Was ist neu

Wellnesstag

Mitglied
Beitritt
16.11.2006
Beiträge
77

Wellnesstag

Samstagmorgen, zehn Uhr. An der Kasse des Badelandes wandele ich meine Wellnesstagseintrittskarte in einen Chip und ein Paket aus Bademantel und Handtuch um und werde kurz hinter dem Drehkreuz schon von einem äußerst gut gelaunten, braun gebrannten Animateur erwartet, der sich mir über das ganze Gesicht breit grinsend als "Knut" vorstellt. Ich dackele brav hinter ihm her in die Kabinen vor dem Saunabereich und ziehe mich um.
Eigentlich ziehe ich mich eher aus, da der Bademantel zu meinem Erschrecken für meine Rundungen ein wenig arg knapp bemessen ist. Aber wir sind ja sowieso im textilfreien Bereich und warm genug wird es spätestens in der Sauna allemal.

Im Ruheraum erwartet mich bereits eine Liege mit brauner Wolldecke, daneben ein kleines Tischchen mit niedlichem Serviettendeckchen und einem angezündeten Kerzchen darauf. Zur Einstimmung gibt es erst mal ein Glas Sekt, auf einem Rollwagen stehen Kannen mit verschiedenen Säften und eine Obstplatte. Ich werde nach Strich und Faden bedient und brauche nur den Ansatz eines Wunsches zu äußern, um ihn sofort erfüllt zu bekommen.

Es folgt ein ausgiebiger Vortrag zum Thema "richtiges Saunieren", das von Knut mit so schulmeisterhafter Genauigkeit ausgeführt wird, dass ich mich rückblickend regelrecht mies fühle, weil ich die ganzen Wichtigkeiten bei meinen bisherigen Saunagängen nicht beachtete.
Danach erläutert er den Tagesplan, der doch recht dicht gesteckt ist. Mit Befremden stelle ich fest, dass mir vermutlich nicht allzu viel Zeit bleiben wird, eine andere als die gerade für die Anwendungen geplanten Saunen aufzusuchen. Entspannung ist purer Stress, jedenfalls wenn sie richtig betrieben werden soll.

Also wende ich mich gleich der gerade einmal warmen Panoramasauna zu. Ich gerate auch nach knapp zwanzig Minuten kaum ins Schwitzen, weswegen ich mir nur kurz und nahezu atemlos den eisigen Kneippschlauch auf den Körper richte, natürlich gemäß des Vortrages schön brav von Füßen und Händen zum Herzen hin, und gleich erleichtert zum warmen Fußbad übergehe.
Die Massage erwartet mich in einen mit gewürzfarbigen Tüchern ausgelegten Raum. Zwei ausgebildete Masseure nehmen sich der Rücken ihrer Kunden ausgiebig an.
Mir bleibt trotz der sanften Klänge einer Sitar aus dem kleinen Recorder keine Möglichkeit zum Einschlafen, weil die junge Dame sich meine bürobedingt ständig verspannten Schultern so kräftig zu Händen nimmt, dass ich mich hinterher fühle wie eine Möwe mit gebrochenen Flügeln.

In der wenigen Freizeit sehe ich mir die auf allen möglichen Oberflächen groß beworbene russische Banjasauna erwartungsvoll von innen an und bin enttäuscht. Es handelt sich zwar von außen um ein hübsches Holzhäuschen mit Schnitzereien und netten, hexenhausmäßig anmutenden Kleinigkeiten, innen ist es allerdings eine zwar von Klischees ziemlich überladene aber ansonsten ganz normale Finnsauna. Trotzdem kann es nicht schaden, jetzt mal richtig ins Schwitzen zu kommen.

Das Harz, das der Wärme wegen aus den unbehandelten Birkenstämmen austritt, erfüllt den heißen Raum und mich mit Frühlingsduft. Nach einer Viertelstunde genieße ich die frische Luft im Außenbereich und diesmal ist der Kaltwasserguss nicht halb so kalt wie befürchtet, ich traue mich sogar durch das unbeheizte Schwimmbecken wieder nach draußen, bin aber doch froh über die beheizte Variante auf dem Weg nach drinnen, wo mich Knut direkt abfängt. Wo ich denn gewesen wäre, will er als aufmerksamer Animateur aufgesetzt besorgt wissen und begleitet mich und meinen weiteren Weg durch Whirlpool und Fußbäder mit guten Ratschlägen.

