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Invasion

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13.06.2002
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Invasion

Prolog

"Ich finde ja, daß die meisten Leute das mit der Ausdehnung des Universums viel zu eng sehen."
(Gunnar v. Ölz - Kenner der ultimativen Wahrheit)


Jede Geschichte braucht einen Anfang.
Diese hier beginnt irgendwo am anderen Ende des Universums mit einer Sirene. Irgendjemand hatte sie einst in nächtelanger mühervoller Arbeit mit der größtmöglichen Sorgfalt aus den hochwertigsten Materialien hergestellt, die er auftreiben konnte. Er hatte tagelang Für und Wider der verschiedenen Fertigungsweisen abgewogen, jedes einzelne Schräubchen liebevoll auf Hochglanz poliert und schließlich die Sirene voller Stolz auf der Gemeindewiese seines Heimatdorfes aufgestellt.
Den Rest seines traurigen Lebens verbrachte er damit, auf den Moment zu warten, an dem die Sirene das erste Mal ihr schallendes Heulen von sich geben würde, wobei die Tatsache, daß dieser Moment sich immer weiter hinauszögerte, sein Leben von Sekunde zu Sekunde immer noch ein wenig trauriger machte. Als er zwanzig Jahre nach der Fertigstellung seiner Sirene ein letztes Mal die Augen schloß, geschah dies ironischerweise nur wenige Stunden, bevor sie das erste und einzige Mal ihren Dienst antrat.

Es hätte ihn sicher sehr gefreut, wie perfekt die Sirene funktioniert hat.
Es hätte ihn sicher weniger gefreut, daß die Bewohner des Dorfes die Sirene im Moment des Angriffes vollkommen ignorierten. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, nicht zu sterben.

Diese Geschichte spielt nicht am anderen Ende des Universums. Dort hat sie nur begonnen.

 
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Kapitel eins - So oder so ähnlich fängt es immer an

"Es spielt keine Rolle, wann und warum etwas passiert. Hauptsache, es passiert überhaupt irgendwas - schon alleine um die Langweile zu vertreiben."
(Gunnar v. Ölz - Förderer der Chaosmathematik)


"Ihr Name war... hicks... Natascha. Sie kam aus Nowisa... Nasowi... Nasi... ach scheiße! Holgi, mach duma weida hier."
"Jagut... Mama, wassis mit mir los... los... Frauen gengüber binnich willenlos! Jawollja... hicks..."
Nach einem zünftigen Junggesellenabschied gibt es nichts besseres, als bewaffnet mit je zwei Flaschen Jägermeister und einem Mettbrötchen nach Hause zu wanken und Westernhagen neu zu interpretieren. Morgen sollte Manfreds großer Tag sein. Seit ein paar Jahren waren er und seine Margarethe nun schon ein Paar. Und morgen wollten sie die Sache endlich ein für allemal festnageln.
Es war wirklich ein sehr langer Abend geworden. Zuerst hatten Kalle, Rolle und Holgi den Bräutigam in Spe von der Arbeit abgeholt und ihn in die erstbeste Kneipe geschleppt. Zwei Bier später sind sie dann in "Tante Käthes Bräulerbude" gegangen, woraufhin dann im Stripclub von Willi Hansen die letzten Hemmungen gefallen sind.
"Sama Ho... Holgi, wo isn der Kalle eingtlich?", stammelte Manfred mühsam und suchte seinen Wohnungsschlüssel. Es war vier Uhr morgens und damit Zeit fürs Bett. Im Moment wußte niemand, wie sie die Hochzeit in ein paar Stunden überleben sollten, aber irgendwe würde es schon gehen. Irgendwie war es bislang immer gegangen.
"Der isoch midde hicks Clau... Claudia na Haus."
"Claudia?"
"Du weißt schon. Die midden dicken Ti..."
"Ach die! Jaha, der Kalle, das war schon immer'n ähh... also... na, isauchegal."
"Also, Manne. Dann bis morgen... oder so."
"Ja, bis gleich... hähä." Manfred steckte den Schlüssel nicht ohne Mühe ins Schloß und wankte die Stufen zu ihrer gemeinsamen Wohnung im vierten Stock hinauf. Margarethe verbrachte diese Nacht bei einer Freundin - letzter Frauenabend solo. So brauchte er sich keine Mühe zu geben, leise zu sein. "Sie brachte Lahme zum Gehen, in ihrem fünfffff... ne wadde... fuffziger Ford... hihi."
Als er das Licht im Wohnungsflur einschaltete, erwartete ihn die vertraute Umgebung. Eine der typischen Wohnungen, die Jahre zuvor in fester männlicher Singlehand gewesen waren und sich nach Einzug der Herzallerliebsten binnen weniger Minuten in ein rosarotes Derivat aus Diddlmäusen und Lebkuchenherzen verwandelt hatte. Knuffige Plüschhunde standen auf der Sofalehne und verdeckten den coolen Schriftzug auf dem handsignierten Metallica-Poster, ein kleiner Leuchtturm aus Salzteig von ihrem letzten gemeinsamen Helgolandurlaub verstaubte in der Vitrine neben einem maßstäblichen Ford Mustang und überall standen Kerzen in allen nur denkbaren - und auch einigen undenkbaren - Farben und Formen. Solche Sachen halt.
Manfred entledigte sich auf äußerst kreative Weise seiner Schuhe, woraufhin einer im Lampenschirm und der andere irgendwo hinter dem Fernseher landete, und fiel ohne große Gesten ins Bett. In wenigen Stunden würde er einen Ring am Finger tragen. Das war sein letzter Gedanke, bevor er an diesem Abend die Augen schloß.
Er bekam nicht mit, wie sich kurz darauf das Fenster seines Schlafzimmers von alleine öffnete und ein greller Lichtstrahl langsam das Innere des Zimmers absuchte. Als der auf Manfreds Nase traf, verharrte er und veränderte seine Farbe in ein beruhigendes Dunkelgrün. Bei der nun folgenden Aktion zerbrach nicht nur die handbemalte Nachttischlampe, sondern auch der Inhalt der letzten Flasche Jägermeister ergoß sich über den Teppich und der Wecker gab den Geist auf. Letzteres war nicht so schlimm, denn es war niemand mehr da, den er hätte wecken können.

...

Zwei Monate danach

Ein Telefon klingelte.
John Kruger schlug entnervt die Augen auf und drehte den Kopf in Richtung Uhr. Obwohl er die rot leuchtenden Zahlen im Halbschlaf nicht ansatzweise erkennen konnte, kam er zu dem Schluß, daß es für alle nur erdenklichen Aktionen im Bereich der zwischenmenschlichen Kommunkation zu früh war. Als er sich nach dem zwanzigsten Klingeln dann doch entschloß, aufzustehen und zum Schreibtisch zu kriechen, erinnerte sich das Schicksal an seine Pflicht und ließ das Telefon kurz bevor Kruger den Hörer berührt hatte verstummen.
"Scheißtag!", preßte er zwischen seinen verkrusteten Lippen hervor und schlurfte barfuß ins Badezimmer. Das war keine sonderlich kluge Entscheidung, denn bis er endlich in der kalkfleckigen Duschkabine stand, hatte er sich dreimal böse den Fuß an leeren Bierflaschen gestoßen, war in den randvollen Aschenbecher neben der Klotür getreten und hatte einen mehr als einleuchtenden Grund gefunden, aus dem man heruntergefallene Reißzwecken am besten sofort wieder aufheben sollte.
In dem Moment, in dem er die Dusche anstellte und hektisch mit den Temperaturreglern herumspielte ( es gibt per Definition nur eiskaltes und kochendes Wasser - die Kunst ist, beide im richtigen Verhältnis zu mischen) klingelte das Telefon erneut. Irgendwo in Krugers vernebeltem Gehirn begann ein kleines Zahnrad zu rattern. Es stieß gegen andere Zahnräder, Hebel wurden umgelegt, Keilriemen trieben kleine Dynamos an und irgendwann ging in der hintersten Ecke seines Kopfes eine Lampe an. Kruger konnte sich nämlich nicht erinnern, dieses Telefon schon jemals klingeln gehört zu haben.

Um genau zu sein, war das auch eine der Hauptursachen für seinen beruflichen Mißerfolg - abgesehen vom überhöhten Zigarettenkonsum, dem leichten Hang zum Alkoholismus, der zwanghaft Spielsucht und seiner selbstzerstörerischen Eigenart, sich niemals die Haare zu kämmen. Niemand bucht einen schlecht frisierten Privatdetektiv. Und so lag sein letzter richtiger Auftrag - die entlaufene Katze von Oma Mönter aus dem Haus gegenüber - auch schon ein paar Wochen zurück. Seitdem lebte Kruger von... eigentlich hatte er nicht die geringste Ahnung, wovon er eigentlich lebte. Manchmal fragte er sich sogar, ob überhaupt.
Nachdem er sich abgetrocknet und angezogen hatte, setzte er sich an seinen Schreibtisch und wartete. Irgendwann, da war er sich sicher, würde der Augenblick kommen, an dem diese bezaubernde Bondine durch seine Tür tritt, sich auf der Stelle unsterblich in ihn verliebt und ihm den Auftrag erteilt, ihren reichen Ehemann erst zu finden und dann zu erschießen um mit ihr fortan ein sorgenfreies Leben irgendwo auf Hawaii zu führen. Es war noch nicht geschehen, aber es war nur eine Frage der Zeit. Und dann wollte er bereit sein.
Kruger nahm gerade ein wenig genußvolles Frühstück zu sich - Cornflakes mit Milch, die man nur deshalb Milch nennen konnte, weil Quark normalerweise süßer schmeckt - als es an der Tür klopfte. Zum ersten Mal seit drei Wochen. Er stellte die Schüssel in eine leere Schublade, schlüpfte in seinen zerknitterten Trenchcoat - es hatte ihn viele Stunden gekostet, die Falten da hineinzubekommen und er war stolz auf jede einzelne von ihnen - setzte seinen Detektivhut auf und sagte "Herein!"

Das erste, was John Kruger an seiner Besucherin auffiel, war der Schönheitsfleck unter ihrem linken Auge. Genaugenommen war das so ziemlich das einzige, was ihm an ihr auffiel, denn alles an dieser Frau war enttäuschend durchschnittlich - zumindest nach Einschätzung des Privatdetektivs. Angesichts seiner erbärmlichen Finanzlage beschloß Kruger aber, dieser Tatsache keine weitere Beachtung zu schenken.
"Ich brauche Ihre Hilfe", brachte sie schluchzend hervor und setzte sich ungefragt auf den abgewetzten Stuhl vor dem Schreibtisch.
"Wenn Sie Ihren Friseur verklagen wollen, bin ich der falsche Mann." Manchmal haßte Kruger sich für sein vorlautes Mundwerk.
"Wie bitte?"
"Ach nichts. Worum geht?s denn, Lady?"
"Es geht um meinen Mann. Also... er wollte mein Mann werden aber dann..."
"Er ist mit ner Anderen durchgebrannt?"
"Nein, das nicht. Er ist nicht zur Hochzeit erschienen. Vier Tage habe ich nichts von meinem Manfred gehört. Vier Tage, können Sie sich das vorstellen?"
"Ich kann mir ne Menge vorstellen."
"Ich dachte zuerst, er wäre durchgebrannt. Bis er eines Tages wiederkam. Aber er war verändert. Das war nicht mehr mein Manfred."
"Und ich soll Ihren Manfred finden?"
"Machen Sie sich über mich lustig?"
"Tut mir leid. Reden Sie weiter."
"Zwei Tage später war er plötzlich wieder weg. Das hier hat er mir hinterlassen." Sie überreichte Kruger einen zerknitterten Zettel, auf den jemand mit krakeliger Handschrift eine Notiz hinterlassen hatte. Vermutlich war der Urheber in Eile gewesen.

Liebste Maggie,

Ich wünschte, ich könnte mich richtig von dir verabschieden, aber es geht nicht. Etwas schreckliches wird passieren. Etwas, das die ganze Menschheit betreffen wird. Und ich bin der einzige, der das verhindern kann. Wenn alles vorbei ist, komme ich zurück und dann heiraten wir.

In Liebe,
Manfred

"Was sagen Sie dazu?", fragte sie und putzte sich die Nase.
"Ihr Freund hat einen leichten aber unerträglichen Hang zum Pathos, Lady."
"Sie müssen meinen Manfred finden. Bitte!"
"Warum kommen Sie damit ausgerechnet zu mir?"
"Weil alle anderen Detektive ausgebucht sind."
Im ersten Moment war Kruger ein wenig von der gnadenlosen Ehrlichkeit seiner Mandantin geschockt, aber dann fiel ihm ein, daß das tatsächlich die einzige Qualifikation war, die er seinen Kollegen vorraus hatte. Er war nie ausgebucht.

Nachdem er die Frau zur Tür geleitet, sich eine halbvolle Flasche Jim Beam in die eine und zwei Schachteln Zigaretten in die andere Manteltasche gesteckt und er sich vergewissert hatte, daß auf dem Hausflur keine Killerninjas auf ihn warteten - eine Phobie, die noch aus seiner Kindheit stammte - machte Kruger sich auf den Weg zur Wohnung des Gesuchten.

 
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Kapitel 2 - Von den Problemen, die einem eine Internetseite bescheren kann


"Hallo? Ist hier jemand?" Die Stimme drang nur langsam in Saschas Bewusstsein, was unter anderem daran liegen konnte, dass Metallica alles andere, das in der Werkstatt vorging, nebensächlich erscheinen ließ. Egal. Es war sowieso nicht ihre Sache, sich um die Kunden zu kümmern, dafür war Nick zuständig. Dementsprechend sah Sascha gar nicht erst auf, sondern rief nur wage in Richtung Büro: "Niiiiiick! Kundschaft!" Metallica übertönte sie damit mit Leichtigkeit. Alles Übungssache. Damit wandte sie sich wieder den Stoßdämpfern des Mercedes vor ihr zu.
"Entschuldigung"
Die Stimme ertönte nun direkt neben ihrem Ohr und Sascha fuhr erschrocken zusammen. Hatte der Kerl sich doch heimlich an sie herangeschlichen. "Sind Sie blöd, Mann?" fuhr sie ihn an, bevor sie sich überhaupt die Mühe machte, ihn in Augenschein zu nehmen. Eigentlich sah er gar nicht aus, wie ein Kunde, fand sie. Er wirkte sehr müde und abgekämpft, als hätte er nächtelang nicht mehr geschlafen. In einer Hand hielt er ein Blatt Papier, an dem er sich festklammerte, als gehe es um sein Leben. Seine Augenringe waren schon beängstigend.
Sascha hatte überhaupt keine Lust, sich mit dem Typen herum zu schlagen. Der Mercedes war ihr da lieber. "Hören Sie, ich bin echt beschäftigt. Sprechen sie mit Nick, der regelt das alles hier!" Sie nickte in Richtung Büro und, überzeugt, dass damit alles geklärt war, griff nach ihrem Schraubenschlüssel.
"Ich bin auf der Suche nach ... " Er warf einen Blick auf sein Papier "Sascha Langen. Ist er hier?"
Sascha verdrehte die Augen. Dann stellte sie den Ghettoblaster neben sich aus. Die plötzliche Ruhe in der Werkstatt war beinahe unheimlich.
"Das bin ich. Was wollen Sie?" Dem ungläubigen Blick ihres Gegenüber konnte sie schon entnehmen, was als nächstes kommen würde. Natürlich.
"Aber, Sie sind ja ein Mädchen"
"Genaugenommen bin ich achtundzwanzig und für meinen Namen kann ich nichts. Den haben mir meine Eltern gegeben, bevor ich mich wehren konnte. Also, was wollen Sie nun?" Misstrauisch geworden beäugte sie ihn. "Sie sind doch nicht von der GEZ, oder?" Mit einem Fuß schob sie den Ghettoblaster langsam in Richtung Montagegrube.
Der Typ wirkte verwirrt. "Nein, nein, ich ... ich hab nur Ihre Webseite gesehen. Das hier ist doch von Ihnen, oder?" Er hielt ihr sein Papier vor die Nase.
"Äh ... ja. Hab ich vielleicht irgendwelche Rechte verletzt?" Fieberhaft ließ sich Sascha ihre unterschiedlichen Quellen durch den Kopf gehen. Sie war sich keiner Schuld bewusst, aber wer wusste schon, ob nicht die Enkel von Isaac Asimov ihre Ideen als Plagiat empfanden. Obwohl - wie ein Anwalt sah der Kerl sicher nicht aus.
"Und, funktioniert das auch?"
"Was?" Auf die Frage war sie nun überhaupt nicht gefasst gewesen.
"Na das da" Er deutete auf die Planzeichnung. "Funktioniert es? Sie schreiben, man könnte es theoretisch aus alten Maschinenteilen zusammen bauen. Haben Sie es mal versucht?"
Langsam aber sicher wurde sich Sascha bewusst, dass sie einem komplett Wahnsinnigen gegenüber stand. Mit denen musste man vorsichtig sein. Sie wich einen Schritt zurück und stieß dabei versehentlich den Ghettoblaster in die Grube, wo er äußerst dramatisch in seine Einzelteile zerschellte.
"Verdammte Scheiße" Das Ding war teuer gewesen. Na, hoffentlich war wenigstens die CD noch ganz.
Der Kerl stand immer noch da und fixierte Sascha mit einem starren, irgendwie leeren Blick. Ihr wurde bewusst, dass er tatsächlich eine Antwort erwartete.
"Na ja, probiert habe ich es noch nicht direkt. Aber ich hab mir schon alles genau überlegt. Hab viel gelesen, wissen Sie? Also theoretisch funktioniert das Ding" So, hoffentlich war der Typ jetzt zufrieden.
"Können Sie mir eins bauen?"
"WAS?"
"Bauen Sie mir eins, ich kann auch bezahlen!" Bei den Worten zog er ein dickes Bündel Euroscheine aus der Jackentasche. Sascha fragte sich, welche Bank er wohl dafür ausgeraubt hatte. "Wirklich, ich brauche so schnell wie möglich ein Raumschiff, ich zahle jeden Preis!" War das Wahnsinn oder Verzweiflung in seiner Stimme? Sascha konnte den Unterschied nicht mehr klar ausmachen. Sie fragte sich, ob sie Nick bitten sollte, das nächste Krankenhaus anzurufen.
"Hören Sie, das ist doch nur eine Gedankenspielerei. Eine Überlegung, wie es funktionieren könnte. Ich glaube nicht ..."
"Sie haben gesagt, es geht. Bitte!" Er machte große, traurige Hundeaugen. "Ich zahle Ihnen alles, was sie verlangen. Auch die Teile, einfach alles. Es ist ... wirklich wichtig. Leben stehen auf dem Spiel!"
Sascha blickte von seinem panikerfüllten Gesicht auf das Bündel Scheine in seiner Hand und dann zu ihrem kaputten Ghettoblaster. Dann wieder auf die Scheine. Es waren lauter Hunderter, wie sie bemerkte. Der Kerl mochte ein Wahnsinniger sein, aber er hatte Geld. Sie konnte es ja versuchen. Und wenn es nicht klappte, Pech. Sie hatte versucht, ihn zu warnen. Und eine neue Stereoanlage wünschte sie sich schon lange.
"Schon gut, Kumpel, alles klar. Wir bauen dein Raumschiff. Aber nicht jetzt okay? Du kannst ja nach Feierabend wieder kommen."
Der Typ schüttelte den Kopf. "Wir müssen uns beeilen. Die Zeit läuft uns davon. Am besten, wir fangen gleich an"
"Ne ne, Kumpel, da verliere ich noch meinen Job, wenn ich jetzt einfach so davon laufe"
"Ihr Chef hat Sie sowieso gefeuert"
"WIE bitte?"
"Ich hab Ihrem Chef gesagt, dass ich sie mitnehme. Ihre Mutter liegt im Krankenhaus, hab ich gesagt, und dass Sie dahin kommen sollen. Da hat er gemeint, das wäre die billigste Ausrede, die er je gehört hätte, und dass das nun schon das vierte Mal diesen Monat wäre. Und dann meinte er, Sie sollten bloß verschwinden, und nicht wiederkommen."
Sie ließ den Kerl einfach stehen, drehte sich um und hastete zum Büro. Nick hatte es sich hinter seinem billigen IKEA-Schreibtisch bequem gemacht, stopfte sich Kekse in den Mund und wirkte äußerst ungehalten, von Sascha in dieser äußerst angenehmen Beschäftigung unterbrochen zu werden. Verärgert blickte er auf.
"Ach, Frau Langen, haben Sie beschlossen, sich selber zu entschuldigen. Es ist mir gleich. Sie sind diesen Monat nun schon dreimal mit einer äußerst fadenscheinigen Ausrede aufgetaucht, um von der Arbeit fernzubleiben. Mir reicht es. Sie bekommen den Rest von Ihrem Monatsgehalt, aber ich erwarte nicht, dass Sie wieder auftauchen."
Wenn Nick sie schon siezte, musste es ganz schlimm sein. Sascha atmete tief durch. "Hör mal, Nick, ich kenn den Kerl gar nicht. Ich weiß ja nicht, was er dir erzählt hat, aber ... "
"Im Grunde genommen ist es mir eigentlich ziemlich wurscht, was er erzählt hat. Das ist ja nicht der einzige Grund, warum ich Sie nicht mehr hier haben möchte. Die Kunden haben sich auch schon beschwert"
"Alles, was ich repariere, funktioniert"
"Aber die Kunden wollen nun mal keine Autos mit automatischer Stimmerkennung und Bordcomputer. Das verwirrt sie nur. Vergiss es, Sascha, der Job ist einfach nichts für dich. Such dir etwas, wo du deine Ideen unterbringen kannst." Er hörte sich jetzt schon freundlicher an, aber Sascha erkannte einen Rausschmiss, egal, wie gut er verkleidet war. So nickte sie nur verstehend und verließ das Büro.
Während sie langsam durch die Werkstatt zurück zu dem Typ schlenderte, der immer noch herumstand, wie bestellt und nicht abgeholt, versuchte, sie sich selber zu beruhigen. Du mochtest den Job doch sowieso nicht, sagte sie sich, eigentlich möchtest du doch viel lieber herausfinden, ob es wirklich funktioniert. Ganz gelang es ihr nicht. Gut, sie hatte schon immer herausfinden wollen, ob sich ihre Ideen realisieren ließen. Trotzdem änderte das nichts an der Tatsache, dass sie nun zum dritten Mal dieses Jahr einen Job verloren hatte.
Der Mann neben dem Mercedes sah sie beinahe erwartungsvoll an. Sascha schenkte ihm ein grimmiges Lächeln. "Das war sie wohl, meine Probezeit"
Der Typ zuckte nur mit den Schultern. "Ich zahle Sie gut, ehrlich. Und wenn Sie mir nicht helfen, dann brauchen Sie sowieso keinen Job mehr."
Am liebsten hätte Sascha ihm eine reingehauen. Aber dann dachte sie an das Geld in seiner Hand. Vielleicht würde das reichen, bis sie einen neuen Job hatte. Und wenn es nicht reichte, nun, dann würde sie sich eben an ihn wenden. Schließlich war er an allem Schuld.
"Sie tragen alle Ausgaben?"
Er nickte.
"Mann, woher haben Sie nur so viel Geld?"
Er zuckte mit den Schultern. "Muss Sie nicht interessieren. Helfen Sie mir nun?"
"Ja, Mann, ich bau Ihnen Ihr verdammtes Raumschiff"
"Vielen Dank, Frau Langen. Sie erweisen der Menschheit einen unschätzbaren Dienst."
"Ach die Menschheit kann mich mal. Und nennen Sie mich Sascha"
Er nickte. "Ich bin Manfred" Er streckte ihr seine Hand hin, doch Sascha hielt es nicht für nötig, sie zu schütteln. Statt dessen machte sie sich auf den Weg zu ihrem Auto. Während sie die Beifahrertür für Manfred aufhebelte, nestelte er ein zweites, sehr zerknittertes Blatt Papier aus seiner Hosentasche, faltete es auf, strich es sorgsam glatt und hielt es Sascha hin.
"Das hier hab ich auch auf deiner Seite gefunden, funktioniert das auch?"
Sie betrachtete die Zeichnung lange und sorgfältig, dann nahm sie ihm den Zettel vorsichtig aus der Hand.
"Manfred?"
"Hmmm?"
"Wir werden ganz sicher keinen Materiedisintegrator bauen!" Damit ließ sie sich auf den Fahrersitz fallen.

