandet.
JESUS: Was ist den mit meiner Stimme passiert,
dass sie plötzlich solch merkwürdige Reime gebiert.
GOETHE: Wohlan die Herren, seid willkommen,
wenn ich es sagen darf, euer Schaf wirkt etwas benommen.
JESUS: Darf ich fragen: Wer seid denn ihr?
KURT: Bitte, mein Herr, verzeiht seine Neugier…
GOETHE: Es ist gut, ich bin ein Edelmann,
der nebenbei sehr gut dichten kann.
In meinen Zimmern seid ihr mir hoffentlich wohlgesinnte Gäste,
dann seid ihr auch herzlichst eingeladen zu einem privaten Feste.
ICH: Uns schickt der Zufall zu dir
Und diese merkwürdige Kugel hier. (hebt die Zeitkugel in die Luft)
GOETHE: Ah, welch vollkommenes Instrument,
das ihr da euer Eigen nennt.
Ach, ihr braucht euch nicht zu genieren…
Setzt euch zu mir an den Tisch.
Das gute Bier hier ist übrigens frisch,
und lasst uns ein wenig über dies und jenes disputieren.
Alle setzen sich, DORIS bleibt stehen.
KURT: Um mich kurz zu fassen,
wir kommen aus einer zukünftigen Zeit,
Jesus konnte die Finger von der Kugel nicht lassen,
und deshalb sind wir - sozusagen - hier eingeschneit.
ICH: Und nun fängt dieses Ding schon wieder an zu rütteln,
meine Hand beginnt ganz übel jetzt zu schütteln,
wir haben also nicht mehr viel Zeit,
macht Euch endlich für die Abreise bereit.
GOETHE: So bald wollt ihr mich schon verlassen?
Ich kann es gar nicht fassen…
Was ist das für ein merkwürdiges Tier?
Das ihr da mitgebracht habt zu mir?
KURT: Das ist unser Schaf Betram.
GOETHE: Und warum guckt der Gute denn so gram?
Die Kugel fängt an zu piepsen.
JESUS: Hätten wir nur endlich den Dreh heraus,
wie man dieses verfluchte Ding macht aus.
ICH: Gebt mir nun lieber eure Hand,
bilden wir zusammen ein menschliches Band.
Macht’s gut, werter Edelmann und treuer Gastgeber,
Aber achtet in der Zukunft auf eure Leber!

ZACK!
Wir rieben uns unsere Unterkiefer.
»Was war das denn?« fragte Jesus. Er streckte seine Zunge heraus und machte wilde Bewegungen.
»Sehr merkwürdig, da gebe ich dir Recht«, stimmte Kurt zu.
»Wo sind wir eigentlich?« fragte ich.
»Mäh«, machte Betram.
»Die Luft ist echt schrecklich hier«, stellte Jesus fest.
Und tatsächlich war die Gegend, in der wir eben gelandet waren, nicht gerade gastlich. In der Ferne konnten wir das Donnern von Vulkanen hören, ein wahrscheinlich giftiger Rauch lag in der Luft. Wir standen an einem steinigen Ufer und gischtende Wellen brachen sich vor unseren Füßen.
Da wurde plötzlich ein Fisch an Land geschwemmt.
Sofort, als er das Ufer erreichte, begann er merkwürdig zu röcheln. Seine Augen quollen aus seinen Höhlen hervor und er blinzelte wild, saugte Luft ein, blies seine Backen auf und keuchte wie ein Asthmatiker.
»Das arme Tier«, sagte Jesus. »Wir müssen ihm helfen.«
»Ja«, stimmte ich zu und nickte.
Keiner bewegte sie.
»Pah, olle Drückeberger«, sagte Jesus und ging zu dem röchelndem Fisch. Er packte ihn und warf ihn zurück ins Wasser.
Dann klopfte er seine Hände gegeneinander und sagte: »So.«
Es dauerte nicht lange, da kam der Fisch wieder ans Ufer zurückgekrochen. Wieder röchelte er wie blöd und wehrte sich dieses Mal sogar gegen Jesus, der seine tierliebe Ader entdeckt hatte.
Das Spiel ging eine Weile so weiter und Kurt und ich lachten, wenn der Fisch wieder ans Ufer zurückgekrochen kam.
Dann endlich begann die Kugel wieder zu piepsen.
»Blöder Fisch«, sagte Jesus.

ZACK!
»Und jetzt? Wo sind wir jetzt?«
»Keine Ahnung.«
»Hey, ihr Spakos, ich glaub ich hab den Bogen raus. Man muss hier drü…«

ZACK!
»…cken. Seht ihr?«
»Wo?«
»Na, hier.«
»Ach, so. Da.«

ZACK!
»Et tu, filie?«
»Ja, ja, du mich auch…«

ZACK!
»Sind wir wieder falsch?«
»Kann schon sein.«
»Mäh.«
»Ja, schon gut, Bertram.«
»Ist das der Jurassic Park?«
»Ggggrrrrrrrrraauuuuu!«
»Kamen da Mörderkatzen vor?«

ZACK!

 

Nun, mit Zeitmaschinen ist das so eine Sache. Jeder, der sich auch nur ein paar Minuten damit auseinandersetzt, wird sehr schnell feststellen, daß es wirklich überhaupt kein Problem ist, eine solche Maschine herzustellen. Eigentlich braucht man dafür nur eine Armbanduhr, zwei Meter Schweißdraht, einen Kaugummi, drei Heftzwecken, eine Kaffeetasse und ein Stück weiches Plastik. Wenn man geübt ist, funktioniert es sogar ganz ohne Armbanduhr.
Das Problem ist nur, und das ist widerum eine Tatsache, die weitaus schwieriger zu verstehen ist, daß Zeitmaschinen unmöglich funktionieren können. Warum das so ist, weiß eigentlich niemand so genau, zumal noch niemand jemals eine wirkliche Zeitreise unternommen hat, um diese Tatsache zu überprüfen - aber es steht auf jeden Fal unwiderruflich fest, daß Zeitreisen absolut unmöglich sind. Das sagt einem schließlich schon der gesunde Menschenverstand.

"Und darum, meine werten Zuhörer und äh... Zuhörerinnen... Zuhörerin, um genau zu sein", begann Doktor Horatius van Welden, seines Zeichens Erfinder der Zeitmaschinentheorie und erster Vorsitzender des örtlichen Briefschwalbenvereins. "Lassen Sie mich fortfahren mit meiner Theorie der parallelen Universen... ja. Wir alle wissen, daß man jederzeit in die Vergangenheit reisen kann. Ich meine, das habe ich immerhin bewiesen... gestern in meiner Vorlesung. Der Rückweg ist das Problem. Sobald wir uns wieder in die Gegenwart zurückbewegen würden, würde das Universum sich auf der Stelle in Dings auflösen. Luft." Die Nachfrage eines Studenten in der ersten Reihe, ob es denn bereits Beweise für das Paradoxienproblem gäbe, wurde vom Professor gnädig überhört, da er das Wort Paradoxienproblem noch nie zuvor gehört hatte.
"Wo war ich? Ach ja, Luft. Also dahin würde sich das Universum... auflösen. Das hängt damit zusammen, daß die Veränderungen, die man in der Vergangenheit... nun... verändert, daß sie also Auswirkungen auf die Gegenwart haben. Nun, es gibt eine sehr einfach Lösung für dieses Problem. Und es freut mich sehr, daß ich selbst auf diese Lösung gekommen bin, denn ich selbst würde sie aufgrund ihrer Komplexheit sicher nicht verstehen, wenn ich sie mir erst erklären müßte... oder so... Da unser bekanntes Universum nämlich nur eines in einer unendlich langen Reihe paralleler Universen ist, die sich jeweils nur in Kleinigkeiten unterscheiden, zum Beispiel in der Haarfarbe ihrer Kommolitonin hier..." Die anwesenden Studenten warfen heimliche Blicke auf die einzige weibliche Kursteilnehmerin, die diese Aufmerksamkeit zu genießen schien und den korrekten Sitz ihres BHs überprüfte.
"Wenn man nun also in der Vergangenheit etwas verändert und dann zurück in die Gegenwart möchte, muß man einfach das Universum suchen, in dem es die Veränderung schon gegeben hat, bevor man überhaupt losgereist ist... ähem... ja..."
"Herr Professor, würde das nicht bedeuten, daß man nicht in dem Universum wieder ankommt, von dem aus man gestartet ist?", fragte der Student aus der ersten Reihe.
"Ja, genau das. Im Übrigen würde ich Sie bitten, mich nicht weiter zu unterbrechen, da ich sonst den Faden verliere... ah, da ist er ja... also, nachdem wir dieses verstanden haben, ist es nur ein kurzer Schritt zu einer Maschine, die diesen Auswahlprozess für uns übernimmt."
"Haben Sie eine solche Maschine?"
"Nein... nein, so etwas ist unmöglich zu bauen... oh wie schade, die Vorlesung ist beendet. Wenn Sie Interesse haben, heute Abend leite ich die Arbeitsgemeinschaft zur Suche einer Alternative für Briefschwalben im alten Posthaus direkt gegenüber."
Dies geschah irgendwann in den späten Siebzigern in einer Universität auf der Erde. Natürlich war es unmöglich, solch eine Maschine zu bauen und gerade das machte es so seltsam, daß ein funktionierendes Exemplar wenige Jahre später um den Hals eines Schafes baumelnd auf der Erde landete.

