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Verkrustet

Team-Bossy a.D.
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23.02.2005
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Verkrustet

Einatmen, ausatmen. Es wird nicht besser. Die Luft ist quadratisch. Sie fließt nicht in meine Lungen, sondern eckt überall an. Es kommt durch den Geruch in der Apotheke, beruhige ich mich - alles ist wie immer. Die Gedanken schießen kreuzweise wie Flipperkugeln. Silbern, glänzend, kalt.
Aber die Körperhaltung, das Haar ... Ich bin an der Reihe. ABC-Pflaster für meinen Rücken, bitte.

Was, wenn er es ist? Ich drehe den Kopf leicht nach links. Mein Herz pocht in die Mandeln. Er fischt sich ein Bonbon aus dem Körbchen vor der Kasse und nestelt an dem umwickelten Papier herum. Mit dem Pflaster zusammen bekomme ich noch die Apotheker-Rundschau in die Hand gedrückt. Knackige Frühlingssalate an Balsamico-Dressing frohlockt ein Rezept. Ich wende den Kopf noch einmal zu ihm.

Lasst mich doch in Ruhe, ihr Spießer!
Er schrie es damals durch das ganze Haus, den Rucksack schon geschultert, zuletzt kam er auf mich zu: Wenigstens du hättest zu mir stehen können.

Ein kleines Päckchen Aspirin.
Seine Stimme. Als würde sie sich in meine Ohren hineinbohren, durch Gewebe in die Gehirnwindungen vordringen: Ich zittere und müsste lügen, wenn ich behaupten würde, er wäre mir irgendwann egal geworden. In Freiraum treten, Luft holen, warten. Seinen Blick fange ich sofort. Er kommt auf mich zu, nimmt meinen Kopf in seine Hände, gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Ich freue mich sehr, dich zu sehen.
Das weiß ich noch nicht. Meine spröde Antwort lässt seine linke Augenbraue kurz zucken.

Das kann doch nicht sein, dass du immer noch an dem alten Kram rummachst?

Du hast nichts begriffen. Ich habe die Entscheidung akzeptiert, aber Mama, die alle ihre Brüder im Krieg verloren hat, hat nie verstanden, dass du dich nicht für den Zivildienst entschieden hast und zum Kommiss gegangen bist. Wieso kommst du denn überhaupt jetzt erst wieder in die Stadt, nach all den Jahren? Nun hat sie auch nichts mehr davon! Beerdigen können wir sie auch alleine.

Mit meinem Handrücken wische ich langsam über die Augen. Ich möchte die Tränen abfangen, bevor es nach Weinen aussieht.

Hey, es ist mein Leben. Was ich damit mache, ist meine Entscheidung.
Er klemmt die Lippen zusammen.

Ja, du hast Recht. Da wir dir solange egal waren, kann es doch weiterhin auch so sein.

Er öffnet den Mund, langsam, schließt ihn wieder. Steht bewegungslos. Schüttelt den Kopf, dreht sich um und geht.

Du bist mir so egal, du Scheißtyp!

Ich wünschte mir so sehr seine Schulter zum Anlehnen.

(Aus der Wörterbörse: Balsamico, ABC-Pflaster, Kuss, Zivildienst, lügen)

 

Für zwei Wochen aus der Wörterbörse hierher verschoben.

 

Hallo,
Glückwunsch zu der runden Beitragszahl!

Zu ein paar Dingen die mir aufgefallen sind:

Die Gedanken schießen kreuzweise wie Flipperkugeln.
Kreuzweise ist "geordnet", kreuz und quer?

Mein Herz pocht in die Mandeln.
den

Seine Stimme. Als würde sie sich in meine Ohren hineinbohren,
könnte? aber wahrscheinlich Geschmackssache
Seinen Blick fange ich sofort.
ein auf fehlt
Ich möchte die Tränen abfangen, bevor es nach Weinen aussieht.
Etwas umständlich. Vielleicht einfach: Er soll die Tränen nicht sehen?
Er klemmt die Lippen zusammen.
presst

Inhaltlich kommentiere ich eventuell später, bin zwar weiblich, aber nicht multi-taskingfähig. ;)
Einen lieben Gruß,
Bambule

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Bambule,


Glückwunsch zu der runden Beitragszahl!
Wär mir gar nicht aufgefallen, danke :)

Kreuzweise ist "geordnet", kreuz und quer?
Du hast mit dem geordnet recht, da möchte ich aber momentan noch nicht näher darauf eingehen.

Mein Herz pocht in die Mandeln.

Der Herzschlag soll nicht in den Mandeln, sondern auf die Mandeln pochen.
Von daher war das Absicht.
Seinen Blick fange ich sofort.
ein auf fehlt
Das ist auch Absicht, wenn auch ungewohnt.


Ich möchte die Tränen abfangen, bevor es nach Weinen aussieht.
Etwas umständlich. Vielleicht einfach: Er soll die Tränen nicht sehen?
Aber da ist ein Unterschied in der Aussage. Ich will damit sagen, dass einem manchmal Tränen in den Augen stehen können und man damit umgehen kann, aber nicht mit der Tatsache, dass sie übers Gesicht laufen.
Er klemmt die Lippen zusammen.
presst
Ich hatte erst presst :) - das war mir aber zu typisch für dieses Bild.

Danke für deine textliche Auseinandersetzung. Leider habe ich dir in keiner Kritik recht gegeben, das liegt aber auch daran, dass ich diesen Text bewusst etwas "legerer" geschrieben habe, da ich normalerweise auch so ein I-Düpfle-Scheisser bin :).

Auf das Inhaltliche bin ich noch gespannt.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo bernadette,

dann zuletzt mich anstarrend
Es war grad so schön lebendig, dann würgst du’s mit dem Partizip ab.

Gut, aber bisschen dünn, oder? Bruder geht zur Bundeswehr und die zurückgebliebene Hypochonder-Schwester darf ihn aus Loyalität nicht mehr lieben (und ist ihm wahrscheinlich noch Gram, weil er sie mit der Mutter allein zurückließ).
Die Apotheke ist ein schönes Plätzchen dafür, es ist rasant geschrieben (bis auf die eine Stelle), aber … jo, warum nicht mehr? Reicht das schon?
Hm, Appetithäppchen, durchaus schmackhaft, aber – wie schon gesagt – bisschen dünn, oder entgeht mir was?

Gruß
Quinn

 

Hallo bernadette,

zweimal hab ich Deine Geschichte gelesen - wie gejagt, so spannend war's für mich und so bildreich, ohne Stolpersteine.
Und jetzt, nach dem dritten und langsamen lesen, finde ich überhaupt und rein gar nichts, was ich bemängeln könnte: Weder Wörter, noch Sätze, noch Inhalt, noch Kürze. Da ist Dir der Angelzug aus der Wörterbörse wirklich gelungen.

Herzlich,
Gisanne

 

Hallo bernadette,

eine Geschiche um emotionale Erpressung, die offenbar nie ein Ende nimmt. Eine unversöhnliche Frau steht ihrem Bruder gegenüber, die Dialoge werden nicht gesucht, sondern erwartet und aneinander vorbei geführt.
Sie weiß nicht ob er es ist, braucht vielleicht Gewissheit, sonst könnte sie ja aus der Apotheke gehen, schließlich ist sie vor ihm dran.
Damals ging er zur Bundeswehr, gegen den Willen der Familie offenbar, jedenfalls wird daraus gemacht, ihm seien alle egal.
Was die Erzählerin ihm wirklich übel nimmt, scheint im Dialog nicht zu finden sein. Die Schwester scheint sich alleingelassen zu fühlen mit der Mutter, ihren Sorgen. Sie argumentiert nur über diese. Die Mutter, scheinbar inzwischen tot, hätte nichts mehr davon. Vielleicht ist sie böse auf die Freiheit, die er sich und damit auch ihr genommen hat. Vielleicht macht sie ihn für ihr Verantwortungsgefühl der Mutter gegenüber verantwortlich. Ich jedenfalls möchte diese Frau schütteln und fragen, woher sie das Recht nimmt, ihrem Bruder Vorwürfe zu machen.
Manche direkte Reden erschließen sich mir nicht. Die Frage, wieso er erst jetzt kommt, zum Beispiel. Denn schließlich ist er selbst jetzt nicht gekommen, sondern sie hat ihn nur zufällig in der Apotheke getroffen. Wäre er gekommen, hätte er an ihrer Tür geklingelt.

aber Mama, die alle ihre Brüder im Krieg verloren hat, hat nie verstanden, dass du den Zivildienst nicht gemacht hast.
das ist insofern unklar, dass die Alternative so auch sein könnte, er hätte total verweigert. Und das Wort kannst du auch unterbringen, indem du schreibst: "dass du dich nicht für den Zivildienst entschieden hast", damit wird auch die Haltung der Familie besser getroffen, die diese Entscheidung ja mit einer Entscheidung "gegen sich" verbunden hat.
Jedenfalls wird hier jemand zum Scheißtyp gemacht, weil er nicht gegen seine Überzeugung leben wollte. Boshaft könnte man sagen, da ist eine pazifistische Eislaufmutter am Werke gewesen. Natürlich kann ich verstehen, dass es schwer ist, den Sohn zur Bundeswehr gehen zu sehen, wenn man schon alle Brüder im Krieg verloren hat. Andererseits muss der Zeitraum in dem die Geschichte spielt dadurch schon so lange her sein, dass die Soldaten nicht wirklich etwas zu befürchten hatten (auch wenn die Anzahl der Todesfälle in ganz normalen Übungsmanövern erschreckend hoch ist).
Da ich natürlich deine Intention nicht kenne, habe ich es einfach mal dabei belassen, den Inhalt so zu beurteilen, wie ich ihn verstehe. Und da fallen die moralischen Schuldzuweisungen bei mir leider durch. Als Geschichte hast du diese irrationale Argumentation natürlich gut eingefangen. Ich fürchte nur, es wird viele Leser geben, die der Frau sofort recht geben und sagen, der Mann wäre wirklich ein Scheißtyp.

Lieben Gruß
sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Bernadette,
zum Inhalt.
Mir ist es einfach zu kurz und auch ein wenig zu "unausgegoren".
Ich verstehe nicht, warum es durch diesen Wortwechsel wieder zu einer "Spaltung" der Geschwister (?) kommt.

Ich freue mich sehr, dich zu sehen.
Das weiß ich noch nicht. Meine spröde Antwort lässt seine linke Augenbraue kurz zucken.
Das kann doch nicht sein, dass du immer noch an dem alten Kram rummachst?
Mir erscheint es unglaubwürdig, dass Geschwister sich wegen der Kriegsdienstverweigerung für Jahre entzweien sollten, bei Eltern mag sowas länger hängenbleiben, aber bei Geschwistern?
Und am Ende ist die Mutter die Böse? Das kann doch kein Grund sein sich zu entzweien, vor allem, da ich vermute, dass die "Kinder" der "Kriegsgeneration" (Mutter) schon die 50er Grenze überschritten haben. Es sich wahrscheinlich um einen 30 Jahre währenden "Streit" handelt.
Also entweder, es steckt noch etwas anderes dahinter (das nicht im Text steht) oder man hat es mit extrem (bis zur Unglaubwürdigkeit) starrsinnigen Charakteren zu tun, die meiner Ansicht nach an Tiefe vermissen lassen.
Lass die Prot doch mal länger in der Schlange stehen (gibt doch immer mal eine Grippewelle in der die Apotheken knacke voll sind) , dann kann sie ihren zunächst "scheinbaren" Bruder mit der Erinnerung an sein Äußeres abgleichen usw.
Einen lieben Gruß,
Bambule

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Quinn,

Es war grad so schön lebendig, dann würgst du’s mit dem Partizip ab.
Das ist wirklich ungehörig, hab ich geändert.


Hm, Appetithäppchen, durchaus schmackhaft, aber – wie schon gesagt – bisschen dünn, oder entgeht mir was?
Ich meine zu verstehen, was du mit dem dünn sagen willst. Das liegt daran, dass es eine KG aufgrund der Wörterbörse ist. Diese Geschichten werden von mir (bisher) immer etwas kurz, da ich mit den Wörtern erst einmal gedanklich lange spiele und eine Situation damit heraufziehe (ohne nun Werbung machen zu wollen genauso zB in Leuchtfeuer). Dann steht der Plot auch im Groben, alles andere würde die Handlung nur mehr plätschern lassen. Das finde ich - auch als Übung - spannend. Dadurch entsteht oft nur eine Szene, keine länger sich entwickelnde Handlung, die du vermisst. Mit dieser Kritik kann ich aber leben.
Appetithäppchen sind auch reizvoll, von daher danke für das Lob :).

Hallo Gisanne,

Da ist Dir der Angelzug aus der Wörterbörse wirklich gelungen.
Danke! Macht auch Spaß. Guck doch auch mal nach Wörtern, die dich inspirieren.

Lieber sim,

Manche direkte Reden erschließen sich mir nicht. Die Frage, wieso er erst jetzt kommt, zum Beispiel. Denn schließlich ist er selbst jetzt nicht gekommen, sondern sie hat ihn nur zufällig in der Apotheke getroffen. Wäre er gekommen, hätte er an ihrer Tür geklingelt.
Logikfehler aufgedeckt: Da muss ich mir überlegen, wie ich das hinkriege. Er kommt aus einer anderen Stadt (in meinen Gedanken sogar zur Beerdigung der Mutter) und dadurch ist ihr natürlich klar, dass er wegen der Familie kommt.
Boshaft könnte man sagen, da ist eine pazifistische Eislaufmutter am Werke gewesen.
Punktgenau so dachte ich mir das.
aber Mama, die alle ihre Brüder im Krieg verloren hat, hat nie verstanden, dass du den Zivildienst nicht gemacht hast.
das ist insofern unklar, dass die Alternative so auch sein könnte, er hätte total verweigert.
Erklärung dafür:

Das kann doch nicht sein, dass du immer noch an dem alten Kram rummachst?
Dieser Satz hieß in einer früheren Version:
Das kann doch nicht sein, dass du immer noch rummachst, weil ich zur Bundeswehr ging?
Dann dachte ich, es wäre umgangsprachlich besser, ihn vom alten Kram sprechen zu lassen - dadurch kam die Unklarheit. Ich habe die längere wörtliche Rede mit den nötigen Infos angereichert und hoffe, es passt noch.

Und das Wort kannst du auch unterbringen, indem du schreibst: "dass du dich nicht für den Zivildienst entschieden hast", damit wird auch die Haltung der Familie besser getroffen, die diese Entscheidung ja mit einer Entscheidung "gegen sich" verbunden hat.
Gute Idee, angenommen.
Da ich natürlich deine Intention nicht kenne, habe ich es einfach mal dabei belassen, den Inhalt so zu beurteilen, wie ich ihn verstehe.
Sehr gut getroffen. Mein Schlußgedanke hatte ich erst noch im Text formuliert, dann aber gemerkt, dass ich der Prota ein Gedanke aufdrücke, den sie in dem Moment noch gar nicht haben kann. Es war der letzte Satz:
Wir waren noch zu jung.
Ich erfahre immer mehr, dass Menschen sich, je älter sie werden, wieder heimatgebundener fühlen, egal, was das nun bedeutet. Damit machen sie auch Zugeständnisse an die Umwelt. Das fehlt meinen Prots noch. Aber das kann, so wie die Geschichte steht, nur mein Gedanke sein.

Interessant wäre noch zu wissen, wie du die Worte für diese Geschichte ausgesucht hast - war da auch ein Plot im Kopf?

Einen ganz lieben Dank für die aufschlussreichen Bemerkungen.

Hallo Bambule,

die Spaltung ist nicht "wieder", sie bestand und besteht.

Deine Kritik kann ich sehr gut nachvollziehen, so etwas habe ich auch erwartet. Manchmal mag ich meine minimalistischeren Geschichten ganz gerne, auch wenn sie dem Leser mehr abfordern oder ihn im Regen stehen lassen. sim hat es ganz gut rausgelesen, also "funktioniert" im Prinzip die KG. Vielleicht ist es keine für dich im Moment und du könntest zu einem späteren Zeitpunkt mehr damit anfangen?

Also entweder, es steckt noch etwas anderes dahinter (das nicht im Text steht) oder man hat es mit extrem (bis zur Unglaubwürdigkeit) starrsinnigen Charakteren zu tun, die meiner Ansicht nach an Tiefe vermissen lassen.
Da hast du mit beidem recht, außer mit der Tiefe. Aber das ist ja subjektiv.

Ich hatte bewusst vermieden, in Rückblenden Handlungen aufleben zu lassen, damit einem die Prots näher kommen. Entweder "zündet" die Szene oder auch nicht. Das Risiko muss ich eingehen.

Danke für deine erneute Rückmeldung :).

Euch allen liebe Grüße
bernadette

 

Hallo bernadette!

Deine Geschichte hat mir gefallen. Ein bisschen regt sie mich auch auf, weil der Dialog dieser Geschwister so unbefriedigend für beide ist. Sie sehen sich nach Jahren wieder und die Schwester hat nichts besseres zu tun als so einen Kleinmädchen-Streit anzuzetteln und dann gehen sie auch noch im Streit auseinander. Ich glaube die Frau ist älter als ihr Bruder (vernünftig erklären kann ich das aber nicht :D), aber sie benimmt sich wirklich unmöglich. Das ist natürlich nicht als Kritik zu werten, ich geb hier grad nur meinen Senf dazu. :)

Zwei Sachen sind mir noch aufgefallen:

bekomme ich noch die Apotheker-Rundschau
Ähem, das Ding heißt meines Wissens nach Apotheken-Rundschau.
und zum Kommis gegangen bist.
Kommiss?

Liebe Grüße,
apfelstrudel

 

Hallo apfelstrudel,

Ein bisschen regt sie mich auch auf, weil der Dialog dieser Geschwister so unbefriedigend für beide ist.
Regung beim Lesen ist immer gut.

aber sie benimmt sich wirklich unmöglich
Wenn einem was nahe geht, wird man schnell unmöglich.

Ähem, das Ding heißt meines Wissens nach Apotheken-Rundschau.
Mag sein, dass es so etwas gibt, aber ich beziehe mich ja nicht auf eine bestimmte Zeitung.

Ich danke dir für deine Gedanken.

bernadette

 

Hallo bernadette

Ja, stimmt, die Schwester regt mich auch auf.
Vermutlich ist noch die Trauer um die Mutter in ihr und dieses Gefühl wandelt sich dann in Wut, als sie ihren Bruder sieht.

Diese Aktion des Bruders macht ihn für mich total sympathisch und da hat er bei mir als Leserin schon gewonnen.

Er kommt auf mich zu, nimmt meinen Kopf in seine Hände, gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Ich freue mich sehr, dich zu sehen.

Die Überschrieft finde ich übrigens ganz passend, ich verstehe sie so, dass verkrustete Wunden (und da habe ich in meinem Kopf die Geschichte einfach weitergesponnen: Da stelle ich mir eine theatralische Mutter vor, die ständig über Kopfschmerzen klagt und an ihren verloren geglaubten Sohn denkt, wenn mal ein Familiefest ansteht und so die Stimmung verdirbt ...) verdammt schmerzhaft sind abzumachen, und diese Situation ist dann so schmerzhaft für die Protagonist wie an einer Kruste herumzufingern; sie ist noch nicht bereit die Kruste abzumachen oder die Wunde ist einfach viel zu frisch.