Mittagszeit. Mein unbefrühstückter Magen macht deutlich auf sich aufmerksam und bettelt um Füllung, die in Form von Salat mit Schafskäse, Thunfisch und Baguette gereicht wird. Dazu gibt es einen frisch gepressten Fruchtcocktail mit Papierpapagei und Ananasscheibe am Glasrand sowie jede Menge strahlend gut gelaunter, braun gebrannter Animateure, die nur durch die grimmigen Blicke Knuts von mir ferngehalten werden können.

Kaum ist der Salat verspeist geht die Hetze auch schon weiter. Es ist vierzehn Uhr und mich erwartet eine Rasul - Anwendung für schöne Haut. Knut folgt mir in das Dampfbad und verspricht zwinkernd, dass ich hinterher mindestens zwanzig Jahre jünger aussehen werde, was mich prompt zu der lauten Überlegung veranlasst, wo ich meinen Schulranzen gelassen hätte. Sein Grinsen bekommt einen leicht angestrengten Ausdruck und der Bauchansatz über dem Hamamtuch wird kurzzeitig zum richtigen Bauch, bevor er sich wieder in der Gewalt hat.

Ich bekomme ein Schüsselchen in Form einer Muschelschale hingestellt. Der Inhalt gleicht einem gemischten Eis, was Knut aber gequält lächelnd verneint. Es handelt sich vielmehr um vier verschiedene Heilerden, die auf die verschiedenen Körperregionen geschmiert werden sollen. Er stellt sich sicherlich einen anderen als meinen deutlich zu üppigen Körper vor, als er mir dabei zusieht, wie ich die Erde auf Gesicht und Dekolleté, Armen, Brust und Bauch, Beinen und Hüften verteile. Als ich feststelle, dass meine Rückenmitte mir trotz der Massage unerreichbar bleibt, nimmt er widerstrebend den letzten Klecks aus der Schale und schmiert sie mit gelangweilten, sparsamen Bewegungen auf meine gemarterte Hinterseite. Ich fühle mich wie ein außergewöhnlicher Indianer mit weißer, ockerfarbener, schietig brauner und grauer Bemalung auf einem sehr seltsamen Kriegspfad. Als sich nach kurzer Zeit die vier Farben auf dem Körper zu einem einheitlichen Mauerblümchengrau vermischt haben, komme ich mir allerdings eher wie in einer Schweinesuhle vor. Alles ist glitschig und das kleine weiße Frotteetuch zum Schweißtrocknen hat mittlerweile dieselbe Farbe wie mein Körper. Und trotzdem läuft mir die Soße in die Augen.

Das spezielle Saunasalz mit Eukalyptus und Minze bietet nur kurzzeitig die lauthals angepriesene Erfrischung, bevor es auf dem Körper taut wie Schnee.
Dann wird das Salz-Schlamm-Gemisch abgeduscht, meine Haut fühlt sich wirklich sehr schön weich an. Allerdings stechen die auf dem Boden liegenden Salzkörner wie Nadeln in meine nun sehr empfindlichen Fußsohlen. Ob ich mit elf Jahren wohl auch solche Schwierigkeiten mit dem Barfußlaufen gehabt hätte? Stimmt wohl doch nicht, was Knut mir vorschwärmte.
Auf den nassen Körper trage ich schließlich wohlriechendes Öl auf, das weder abgeduscht noch mit dem Handtuch abgerubbelt werden soll. Damit sich die Poren wieder schließen können, reibe ich mich stattdessen mit Eis ab, das in einem Spender direkt vor dem Dampfbad wartet.

Völlig erschossen von der riesigen Anstrengung des Einreibens, Peelens, Abduschens und wieder Einreibens lege ich mich im Ruheraum auf meine Liege, wickele mir die Wolldecke um die Beine und dämmere gerade mit mittlerweile wohlig kribbelnder Haut in Morpheus' Arme hinüber, als die Tür schwungvoll wieder aufgeschoben wird. Seine gute Laune wie einen Schild vor sich her tragend verkündet Knut, es wäre nun Kaffeezeit. Ich bitte um einen Tee und sehe noch, wie ihm im Hinausgehen das Grinsen vom solarobraunen Gesicht rutscht und durch eine hassverzerrte Grimasse ersetzt wird.
Wichtige Feststellung für mich: Essen klappt auch im Halbschlaf.