...

Man stelle sich einen Säbelzahntiger vor. Vor dem imaginären Auge erscheint eine gigantische Killerkatze, die im Wesentlichen durch drei Dinge beschrieben werden kann: Sie ist groß, gefährlich und ausgestorben. Zumindest letzteres war sie aber nicht immer.
"Waren wir hier nicht schon mal?", fragte Jesus.
"Nein, so weit waren wir noch nie. Wer hat das denn eingegeben?"
"Sieh mich nicht so an", sagte ich. "Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie diese Kugel funktioniert.
"Ist das da ein Löwe?"
"Keine Angst, du unheiliger Prophet eigener Gnaden", antwortete Kurt, "Säbelzahntiger waren Vegetarier."
"Der da hat Blut an den Säbelzähnen."
"Bestimmt Kirschsaft."
"Gab es... wann sind wir eigentlich?"
"Ziemlich früh."
"Gab es da schon Kirschsaft?"
"Nein, ich glaube nicht."
"Dann sollten wir rennen." Wir rannten. Kurz überlegte ich, ob wir dem Tiger nicht lieber das Schaf hätten Opfern sollen, aber als ich in die treuen Augen Bertrams blickte, ließ ich den Gedanken schnell wieder fallen. Ich hatte keine Ahnung, ob das Tier uns überhaupt gefolgt war, aber auf jeden Fall ist Jesus auf einmal über diesen Stein gestolpert und in einem Nest gelandet.
"Oh, die schönen Eier. Alle kaputt."
"Was war das für ein Vogel?"
"Keine Ahnung..."
"Hier seht mal", sagte Kurt. " Die Kugel vibriert schon wieder. Ich kann euch sagen, langam geht mir dieses Ding gehö.."

...

Gestern. In Witwe Wegners Hütte. In einem Paralleluniversum

Als vor rund einhundert Jahren auf einmal dieser Spinner aufgetaucht war und das Ende vorrausgesagt hatte, hatte sich schnell eine begeisterte Anhängerschar gebildet, die sich, als ihr langsam bewußt geworden war, daß einhundert Jahre eine verflucht kurze Zeitspanne sein können, sehr schnell in eine Brutstätte des unwiderruflichen Chaos und der Anarchie verwandelt hatte, die sich wiederum noch wahnwitzig schneller über den gesamten Globus ausgebreitet hatte.
"Sag mal, wie alt ist dieser Thunfisch wohl?", fragte der Indianer. Zuvor hatten er und Uschi sich aus den Fesseln befreien können und nun ihrerseits die Witwe Wegner auf den Stuhl gefesselt.
"Ich weiß nicht. Was glaubst du, wann diese Frau das letzte Mal zum Einkaufen gekommen ist?" Uschi zuckte hilflos mit den Schultern und betrachtete ihre Fingernägel. Sie waren gesprungen und der am linken Daumen sogar abgebrochen. Hanf kann unter Umständen ein sehr schöner Rohstoff sein, als Material für Seile ist er auf jeden Fall erstaunlich reißfest.
"Was meinst du, wann das letzte Mal überhaupt jemand beim Einkaufen war?"
"Wann ist der letzte Aldi abgebrannt?"
"Wird wohl schon eine ganze Weile her sein. 1988 so in dem Dreh."
"Dann würde ich den Fisch lieber nicht essen... oh..."
"Kampfst du das mnicht eher sagen?" Der Indianer zog die leere Gabel wieder aus seinem Mund und warf die Thunfischdose in eine Ecke.
"Glaubst du an die Worte dieses alten Propheten?", fragte Uschi.
"Kein Stück", sagte der Indianer. "Ich meine, ich kenne den Typen. Mit dem bin ich heute noch per Anhalter gefahren. Der trägt eklige Jesuslatschen, raucht wie ein Schlot und beschimpft Schafe als Antichristen. Nein, der ist einfach nur verrückt."
"Aber... aber du kannst ihn heute nicht getroffen haben. Er ist im Jahre 1907 verschwunden." Der Indianer blickte sie hilflos an. "Du weißt schon... die Aufstände." Keine Reaktion. "Der Beginn des großen Bürgerkriegs." Nichts. "Ach komm, damit hat dieser ganze Schlamassel angefangen."
"Ach so... nun, von der Seite hab ich das nie betrachtet. Aber jetzt, wo du es sagst... hieß es damals nicht, er wäre überfahren und eingefroren worden? Seine Anhänger wollten ihn irgendwann wieder auftauen, wenn die Technik soweit ist."
"Ammenmärchen!", sagte Uschi. "Das ist billige Science Fiction und in Wirklichkeit überhaupt nicht mö..." In diesem Moment klopfte es an der Tür.
"Hallo, schöne Frau", sagte Jesus und wickelte umständlich seine Hand aus dem Bademantel. Er schien erbärmlich zu frieren. "Oh... und hallo, Indianer. Schweinekalt hier draußen. Habt ihr da drin zufällig Kippen?"

...

1907. Zwei Minuten, nachdem wir Jesus aus seinem Palast abgeholt hatten. In einem Paralleluniversum.

"...rig auf den Zeiger. Oh, es ist schon wieder passiert."
"Cool, ist das da vorne nicht meine Hütte?"
"Määääh", machte das Schaf und glotzte mich dämlich an. Vermutlich hatte es Hunger. Für Schafe gibt es generell nur drei Gründe, aus denen sie blöken. Eines davon ist ihre beinahe penetrante Angst vor dem Mond, das andere der generelle Wunsch nach Aufmerksamkeit. Ich pflückte dem Schaf schnell ein paar Grashalme. Dabei fiel mir auf, wieviele Schwalben es doch in der Stadt zu geben schien. Dafür mangelte es generell an Tauben jeglicher Art, was mich allerdings nicht wirklich störte.
"Nun, mein bester von allen nur denkbaren Freunden auf Gottes wundersamer Erde", sagte Kurt und damit meine er sicher mich, "vielleicht solltest du mir die Zeitmaschine geben. In deinen geschätzten Händen scheint sie ein wenig... nun, ich will nicht sagen, nervtötend... obwohl... doch, nervtötend trifft es genau und deshalb werde ich es doch sagen. Also, in deinen Händen scheint sie ein paar absolut nervtötende Eigenschaften zu haben."
Während ich Kurt die Billardkugel in die Hand drückte, Bertram vergnügt auf den Grashalmen herumkaute und der Fahrer des LKW gerade dabei war, die Straßenkarte zu lesen, gleichzeitig den Takt eines schönen Liedes im Radio auf dem Lenkrad mitzuklopfen und eine Fünfminutenterrine zu essen, wurde Jesus von eben diesem LKW überfahren.
Wir hatten aber keine Zeit, den Verlust zu betrauern, denn in diesem Moment fing die Kugel in Kurts Hand erneut an zu vibrieren.

...