Cu JoBlack

 

Hallo bernadette,

eine Miniatur, die man auch mehrmals lesen kann. Gefallen hat mir die Dichtheit, die minimalen Pinselstriche, mit denen Du das Gemälde einer Familiengeschichte skizzierst.
Die wenigen Bauchschmerzen, die ich mit der Geschichte habe, hast du selbst perfekt treffend ausformuliert:

Die Gedanken schießen kreuzweise wie Flipperkugeln. Silbern, glänzend, konfus

Ich versuche mal ein paar Stellen zur Verdeutlichung rauszuziehen:

Aber die Körperhaltung, das Haar ...

Er? Sie? Auch nach 4x lesen bleibt die Frage offen.

Was, wenn er es ist? Ich drehe den Kopf leicht nach links. Mein Herz pocht in die Mandeln. Er fischt sich ein Bonbon aus dem Körbchen vor der Kasse und nestelt an dem umwickelten Papier herum.

Wie geht das? Sie bestellt, ohne zu sehen wer sie bedienen wird? Wann klärt sich die Frage auf?

Ähnlich ist es mit dem Aspirin ... wer hat es bestellt, wer bekomm es, wie folgt er der Prot. in die Freiheit des Draußen?

Er kommt auf mich zu, nimmt meinen Kopf in seine Hände, gibt mir einen Kuss auf die Stirn.

:thumbsup: Das ist stark. Meine Lieblingsstelle. Ein süßer, unspektakulärer Satz, der eine ganze Welt eröffnet: Der Kuss auf die Stirn, eine opernreife Geste, "leb wohl, du süßes, herrliches Kind". Auf die Stirne küssen, kann man nur die kleine Schwester, die einen Kopf kleiner ist ... genial.

Ich zittere und müsste lügen, wenn ich behaupten würde, er wäre mir irgendwann egal geworden.

Uff. Das ist sperrig. klingt so wie "ich würde ihn noch lieben, hätte ich nicht in der Hektik des Augenblicks vergessen, jemals lieben gelernt zu haben"

Das kann doch nicht sein, dass du immer noch an dem alten Kram rummachst?

Ein Satz, den ich erst beim vierten Mal lesen in seinem Zusammenhang verstanden habe.

ch habe die Entscheidung akzeptiert, aber Mama, die alle ihre Brüder im Krieg verloren hat, hat nie verstanden, dass du dich nicht für den Zivildienst entschieden hast und zum Kommiss gegangen bist.

Das ist zu kühl und zu gestylt für die mittlerweile erreichte Eskalationsstufe.

Beerdigen können wir sie auch alleine

Hier stimmt der Tonfall wieder. Ebenfalls ein Satz, der eine ganze Welt in sich trägt.

Der Schluss, insbesondere die Stelle mit der Schulter ist wieder stark.

Liebe Grüße,

AE

 

Hallo bernadette,

habe deine Geschichte mehrmals gelesen, mich jedoch mit einer Kritik zurück gehalten, da ich uneins mit meiner Meinung war.
Einerseits atmosphärisch sehr stark, auf der anderen Seite etwas dünn.
Geht mir da ein bisschen wie Quinn. Ein Happen, der durchaus mundet, aber nicht satt macht.
Du hast geschrieben, dass die Szene entweder zündet oder nicht. Bei mir tut sie das halb :D
Die Verzweiflung/ Ohnmacht der beiden steht fühlbar im Raum, aber der Raum ist ziemlich groß. Und ich denke, den könnte man noch weiter füllen.
Auf jeden Fall sind wirklich starke Sätze dabei. Allen voran der Einstieg. Der ist einsame Spitze

Luft ist quadratisch. Sie fließt nicht in meine Lungen, sondern eckt überall an.
das ist schlicht grandios!
aber auch dieser Satz liegt ganz weit vorn:
Ich möchte die Tränen abfangen, bevor es nach Weinen aussieht.

Mit welchem Teil ich gar nicht zurecht komme ist dieser:
Ich freue mich sehr, dich zu sehen.
Das weiß ich noch nicht. Meine spröde Antwort lässt seine linke Augenbraue kurz zucken.
Wie passt das zusammen?
Es kommt raus, das die beiden aneinander vorbei reden/ sich nicht verstehen. Aber diese Stelle ist mir zu gehackt.

Den Titel finde ich, wie Joblack schon angeführt hat, sehr gelungen.
Schönes kleines Teil, aber eben irgendwo schade, dass es nur so klein ist :)

grüßlichst
weltenläufer

 

Hey Jo,

Diese Aktion des Bruders macht ihn für mich total sympathisch und da hat er bei mir als Leserin schon gewonnen.
AlterEgo geht es genauso - Stirnküssen ist wohl der Inbegriff von "Ich lieb dich (platonisch).

Die Überschrieft finde ich übrigens ganz passend, ich verstehe sie so, dass verkrustete Wunden [...] verdammt schmerzhaft sind abzumachen, und diese Situation ist dann so schmerzhaft für die Protagonist wie an einer Kruste herumzufingern;
Das ist auch eine gute Interpretation dafür - wenn auch nicht so, wie ich es gedacht habe. Umso besser, wenn es verschieden zu deuten ist.

Lieber AE,

bernadette schrieb:
Aber die Körperhaltung, das Haar ...
Er? Sie? Auch nach 4x lesen bleibt die Frage offen.
Berechtigt. Ich denke darüber nach - wie auch über alle anderen kritischen Anmerkungen, die du notiert hast. Für mich sind alle als unbedarften Leser nachvollziehbar. Teilweise müssen sie durch den kurzen Text in Kauf genommen werden, teilweise sollten sie durch klitzekleine Ergänzungen deutlicher gemacht werden. Das geht nicht ganz so flott, denn es muss gut überlegt sein. Über deine positiven Anmerkungen habe ich mich natürlich sehr gefreut.

Wie auch bei dir,

lieber weltenläufer

lief das Lob über gelungene Stellen wie Honig runter. Ich pack deine nicht klaren Stellen hinter die von AE und mach mich in einer ruhigen Stunde dran, sie zu überdenken.

Deine Grundaussage mit dem Happen lasse ich einfach mal so stehen. Wenn es zu der Situation kommt, in der ich gerne schreiben würde, Zeit habe aber kein Plot in meinem Hirn rumgeistert, kann ich mich an die Erweiterung dieser KG machen. Solange aber ist sie mir in der grundsätzlichen Kürze sättigend genug.

Danke euch drei für eure hilfreichen Zeilen und die Zeit, die für meine KG investiert habt :)

Liebe Grüße
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo bernadette,

grundsätzlich mag ich Geschichten, die etwas Luft zwischen den Zeilen lassen, erzählt in einer kompakten Atmosphäre und mit ein paar getupften Hinweisen auf Vergangenes.

Ich bin mir nicht sicher, ob es eine gute Entscheidung war, den (eigentlich ja fehlenden) Dialog in dieser passiv wirkenden Weise in den kursiven Sätzen mit den Gedanken gleichzusetzen. Irgendwie raubt des der Geschichte nach meinem Empfinden die Kraft. Möglicherweise hast du genau das bezweckt? Der Text wirkt sehr kalt und emotionslos.

Dass Familiengefüge wegen Nichtigkeiten auseinander brechen können, weiß man ja, und dass eine solche Unversöhnlichkeit auch nach Jahren Bestand haben kann, ist sicher auch nicht aus der Luft gegriffen.

Aber gerade diesen Aspekt hätte ich mir ausführlicher gewünscht, um ein/e Bindung/Interesse zu/an den Personen und ihrer Vergangenheit entwickeln zu können. So aber erreicht mich das Ganze nicht wirklich.

