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Spießig

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21.12.2007
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Spießig

Anne hasst Spanien wie die Pest - die Hitze, den Staub, das ständige Fehlen von Seife oder Papier auf den Toiletten, den Müll in den Bauruinen, den Gestank nach Autoabgasen, das dauernde Hupen und die viel zu lauten Leute. Sie hasst es und ist trotzdem mitgekommen. Soroush zuliebe.

Der ist nach Jahren der Einladung seines Stiefbruders Sven gefolgt. Eigentlich ist Sven nicht einmal sein Stiefbruder. Er war bereits ein Teen, als seine Mutter Soroushs Vater kennenlernte. Das war vor 20 Jahren.

"Tapas!", hat Anne heute Morgen trompetet und so dramatisch mit dem Handgelenk gewedelt wie ein italienischer Obstverkäufer. "Was soll das Getue um Tapas? Glauben die, wir fräßen nur Sauerkraut? Als könnte man in Deutschland irgend einem kulinarischen Trend entgehen!"

Tatsächlich hat auch Soroush das Gefühl, dass der Wahlspanier Sven ihn für einen traurigen Hinterwäldler hält.

"Du musst unbedingt den Jibia probieren", insistierte er gestern und schob Anne den Teller zu. Sie spießte ein Stückchen auf und aß es. "Sehr lecker", sagte sie höflich. Soroush wusste, dass sie am liebsten die Schultern gezuckt hätte und etwas gesagt wie: "Tintenfisch eben!"

Sie stürzen sich in das Alltagsleben der Andalusier, das, wenn man Sven Glauben schenken darf, aus Tapas, Fino, Feria und Flamenco besteht. "Klar!", ätzt Anne im Bad vor dem Spiegel, während sie versucht, ihre drahtigen Locken in Form zu bringen, "In Köln kennen die Leute ja auch nichts anderes als Halve Hahn, Kölsch und Karneval. Das meint der doch nicht ernst?"

Er sieht zu, wie sie ihre Krause mit der Bürste bearbeitet, was dazu führt, dass die Haare nach einer Weile in alle Richtungen abstehen.
„Warum ärgerst du dich so? Lass uns einfach die Sonne genießen und…“
„Ich sag dir, was mich ärgert! Mich ärgert, dass dein Vater und seine illustre Familie sich dir so derartig überlegen fühlen!“
Mit einer abschließenden, wütenden Bewegung knotet sie ein Tuch um ihre Locken: Notfrisur.

Sven lässt den BMW auf dem Parkplatz ausrollen. Vera, seine zweite Frau, ist Britin. Sie trägt ein Kostüm mit kurzem Rock, ein japanisches Schriftzeichen auf dem Knöchel und eine Designersonnenbrille, deren Logo vermutlich bis London Barnes zu sehen ist. Neben ihrem Mann mit seinen knappen zwei Metern sieht sie aus wie ein verhungerndes Kind neben einem Gladiator.

Sven ist nicht nur groß, sondern auch kräftig; das von der spanischen Sonne gebleichte Haar fällt ihm bis auf die Schultern. Er sieht Soroushs Vater, dessen Ahnen wahrscheinlich irgendwann auf einem Wikingerboot in Rotterdam einschifften, viel ähnlicher als der leibliche Sohn. Genau wie der Vater ist auch Sven ein Lebemann - risikofreudig, flexibel, immer auf dem Sprung.

Soroush hat irgendwann aufgehört, den Erwartungen des Vaters zu entsprechen. Aus ihm wurde nichts besonderes, kein Künstler, kein Millionär, keine Berühmtheit. Er hatte nicht einmal wilde Jahre, höchstens ein paar komische Wochen. Er ist der Typ mit der Haftpflichtversicherung, dem bar bezahlten Auto und dem Traum vom Häuschen im Grünen. Er sei "zu sicherheitsorientiert", wie Svens Mutter sagt. Eigentlich meint sie "spießig".

Sven hingegen hat in Villen und Bruchbunden gewohnt. Er konsumiert alles, was sich konsumieren lässt - Möbel, Autos, Kleider, Drogen, Menschen. Nichts in seinem Leben hat Bestand. Am Ende seiner Glückssträhnen steht immer eine Bruchlandung, aber Sven schreckt das nicht. Er nimmt jeden Absturz mit Nonchalance; Soroush hat ihn niemals deprimiert oder beschämt vorgefunden. Selbst der Gefängnisaufenthalt wegen Drogenbesitzes und die private Insolvenz haben seinen Optimismus nicht gebrochen. "Er lebt eben viel zu gern", sagte der Vater dazu und lächelte wohlwollend.