Ja, mit den Universen ist das so eine Sache. Wenn man erst einmal verstanden hat, daß es nicht nur eines davon gibt, sondern eine ganze Menge, ist der Rest ziemlich einfach. Natürlich kann es manchmal schwer fallen, den Überblick zu behalten, aber dafür hat Gott den Lebewesen schließlich den Post-It-Zettel geschenkt.
"Helga, wo hab ich denn den Zettel über die Tauben?", fragte Tor seine Frau, die in der Küche stand und das Abendbrot zubereitete.
"Woher soll ich das wissen, Schnurzelchen? Ich habe durch dein Chaos noch nie durchgeblickt."
"Das ist kein Chaos, sondern ein hochkreatives System der Ordnung, basierend auf einigen sehr einfachen Grundlagen der Stochastik. Weißt du, je wichtiger ein Zettel ist, desto wahrscheinlicher ist, daß er verschwindet. Das Geheimnis ist nun, das Wissen in so viele Teilschritte zu gliedern und auf soviele Zettel zu schreiben, daß jeder für sich total unwichtig... hörst du mir zu?"
"Jeder für sich total unwichtig hast du gesagt." Helga war gerade dabei, einen schmackhaften Käse aus Schafsmilch herzustellen.
"Ja, genau... nun, auf jeden Fall versagt dieses System niemals. Aber jetzt ist einer der Zettel verschwunden. Verdammt!"
"Sag mal, mein Schnäuzelchen, warum hast du die Doris eigentlich auf die Erde geschickt? Ich meine, sie war immer das beste und netteste Schaf von allen. Die Kinder haben heute schon viermal nach ihr gefragt."
"Ich wollte ihr die Sache mit dem Licht erklären."
"Aber die Kinder wollen ihre Spielkameradin zurück Du fliegst auf der Stelle zu dieser... dieser Erde und holst sie zurück."
"Aber, Schatz, ich muß meinen Zettel suchen und..."
"Keine Widerrede!"
"Na gut, wo ist mein Raumschiffschlüssel?"
"Woher soll ich das wissen? Ich kenne mich in deinem Chaos doch nicht aus..."

 

Jetzt. In einer dunklen Kammer, einen Indianer vor mir sitzend, der mir einen vom Schaf erzählt.

"Weißt du", sagte der Indianer, "eigentlich habe ich gar nichts gegen Schafe. Aber den Tod dieses Tieres bedauere ich nicht. Hätte es die Sache mit dem Toaster überlebt, hätte es vielleicht irgendwem sagen können, wer den alten Kerl geköpft hat." Ich verstand natürlich kein Wort. Angesichts der Tatsache, daß ich gefesselt auf einem Stuhl saß und mir langsam den Arsch abfror und dieser anderen Tatsache, daß nämlich der Indianer nicht gefesselt, dafür aber mit einer Schrotflinte und einem kleinen Hund bewaffnet war, beschloss ich allerdings, dieser Sache keine große Aufmerksamkeit zu schenken.
"Ich meine, der Kerl hätte mit seiner Zeitmaschine das ganze Universum kaputt gemacht. Du weißt schon, diese Sache mit dem Paradoxon, wenn alles vor die Hunde geht." Sein kleiner Kläffer machte aufgeregt Männchen, da es aber nur um metaphorische Hunde ging, setzte er sich schnell wieder hin und leckte sich... naja, irgendwo halt.
"Zeitmaschine?", fragte ich. "Aber wir hatten eine und die hat funktio..."
"Nein, das ist unmöglich. Es gab nur eine und die wurde zerstört. Dummerweise hat dieses Schaf alles gesehen und... aber ich rede zuviel. Wir sollten Schluß machen."
Während ich noch überlegte, was zum Geier der Indianer damit wohl gemeint haben könnte, hob er die Schrotflinte und gab mir Gelegenheit, in deren Lauf zu sehen. Hätte nicht Kurt, der dem dämonischen Tennislehrer scheinbar entkommen war, dem Indianer von hinten zwischen die Beine getreten, wäre es diesem Moment wohl arg dunkel in meinem Leben geworden.

Gestern, vor der Hütte von Witwe Wegner.

"Ich bin mir sicher, daß da kleine Männchen waren", beharrte ich, aber niemand hörte mir zu. Bertram stopfte sich den Mund mit Löwenzahn voll und Kurt war damit beschäftigt, seiner unfaßbaren Freude Ausdruck zu verleihen.
"Hier, sieh nur, mein bester Freund auf Gottes wunderbarer, manchmal aber ein wenig verwirrender Erde. Rate mal, wo wir sind!"
"Märchenwald?"
"Märchen..."
"Ja, wegen dieser drei..."
"Ach komm, hör schon auf! Nein, wir sind wieder da, wo wir schonmal waren."
"Schon wieder?"
"Ja, aber diesmal endgültig."
"Wovon redest du eigentlich?", fragte ich und hatte tatsächlich nicht den Hauch einer Ahnung.
"Sieh doch nur. Da vorne steht die Parabolantenne. Unser Firebird und da... da sind die Überreste des fahrbaren Untersatzes meines unglaublichen Schnuffeltierchens."
"Schnuffel?"
"Uschi."
"Ach so."
"Ob sie noch lebt?" In diesem Moment öffnete sich die Tür von Witwe Wegners Hütte und eine Frau trat heraus. Dann geschah das übliche: Die Zeit blieb stehen, Sekunden wurden zu Stunden, Augenblicke zu Ewigkeiten, ein Herzschlag zu einem Mikrokosmos des Seins. Oder so. Auf jeden Fall fielen Uschi und Kurt sich erleichtert in die Arme und vergewisserten sich gegenseitig immer wieder hektisch von ihrem Nichtableben. Mir wurde das irgendwann zu bunt und so betrat ich die Hütte. Gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie der Indianer Jesus davon abhielt, den Inhalt einer eben noch auf dem Boden liegenden Thunfischdose in seinen Mund zu kippen.

Ja, wir waren alle wieder vereint. Ein schönes Gefühl. Der Hund des Indianers pinkelte mir ans Bein.

Vorgestern. Eine verlassene Hütte irgendwo am Rande der Welt. Vielleicht auch nur am Rande von Bielefeld.

"Wenn ich jetzt sage, drückst du auf den Knopf, klar?"
"Den hier?"
"Nein, den Grünen."
"Der?"
"Das andere Grün... jetzt!" Vielleicht lag es an einer kosmischen Verweigerung im Allgemeinen, vielleicht in einem Versagen der Sicherungen oder an einem dieser kleinen Tierchen, die sich gerne mal in elektrischen Apparaten paaren, aber auf jeden Fall geschah in dem Moment, in dem Jürgen Tremmels Assistent auf den anderen grünen Knopf drückte, rein gar nichts. Also, nicht wirklich nichts - irgendwo lud sich ein Kondensator auf und es blitzte verheißungsvoll, aber das war auch alles.
Selbst dem unbedarften Beobachter wäre sofort aufgefallen, daß das nicht die Reaktion war, die Tremmel von seiner Maschine erwartet hätte, zumal der Aufwand dazu in keinerlei Verhältnis gestanden hätte. Der ganze ganze Raum war vollgestopft mit allerlei Gerümpel und Elektronikschrott, notdürftig zusammengelötet und an manchen Stellen einfach mit Isolierband verklebt. An den Wänden hingen komplizierte Zeichnungen und eine altmodische Schiefertafel, an die jemand mit krakeliger Schrift zwei Formeln geschrieben hatte, von denen nur eine etwas mit herkömmlicher Mathematik zu tun hatte.
Ein paar Schläuche kamen aus der Apparatur, wanden sich schlangenartig durch jeden freien Kubikzentimeter des Raumes und mündeten schließlich an einer Glaskuppel, unter eine Armbanduhr, zwei Meter Schweißdraht, ein Kaugummi, drei Heftzwecken, eine Kaffeetasse und ein Stück weiches Plastik lagen.
Seit Jürgen Tremmel vor dreißig Jahren die Vorlesung des berühmten Kausalforschers und Schwalbenzüchters Professor Doktor Horatius van Welden besucht hatte, war er von der Idee einer funktionierenden Zeitmaschine nicht mehr abzubringen. Der Professor hatte damals gesagt, man könne zwar in die Vergangenheit reisen, eine Rückreise wäre aber unmöglich und könnte nur von einer Maschine vollbracht werden, die Dimensionen wechseln kann, wie andere Leute ihre Frauen. Solch eine Maschine wäre allerdings unmöglich zu bauen. Tremmel hatte dreißig Jahre, siebzehn Versuchsaffen, zwei Frauen und fünf Assistenten gebraucht, um nun endlich am Ziel seiner Wünsche zu stehen: eine Maschine, die ebendieses zu tun vermochte.
Oder besser gesagt, zu tun vermögen in der Lage sein sollte. Denn im Moment tat sie noch nicht viel außer zu blitzen. Jürgen Tremmel gab dem Temporalkonduktor an der linken Steuerkonsole einen verärgerten Tritt und verließ die Hütte. Er mußte nachdenken und das ging am besten in der frischen Luft. Während er draußen das Balzverhalten einiger Schwalben beobachtete und sein Frühstück - bestehend aus einem ganzen Hering - zu sich nahm, wurden seine Gedanken jäh gestört, als eine Axt es sich zur Aufgabe machte, seinen Kopf von den Schultern zu trennen und diese zugleich mit Bravour erfüllte.

