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Nie vergessen

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22.02.2007
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Nie vergessen

Ich erinnere mich noch gut an jene stürmische Winternacht, die mein Leben veränderte.
Ich tanzte mit ihr, glaubte, wir wären endlich wieder glücklich miteinander, wir würden nicht mehr bei jedem halbwegs fröhlichen Lachen ein schlechtes Gewissen kriegen.
„Wie schön, dich mal wieder lachen zu hören“, sagte ich dann auch zu ihr. Lena wendete sich ab, als hätte ich sie bei einer schlimmen Tat ertappt.
„Was ist“, fragte ich und massierte sanft ihre Schultern. „Hm?“
Keine Antwort.
„Was ist?“, sagte sie schliesslich. „Wieso fragst du das?“ Sie ging in die Küche, wahrscheinlich, damit ich ihre Tränen nicht sehen konnte.
Obwohl ich wusste, dass sie allein sein wollte, ging ich ihr nach. „Musst du denn schon wieder damit anfangen?“, fragte ich hilflos.
„Womit? Du hast doch angefangen!“, antwortete sie.
Ich öffnete das Fenster und schaute den Schneeflocken zu, die lautlos zu Boden gleiteten und schliesslich zerschmolzen. Sie waren schön, doch sie konnten die Welt nicht ändern. Genauso wenig wie ich.
Die Tür knallte. Lynn war nach Hause gekommen. Sie hatte den Nachmittag wie immer bei ihrer Freundin verbracht. Ich ging ihr entgegen. „Hallo Schatz! Na, wie gehts? Wie wars in der Schule?“ Meine Fragen kamen mir auf einmal so steif und einstudiert vor. Früher hatte ich zwei Kinder zu begrüssen. Während Lena von Lynn bestürmt worden war, hatte ich Annie immer geholfen, die Schuhe auszuziehen.
„Gut“, sagte Lynn. „Wo ist Mam?“
Das Abendessen verlief still. Ich stellte Lynn ein paar Fragen und sie erzählte von einem Hexentrank, den sie und ihre Freundin gebraut hatten. "Wie schön",sagte ich, war aber nicht recht bei der Sache. Lena war schweigsam wie immer. Sie hatte ein Fertiggericht gekocht. Früher hatte es das nie gegeben, da Annie sich stets geweigert hatte, so was zu essen. Lynn war da weniger kompliziert.
Zwei Stunden später las ich Lynn eine Gutenachtgeschichte vor, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und löschte das Licht in ihrem Zimmer. Dann ging ich runter zu Lena. Sie sass auf dem Sofa und schaute mich erwartend an.
„Tut mir leid wegen vorhin“, sagte sie.
„Schon gut“.
„Es ist nur, warum bist du immer so verständnisvoll? Du bist traurig, aber du zeigst es nicht. Ich habe manchmal das Gefühl, nicht mehr weiterleben zu können.“
„Was redest du da?“
„Ich meine, du schreist nicht, du weinst nicht, du stehst zur selben Zeit auf wie früher, du machst alles genau gleich.“
„Irgendetwas muss doch gleich bleiben.“
„Nichts ist so wie früher.“
Sie umarmte mich. „Annie hat dich geliebt. Ich war oft so unfair zu ihr, sie war ein kompliziertes Kind, nicht wie Lynn. Ich habe sie nie genügend akzeptiert.“
„Sie war ein besonderes Kind und sie wusste, dass du sie liebtest.“
Ich hatte Tränen im Gesicht, sie wischte sie weg. Sie streichelte meinen Hals, meinen Rücken, mein Gesicht.
„Schlaf mit mir“, flüsterte sie.
„Was? Aber, du wolltest nicht mehr, seit ...“
„Schht.“
Sie fiel über mich her, als hätte sie keine Sekunde länger auf diesen Augenblick warten können. Meine Zunge erwiderte ihre fordernden Bewegungen. Wir liebten uns wie in einem Schwertkampf. Da war keine Zärtlichkeit mehr zwischen uns, denn Zärtlichkeiten hatten wir in den letzten Monaten genug ausgetauscht. Es war reine Lust.
Auf einmal hörte ich Schritte und zog sofort meine Hose hoch. Ziemlich benommen tat sie dasselbe.
„Ich kann nicht schlafen“, klang es von der Wohnzimmertür her.
„Wollen wie ne Schokolade mit Sahne trinken?“, fragte ich.
„Jetzt? Aber ihr bringt mich doch sonst immer gleich zurück ins Bett“, sagte Lynn verwirrt.
Lena lachte. „Heute nicht“, sagte sie. „Lasst uns Schokolade trinken."
„Eigentlich hätte ich dich gerne noch zu Ende vernascht“, flüsterte sie mir in der Küche zu. „Später“, flüsterte ich zurück.
„Aber wir müssen doch morgen früh raus.“
Ich lachte und sie auch.
Dann kam Lynn und wir hoben sie hoch und sie bedeckte uns mit Küssen.
„Ich hab dich lieb, Schatz“, sagte Lena. „Das darfst du nie vergessen.“
Dann tranken wir Schokolade, bis Lynn mit einem Lächeln im Gesicht einschlief.
War es so wie früher? Nein. Lena hatte recht, wenn Dinge im Leben sich ändern, muss man selber auch ein paar Dinge verändern, sonst geht man kaputt.
Am nächsten Tag ging ich in den Wald und schrie nach Annie, und schrie, dass wir sie nie vergessen werden.