 
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Kapitel drei - Rolle, Kalle, Holgi und der grüne Schal von Oma

"Lügen haben die Farbe rot, grün ist aller Anfang tot."
(Gunnar v. Ölz - Verfechter der farbenfrohen Magie.)

Kalle und Rolle sassen an der Theke von Alfreds Kneipe, die bis auf ein Liebespärchen in der Ecke und einer alten Dame mit Kaffee und Hund ziemlich leer war.
"Wo bleibt denn Holgi eigentlich so lange?"
"Hat wohl Stress bei der Arbeit." Rolle leerte den Rest seines Biers runter.
"Ich geh' mal pinkeln. Machste mir noch eins, Fred?". Rolle wankte in Richtung Männerklo und Fred zapfte ein neues Bier. Kalle seufzte und fingerte abwesend am Becher mit den Salzstangen herum.
"Ja, ja, seit Hartz vier, harzt's auch mit dem Feierabend."

Die Eingangstür öffnete sich. Ein kalter Luftzug wehte Schneeflocken und Holgi herein.
Kalle hob die Hand. "Zwei Bier, Fred. Wir sind vollzählig."
"Und was ist mit Manni?" Alfred wischte mit einem schmuddeligen Lappen über die klebrige Theke.
Danach war sie nicht mehr klebrig, aber feucht.
"Ach der, der ist doch nun schon seit zwei Monaten verschwunden. Seine Margarethe habe ich neulich beim Einkaufen getroffen. Hat irgend was von Entführung und Rettung der Menschheit geschwafelt und furchtbar zu heulen angefangen. Ich habe ihr sogar 'n Tempo organisiert. Musste dafür extra ne drei für zwei Familienpackung aufreissen. Arme Margarethe. Wenn du mich fragst, hat der Manni kalte Füsse gekriegt. Liegt jetzt sicher auf 'ner einsamen Insel bei Miss Bahamas unter 'ner Palme in der Hängematte und lässt's sich gut gehen."
Er drehte sich um und rutschte mit seinem Hocker etwas zur Seite.
"Hallo Holgi, was geht ab?" Holgi klopfte sich den Mantel und setzte sich dann neben Kalle an die Theke. Sofort bildeten die schmelzenden Schneeflocken eine Pfütze unter Holgis Hocker.

"Scheiss Wetter, ganz schön frostig, wo ist Rolle?"
"Der musste mal an die Boxen den Tank leeren. Wieso biste denn so aufgeregt?"
"Prost." Alfred stellte frisches Bier auf die feuchte Theke.
"Das glaubst du mir nie, wenn du es nicht gesehen hast."
Holgi nahm einen grossen Schluck Bier und wischte sich mit dem Ärmel den Schaum ab.
"Na, nun erzähl schon, was is los?"
"Erinnerst du dich an Mannis Polterabend?"
"Jaa, da ging mächtig was ab. Also die Claudia..."
"Nein, ich meinte was anderes. Erinnerst du dich an meinen grünen Schal, den ich Manni geliehen habe?"
"Ach, den, wo Claudia zwischen die..."
"Ja, genau den. Lezten Monat ging ich mal zu Mannis Bude und wollte ihn mir zurückholen. Weisste, der is noch von Omma und ich häng da irgendwie dran."
Holgi schaute verträumt durch Kalle hindurch.
"Erde an Holgi, wie gehts weiter?"

Holgis Blick fokusierte langsam wieder Kalles Nase.
"Wie? Ach so, auf jeden Fall, Manni war nicht da."
"Ja, das wissen wir doch schon. Der sitzt auf Bahamas und..."
"Ja, Manni is verschwunden. Aber als ich an dem Tag zu Mannis Bude ging und meinen Schal, den mir meine Omma..."
"Weiter!"
"Also, die Tür war nicht abgeschlossen."
Holgi nahm einen grossen Schluck Bier und gab damit Kalle Zeit auf die Neuauflage der bisherigen Geschichte entsprechend zu reagieren.
"Was? Du hast doch erzählt, du hättest erfolglos geklingelt und die Tür wäre abgeschlossen gewesen."
"Ja, aber, nein, eben nicht. Sie war nur angelehnt."
Rolle liess Bier Bier sein und fixierte Holgi.
"Was war da los, Holgi."

"Ich stiess die Tür vorsichtig auf und rief nach Manni. Keine Reaktion, die Wohnung war leer."
"Na, keinen Durst? Willste nochmal Schaum drauf?" Alfred grinste Rolle an.
"Nicht jetzt, Fred, bitte." Er schaute dabei gespannt auf Holgi, der wie ein Schüler, dem der Lehrer den entdeckten Spickzettel unter die Nase hielt, unruhig auf dem Hocker rumrutschte.
"Ich wollte wirklich nur den Schal holen, ehrlich."
"WAS WAR DA LOS, HOLGI".

Mit einem Schlag war es ruhig in der Kneipe. Das Liebespärchen und die alte Dame mit Hund schauten in Richtung Theke. Da Rolle aber keine Zugabe spielte, verschwand das Interesse der Leute sogleich wieder.
"Es lag da mitten auf dem Tisch, ich weiss auch nicht warum, aber ich nahm es und steckte es einfach ein."
Rolle verdrehte die Augen. "Mensch, Holgi, WAS hast du eingesteckt."
"Das da."
Holgi zog langsam einen zylindrischen Gegenstand aus seiner linken Jackentasche und legte ihn vorsichtig auf die Theke.
"Toll, hast'n neues Handy?" Rolle, eben zurück aus der Boxengasse, klatschte seine Hand auf Holgis Schulter, der vor Schreck fast vom Hocker fiel.
"Das sieht aus wie Claudias Vibrator", sagte Kalle mit einem breiten Grinsen und stupste ihn mit dem Zeigfinger an.
"Nicht so laut. Soll wohl jeder hier mitkriegen" sagte Holgi in gedämpftem Ton.
"Was ist das?", fragte Kalle und nahm es vorsichtig zwischen Daumen und Zeigfinger.
"Ist doch klar, eine Orangenpresse von Galucci", meinte Alfred, der sich unbemerkt über die Theke gelehnt hatte.
"So eine konnte ich mal in Mailand..."
"Quatsch, ist doch viel zu dünn, Fred."
"Hm, ein Olivenkernentferner vielleicht? Könnte ich gut für meine Martini..."
"Oh, Mann Fred, hast du nicht noch 'n paar Gläser zu spühlen?"
Fred zog sich brummelnd hinter seine Theke zurück und rieb schmollend mit seinem Lappen über die Hähne seiner Zapfstation.
"Sieht schwer aus, liegt aber total leicht in der Hand."
"Vielleicht ist es eine Bombe?", meinte Kalle und Rolle nahm instinktiv etwas Abstand.

"Ich habe das Ding geschüttelt, ich habe es gedreht und nach Uri Geller Art gestreichelt. Wäre es 'ne Bombe, könntet ihr mich jetzt in Schwarz besuchen kommen."
"Und warum kommst du mit dem Ding erst heute an?", fragte Kalle.
"Weil es sich heute morgen verfärbt hat."
"Vielleicht ist es so ein japanisches Tamadingsbums und hatte einfach Hunger", sagte Rolle.
Kalle hängte die Zunge raus und legte den Kopf schief. "Und jetzt ist es gestorben."
"Sehr witzig, nee, passt mal auf, ich zeig euch für was das ist."

Holgi nahm den silbernen Zylinder in die Hand und hielt es wie ein Mikrofon vor sich.
"Hat sich Kalle nach dem Pinkeln die Hände gewaschen?"
In diesem Augenblick verfärbte sich die Spitze in ein hell leuchtendes Rot und Kalles Gesichtsfarbe verhielt sich komplementär dazu.
"He, was soll das?"
"Klasse, das ist ein Lügendeflektor", rief Rolle.
"Lügendetektor", präzisierte Holgi."Aber wie ihr sicher bemerkt habt, muss das Ding dazu nicht mal dem Täter in die Hand gedrückt werden."
"Was heisst hier Täter, nur weil ich eben mal nicht..."
"Ja, ja, schon gut Kalle, beruhige dich mal wieder."
"Nix da, ihr seid mir schöne Kollegen. Rolle macht sich mit Claudia und ihrem Spielzeug aus'm Staub. Du beklaust unseren besten Freund, nur weil der mal eben auf den Bahamas rumhängt und dann verhörst du mich mit diesem...diesem..."
Kalle knallte ein paar Euros auf die Theke.
"Feierabend." Kalle riss Holgi den Detektor aus der Hand.
"Panscht Alfred sein Bier?"
Augenblicklich verfärbte sich die Spitze rot.
"Aha, nochmal Glück gehabt", rief Kalle, warf den Detektor dem verblüfften Alfred zu und verliess ohne ein weiteres Wort die Kneipe.
"Der kriegt sich schon wieder ein. Spätestens wenn ihm die Claudia..."
"He, kuckt mal, da ist was eingraviert." Alfred hielt den Detektor ins Licht und zeigte auf eine Vertiefung unterhalb der Spitze.
"Irgendwie kommt mir das alles ziemlich ausserirdisch vor", meinte Rolle.
"New Technology by Sascha Langen", las Alfred vor.
"Klingt aber ziemlich irdisch, was? Mach uns mal zwei Klare, Fred."
"Sind schon unterwegs, Holgi", sagte Fred und wischte dabei mit seinem Lappen die Theke feucht.

Mit einem Donnerschlag flog die Tür auf, das Licht flackerte und im Eingang stand eine grosse Gestalt mit schwarzem Umhang und einem grossen Hut, dessen Krempe die Sicht auf das Gesicht verdeckte. Um den Hals trug er einen langen grünen Schal.

"Hätte ich das Ding doch bloss nicht eingesteckt," flüsterte Holgi mit trockener Stimme und trank hastig seinen Schnaps aus.

 
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Kapitel vier - Finger weg von dem Knopf

"Nur weil manche Dinge komisch aussehen, heißt das noch lange nicht, daß sie unerklärbar sind. Manchmal muß man einfach ein wenig um die Ecke denken, dann geht alles."
(Gunnar v. Ölz - Hobbyphysiker und ziemlich guter Philosoph)


Es war nicht so, daß John Krugers ebenso vergammelter wie babyblauer Ford Mustang aus dem letzten Loch pfiff. In Wirklichkeit war der Wagen nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu tun - das Suchen von Löchern und Hindurchpfeifen eingeschlossen. Aber er fuhr... besser gesagt: er rollte. Am besten ging es geradeaus und bergab - Kurven schaffte der Mustang nur unter der größten Anstrengung und wenn es einmal bergauf ging, dann half nur gutes Zureden oder Beten. Aber nichtsdestotrotz liebte Kruger seinen Wagen. Das lag vermutlich am sehr niedrigen Verbrauch, denn meistens wurde der Firebird geschoben.
Heute allerdings hatte der Wagen Erbarmen und brachte Kruger ohne größeres Murren an sein Ziel. Der Auspuff fiel unterwegs zweimal ab, aber das war nichts, was man mit ein wenig Isolierband und einem Tacker nicht reparieren konnte.
Vor dem Wohnhaus angekommen öffnene Kruger vorsichtig, um die innere Statik des Wagens ja nicht durcheinander zu bringen, die Tür , wuchtete sich mühsam aus dem ausgeleierten Fahrersitz und trat auf die Straße. Abschließen brauchte er nicht - schlug man die Tür richtig zu, verkeilte sie sich auf interessante Weise mit dem Rahmen und ließ sich nur durch einen sehr komplizierten Bewegungsablauf wieder öffnen, bei dem sich jeder ungeübte Autodieb unweigerlich den Arm brechen würde.

Kruger warf einen kurzen Blick auf die Wegbeschreibung, die seine Klientin ihm gegeben hatte. Vierter Stock. Kein Fahrstuhl. "Scheißtag."
Irgendjemand öffnete ihm nach energischem Betätigen der Klingeln die Haustür und der Detektiv betrat die schmuddelige Eingangshalle. An diesem Haus, und das zog Krugers Laune noch ein wenig weiter herunter, gab es nichts Außergewöhnliches. Es war frustrierend normal. Einzig der überquellende Briefkasten seines Klienten zeugte davon, daß hier eventuell doch etwas seltsames vor sich ging. Kruger vergewisserte sich, nicht beobachtet zu werden und widmete seine Aufmerksamkeit dann dem Haufen Papier auf dem Boden. Irgendwann hatten die Postboten und Werbeverteiler vermutlich aufgegeben und das Zeug einfach vor dem Kasten auf den Boden geschmissen.
Unter dem Stapel an Werbung, kostenlosen Zeitungen und der ein oder anderen Rechnung nebst zugehöriger Mahnung und Androhung körperlicher Gewalt fand Kruger zwei Briefe, die ihm wichtig erschienen. Der eine steckte in einem rosaroten Umschlag und war mit ein paar aufgemalten Herzchen verziert. Vermutlich hatte er mal nach Parfum geduftet, aber das war inzwischen wohl verflogen. Laut Poststempel war der Brief etwa einen Monat alt. Kruger warf einen prüfenden Blick auf den Absender.
"Sascha Langen... ich fürchte, ich muß der Lady sagen, daß Manfred... daß ihr Manfred auf Kerle steht." Er beschloss, die beiden Umschläge erst einmal nicht zu öffnen. Stattdessen steckte er sie in seinen Mantel und suchte das Treppenhaus.

"Verdammt, ich muß endlich mit dem Rauchen aufhören", schnaufte Kruger, als er im vierten Stock ankam und steckte sich am Stummel der letzten eine neue Kippe an. Nach Atem ringend stolperte er durch den Hausflur und stand schließlich vor der Wohnungstür des Gesuchten. Sie war nur angelehnt.
Normale Menschen haben fünf Sinne. Bei manchen allerdings, und Kruger war überzeugt davon, zu diesen Menschen zu gehören, gibt es noch einen sechsten Sinn. Dieses komische Gefühl in der Magengegend, das sich immer dann meldet, wenn man ganz genau weiß, daß etwas nicht stimmt, man aber beim besten Willen nicht sagen kann was. Instinkt. Krugers Instinkt sagte ihm in diesem Moment, daß er auf die Anstrengung einen Schluck Jim Beam vertragen könnte und der Detektiv stimmte zu.
Als er wenige Augenblicke später die Tür vorsichtig öffnete, erzeugten die rostigen Scharniere einen Lärm, der sogar Tote aus ihrer Erstarrung geweckt und lauthals nach Öl rufen gelassen hätte. Auf jeden Fall weckte das Quietschen der Tür die Nachbarin aus der Wohnung gegenüber.

"Hey Sie!", keifte die Frau und ihre Lockenwickler wackelten bedrohlich. "Was machen Sie denn da?"
"Sieht man doch. Ich schäle Bananen." Kruger ließ den Türgriff los und deutete ein Lächeln an.
"Bleiben Sie wo Sie sind, ich rufe die Polizei!"
"Nein, warten Sie. Ich... ich bin ein Freund von... von Manfred und sollte mal nach dem Rechten sehen. Blumen gießen und den Hamster füttern. Sie wissen schon..."
"Ich glaube Ihnen kein Wort."
"Hören Sie, Lady, ich habe wirklich besseres zu tun, als jetzt mit Ihnen zu diskutieren. Wie meinen Sie denn, habe ich wohl diese verdammte Tür aufbekommen? Manfred hat mir den Schlüssel gegeben."
"Es gibt viele Wege, eine Tür aufzubekommen. Ich habe Krimis gesehen."
"Das glaube ich sofort, Lady. Aber wenn Sie in meinem Mantel auch nur eine Kreditkarte finden, können Sie mich meinetwegen kopfüber vom Balkon hängen lassen, während wir auf die Bullen warten." Darauf schien sie scheinbar keine rechte Lust zu haben. Ihre Gesichtszüge entspannten sich ein wenig - nicht soviel, daß man sie sympatisch nennen könnte, aber immerhin ein wenig - und sie überreichte Kruger ein Päckchen.
"Hier, das wurde vor zwei Wochen für ihn abgegeben. Wenn Sie so ein guter Freund sind, können Sie es ihm auch geben. Hauptsache, ich bin das Ding endlich los." Damit war die Sache für sie erledigt und sie verschwand wieder in ihrer Wohnung. Schnell, um dem Schickal auf keinen Fall Gelegenheit zu geben, ihm noch einen Stein in den Weg zu legen, betrat Kruger die Wohnung seines Klienten und ließ die Tür hinter sich im Schloß einrasten.

Margarethe hatte ihm gesagt, daß sie nach dem Verschwinden ihres Manfred zu einer Freundin gezogen war. Sie hätte es einfach nicht ertragen, ständig an ihn erinnert zu werden. Die Wohnung schien auch tatsächlich schon lange von niemandem mehr betreten worden zu sein: Die Möbel waren verstaubt, das dreckige Geschirr in der Küche verkrustet und mit sovielen Lebewesen bevölkert, daß diese bereits mit ersten Bürgerkriegen untereinander begannen. Der siegende Feldherr würde sich hinterher vermutlich eine überlebensgroße Statue aus Siff errichten lassen. Hinter dem Fernseher lag ein Schuh und diente nun einer Spinne als neue Behausung.
Der Wecker auf dem Nachttisch zeigte vier Uhr dreiundzwanzig. Direkt vor dem Bett konnte Kruger eine Lache erkennen: Jägermeister, sagte ihm sein Kennerblick. Hier hatte offensichtlich ein Kampf stattgefunden. Nachdem er sich ein paar Minuten in der Wohnung umgesehen hatte, fiel Krugers Blick auf die Klotür. Hier hatte jemand einen Zettel mit einer Heftzwecke angebracht.

Hi Manne,

Wollte nur kurz sagen, daß ich hier war.
Wegen dem Schal, den ich dir auf dem Polterabend geliehen habe. Weißt du, der gehört nämlich eigentlich meiner Oma und... naja, egal. Auf jeden Fall solltest du mal Staub wischen und du hast kein Bier mehr im Kühlschrank.

Machs gut,
Holgi

Kruger überlegte einen Moment, ob er die Sache mit dem Bier im Kühlschrank überprüfen sollte, als auf einmal die Klospülung ging. Jemand hinter der Tür wusch sich die Hände und erschreckte sich fast zu Tode, als er auf den Flur trat und den Detektiv entdeckte.
"Oh nein... es ist soweit... Sie sind hier, um mich abzuholen, oder?", fragte er und sackte melodramatisch auf die Knie, wobei er die Hände schützend vor seinen Körper hielt.
"Nein. Nein, ich denke nicht. Manfred?"
"Was? Wo? Meinen Sie mich? Ich bin nicht Manfred! Wer hat das behauptet? Ich habe nie gesagt, Manfred zu sein!"
"Hör mal, Freundchen, geh mir hier nicht auf den Keks, sondern sag mir einfach, ob das dein Name ist."
"Sind Sie einer von denen?"
"Nein, eigentlich bin ich Individualist."
"Wenn Sie keiner von denen sind, was machen Sie dann hier?"
"Ich suche Manfred."
"Manfred? Nie gesehen! Verschwinden Sie lieber, sonst holen die Sie auch noch!"
"Wer?"
"Na die!"
"Die?"
"Ja!"
"Und wer sind die?"
"Die sind die! Drücke ich mich so undeutlich aus?"
"Nein, du redest ziemlich deutlich. Ich verstehe nur kein Wort."
"Die haben mich geholt - vor Jahren schon. Aber ich konnte fliehen und jetzt haben die ihn geholt."
"Ihn?"
"Den armen Kerl, der hier mal gewohnt hat."
"Du meinst Manfred? Genau den suche ich doch."
"Habe ich gesagt, daß er Manfred heißt? Damit haben Sie angefangen!"

Dieses wohl merkwürdigste Verhör in der Geschichte des investigativen Ermittelns wurde jäh unterbrochen, als es an der Tür läutete.
"Aufmachen! Wir wissen, daß Sie da drin sind!"
"Oh, mein Gott! Die haben mich gefunden. Wir müssen hier sofort weg!", sagte der Fremde und rollte wild mit den Augen.
"Ja, ich wäre jetzt am liebsten auch weit weg von hier... Und wie sollen wir das anstellen?"
"Was haben Sie da unter dem Arm?"
"Ein Päckchen. Die Nachbarin hat es mir gegeben und..." Kruger besah sich die Schachtel genauer. Manfreds Name und Adresse standen drauf. Aber nicht nur als Adressat, sondern auch als Absender. Der Detektiv riss den Deckel auf und förderte neben einer kleineren Schachtel ein Karte zutage.

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Kapitel5 - Die Abgesandten

"Eintretendes Schweigen sollte man niemals und schon gar nicht aus niederen Beweggründen in lästiger Weise durchbrechen, ansonsten es ein schlimmes Ende nehmen kann."
(Gunnar v. Ölz - Erforscher der gesellschaftlichen Verkennung theatralischer Kunstpausen im Alltag)

Die Tür fiel ins Schloss und mit einem Schlag wurde es ruhig in Alfreds Kneipe. Holgi und Rolle starrten mit weit aufgerissenen Augen in Richtung Ausgang.
"Der schwarze Rächer".
Holgi stelle sein leeres Schnapsglas ab und Rolle versteckte den Lügendetektor hinter seinem Rücken. Alfred, der in seiner Kneipe schon so manchen theatralischen Auftritt erlebt hat, räumte unbeeindruckt das Glas weg und wischte mit seinem Lappen wieder mal die Theke nass.

Der dunkle Gast stand Sekunden lang mit gesenktem Kopf im Eingangsbereich, da seine Grösse eine aufrechte Position in der Kneipe nicht zuliess. Er stapfte an die Theke. Holgi und Rolle liessen den Fremden, der eindeutig Holgis Schal von Oma um den Hals trug nicht aus den Augen. Er stellte sich ans kurze Ende, zwischen der Ecke mit der Dartwand und dem Toilettendurchgang. Da, wo Dienstags normalerweise die Mitglieder des DC FlashGordon eV. ihre Pfeile warfen. Heute aber war Montag und in der Ecke blinkte verlassen und schmollend nur der elektronische Wurfscheibenkasten Marke VisionDarts, der ab und zu mit einem aufdringlichen 'Dudeldidu' auf sich aufmerksam machte.

Man hätte eine Stecknadel fallen lassen können, niemand wagte zu Atmen, ausser Alfred. Der rieb unbeirrt an seinem Bierglas weiter, was ein quietschendes Geräusch verursachte und die gespannten Nerven der Kneipenbesucher nur noch mehr stapazierte.

"Dudeldidu-du-duuuu".
Mister VisionDart hatte sich den denkbar ungünstigsten Moment ausgesucht.
Der Fremde wirbelte mit einer Schnelligkeit herum, die angesichts der Grösse überraschte. Ein blendender Lichtstrahl zischte aus der hochgerissenen Hand und beendete das lustige Gedudel des unschuldigen Dartkastens. Beissender Rauch waberte durch die Kneipe. Es roch giftig verbrannt, doch diesmal kam es nicht aus Alfreds Küche.
Vom einstigen Pfeilwurfkasten war jetzt nur noch ein dampfendes Häufchen Kunststoffgranulat übrig.