Ein paar Minuten Ruhe sind mir hinterher noch vergönnt, bevor die nächste Anwendung ansteht.
Gehässig alle Zähne zeigend verkündet Knut, dass er nun für mich einen Aufguss in der Clubsauna machen wird. Ich solle mir doch einmal Gedanken über den Duft machen, den ich dabei in der Nase haben möchte.
Mir ist eher danach, einfach bewegungslos liegen zu bleiben, darum schlage ich lakonisch
"Currywurst-Pommes" vor. Sein Lachen klingt irgendwie gezwungen, ebenso wie der fröhliche Unterton, als er mir stattdessen „Orange-Zitrone“ anbietet.
Mühsam quäle ich mich dann doch von der bequemen Liege hoch und schleiche hinter ihm her.
In der Sauna sind es knapp neunzig Grad, aber der Aufguss lässt es noch zehn Grad heißer werden.

Als Knut dann genau das tut, wovon er in seinem Vortrag deutlich abgeraten hat, und sich in der Sauna mit exzessiv bewegtem Handtuchschleudern beschäftigt, senke ich den Kopf wie eine Gläubige vor dem Priester. Ein Wüstenwind, dem nur noch der Sandsturm fehlt, fährt mir über den Körper und lässt den Schweiß in Strömen rinnen. Meine Atemwege scheinen in Flammen zu stehen, als ich mich nach der obligatorischen Viertelstunde schwankend aus der Schwitzhütte hinaus und auf das kleine Atrium bewege, dem wieder der Kneippschlauch und das Tauchbecken folgen. Schließlich noch einmal die paar Züge hinaus und wieder hinein schwimmen, abtrocknen und ein Wechselfußbad, das den Körper wieder auf Normaltemperatur bringt. Mein Foltermeister trägt weiterhin das gehässige Grinsen auf dem Gesicht, als er mich nach meinem Befinden fragt.

Geschafft lasse ich mich auf meinen Ruheplatz fallen, zu entkräftet, um mehr als den kleinen Finger zu heben. Den allerdings ergreift Knut sofort, wie mir scheint, und zerrt mich zur letzten Anwendung des heutigen Tages in den Hamam. Als er wie in Ekstase beginnt, mir Honig über den zerschundenen Körper zu schöpfen und mich zu beschwören, ich möge die klebrige Flüssigkeit doch verteilen, beginne ich langsam an meiner Wahrnehmung zu zweifeln. Im Sitzen schmiere ich lustlos mit dem Honig auf mir herum, der sich langsam mit dem Dampf und meinem Schweiß vermischt, und stehe dann auf, um mir die Reste abzuspülen. Ich hatte allerdings nicht bedacht, dass sich das Flüssigkeitsgemisch auch unter meinen Füßen gesammelt haben könnte, gleite deswegen aus, schlage der Länge lang hin und reiße den Animateur mit mir. „Endlich Ruhe“, kann ich noch denken, dann wird es dunkel.


Benutzte Wörter:

Möwe
Nadel
atemlos
Sitar
schwanken

gepostet von RichardB

 

verschoben aus der Wörterbörse. Bitte am 30. Januar zurück. :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Tamlin, das war klasse - habe deinen Text amüsiert gelesen und gegen Ende erstaunt auf die fünf Wörter geblickt, die du eingebaut hast. Erst da fiel mir auf, dass es "meine" waren. Gefällt mir, was du daraus gemacht hast! Der Text ist stellenweise zwar etwas langatmig, dafür offenbarte er die nicht kürzere Qual der Erholungswütigen. Ich wusste schon immer, dass Wellness nichts für mich ist - da hilft auch keine Sitar ;)

 

Hej RichardB,
freut mich, dass es Dir gefallen hat ;)

Könntest Du eventuell die langatmigen Stellen bitte etwas präzisieren? Dann schau ich noch mal drüber, ob sich was machen lässt.

Die "nicht kürzere Qual der Erholungswütigen" find ich klasse umschrieben!

Lieben Dank und Grüße
Tamlin

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo nochmal, Tamlin! Mein Kritikpunkt ist mit Sicherheit eine Frage des persönlichen Geschmacks. Du beschreibst das Programm so detalliert, dass ich annehme, dass du so eine Wellness-Prozedur schon mal hinter dich gebracht hast. Und natürlich steigert jede einzelne Anwendung die Gereiztheit des "Animateurs" und der Protagonistin noch mehr. Dennoch weiß man ja relativ schnell: Er ist genervt, sie ist irritiert bis gestresst, die Folter dauert an. Von daher würde ich vielleicht ein, zwei Anwendungen weglassen und den Text so etwas straffen. Das ist aber, wie gesagt, Geschmackssache. Mal sehen, was die anderen Leser denken!

Liebe Grüße

Richard

 

aus Alltag zurück in die Wörterbörse.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom