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Froschmann

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19.02.2006
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Froschmann

»Bitte geh endlich raus spielen.«
Lena schüttelt so heftig den Kopf, dass ihre Zöpfe fliegen. Die rosa Plastikherzen an den Haargummis klackern.
»Nun geh schon! Papa braucht seine Ruhe.« Die Mutter sieht sich kurz um und flüstert dann: »Du weißt, was passiert, wenn Papa nicht seine Ruhe bekommt!«
»Aber ich will nicht.« Lena klammert sich an Mamas Rock, doch die packt ihre Arme und hält sie fest.
»Sei bitte nicht so laut, willst du, dass er rauskommt?« Mamas Stimme klingt zittrig.
In Lenas Ohr raunt die Stimme des Froschmanns: »Komm in den Pool, sonst tu ich deiner Mama Schlimmes an!«
Lena weiß, dass es viel zu warm für das langärmlige Hemd ist, das Mama trägt. Aber Lena weiß auch, warum sie es trägt. Früher hat Mama auch nie ihr Gesicht hinter einer Sonnenbrille versteckt.
»Mama leidet nur, weil du dich sträubst«, hat der Froschmann gesagt.
Die Stimme kam vom Grunde des Pools. Der Pool enthielt kein Wasser, nur Schwärze und die heiseren Worte des Froschmanns.
Der Pool war mit einer dicken Plane überspannt. An der einen Ecke, wo die silberne Leiter in das Reich des Froschmanns führte, war die Plane zurückgeworfen, bildete ein Maul, das Schatten und Moder ausdünstete. Einmal hatte sich die Sonne auf der runden Taucherbrille gespiegelt, als er zu ihr hochstarrte und sie mit seiner Flossenhand zu sich winkte. Das reflektierte Licht traf Lena mitten auf die Stirn, so heftig, wie der Biss einer Bremse. Zwei Tage lag Lena mit Fieber im Bett.
In ihren Träumen war die Begegnung mit dem Froschmann fast noch schlimmer.
Während die Schwärze des Pools Lücken in Lenas Erinnerung fraß, war sie dem Froschmann in ihren Träumen schutzlos ausgeliefert. Wenn er sie in seiner Gummihaut umschlang, fehlte Lena die Luft zum Schreien.
Noch eine Woche später stank das Zimmer nach Algen und Fisch. Die Mutter roch nichts und Frank (»Ich bin jetzt dein Vater, also nenn mich auch so!«) erzählte Lena nichts.
»Geh schon!«, zischt Mama. Es ist weniger ein böses als ein ängstliches Zischen. Mama lässt Lenas Arme los.
»Was ist denn nur?«
Lena klammert sich an Mamas Bein. »Der Froschmann!«, flüstert sie in den ausgewaschenen Stoff. Lena atmet so tief ein, wie sie nur kann, inhaliert durch die Nase, sucht den Duft aus einer Zeit vor dem Froschmann. Aber die Schürze ist vollgesogen mit Furcht und Lena glaubt, daran ersticken zu müssen. Doch dann, als sie schon meint, es nicht länger auszuhalten, wird sie mit einem Hauch von Früher belohnt: Eine Ahnung von Sonnencreme, die ihr mit warmen Händen einmassiert wird, ein Schimmer vom Zauber einer Gutenachtgeschichte, ein Aufflackern ihres eigenen Kicherns, als vertraute Finger zielsicher ihre kitzligen Stellen fanden.
Mama reißt Lena wie ein Pflaster ab und hält sie auf Armeslänge von sich. »Komm mir nicht wieder mit deinem Froschmann!«
»Mama, glaub mir doch - er wartet im Pool auf mich!«
»Sei leise«, zischt sie nun wesentlich schärfer und unterstreicht das mit einer heftigen Handbewegung, »du weckst Vater.«
»Bitte, komm mit ...«
»Was ist das für ein Lärm?« Franks Stimme lässt Mutter und Tochter erstarren. »Muss ich erst rauskommen, damit es ruhig wird?«
Sie lauschen, doch keine Diele knarrt. Als die beiden sich wieder trauen zu atmen, packt die Mutter Lena am Arm und zerrt sie nach draußen in den Garten.
»Mama bitte ...«
Die Herzen klackern einmal heftig, als Mama ihr eine Backpfeife verpasst.
»Dass du mich auch noch anlügen musst!«
»Aber ...«
»Wir haben gar keinen Pool im Garten!«
Mit diesen Worten schließt sie die Tür und verriegelte sie von innen. Lena sieht den öligen Film, der hinter Mamas Brille hervorquillt. Er schimmert in stumpfen Farben und es wirkt, als bluteten ihre Augen aus.
Langsam, ganz langsam wendet Lena sich von der Veranda ab. Einmal blickt sie sich noch um, doch die Vorhänge bleiben zugezogen. Lena schleicht tiefer in den Garten. Sie setzt jeden Schritt mit Bedacht, ihre Füße streicheln das lange Gras mehr als sie es niederdrücken. Lena ist ein Indianer, eine Elfe, eine Fee, vollkommen geräuschlos. Mit jedem Meter fort vom Haus nimmt die Verwilderung des Gartens zu. Bald ist sie vom Fenster aus nicht mehr zu sehen, verschluckt vom gierig wuchernden Gewächs.