"He Mann, was soll das denn?" Alfred knallte seinen Lappen auf die Theke und kam drohend auf den Fremden zu.
"ANHALTEN, ERDLING". Alfred zuckte zusammen und blieb stehen.
Holgi und Rolle lief es kalt den Rücken herunter. Die monotone Stimme klang wie ein Bariton mit voll aufgedrehtem Megafon.
Dann sahen sie zum ersten Mal sein Gesicht. Es war aschgrau, hatte tiefe Falten und erinnerte ein wenig an Keith Richard. Doch die Form war dann eher...Hunde ähnlich. Irgendwie knuddelig, wenn da nicht diese grossen, schwarzen Augen wären. Wie zwei grosse Erzbrocken funkelten sie in dem sonst ausdruckslosen Gesicht. Der Mund war nur ein kleiner Strich über dem langgezogenen Kinn.
"WER IST HOLLI".
"Er meint wohl dich, Holgi", zischelte Rolle. Der stiess ihn sogleich unsanft in die Rippen.
"Sei still, oder willst du das er am Ende uns auch noch verdampft?"
"ICH BRINGE LAPPEN VON MANNE, GEHÖRT HOLLI".
'Alfred braucht auch mal nen neuen Lappen', dachte Rolle.
"Mein Schal", rief Holgi plötzlich, als hätter er ihn erst jetzt entdeckt.
"Er hat MEINEN grünen Schal von Omma geklaut".
Holgi zeigte ohne nachzudenken mit dem Lügendetektor in Richtung des Fremden. Ein Fehler.
Gleissend hell zuckte ein weisser Lichtstrahl durch den Raum. Der Detektor flog aus Holgis Hand und explodierte in einem Feuerwerk aus bunt leuchtenden Metallkügelchen, die geräuschvoll über die Theke klackerten.
"Aua, Scheisse." Holgi betrachtete ungläubig seine lädierte Hand, an deren Innenfläche sich eine schwarze Schmauchspur abzeichnete.
"He, jetzt beruhige dich mal." Rolle war aufgesprungen, liess aber seine Hände fürs erste auf der Theke ruhen. Schliesslich wollte er ja nicht auch noch von diesem Habe-Lappen-Terminator gegrillt werden.
"Du kannst doch hier nicht einfach reinplatzen und meinen Freund abschiessen..."
"FREUND, RICHTIG. ICH FREUND. WIR ERDLINGE HELFEN. DU HOLLI?". Schnarrte es durch die Kneipe.
Alfred stand immer noch da und schaute traurig auf die Überreste seines alten VisionDarts.

In diesem Moment sprang die Tür auf und eine wild keifendes Etwas in Kampfmontur erschien im Eingang. "Ui, guck mal. Lara Croft in Miniausführung".
Tatsächlich stand da eine etwa ein Meter grosse Amazone mit engem Lederkostüm und breitem Gürtel, an dem jegwelcher technischer Schnickschnack hing. Aber am beeindruckensten war die so gar nicht zu dem zierlichen Wesen passende Stimme. "Wa hasa Schaksowasiiiiiiii?" kreischte es aus dem hübschen Mund.
"Mann ist die süss."
Rolle hielt sich die Ohren zu. "Ja, aber laut."
"Und ihre Nase. Kuck mal Rolle, ihre Nase..."

Sie schaute sich kurz um und sprang dann direkt auf den Spacecowboy an der Theke zu.
"Dalabbadagtscha pah! Sascha da hsgata kla Holgi nad. Kabata?" Der schwarze Knuddelhühne grunzte und senkte den Kopf.
Danach wandte sie sich zu Holgi und Rolle.
"Ich möchte mich in alle' Fo'm entschuldigen fü' das unangeb'achte Auft'eten des Schaksowasi. Gute K'iege' sind leide' schwe' zu finden, die Jedis sind alle auf Floston im U'laub und da muss man sich halt mit den 'estposten aus dem A'chiv begnügen. Mein Name ist Laamanala Da Balagodjielpa, Söldne' im Dienste der ve'einten westlichen Galaxien."
"Rolle, angenehm."
"Hallo, 'olle"
"Ich bin Holgi, hallo Laama..lamaa..."
"Ah, Holgi, sag einfach Lala. Dich habe ich gesucht. Dass da..."
Sie sprang hoch, riss dem schmollenden Schaksowasi den Schal von den Schultern und reichte ihn Holgi.
"...ist von Manni üb'iggeblieben, als e' im Wu'mloch ve'schwand."
"Ja und wieso kommen sie, kommst du ausgerechnet..." Holgi war etwas irritiert, da Lala beim sprechen neben der Nase so lustige Grübchen bekam.
"Wi' sind auf eine' d'ingenden Mission. Die E'de ist bed'oht. Auf dem g'ünen Lappen ist eine Innsch'ift. De' sind wi' gefolgt."
Holgi liess den Schal durch seine Hände wandern, er wusste nur allzugut, was in braunen Wollfäden darauf gestickt war.

"Damit du dich auf'm Weg zu Alfreds Kneipe nicht erkältest. Alles Liebe, Holger, deine Oma Käthe"

"Du weisst bestimmt, wo Mannis Hütte steht!"
Holgi nahm den Schal und legte ihn sich um die Schulter.
"Klar, aber wieso..."
Weiter kam er nicht. Lara Croft machte eine Handbewegung und ihr Bodygard schnappte sich Holgi.
"Wi' müssen da ein Paket abholen."

Während der Schaksowasi mit dem wild strampelnden Holgi unterm Arm zur Tür stampfte, kam Alfred mit Schaufel und Besen aus der Küche.
"Hee, wo wollt ihr denn hin. Wer bezahlt mir den Schaden?"
"Alle mal Lächeln!", rief Lala und ein gleissend helles Licht tauchte den Raum in eisiges Blau.

Rolle schaute auf sein leeres Glas, er hatte doch eben...
"Hallo Alfred. Kriege ich vielleicht heute noch ein Bier?"
"Wie? Was?"
"Träumst du? Ich sagte, mach mir bitte noch ein Pils".
Rolle drehte eine der kleinen Stahlmurmeln zwischen Daumen und Zeigefinger.
"Lustige Tischdekoration haste da. Aus was sind die?"
"Wie? Tischdekoration?"
"Na, die Murmeln hier. Sag mal, waren Kalle und Holgi schon hier?"
"Weiss nicht." Alfred starrte auf den Besen in seiner Hand und wusste nicht so recht, was er damit anfangen sollte.
Rolle schaute in Richtung Toilette.
"Hier riechts irgendwie verbrannt. Biste am kochen?"

 
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Kapitel 6 - Sie sind direkt unter uns

»Manchmal ist man mehr als man glaubt zu sein und manchmal weniger. Entscheidend dabei ist aber, dass man nicht jemand anders ist.«
(Gunnar v. Ölz - »Aus meinen Anfängen«)

Sven Dutschke war eigentlich ein schlimmer Spießer. Der schlimmste, den er selbst kannte, wenn er ehrlich war - nur leider war er eigentlich selten ehrlich.
Er hatte eine Lehre zum Bankkaufmann gemacht, dann aber abgebrochen, weil er eine »Phobie gegen Geld entwickelte«, wie er selbst meinte. Weder sein Therapeut, noch seine zahlreichen Schuldner glaubten ihm diesen Schwachsinn. Er reiste um die Welt, um in Indien seinen Frieden zu finden. Er kam zurück, weil ihm das Cola dort nicht schmeckte.
Dann hatte er beschlossen, sich seine Haare auf Kopf und Gesicht lang wachsen zu lassen und sich einfach Jesus zu nennen.
An manchen Tagen stellte er sich mit einem selbstgemalten Schild auf die Straße und pöbelte Passanten an.
Heute hatte er »Sie sind direkt unter uns« auf ein Schild gemalt. Der Spruch schien ihm sinnfrei genug.
Er stand also in der FuZo und gab gerade seinen Sermon zum Besten, als ein Passant in langem Regenmantel an ihm vorbeiging, das Schild las und erstarrte. Kurz darauf löste er sich allerdings aus seiner Erstarrung und hastete eilig davon.
Sven »Jesus« bekam davon eigentlich gar nichts mir. In einer anderen Dimension wären es vielleicht interessant gewesen, zu erfahren, was er erlebte, aber hier wird sein Leben uninteressant verlaufen.
Mit 50 wird er sich in einer psychiatrischen Klinik einzufinden haben und behaupten er hätte Angst vor Schafen und Eis.
Niemand wird verstehen warum.

»Johannes?« Die Stimme war schneidend.
»Ja, Mama?«
»Was habe ich dir übers Zähne putzen vor dem Zubettgehen erzählt?«
»Das ich es tun soll.«
»Sehr gut und warum hast du es nicht gemacht?«
»Weil du gesagt hast, ich soll es tun.«

John kratze sich am Kopf. Mit seiner freien Hand war er damit beschäftigt, eine Zigarette zu drehen. Einhändig. Roll, roll, leck, falt und fertig. Er brauchte keine drei Sekunden dafür.
Es gab da ein Problem und John wusste darum. Es war schon immer so gewesen. Seit er sich erinnern konnte. Er musste immer das Gegenteil von dem tun, was andere Leute von ihm erwarteten.
Deshalb war er Privatdetektiv geworden und nicht kaufmännischer Angestellter in einer Fabrik für Fensterrahmen. Deshalb trug er im Sommer Trenchcoats, deshalb gab er Vanilleeis in seinem Kaffee, hasste Obst und frühstückte Schokolade. Deshalb war er Kettenraucher und Teilzeitalkoholiker.

»Johannes, bitte, um Himmels Willen, legen Sie die Hände auf’s Lenkrad.«
Das hatte ihn seinen Führerschein gekostet.
»Ohh, Johannes, küss mich.«
Das hatte ihn seine erste Beziehung gekostet.
»Okay, ziehen Sie den Mantel an und auf geht’s!«
Das hatte ihm eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses gekostet. Und ihm seine zweite Beziehung beschert.

Und dieses Schild hier war eine Provokation. Ein direkter Schlag mit dem imaginären Fehdehandschuh ins bartstoppelige Gesicht.
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A u f k e i n e n (!) F a l l den roten Knopf drücken!
Schweiß trat ihm auf die Stirn. Er streckte seinen Finger aus. Die Zigarette klemmte schon in seinem Mundwinkel.
»Was haben sie vor?« fragte jemand und John zuckte zusammen.
Neben ihm stand noch immer dieser merkwürdige Fremde. Seine Augen rollten wild.
Wieder hämmerte es gegen die Tür.
Verdammt, schoss es John durch de Kopf. Denk, denk, denk.
»Sie werden jeden Moment hier sein«, rief der Fremde. »Und dann werden sie die rituelle Blume des ewigen Vergessens über uns verstäuben, werden unsere Därme zu den Klängen der hatschina tanzen lassen, die die Darmmukosa zum Schwingen bringt, werden unser Gehirn in den Hologrammspeicher laden und neue Welten für die Lichtwesen erschaffen.«
Er rollte wild mit den Augen.
Okay, dachte sich John Kruger. Dieser arme Mann ist total schwachsinnig. Meschugge. Nicht ganz bei Trost. Etwas neben der Spur. Hat einen leichten bis mittelschweren Knacks. Versuchte wahrscheinlich gern, seinem eigenen Spiegelbild die Hand zu geben. Las vielleicht dem Fernseher Geschichten vor. War bestimmt verliebt in sein linkes Schreibtischbein, rieb sich daran, wenn keiner guckte.
Und hatte einen schweren Nystagmus.
Aber eigentlich war er soweit ganz nett.
Wieder klopfte es.
»Bei den wiederkäuenden, doppelköpfigen Hydrakühen«, rief der Fremde. »Wir müssen uns beeilen.«
»Vielleicht sollten wir einfach nur die Tür aufmachen.« Roll, roll, leck, falt und fertig.
»Nein!«
»Warum nicht?«
»Und droht große Gefahr.«
»Von wem?«
»Von wem?«
»Das habe ich gefragt, ich stelle hier die Fragen.« Das hatte John schon immer mal sagen wollen.

Na gut, eigentlich hatte er es schon einmal gesagt:
»Werden sie den meine kleine Katze wiederfinden, Herr Kruger?« fragte das kleine zehnjährige Mädchen mit dem großen Kulleraugen.
»Hör mal, Missy«, antwortete Krüger. »Ich stelle hier die Fragen.«

»Es wird langsam ernst«, sagte der Fremde und rollte mit seinen Augen um die Dringlichkeit seiner Aussage deutlicher zu machen. Tatsächlich wurde das Klopfen lauter und langsam gaben auch die Türscharniere nach.
»Okay«, sagte John Kruger. »Ich muss kurz nachdenken... ob es hier Bier gibt.«
»Wie können Sie jetzt an Bier denken? Sind Sie wahnsinnig?«
»Ach, bitte«, fuhr John Kruger dazwischen, der diese Anschuldigung natürlich nicht einfach auf sich sitzen lassen konnte. »Wenn ich aufstehe, dann bin ich ausgehfertig in nur fünfeinhalb Minuten. Kann ich da wahnsinnig sein?«
Die Tür zersplitterte.
Mehrere schwarz vermummte Gestalten hasteten in die Wohnung. Es waren schmächtige kleine Wesen, groß wie Kinder. Kruger benutzt seinen deduktiven Verstand und besann sich auf ein taktisches Vorgehen. Zuerst einmal musste er sich über die Anzahl seiner Gegner im Klaren sein. Denn nur wenn man wusste, wie groß die Zahl der Feinde war, konnte man effektiv einen Präventivschlag planen.
Es waren zehn kleine Gestalten. Nein, eher elf. War das da hinten noch einer? Ja, vielleicht, vielleicht war es aber auch der hässliche Lampenschirm. (Krugers Optiker hatte gesagt: »Sie brauchen dringend eine Brille!«, Kruger hatte erwidert: »Hehe.«) Vielleicht waren es auch weniger. Konnten diese kleinen Hampelmänner nicht einfach mal still stehen? War das zuviel verlangt?
Es waren neun, schätzte Krüger schließlich. Dafür hatte er sich eine Zigarette verdient. Dann würde er überlegen, was er denn tun konnte, um zu vermeiden, dass...
»Ihr seid umzingelt!« schrie eines der Wesen. Sie trugen schwarze Wollmützen und Skimasken. »Ergebt euch oder wir wenden Gewalt an!«
»Soso«, sagte Kruger.
Der Fremde neben ihm rollte so wild mit den Augen, dass Kruger von den Bewegungen wie hypnotisiert war. Er brauchte zwei Sekunden länger, um seine neue Zigarette fertig zu drehen.
Dann besann er sich auf das Wesentliche.
Auf keinen Fall den roten Knopf drücken!
Er drückte den Knopf.

 

Kapitel sieben - Schwanengasse dreizehn

"Der Weg ist das Ziel. Kommt man vom Weg ab, ist das Ziel weg. Materie ist der Stoff um uns und aus dem wir selber sind. Wir nehmen uns eigentlich viel zu wichtig."
Gunnar v. Ölz - Auszug aus "Mein ganz persönliches Tagebuch".


Dem Holgi war schlecht. Und kalt. Der Schaksowasi hielt ihn immer noch wie eine Spielzeugpuppe unter dem Arm eingeklemmt.
Es schneite und er vermisste zitternd seine Jacke.
"Alle mal Lächeln." Es blitzte blau auf und Lala trat aus der Kneipe.
"Hiila badagal. Dalas HOLGI. Hi was wa hala va Manne."
Holgi konnte nicht sehen, zu wem die Amazone sprach, da ihn der Teilzeitkrieger verkehrt herum hielt. Er verstand aber zunehmend ihre Sprache. Also nicht wirklich, aber in seinem Kopf formten sich Bilder, wenn Lala sprach. Und er glaubte verstanden zu haben, dass sie ihn eben jemandem vorgestellt hatte. Er überlegte noch, wer das sein konnte, als der Schaksowasi ihn wie eine Sanduhr umdrehte und ihn auf die Beine stellte.
Vor Schreck gaben diese nach und er landete auf den Knien. Während er noch keuchte, wurde er blitzschnell umringt von zehn oder elf, so sicher war er sich da jetzt auch nicht - kleinen schwarzen Männern mit Rollkragenpullis, Sturmkappen und Brillen wie Skimasken auf der Nase.
Sie wuselten umher und musterten ihn von oben bis unten.
"Bbitttte. Mmmmeine Jjjjaaake". Holgi schlotterte und versuchte auf die Beine zu kommen.
"Ui, ein neuer Dialekt"
Einer der Wollninjas grinste ihm ins Gesicht. Unter der Skimaske lugte die gleiche Stubsnase wie bei Lala hervor.
Ein anderer stiess ihn in die Rippen und ahmte seinen "neuen" Dialekt nach.
"Bbbist dddu ddder Hhhholgi?"
"Ooohne mmmeine Jjackkke sssssaag iiich ggarnix."
"Ok, hie'."
Lala hatte sie mitgenommen und warf sie ihm zu.
"Und du b'ingst uns jetzt zu Mannes Höhle."
"Und was ist, wenn ich es nicht..." Mehre klickende Geräusche waren zu hören, wie wenn jemand den ersten Stein einer ganzen Dominokette angestossen hätte.
Holgi erblickte zehn oder elf Metallstäbe, die alle in seine Richtung zeigten. Er wollte gar nicht wissen, welchen Schaden die anrichten konnten, er wusste ja, was mit Alfreds Dartkasten geschehen war.
"Da lang". Holgi zeigte resigniert in Richtung Schwanengasse. "Ist gleich um die Ecke".
"Alle Mann vo'wääää'ts".

Es war ein krotesker Umzug, der sich da durch die Schwanengasse bewegte. Passanten sahen einen grimmig dreinblickenden Mann, links und rechts eskortiert von kleinen Bodygards, dahinter stolzierte eine nicht viel grössere Amazone mit Pferdeschwanz und am Schluss stapfte ein zwei Meter grosser Hühne mit schwarzem Mantel und Hut hinterher.

"Hach, schon wieder so eine Anti-WEF-Demo."
Eine ältere Dame mit ihrem kleinen Chiwawa an der Leine blieb vor Schreck stehen.
"Immer diese Krawallbrüder, komm Hansi, die machen dir ja richtig Angst".
Sie nahm ihren Hund auf den Arm und trippelte schimpfend in die andere Richtung davon.

Holgi zeigte auf den Eingang eines schäbigen Wohnhauses, vor dem ein vergammelter babyblauer Ford Mustang den Gehsteig zur Hälfte blockierte.
"Da vorne ist es. Schwanengasse dreizehn."
Wie als wäre das ein Kommando zum Angriff, stürmten die Ninjas unter wildem "Hoi, hoi, hoi" los und drängten sich durch den Eingang ins Innere.
Lala rollte mit den Augen und der Schaksowasi grunzte.
"Was soll denn das jetzt?" fragte Holgi.
"Abwa'ten, die kommen wiede'"
In diesem Augenblick öffnete sich erneut die Eingangstüre und ein Ninja steckte den Kopf heraus.
"Äh, Holgi. Welche Ebene?"
"Ebene? Ach so. Vierter Stock"
"Stock? Ah, klar." Der Ninja drehte sich um und stürmte wieder ins Innere.

"Was ist eigentlich in dem Paket, das ihr bei Manni abholen wollt?"
Holgi folgte Lala ins Haus, der Schaksowasi stiess sich den Kopf und fluchte ausserirdisch.
"Ich weiss nu', dass es fü' unse'en Boss sehr we'tvoll ist und wi' es ihm unbedingt zu'ückb'ingen müssen."
"Dein Boss?"
"Ja, Santa Malanga di Tschaba la halva. Von dem k'iege ich auch die C'edits."
"Credits? Was ist das"
"Na, wie sagt ih' dazu? Knete, Kohle, Geld halt."

Hoi, hoi, hoi.
Die Ninjas waren soeben im vierten Stock angelangt.
Ein Ninja hatte sich durchs Geländer gezwängt und hielt seinen Zauberstab wie ein US Marines vor sich.
"Scheisse, ich stecke fest. Lala, da sind Stimmen hinter der Tür.""
"Das muss der E'dling sein, de' uns entwischt ist!" Lala hastete die Treppe hoch.
"Keine Panik jetzt, los, klingeln."

"Euch ist ein Erdling entwischt? Etwa Manne?"
"NEIN, DIETER", schnarrte der Schaksowasi und hielt sich den Unterleib. Dieser Dieter hatte ihm wohl gezeigt, was ein Tritt in die Eier gegen einen übermächtigen Gegner alles ausrichten kann.

"Aufmachen! Wir wissen, daß Sie da drin sind!"
Im inneren waren aufgeregte Stimmen zu hören.
"Lasst mich mal."
Lala kämpfte sich durch die Ninjas durch und klopfte lautstark an die Tür.
Holgi und der Hühne waren soeben im vierten Stock angekommen.
"Ok, wir stü'men! Schaksowasi, eintreten!"
Der zwei Meter Hühne holte aus und trat dann gekonnt die Tür ein. Das Holz splitterte und die Türe zerbarst in hundert Einzelteile. Er grunzte zufrieden und trat zur Seite .

Hoi, hoi, hoi.
Die Ninjas stürmten die Wohnung, entdeckten die beiden Gestalten und umzingelten sie sofort.
Als Holgi, der Schaksowasi und Lala ebenfalls eintraten sahen sie, wie einer der beiden Umzingelten sich eine Selbstgedrehte in den Mund steckte und mit der anderen Hand an einem kleinen Kästchen rumspielte.
"NEIN", schrie Lala.
Doch Johannes Kruger hatte seinem Trieb nicht wiederstehen können. Er grinste und drückte den roten Knopf.

 

Kapitel acht - Das Chaos lichtet sich... teilweise

"Eine Zweckentfremdung des Zweckes in seiner Eigenart als Existenz zum Selbstzweck ist eigentlich vollkommen unnötig, weil eigentlich alles irgendwie zwecklos ist."
(Gunnar von Ölz - Erfinder der doppelläufigen Hatschina)

Materie, was ist das eigentlich? Man könnte es sich natürlich einfach machen und sagen, Materie ist alles, an dem man sich fies das Knie stößt, wenn man über seine viel zu großen Hausschuhe stolpert, sich mit dem T-Shirt in der Türklinke verheddert und dann auf die Fresse fällt. Das wäre natürlich nicht ganz falsch, ginge jedoch am Kern der eigentlichen Sache vorbei. Materie ist nämlich in Wirklichkeit alles, was sich nicht eindeutig als Nichtmaterie definieren kann.
So einfach das in der Theorie klingen mag, so kompliziert und beinahe nervenzerfetzend schwierig wird die Sache in der Praxis. Zwischen Materie und Nichtmaterie besteht auf quantenmechanischer Basis nämlich so gut wie kein Unterschied und eigentlich wissen die meisten Atome nicht, auf welcher Seite des Universums sie eigentlich stehen. Das erklärt übrigens auch das Mysterium um Schrödingers Katze, die nicht nur nicht tot und nicht lebendig, sondern zudem auch nicht ganz da ist. Zumindest nicht gleichzeitig. Man muss das nicht im Detail verstehen, es genügt zu wissen, dass das ganze Universum eigentlich auf purer Unsicherheit basiert.

...