...

Es war nicht wirklich ein Verein. Es handelte sich eher um eine Gruppe von Männern, die sich einmal im Monat an wechselnden Orten traf, jede Menge Bier auf äußerst unkreative Weise vernichtete und dabei über die Risiken moderner Quantenphysik schwadronierte. Unter anderem hatten sie es sich zur Aufgabe gemacht, Einsteins Relativitätstheorie vor den Zugriffen der Chaosmathematik zu schützen, indem sie jeden, der sich ganz in schwarz kleidete und von Schmetterligen und Erdbeben dozierte, umgehend hemmungslos verprügelten.
Als irgendwann ein in Ungnade entlassener Assistent von Jürgen Tremmel zu der Gruppe gestoßen war und berichtete, Tremmel würde eine Zeitmaschine bauen, die nicht nur in die Vergangenheit reisen könnte, sondern auch wieder zurück, beschloß die Gruppe zu handeln.
Während in diesem Moment ein Mann im schwarzen Anzug gemeinsam mit dem dämonischen Tennislehrer den Körper ihres Opfers hinter dem Haus verbuddelten, versuchte der Indianer, dem Kopf desselben den Fisch aus dem Mund zu ziehen, was sich aufgrund der Leichenstarre als Ding der Unmöglichkeit herausstellte. Irgendwann warf er den Kopf resignierend in den Kofferraum seines Firebird.
"Was machen wir mit der Karre?"
"Über die Grenze damit", sagte der Mann im schwarzen Anzug. "Ich werde morgen einfach zwei Typen suchen und ihnen irgendeine Geschichte erzählen, damit sie mir den Wagen abnehmen. Danach ist es ihr Problem."
"Ich verstehe zwar nicht, warum wir den Kopf nicht einfach mit vergraben, aber mir solls recht sein. Ich werde die beiden beobachten und aufpassen, daß sie nicht zur Polizei gehen oder so."
"Das ist ein guter Plan", sagte Albert Einstein. "Aber was machen wir mit dem Schaf hier? Es hat alles gesehen."

Gestern. In Witwe Wegners Hütte. Teezeit.

"Hmmm... Earl Grey, meine Lieblingssorte. Das ist wirklich ein ziemlich guter Tee."
"Danke", Witwe Wegner errötete. "Ich habe einen Schluck Schafsmilch hinzugetan."
"Von welchem Schaf denn?", fragte Kurt, der mit seiner Uschi glücklich turtelnd in der Ecke saß.
"Na, ihr habt doch gerade eines mitgebracht."
"Bertram? Aber der ist doch..." Als mir langsam klar wurde, welche Konsequenzen diese Tatsache für die Milch haben würde, wurde mir ein wenig flau im Magen.
"Bertram? Wie kommt ihr denn darauf? Das Schaf ist weiblich und hört auf den Namen Doris. Habt ihr denn keine Ahnung von sowas?"
"Dieses Schaf ist der Bote des Todes und der Apokalypse. Denkt an meine Worte. Es wird die alleinige Schuld tragen, wenn morgen die Welt untergeht." Jesus zündete sich in aller Seelenruhe seine dritte selbstgedrehte Zigarette am Stummel der zweiten an und verschwendete keinen Gedanken daran, was für Kräuter eigentlich in Witwe Wegners Garten wuchsen.
"Ja, aber mal was anderes", unterbrach der Indianer. "Ich meine, da draußen steht immer noch der Firebird mit seinem Kofferrauminhalt."
"Sollten wir den nicht der Polizei übereignen?"
Bevor der Indianer antworten konnte, klopfte es an der Tür.

"Hallo", sagte Tor, während Doris sich glücklich und voller Wiedersehensfreude an seinem Bein rieb. "Ich bin nur kurz vorbeigekommen, um mein Schaf abzuholen."

 
Zuletzt bearbeitet:

Jetzt. Während die Eier des Indianers schwellen.
»Mann, Kurt, Scheiße, war das knapp«, sagte ich, während Kurt mich von den Fesseln befreite.
»Hey, mein bester Freund auf der ganzen Welt, du hast doch nicht ernsthaft geglaubt, dass ein kleiner Hund mich aufhalten könnte, dir zu helfen.«
»Der Hund nicht, aber Uschi«, rief ich.
»Auauauu«, winselte der Indianer. »Meine Friedenspfeife...«
Der Hund sprang bellend um ihn herum.
»Das ist aber eben noch mal gut gegangen«, meinte ich lächelnd. »Und Uschi?«
»Mein armer kleiner Häuptling«, jammerte der Häuptling.
Kurt stieß einen verächtlichen Pfiff aus. »Es hat ja eigentlich nie richtig funktioniert mit uns beiden. Wahre Beziehungen gibt es eben nur zwischen Männern, nicht, mein liebster Freund auf der ganzen Welt?«
»Ähh«, sagte ich.
»Ich habe es von Anfang an gewusst«, höhnte eine Stimme im Hintergrund.
Wir drehten uns um und sahen ins zwei funkelnde Augen. Und in den Lauf einer weiteren Schrotflinte.
Irgendwo muss da ein Nest sein, dachte ich, während ich die Hände hob.
»Du Verräter«, zischte Kurt.
Jesus lächelte breit. »Ich habe eine Prophezeiung zu erfüllen«, nuschelte er, während eine Zigarette zwischen seinen Lippen klemmte. »Und zwar meine eigene. Was wäre ich den für ein Prophet, wenn ich nie die Wahrheit verkünden würde? Da könnte ich ja gleich zur katholischen Kirche gehen...«

Gestern. Während Witwe Wegners wie wild weinte.
»Buhuhuuuu«, weinte Witwe Wegner.
»Na, na«, sagte Tor, »zum Weinen besteht doch gar kein Grund.« Er streichelte Doris, die sich noch immer an seinen Beinen rieb.
Ein waschechter Alien, schoss es mir durch den Kopf. Was konnten seine Motive sein, unsere Welt heimzusuchen. Wollte er mit seinem Salzsäurespeichel unsere Bauchdecken wegätzen, um sich an unseren gräulichen Schmerzensschreien zu erfreuen? Wollte er mit langen, eiskalten, metallischen Sonden unser Rektum penetrieren, auf der Suche nach dem menschlichen Gehirn? Oder war er auf der Suche nach ein paar hehren Menschenmännern, die seinen lahmen extraterrestrischen Frauen mit den vielen Brüsten die Liebe lehrten?
»Buhuuhuuuu«, weinte Witwe Wegner noch immer. Etwas uninspiriert ihr Weinen, ging es mir durch den Kopf. Wurde hier notwendige Dramaturgie einer sinnfreier Aliterartion geopfert?
»Bertram ist ihr Schaf?« fragte Kurt schließlich.
Tor, der es sich am Tisch inzwischen gemütlich gemacht hatte und etwas Earl Grey schlürfte, nickte lachend. »Sie meinen Doris?« fragte er Kurt.
»Ach ja, er heißt Doris«, erinnerte sich Kurt. »Die Macht der Gewohnheit.«
Doris funkelte meinen Freund finster an.
»Lassen Sie mich kurz rekapitulieren«, warf ich ein. »Sie haben den weiten Weg auf sich genommen, nur um ihr Schaf abzuholen?«
Tor lachte laut auf. »Naja, sie ist eben ein ganz feines Schaf. Nicht, Doris?«
Der Indianer war in tiefes Schweigen versunken.