Soroush öffnet ein frisches Päckchen Tabak. Er fragt sich, ob er immer noch eifersüchtig ist und ob das in seinem Alter nicht langsam albern wird. Vielleicht sollte er seinem Stiefbruder die Freude ein paar erstaunter „Ahs“ und „Ohs“ machen, wenn dieser ihm die Welt erklärt.

"Weißt du noch, als wir diesen Urlaub auf Mallorca gemacht haben, als dein Vater und meine Mutter gerade geheiratet hatten? Wo ich den Sonnenstich hatte und das Zimmer vollgekotzt habe?"
Soroush leckt das Blättchen an und nickt. Er wundert sich, dass Sven so gut wie nie Englisch redet. Vera, die kein Wort Deutsch spricht, fummelt seit Tagen schon gelangweilt an ihren Acrylnägeln herum. Anne studiert die Speisekarte. Er kann ihr Unbehagen spüren.
"Du hast den ganzen Mist aufgewischt und mir was aus der Apotheke geholt." Sven gibt Soroush Feuer und sieht ihm einen Moment beim Rauchen zu.
"Ich hab mir damals so gewünscht, du wärst mein richtiger Bruder.“
Als Soroush erstaunt aufblickt, lächelt Sven fast scheu und sieht dann weg.

„He, Bausparer“, raunt Anne über das Brummen der Motoren dicht an seinem Ohr und legt ihre Hand auf seine. „Alles okay bei dir?“
Er bemerkt ihren forschenden Blick hinter den verschmierten Brillengläsern, das wirre, mausbraune Haar und das Lateinbuch auf ihrem Schoß. Wenn der Airbus gelandet ist, werden sie in ihren alten Fiat steigen und nachhause in die enge Wohnung fahren, um sich den spanischen Staub abzuduschen und Spaghetti mit Tomatensauce zu kochen. Und nachdem sie sich satt gegessen haben, werden sie sich im bitterkalten Schlafzimmer unter der schweren Winterdecke lieben, lebendig wie zwei Robben unter einer Eisscholle.

Es wird keine Sensationen geben - höchstens erboste Nachbarn, die sich über zu laute Musik beschweren, einen Strafzettel für falsches Parken oder eine Beförderung für Anne. Spießig eben.

Erleichtert küsst Soroush das aufmerksame Lächeln seiner Frau. "Alles gut", sagt er und beschließt, seinem Stiefbruder zu Weihnachten ein Päckchen mit Schwarzbrot und Lübecker Marzipan zu schicken. Wer weiß - vielleicht wird Sven sich doch darüber freuen.

(verwendete Wörter von Sim: Pest/Sauerkraut/Wikinger/Gladiator/Airbus)

 
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Zur Geschichte: Aus der Wörterbörse für zwei Wochen nach Alltag verschoben.

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Hallo Richard,

also durch diese Handlung musste ich mich durchkämpfen, bis mir klar war, wer-wie-was.

Da gibt es Soroush mit Frau Anne. Dann Sven, Soroushs Stiefbruder mit Frau Vera. Außerdem noch einen Vater, der Benthe heißt. Bis das mal klar war ... nein, die ersten zwei Drittel waren nicht nett zu lesen.

Ich finde es ungünstig, dass du von der Einleitung weiterführend mehrere Absätze schreibst, bis klar wird, wo die Personen überhaupt sind. Dann ist auch ungeschickt, dass Soroush mit dem exotischen Namen derjenige ist, der aus Deutschland auf Besuch kommt und Sven mit dem gängigen Namen derjenige ist, der in Spanien lebt. Das geht so dagegen, wenn man sich in der Geschichte orientieren muss, die wenig Infos hergibt.

So ist Soroush für mich erst einmal der Spanier (unbewusste Zuordnung, da ausländischer Name) und Sven der Deutsche, der auf Besuch ist. Natürlich liest man dann schon heraus, dass es anders ist, aber das erschwert das erste Einordnen ungemein, zumal alles anfangs so schwammig daherkommt.

Sie hasst es wie die Pest - die Hitze, den Staub, das ständige Fehlen von Seife oder Papier auf den Toiletten, den Müll in den Bauruinen, den ständigen Gestank nach Autoabgasen, das dauernde Hupen und die viel zu lauten Leute. Sie hasst es und ist trotzdem mitgekommen. Ihm zuliebe.
Wortwiederholung

Dieser Einstieg bringt mich auf einen völlig falschen Dampfer, der aber lange durch keinen weiteren Informationen der richtige bleibt. Ich dachte, sie ist auf eine Baustelle zum Arbeiten mitgekommen.

Tatsächlich hat auch Soroush das Gefühl, dass Sven Anne und ihn für traurige Hinterwäldler hält.
Das ist eine irritierende Satzkonstruktion mit den drei Namen. Den habe ich öfters lesen müssen, bis ich es geschnallt habe, wie es gedacht ist. Du als Autor weißt, wer dabei ist und in welchem Zusammenhang die Personen stehen - ich als Leser nicht, denn ich kenne Sven bislang nicht.
"Du musst unbedingt den Jibia probieren." insistierte Sven gestern und schob Anne den Teller zu.
Jibia probieren", insistierte - das gibts noch mehrfach, bitte wörtliche Reden kontrollieren

Sie stürzen sich in das Alltagsleben der Andalusier,
Erst hier wird klar, dass die Leute im Ausland/Urlaub sind.
„Ich sag dir, was mich ärgert! Mich ärgert, dass dein Vater und seine illustre Familie sich dir so derartig überlegen fühlen!“
Jetzt ist noch ein Vater im Spiel! Es geht doch um Sven, den Stiefsohn. Mit dem Vater wird alles noch unklarer.
Neben ihrem Mann mit seinen knappen zwei Metern sieht sie aus wie ein verhungernder Gnom neben einem Gladiator.
Gnom/Gladiator - naja. Den Gladiator lass ich ja noch durch, aber Gnom finde ich zu übertrieben, das passt nicht zum Schreibstil.

Er sei "zu sicherheitsorientiert", wie Svens Mutter, die Frau des Vaters, sagt.
Nochmal so eine quere Erklärung für eine einzuführende Person. Es ist doch klar, dass Svens Mutter nicht Soroushs Mutter ist - und überhaupt auch egal, ob sie nun die jetzige Frau seines Vaters ist.

Soroush öffnet ein frisches Tabakspäckchen.
frisches Päckchen Tabak (liest sich schöner).

Vielleicht sollte er seinem Stiefbruder die Freude ein paar erstaunter „Ahs“ und „Ohs“ machen, wenn er ihm die Welt erklärt.
wenn dieser/jener ihm

"Weißt du noch, als wir diesen Urlaub auf Mallorca gemacht haben, als Benthe und meine Mutter gerade geheiratet hatten?
Wenn du da statt Benthe "unser Vater" schreibst, ist es klarer.

"Ich hab mir damals so gewünscht, du wärst mein richtiger Bruder.“
Versteh ich nicht, diesen Satz in dem Zusammenhang. Er kann ihn doch genauso gerne haben. Es wäre nur sinnvoll, wenn damit zusammenhängt, dass die zwei sich öfters gesehen hätten - dann hätte man das aber auch so schreiben müssen.

Ab folgendem Absatz bis zum Ende ist die Geschichte logisch, nachvollziehbar und hat Charme:

„He, Bausparer“, raunt Anne über das Brummen der Motoren dicht an seinem Ohr und legt ihre Hand auf seine. „Alles okay bei dir?“ [...]

Die Wörter waren außer Gladiator gut verpackt - und der Gladiator fällt auch nur wegen dem Gnom so auf ;)

Fazit: Strukturiere die KG etwas besser. Es würden drei, vier Sätze bei den ersten Absätzen reichen, die Personen zu definieren und nicht so schräg in den Text zu schmeißen. Das hat fast genervt, weil man anfangs kaum durchblickt. Ich würde mal sagen: Das Pferd wurde teilweise ungeschickt von hinten aufgezäumt ;).

Liebe Grüße
bernadette

 

Guten Morgen, Bernadette,

ich danke dir für die Mühe, die du dir mit der Geschichte gemacht hast! Ich habe die Korrekturen eingearbeitet und versucht, die familiäre Situation transparenter zu machen, ohne allzu ausschweifend zu werden.

>>"Ich hab mir damals so gewünscht, du wärst mein richtiger Bruder.“

>Versteh ich nicht, diesen Satz in dem Zusammenhang. Er kann ihn doch genauso gerne haben. Es wäre nur sinnvoll, wenn damit zusammenhängt, dass die zwei sich öfters gesehen hätten - dann hätte man das aber auch so schreiben müssen.

Die Geschichte habe ich zur gleichen Zeit wie "Plötzlich" geschrieben, sie nimmt deren Hintergrund nochmal auf und beschreibt die Geschehnisse 20 Jahre später. Natürlich sollte es möglich sein, "Spießig" auch ohne die Kenntnis der anderen Geschichte verstehen zu können. Allerdings kann ich Svens Aussage trotzdem nicht so absurd finden, wie du es offenbar tust. Für viele Leute sind Verwandschaftsverhältnisse sehr wichtig. Speziell Kinder können sich an so etwas festbeißen. Ich gebe mit Svens Aussage wieder, was er denkt - unabhängig davon, ob es sinnvoll ist. Ich habe die Passage deshalb nicht geändert.

Noch einmal vielen Dank für deinen Kommentar und die Auseinandersetzung mit den verworrenen Familienverhältnissen!

Viele Grüße

Richard

 
Zuletzt bearbeitet:

Salve Richard,

gut, dass Du die Geschichte überarbeitet hast. Ich kannte "Plötzlich", und bin dennoch an vielen Stellen hängen geblieben, über die auch bernadette gestolpert ist. Jetzt ließt sich die KG viel flüssiger.

Zum Inhalt: wenn man die beiden Geschichten zusammen ließt, gewinne ich den Eindruck, dass Sven auf eine andere Art genauso ein Spießer ist, wie Soroush - nur, dass er sich nicht den gesellschaftlichen Normen anpasst, sondern denen seines Stiefvaters. Mit Zweitfrau, Spanien, es im Leben krachen lassen. Dabei verliert er sich selbst, seine sensible, weiche, schüchterne Seite völlig, und kommt nur in einem kurzen Augenblick im Gespräch mit Soroush zu sich zurück.

Insgesamt gern gelesen. Schade, dass du die KGs nicht als Serie markiert hast, die Aha-Erlebnisse, die man beim Nacheinanderlesen hat, entgehen denen, die nur eine der beiden Geschichten kennen.

Gruß, Pardus

 

Pardus schrieb:
Schade, dass du die KGs nicht als Serie markiert hast, die Aha-Erlebnisse, die man beim Nacheinanderlesen hat, entgehen denen, die nur eine der beiden Geschichten kennen.

Das ist zu ändern :). Richard, du könntest ja mit Wörterbörsen-Wörtern eine Serie draus machen. Zwei KGs allerdings als Endergebnis wären noch etwas wenig.

 

Eine Serie...hm, das ist eine gute Idee. Sollte ich noch ein paar Soroush-Geschichten mit "Leihwörtern" verfassen, werde ich mich nochmal vertrauensvoll an Euch wenden!

@Pardus: Danke für's Lesen und den Kommentar! So habe ich Sven übrigens noch nicht gesehen, aber vielleicht hast du sogar Recht. Zumindest steckt wohl ein Stück Sehnsucht nach familiärer Sicherheit in ihm. Das gilt zuweilen ja schon als spießig :)

Liebe Grüße

Richard

 

Hallo Richard,

nachdem ich Deine Kommentierung von one-way ticket gelesen hatte [herzlichen Dank dafür!], folgte ich der Spur und las einige Deiner Geschichten - ausschließlich Soroush-Geschichten, ich habe sie innerlich bereits den Soroush-Zyklus getauft ;)
Da ich "Spießig" zuletzt gelesen habe, war ich weder durch Sven noch Eltern und Stiefeltern irritiert, dachte jedoch auch sofort an den Zugewinn der Geschichte durch eine Markierung als Teil einer Serie - bzw. eines Zyklus, wegen des zeitlichen Aspekts ;)
Ich fand Sven bereits in "Plötzlich" interessant, in der aktuellen Geschichte seine Entwicklung sehen zu dürfen umso spannender! Mein Bild von ihm orientiert sich vor allem an dem emotional vernachlässigten Dreizehnjährigen, dem die Mutter nicht einmal beim Kotzen beisteht, was ja wohl lediglich ein auffälliger Tropfen aus einem lecken Fass war. Soroush dagegen wuchs mit gesunder Mutterliebe und sensibler Verfügbarkeit dieser Bezugsperson auf. Sven, wie gesagt gefühlsmäßig ausgehungert, füllt die Leere mit Autos, Frauen, Drogen etc. Soroush braucht nichts von dem, es gab in Kindheit und Jugend nicht diese Entwertung und Frustration ursprünglichster menschlicher Grundbedürfnisse nach Zuwendung und Wertschätzung. Er lebt gesund und lebendig wie die Robbe unterm Eis :) - Soroush ist gesund, nicht spießig [immerhin hatte er mal Sex mit der Mutter seines besten Freundes!! ;)]!
Ich mag den Soroush-Zyklus - auch wenn ich in "Happy Birthday" im ersten Moment glaubte, bei "Soroush" handele es sich um einen jiddischen Ausruf, etwa wie masseltoff ... :lol:

Viele Grüße, Sister

 

Hallo Richard,

der Zustand von Beziehungen zeigt sich bei dir in Alltäglichkeiten, die wahrscheinlich ganz anders aufgefasst würden, wäre die Kommunikation nicht so indirekt.
Sven erklärt ja nicht, sondern sagt nur überzeugt "Ihr müsst probieren", unterstellt nicht, dass sein Halbbruder und dessen Frau es nicht kennen, jedenfalls nicht zwangsläufig.
Das Gefühl, ein Hinterwäldler zu sein, kann also nicht nur aus den Dialogen kommen, sondern würde von Sorousch vielleicht schon mitgebracht.
So ziehen sich die Missverständnisse und Interpretationen von Gesagtem durch die Geschichte und zeigen auf, was grundsätzlich nicht stimmt. Nur einmal, als es ehrlich wird, wird Gesagtes gleich übergangen, nicht interpretiert, kaum gehört.
Der Wunsch "du wärest mein richtiger Bruder" ist wichtig auch in der Gegenwart. Für den Jungen damals war er wichtig, weil er sich aus der Geschwisterschaft etwas Beständiges erhoffte, Wärme, Nähe, all das, was er bei seiner Mutter vermisste. Und jetzt ist er wichtig, weil die Beziehung zwar geblieben ist, aber krankt, weil so viel Unausgesprochenes für Missstimmung sorgt, dabei möchte Sven doch nur teilhaben, stolz sein, etwas zeigen und vielleicht auch ein bisschen angeben. Aber in erster Linie möchte er von Sorousch geliebt werden und das auch fühlen. Die Äußerung des Wunschs sagt: Verlasse mich nicht, liebe mich. Und diese Sehnsucht hast du gerade in der latent konfliktgeladenen Situation gut getroffen.

Lieben Gruß
sim

 

@Sister Vigilante:
> nachdem ich Deine Kommentierung von one-way ticket gelesen hatte [herzlichen Dank dafür!], folgte ich der Spur und las einige Deiner Geschichten - ausschließlich Soroush-Geschichten, ich habe sie innerlich bereits den Soroush-Zyklus getauft

Oho, das klingt sehr erhaben! ;)

> Da ich "Spießig" zuletzt gelesen habe, war ich weder durch Sven noch Eltern und Stiefeltern irritiert, dachte jedoch auch sofort an den Zugewinn der Geschichte durch eine Markierung als Teil einer Serie - bzw. eines Zyklus, wegen des zeitlichen Aspekts

Ja, ich denke auch immer noch darüber nach, ob ich das nicht versuchen soll mit der "Serie".

> Ich fand Sven bereits in "Plötzlich" interessant, in der aktuellen Geschichte seine Entwicklung sehen zu dürfen umso spannender! Mein Bild von ihm orientiert sich vor allem an dem emotional vernachlässigten Dreizehnjährigen, dem die Mutter nicht einmal beim Kotzen beisteht, was ja wohl lediglich ein auffälliger Tropfen aus einem lecken Fass war. Soroush dagegen wuchs mit gesunder Mutterliebe und sensibler Verfügbarkeit dieser Bezugsperson auf. Sven, wie gesagt gefühlsmäßig ausgehungert, füllt die Leere mit Autos, Frauen, Drogen etc. Soroush braucht nichts von dem, es gab in Kindheit und Jugend nicht diese Entwertung und Frustration ursprünglichster menschlicher Grundbedürfnisse nach Zuwendung und Wertschätzung.

Wow, das ist exakt das, was ich mir dabei gedacht habe. Schön, dass das so rübergekommen ist!

> Er lebt gesund und lebendig wie die Robbe unterm Eis - Soroush ist gesund, nicht spießig [immerhin hatte er mal Sex mit der Mutter seines besten Freundes!! ]!

Nun ja, da war er noch sehr jung *hüstel* :) So richtig dicht ist der Knabe natürlich doch nicht, er hat durchaus seine Macken, aber grundsätzlich hat er wohl eine recht stabile Psyche - und die passende Frau. Diesen Einfluss darf man ja auch nciht unterschätzen!

> Ich mag den Soroush-Zyklus - auch wenn ich in "Happy Birthday" im ersten Moment glaubte, bei "Soroush" handele es sich um einen jiddischen Ausruf, etwa wie masseltoff ...

Gröl! :D Nein, Linda ist doch eine brave, katholische Irin! Liebe Sister, ich danke dir für deinen wirklich beglückenden Kommentar und werde demnächst nochmal bei dir vorbeischauen! Tut mir leid, dass ich zu spät gesehen habe, dass du dich hier verewigt hast, ich kontrolliere die Kommentare jetzt mal häufiger!

@Sim:
> der Zustand von Beziehungen zeigt sich bei dir in Alltäglichkeiten, die wahrscheinlich ganz anders aufgefasst würden, wäre die Kommunikation nicht so indirekt.

Nach mehrmaligem Lesen habe ich den Satz endlich verstanden und frage mich trotzdem, ob das nun ein Kompliment oder Kiritik ist...

> Sven erklärt ja nicht, sondern sagt nur überzeugt "Ihr müsst probieren", unterstellt nicht, dass sein Halbbruder und dessen Frau es nicht kennen, jedenfalls nicht zwangsläufig.
Das Gefühl, ein Hinterwäldler zu sein, kann also nicht nur aus den Dialogen kommen, sondern würde von Sorousch vielleicht schon mitgebracht.

Ja, das stimmt natürlich. Wobei durch Annes Aussagen eigentlich unterstrichen werden sollte, dass es auch "Außenstehenden" auffällt und Soroushs Gefühl nicht ganz an den Haaren herbeigezogen ist. Agesehen davon fühlt er sich vielleicht tatsächlich unterschätzt, weil er so normal vor sich hin lebt und immer noch damit hadert, (auch deshalb) nicht der Stolz seines Vaters zu sein.

> So ziehen sich die Missverständnisse und Interpretationen von Gesagtem durch die Geschichte und zeigen auf, was grundsätzlich nicht stimmt. Nur einmal, als es ehrlich wird, wird Gesagtes gleich übergangen, nicht interpretiert, kaum gehört.
Der Wunsch "du wärest mein richtiger Bruder" ist wichtig auch in der Gegenwart. Für den Jungen damals war er wichtig, weil er sich aus der Geschwisterschaft etwas Beständiges erhoffte, Wärme, Nähe, all das, was er bei seiner Mutter vermisste. Und jetzt ist er wichtig, weil die Beziehung zwar geblieben ist, aber krankt, weil so viel Unausgesprochenes für Missstimmung sorgt, dabei möchte Sven doch nur teilhaben, stolz sein, etwas zeigen und vielleicht auch ein bisschen angeben. Aber in erster Linie möchte er von Sorousch geliebt werden und das auch fühlen. Die Äußerung des Wunschs sagt: Verlasse mich nicht, liebe mich. Und diese Sehnsucht hast du gerade in der latent konfliktgeladenen Situation gut getroffen.

Vielen Dank. Ich hatte gehofft, dass man Sven so versteht, war mir aber nicht sicher, ob es richtig rüberkommt. Immerhin gab es da schon Verständnisschwierigkeiten was die "echter Bruder"-Sache angeht. Es freut mich sehr, dass du dich so reingekniet hast in die Geschichte!!!

Vielen Dank Euch beiden für das Feedback!

Liebe Grüße

Richard

 

Nach mehrmaligem Lesen habe ich den Satz endlich verstanden und frage mich trotzdem, ob das nun ein Kompliment oder Kiritik ist...
Weder noch, es ist einfach eine Interpretation.
Agesehen davon fühlt er sich vielleicht tatsächlich unterschätzt, weil er so normal vor sich hin lebt und immer noch damit hadert, (auch deshalb) nicht der Stolz seines Vaters zu sein.
Ich verstehe ihn eher so, dass er sich auch selbst unterschätzt. Er hadert damit, spießig zu sein, entsprechend fässt er Svens Kommentare auf. Wie gesagt: Meine Interpretation.

Lieben Gruß
sim

 

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