John Kruger drückte also auf den roten Knopf. Vorher grinste er noch, aber das spielte keine Rolle. Viel wichtiger war, dass sich im Innern des Kastens ein Stromkreis schloss, elektrische Potentiale sich ausglichen und eine Spannung bildeten, die sich durch einen Widerstand teilte und schließlich in einem Stromfluss mündete, der sich mit katzengleicher Agilität kreuz und quer über die vollkommen chaotisch angeordneten Leiterbahnen ausbreitete, Kondensatoren auflud, induktive Magnetfelder aufbaute und im selben Moment wieder sinnlos zusammenbrechen ließ, nur so zum Spaß eine Leuchtdiode zum Blinken animierte und schließlich das Universum, wie John Kruger es gekannt hatte, zum Einsturz brachte.
Der Materiedisintegrator funktionierte einwandfrei und sandte sein PEF (Permanentes UnsicherheitsFeld) in alle Richtungen des Raumes. Man konnte es nicht sehen, es sei denn, man bewegte seinen Kopf mit Lichtgeschwindigkeit um genau jene imaginäre Achse, die der eigene linke Daumen mit dem Mond bildete und blinzelte. Die von diesem Feld betroffenen Atome wurden von einem Gefühl der steten Unsicherheit befallen und stellten sich alle gleichzeitig die Frage nach dem Sinn des Lebens. Das führte zu einem kompletten Zusammenbruch der Realität, gefolgt von einem umgehenden Neuaufbau mit teilweise anderen Bastelanleitungen. Die Folgen für die Welt in alle ihren Details wiederzugeben, würde sicher den Rahmen sprengen, aber auf jeden Fall sollte man sich von Begriffen wie "Lichtgeschwindigkeit" und "absoluter Temperaturnullpunkt" trennen, da sie beide nicht mehr existierten.
Ebenso wie die Killerninjas übrigens.

"WO NINJAS?", fragte der Shaksowasi und kratzte sich nachdenklich am Kopf. Natürlich dachte er nicht wirklich nach, weil Shaksowasis mit so etwas nie aufhalten, aber dennoch kratzte er sich am Kopf. Vermutlich ein Floh.
"Wa'um hast du den Knopf ged'ückt?"
"Hör mal, Lady", sagte Kruger und nahm einen tiefen Zug seiner Zigarette. "Ich wäre nicht soweit im Leben gekommen, wie ich gekommen bin, wenn ich immer auf alles gehört hätte."
"Abe' du hast alles kaputt gemacht."
"Wer sagt das? Ist doch alles paletti hier. Ich bin da, er ist da, dein großer Freund ist da, dein kleiner Freund mit dem Schal ist da, du bist da und... ach übrigens... was zum Geier macht ihr hier eigentlich alle?"
"Was hast du mit meine' Kampfg'uppe gemacht?" Die Amazone war den Tränen nahe. Sie schien diese Jungs wirklich gemocht zu haben.
"Lady, wenn ich das wüsste, würde ich es sicher noch mal machen und alle bis auf uns beide verschwinden lassen." Kruger zwinkerte. Gemessen an seinem derzeitigen Alkoholpegel, der stark unter Normal lag, der aktuellen Situation und dem eben Erlebten ein ziemlich guter Anmachspruch, für den Kruger sich innerlich gratulierte. Er war halt immer noch der Alte. Dennoch war jetzt keine Zeit, an Sex zu denken, immerhin hatte er einen Fall zu lösen. Einen Fall, der, wie Kruger zugeben musste, in den letzten Sekunden seinen Händen irgendwie entglitten war. Er strich sich über seine Bartstoppeln, die für ihn schon immer eine Art Fixpunkt im Universum dargestellt hatten und fuhr fort. "Also, jetzt mal ganz ohne Scheiß. Wer seid ihr?"
"Ja, also, ich bin der Holgi. Und eigentlich hab ich doch nur meinen Schal holen wollen und ich kann auch gar nichts dafür, dass die mich hier wieder hergeschleppt haben, ich meine ich wollte doch nur den Schal abholen, weil ich den dem Manni geliehen hab."
"Holgi, sagst du? Kleinen Moment, ich komm gleich wieder." Krugers Gehirn arbeitete nach dem Grundsatz der assoziativen Gedankenkettenbildung in Verbindung einer permanenten Suche nach Promille. Holgis Name brachte ihn auf die Notiz an der Klotür und diese wiederum erinnerte ihn an sein Vorhaben, den Kühlschrank nach Bier zu untersuchen. Und tatsächlich wurde er fündig. Unschuldig, als wären sie schon immer dort gewesen, lagen neun volle Bierflaschen im obersten Fach des Schrankes. Kruger nahm eine davon in seine erfahrenen Hände und besah sich das Etikett. Es war schwarz ohne Beschriftung.
"Ach, scheiß drauf!" Er öffnete die Flasche mit seinem Einwegfeuerzeug und nahm einen Probeschluck. "Ja, geht... so, zurück zu euch. Wer ist die Lady in dem Lederanzug? Der sieht übrigens verflucht scharf aus, muss ich schon sagen."
"Ich bin Lala", sagte Lala, die froh war, dass jemand die Situation in die Hand nahm. "Und ich suche den Mate'iedisintig'ato'. Mein Boss, Santa Malanga di Tschaba la halva, bezahlt mir einen Haufen C'edits dafü'."
"Credits?"
"Naja, Knete, Kohle, Geld halt." Sagte Holgi, stolz, endlich was verstanden zu haben.
"Ahso. Na gut, wenn ich das richtig verstehe, ist der Dicke da dein Kumpel, oder?"
"SHAKSOWASI."
"Sag ich ja. Ich muss euch also nur das Ding hier geben und ihr verpisst euch?"
"Das ist unse' P'imä'ziel. Gib he'."
"Okay, dann macht euch vom Acker." Wie bereits erwähnt, konnte John Kruger mit Vorschriften und Befehlen nicht viel Anfangen. Und so war es weniger ein Akt der Bosheit, als mehr der reinen Gewohnheit, dass er den Materiedisintegrator einfach aus dem offenen Fenster warf. Lala stieß einen ebenso entsetzten wie entzückenden Schrei aus und rannte mit ihrem Begleiter in Richtung Treppenhaus.

"So", sagte Kruger. "Wollt ihr'n Bier?"
"Bier? Wer hat gesagt, dass ich Bier will, hä? Ich habe nie gesagt, dass ich Alkohol trinke. Mir kannst du nichts anhängen."
"Jaja, das hatten wir schon. Also, ich nehm noch eins. Du auch, Holgi?"
"Klaro." Das war das erste vernünftige Wort, das man heute an ihn gerichtet hatte.
"Also, du hast dich ja schon vorgestellt.", sagte Kruger, gab Holgi eine Flasche und drehte sich selbst eine neue Kippe. Roll, roll, leck, falt und fertig. Zweieinhalb Sekunden, neuer Rekord. Er wandte sich dem Verrückten zu, den er ganz zu Anfang in dieser Wohnung getroffen hatte. "Sag schon, wer bist du?"
"Du gehörst nicht zu denen, oder?"
"Glaub mir, wenn das so wäre, hätte ich dir längst ne Kugel durch den Kopf gejagt. Langsam gehst du mir echt auf die Eier."
"Okay okay, tut mir leid. Mein Name ist Dieter. Die haben mich vor zwei Monaten entführt und schlimme Sachen mit mir gemacht. Mir Sachen in den Körper gesteckt und so. Aber ich konnte fliehen."
"Interessant", log Kruger und kratzte sich am Hintern.
"Naja, und dann hab ich vor ein paar Tagen diesen Typen in der Fußgängerzone gesehen. Sie sind direkt unter uns stand auf dem Schild. Sie sind unter uns! Verstehst du? Unter uns!"
"Ja, direkt unter uns sogar. Und weiter?"
"Mir war klar, dass das ein Zeichen war. Und darum bin ich hierher gekommen. Der Mann, der hier wohnt, wurde nämlich mit mir zusammen entführt. Manfred hieß der."
"Aha, jetzt kommen wir voran. Bier?"
"Ja, bitte. Jetzt hätte ich gern eins."
"Eine Frage hätte ich da noch. Wer zum Geier sind eigentlich die?"
"Blöde Frage. Du hast sie eben verscheucht."
"Du meinst, die Weltraumschnalle und ihr Kleiderschrank haben dich und Manfred entführt? Dann haben die uns verarscht."
"'ichtig", sagte Lala triumphierend. Sie stand in der Tür, den Materiedisintegrator in der einen, eine Strahlenpistole in der anderen Hand.
"Scheißtag."

 
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Kapitel neun – Alte Schulden

„Wi’ nehmen euch jetzt mit. Alle!“
Dieter fuhr so heftig zusammen, dass er Kruger die Bierflasche aus der Hand stieß. Der kostbare Inhalt ergoss sich über den Wohzimmerteppich.
„Schei…“
Der bläuliche Blitz aus der Strahlenpistole zuckte zu der Flasche und pulverisierte sie in einem Sekundenbruchteil.
„Keine’ bewegt sich! Shaksowasi, alle fesseln!“ Ein triumphierendes Grinsen schlich sich auf Lalas Gesicht. Zusammen mit ihrer Stupsnase sah es einfach nur hinreißend aus.
„Das schöne Bier“, knurrte Kruger, während er langsam seine Hände hob. Mit einer Weltraumschnalle mit Materiedisintegrator sollte man besser nicht diskutieren. Auch wenn sie noch so niedlich war. Zu allem Überfluss hatte er seine Kippe gerade auf einem herumstehenden Frühstücksteller abgelegt. Er wagte nicht, danach zu greifen. Scheißtag.
Der Kleiderschrank drängte sich hinter Lala hervor und stapfte zunächst auf Dieter zu, der hysterisch zu schreien begann und mit den Armen fuchtelte.
„Nein, nein! Lasst mich! Ich gehe nicht zurück!“ Mit einem Hechtsprung warf sich Dieter in Krugers Richtung. Vermutlich glaubte er sich hinter der massigen Gestalt in Sicherheit. Leider war es mit seiner Koordination nicht so weit her. Er verfehlte Kruger um nur knapp einen Meter und riss stattdessen den Wohnzimmertisch um. Dann geschahen mehrere Dinge beinahe gleichzeitig. Vielleicht auch um ein Augenzwinkern versetzt, aber das konnte später sowieso niemand mehr nachvollziehen. Lalas Pistole zuckte, Holgi warf sich geistesgegenwärtig zu Boden, doch bevor der Vernichtungsstrahl irgendetwas Sinnvolles vernichten konnte, zersprang der Teller mit Krugers Kippe auf dem Fußboden. Die Zigarette selber segelte in einem eleganten Bogen durch die Luft, bevor sie zielsicher in der Bierlache landete.

An die darauf folgenden Ereignisse konnte sich Kruger nachher nur noch schemenhaft erinnern. Die Amazone im Lederkostüm kreischte schrill, der Kleiderschrank fluchte und der Rest der Anwesenden, inklusive Kruger selber, schrieen wild durcheinander, als auf Mannis Wohnzimmerteppich ein Feuerwerk mittlerer Güte abging, begleitet von einer mittelschweren Rauchentwicklung in den vorteilhaften Farben violett und hellgrün. Blaue Blitze zuckten durch die Gegend und lösten alles Mögliche auf, glücklicherweise jedoch keine lebenswichtigen Teile von irgendwem.
Eine der wichtigsten Eigenschaften eines Privatdetektivs war es, in lebensbedrohlichen Situationen die Kontrolle zu behalten. Zumindest hatte Kruger sich das immer so vorgestellt. Tatsache war, dass er aus reinem Zufall hustend die Wohnungstür erreichte. Dabei stolperte er versehentlich über Holgi, der gerade dabei war, sich seinen Schal um Mund und Nase zu winden. Geistesgegenwärtig packte Kruger ihn am Kragen und schleifte ihn in Richtung Treppe. Hinter ihnen kreischte Lala immer noch wild Befehle.
„Packt sie. Keine’ da’f entkommen!“ Sie schien vergessen zu haben, dass de Ninjas nicht mehr existierten. Zumindest nicht in dieser Dimension. Ein lautes Krachen sagte Kruger, dass der Shaksowasi gerade auf den anderen Kleiderschrank getroffen war. Hoffentlich verbrachten sie recht viel Zeit miteinander.
Holgi hinter sich her zerrend stolperte Kruger die Treppe hinunter. Er hatte spontan beschlossen, die Ermittlungen in diesem Fall auf einen weniger gefährlichen Ort als die Wohnung des Verschwundenen zu vertagen. Auf den Mars vielleicht. Jetzt, wo die Weltraumschnalle von dort abgehauen war, musste das ja ein geradezu idyllischer Ort sein.

Hinter Krugers Lieblingsmustang parkte ein weiteres Auto. Eigentlich eher eine Karre. Kaum den Vergleich mit seinem Schmuckstück wert. Es war ein schwarzer Ford Kombi mit so vielen Luftlöchern, dass man eigentlich gleich ein Kabrio draus hätte machen können. Und an dem Ford lehnte eine fremde Frau in schmutzigen Bluejeans und einem geschmacklosen Holzfällerhemd und starrte zu Manfreds Wohnung hoch.
Kruger folgte ihrem Blick mit den Augen. Aus den Fenstern drangen nun lustige gelbe und rote Funken, durchmischt mit dickem Rauch, der inzwischen einen hässlichen Rosaton angenommen hatte.
„Gutes Bier.“ Kruger zupfte seinen Trenchcoat zurecht und zückte den Tabak, während Holgi panisch auf Manfreds Fenster starrte. Roll, roll, leck, falt und fertig. Verdammt. Seine Hände zitterten noch. Dreieinhalb Sekunden. Musste an dem blöden Rauch da drinnen liegen. Dann erst fiel ihm ein, dass er Dieter in der Wohnung gelassen hatte.
„Verdammt“
In dem Moment schien die fremde Frau zu beschließen, dass sie sprechen konnte.
„Habt ihr Manfred gesehen?“
Warum überraschte Kruger das kein bisschen? Alles, wirklich alles schien sich um diesen Kerl zu drehen. Er steckte seine Kippe an und zog die Schultern hoch.
„Kann sein, Lady, was wollen sie denn von ihm?“
Die Fremde musterte ihn abschätzig. Sie schien von seinem Gesamtbild nicht beeindruckt zu sein. Wenn schon, sie war auch nicht grade Krugers Typ. Mannweib, das.
„Wollt’ nur was abgeben. Hatte ich vergessen, einzubauen. Zielkoordinateneingabesystem“ Sie zog eine unscheinbare Schalttafel aus der Hemdtasche. „Außerdem schuldet er mir noch Geld“
„Was für ein Zufall. Uns nämlich auch!“
Kruger wollte gar nicht wissen, woher die beiden Gorillas in den schicken Designeranzügen sich plötzlich materialisiert hatten. Aber die unauffälligen Ausbuchtungen unter ihren Jacketts beeindruckten ihn. So einen Schultergurt musste er sich auch mal zulegen, wirkte so schick professionell.
Die beiden Gorillas waren gleich groß, gleich braungebrannt, hatten das gleiche zurückgegelte schwarze Haar, die gleichen modische Sonnenbrillen und trugen italienische Designerschuhe. Vermutlich benutzten sie auch die gleiche Zahnpasta. Das war kein gutes Zeichen.
„Signore Manfred hat vor einiger Zeit … sagen wir … einen Kredit bei uns aufgenommen. So einen, bei dem man nicht erst vorher fragt, capisce? Und nun würde unser … Onkel gerne wissen, wo er sich aufhält. Sie können uns doch näheres sagen, nicht wahr?“ Sie rückten so nahe an Kruger heran, dass dieser ihr teures Aftershave riechen konnte.

Lala hätte sich keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können, um mit einem Amazonenkampfschrei aus dem Fenster des vierten Stocks zu springen. Die Köpfe beider Gorillas zuckten synchron nach oben, Holgi ließ sich wimmernd zu Boden fallen und das Mannweib riss die Tür ihres Ford auf.
„Rein da, wir hauen ab!“

 
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Kapitel zehn ? Auf der Flucht

»Es ist unerheblich, ob man Beute oder Jäger ist. Solange man gewinnt.«
Gunnar v. Ölz, Autor von »Ich schon, aber du?«

Sie stiegen in den Wagen.
Kruger haderte kurz mit seinen Vorsätzen, entschied sich aber, sie kurzerhand zu brechen, als Lalas tiefes Profil direkt neben ihm auf der Karoserie des Wagens aufschlug.
»Iiiiiiiijaaa!« schrie die kleine Kampfbestie.
Die Tür schloss sich hinter Kruger.
»Alles senkrecht, da hinten?« fragte er.
Holgi nickte verwirrt.
Und Dieter rollte mit den Augen wie ein Irrer.
»Wo kommt der den plötzlich her?« rief Kruger, doch da wurde er auch schon in den Sitz gepresst, als das Mannweib das Gaspedal fand.
Kruger drehte sich erst einmal eine Zigarette. Roll, roll, leck, falt und fertig.
»Puh, das war vielleicht knapp«, nuschelte er.
»Dann guck mal in den Rückspiegel, Cowboy«, sagte die Fahrerin.
Kruger tat wie geheißen. Zwei will rollende Augen guckten ihn an. »Sehr lustig, ähh...« Einen Moment lang haderte er mit dem Wort, doch er hatte schließlich einen Ruf zu verlieren. »... Schätzchen?« Er ließ es leicht fragend ausklingen.
»Die verfolgen uns, du Spinner!« rief die Frau. »Und hier wird nicht geraucht.«
»Na dann«, grinste Kruger und zündete seine Kippe an.
Er stellte den Rückspiegel neu ein und wurde sich der Brenzligkeit der Situation bewusst. Die siamesischen Mafiagorillas hatten sich einen funkelnd schwarzen BMW gekrallt und fetzten mit quietschenden Reifen hinten ihnen her. Aber was viel Beunruhigender war. Auch Lala hatte die Verfolgung aufgenommen. Auf den Schultern von Shaksowasi, dem Hünen. Und der war verdammt schnell, als er hinter ihnen herlief.
»Sie werden uns kriehigen«, rief Dieter von der Rückbank. »Sie werden unsere Gehirnzellen durch das Sieb der Grausamkeit filtern und den Überstand in asiatische Affenhirne pflanzen.«
Holgi war ziemlich unwohl zumute. Krampfhaft umklammerte er den Schal. Die Situation war ernst, brenzlig, bedauerlich, schrecklich, angsteinflößend, beunruhigend, mörderisch und ... spannend, sauspannend, um genau zu sein. Das hier war wie Film, wie großes Kino, nur dass nicht ein gutaussehender Bruce Willis der Held war, sondern er, Holgi.
John durchwühlte das Handschuhfach nach Waffen.
Er fand statt dessen eine altes Käsebrot. »Ahh, du bist Vegetarierin«, sagte er.
Die Fahrerin sah ihn mit einem merkwürdigen Blick an.
»Naja, nicht weiter tragisch, ich persönlich glaube ja, dass Vegetarier nur deshalb kein Fleisch essen, weil sie Angst vor den Gelüsten des Fleisches haben... du verstehst?«
Der BMW rammte den Ford von hinten.
»Scheiße«, schrie die Frau. »Ich werde diesen blöden Arschgeigen so was von die Fresse polieren, dass selbst ihre Mutter nicht mehr wissen wird, wo den nun bei ihnen der...«
KRACH. Wieder rammte der BMW den Ford.
»... ist und ich werde ihnen so heftig in die...«
KRACH.
»... treten, dass sie künftig im Knabenchor den Sopran singen können, diese blöden, verdammten, idiotischen...«
KRACH.
Kruger starrte die Frau mit offenem Mund an, die Zigarette in der Hand. »Ich glaube, ich bin erregt«, sagte er. »Wie heißt du eigentlich?«
»Sascha«, sagte die Frau.
»Ich kannte mal einen Sascha«, erzählte Kruger, »war ein feiner Kerl, etwas tuntig zwar, aber er hatte das Herz am rechten Fleck. Hatte aber eine merkwürdige Vorliebe für gebratenes Kaninchen. Kennst du ihn?«
»Nein.«
»Auch gut.«
»Schnelle?, wir m?ssen sie einh?olen!« hörte Kruger eine hohe Stimme direkt hinter ihnen.
Er drehte sich um und sah Shaksowasi mit Lala auf den Schultern bedrohlich näher kommen. Lala hatte zudem eine dieser doofen Strahlenpistolen gezückt und zielte in diesem Moment auf Krugers Kopf (seiner Ansicht nach zwar nicht sein wichtigstes Körperteil, aber auch sein unwichtigstes war ihm zu schade vaporisiert zu werden).
»Schneller«, rief er Sascha zu. »Ich weiß nicht, ob du schon mal Auto gefahren bist, also möchte ich dir nicht zu nahe treten, aber das Gaspedal ist ganz rechts.«
Sascha würdigte ihn keines Blickes. Sie hatte das Pedal bereits bis zum Anschlag durchgetreten.
»Sie kohohommen«, rief Dieter und konstatierte das Offensichtliche. »Mit den Bakterien der ewigen Unschuld werden sie unser Gonaden infizieren, auf dass unsere Geschlechtsteile zu großen Bällen anschwellen, die mit Helium gefüllt sind und wir in den Himmel schweben.«
Kruger schüttelte den Kopf.
KRACH.
Langsam ging ihm die Situation gehörig auf die Nerven. Er würde sich etwas ausdenken müssen. Eine Waffe, er brauchte eine Waffe. Wieder durchwühlte er das Handschuhfach, er fand allerdings nur eine Dose Cola.
Shaksowasi gab ein wildes Knurren von sich. Kruger schüttelte die Dose wie ein Verrückter, kurbelte das Fenster herunter und öffnete sie. Cola spritze aus der Dose und direkt in die Augen von Shaksowasi. Dieser schrie wütend auf und blieb stehen. Im selben Moment feuerte Lala, traf die Dose, die daraufhin in Krugers Hand explodierte.
John verlor seine Zigarette, was für ihn schlimm genug war.
»Fuck«, rief er.
Er brauchte zwei Sekunden, sich eine neue zu drehen, aber trotzdem: die alte hatte er erst zu sieben Achteln fertig geraucht.
»Oh schön«, rief Dieter und klatschte in die Hände. »Die Phosphorsäure hat das Kalzium in Shaksowasi Augen abgebaut, jenen Bestanteil, ohne deren Hilfe er nicht mehr sehen kann, denn die Kalziumionen werden zum Aufbau des elektrischen Potentials in seiner Netzhaut gebraucht.«
Kruger drehte sich um und sah Dieter an, der grinsend mit den Augen rollte.
»Bist du ein Freak oder so?«
»Durchaus möglich«, sagte Dieter.
KRACH
Ach ja, da war ja noch etwas, dachte Kruger rauchend.
Der BMW hatte bedenklich aufgeholt, war gerade dabei, den kleinen Ford zu überholen.
Jetzt wird es verdammt eng, dachte Kruger.
Doch Sascha riss das Lenkrad zur Seite und rammte den BMW, dieser schwenkte zur Seite und rammte mehrere Müllcontainer, die am Straßenrand drapiert worden waren.
Sascha gab wieder Gas und der Ford schnellte unter Ächzen und Stöhnen nach vorne.
»Jetzt bin ich beeindruckt«, gab Kruger zu.
Sascha grinste breit.
»Der BMW hat zwei Müllcontainer gerammt und hat keinen einzigen Kratzer im Lack.«
Saschas Grinsen gefror.
»Vorsicht«, schrie Holgi plötzlich.
Und Sascha drückte auf die Bremsen.
Der Ford kam mühevoll zum Stehen, gerade noch rechtzeitig.
Vor ihnen stand...
Vor ihnen...
»Jetzt kapiere ich gar nichts mehr«, sagte Kruger.

 
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Kapitel elf - Whisky und Apfelkuchen.

"Manche trauen Politikern, Pfarrer trauen Paare. Vertrauen ist gut, Kontrolle überlebenswichtig."
Gunnar v. Ölz, Aus "Vertrauenssache - Das Ziehen der Arschkarte".