Die Wörter waren: Sahne, Winternacht, Tanzen, Schwertkampf, sanft

 

Hallo merettschen,

schön, dass auch du dich mit der Wörterbörse auseinandersetzt. Bevor ich mich genauer mit deiner Geschichte befasse, möchte ich dich bitten, sie noch einmal durchzulesen und genau darauf zu achten, aus welcher Sicht du schreibst. Du wechselst mehrfach zwischen erster und dritter Person, was beim ersten Lesen sehr verwirrt.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo Merettchen,
deine Geschichte laesst mich etwas zwiespaeltig zurueck. Einerseits finde ich es enorm, wie du aus diesen vorgegebenen Worten eine solche Geschichte fabriziert hast, andererseits erscheint es mir -mir faellt gerade kein besseres Wort ein - fast frevelhaft, eine solche traumatische Thematik fuer eine Art "Wortspielerei" zu benutzen. Ich weiss nicht, ob du verstehst, was ich meine. Haettest du die Geschichte ohne die Vorgabe geschrieben, haette ich sie wohl anders aufgenommen. Nun war ich - Gott sei Dank - noch nie in der Situation deiner Protagonisten, aber es kommt mir auch ein bisschen simplistisch vor. Ja, das Leben geht weiter. Aber das scheint mir hier noch so "frisch" nach dem Todesfall zu sein und da soll ein bisschen Sex das Wundermittel sein, das sie alle wieder zum Leben erweckt? Weiss nicht so recht ...
nachdenklich,
sammamish

 

Hallo zusammen!

Bernadette: Ich habe die Geschichte noch mal durchgelesen und glaube, jetzt steht alles in der ersten Person da.

sammamish:hmm, ich finde nicht, dass die Wörterbörse eine Wortspielerei ist, sie gibt nur Ideen für Geschichten, auch ernsthafte.
In der Geschichte steht, dass es schon mehrere Monate her ist, seit die Tochter gestorben ist, also nicht so kurz nach dem Todesfall.
Es geht mir dabei nicht so sehr um Sex als Heilmittel, sondern darum, dass sich die Eltern wieder erlauben etwas zu geniessen, obwohl sie immer noch trauern und vielleicht nie damit aufhören. Diesen Schritt stelle ich mir sehr schwer vor und er misslingt wohl vielen.
Vielleicht kommt es für die Leser anders rüber, das kann man als Autor halt nie genau wissen.

Liebe Grüsse

merettschen

 

Hej merettschen,
starke Geschichte! Ich verstehe sie so, dass der Vater sich in seine Gleichförmigkeit ähnlich tief vergräbt wie die Mutter sich in ihre Traurigkeit. Er macht alles wie vorher, vielleicht um sich nicht bewusst werden zu lassen, dass nichts mehr so ist.
Irgendwie steht jeder für sich allein, bis sie durch das kurze Schlafzimmerintermezzo wieder zusammenfinden und sich vielleicht dadurch eher ihrem Schmerz stellen können.

Für einen so einschneidenden Moment finde ich allerdings den Satz

„Ich komme gleich“, sagte sie.

ein wenig zu seicht, wäre schön, wenn Du das noch weiter ausmalen könntest.

Ein wenig Textkram hab ich noch:

Sie fiel über mich her, als hätte sie keinen Augenblick länger auf diesen Augenblick warten können.

...

Da war keine Zärtlichkeit mehr zwischen uns, denn Zärtlichkeiten hatten wir in den letzten Monaten genug ausgetauscht. Es war reine Lust.


Wiederholung von "Augenblick" im ersten und "Zärtlichkeit" im zweiten Satz.

Als Vorschlag vielleicht eher so:
als hätte sie keinen Moment länger auf diesen Augenblick warten können

Und:
Da war keine Zärtlichkeit mehr zwischen uns, nur noch Lust. Sanft waren wir in den letzten Monaten genug miteinander umgegangen.