Nie könnte Lena sich den Weg merken, doch die Pflanzen weisen ihn ihr. Sträucher neigen sich zur Seite, Büsche formen Nischen zum Durchschlüpfen.
Zwischen dem Gestrüpp behaupten sich blasse Blüten, die auf hohen schuppigen Stielen hängen. Die Blätter sind grob gezahnt und mit Äderchen versehen, die zu pulsieren scheinen. Zu ihren Füßen hocken aufgeblähte Pilzfamilien mit braunen Köpfen. Der Geruch von Baldrian und Brennnessel tränkt die Luft.
Lena atmet tief ein - und da schmeckt sie schon den Fischgeruch heraus. Lena bewegt sich noch langsamer, ist jetzt eine Schlange, eine Schnecke, eine Schildkröte. Ja, eine Schildkröte wäre sie gern. Sie würde sich in ihren Panzer zurückziehen und der Froschmann könnte ihr nichts anhaben.
Lena gelangt zu einer Dornen bewährten Hecke. Es dauert einen Moment, doch dann winden sich die Stacheln nach innen, um Lena passieren zu lassen.
Es ist, als wäre sie durch ein verwunschenes Labyrinth in eine andere Welt gestolpert. In dieser Welt kommt nicht einmal die Sonne gegen den Zauber des Froschmanns an. Die graugrüne Plane spannt sich über den Rasen wie die Reptilienhaut eines schlafenden Drachen. Sie saugt alles Licht ab und hinterlässt nur stumpfe Schatten der Wirklichkeit.
Einzig das geschwungene Ende der Leiter lockt mit verheißungsvoll poliertem Silber in das Reich des Froschmanns. Wie hypnotisiert nähert sich Lena dem Maul in der Abdeckung, summt dabei etwas Unverständliches und spielt an den Herzanhängern ihrer Zöpfe.
»Komm zu mir, Lena«, dringt die heisere Stimme aus der Schwärze zu ihr herauf.
Lena erhascht einen Blick auf die Ausläufer von Froschfüßen. Der Rest des Froschmanns ist von Finsternis verschluckt. Einmal reckt sich der Arm empor, winkt Lena zu sich, dann schlurft der Froschmann tiefer in die Schatten. Die Schritte erzeugen einen seltsam dumpfen Hall.
Lena umfasst mit beiden Händen die von Hitze glühende Leiter, doch sie empfindet keinen Schmerz.

 
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Hallo weltenläufer,

Die rosafarbenen Plastikherzen an den Haargummis klackern dabei.
rosa reicht; dabei raus

Lenas Stimme wird flehend.
ich flehe dich an
2mal „flehen“ … Es wäre besser, du würdest die Gefühle des Mädchens, die ja das einzige Thema in der Geschichte sind, deutlicher in den Vordergrund stellen, mehr ins Detail gehen.

Mamas Stimme klingt bei diesen Worten so zittrig, wie Lena sich fühlt.
Die Wendung ist eher humoristisch besetzt. Ich bin so alt wie du aussiehst. Oder dieser Heinz Strunk-Satz: Nichts schmeckt so gut wie Dünnheit sich anfühlt.

ein Aufflackern ihres eigenen Kicherns, als vertraute Finger zielsicher ihre kitzligen Stellen fanden.
Es ist zu dicht erzählt, ich würde versuchen neutraler zu erzählen. Die Bilder sprechen zu lassen, ich hab das Gefühl, der Text sagt mir nicht nur, was ich sehen soll, sondern auch, wie ich darüber zu denken habe.