Draußen, im Gebüsch.
»Flor, beweg deinen fetten Arsch zu Seite!«
»Ich habe keinen fetten Arsch, dein Arsch ist fett.«
»Mädels, beruhigt euch bitte. Seht euch lieber das mal an!«
»Boah!«
»Jessas!«
»Was ist das?«

Wieder bei der wimmernden Wegner.
»Buhuhuuu«, wimmerte Witwe Wegner.
Ich schüttelte den Kopf. »Langsam wird’s echt überflüssig«, sagte ich.
»Jedenfalls war das so eine Sache, damals«, erzählte Tor. »Nach all den Eroberung wurden wir langsam müde. Immer dieses Gemetzel, das Umbringen und Ausrotten, Blut, Schreie, Qualen.« Er winkte ab. »Irgendwann wird das langweilig. Und man sehnt sich nach einfacheren, schlichteren Dingen. Man beginnt, über Schafe nachzudenken. Denn eigentlich sind das ganz friedliche Tiere.«
»Dann sind sie also ein großer Zerstörer?« fragte Kurt begeistert, den Bauch seiner Uschi knetend.
Tor lächelte. »Nein, kleiner Mensch, ein Weltenzerstörer«, korrigierte er.
»Ohhh«, machte Kurt.
»Aber, wenn ich in diese harmlosen Augen sehe« und er beugte sich zu Doris hinab, »dann packt mich eine Gefühl des Friedens. Diese Geschöpfe sind so rein und wunderbar, nie könnte Böses wollen in ihrer Gegenwart.

Wieder draußen, hinter dem Gebäusch.
»Ähh, Flor, du wirst doch nichts Böses wollen, oder?«

Wieder in Witwe Wegners Wohnzimmer.
Dieser Idiot, dachte Doris und würgte etwas aus ihrem Pansen hervor, um nachdenklich darauf herumzukauen. Dabei dachte es sich einfach leichter. Sie beäugte Tor böse, der noch immer ihre Ohren streichelte.
Wie lange war sie nun schon auf diesem Planteten? Jedenfalls lange genug, um ihn zu verabscheuen. Sie hasste alles hier. Die Luft, die Wiesen mit dem immer gleichen Gras, den langweilig blauen Himmel, die anderen Schafe, die alle so blöd waren und die Menschen. Aber noch mehr, mehr als alles andere auf dieser Welt, hasste sie die Elfen, die Todfeinde der Schafe ... seit Anbeginn der Zeit.

25 Stunden nach dem Anbeginn der Zeit.
»Kommt, liebe Schafe, lässt uns um dieses gar herrliche Feuer springen und lustige Lieder singen«, rief Elvond, der Erste aller Elfen.
»Nee«, blökte Sigi, das erste Schaf dieses Planeten. »Keinen Bock. Ich will lieber dieses herrliche Gras noch einmal kauen, das ich gestern zum Mittag hatte.« Er würgte ein bisschen und begann dann genüsslich zu kauen.
Der Planet, auf dem sie sich befanden, war in einem eher experimentellem Stadium. Die Evolution, übrigens eine hervorragende Köchin, hatte sich die Mühe gemacht, ein paar Zellklumpen zusammenzumischen, eifrig unterstützt vom nimmermüden Zufall (der zu so manchem Schabernack aufgelegt war).
Heraus kamen jedenfalls zwei Wesen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten.
Die einen scharfsinnig, gebildet, edel, verschlagen und heimtückisch.
Und wollig.
Die anderen eher einfach, tollpatisch, zumeist feminin und leicht pyromanisch veranlagt.
Natürlich, wie hätte es auch anders sein können, vertrugen sie sich ganz und gar nicht. Was vor allem daran lag, dass die Elfen allergisch gegen Wolle waren.
So zogen die mächtigsten Krieger beider Stämme gegeneinander in den Krieg. Ein Krieg, der bis in die Zeit andauerte, die wir Menschen dreist Gegenwart nennen.

Einen Tag vor der Gegenwart. In einem Raumschiff.
»Was passiert, wenn ich diesen Knopf drücke?« fragte Flor neugierig und betrachtete einen großen, roten Knopf, über dem ein Schild hing, das jedem, auch demjenigen, der des Lesens unkundig war, deutlich zu verstehen gab, dass dieser Knopf unter gar keinen Umständen gedrückt werden durfte.
»Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden«, rief Flar.
»Ja, du hast Recht«, sagte Flor.
»Wir lesen die Betriebsanleitung«, schlug Flur vor.
»Gut«, stimmten die anderen beiden Elfen zu.

In Witwe Wegners Haus. Zur selben Zeit.
Jesus war etwas frustriert. Nicht nur, dass ihm diese schrullige, alte Schachtel verboten hatte zu rauchen. Deshalb war er heimlich aufs Klo verschwunden.
Dort setzte er sich auf den mit rosa Plüsch besetzten Klodeckel und steckte sich einen seiner Glimmstängel an.
Er schüttelte den Kopf, während er tief inhalierte.
Und wie immer, wenn er alleine war, dachte er an seine Kindheit.

Klein Jesus
»Mama?«
»Ja, Sven?«
»Glaubst du, das Christkind erfüllt mir meinen Weihnachtswunsch?«
»Ich glaube, die Welt ist nicht zu verschenken, Sven.«
»Aber ich will sie haben!«
»Willst du nicht viel lieber ein kleines Feuerwehrauto?«
»Nein, ich will die Welt und wenn ich sie nicht kriege, dann soll niemand sie besitzen!«
»Jesus, dieser Junge!«

Wieder auf dem Plüschklo.
»Dann soll niemand sie besitzen«, murmelte Jesus, während er tief in Gedanken versunken, nicht bemerkte, wie etwas glühende Asche von seiner fast zu Ende gerauchten Zigarette fiel und durch den Raum gewirbelt wurde (auf einem kleinen, unscheinbaren Luftstrom, den physikalisch zu erklären so ohne weiteres nicht möglich war) und schließlich auf dem rosarot gefärbten Plüsch landete, um dort, genau hinter Jesus’ Hintern, ein Feuer zu entfachen.

Wieder draußen, bei unseren geliebten Elfen
»Flor, du wirst doch diesen Knopf in Ruhe lassen, oder?«
»Ich glaube nicht, Flur. Ich kann nicht wiederstehen.«
»Dann werde ich dich abhalten müssen, wenn es sein muss, mit Gewalt!«
»Ich warne dich, Flur, ich werde dich zwicken.«
»Und ich, Flor, werde dir die Augen auskratzen und deine Ohren so lange ziehen, bis sie völlig rund sind!«
»Mädels«, sagte Flar. »Ihr könnt euch die Diskussion sparen, ich habe den Knopf schon gedrückt.«
Das Raumschiff begann zu summen.

Im Haus der Witwe.
Der Indianer erhob sich langsam und bedächtig.
»So«, sagte er. »Jetzt ist Schluss mit lustig.«
Alle starrten ihn an, während er die Schrotflinte hob.
Und dann zersplitterten die Fenster, die Decke bröckelte herab und aus dem Boden brachen mehrere Löcher hervor.
Und plötzlich war der ganze Raum mit schwarz vermummten Ninjas gefüllt.

 

Gestern. In Witwe Wegners Hütte. Angesichts eines Ninjas, der mir mit unverhohlener Genugtuung in die Fresse schlug.