Ich denke mir, der Typ hat richtig gehandelt, einer solchen verbohrten Familie den berucksackten Rücken zu kehren, und die Prota ist eine dumme Trulla, die nix dazu gelernt hat.

Ich glaube, dass du aus der Idee mehr hättest rausholen können, wenn du das Profil der beiden Geschwister etwas vertieft hättest, und mir als Leser ein bisschen mehr Einblick in das damalige Geschehen gegönnt hättest.

So aber schaffe ich beim Einstieg einfach nicht genug Interesse für das Ganze aufzubringen, um mir den Rest dazu zu fantasieren.

Das kann aber auch daran liegen, dass mir solche Verhaltensweise - auch wenn ich weiß, dass sie realistisch und glaubwürdig sind - unheimlich auf den Senkel gehen. Und so gesehen hat dein Text dann ja auch was bei mir bewirkt. Es ging mir auch in diesem Fall auf den Senkel.

Grüße von Rick

 

Lieber Rick,


Ich bin mir nicht sicher, ob es eine gute Entscheidung war, den (eigentlich ja fehlenden) Dialog in dieser passiv wirkenden Weise in den kursiven Sätzen mit den Gedanken gleichzusetzen.
Durch den kurzen Text wollte ich kein Aufplustern durch : sagte sie, bemerkte er ... Mir fiel für diesen Fall keine andere, brauchbare Lösung ein.

Aber gerade diesen Aspekt hätte ich mir ausführlicher gewünscht, um ein/e Bindung/Interesse zu/an den Personen und ihrer Vergangenheit entwickeln zu können. So aber erreicht mich das Ganze nicht wirklich.

Die Zündungskomponente. Wenn du ähnliches schon erlebt hast, knallts im Hirn, ansonsten erreicht die KG die Leser nicht. Wie ich bei weltenläufer schon schrieb ...

Ich glaube, dass du aus der Idee mehr hättest rausholen können, wenn du das Profil der beiden Geschwister etwas vertieft hättest, und mir als Leser ein bisschen mehr Einblick in das damalige Geschehen gegönnt hättest.
Kann ja noch werden.

Danke für deinen Kommentar :).

bernadette

 

liebe bernadette,

Einatmen, ausatmen. Es wird nicht besser. Die Luft ist quadratisch. Sie fließt nicht in meine Lungen, sondern eckt überall an. Es kommt durch den Geruch in der Apotheke, beruhige ich mich - alles ist wie immer. Die Gedanken schießen kreuzweise wie Flipperkugeln. Silbern, glänzend, kalt.

schöne metaphern, so auf einen haufen geknallt wirkt es auf mich allerdings zu gewollt poetisch.

ansonsten finde ich die geschichte gelungen, auch wenn mir einige gedankensprünge erst beim zweiten und dritten lesen klar wurden.

Aber die Körperhaltung, das Haar ... Ich bin an der Reihe.

was mich echt störte, waren die in kursiv gesetzten textzeilen. wozu soll das gut sein?

liebe grüße

assi

 

Hallo assi,

was mich echt störte, waren die in kursiv gesetzten textzeilen. wozu soll das gut sein?
Ich wollte damit die wörtlichen Reden aufzeigen, ohne dabei gleichzeitig im Text die Formalien einhalten zu müssen. Das habe ich bei Rick auch schon angesprochen.

zB:

Ein kleines Päckchen Aspirin. Ohne Kursiv hätte das so ausgesehen:

"Ein kleines Päckchen Aspirin", sagte er in Richtung Apothekerin.
Das wollte ich umgehen.

Freut mich, dass du die KG gelungen findest.

Das mit den Metaphern ist Geschmackssache, da kann ich es nicht allen recht machen.

Liebe Grüße
bernadette

 

zurück in die Wörterbörse.

bernadette, ich habe erst durch deine Frage gemerkt, dass die Vorgabe von mir stammte. Nein, ich hatte bei diesem Wörtern keinen Plot im Kopf. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich auf sie kam.

Lieben Gruß
sim

 

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