Sascha traute ihren Augen nicht. Vor ihr ragte ein riesiger Ghettoblaster in den Himmel. Die turmhohen Boxen zu beiden Seiten vibrierten leicht und sie hörte unverkennbar das leise Anschwellen des Intros zu AC/DCs Thunder Struck.
Roll, roll,...
"Nein, ich kapiers wirklich nicht. Sonst bleibt doch der Tabak auch immer auf dem Papier. Wirklich langsam Zeit für einen Schluck Whisky."
Kruger war so mit seinen Krümeln auf der Hose beschäftigt, dass ihm die heruntergeklappten Kinnladen seiner Weggefährten entging.
"Ich hätte dem alten Sack von der Ecke doch keinen Chesterfield abkaufen sollen, von wegen Direktimport und so."
Roll, roll, leck, falt und fertig.
"Na, geht doch. Hei, warum seid ihr eigentlich alle so sti..."
Kruger schaute auf, und sein Gesichtsausdruck passte sich schlagartig dem der anderen an.

Johns Aussicht auf die City wurde durch eine zwei Stockwerk hohe, riesige Flasche Single Malt, Marke Glenmorangie versperrt. Die tiefstehende Sonne leuchtete golden durch den Whisky und tauchte die Flüssigkeit in einen glühenden See der Sinne. An der linken Flaschenseite lehnte eine Zigarettenpackung Marke Gauloise, oben aufgerissen. Ein Glimmstengel, dick wie ein Ofenrohr, ragte weiss leuchtend hervor. John vergass sofort seine neue Selbstgedrehte.

"Mann, das ist der grösste Apfelkuchen, den ich je gesehen habe."
Holgi fand als erster den Schalter für das Sprachzentrum und schob seinen Kopf zwischen Kruger und Sascha.
"Und ich dachte immer, grösser als Ommas Kuchen geht nicht."

Sascha und Kruger starrten beide gleichzeitig auf Holgi.
"Blödsinn, das ist ein top moderner Ghettoblaster!"
"Quatsch, das ist Whisky vom feinsten!"
"Apfelkuchen!"
"Ghettobla..."
"Whisky"
"Apfel..."
"Darf ich auch mal, ja?"
Dieter hatte sich als letzter aus seiner paralysischen Umklammerung gelöst.
"Das ist eine anästhekinesierende Massenpsychose, hi, hi. Ausgelöst durch oszillierende Mikrowellen, welche sich via äusseren Gehörgang suggestiv stimmulierend auf unser Sehzentrum auswirken."
- Plopp -
"Jeder sieht was anderes, ist das nicht toll?"
Und wieder steckte Dieter einen Finger in den Mund, seine Backe wölbte sich und - Plopp -.
"Doch ein Freak." Kruger schnaubte.
"Und was schlagen Herr Professor nun vor?"
"He, kuckt mal, die beiden Gorillas gehen direkt auf den Apfelkuchen los."
"Ghettobla..."
"Sascha."
"Ja?"
"Ach, vergiss es."
Kruger wurde es nun wirklich zu blöd. Alles was er jetzt noch wollte, war endlich diesen Manfred finden, dafür fünf Riesen zu kassieren und sich dann mit einer guten Flasche Whisky ein paar Tage unter seinen Schreibtisch zu legen.

Die beiden MIBs hatten das Ghetto-Whisky-Apfeldings fast erreicht, als plötzlich ein grelles Licht den Wagen durchflutete. Mit einem Schlag lag nur noch der Horizont mit der Skyline der City vor ihnen.
"Da, da, seht ihr?"
Dieters Stimme überschlug sich förmlich
"Die sind entführt worden. Wie ich damals. Das ist wie beim Rattenfänger von Hamburg"
"Hameln", korrigierte Sascha.
"Rammeln? Jetzt?"
"Oh, Mann. Hat hier drinnen noch jemand einen klaren Kopf?"
Sascha drehte sich auf ihrem Sitz um und blickte hinter Kruger durchs Seitenfenster in einen heranfliegenden Kürbis, was sich als Kopf des Schaksowasis herausstellte. Das Glas splitterte und der Geruch nach Cola und Säure machte sich im Wagen breit.
"Hilfe, das Räumkommando ist wieder da."
"RAUS HIER", rief Sascha und alle, bis auf Kruger sprangen aus dem Wagen. Der musste erst mehrmals mit der Türe gegen das Schienbein des Eindringlings schlagen, bis dieser jaulend den Weg nach draussen frei gab.
Weitere Glassplitter ergossen sich auf die Strasse, als Kruger sich mühsam aus dem Ford herausschälte.

"Schak, halla mai stan! Ve'dammt."
Lala sass neben einem Hydranten auf der Bordsteinkante und pfiff ihren Leibwächter zurück. Warscheinlich hatte sie der Schaksowasi in seiner Orintierungslosigkeit versehentlich abgeworfen. Ihr Gesicht war jedenfalls schmerzverzerrt und sie hielt sich den rechten Arm.
Es sah so aus, als hätte sie nun doch die Nase voll vom Räuber und Chandarm spielen.

Kruger bliess wehmütig den Rauch in Richtung City, wo vorhin noch die gute Flasche Whisky stand und jetzt nur noch die tiefe Sonne rotglühend das Ende eines verrückten Tages ankündigte. Der Ford stand, umgeben von zahlreichen Glassplittern und mit offenen Wagentüren mitten auf der Strasse. Kein Mensch ausser ihnen schien in diesem verlassenen Quartier was zu suchen haben. Der Schaksowasi hockte schmollend auf der Kühlerhaube und rieb sich das Schienbein. Kruger hatte das Gefühl auf einem Filmset zu sein.
Fehlte nur noch die Stimme aus dem Off:
'Klappe, Schnitt. Danke, das war's. Holt euch nen Kaffee.'

Roll, roll, leck, falt und fertig.
"So Leute, können wir mal Bilanz ziehen, ich habe nämlich noch einen Auftrag zu erfüllen." Kruger zündete sich die neue Kippe an und schnippte das Streichholz in Richtung Glasscherben.
"Genau, ich glaube, es ist Zeit die Karten aufzudecken."
Sascha griff in ihre Tasche und zog einen silbrig glänzenden Gegenstand heraus.

 
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Kapitel 12 – Scheiß Kippen

»Nur weil es Raucherzonen gibt, muss man nicht in einer leben.«
Josef von Ölz (Bruder und Nachlassverwalter des mittlerweile verstorbenen Gunnar von Ölz) aus »Wer erbt hat sozusagen im Lotto gewonnen«

Ein leises Summen, welches sich unaufhaltsam in seine Gehörgänge ausdehnte, weckte ihn auf. Der Sabber, der von einigen Stücken Pizza und mächtig viel Kaffee die Schaltarmatur überzog, bildete einen langen, geschwungenen Faden zwischen Mundwinkel und Mikrofon. Er betrachtete den rot blinkenden Knopf an dem Warngerät und dachte an Sex mit Jeanette, seiner großen Liebe, die mittlerweile mit einem reichen Hautarzt verheiratet war und zwei Kinder großzog. Träume waren seine Zuflucht in die vermeintliche Realität des Seins.
»Leutnant Parker ruft Raumüberwachungszentrum…«
Während er dies durch das Mikrofon lallte, bereitete er sich eine weitere Kanne Kaffee.
Es war ein gewisser Automatismus, der sich mitten in der Nacht, immer und immer wieder von neuem abspielte.
»Was gibt’s Luke«, ächzte es fragend aus den Lautsprechern. Keine Frage, an den Boxen haben sie gespart.
»Hi Tim. Bei mir summt und blinkt es. Ich benötige…«
»Viel Sex und ein paar Bier…«
»Jaja…«
»Jede Nacht dasselbe. Gib mir mal was anderes zu tun.«
»Schick mir die negative Bestätigung, okay.«
»Locker bleim, geht los.«
Der Kaffee war mittlerweile durchgelaufen und fand seinen Weg in den Magen von Luke. Nachdem er den brennenden Schmerz des heißen Getränks überwunden hatte, zündete er sich eine europäische Zigarette an. Eine Austauschstudentin namens Sascha hatte ihm zum Geburtstag ein paar Päckchen diverser Marken zugesandt. Genüsslich sog er den Rauch in seine Lungen und malte sich dabei aus, wie schwarz diese nun schon sein müssten.
»Positiv! Positiv! Die Meldung ist POSITIV!«
Luke verschluckte sich und prustete den, noch nicht der Verdauung zugeführten Kaffee über die Konsole. Der Schreck durchzog alle Glieder und ließ jeden Muskel in ein zuckendes Durcheinander übergehen. Bevor er sich versah, rutschte er von der Sitzfläche seines Stuhles, riss den Kaffeebecher vom Armaturenbrett und verbrannte sich an der leckeren, europäischen Zigarette. Konnte es noch schlimmer kommen? Was für eine Frage.
»Positiv. Oh ja Baby, die Meldung ist positiv«, betonte Tim singend.
Die Lautsprecher tauchten die Worte in ein gruseliges Gelalle. Luke rappelte sich auf und wischte beiläufig die Konsole trocken, während er beide Ärmel dafür benutzte.
Das Headset hatte den ersten großen Sturz überlebt und schmiegte sich nunmehr auf etwas ungewohnte Art und Weise um seinen Kopf.
»Parker an Raumüberwachung: erbitte Bestätigung. Wiederhole: erbitte Bestätigung.«
»You are not alone… schubiduhu…«
»Bestätigung!«
»Es gibt sie, sie sind unter uns. Mitten unter uns.«
»Tim, ich benötige die Bestätigung des Signals. Alles klar bei dir?«
»Sie sind unter un… SSSSbhgfrt FFFFFjiTTTfG…«
»Tim?«
»PFFFT«
»Tim?«
»AAA’GHHH!«


»Und du bist dir sicher, dass dein Mann nichts davon weiß?«
»Absolut. Er ist auf einer Dermatologenkonferenz und erst Donnerstag wieder zurück.«
»Oh, gut.«
»Oh ja.«
»Wir könnten ja mal eine etwas andere Stellu…«
»Was ist?«
»Ich bekomme gerade ein Nachricht.«
»Du bist nackt!«
»Und?«
»Nachricht. Nackt. Was kann hier wohl nicht so recht passen, hm?«
»In der rechten Achsel eingepflanzter Beeper.«
»Bah.«
»Treffender hätte ich es nicht formulieren können.«
»Achselpieper.«
»Machst du dich etwa lustig?«
»Ich frage mich nur, wie du das Gespräch annimmst; wie hebst du ab?«
»Haha. Ruhig jetzt.«
»Angeber.«

»Sir? Sir, wir haben ein Problem. Die Kontaktmeldung fällt positiv aus, positiv Sir. Raumüberwachungszentrum ist nicht mehr zu erreichen. Ich glaube, wir sind nicht mehr allein…«
»Ganz ruhig… äh…«
»Leutnant Parker Sir.«
»Okay Parker, hören sie mir genau zu.«
»Ja Sir.«
»Haben sie ausreichend Kaffee?«
»Häh?«
»Koffein, genug Koffein?«
»Ja, aber wozu?«
»Die einzige Waffe gegen diese Aliens...«
»Die Krönung?«
»So sieht’s aus.«
»Ich hab aber nur noch entkoffeiniert vorrätig.«
»Oh mein Gott.«
»Sir, jetzt bekomme ich Angst.«
»Jetzt hilft nur noch eins…«

Das Teil glänzte so silbrig, dass es jeden in seinen Bann zog. Jeder starrte auf diesen kurzen, zylindrischen Schaft und schien völlig fasziniert. Sascha war die einzige, die ihren Blick abwandte und hoffte, dass es funktionieren würde. Major Barnes hatte sie gewarnt.
»Silber ist so… so silber. Oder?« Kruger behielt die Zigarette zwar im Mund, war aber nicht mehr fähig klar zu denken, geschweige denn normal zu rauchen. Dem Rest erging es ähnlich – zumindest was das Denken anbetraf.
Sascha ließ den Knopf, auf dem ihr Daumen ruhte, in die Versenkung verschwinden. Sie dachte an Barnes Worte und Luke Parker, der mittlerweile zu temporären Staub zerfallen sein muss. Der Raum verbog sich in ein schlankes Band der Unendlichkeit und sog die Zeit in einen Strudel der Vergesslichkeit. Die Realität verschwand in ein unwirkliches Weiß und schluckte die Ursachen und Konsequenzen. Alle standen sie inmitten einer unbeschreiblichen Blase der Vergessenheit.

John Kruger war das mittlerweile alles zu blöd. Den zweiten Realitätsverlust konnte er nicht so ohne weiteres ertragen.
»Gibt´s hier kein Bier?«
»Was riecht hier so komisch«, wollte Holgi wissen.
Von einem entfernten Punkt drang die Antwort, leise näher hallend.
»Drück den roten Knopf Kruger. Drück den Knopf. Du musst dich befreien. Finde mich in der Wirklichkeit.«

Kruger war klar, er hatte zu wenig getrunken und viel zu viel geraucht.

 

Kapitel 13 - Alles auf Anfang

"Das schlimmste an Jutta war ihr Jähzorn. Gut, ich hab sie sitzen lassen - aber musste sie deshalb gleich einen ganzen Kindergarten mit Fingerfarben auf meine Wohnung loslassen?"
(Gunnar v. Ölz - Der einzig wahre Frauenversteher)


"Scheißtag", grummelte Kruger und meinte es auch so. So langsam ging ihm die ganze Sache hier gehörig gegen den Strich. Die Geschichte hatte so nett angefangen, ein netter ruhiger Auftrag hätte es sein können. Einfach in die Wohnung von diesem Manfred gehen, ihn suchen und fertig. Aber nein, es mussten ja Aliens sein. Und irgendwelche dämlichen Kampfninjas. Und jetzt auch noch irgendsoeine dahergelaufene Stimme, die aus der weißen Unendlichkeit kam und ihm Befehle erteilen wollte. Und als wäre das noch nicht genug gewesen, war es zu guter letzt noch die Stimme einer Frau. Allerdings eine verdammt sexy Stimme, wie Kruger zugeben musste.
"Du bist der Auserwählte, John Kruger."
"Ja, leck mich doch..."
"Nein, im Ernst. Nur du allein kannst das Gefüge der Welt retten. Aber dazu musst du mich finden."
"Ich muss nur eine Person finden und das ist dieser Manfred."
"Er ist nicht wichtig. Nichts ist wichtig."
"Klar ist er wichtig. Hör mal, Lady, mein Magen knurrt seit vier Wochen und wenn ich irgendwann in meinem Leben mal wieder Kohle sehen will, dann muss ich meinen verdammten Job durchziehen."
"Wenn du ihn suchst, musst du mich finden."
"Ja, na klar. Und wo finde ich dich?"
"Das wirst du früh genug erfahren. Sieh in deine Manteltasche. Bis bald."
"Hey, warte mal... hast du... ich meine, kannst du mir deine Nummer geben? Dann könnten wir das mal in Ruhe bei nem Kaffe..."
"Ich muss gehen. Wir sehen uns in der wirklichen Welt, John Kruger."

Roll, roll, leck, falt und fertig.
"Mister Kruger... geht es Ihnen gut?" Holgi machte ein besorgtes Gesicht und versuchte mit seiner Hand die Stirn des Detektivs auf Temperaturerhöhung zu untersuchen. Immerhin war der seit ihrer Ankunft hier vor ein paar Minuten vollkommen weggetreten.
"Klar, Mann. Warum sollte es mir nicht blendend gehen? Ich stehe hier mit euch in... in... was weiß ich, wo wir hier sind, drehe mir genüsslich ne Kippe und lass mich von irgendeiner Schlampe vollsülzen. Alles in bester Ordnung. Pfoten weg!"
"Meinten Sie mich mit der Schlampe?", fragte Sascha mit angriffslustigem Tonfall und suchte schon mal einen Stein. Nur für den Fall, dass sie ihn gleich brauchen könnte. "Scheiße, hier gibt?s nicht mal Steine."
"Beschwer dich nicht", sagte Dieter -Plopp-, "immerhin hast du auf den Knopf gedrückt und uns hierher gebracht."
"Woher hätte ich denn wissen sollen, wozu das Ding..."
"War das nicht offensichtlich? Dieses Gerät ähnelt dem Materiedisintegrator doch ziemlich, oder? Abgesehen von dieser Schraube hier, dem Hebel dort, diesen zwei Knubbeln da links und... naja, diesem Aufkleber, auf dem steht, dass man dieses Gerät nicht mit einem Materiedisintegrator verwechseln sollte."
"Halt die Klappe! Ich weiß, dass das kein Materiedisintegrator ist. Schließlich habe ich den damals selbst gebaut. Mit Manfred." Sie seufzte theatralisch. "Das hier allerdings habe ich vom Major persönlich bekommen, damals aus meiner Zeit als Austauschstudentin in..." In diesem Moment stockte sie auf einmal, als wäre das, was sie eben beinahe ausgesprochen hätte, ein Geheimnis gewesen, welches sie unter keinen Umständen hätte aussprechen dürfen. Kruger interessierte das alles herzlich wenig. Er hatte inzwischen seine Manteltaschen durchwühlt und die beiden Briefe hervorgekramt, die er vor ein paar Stunden in Manfreds Briefkasten gefunden hatte.
"Hier, ich glaube, das gehört dir." Er gab Sascha den Liebesbrief. Sie wurde rot und ließ ihn schnell in ihrer Jackeninnentasche verschwinden.
"Darf ich mal sehen?" Holgi war sofort Feuer und Flamme. Rosarote Umschläge hatten seit jeher eine ungeheure Faszination auf ihn ausgeübt. Vermutlich, weil er nie welche bekommen hatte.
"Nix da... den behalte ich bei mir. Solange bis Manfred..." Erneut wurde sie rot und wandte sich von anderen ab, damit die es nicht bemerkten.
"Leute, jetz mal im Ernst ", sagte Kruger. "Mir ist kalt, ich bin müde und hab überhaupt keinen Bock mehr auf diesen Scheiß hier. Echt. Ich weiß nicht, was ihr jetzt macht, aber ich geh nach Hause." Er griff sich das silberne Gerät aus Saschas Hand und drückte den...

Die Blase der Vergessenheit wurde zu einem Strudel aus Ursache und Konsequenzen, unwirkliches Weiß wich der alles umfassenden Realität, als die Zeit sich aus dem Strudel der Vergesslichkeit schälte und auch das Band der Unendlichkeit sich langsam wieder zu Raum kräuselte.

... Krugers ebenso vergammelter wie babyblauer Ford Mustang stand immer noch genauso vor dem Haus, wie er ihn heute Morgen dort hatte stehen lassen. Keine Schramme im Blech - zumindest nicht mehr, als sowieso schon - keine platten Reifen und überhaupt keinerlei Spuren jeglichen Vandalismus. Für Kruger keine Überraschung. Er wusste, dass sich Randalierer nicht die Mühe machten, den Wagen zu demolieren, weil das in etwa das gleiche wäre, als würde man versuchen, einem Rocker Margarine in die Haare zu schmieren - das Endresultat würde sich vom Ausgangsprodukt einfach in nichts unterscheiden.
Kruger verdrehte seinen Arm in einem eigentlich unmöglichen Winkel, griff zwischen Fahrertür und Karosserie, hebelte die Tür mit einer monatelang geprobten Kombination aus gewagten Links-Rechts-Bewegungen aus ihrer Verkeilung mit dem Rahmen, öffnete sie und stieg in seinen Wagen. Sein erster Griff galt dem Zigarettenanzünder, der zweite seinem Handschuhfach mit dem Tabak und der dritte der Whiskeyflasche unter dem Beifahrersitz.
Zwei tiefe Schlucke später ging es ihm besser und sein Kopf meldete Aufnahmebereitschaft. Kruger zog den zweiten Brief aus seiner Manteltasche, strich ihn auf dem Lenkrad glatt - aus Versehen betätigte er dabei die Hupe, aber das spielte keine Rolle, da sie schon vor unendlich langer Zeit ihren Dienst quittiert hatte - und begann zu lesen.

Lieber Manfred,

Sie werden sich vermutlich nicht mehr an mich erinnern. Mein Name ist Claudia und wir haben uns vor drei Tagen in Willi Hansens Club getroffen. Sie haben dort mit ihren Freunden Ihren Junggesellenabschied gefeiert und ich war die Bedienung.
Ich habe damals einen Fehler gemacht und Sie mit Ihrem Freund Kalle verwechselt. Eigentlich waren Sie die Zielperson. Ich hätte Sie an diesem Abend beschützen sollen und nicht ihn. Mein Auftraggeber - Major Barnes - hat mir zu verstehen gegeben, dass ich meinen Job bei der Behörde verlieren werde, sollte es mir nicht gelingen, Sie aufzutreiben. Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät. Kommen Sie in den Club. Schnell!

Claudia

Kruger stieß einen erstaunten Pfiff aus. Anscheinend gab es also eine Behörde, die verhindern wollte, dass Manfred von den Außerirdischen entführt wird. Interessant, sehr interessant sogar. Der Brief war zwar vor drei Monaten gerschrieben worden, aber vielleicht könnte er diese Claudia trotzdem noch treffen. Endlich wieder eine Spur in diesem äußerst verzwickten Fall. Kruger dachte eine Sekunde daran, ob er die anderen wirklich in dieser seltsamen Dimension zurück lassen könnte, doch dann erinnerte er sich, dass er den silbernen Kasten verloren hatte und nahm folgerichtig an, dass der ebenfalls zurückgeblieben war.

Kruger nahm einen Zug aus seiner Kippe, warf das Radio an und gab Gas. Willi Hansens Club war nicht weit entfernt.

 
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Kapitel 14 – Die asiatische Hatschina

»Der Tod ist nicht immer tödlich, eher wie meine Erfahrungen mit Himbeereis – manchmal schmeckt es lecker und manchmal bitter, vor allem, wenn man vorher Bier getrunken hat.
Der Tod ist auch nur wie eine Eissorte.«
(Gunnar v. Ölz, Aufzeichnungen aus dem Jenseits, gewissenhaft notiert von Kaballa Dreifuß, Medium)


»Krzzl, wasch dir die Tentakel, bevor du auf deiner Schleimspur nach draußen gleitest!«
»Ja, Mama.«
Krzzl ließ ein Verdauungsvesikel mit seiner Außenwand fusionieren und entleerte es auf dem Boden. Dann ließ er seine zahlreichen Beinchen rotieren und glitt durch die Nährflüssigkeit nach draußen.
Er dachte gerade daran, heute vielleicht einem der Sumpfkrakelen einen Besuch abzustatten als ein greller, scharfer Blitz sein kleines Leben beendete. Und zudem dass seiner Eltern, seiner Geschwister, seiner Brüder, eigentlich das Leben aller Wesen auf diesem Planeten.
Und warum?
Niemand hatte Lippen.
Niemand konnte die doppelläufige Hatschina blasen.

Zweihundertachtundvierzig Licht- und drei Erdenjahre weiter.

»Wo ist er hiiin?« rief Dieter ganz entsetzt. Dort, wo John Kruger eben noch gestanden war, saß nun ein kleiner, schmutziger Hund, der beständig sabberte.
Sascha kratze sich den Kopf. »Eigentlich egal, Hauptsache, er ist weg.«
»Hat er sich in den Hund verwandelt?«, fragte Holgi nervös.
»Würde passen«, meinte Sascha und betrachtete den Hund, der sie aus großen, roten Augen ansah. »Aber der Köter raucht nicht.«
»Ja, und er riecht auch nicht so streng«, gab Holgi zu.
»Oh nein, nein, nein«, rief Dieter und pulte mit seinem Finger im Mund herum. Plopp! »Ohne ihn sind wir verloren, er ist der auserwählte Hatschina-Spieler, nur er kann der doppelläufigen Guturalflöte die Töne der Vernunft entlocken und mit seinem Ethanolatem die biologische Verbrennung aktivieren...«
»Was redest du da eigentlich?«, fragte Holgi. Langsam wurde ihm das alles zu blöd.
»Das ist das Ende«, rief Dieter, »versteht ihr nicht? Manfred war die erste Hoffnung, Kruger die zweite. Jetzt gibt es niemanden mehr. Die Invasion wird beginnen.«
»Wuff«, machte der Hund und pinkelte gegen Holgis Bein - das nahm Dieters Sätzen etwas Dramatik.