"Ich finde", sagte Kurt, während er den unbeholfenen Schlägen eines Ninjas auswich, "daß ich langsam... autsch... keine Lust mehr auf diesen ganzen Mist habe... autsch!"
"Was meinst du?", fragte ich und spuckte Blut.
"Naja... autsch... diese ganze Sache mit den Zeitreisen und so. Am liebsten würde ich jetzt nach Hause... aua... verdammt, jetzt hör doch mal auf mit dem Scheiß hier!" Er versetzte dem Ninja einen Schlag an der Schläfe. "Am liebsten würde ich wieder nach Hause." Kurt nahm einen Stuhl zur Hand und zertrümmerte ihn auf dem Kopf des Kerls, der seine Hände um meinen Hals gelegt hatte. Es war mir neu, daß Erwürgen zum Standartrepertoire eines echten Ninja gehörte, aber mein Gegenüber hatte anscheinend Spaß daran. Bis Kurt ihn KO schlug.
"Danke", sagte ich und röchelte nach Luft.
"Keine Ursache, du mein bester Freund auf dieser gottverdammten..." Kurt wurde unterbrochen, als die Küchentür aufflog und drei weitere schwarzgekleidete Typen mit wildem Kampfschrei und einer seltsamen Choreographie den Raum stürmten. Mich erinnerte das ein wenig an Discofox.
"Bist du sicher, daß das echte Ninjas sind?"
"Weiß nicht. Aber sie legen eine anständige Sohle aufs Parkett."
"Was hat der da in seiner Hand? Sind das diese fiesen Wurfsterne?"
"Ich würde sagen, das sind Schminkspiegel." Kurt hatte tatsächlich recht. Einer der Ninjas warf einen kurzen Blick in den Spiegel in seiner Hand, strich sich einmal bestätigend über die Kapuze seines Anzuges und warf das Ding dann in unsere Richtung, wo es nur wenige Zentimeter an meinem Kopf vorbeisegelte und in der Wand stecken blieb.
Während ich aus den Augenwinklen wahrnahm, wie Tor sich den Weg nach Draußen frei kämpfte und eiligen Schrittes auf sein Raumschiff zurannte, welches sich just in diesem Moment mit einem Summen in Luft auflöste; während ich mir die berechtigte Frage stellte, wo Uschi und die Witwe Wegner eigentlich hin waren; während mir kurz der Gedanke kam, ob der Indianer, der übrigens ebenso verschwunden war, wie seine nervtötende Töle, wirklich so ein netter Kerl war; während Kurt vor den drei Ninjas flüchtend durchs Fenster nach Draußen sprang; während das alles also geschah, kam plözlich Jesus ins Zimmer.
"Jungs, ich weiß zwar nicht, was ihr hier veranstaltet, aber das Klo brennt."

Auf den Tag genau gestern vor zwei Jahren. Einsteins Büro. Zwei Kilometer unter der Erde

Dieses verdammte Foto war ein Tiefschlag für einen echten Wissenschaftler.
Einstein hatte sich damals nichts dabei gedacht, als er diesem Fotographen die Zunge rausgestreckt hatte. Immerhin war er damals gerade von seiner ersten und bisher einzigen Zeitreise zurückgekommen und hatte mitansehen müssen, wie seine Begleiter - ein Schaf und ein paar vollkommen Verrückte - sich in Luft aufglöst und die Zeitmaschine mitgenommen hatten. Unter diesen Umständen hatte er einfach nicht viele Gedanken an seine Zunge verschwendet.
Einstein hatte damals jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Niemand hört einem zu, wenn man sich erstmal in aller Öffentlichkeit zum Affen gemacht hat. Plötzlich hieß es, daß man die Sache mit der Lichtgeschwindigkeit gar nicht so ernst nehmen sollte, und daß eigentlich nicht alles relativ, sondern die meisten Sachen vollkommen absolut und manche einfach nur chaotisch sind. Wissenschaftler auf der ganzen Welt verbrannten ihre weißen Kittel und begannen, sich schwarz zu kleiden und lustige Dinge mit Ameisen anzustellen. Einstein haßte Chaosmathematik noch mehr, als er Schwalben haßte.
Der berühmteste Wissenschaftler von allen hatte viele Nächte lang darüber gebrütet, wie er seine Reputation wieder herstellen könnte. Und irgendwann war ihm die Idee gekommen. Er müßte einfach lange genug leben, um in der Zukunft zu verhindern, daß jemals irgendwer eine Zeitmaschine bauen und ihn in der Vergangenheit zu der Zungengeste hinreißen könnte.
Das mit dem ewigen Leben war kein Problem - mit wenig Öl, Babypuder, schwarzer Schuhcreme, Seife und zwei Büchsen Rivercola lassen sich wirklich erstaunliche Sachen anstellen - aber er würde eine Armee brauchen. Schließlich konnte er nicht immer überall gleichzeitig sein.

Gestern. In Witwe Wegners Hütte. Umringt von Ninjas, die sich gegenseitig die Augenbrauen zupften.

"Sehr gut", sagte Albert Einstein. "Das ist einer der Kerle, die mich damals entführt haben." Die Ninjas freuten sich sehr. "Gib mir die Zeitmaschine."
"Zeitmaschine? Oh, du meinst sicher die Billardkugel... nun, die hat der Kurt in die Büsche geworfen, nachdem wir wieder hier angekommen sind." Eigentlich wollte ich nicht so schnell auspacken, aber die Ninjas ließen keinen Zweifel daran, daß sie mich ansonsten fies an den Haaren gezogen hätten. Außerdem war da noch der Indianer, der mit seiner Schrotflinte auf meine Eier zielte.
"Nachdem ihr... soll das heißen, ihr seid schon in die Vergangenheit gereist?"
"Ja", sagte Jesus, der neben mir an der Wand lehnte. "Sagt mal, ich will ja nicht drängeln oder so, aber wie ich schon sagte, das Klo brennt. Können wir nicht draußen weiterreden?" Ich warf einen kurzen Blick auf die Tür zur Toilette und tatsächlich waberte feiner Rauch unter der Ritze hindurch ins Wonhzimmer.
"Versuch nicht, dich aus dieser Sache rauszuwinden. Also soll das heißen, wir sind zu spät?"
"Ja, sieht so aus. Ich weiß zwar nicht, worum es geht, aber ihr seid zu spät. Übrigens brennt das Klo."

Zur gleichen Zeit auf der Wiese vor Witwe Wegners Hütte.

"Oh, du Perle meines Ozeans, Stern am ewigen Firmament einer kalten Polarnacht, da bist du ja."
"Hallo Kurt." Uschi hatte zusammen mit Witwe Wegner aus der Hütte fliehen können, als die Ninjas den Laden gestürmt hatten und sich dann mit ihr auf der Wiese hinter dem Firebird versteckt. Kurt näherte sich den beiden nun robbend.
"Kurt, ich habe nachgedacht", begann Uschi und ihr Kinn zitterte leicht.
"Worüber denn, oh du knuffiger Sinn meines Lebens."
"Ich habe darüber nachgedacht, ob wir beide... also ob du und ich... also ob wir... ich meine..."
"Habe ich eigentlich den Herd ausgestellt?" Witwe Wegners Überlegungen wurden jäh unterbrochen, als das ausströmende Gas eine fruchtbare Liason mit den Flammen aus der Toilette einging und die folgende Explosion jedes noch so kleine Geräusch untergehen ließ. In der nun einsetzenden Mischung aus nervenzerfetzender Hektik und brüllendem Chaos bemerkte unter anderem niemand, daß Tors Raumschiff mit den drei Elfen an Bord soeben wieder auf der Wiese erschien. Ebenso bemerkte niemand, wie das Schaf von einem umherfliegenden Toaster am Kopf getroffen wurde.

Gestern. Irgendwann nach der Explosion. Im Fond einer Limousine.

"Ich will ja nicht angeben oder so, aber ich habe euch mindestens dreimal gesagt, daß das Klo brennt. Aber auf mich hört ja keiner."
"Halt die Klappe!", sagte der Indianer und fuchtelte mit der Schrotflinte. Sein Hund bellte bestätigend. Ich beschloß, gar nichts zu sagen, sondern wundere mich stumm über die ganzen unerwarteten Wendungen, die diese Sache in letzter Zeit genommen hatte. Einstein war also ein Terrorist, der Indianer sein treuer Gehilfe, Jesus hat das Haus in Brand gesteckt, Kurt war weg und mir juckte der Hintern. Kratzen war gerade nicht, da man mir die Hände mit Klebeband an den Rücken gefesselt hatte. Die Tatsache, daß es sich dabei um Jesus Rücken handelte, machte die Sache für mich nicht gerade erträglicher.
"Hast du mal ne Kippe für mich?"
"Halts Maul!"
"Dann sag mir wenigstens, wo wir hinfahren."
"Einsteins Büro."
"Büro?"
"Das ist nur ein Name. In Wirklichkeit ist es mehr so eine Art Folterkammer."

Vor zwei Stunden. Vor Witwe Wegners Hütte.

