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Kaffeetassenhalter

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16.11.2006
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Kaffeetassenhalter

Das Telefon klingelte und schickte seinen schrillen Ton langsam durch die Windungen der Gehörgänge in mein träges Gehirn. Müde rieb ich mir die Augen. Der Kalender zeigte den siebenundzwanzigsten August 1997, die Uhr an der Wand fügte ein digitales 08:30 dazu.
Wieder lag eine viel zu kurze, viel zu heiße Nacht über der Karte von „Age of Empire“ hinter mir, wieder zu viel Kaffee am Morgen. Mein Herz raste, trotzdem waren meine Bewegungen Zeitlupe.
Ein alter Comicfilm spulte vor meinem inneren Auge ab, als das laute, herrische Klingeln die von Büroklammern zusammengehaltenen Papiere vom übervollen Schreibtisch segeln ließ. Ich hechtete mit scheinbar todesmutiger Geschwindigkeit hinterher, stieß mein Schienbein schmerzhaft an dem Rolli unter dem Tisch, riss noch fast zwei Tastaturen herunter, konnte aber trotzdem nur noch ein einzelnes Blatt haschen, dessen Kante mir schmerzhaft in die feuchten Finger schnitt.
Eigentlich wäre es doch eine gute Idee, die Tür zum klimatisierten Serverraum zu öffnen.
Die Erleichterung kam prompt, als die gekühlte Luft meinen müden, schon jetzt schweißnassen Körper streifte.
Noch immer klingelte es. Also ein Lächeln in die unwillige Gesichtsmuskulatur gezwungen und die linke Hand gemächlich zum Hörer ausgefahren.
„IT hier. Was kann ich für Sie tun?“

„Bitte schicken Sie mir ein neues Passwort, meine User ID ist hworrel5.“ Erleichtert atmete ich auf, dieses Problem war selbst in meinem Zustand leicht zu beheben.
Mein Tag im Keller des zehnstöckigen Bürogebäudes begann einmal mehr völlig normal. Um mich herum summte die Intellektronik ihr ewig gleiches Lied, jeder Fehlton wäre mir aufgefallen. Router, Bildschirme, Rechner, ab und zu kam ein neues Gerät hinzu, wurde ein altes ausgemustert. Und überall Kabel, durch die ich mir jeden Morgen und Abend meinen Weg zu dem immer kleiner werdenden Platz am Schreibtisch bahnte. Gerade, dass meine Tasse und der kleine Quirl für die heiße Milch im Ladegerät daneben noch ein freies Plätzchen hatten.
Gemütlich lehnte ich mich zurück und genoss den kleinen Erfolg der ersten gelösten Aufgabe des Tages, als es erneut klingelte. Ich nahm den Hörer schon etwas schneller ab, so langsam hielten meine Lider von allein in der „open“-Stellung. Stolz meldete ich mich. „IT hier, was kann ich für Sie tun?“ Immer zu Diensten, ob nun neue Programme gebraucht wurden oder jemand umziehen sollte, neue Rechner bestellt wurden oder die Tintenpatronen im Drucker getauscht werden mussten.

„Der Kaffeetassenhalter an meinem PC ist abgebrochen“, tönte es mir hektisch von der anderen Seite entgegen, was mich binnen Sekunden vollständig weckte. Nur mühsam behielt ich ein „Wollen Sie mich verarschen?“ hinter den zusammengebissenen Zähnen. Kaffeetassenhalter? Am PC? Wo sollte der denn sein? Ich überlegte krampfhaft.
Die junge Dame war schon mitten in diversen Fragen. „Sie sind doch von der IT, nicht wahr? Sie können mir doch bestimmt helfen? Ich meine, es geht ja um meinen PC!“ Die hektische Not wurde von deutlicher Entrüstung abgelöst.

„Ich sehe es mir gleich an. Wo finde ich Sie denn?“, setzte ich also, mit aufgesetzter Liebenswürdigkeit im Tonfall, über meine Anstrengung hinweg.

Die aufgeregte Stimme am anderen Ende schraubte sich in ungeahnte Höhen, als sie mir den Weg erklärte, dem ich, neugierig geworden, sofort folgte. Neunter Stock. Also kein ganz kleines Licht.
Der Fahrstuhl war mal wieder ausgefallen, also schleppte ich den Koffer mit Werkzeugen und meiner Software-Nofallausrüstung über die Treppen mühselig nach oben.
Frau Kämper war rothaarig, sommersprossig und hübsch und fuchtelte wild mit der Maus hin und her. Ihr Ton kippte von einem entrüsteten „da sind Sie ja endlich!“ in blanke Beleidigung, als sie weitersprach. „Und der Rechner funktioniert auch nicht mehr richtig. Gucken Sie mal.“ Sie rollte auf dem lederbezogenen Bürosessel zurück, um mir den Weg zu ihrem PC freizugeben.
Auf dem Bildschirm verhinderte die Meldung: „Bitte CD-Schublade schließen“ jede weitere Eingabe.