Einmal ist Dir noch der Blickwinkel ausgerutscht:

„Da kommt jemand“, sagte ich, stiess sie runter und zog meine Hose hoch.

Ganz liebe Grüße
Tamlin

 

Hallo Tamlin!

Danke für die Kritik!

Ein paar Sachen habe ich anhand deiner Verbesserungsvorschläge geändert, den Satz in dem zweimal Zärtlichkeit vorkommt, möchte ich so lassen, er gefällt mir, trotz der Wiederholung.

Liebe Grüsse merettschen

 

Hallo merettchen,

noch eine Wörterbörsengeschichte. Prima. In welcher Rubrik möchtest du sie denn für zwei Wochen mal haben?
Auch ich bin etwas uneins mit der Geschichte. Ich finde den Anfang verwirrend, den Konflikt der unterschiedlichen "Verarbeitung" des Todes dann gut gelöst, würde mir aber mehr Tiefe in den beiden Figuren wünschen.
Notizen, die ich während des Lesens gemacht habe:

Ich erinnere mich noch gut an jene stürmische Winternacht, die mein Leben veränderte. Ich tanzte mit ihr, glaubte, wir wären endlich wieder glücklich miteinander, wir würden nicht mehr bei jedem halbwegs fröhlichen Lachen ein schlechtes Gewissen kriegen.
Ja, ein denkender Mensch weiß natürlich, dass nicht mit der Winternacht getanzt wird, auch wenn du genau das ausgedrückt hast. Ein Doppelpunkt oder ein Zeilen nach "veränderte" würden da schon viel helfen. Denn so bleibst du irgendwie bei der Winternacht, massierst auch deren Schulter ...
Allgemein ist der Einstieg verwirrend, daher auch mein Vorschlag mit dem Doppelpunkt, der blödsinnig wird, wenn man weiterliest, da du ab dem zweiten Satz nicht die Ereignisse dieser stürmischen Winternacht erzählst, sondern in der Gegenwart bist.
„Wie schön, dich mal wieder lachen zu hören“, sagte ich dann auch zu ihr. Da wendete sie sich ab, als hätte ich sie bei einer schlimmen Tat ertappt.
"dann auch" hast du sicherlich verwendet, um die Folgerichtigkeit zu unterstreichen (also als Synonym für "entsprechend"), es erreicht bei mir aber einen gegenteiligen Effekt, nämlich Belanglosigkeit anstatt Freude. "Da" liest sich als Satzeinleitung in den meisten Fällen einfach unschöne.
Die Tür knallte. Lynn war von der Schule gekommen.
Bisher war ich von einer Party ausgegangen.
Meine Fragen kamen mir auf einmal so steif und unspontan vor
Wie wäre es hier mit "steif und einstudiert"? Unspontan als Gegenteil von spontan liest sich irgendwie ... unspontan ;)
Das Abendessen verlief still.
Wie lange hat das arme Kind denn Schule?
„Tut mir leid wegen vorher“, sagte sie.
wegen vorhin
Sie umarmte mich. „Annie hat dich geliebt. Ich war oft so unfair zu ihr, sie war ein kompliziertes Kind, nicht wie Lynn. Ich habe sie nie genügend akzeptiert.“
„Sie war ein besonderes Kind und sie wusste, dass du sie liebtest.“
An dieser Stelle hätte die Geschichte eine interessante Wendung nehmen können, zu der du im Grunde schon angesetzt hast. Ich stelle mir das schlechte Gewissen einer Frau vor, die vielleicht feststellt: "Nein, ich habe sie nicht geliebt." Wäre aber natürlich eine anderen Geschichte. Gerade in Zeiten, in denen Kinder als Überforderungsopfer in Tiefkühltruhen gefunden werden, aber vielleicht brisant.
„Schlaf mit mir“, flüsterte sie.
Gut, Lust oder Geilheit brauchen keine Begründung, auch wenn hier zumindest die Idee naheliegt, dass es bei diesem Sex um Ersatzbefriedigung gehen könnte, zum Beispiel Schuldgefühle sublimieren, um Sex Vergebung durch den Ehemann erfahren.
„Ich komme gleich“, sagte sie.
„Da kommt jemand“, sagte ich,
Ich nehme an, Sammamish hatte dies mir unpassendem Wortspiel gemeint.
Mir stieß es aus mehreren Gründen auf. Zum einen bringt es tatsächlich einen mir unpassend erscheinenen Lacher, zum anderen überlege ich, wann man sagt. "Ich komme gleich", nämlich, wenn es darum geht, rechtzeitig rauszuziehen, um zu verhüten. Jedenfalls, wenn man es so als Warnung sagt. "Sagt" finde ich angesichts des vorher beschriebenen Schwertkampfs ohnehin zu mager für die Exstase kurz vor dem Orgasmus. "Da kommt jemand" lässt vermuten, es klingelt an der Haustür. Ansonsten kann es nur Lynn sein, die kommt, dann wäre aber die anonyme Warnung "jemand" unpassend, sondern man würde vielleicht eher "Achtung, Lynn ist wach" oder ähnliches sagen. Ohnehin liest sich deine wörtliche Rede ein bisschen arg nach dem King-Ratgeber für Autoren, in dem er fordert, etwas anderes als "sagt" sollte man nie verwenden. Entsprechend konsequent meidest du auch jedes sprachliche Synonym (oh, später sehe ich, du hast noch zwei mal flüstern und einmal fragte).
„Ich kann nicht schlafen“, klang es von der Wohnzimmertür her.
und einmal "klang", obwohl ich bei "klang" eher an Computerstimmen, Glocken oder brechendes Glas denke, nicht an einen wörtlichen Ausspruch eins lebendigen Menschen.
„Ich kann nicht schlafen“, klang es von der Wohnzimmertür her.
„Wollen wie ne Schokolade mit Sahne trinken?“, fragte ich.
„Jetzt? Aber ihr schimpft sonst immer, wenn ich so spät noch auf bin“, sagte Lynn verwirrt.
Erscheint mir unüberlegt (okay, das sind Kinder manchmal), aber wenn Eltern schimpfen, wenn das Kind kommt und sagt, es kann nicht schlafen, kommt es dann immer wieder? Zwischen "so spät noch auf" und "ich kann nicht schlafen" besteht ja ein Unterschied. Lynn hat es wenigstens versucht. Warum sollten die Eltern dann schimpfen, wenn sie kommt und sagt "Ich kann nicht schlafen", was ja so viel heißt, wie "ich fühl mich nicht wohl"?
Ich verstehe schon, dass das Angebot heißer Schokolade sie verwirrt, trotzdem erscheint mir die Stelle nicht ganz rund.