"Pah! Ich glaube dir nicht. Ich wusste sowieso noch nie, warum ich mich ausgerechnet in dich verliebt habe!" Uschi wandte sich von Kurt ab und marschierte schnurstracks auf Tors Raumschiff zu. Kurt hingegen zuckte nur kurz mit den Schultern und setzte sich auf den Fahrersitz des Firebird. Nach all dem Chaos der letzten Minuten brauchte er eine kleine Pause.
Er hatte gesehen, wie Ninjas durch die Explosion durch die Luft geschleudert wurden. Er hatte gesehen, wie ein Schaf erst von einem Toaster am Kopf getroffen und dann vom Indianer für tot erklärt wurde. Er hatte gesehen, wie Tor das Schaf wiederbelebt und in sein Raumschiff gezerrt hatte. Er hatte gesehen, wie sein bester Kumpel - ich - und Jesus in die Limousine gezogen wurden. Er hatte gesehen, wie ein paar Schwalben sich vor seinen Augen in Tauben verwandelt hatten. Und während dieser ganzen Zeitspanne hatte seine Freundin nichts besseres zu tun gehabt, als mit ihm Schluß zu machen. Zwar schon zum siebten Mal innerhalb der letzten drei Wochen, aber irgendwas gab Kurt das Gefühl, daß es diesmal entgültiger sein würde. Vielleicht würde er diesmal mehr als zwei Tage brauchen, um sie zu besänftigen. Er warf einen kurzen Blick in das Handschuhfach, um nachzusehen, ob noch welche von den Keksen da waren und bemerkte, daß Uschi den Umschlag mit dem Geld mitgenommen hatte.
Während Kurt also überlegte, was nun zu tun wäre und mit einer kleinen Träne im Auge beobachtete, wie Tors Raumschiff mit Uschi an Bord abhob, bemerkte er auf einmal drei kleine Elfen, die mit allerlei Zeugs im Fußbereich des Wagens herumspielten.

"Nein, Flur, das Kaugummi muß an die Armbanduhr."
"Das weiß ich selbst, du blöde Kuh."
"Mädels, streitet euch nicht."
"Sag das Flur und nicht mir. Die Tussi zieht mir an den Haaren."
"Wenn wir wirklich zurück wollen, dann müssen wir uns jetzt konzentrieren."
"Ja, du hast Recht. Also, was muß ich mit der Kaffeetasse machen?"
"Austrinken."
"Ja, und dann?"

Kurt wurde in seinen Beobachtungen gestört, als Einstein eine Schrotflinte durchs Wagenfenster hielt und ihm die Mündung an die Wange legte.
"Hier! Ich habe ihn. Und drei kleine Gartenzwerge", brüllte er seinen Ninjas zu.
"Selber Gartenzwerg, du Schlampe!"

Irgendwo im Dunkeln. Jetzt.

Naja, eigentlich war meine Lage gar nicht mal so übel. Ich meine, es hätte mir natürlich auch besser gehen können, aber abgesehen von der Tatsache, daß mein bester Kumpel vermutlich gerade von einem verrückten Tennislehrer geköpft wurde, die Spinne in meinem linken Hosenbein langsam aber sicher gefährliches Terrain erreichte, ich mit der Nase in Hundescheiße lag und... nein, Moment. Mit dem Teil habe ich ja angefangen.
Wo war ich stehen geblieben?

 
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JETZT.
»Bringen wir es also endlich zu Ende«, sagte Jesus.


Vor zwei Stunden. Als die Schrottflinte an Kurts Backe klebte. Und Einstein - Babypuder im Gesicht - fies grinsend seine Ninjas herbeiwinkte.

Kurt musste den Blick einfach von der Mündung der Waffe abwenden. Zu seinen Füßen saßen drei kleine, fröhlich lächelnde Elfen.
Elfen!
Bisher hatte er angenommen, dass es diese kleinen Wesen nur in Filmen gab.
Einer der Elfen winkte ihm zu und deutete auf eine kleine Armbanduhr, die irgendwie mit Kaugummi an einer Kaffeetasse klebte.
Und dann gab es einen gewaltigen Knall.

Die Zukunft

»Heureka!«
Dr. Egon von Freihelm-Dunkelwasser konnte nicht anders als jubilieren.
Soeben hatte er sein Lebenswerk vollendet.
Just in dem Moment, als ein antiker Firebird, Baujahr 2004 vor seinen etwas erschöpften Augen erschien. Im Firebird saß ein sehr verdutzter Mann, an dessen Wange eine Schrotflinte klebte, während jene Schrottflinte in den Händen eines sehr berühmten Komikers des 20 Jahrhunderts lag, der vor allem dadurch berühmt geworden war, dass er anderen Leuten die Zunge entgegenreckte.
Dr. Egon von Freihelm-Dunkelwasser kratzte sein lichter werdendes Haar.
»Und sie sind?« fragte er den verdutzten Komiker.
»Einstein«, sagte Einstein. »Und das ist Kurt.«
Der Fremde im Wagen öffnete die Tür und stieg aus.
»Wo sind wir?« fragte Kurt.
»In Obertupflingen«, erklärte Egon.
Einstein trat näher an den Wissenschaftler heran und betrachtete die Maschine, die dieser eben fertig gestellt hatte.
»Was ist das?« fragte er.
»Ein Doppel-Woll-Transformator«, erklärte Egon von Freihelm-Dunkelwasser stolz.
»Endlich!«, hörten sie plötzlich eine hohe Stimme kreischen.
Drei kleine Wesen kletterten aus dem Auto. Und sie waren schwer bewaffnet.
»Mädels«, rief eines der Wesen. »Dann wollen wir mal anpacken. Guck nicht so blöd, Eini, benutz lieber deine Hände. Und du, Kurtilein, krempel mal deine Ärmel nach oben. Das ist eine Entführung.«
»Und wir wollen den Doppel-Woll-Transformator!«

Ein wenig später. Oder viel früher?

»Wir haben es geschafft, Mädels!«
»Ja, endlich werden die Schafe büßen, für ihre Verderbtheit und Wolligkeit!«
»Bitte lasst mich am Leben«, fuhr Kurt dazwischen, der gefesselt auf dem Rücksitz lag, neben Einstein, Egon und dem Doppel-Woll-Tranformator.
»Ruhe, Menschelling«, rief Flor voller Zorn. »Oder die Elfische Strafe wird dich ereilen!«
»Wohin soll ich den Firebird lenken, Flur?« fragte Flar.
»Naja, zurück in die Jetzt – Zeit eben.«
»Und wann ist das? Mann, ich verliere langsam echt den Faden!«

In Einsteins Folterkammer. Mit dem Indianer. BEVOR Kurt mich gerettet hat.

»Wo ist eigentlich Jesus?« rief ich dem Indianer zu.
Der Indianer warf immer wieder einen Blick auf seine Armbanduhr. »Einstein müsste doch längst hier sein«, murmelte er.
Inzwischen war sein Hund damit beschäftigt, direkt neben mir sein Geschäft zu verrichten.
Plötzlich kam von oben ein gewaltiger Krach. Es hörte sich fast so an, als wäre ein Auto ins Wohnzimmer gerast.
Der Indianer zuckte erschrocken zusammen.
Die Wucht der Erschütterung war so groß, dass ich mitsamt Stuhl (an den ich gefesselt war) zu Boden stürzte. Und direkt landete in der stinkenden... na ja, ist klar, denke ich.
Der Indianer lief sofort nach draußen und schlug die Tür hinter mir zu. Nicht ohne das Licht auszuschalten.
Und so lag ich da. Gefesselt, die Nase in Hundescheiße und in absoluter, fast greifbarer Dunkelheit.
Und dann spürte ich plötzlich etwas am Bein...

Im Firebird.

»Himmel! Hätte ich doch nur meine Tennislehrerkarriere zu Ende gebracht«, rief Egon von Freihelm-Dunkelwasser.
Die verrückten, kleinen Elfen hatten den Firebird mitten in ein fremdes Wohnzimmer gesteuert.
Kurt stierte aus dem Fenster und sah plötzlich, zu seiner großen Überraschung, den Indianer vor dem Auto stehen.
Der Firebird war nun ziemlich beschädigt. Durch die Wucht des Aufpralls mitten im Wohnzimmer war die Kühlerhaube verzogen und eingedrückt. Einstein war bewusstlos und Egon von Freihelm-Dunkelwasser beobachtete mit Entsetzen in den Augen die drei kleinen Elfen, die den Doppel-Woll-Transformator aus dem Auto wuchteten.
Der Indianer stand einfach nur da und starrte dümmlich.
Kurt stellte sich neben ihn und betrachtete ebenfalls das Schauspiel.
»Die Welt geht vor die Hunde«, meinte er kopfschüttelnd.
Der Indianer nickte. »Übrigens liegt dein Freund unten gefesselt in unserer Folterkammer.«
»Hat er es bequem?«
»Wäre zumindest nicht der Sinn der Sache.«
Die Elfen hatten den Doppel-Woll-Transformator aufgestellt und tanzten um die Maschine herum.
Egon lachte irr. »Ich werde verrückt«, rief er. »Eine Zeitmaschine. Elfen. Ein Indianer.« Er schlug sich mehrmals gegen den Kopf.
»Entschuldige mich mal einen Moment«, sagte der Indianer und schlich davon.
Kurt schüttelte wieder den Kopf.