Benutzte Worte:
CD
Büroklammer
Quirl
Karte
Maus

Gepostet von Rev.Angeldust am 29.08.07

 

Hallo Tamlin,

ich freue mich sehr, dass du den Weg in die Wörterbörse gefunden hast :).

Deine Geschichte kannst du für zwei Wochen in eine andere Rubrik verschieben lassen, weil dadurch evtl. die Chance steigt, dass sie gelesen wird.

Du müsstest dir noch überlegen, wohin du sie haben willst - Alltag oder Sonstige - ein mancher kann sie sich vielleicht sogar in Humor vorstellen.

Zur KG an sich:
Den ersten Absatz finde ich etwas schwierig als Einstieg, nicht inhaltlich, sondern in der Ausführung. Besonders der zweite Satz

Ich fühlte mich wie in einem alten Comicfilm, in dem ein Telefon durch sein wütendes Klingeln die von Büroklammern zusammengehaltenen Papiere vom übervollen Schreibtisch segeln lässt.

fällt mir dazu auf.

Etwas irritierend ist für mich, dass sich eine IT-Fachkraft mit scheinbaren Hausmeisterreparaturen abgeben will ;).

Ansonsten hätte mir besser gefallen, wenn es ein Mann gewesen wäre, der sich so gar nicht in der Kunststoffstatik auskennt - mal davon abgesehen, dass es meinem PC überhaupt nichts ausmacht, ob die Schublade offen oder geschlossen ist, egal, was ich daran arbeite ;).

Die Wörter hast du gut in den Text integriert, sie fallen überhaupt nicht auf.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo bernadette,

Vielen Dank fürs Lesen und die Kritik.

ich freue mich sehr, dass du den Weg in die Wörterbörse gefunden hast.

Ich hab schon eine Weile überlegt ... und jetzt ist mir endlich mal was eingefallen. Schön, dass es Spaß macht.

Den ersten Absatz finde ich etwas schwierig als Einstieg, nicht inhaltlich, sondern in der Ausführung. Besonders der zweite Satz

Hmmm ... dann schau ich mal, ob mir das noch runder gelingt.

Etwas irritierend ist für mich, dass sich eine IT-Fachkraft mit scheinbaren Hausmeisterreparaturen abgeben will ;).

Das ist wohl etwas verkehrt rübergekommen. Die Servicetechniker in der IT nennen sich ganz gern mal "Hausmeister", weil sie sich halt meist nicht nur um Software sondern auch um Hardware (Beschaffung, Aufbau, Umzüge etc.) kümmern müssen. Ich feil das mal noch aus.

Ansonsten hätte mir besser gefallen, wenn es ein Mann gewesen wäre, der sich so gar nicht in der Kunststoffstatik auskennt - mal davon abgesehen, dass es meinem PC überhaupt nichts ausmacht, ob die Schublade offen oder geschlossen ist, egal, was ich daran arbeite

Da hab ich jetzt ein Verständnisproblem. Was meinst Du mit "Kunststoffstatik"? Die Schublade, deren Vertiefung sich so wunderbar für eine Tasse eignet? ;)

Dass sich die heutigen PC's nicht mehr dran stören ist richtig, aber als das passierte (vor etwa 8 Jahren) steckten diese Entwicklungen noch in den Kinderschuhen. Ja, der Fakt an sich (nämlich der "abgebrochene Kaffeetassenhalter") ist real passiert. Ich hätt's nicht geglaubt, hätte ich es nicht gesehen.