Der Willi Hansens Club war eigentlich ein typischer Szeneclub, nur dass man unmöglich erraten konnte, welcher Szene er angehörte.
Kruger inhalierte den Rauch der vielen Zigaretten im Raum und hörte augenblicklich auf zu zittern.
An der Decke hing ein träger Ventilator, die Jukebox spielte ein Stück von den Rolling Stones und der Barmann war damit beschäftigt ein schmutziges Glas mit einem noch schmutzigeren Handtuch immer schmutziger zu reiben.
»Kann ich dir helfen, Cowboy?« fragte er John, eine halb abgebrannte Kippe im Mundwinkel.
John lächelte und ließ seine Finger zaubern.
Roll, roll, leck, falt und fertig.
Der Unterkiefer des Barmanns klappte nach unten. Kruger setzte sich an die Bar und gab sich selbst Feuer.
»Ich suche Claudia.«
»Ich kenne keine Claudia.«
»Ich auch nicht.«
Der Barmann kniff die Augen zusammen. »Wahrscheinlich ist sie gar nicht hier, diese Claudia.«
»Ja, vielleicht«, sagte Kruger.
»Aber vielleicht ist sie doch hier.«
»Ja, vielleicht«, sagte Kruger.
»Und vielleicht kenne ich sie doch.«
»Ja, vielleicht«, sagte Kruger.
Der Barmann warf einen Blick zur Seite und Kruger folgte ihm. Drei Billardtische waren dort aufgebaut. An einem der Tische spielte eine Frau gegen sich selbst. Die anderen waren leer. Auf den Stühlen im Hintergrund lümmelten einsame, rauchende Gestalten, die hin und wieder kicherten.
Kruger bestellte zwei Bier, stand auf und trug die Krüge zu dem Billardtisch. Er stellte sich an eine der Ecken, genau in dem Moment, in dem die Frau die schwarze Kugel dort versenkte.
»Das nenne ich Glück«, sagte John Kruger und stellte der Frau eines der Gläser hin.
Die Fremde blickte auf und lächelte.
»Und Sie sind?«
»John Kruger.«
»Claudia.«
»Hat Claudia auch einen Nachnamen?«
»Ja, klar. Sicher. Wer nicht?«
Kruger nippte an seinem Bier.
»Ein Angebot, wir spielen gegeneinander und wenn ich gewinne, dann verraten Sie mir Ihren Nachnamen«, sagte Kruger.
»Und wenn Sie verlieren?«, fragte Claudia.
»Dann werde ich auf immer ihr Sklave sein«, bot Kruger an.

Sie spielten gegeneinander, Kruger mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen. Eine Kugel nach der anderen wurde versenkt. Es ging schnell, war hart, aber fair, nicht ein Stoß ging daneben, keine Kugel verfehlte ihr Loch, als sie auf dem grünen Filz dahinglitten und Kruger rauchte eine Zigarette nach der anderen.
Er kam nicht einmal zum Zug.
Claudia hatte angefangen und alle Kugeln nacheinander versenkt.
Als die schwarze und letzte Kugel in das richtige Loch gestoßen wurde, war Kruger bei seiner zehnten Zigarette.
»Und nun?«, fragte Claudia.
»Sie bescheißen ja«, sagte Kruger.
»Ach, tatsächlich?«
»Ich weiß, wer Sie sind«, sagte Kruger und legte den Brief auf den Billardtisch.
Claudia überflog geschwind die Zeilen und ihre Mine versteinerte sich.
»Wo ist Manfred?«, fragte sie.
Kruger zuckte mit den Schultern. »Ich hatte gehofft, dass sie mir das sagen könnten.«
Die Tür wurde aufgebrochen, Splitter segelten durch die Luft und streiften Krugers Kinn.
Mehrere Gestalten huschten ins Zimmer.
»Hoi, hoi, hoi, hoi!«, riefen sie.
»Oh nee, nicht die schon wieder«, grummelte Kruger.
»Runter«, rief Claudia. Sie griff mit beiden Händen hinter den Rücken und förderte zwei Pistolen zum Vorschein, die fremdartig und cool zugleich aussahen.
Sie feuerte auf die kleinen Kreaturen, die sich langsam aus dem Rauch schälten. Blitze zischten durch die Luft.
»Raus hier«, rief sie Kruger zu. Das musste sie nicht wiederholen, aber sie tat es trotzdem.

Es ist schlimmer, als ich dachte, dachte Claudia. Und dann sagte sie es auch:
»Es ist schlimmer, als ich dachte.«
Kruger war zu sehr damit beschäftigt, seinen Kopf einzuziehen. Noch immer erhellte Laserfeuer die schmale Gasse, in die sie durch den Hinterausgang geflüchtet waren.
»Wo steht ihr Wagen, Kruger?«, fragte Claudia.
»Vorne, kommen Sie!«
»Hoi, hoi, hoi!«
Diese kleinen Biester waren anhänglich und lästig – wie Zigarettengeschmack auf der Zunge.
Claudia und Kruger erreichten den Firebird und John klemmte sich hinter das Lenkrad. Claudia feuerte noch ein paar Mal blind in die Gasse, bevor sie sich auf dem Beifahrersitz niederließ und sich aus Versehen auf eine der unzähligen halbvollen Whiskeyflaschen setzte.
Kruger drückte das Gaspedal durch.
»Wir müssen zu mir nach Hause«, sagte Claudia.
»Okay«, sagte Kruger, dem das kein bisschen zu schnell ging.
»Die Hatschina«, rief Claudia, »sie ist dort.«
»Kommt die aus Asien?«

 
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Kapitel 15 – Relativitätstheorie und Single Malt

»Das Universum besticht durch seine schier endlose Größe; der Mensch besticht durch seine nicht enden wollende Einfältigkeit. Ein Leben nach dem Tod wäre demnach eine Feedbackschleife des Stumpfsinns.«
Gunnar von Ölz aus »Ja, ich liebe Pistazieneis. Erdbeere auch.«

Major Barnes schaltete den Achselpieper aus und zog sich rasch seinen Schlüpfer über. Nachdem er sich die restlichen, gebräuchlichen Kleidungsstücke angezogen hatte, drehte er sich zum Bett um und verschloss, grinsend und mit beiden Augenbrauen spielend, machohaft die Gürtelschnalle. Er fand das unheimlich erotisch.
»Na, macht dich an was?«, hauchte er und warf ihr einen Kuss hinüber.
»Du bist so bekloppt...«
»Aber sexy.«
»Zugegeben, aber...«
»Nix ‚aber’, ich geh jetzt die Welt retten.«
»Na dann rette mal. Frühstücke ich in Gesellschaft?«
»Hey, du weißt doch dass du mir morgens zu hässlich bist.«
Damit war dieses Geplänkel erledigt und Barnes schnallte sich das Halfter mit der unheimlich großen Pistole um und verschwand in der Küche. Er besah sich das Chaos, welches er und Jeanette hinterlassen hatten. Vielleicht hätten sie die Pizza vorher in mundgerechte Stücke teilen sollen. Vielleicht hätten sie die Pizza vor dem Sex essen sollen. Vielleicht hätten sie chinesisch bestellen sollen. Vielleicht aber auch nicht.
»Wo ist der Kaffee?«, brüllte er voller Inbrunst Richtung Schlafzimmer und durchstöberte die Schränke.
»Wir haben keinen mehr. Mein Mann bringt welchen mit«, erwiderte Jeanette, die in diesem Moment Donna Summers „Hot Stuff“ in voller Lautstärke aufdrehte.
»Na auf deinen Shakes werde ich bestimmt nicht warten.«
»Häh?«
»Ich geh dann mal.«
»Häh?«

* * *

»Und sie sind sicher dass sie hier wohnen Süße?«
»Natürlich.«
»Gut, dann woll'n wir mal...«
»Warten sie...«
»Was ist?«
»Es könnte im Bereich des Möglichen liegen, dass ich doch nicht hier wohne.«
»Wie groß wäre dieser Bereich denn?«
»Oder nein, doch..., nee oder?«
»Oh Mann...«
»Wissen sie was, wir probieren es einfach aus. Was halten sie davon?«
Kruger rümpfte bloß die Nase und fummelte eine halbvolle Whiskeyflasche hinter seinem Sitz hervor.
»Sie rauchen nicht zufälligerweise? Ich hab’ beim Angriff der Hoi-Brigade meinen Tabak verloren. Und mein Zigarettenpapier. Und mein Zippo. Und wahrscheinlich auch meine Unschuld, obwohl das sehr bedauerlich wäre.« Kruger grinste schief und nahm einen Schluck aus der Pulle, während er sein unrasiertes Kinn kratzte.
»Sie sind irgendwie merkwürdig...«, sagte Claudia, die eine Packung Zigaretten aus ihrer Handtasche zauberte.
Die Sintflut, eine Heuschreckenplage, sieben Tage Regenwetter – die Frauen haben immer ihre Handtasche dabei. Ein faszinierender Gedanke, der Kruger für kurze Zeit die Probleme vergessen ließ.
»Hm?«
»Sie haben eine interessante Art an sich. Sie sind faszinierend.«
»Sie kennen mich gerade mal zehn Minuten Sweetheart. Aber Sie haben Recht, ich bin schon toll was?« Ein weiterer Hieb aus der Flasche und Krugers Gemütszustand bewegte sich langsam aber stetig auf den gewohnten Pegel zu.
»Sie haben unheimlich interessante Augen.«
»Ja, ich kann auch nicht von mir lassen, wenn ich mich im Spiegel betrachte.« Der leise ironische Unterton in Krugers Stimme war lauter als er dachte.
»Wie?«
»Lassen Sie uns die Hatschina holen Lady.«
»Na gut.«
»Na gut.«
»Gut.«
Kruger hasste es, wenn die Frauen das letzte Wort hatten. Er steckte sich eine Zigarette an und nahm noch schnell ein wenig Whiskey zu sich. Nach reiflicher Überlegung trank er noch einen weiteren Schluck und warf die nun leere Flasche Richtung Beifahrersitz - so wie er es immer machte. Claudia war beim aussteigen nicht die schnellste, daher traf sie die Flasche hart und sie kippte gegen das Armaturenbrett. Nach kurzem Stöhnen beugte sich Kruger in den Wagen, erfasste ihre Handtasche und kramte die Schlüssel heraus. Die Kaugummis enteignete er auch gleich noch. Er fasste Claudia an die Stirn und stieß sie auf Kruger-Art zurück in den Sitz. »Nacht.«
Langsam schlurfte er die Stufen zum Appartementhaus hinauf und verschaffte sich Eintritt. Als er die Tür hinter sich schloss, fragte er sich, warum er eigentlich geschlurft ist. Aber in der letzten Zeit war sowieso alles etwas merkwürdig. Alleine diese Dimensionssache ist voll abgefahren. Und jetzt auch noch Schlurfen. »Was noch?«, sagte er laut, während er die Tür zu Claudias Appartement aufstieß.

* * *

»Na toll, jetzt habe ich Hundepipi an meiner Hose. Die is’ von Boss.«
»Mach dich mal locker«, reagierte Sascha und streichelte dem kleinen Wauwau über den Kopf. Das schien die Speichelproduktion des kleinen Flohteppichs anzuregen und es sabberte einige Milliliter auf den weißen Boden.
Holgi ging ein Stück in irgendeine dieser weißdimensionalen Richtungen, die Hände in den Hosentaschen vergraben und fröhlich pfeifend - ein unbekümmertes Gemüt.
»Wenn ich nur eine Idee hätte wie wir hier wieder verschwinden können.«
»Du drückst auf den roten Knopf an dem Silberdildo...«
»Das geht nicht, da ist kein Saft mehr drauf. Man kann immer nur zweimal diese Dimensionsache durchführen. In die Dimension und raus aus der Dimension.«
»Lass dir halt was einfallen, du hast den Schrott doch auch erfunden und zusammengeschraubt.«
»Ich weiß aber nicht wie ich hier Strom herkriegen soll!«
»Hat dir dieser Major das denn nicht verraten?« *Plopp*
»Doch, hat er.«
»Na worauf wartest du noch?«
»Ich kann mit diesem Nicht-der-Materiedisintegrator eine neue Dimensionsblase schaffen, die durch die Umkehrung der Gravitation dieser Raumzeit zu einer Singularität – ganz ähnlich der Urknallsingularität, weißt du – wechselt und die Geschichte der imaginären Zeit – in der wir uns gerade befinden – zur Geschichte der reellen Zeit umstülpt. Dann wären wir hier raus.«
»Aber dummerweise kannst du das jetzt nicht machen, da du in deiner Kindheit ein unangenehmes Erlebnis mit der allgemeinen Relativitätstheorie hattest, nachdem dir klar geworden war, dass die spezielle Relativitätstheorie doch viel besser zu dir passt und dein erster Freund nur mit dir Schluss gemacht hat, weil er nicht einsehen wollte, dass ein Apfel aufgrund der Krümmung des Raums und nicht wegen der Schwerkraft zu Boden fällt. Versteh’ ich das richtig?«
»Nein. Aber ich benötige Strom.«
*PLOPP*
Holgi war einige Meter von Sascha und Dieter entfernt stehen geblieben und beugte sich, immer noch die Hände in den Taschen, vor und neigte den Kopf abwechselnd nach links und rechts. »Hey Leute, das ist ja irre. Schaut euch das mal an.«
Sascha und Dieter gingen zu Holgi herüber, der immer noch den Kopf von einer zur anderen Seite neigte. Der Hund blieb sitzen und sabberte fröhlich vor sich rum und hechelte aufmerksam.
»Was würdest du sagen was das ist«, wollte Holgi wissen, der nun, wie ein Kunstkritiker vor einem bedeutenden Werk, dastand und sich das Kinn massierte. Sascha traute ihren Augen nicht. »Das ist ne Steckdose.«
»Ach echt?«, wunderte sich Holgi ernsthaft.

* * *

Kruger betrat den Eingangsbereich des Appartements, machte Licht und schloss die Tür. Eine sehr geräumige Wohnung, mit viel Marmor, indirekter Beleuchtung, cremefarbener Tapete und einer irre umfangreich ausgestatteten Bar. Kruger ging sofort hinter den Tresen, schnappte sich ein Glas und nahm die erstbeste Flasche Whiskey aus der Vitrine. Nachdem er sich einen Doppelten – für seine Verhältnisse - eingegossen hatte, stellte er fest, dass es sich um einen schottischen Whisky handelte. Ein sogenannter Lowland Single Malt, einundzwanzig Jahre alt. Er leerte das Glas mit einem Zug und während er die Flasche betrachtete, entfalteten sich süße Schokoladenaromen, Minze mit Eichenholz- und Honignoten auf seiner Zunge. Wären seine Geschmacksknospen nicht durch jahrelangen Missbrauch billigsten Supermarkt- und Tankstellenwhiskeys beleidigt worden, hätte er dies alles auch wahrnehmen können. Aber er war Privatdetektiv und kein Gourmet. Als er seinen Blick durch das Salonähnliche Wohnzimmer gleiten ließ, fragte er sich, was er hier noch gleich wollte. Ach ja, die Hatschina holen. Ein Nachteil brachte der Alkohol mit sich; mal ganz abgesehen von der Lebenszerstörerischen Wirkung und dem unaufhaltsamen Leberschaden – es machte vergesslich. Und Kruger wusste, dass es in seinem Beruf gar nicht gut war vergesslich zu sein, geschweige denn besoffen. Nach diesem kurzen innerlichen Hadern ging er in das Arbeitszimmer und suchte etwas Tresorähnliches. Nachdem er einige Male den scharfen, aber im Abgang süßlich milden Geschmack des schottischen Whiskys aufgestoßen hatte, fand er einen Safe, der unter einem Bild über dem Sessel, hinter dem Schreibtisch verborgen war. »Na klar, wo auch sonst.«
Als er das Bild zur Seite geklappt hatte, fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, die Kombination von Claudia in Erfahrung zu bringen. Zusätzlich fiel ihm ein, dass er überhaupt nicht wusste ob die Hatschina im Safe lag. Aber das sagte ihm sein detektivischer Spürsinn, ein sechster Sinn, der jede Challenge zur Orgie werden ließ.
Trotzdem, wie sollte er den Safe öffnen, mit einer Brechstange, mit den Händen, mit Gefühl, mit Glück?
»Kann ich ihnen vielleicht behilflich sein?« Eine äußerst attraktive, leicht rauchige Stimme schlich sich von hinten an Kruger heran und bohrte ein Loch in sein sexuelles Akustikzentrum. Langsam drehte er sich herum und blickte in die verführerischsten Augen, die er jemals erblickt hatte. Sie war schlank, hatte rote Haare, die ihr locker lockig auf die Schultern fielen. Der schwarze Mantel ging ihr bis kurz unter die Knie, war hüfteng geschnitten und förderte durch einen Schlitz, perfekt geformte Beine zu Tage. In der Hand hielt sie eine Zigarette, in der anderen Hand ein Glas mit Whisky – dasselbe Glas, welches Kruger zuvor geleert hatte. Das sagte ihm sein sechster Sinn.
»Wer sind sie? Und was noch viel wichtiger ist; wie sind sie hier reingekommen?« Kruger war zum ersten Mal in seinem Leben wie gelähmt und brachte die Worte in äußerst unprofessioneller, fast stümperhafter Form über die Lippen.
»Mein Name ist Simòne, Simòne De...« Ein lauter, jedoch weit entfernter Knall ließ beide zusammenzucken. Kruger ging zum Fenster und lichtete die Vorhänge. Etwa zwanzig Kilometer entfernt, wo das Militär eine Sperrzone unterhielt, sah er ein riesiges Feuer, ein großer Explosionspilz richtete sich gen Himmel und die Reflektion des Feuers erhellte die nächtliche Stadt.
»Uiuiui, da is die Kacke aber erheblich am dampfen. Erheblich...«

* * *

Barnes erreichte das Raumüberwachungszentrum um 21Uhr Ortszeit. Sein Dienstjeep kam mit, wie sollte es auch anders sein, quietschenden Reifen zum stehen. Als er ausstieg, griff er sofort nach seiner Waffe, lud durch und rannte auf den Eingangsbereich zu. Sogar aus der Ferne sah er die Wachmänner leblos über dem Tresen und auf dem Boden liegen. Er versuchte sich so weit es ging, klein zu machen und huschte in gebückter Haltung durch die Tür in die Vorhalle. Nachdem er bei den beiden Soldaten nur noch den Tod feststellen konnte, hörte er merkwürdige aber doch vertraute Geräusche. Behände sprang er hinter eine Sitzgruppe und verschanzte sich mit Tisch und Mülleimer hinter der Lehne.
*DING*
Die Fahrstuhltür zu seiner rechten öffnete sich. Lauter kleine Ninjas, „Hoiser“ wie Barnes sie nannte, strömten aus dem Lift. Er schoss sofort und ohne Vorwarnung. Fünf erwischte er tödlich, das war sicher, denn sie explodierten immer gleich und hinterließen eine riesige grünschleimige Sauerei. Blasterschüsse zuckten in seine Richtung und Barnes wusste, dass er alleine nicht gegen diese Bande standhalten konnte. Aber weniger sein Tod, sondern die Gewissheit, dass die den Aufenthaltsort von Manfred in Erfahrung gebracht hatten, beunruhigte ihn.

 
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Kapitel 16 - Der Ton macht die Musik

"Also, ich habe den Rummel um diesen Gunnar von Ölz nie wirklich verstanden. Okay, er hat die doppelläufige Hatschina erfunden, zweimal barfuss den Ärmelkanal durchquert, eine Methode gefunden, Nashörner zu dressieren und vier Doktortitel in angewandter Grundwasserperestaltik erworben. Aber macht ihn das gleich zu einem Übermenschen? Ich meine, der Kerl konnte nicht mal auf den Fingern pfeifen und war außerdem Schnürsenkelfetischist."
(Heiner Brantung - "Warum ich diesen Gunnar von Ölz so dermaßen verachte")


Simone fuhr sich mit der sauber manikürten Hand durch ihre feuerrote Mähne und schenkte Kruger ein Lächeln, das jeden Mann auf dieser Welt auf der Stelle in ein kleines sabberndes Häufchen zuckender Hormone verwandelt hätte. Kruger spürte eine gewisse aufsteigende Hitze, ließ sich nach außen hin aber nichts anmerken, immerhin war er im Dienst sozusagen. Aber als sie dann begann, sich mit der Zunge über ihre Lippen zu fahren und dabei diese gewisse Sinnlichkeit versprühte, wie sie nur ganz bestimmte Frauen versprühen können, wenn sie sich ganz langsam mit der Zunge über ihre Lippen fahren, musste Kruger sich einfach ablenken.
Roll, roll, leck, falt und fertig.
"Sie haben flinke Hände", schnurrte Simone und berührte mit ihren vollen Lippen das Whiskyglas, um sie mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit sanft zu benetzen. Bei dem Gedanken, dass sie in diesem Moment vielleicht dieselbe Stelle mit dem Mund berührte, wie er selbst zuvor, bekam Kruger weiche Knie.
"Alles... alles eine Frage der Übung."
"Wollen Sie mir nicht auch eine drehen?"
"Klaro." Roll, roll, leck...
"Nein, ich denke, ich nehme gleich Ihre." Simone machte einen grazilen Schritt vorwärts, nahm Kruger die Kippe aus dem Mund, steckte sie in ihren eigenen und begann, heftigst an dem Glimmstängel zu saugen, als wolle sie die Asche durch den Tabak hindurchinhalieren. "Alles eine Frage der Übung", sagte sie und lächelte anzüglich. Ihre katzengrünen Augen funkelten verführerisch und Kruger übte sich einen Moment lang in betäubender Bewegungslosigkeit. Erst die Explosion brachte ihn wieder in die Realität zurück.
"Was war das?" Simone nutzte die Gelegenheit, sich ängstlich und schutzsuchend an den Detektiv zu schmiegen, dessen wiedererwachter Spürsinn allerdings keinen Platz für aufkeimende Romantik ließ.
"Ich nehme an, das Militär tritt da draußen irgendwem gehörig in den Arsch, Werteste." Kruger war sehr froh, dass seine sprichwörtliche Coolness sich im richtigen Moment zurückgemeldet hatte. Sabbernd wäre dieser Satz vermutlich reichlich peinlich geworden.
"Oder aber es wird getreten."
"Möglich... Ich nehme an, die Frage, was zum Geier du hier machst, würde zu keiner mich befriedigenden Antwort führen, oder?"
"Würde es Sie befriedigen, wenn ich es Ihnen zeige?"
Kruger schluckte schwer.

...

"Einmal, da habe ich mit Ölz zusammen den Zoo besucht. Ich weiß selbst nicht mehr, warum ich mich damals dazu herabgelassen habe. Das war vermutlich noch vor der Zeit, als er mir innerhalb von einer Woche drei Frauen ausgespannt, den Grimme-Preis vor der Nase weggeschnappt und zu guter letzt das Grundkonzept seiner doppelläufigen Hatschina bei mir abgeschrieben hat.
Naja, auf jeden Fall war ich mit diesem Taugenichts zusammen im Zoo. Er wollte sich die Pinguine ansehen. Für die hatte er schon immer ein Faible gehabt. Pinguine und Eichhörnchen, weiß der Geier warum. Aber zurück zu dem Kind. Erwähnte ich das Kind? Wenn nicht, dann habe ich bestimmt auch den Lutscher vergessen, den Ölz ihm geklaut hat. Das liegt nur daran, dass mich diese Sache noch heute so maßlos aufregt. Wie kann man einem kleinen Kind nur den Lutscher klauen?
Danach hat er mich dann auf eine Pizza eingeladen. Trotzdem hasse ich ihn."
(Heiner Brantung - "Warum ich diesen Gunnar von Ölz so dermaßen verachte")

...