Wieder bei mir.

Nachdem mich der Indianer mitsamt Stuhl aufgerichtet hatte (vorher hatte ich einen wilden Wachtraum von Jimmy Hendrix gehabt, ausgelöst durch die halluzinogene Wirkung von Hundeexkremet - ich fragte mich, was der kleine Köter wohl gefressen haben mochte), beugte er sich verschwörerisch zu mir herab und flüsterte:
»Lass mich dir etwas über Schafe erzählen...«

Jesus.

Jesus hatte ein ähnliches Schicksal ereilt wie den lieben Walter. Nur dass niemand ihm Gesellschaft leistete, als er so alleine an einen Stuhl gebunden in einer Folterkammer saß. Er hatte versucht, nur mit seinen Lippen eine Zigarette anzuzünden, hatte sich aber bei dem Versuch sehr die Zunge verbrannt. Seither schmollte er.
»Hi, Sven«, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihm.
»Was...?«, stotterte Jesus verduzt. Eine gepflegte, manikürte Hand steckte ihm eine Zigarette in den Mund um gab ihm Feuer.
»Du...«, nuschelte Jesus, gierig saugend.
»Na klar«, sagte der Teufel. »Es wird Zeit...«

Im Wohnzimmer, beim kaputten Firebird.

»Wir sind verloren«, rief Egon immer und immer wieder.
»Wieso?« fragte Kurt.
»Weißt du denn nicht, was dein Doppel-Woll-Transformator ist?«
Kurt schüttelte den Kopf und beobachtete wieder die Elfen, die singend um die Maschine tanzten.
Egon packte Kurt am Ärmel und zog daran. »Der Doppel-Woll-Transformator wandelt alle Wolle dieser Welt in Eis um. Es wird unglaublich kalt werden und die Menschen werden keine Wollpullover haben, die sie gegen die Kälte schützen. Schnupfen wird ausbrechen. Die Menschen werden nicht mehr zur Arbeit gehen können. Totale Anarchie wird ausbrechen. Politiker werden sich zerstreiten, wenn sie nach einer Lösung suchen, das Eis zu bannen. Atomraketen werden gezündet werden. Die Welt wird untergehen, wenn eines dieser Wesen den roten Knopf drückt.«
»Den großen roten Knopf?« fragte Kurt.
Egon nickte.
»Der, auf dem steht: HIER DRÜCKEN UM MASCHINE ZU AKTIVIEREN?«
»Ja!«
»Hoffentlich können die nicht lesen«, meinte Kurt und deutete auf die Elfen, die in diesem Moment den Knopf entdeckt hatten.
»HIER DRÜCKEN UM MASCHINE ZU AKTIVIEREN«, las Flar vor.
Und dann tanzten die Elfen weiter.
»Und warum Doppel-Woll-Tranformator?« fragte Kurt.
»Weil aus einem Teil Wolle der doppelte Teil Eis entsteht«, murmelte Egon niedergeschlagen.
Sie hörten ein Stöhnen, das aus dem Firebird drang. Einstein kam gerade eben zu sich.
»Wo ist eigentlich der beste Freund, den man sich auf dieser weiten Welt wünschen kann?« fragte Kurt niemand bestimmten. Und dann fiel ihm wieder ein, dass der Indianer verschwunden war.

Niemand bemerkte, dass Egon von Freihelm-Dunkelwasser soeben einen Tennisschläger gefunden hatte.
Nur Einstein, aber dem war es egal.

JETZT
»Tut mir leid, Jungs«, sagte Jesus, die Schrotflinte noch immer in der Hand. »Aber ich habe da einen Freund, der mir soeben ein paar Geheimnis verraten hat.« Er lächelte bitter. »Ich muss euch von einer großen Dummheit abhalten. Einer richtig großen Dummheit.«
»Und die wäre?« fragte ich, die Hände in der Luft.
»Ich meine, inzwischen ist ja ne ganze Menge passiert«, plauderte Jesus munter vor sich hin. Der Indianer wälzte sich noch immer auf dem Boden herum und hielt sich seine Kronjuwelen. »Wir haben Einiges zusammen durchgemacht und es sind Jahre vergangen.« Er seufzte. »Aber nun muss ich etwas zu Ende bringen, eine Prophezeiung muss sich erfüllen. Und ihr werdet jetzt einfach hier warten. Mit mir zusammen.«
»Was macht dich so sicher, dass deine Prophezeiung in Erfüllung geht?« fragte Kurt.
»Ooch«, sagte Jesus, »sagen wir mal: ich habe jemanden getroffen, der ebenfalls sehr daran interessiert ist.«
»Ähm, Jesus«, sagte ich.
»Ja?«
»Da ist jemand hinter dir«, sagte ich.
»Glaubst du, darauf falle ich rein?« fragte Jesus.
Zwei Sekunde später lag er am Boden. Und ein wilder Egon von Freihelm-Dunkelwasser stand hinter ihm und ließ einen Tennisschläger durch die Luft sausen...

Bei den Elfen, auch JETZT..

»Juhu«, rief Flar.
»Tralala«, rief Flor.
»Jippie«, rief Flur.
Einstein drückte auf den Knopf des Doppel-Woll-Transformators. »Wir wollen ja nicht ewig so weitermachen«, sagte er.
Die Maschine begann zu zittern.

...

»Ist es eben kälter geworden?« fragte ich.
»Oh, nein«, rief Egon von Freihelm-Dunkelwasser. »Das ist das Ende.«

Andernorts.

»Sieh, mein Sohn«, sagte Erwin, der Schäfer. »All dies wird dir gehören.«
»Ähh, Papa, meinst du all das Eis?«
»Großer Gott!«

»Soll ich die Heizung ein bisschen aufdrehen?«
»Ach, Belzebub«, sagte der Teufel. »Ich bin wirklich gut drauf.«
Belzebub zog eine seiner vielen Augenbrauen nach oben. »Ah-ha«, sagte er. Der Teufel war wieder in einer dieser »Phasen«. »Es ist erstaunlich kühl, Eure Schlechtigkeit«, bohrte der kleine Höllenfürst noch einmal nach.
»Das hat schon seine Richtigkeit so«, meinte der Teufel. »Erinnere mich daran, dass ich eine Karte an einen sehr, sehr alten Freund schreibe ... wir haben da noch die eine oder andere Rechung offen.«
»Ähh, und was soll auf der Karte stehen?« fragte Belzebub, eher uninteressiert.

»Argh! Mein schöner, neuer Wollpullover!«

 
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Epilog im Himmel.
- der Tragödie letzter Teil -

»Ähh, Herr, wir haben hier einen Brief erhalten.«
»Wie bitte, einen Brief? Das ist ja freundlich. Wir bekommen ohnehin viel zu selten Post. Im Gegensatz zum Weihnachtsmann. Aber der bringt ja Geschenke.«
»Ähh, Herr, es ist ein Brief vom Teufel.«
»Jaja, der ist gar nicht so übel wie alle sagen.«
»Er hat eben den Untergang der Welt bewirkt.«
»Welche Welt meinst du?«
»Die Erde.«
»Erde... Erde... Erde?«
»Adam, Abraham, Jesus, der Papst, Martin Luther, Alf...«
»Ich bin allwissend, ich weiß, welche Erde du meinst.«
»Eigentlich gibt es nur eine, Herr.«
»Her mit dem Brief. Lieber Gott, Eins zu null für mich. Du baust neu auf. P.S: ÄTSCH!...
Hehe. Gott im Himmel, ist das ein Schelm...«

 
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