Liebe Grüße zurück
Tamlin

 

So Tamlin,

nach der Verschiebung bekommst du jetzt auch eine Kritik.
Lektoren würden Formulierungen wie

„Bitte schicken Sie mir ein neues Passwort …“, begann mein Tag im Keller des zehnstöckigen Bürogebäudes völlig normal.
nicht durchgehen lassen, zum einen wegen des Perspektivwechsels mitten im Satz, zum anderen wegen des unsauberen Ausgangs der direkten wörtlichen Rede.
Auch der erste Satz ist etwas ungenau, denn nicht das Telefon, sonder das Klingeln muss ja durch die Windungen des Gehörs zum Gehirn durchdringen. In deinem Satz allerdings tut dies das Telefon.
Die Zeit, in der das Ganze spielt, solltest du deutlich machen, denn heutzutage taucht die Meldung nur noch während eines Installationsvorgangs auf, der eine CD benötigt und blockiert den PC tatsächlich nicht mehr. Und Age of Empire hat man ja auch vor zehn Jahren schon gespielt.
Ich weiß nicht, wie viel sich bei den Betriebs-PC-Schlossern inzwischen getan hat, aber unsere IT-Service-Leute hatten ihren Schreibtisch schon 2001 (vorher war ich noch nicht in der Branche) nicht im Serverraum. Schon deshalb nicht, weil es dort viel zu kalt wäre, aber auch, weil niemand einen Arbeitsplatz in so dauerhaftem Elektrosmog haben sollte. Von der Empfindlichkeit der Geräte ganz zu schweigen. Die als Kapital der Firma werden ja noch viel mehr geschützt als die Mitarbeiter. ;)
Mir hätte der männliche DAU ja auch besser gefallen, aber das kann und will ich mir als Leser nicht aussuchen.
Grundsätzlich finde ich deine Geschichte amüsant und habe bei Kaffeetassenhalter tatsächlich auch gleich an die CD-Lade gedacht.

Lieben Gruß
sim

 

Hej sim,
vielen Dank fürs Verschieben und für die Kritik. Ich hab mich noch mal drangemacht, Dich als Lektor nicht ganz so im Ungenauen zu lassen. Nun schickt das Telefon sein Klingeln, statt seiner selbst ;)

aber unsere IT-Service-Leute hatten ihren Schreibtisch schon 2001 (vorher war ich noch nicht in der Branche) nicht im Serverraum.

War ebenfalls zu ungenau. Für gewöhnlich hört man die Server ja auch, trotzdem sie in einem eigenen Raum stehen. Ist jetzt hoffentlich deutlicher.

Vielen Dank fürs Lesen und amüsantfinden.
Liebe Grüße
Tamlin

 

Hi Tamlin,
zwei Dinge habe ich noch übersehen.

Gemütlich lehnte ich mich zurück und genoss den kleinen erfolg der ersten gelösten Aufgabe des Tages
auch wenn der Erfolg nur klein ist, wird er dennoch groß geschrieben. ;)
Neunter Stock. Also kein ganz kleines Licht.
habe ich beim ersten Lesen schon gedacht, aber vergessen zu notieren. Ich kenne es so, dass die Büros der Chefetagen oben sind.

Lieben Gruß
sim

 

Hallo Tamlin,

mir gefällt deine Geschichte so gut, dass ich noch einen Kommentar schreiben möchte, auch wenn sie schon ein oder *hüstel* zwei Tage älter ist.
Bei "Kaffeetassenhalter am PC" hab ich auch gleich an die CD-Lade gedacht, aber ich bin ja auch ne Frau - und Kaffeejunkie. ;)
Trotzdem (also obwohl ich schon geahnt hab, worauf es hinausläuft) hat es großen Spaß gemacht, deiner Geschichte zu folgen.

Aber ich will dir natürlich nicht nur Honig um den Bart schmieren, denn besser geht meiner Meinung nach immer.:teach::D

Insgesamt würde ich versuchen die Geschichte noch zu straffen: ein paar unwichtige Details zu streichen und die wichtigen dadurch ein bisschen zu polieren.

Beispielsweise am Anfang: warum du die Jahreszahl eingebaut hast, hab ich erst verstanden, als ich die Kommentare gelesen hab, in der Geschichte fand ich sie erstmal irritierend. Vielleicht kannst du sie inhaltlich irgendwie mit "Age of Empires" verbinden, so dass diese Information nicht so unbeteiligt neben den anderen herumsteht?
Den Zusatz

(...)die Uhr an der Wand fügte ein digitales 08:30 dazu.
finde ich dagegen äußerst gelungen. :D
Vielleicht kannst du die erste Szene so schreiben, dass das träge Gehirn "im Zentrum" ist? Zum Beispiel indem es zunächst dieses störende Klingeln erst langsam dem Telefon zuordnen kann, dann wegen dem Datum irritiert ist und sich dann bewusst wird, dass es wirklich schon 1997 ist und die Nächte über der AoE-Karte vielleicht doch langsam ihren Tribut fordern.

 

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