Barnes duckte sich hinter einem Mülleimer und schätzte die Lage ab. Der Gang war etwa fünfhundert Meter lang, drei Meter breit, ebenso hoch und links und rechts von etwa zwanzig Türen gesäumt, welche in diesem Moment von mindestens fünfzig dieser verdammten Ninjas methodisch durchsucht wurden. Jeweils zehn von ihnen stellten sich vor eine der verschlossenen Türen, vollführten einen reichlich albernen Veitstanz, schrieen "Heeeeeija" und traten die Stahltür aus den Angeln. Auf keinen Fall durften diese Kerle das Ende des Ganges erreichen. Und nur er würde das verhindern können.
Barnes wusste, dass es manchmal im Leben eines echten Soldaten Gelegenheiten gibt, in denen ein Mann einfach tun muss, was ein Mann tun muss. Er lud seinen Blaster, schickte ein kurzes Stoßgebet zum Himmel und band sich sein Rambotuch über die Stirn. Ein vielleicht letztes Mal im Leben heroisch am Sack kratzen und dann ab durch die Mitte:
Hechtrolle aus der Deckung, zweimal feuern. Luft holen. Zurückhechten und vier weitere Ninjas erwischen. Noch bevor die übrigen wissen, was geschehen ist, mit einem coolen Kampfschrei auf die Sippe losrennen und das ganze verdammte Magazin leerballern. Die letzten sieben Ninjas mit gezielten Fußtritten und Kopfnüssen, wie sie sonst nur Mel Gibson in Lethal Weapon verteilen kann, auf die Bretter schicken. Und zu guter Letzt ein lockerer Spruch, wie "Ich bin zu alt für diese Scheiße."
Ja, ein guter Plan. So würde es vielleicht gehen. Barnes kratzte sich noch ein weiteres Mal am Sack, diesmal allerdings weitaus weniger heroisch, und hechtete aus seiner Deckung.

...

Simone wanderte mit ihrem rechten Zeigefinger über Krugers Brust nach oben und krallte sich sanft an seinen Mantelkragen. "Kommen sie", hauchte die laszive Schönheit und zog den Detektiv quer durch die Wohnung ins Schlafzimmer.
Das Bett war nicht nur ebenso breit wie lang, sondern zudem mit feuerroter Wäsche bezogen und mit einem rosaroten Samtvorhang umgeben. Auf dem Boden standen tausende Teelichter, Faith no More spielten ihr unvergleichlich schwüles Evidence und der Duft von Rosen hing bleischwer in der Luft. Der ganze Raum bestand eigentlich nur aus purem Sex und Kruger fand das nach längerem Überlegen gar nicht mal so übel. Es könnte sicher schlimmere Orte geben, an denen man mit einer heißen Braut landen kann, dachte er. Da war nur eine Sache, die das Ambiente ein wenig zerstörte: Auf dem Bett lag ein nackter Mann und schlief. Er hatte dabei genau den Gesichtsausdruck, den man nun einmal hat, wenn einem kurz zuvor von einer Frau gezeigt wurde, dass sich die Welt manchmal in zwei Richtungen zugleich drehen kann.
"Das ist Martin, der wohnt hier", schnurrte die Rothaarige. "Er hat mir seine Plattensammlung gezeigt."
"Sie meinen seine Sammlung platter Anmachsprüche?"
"Ja, vielleicht." Kruger löste sich aus Simones Griff und warf einen detektivisch kritischen Blick auf den Nachttisch. Dort stand, mit einem hübschen Goldrahmen versehen, ein Foto. Es zeigte Martin mit einer Frau, wie sie glücklich lächelnd in die Kamera blickten. Kruger sah auf einen Blick, dass es sich bei dieser Frau um niemand geringeren handelte, als Claudia. Die Bardame, die in diesem Moment auf dem Beifahrersitz seines Firebird schlummerte.
"Hast du das Bild gesehen?", fragte er.
"Seine Schwester."
"Hat Martin das gesagt?"
"Ja."
"Er war also mit seiner Schwester in Paris?"
"Das ist eine Fototapete."
"Er hat Lippenstiftreste an der Wange. Die gleiche Farbe, die auch seine... Schwester benutzt."
"Eine Kamerareflexion."
"Sie hat ihre Hand an seinem Arsch. Und er die seine an ihren Brüsten."
"Das konnte Martin mir allerdings auch noch nicht erklären. Vielleicht war es stürmisch und er wollte nicht, dass sie den Halt verliert oder so..." Kruger beachtete Simone nicht weiter - was ihm angesichts ihres schüchternen Augenaufschlages wirklich verdammt schwer fiel - und warf stattdessen einen näheren Blick auf das Foto. Auf der Rückseite des Rahmens stand eine Zahlenkombination geschrieben.
"Bingo." Darauf rollte er sich erstmal eine neue Kippe.

...

"Einmal, da habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie dieser Ölz eine alte Frau auf die Straße geschubst hat. Verachtenswert, oder?"
(Heiner Brantung - "Warum ich diesen Gunnar von Ölz so dermaßen verachte")

...

Ja, es war ein wirklich guter Plan. Und hätte Barnes nicht vergessen, seinen Blaster vor dem ersten Hechtsprung zu entsichern, hätte sich nicht mit seinem Rambostirnband an einer scharfen Kante des Mülleimers verheddert und wären die Ninjas nicht von vornherein viel stärker als er gewesen, dann hätte die ganze Sache vermutlich auch funktioniert.
"Ich bin zu alt für diese Scheiße", fluchte er und schloss die Tür an der Stirnseite des Flures auf. Die wichtigste Tür von allen. Die Ninjas drängten sich an den Mann und versuchten, an ihm vorbei in den nur von einer flackernden Glühbirne erhellten Raum zu sehen.
"Barnes! Was machen Sie denn hier? Heißt das, ich stehe nicht mehr unter Arrest?" Manfred erhob sich von seiner Pritsche und lächelte.
"Du stehst unte' A''est. Meh' als du denkst soga'." Die Ninjas schleuderten Barnes zu Boden und eine Gestalt betrat den Flur. Lala grinste dreckig und ihr Schaksowasi suchte in dem Mülleimer nach etwas Essbarem.

...

"Soso... das ist also eine doppelläufige Hatschina..." Kruger stieß einen anerkennenden Pfiff aus und nahm einen tiefen Zug seiner Zigarette. "Sieht aus, wie ne stinknormale Blockflöte. Mal sehen, wie es klingt, wenn man da oben reinpustet."

...

"Wo ist sie hin?"
"Wer?"
"Na... diese Weltraumfrau. Eben war sie Plopp noch da und jetzt nicht mehr." Nervös fuhr sich Dieter durch die Haare. Sascha - die sie Ermangelung einer Alternative als Leiterin der Gruppe in der weißen Dimension gewählt hatten - hatte ihn damit beauftragt, auf Lala und den Shaksowasi aufzupassen. Und jetzt waren sie weg. Holgi kicherte.
Sascha sagte gar nichts. Sie fummelte mit ihrer kleinen Allzweckzange am Thermalinduktor des Materiedisintegrators herum, zwirbelte ein paar Kabelenden zusammen, drückte ein paar äußerst geheim aussehende Knöpfe im Innern des Kastens, suchte das kleine Schräubchen, das die obere Abdeckplatte des singulären Transdimensionators an die linke Konduktorspule arretieren sollte und schloss schließlich zufrieden das Gehäuse ihres Materiedisintigrators.
"So", sagte sie, "jetzt sollte es gehen. Alle herkommen, ich bringe uns nach... wo ist diese Weltraumschlampe?"
"Sie... naja, sie... ich habe gut auf sie aufgepasst... wie du gesagt hast. Und dann... naja Plopp, dann hab ich genau gesehen, wie sie sich... wie sie sich in Luft... aufgelöst hat."
"Na toll... Hilft nichts, ich will nach Hause." Sascha legte ihre Finger auf den Auslöser und...

"Halt! Nicht drücken! Wartet!" Aus dem sprichwörtlichen Nichts kam eine Gestalt auf die unfreiwillige Reisegruppe zugerannt. Ein alter Mann, der ganz in grau gekleidet war, einen grauen Bart trug und sogar graue Haut zu haben schien. Alles in allem eine relativ unspektakuläre und enttäuschende Gestalt.
"Wer sind Sie denn?", fragte Holgi, froh, endlich mal wieder etwas Produktives beitragen zu können.
"Mein Name ist Gunnar von Ölz. Also, ich war es, bevor ich hierher... verschwunden bin."
"Der Erfinder der doppelläufigen Hatschina... Aber, Sie sind tot", stammelte Sascha. "Ich habe es gelesen."
"Nur ein Gerücht, das dieser Taugenichts Brantung in die Welt gesetzt hat. Ein furchtbarer Mensch. Voller Neid und Missgunst. Dabei hat er nicht mal den Ärmelkanal durchquert."
"Stimmt es, dass Sie diese alte Frau auf die Straße..."
"Nein, das ist Unfug. Sie ist von alleine gesprungen. Ich habe ihr nur vorher ihre Einkaufstasche abgenommen... Naja, wollt ihr gar nicht wissen, was ich euch wichtiges zu sagen habe?"
"Logi", sagte Holgi abwesend.
"Also, ihr müsst das hier dem Mann geben, der die Hatschina spielen wird. Ohne die richtigen Noten kann er großes Unheil anrichten. Er muss dieses Papier auf jeden Fall erhalten, bevor er die Hatschina spielen wird. Das ist wirklich unglaublich wichtig." Gunnar von Ölz überreichte Sascha ein beschriebenes Notenblatt. "Jetzt geht zurück in eure Welt und rettet sie."

...

Kruger spitzte die Lippen und legte die doppelläufige Hatschina an seinen Mund.

 
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Kapitel 17 - Alles eine Frage der Wellenlänge

„Diesen Vorwurf, das meine Bücher nur aneinandergereihte Hasstiraden gegen einen – ha – genialen Zeitgenossen seien, nehme ich schon lange nicht mehr ernst. Mein Publikum liebt mich und der Erfolg gibt mir recht. Wo ist denn dieser Ölz jetzt? Warum zeigt er sich nicht und stellt uns seine angebliche Genialität unter Beweis? Oder müssen erst Aliens landen? Ha, ha, ha,...“
(Heiner Brantung, Gastautor in „Das literarische Quartett“, ZDF, 23:15)

Ein Ton, so hell und klar wie Engelschöre. Ein Klang wie tausend Orgelpfeifen in perfekter Harmonie, all das hätte Kruger erwartet, nur nicht dieses gepresste Pfffft.
Sein Gesicht lief rot an, als er erneut versuchte, der Hatschina einen Ton zu entlocken.

Verdutzt schaute er auf das hölzerne Doppelrohr.
„Männer“, grunzte Simone und rollte mit den Augen.
„Scheint irgendwie verstopft zu sein.“
Kruger klopfte mit der Unterseite der Hatschina gegen seine linke Hand. Dann drehte er sie um und schaute prüfend in die beiden Rohre.
„Aha, kann ja nicht funktionieren“, kombinierte er treffend und pulte zwei Wattebäusche heraus.
„Genau, Kindersicherung!“, raunte Simone.
“Und jetzt hören sie zu. Es gibt eine Anleitung, wie die Hatschina zu spielen ist. Ein guter Freund von mir hat sie erfunden. Nur der Auserwählte kann mit ihr die Invasion der Ausserirdischen abwenden.“
Ihr Blick ruhte fest auf Krugers Augen. Ein leichtes Zucken mit der Augenbraue liess Kruger erschauern und mit einem Schlag fügte sich alles zusammen. Er spürte eine innere Erregung als die verstreuten Puzzleteile sich in seinem Kopf zusammenfügten.
'Die weisse Dimension mit dem sexy Oracle aus dem Off – Simone!
Sascha mit den silbernen Spielzeugen, die Schlüsselmeisterin!
Claudia, öh, war eben Claudia. Und der Auserwählte, das war...'
Roll, Roll, leck und fertig.
„ICH? Ich bin der Auserwählte?“
Zum anzünden kam er nicht mehr.

„MARTIN“.
Kruger fuhr zusammen und liess vor Schreck beinahe die Hatschina fallen. Die Zigarette flog in hohem Bogen neben den schnarchenden Martin.
Sinone, die nun genervt am Sideboard stand und lasziv die letzten Zentimeter von Krugers Selbstgedrehten inhalierte, stöhnte und neigte herausfordernd den Kopf zur Seite. In der Schlafzimmertür stand Claudia; mit wirren Haaren und blitzenden Augen.
„WAS IST HIER LOS?“
„Das willst du gar nicht wirklich wissen.“ Kruger schob sich an Simone vorbei und baute sich vor Claudia auf.
„Kuck mal, ich habe die Hatschina.“ Triumphierend hielt er sie Claudia vor die Nase. Jetzt nur keine Eifersuchtszene. Er hatte einen Auftrag.
„Wer ist die Tussi da an der Wand?“ keifte Claudia und wollte an Kruger vorbei.
„Die Putzfrau.“
„Wir haben keine Putzfrau!“
„Äh, das Kindermädchen?“
„Wir haben keine ...“
„Egal, komm jetzt, wir müssen die Welt retten.“
Kruger packte ihre Hand und zog sie durch die Wohnung ins Treppenhaus. Eigentlich war seine Kehle ganz ausgetrocknet und seine Lunge sehnte sich nach Nikotin. Aber jetzt galt es zuerst Prioritäten zu setzen.

Als sie zusammen auf die Strasse traten, liess ein erneuter Donnerschlag die Fassaden erzittern.
„Ich will zu Martin,“ jammerte Claudia. Tränen rannen ihr über die Wangen und die dezente Schminke verschwamm unter ihren Augen, Ozzy Osbourne hätte wohl seine helle Freude dran. Kruger drehte sich um und gab ihr eine Ohrfeige.
Claudia war perplex und starrte Kruger mit offenem Mund an.
„Sorry, Claudia, das musste sein.“
Er zeigte mit der Hatschina in Richtung Militärgelände.
Da müssen wir hin, Claudia. Dort befindet sich bestimmt auch Manfred. Es geht jetzt nicht um uns, es geht auch nicht um Martin. Es geht um das Fortbestehen der Menschheit. Kapiert?“
Claudia nickte stumm.
„Manfred kann mir hoffentlich sagen wie man dieses Ding hier richtig spielt und zusammen werden wir den verdammten Aliens mal gehörig den Marsch blasen.“
Kruger wollte gerade die Tür seines Mustangs öffnen, da schien der Wagen ein Eigenleben zu entwickeln...

Gunnar von Ölz trat zwei Schritte zurück, hob die Arme und verschmolz mit dem weissen Hintergrund. Er verschwand im Nichts, wie er aufgetaucht war: Plötzlich.

Sascha drückte Holgi das Notenblatt in die Hand.
„Hier, damit du auch mal was zur Geschichte beiträgst. Behüte das Blatt wie deinen Augapfel!“
Holgi strahlte und Dieter schmollte – plopp –. Er wusste, dass ihm Sascha die Sache mit der verschwundenen Weltraumschickse übel nahm. Wie konnte er auch ahnen, dass das Rumfummeln am Schaksowasi nicht Liebesspiel, sondern eine interstellare Startvorbereitung war.
„Aufgepasst, es geht los.“
Alle sahen gespannt zu Sascha und hielten den Atem an. Sogar der Hund hatte aufgehört zu sabbern. Sie legte den Daumen auf den roten Knopf und drückte ihn sanft in die Versenkung.

Ein schwaches Klicken ertönte und der Raum verfärbte sich in ein zartes Lila.
Sascha runzelte die Stirn, drehte das Potentiometer zwei Kerben zurück und drückte erneut.
Augenblicklich färbte sich der Raum in ein dunkles Bordeaux.
„Verflixt.“ Sascha kratzte sich am Kopf.
Holgi kicherte dümmlich, Dieter verfiel in ein wildes Geploppe und der Hund fing wieder an zu sabbern.
„Kennt einer die Farbe von Krugers Mustang, Leute?“
„Pink“, rief Holgi.
„Sei kein Baby – plopp - die Schüssel war blau!“, sagte Dieter.
„Genau. Babyblau.“ Sascha drehte wieder an ihrem Kasten und drückte noch ein paar Zusatzknöpfe.
„Und los geht‘s.“
Der Raum fing an in hellem Blau zu leuchten. Blitze zuckten über die Decke, der Boden fing an sich zu kräuseln und das Band der Unendlichkeit gab seine ganze Tiefe preis. Holgi, Dieter und Sascha schwebten kurz über einem wallenden Strudel aus blauer Zeitmaterie, ehe sie der Sog des Vergessens erfasste und sie in einem engen Raum der Realität unsanft frei liess.

Warmer Dampf umgab sie und es roch nach kalten Zigaretten und abgestandenem Whiskey. Holgi lag auf etwas Hartem, das sich als Dieters Fuss entpuppte. Sascha hing kopfüber auf einem Sitz, dessen Polster sie schon irgendwo mal gesehen hatte.
„Krugers Mustang“, stöhnte sie. „Ich hatte gehofft, dass wir davor landen würden.“
„Kannfft du mal deinen Fuff auff meinem Gefficht nehmen?" Holgi schlug bei dem Versuch, sich von Dieter zu entwirren an die Decke des Mustangs.
- Plonk - "Aua".
"Pass doch auf."
Dieter haute sich gleichzeitig den Ellbogen am Türramen an, wodurch Krugers ausgeklügelte Diebstahlsicherung aufgehoben wurde und die Wagentüre aufsprang.
Mit einem lauten Zischen strömte frische Luft herein.
So nach und nach schälten sie sich aus dem Wagen und husteten sich die Lunge aus dem Hals. Der Wagen dampfte aus allen Ritzen und aus dem Handschuhfach vernahm man ein leises Winseln.

„Hoppla, wo kommt ihr denn jetzt her?“
Roll, roll, leck, falt und fertig.
Sascha klopfte den Staub aus ihrem Anzug und zog Holgi, der wie wild den Gehsteig küsste, das Notenblatt aus der Tasche.
„Ist das die doppelläufige Hatschina?“, fragte sie Kruger.
„Ja, und ist das der Beipackzettel?“
„Jep, genau.“

Ein Donnern ertönte aus der Ferne.
Kruger schaute Sascha an.
„Wir haben einen babyblauen Mustang mit vollem Tank, eine todbringende Hatschina mit Gebrauchsanleitung, es sind dreieinhalb Kilometer bis zum McDonalds, äh... Militärgelände. Fertig?“
Saschas Augen verengten sich kampflustig.
„Fertig!“
Claudia trat dazu, wischte sich die Tränen am Ärmel ab und zog eine ihrer Kanonen raus.
„Fertig!“
„Kommt, Mädels. Treten wir den Aliens in den Arsch.“

 
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Kapitel 18 – Manchmal wird es eng

»Ich wünschte, Schnürsenkel wären mehr wert. Mit Grundwasserperestaltik kann man leider kein Geld verdienen. Schöne Scheiße.«
(Josef von Ölz aus: »Sie haben nur wertlosen Plunder geerbt? Wie man aus Schnürsenkeln Kapital schlagen kann.«)


»Kommt, Mädels. Treten wir den Aliens in den Arsch.«
»Also wenn ich mich nicht täusche, sind hier auch ein paar Herren am Start«, bemerkte Holgi mit energischem Tonfall und boxte Sascha unsanft gegen die Schulter.
Kruger grinste schief und fertigte sich eine Zigarette.
Roll, roll, leck, falt und fertig.
Er stieg in seinen Wagen, steckte den Zündschlüssel ins Schloss, drehte um und startete den Motor, der seine Abgase laut aus dem Auspuffrohr hustete.
»Ey, solln wir jetzt etwa alle über die Beifahrerseite einsteigen?«, fragte Dieter erbost und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Das ist ja wohl die Höhe! Erst lässt du uns in dieser unendlichen, weißen Einöde alleine und, und, und…«
»Ja, Dieter? Und?«
»…und wo ist eigentlich dieser dreckige Köter?«
Kruger fing an, leere Whiskyflaschen hervorzukramen und aus dem Auto zu werfen.
Sascha neigte den Kopf und musste unweigerlich lachen.
»Gibtsn da zu feiern? Ich glaub der hat ne Macke«, vermutete Dieter.
»Was machstn du da Kruger?«, wollte Holgi wissen.
»Ich schaff Platz ihr Pfeifen. Oder glaubt ihr etwa, die Kiste kann sechs Leute und an die zwanzig Flaschen transportieren? Hey, das ist kein Volkswagen. Das ist noch nicht mal ein Wagen. Von Volk will ich gar nicht sprechen.« Kruger warf weiter fleißig Glas aus dem Auto.
»Yeah, ein richtiger, echter Thunderbird«, platzte Holgi euphorisch hervor.
»Klappe zu!« Kruger pfefferte die letzte Flasche auf den Asphalt. Braune Flüssigkeit rann den Bordstein entlang und ergoss sich in den nächstgelegenen Gully. »Ach Mist!« Er sah dem billigen, sich verflüchtigenden Fusel noch einen Augenblick, sehnsüchtig hinterher. »Los einsteigen!«

***

»Ach du grüne neune!« Barnes rollte sich auf den Rücken und massierte sich die Brust. »Das ist ja geradezu widerwärtig. Macht der sowas ständig? Der frisst wohl dauernd aus der Tonne, wie?«
Lala sah Barnes scharf in die Augen. Ein kurzes Schnippen und der Schaksowasi schob Barnes etliche Finger in seine Nase. »Wohin?«
»Wow, der kann ja reden? Wiefo redet der denn jetft plötfliff? Wahnwinn! Waf kannen der noch fo? Ey mach mal Männfchen!« Barnes schien völlig die Fassung zu verlieren und gebärdete sich sehr inadäquat für jemanden, dem mächtig viele Finger eines außerirdischen Bodyguards in der Nase steckten. Lala besah sich das Häufchen Elend und rang sich ein müdes Lächeln ab. Und für Lala, die im Grunde noch nie müde gelächelt hatte, war das eine reife Leistung.
»Schaff ihn weg, egal wohin, nur weg«, erklärte sie und wandte sich wieder Manfred zu.
»Heh, aufhöwn! Laff miff lof du dreckiger grofer Fakfowafi!« Ein winziger, galaktischer Karateknirps half dem Schaksowasi Barnes an der Nase den Flur entlang in die Vorhalle zu ziehen. »Du wi’st jetzt ein wenig schlafen«, meinte der Ninja und klopfte ihm kurz aber heftig gegen die Schläfe. Der Major war nun ruhig gestellt und lag regungslos auf dem kalten Steinfußboden. Die beiden bemerkten nicht, dass Barnes sich nur bewusstlos stellte – das war Pech. Bedauerlicherweise ließen sie ihn auch unbeobachtet – das war dumm.

»Ich musste mal neben dem Ölz sitzen, auf so einer Astrophysikerkonferenz im schwäbischen. Der faselte dauernd was von Aliens und Invasion und dass man mit Schnürsenkeln ein Vermögen machen kann, wenn man es nur richtig anstelle. Und ständig brabbelte er was von dieser blöden Blockflöte und hielt mir immerfort die Blaupausen unter die Nase. Blaupausen von einer Flöte – das müssen sie sich mal vorstellen. So ein unbedeutender Idiot. Gott, wie ich den verachte.« (Heiner Brantung – Zu Gast in der Wissenschaftstalkrunde „Riverboat“, mdr)

»So Manfred, jetzt kann ich mir endlich das zurückholen, was mir gehört und uns die Invasion erleichtern wird.« Lala zog ein verdächtig großes und nicht minder gefährliches, silber glänzendes, mit zigtausenden Nadeln, mehreren Kreissägen und mindestens einem halben Dutzend verflucht scharf aussehender Messer bestücktes Dingsbums unter ihrem Mantel hervor. Ein infernales Surren erfüllte die kleine Zelle.
»Vielleicht könnten wir noch mal darüber, äh… reden?«
»Na gut.«
»Ach echt?«
»Klar doch.«
»Wirklich?«
»Für wen hältst du mich?«
Drei kleine, mit mehreren Kugelgelenken bestückte Metallarme fuhren aus dem Furcht einflößenden Dingenskirchens und umklammerten Manfreds Kopf. Was daraufhin folgte, ist zu grausam und abscheulich um es zu beschreiben.
Zwei Minuten später, lag Manfred auf der Pritsche. Die obere Hälfte seiner Schädeldecke befand sich am unteren Ende der Schlafstelle, direkt neben dem entfernten Gehirn.
Manfred hatte die Schlacht verloren. Was wohl Maggie dazu sagen würde…?