Lieben Gruß
sim

 

Hallo sim!

Danke für die ausführliche Kritik!

Ich habe die Geschichte überarbeitet, jedoch nicht für alle Sätze bzw. Stellen eine Lösung gefunden.

Der Anfang: Die Geschichte über eine Winternacht, deren Schultern sanft massiert werden, wäre sicher auch schön ... ;)
Ich habe darüber nachgedacht, finde aber keinen Weg, den Anfang zu verbessern. Ich könnte natürlich anfangen mit "ich tanzte mit Lena", finde das aber unschön.

Auch das häufige "sagte" empfinde ich als Knackpunkt. Ich habe Geschichten gelesen, in denen dieses Wort schon fast krampfhaft umgangen wird und durch meinte, murmelte, erzählte usw. ersetzt wird, manchmal an den unpassendsten Orten. Das das nervt mich immer.
Aber du hast schon recht, etwas Abwechslung schadet nicht, werd mir das noch durch den Kopf gehen lassen.
Die Charaktere ausbauen: Sicher auch eine Idee, zu der ich mir noch Gedanken machen werde.

Liebe Grüsse

merettschen

 

Hallo merettchen,

eine Möglichkeit wären die Tempi. Dein erster Satz steht im Präsens. Der zweite schon in der Vergangenheit. Wenn du die aktuelle Geschichte in der Gegenwart erzählst, kann es sich nicht mehr um eine Erinnerung handeln.
Im Übrigen kommen die Ereignisse der Winternacht ja nicht vor, nur deren Ergebnis wird klar. In sofern wäre zu überlegen, ob die Erinnerung an etwas, das du nicht erzählst, wirklich die geschickteste Einleitung ist.

Lieben Gruß
sim

 

Hmm, verstehe ich nicht so recht. Die Ereignisse der Winternacht werden ja beschrieben, auch wenn die Winternacht dabei zugegebenermassen keine grosse Rolle spielt. Oder meinst du, weil ich am Schluss nicht mehr in die Gegenwart zurückkomme? Muss mir das noch überlegen.

P.s. Ich möchte die Geschichte für zwei Wochen in eine andere Rubrik verschieben lassen, weiss jedoch nicht, welche am Besten passt. Was meinst du?

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo merettchen,

das ist ein Fehler meinerseits. Unter den "Ereignissen, die mein Leben veränderten" habe ich, auch wenn es nicht im Text steht, die Ereignisse verstanden, die zum Tod der zweiten Tochter führten.
Die sind für diese Geschichte des "Damit Leben Lernens" zwar egal, aber ich fand die Formulierung so dimensioniert.

Lieben Gruß
sim

 

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