Sehr geehrte Frau Maggie Köhler,

es tut uns leid Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr zukünftiger Mann, heroisch seinem Vaterland und der ganzen Welt zum Opfer gefallen ist. Bis zum Schluss hat er sich das Gehirn zermatert, um eine Lösung gegen diese Invasion zu finden und er hat alles getan, um dieses, unser Schicksal zum Guten zu wenden. Wäre da nicht dieser dumme Major Barnes gewesen und hätte ihn nicht eingesperrt, tja dann könnten wir wohl einem tollen Grillsommer entgegefiebern.

Kommen Sie doch bitte bevorstehenden Dienstag (sofern Sie da noch leben) gegen 0900 zum Hauptquartier, um die persönlichen Dinge Ihres Verlobten abzuholen. Leider ist unser Budget sehr knapp bemessen, daher bitten wir Sie, selbst ein Einweckglas für sein Gehirn mitzubringen.
Anschließend gibt’s dann ein Militärbegräbnis mit allem drum und dran – Parade und so.


Mit freundlichen Grüßen und noch ein schönes Wochenende

Leutnant Karl-Uwe Petersen
Staatlich geprüfter Militärseelsorger/Kl. III

»Guten Tag, wohnt hier nicht Frau Köhler? Ich hab hier einen Brief…«
»Nein, die is beim letzten Laserbombenpräzisionsabwurf verpufft. Aber der ging’s eh ganz schlecht. Ihr Mann soll wohl mit einer dieser Alienbräute durchgebrannt sein – in seiner letzten Nacht als Junggeselle. Schlimm so was. Aber ich sach ja immer, mit die jungen Männers heutzutage is nicht gut Kirschenessen. Da war mein Mann anners, der hat sich noch bemüht damals. Hönnse ma, ham sie ne Freundin? Kaufen sie der doch ma wieder Blumen, hm? Die könnse ihr dann direkt zustellen. Sie sind dochn Profi, watt? Huch, brennt da mein Kuchen an…?«
»Also… Zurück an Absender. Empfänger unbekannt verzogen. Schönen Tag noch.«
»Jaja. Ach Mensch Rüdiger! Da hättest du doch mal den Herd ausmachen können. Ist das etwa zu viel verlangt?«

***

»Ist das die Anleitung zum Bau der Abwehrwaffe?«
»Ja, Schakso. Jetzt kann uns nichts mehr aufhalten.« Lala lachte dreckig und verstaute den blutbeschmierten Chip, den sie feinsäuberlich aus Manfreds Kopf gedingsbumst hat, in einem kleinen, galaktischen Köfferchen. Mit dem Turbobeamer3000, beamte sie den wichtigen Inhalt durch die finsteren Weiten des Alls ins finstere Hauptquartier der finsteren Invasoren.
Der Schaksowasi durchwühlte währenddessen den von Barnes umgestürzten Mülleimer. Die Ninjas sicherten alle Aus- und Eingänge und verteilten sich strategisch perfekt um Lala herum.
»Was hast du eigentlich mit Barnes gemacht?«
Der Bodyguard hob den Kopf aus dem Mülleimer. Bananenschalen, Zigarettenstummel, ein halbes Mettbrötchen und zwei Caprisonnetüten zierten sein Haupt. »Hoppala.«

***

»So Leute, es gibt hier ne neue Regel, klar? Ihr werdet euch da hinten ruhig verhalten. Ich kann bei dem ganzen Gebrabbel und Gejammer nicht entspannt fahren. Also, anschnallen. Es geht los!«
Kruger stellte den Hebel auf Drive und ab ging die Post.
»Duhu«, fragte Holgi leise, »wieso darf denn niemand auf der Beifahrerseite sitzen? Es ist ganz schön eng hier hinten. Und ich glaube Dieter hat Platzangst…«
*PLOPP PLOPP PLOPP PLOPP*
»Neue Regel!«, betonte Kruger knurrend und trat das Gaspedal durch.

»Sascha?«
»Ja Claudia?«
»Dein Knie…«
»Welches? Das?«
»Autsch! Ja, das.«
»Was ist damit?«
»Könntest du es aus meiner Leistengegend entfernen?«
»Nimmst du dann deinen Ellbogen aus meiner Leber?«
»Das ist nicht mein Ellbogen.«
»Was denn dann?«
»Der Wagenheber.«
»So was hat der im Kofferraum?«
»Oh, nee. Ist ne Flasche.«

***

»Hallo General. Ja, es ist soweit. Ah-hm…, genau. Ja. Ja. Nein, der ist bestimmt schon tot. Die Lala ist da bestimmt sadistisch veranlagt. Ah-hm. Ah-ha. Ich bin im Sprengstofflager und versteck mich grad. Ach ich soll die Stellung halten? Alles klar. Gut. Tja, jetzt kann uns nur noch Gott beistehen. Was? Ach sie glauben nicht an Gott. Sie glauben an Panzer und Raketen? Na gut, das wird wohl auch gehen. Ich? Tja, ich werde nach Hause fahren und die letzten Stunden mit meiner Familie verbringen. Bis dass der Tod uns scheidet, Sie wissen schon. Was? Ach das wäre desertieren? Na wenn das so ist… Ja, stimmt, ich habe gar keine Familie. Sie kann man aber auch wirklich nicht hinters Licht führen General. Grüßen Sie ihre Frau von mir recht herzlich. Was? Oh, mein Beileid. Vor drei Jahren schon? Das hatte ich ja noch gar nicht gewusst. Und wie ist das Singledasein so? Hallo? General?«
»Hallo Ba’nes. Jetzt wi’st du abe’ ste’ben.«
»NICHT! SONST GEHT HIER NOCH ALLES HOCH! Hätte ich doch bloß ein bisschen Kaffee dabei…«

***

»Boah, da hat’s ja ganz schön geknallt«, bemerkte Claudia, die, jederzeit schussbereit, am völlig von der Druckwelle verbogenen Tor des Militärgeländes stand. An fast jeder Stelle gab es grüne, schleimige Klumpen, die von explodierten Ninjas herrührten.
»Hier gibt’s nichts mehr«, bemerkte Kruger trocken und steckte sich eine Zigarette in den Mund während er Simòne dabei half, aus dem Kofferraum zu steigen. »Oh gut, noch was zu trinken.«
»Hey Leute, da hinten sind der Schaksowasi und Lala!« Holgi deutete in Richtung nicht mehr vorhandenen Hubschrauberlandeplatz.
»Wo Lala ist, sind diese Ninjas nicht weit«, bibberte es Dieter über die Lippen. *Plopp*
»Hey, was ist das denn?« Claudia deutete in den nächtlichen Himmel. Ein gleißender Lichtpunkt durchbrach die Wolkendecke und ein tiefes Brummen erfüllte die Luft. Wind kam auf. Kruger richtete den Blick, mit an den Lippen hängender Whiskyflasche gen Firmament. Er setzte ab, schluckte, sog an der Zigarette und blies langsam den Qualm aus seinen zugeteerten Lungen. »Die Invasion hat begonnen! Hat jeder eine Waffe?«
Claudia hob ihren Revolver und warf Sascha einen weiteren Prügel aus ihrer Handtasche zu. »Vorher entsichern Süße.«
»Ich habe nur die Waffen einer Frau«, bemerkte Simòne. »Ich bezweifle dass das reichen wird. Zieh deine Pumps aus, mit den Absätzen kannst du gut was reißen«, sagte Kruger und kontrollierte die Patronenkammer seiner Magnum.
»Ich hab den Stock hier«, prahlte Holgi und fuchtelte wild mit einem kleinen Ast herum.
»Gib den Stock Dieter. Du nimmst die Hatschina!«, befahl Kruger.
»Oh toll, ich spiele Flöte seit ich sechs bin.« Holgi hüpfte von einem Bein auf das andere und freute sich sichtlich wie ein kleines Kind.

Ein riesengroßes, fünfeckiges Raumschiff, mit hunderten Lasern und Aufbauten verschiedenster Art, landete zischend und bebend auf dem kaputten Hubschrauberlandeplatz, wobei es Unmengen von Schutt und Staub aufwirbelte. Langsam blitzen überall am Himmel Lichter auf. Es waren tausende.
»Mann, die sehen aus wie Pizzas«, meinte Dieter, der fest seinen Ast umklammerte.
»Quatsch, fünfeckige Pizzas gibt’s doch gar nicht. Das sind eher Knäckebrote«, entgegnete Holgi der grinsend in den Himmel starrte.
»Igitt, Knäcke…« *Plopp*

»Was ich wirklich vermissen werde sind meine Schnürsenkel. Die braucht man nämlich in der Unendlichkeit des Seins nicht. Doof nur, dass man da graue Klamotten tragen muss. Ach ich werde die Farben vermissen. Aber ich habe eine Verpflichtung. Schließlich werde ich erheblich zur Rettung der Welt und des Universums beitragen. Jedenfalls hat man mir das gesagt, in der Weltraumsicherheitskartellbehörde. Irgendwie ein komisches Gefühl, wenn man als die herausragendste Person einer Spezies auserwählt wird.« (Gunnar von Ölz – Aus: »Mein Tagebuch«)

 

Kapitel 19 - Das letzte Geheimnis der doppelläufigen Hatschina

"Natürlich waren wir befreundet. Aber damals hatte ich noch nicht gewusst, was für ein mieser Saftsack dieser von Ölz doch ist. Von Ölz, wenn ich das schon höre... ganz so, als wäre er adlig oder so. In Wirklichkeit hat er den Titel bei einem Curlingwettbewerb gewonnen."
(Heiner Brantung - "Warum ich diesen Gunnar von Ölz so sehr verachte")

Irgendwo in John Krugers Kopf reifte etwas heran. Ein kleiner Gedankenfetzen, gerade groß genug, um in den oft verwinkelten Gängen seines Selbst Beachtung zu finden. Der Gedanke schob sich behäbig durch Krugers Synapsen, verhedderte sich in einem Hirnlappen, veränderte seine Struktur, nahm andere Gedankenfetzen in sich auf und wuchs. Immer mehr Ideenfragmente sammelten sich um den Gedanken und verhalfen ihm zu einer zuvor nie geahnten Präsenz in Krugers Inneren. Und irgendwann war es dann soweit: Der Gedanke wurde zu einer Idee.
"Wisst ihr was?", begann er und nahm einen kurzen Zug aus seiner Kippe um die Spannung zu steigern.
"Sag schon."
"Ich habe verstanden, wie das alles hier zusammenhängt."
"Wie was zusammenhängt?" Simone hatte inzwischen auf Krugers Rat hin ihren Schuh ausgezogen und fuchtelte mit dem Pfennigsabsatz angriffslustig in Richtung des Raumschiffes, welches sie in Form und Farbgebung übrigens keineswegs an Essbares erinnerte.
"Naja, das alles hier. Weißt du, diese ganze Geschichte hier mit den Aliens und so ist eigentlich ganz logisch. Man muss nur die großen Zusammenhänge verstehen."
"Und du hast sie verstanden?"
"Sagte ich doch. Aber das ist alles wahnsinnig kompliziert." Der Detektiv ließ die rothaarige Schönheit links liegen und packte Holgi am Arm. "Komm mit, mein Guter. Wir haben eine Welt zu retten."
"Wir? Du und... du und ich?" Holgi konnte sein Glück kaum fassen. Die ganze Zeit über hatte er sich vollkommen nutzlos gefühlt - in den Augen der anderen auch vollkommen zu Recht - und jetzt sollte er auf einmal die Welt retten. Aufgeregt hüpfte er ein wenig auf der Stelle.
"Ja, du und ich. Komm, wir gehen. Ihr anderen haltet diese Raumschiffe in Schach. Und die Weltraumschlampe. Und ihren Bodyguard, diesen Schak... Schik..."
"Schaksowasi."
"Genau."
"Ja, kein Problem - plopp. Ich habe hier immerhin einen Stock und die nur eine - plopp - Raumschiffflotte..."

...

"Admiral, es ist soweit. Unsere Vorhut unter Fräulein Lalas Leitung hat ganze Arbeit geleistet."
"Kann es losgehen?"
"Es kann losgehen, Admiral. Wir sind gelandet, die anderen Schiffe sind im Orbit bereit."
"Das wurde auch verdammt noch mal Zeit." Admiral Targon spuckte sein Kaugummi mit Zopriatenaroma aus (schmeckt ein wenig nach Druktose mit einem Hauch Zimt), räusperte sich noch einmal und schnappte sich dann sein Admiralsmikrofon. Schwuppdiwupp war er in allen anderen Kriegsschiffen der königlich kaiserlichen Angriffsflotte über Lautsprecher zu hören. "Männer. Krieger. Soldaten. Helden. Putzfrauen. Ihr alle werdet sogleich Zeuge werden, wie unserem galaktischen Imperium ein weiterer unbedeutender Planet einverleibt wird. Der Widerstand war wie zu Erwarten stark, aber dank unseres Mutes und unserer Entschlossenheit war es ein leichtes, ihre schwerste Verteidigungslinie zu durchbrechen. In wenigen Augenblicken werde ich unsere ultimative Waffe zünden und dann wird die Erde uns gehören. Eure Aufgabe wird es dann sein, die letzten verbliebenen Erdlinge auszulöschen. Es wird kein Spaß werden, aber es ist unsere Bestimmung. Heute Nacht werden wir Geschichte schreiben!" Obwohl Targon diese Worte mit genau jenem Enthusiasmus sprach, mit dem einst Bill Pullmann den Independence Day einläutete, blieb eine euphorische Reaktion aus. Die Krieger hatten diese Rede einfach schon zu oft gehört, um sich davon noch motivieren zu lassen.

"Ich glaube, ich werde meiner Frau ein Souvenir mitbringen. Da unten soll es Kängurus geben", sagte ein Soldat, als er sich seinen Eroberungshelm auf den Kopf setzte.
"Hoffentlich sind wir zum Mittag zurück. Es gibt Leber", sagte im gleichen Moment ein weiterer Soldat, als er sich in einem anderen Raumschiff der Flotte seine Schuhe zuband.
"Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen", sagte ein dritter, als er vor dem Entsichern seines Sturmgewehres an einer Blume dieses Namens schnupperte.
Natürlich ließen sie sich durch die Rede nicht aus der Ruhe bringen. Invasion war bei ihnen längst zur Routine geworden.

Targon bemerkte davon allerdings nichts, warf noch einen letzten Kontrollblick auf Seite vierhundertdreizehn im Raumschiffhandbuch und drückte den Auslöser für Phase eins der ultimativen Waffe.

...

"Ich habe ihm diese Baupläne nicht gestohlen. Vielmehr haben wir die Hatschina gemeinsam entwickelt. Na gut, von ihm stammen die Skizzen, der Aufbau und die Farbgebung - obwohl ich mit diesem Babyblau nie etwas anfangen konnte. Brantung hat auch die Physik erforscht, die der Hatschina zugrunde lag. Aber ich hatte die Idee, das Ding mit einem Doppellauf auszustatten. Wegen der Ästhetik.
Nachdem wir uns dann gestritten hatten - ich weiß gar nicht mehr, worum es eigentlich ging, vermutlich eine Frau oder weil er mir immer mein Radiergummi geklaut hat - musste ja einer von uns die Hatschina veröffentlichen. Er wäre dazu nie in der Lage gewesen und ich kannte die richtigen Leute. Also war es nur recht und billig, dass ich dann auch meinen Namen dafür hergegeben habe. Als Wiedergutmachung habe ich in das Mundstück der Hatschina einen kleinen Speicheltester eingebaut. Nur Brantung selber oder einer seiner direkten Nachfahren können sie richtig bedienen. So könnten wir uns den Ruhm zur Rettung der Welt teilen, dachte ich mir. Netter Zug von mir, oder?"
(Gunnar von Ölz - "Wie ich die Rockmusik erfand - eine Biographie in 42 Kapiteln")

...

"Sag mal - plopp - Simone, ich meine, jetzt, wo wir dem Ende der - plopp - Welt sozusagen ins Auge blicken und unsere Chancen nicht wirklich gut... ich meine, würdest du mich eventuell küssen?"
"Was? Warum das denn?"
"Naja, ich - plopp - habe viel Zeit in meinem Keller verbracht auf der Flucht vor den Aliens. Und... naja, ich... ich hab noch nie - plopp - eine Frau geküsst."
Simone dachte einen Augenblick nach. Auf der einen Seite tat er ihr schon leid. Auf der anderen Seite handelte es sich um Dieter. Dieter, der beim Reden spuckte. "Warum jetzt mit dieser Tradition brechen", sagte sie.
"Hmm... du, Claudia, ich meine - plopp - jetzt, wo wir dem Ende der Welt quasi Aug in Aug gegenüber... ich meine, hättest du eventuell Lust, also... - plopp -?"
"Halt die Klappe, ich muss mich konzentrieren." Die rassige Bardame mit Spezialausbildung zielte Lala genau zwischen die schönen Augen. Die Alienfrau und ihr Schaksowasi kamen nämlich langsam wieder zu sich und schälten sich aus dem Schuttberg, den die Explosion hinterlassen hatte.
"Du, Sascha... also, jetzt, wo wir - plopp - sozusagen..."

Sascha antwortete nicht. Mit schreckgeweiteten Augen blickte sie nur starr das gelandete Raumschiff an. Es veränderte sich. Überall an der Außenwand angebrachte Lampen begannen hektisch zu blinken. Diverse Dinge wurden ausgefahren, wanden sich in wellenartigen Bewegungen über die Oberfläche des Schiffes, Blitze zeugten von jeder Menge Energie und ein langsam anschwellendes Summen verhieß ebenfalls nichts Gutes.
"Verdammt, sie haben die ultimative Waffe", sagte Sascha tonlos während rote Laserpunkte zielsuchend über die Körper der Heldentruppe wanderten.

...

"Also, noch mal. Das hier ist die Hatschina?", fragte Holgi. Kruger nickte. "Und wenn man da reinpustet, wird die Welt gerettet?"
"Nein. Nur wenn der Auserwählte reinpustet. Und das bist du. Heiner Brantungs Sohn." Das war eine jener Enthüllungen, die in Filmen normalerweise standesgemäß mit einer Fanfare, einem Blitzschlag oder zumindest einer Werbeunterbrechung untermalt werden. Hier geschah nichts dergleichen. Warum sollte auch.
"Ich?"
"Du."
"Ich?"
"Du und wenn du noch mal fragst, knall ich dir eine. Scheißegal, ob du der Auserwählte bist oder nicht."
"Also bin ich der Auserwählte. Ich war noch nie auserwählt."
"Einmal ist immer das erste Mal." Kruger hatte Holgi in den Kommunikationsraum der Basis geschleppt. Von hier aus hatte das Militär in den letzten Jahren immer wieder versucht, Kontakt mit außerirdischen Lebensformen aufzunehmen. Natürlich hatten sie nie eine Antwort bekommen, da außerirdische Lebensformen nicht mit jedem dahergelaufenen Möchtegern reden, aber auf jeden Fall gab es hier eine Anlage, mit der sie die Töne der Hatschina über eine große Distanz senden konnten.
"Aber ich weiß doch gar nicht, was ich machen soll."
Kruger verdrehte entnervt die Augen. "Das Ding hat zwei Enden. In das eine pustest du rein und das andere hältst du vor dieses Mikro. Leichter geht’s nicht."
"Aber..."
"Nichts aber. Hau rein jetzt! Wir haben nicht viel Zeit." Kruger durchwühlte seinen Mantel nach etwas Trinkbaren. Leider hatte er seinen letzten Whiskey irgendwo auf der Fahrt zu dieser Basis getrunken. Immer wenn man denkt, es könne nun wirklich nicht mehr schlimmer kommen, geht einem zu allem Überfluss der Alkohol aus. "Scheißtag."
"Hier, ich habe noch den Zettel von diesem Geist aus der anderen Dimension!" Holgi zog den Zettel aus seiner Tasche. "Eine Anleitung, wie man die Flöte spielen muss."

...

"Was soll das heißen, wir haben keine Streuselkuchen mehr?"
"Sie sind alle, Sir."
"Was ist denn schon eine anständige Siegesfeier ohne Streuselkuchen... Verdammt noch mal, wenn man nicht alles selber organisiert. Ich verlange, dass der zuständige Soldat erschossen wird."
"Das haben wir schon bei der letzten Invasion probiert."
"Ja, ich erinnere mich... dann soll der Soldat, der dafür verantwortlich war, den verantwortlichen Soldaten zu erschießen, ebenfalls erschossen werden."
"Vortreffliche Idee, Sir. Äh, Sir..."
"Was? Ach so, die Waffe. Alles klar, bereit für Phase zwei. Zehn... neun... acht... sieben..."
"Sir, ich empfange einen Funkspruch. Von den Erdlingen."
"Ja, sie winseln um Gnade. Wunderbar. Frequenzen öffnen! Ich will es hören. Alle sollen es hören."
"Zu Befehl, Sir."
"Ich werde mit dem Countdown warten, bis..." In diesem Moment explodierte Admiral Targons Kopf.

...

"Seht nur, die Raumschiffe! Sie fliegen in die Luft!"
"Nur noch ein bisschen näher, Weltraumschlampe... ein kleines Stück noch..." Claudia konzentrierte sich immer noch auf den kleinen Punkt zwischen Lalas Augen. "Gleich hab ich dich. Gleich..." Kurz bevor sie den Abzug drücken konnte, platzte der Weltraumazanone der Kopf. "Da hat sie aber noch mal Glück gehabt."

Sie fielen wie die Fliegen. Die Raumschiffe der Eroberer lösten sich nach und nach mit viel Getöse und einer ordentlichen Lichtshow in ihre Einzelteile auf. Kleine Schräubchen flogen in großer Höhe durch die Gegend, Scheiben zerbarsten und irgendwo verglühte der letzte Streuselkuchen in der Atmosphäre. Ziemlich spektakulär alles in allem.

Und dann... dann war es vorbei.

...

"Woher hast du gewusst, dass er der Auserwählte ist?"
"Naja, ich hab auf einmal voll durchgeblickt. Die ganze Sache wurde mir klar und es konnte nur diesen einen logischen Schluss für das Ganze geben."
"Erklärs mir."
"Ich sagte doch, das ist alles wahnsinnig kompliziert."

Kruger sonnte sich sichtlich in der Bewunderung, die die beiden Frauen ihm entgegenbrachten. Simone und Claudia überboten sich regelrecht darin, ihm schmachtende Blicke zuzuwerfen, ihren Dekolletes zurechtzurücken und den korrekten Sitz ihrer Schönheitsflecken zu prüfen.
Dieter war währenddessen im siebten Himmel. Nicht nur, dass Claudia ihm im Moment des Sieges einen spontanen Kuss gegeben hatte, er kramte nun zufrieden in den Einzelteilen der Raumschiffe herum und sammelte Material für seine Doktorarbeit über extraterrestrische Lebensformen. Sascha und Holgi hatten die Basis inzwischen längst verlassen. Kruger wollte nicht wissen, wohin die beiden verschwunden waren, und schon gar nicht interessierte es ihn, was sie dort taten. Um genau zu sein, interessierten Kruger im Moment nur drei Dinge. Zwei davon waren weiblich.

Und das dritte... Roll, roll, leck, falt und fertig.

 
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