Ja, es ist eigentlich ein starkes Thema, aber der Text schafft es nicht, sich dem im ersten Absatz zu näheren, er ist fast von einem pädagogischen Voyeurismus, dass er dem Leser immer wieder versichern muss, wie schrecklich es ist, dass dem Mädchen keiner glaubt. Es ist doch bei so einer Handlung: Ein Mädchen fürchtet sich vor dem, was draußen ist, und keiner glaubt es ihr, und man schickt sie nach draußen. Was braucht es denn bei so einer Handlung noch ständig an Stilmitteln und Sperenzchen? Warum sollte man die Handlung irgendwie manieriert bearbeiten wollen? Das leuchtet mir nicht ein.
Ich hab bevor ich den Text gelesen habe, auf deinen Link geklickt von Kunze. Und das ist ja als Vorbild schon so karg geschrieben, der macht da eben keine Kinkerlitzchen.
Er hat 3,4 Bilder in dem Text und lässt es dem Leser, sie zu interpretieren, sie irgendwie wertig zu finden. Natürlich ist das erste Bild, das man da hat, „Kindesmißbrauch in der Familie“, man könnte es auch ganz anders angehen, und es als abstrakte Kindheitsängste interpretieren, für die Erwachsene kein Verständnis haben, oder – in dem Text wird ja nicht gesagt, dass der Erzähler ein Kind ist - ,dass es allgemein um jemanden geht, der sich in seinen Ängsten unverstanden fühlt.
Man muss als Autor auch ein Stück weit, dem eigenen Text vertrauen, und sich davor hüten, ihn zu sehr zu bearbeiten … da tränt etwas die Wange herab … und ach. Der erste Absatz streift an vielen Ecken die Grenze zum Kitsch. Das ist schade. Der zweite ist deutlich stärker.
Im Prinzip ist deine Geschichte eine Interpretation eines fremden Textes und du nimmst damit einem fremden Text die Ambivalenz in den Bildern, legst sie fest und beraubst den Leser, um die Möglichkeit ihn zu deuten.
Erstaunlicherweie hatte ich bei dem Kunze-Text The Cure im Ohr, Lullaby, da ist es der Spinnenmann. „am helllichten Tag“ – zwei Schritte weiter, wird aus dem Froschmann ein Zauberer, und wir sind bei Dürrenmatt. Und wenn wir noch Filme der letzten paar Jahre dazu nehmen, sind wir bei Pans Labyrinh und dem Faun und bei Running Scared sind es Trolle. Also die Idee, dass Kinder aus einer realen Bedrohung etwas fiktives machen, ist schon sehr oft bearbeitet worden. Da ist "Der Froschmann" als Bearbeitung dieses Themas nur eine von vielen, und sicher nicht die bekannteste.

Ich denke, dass ein Autor, wenn er von Dingen wie Kindesmissbrauch, Vergewaltigungen, überhaupt von Hass- und Triebverbrechen schreibt, gut daran tut, sich zurück zu nehmen, es gibt nicht viele poetische Konstruktionen, die diesen Themen gerecht werden. Eine aufgezwungene Empathie ist der Todfeind solcher Themen – mit den rosa Herzchen, und es klackert, und herabtränt und flehendem Blick …was soll ich sagen? Es sind genau diese Dinge, auf die Heinz Rudolf Kunze eben verzichtet hat, die deinen Text, in meinen Augen, nicht funktionieren lassen. Der hat statt all dem nur ein Wort verwendet „Frühstücksfamilie“ – das war’s. Im Versprechen von Dürrenmatt ist der Kindesmörder und der Mord ein ganz lauerndes, destruktives Ding am Rande der menschlichen Gesellschaft und nur ganz indirekt kann man seinen Einfluss spüren.

Gruß
Quinn

 

Hi Weltenläufer.
Manchmal ist weniger mehr.
Ich finde, dass die Thetralik das Lesen deiner ansonsten guten Geschichte unnötig schwer macht.

Lena klammert sich an Mamas Bein. »Der Froschmann!«, flüstert sie in den ausgewaschenen Stoff. Lena atmet so tief ein, wie sie nur kann, inhaliert durch die Nase, sucht den beruhigenden Duft aus einer Zeit vor dem Froschmann. Aber die Schürze ist vollgesogen mit Furcht und Lena glaubt, daran ersticken zu müssen. Doch dann, als sie schon meint, es nicht länger auszuhalten, wird sie mit einem Hauch von Früher belohnt: Eine Ahnung von Sonnencreme, die ihr mit warmen Händen einmassiert wird, ein Schimmer vom Zauber einer Gutenachtgeschichte, ein Aufflackern ihres eigenen Kicherns, als vertraute Finger zielsicher ihre kitzligen Stellen fanden.
Mama reißt Lena wie ein Pflaster ab und hält sie auf Armeslänge von sich.

Er schimmert in stumpfen Farben und es wirkt, als bluteten ihre Augen aus.
Meine Güte!!

verschluckt vom gierig wuchernden Gewächs.
U.s.w.

lieben Gruß
Blues

 

Hallo weltenläufer!

Ein Mädchen hat Angst und flüchtet in eine Phantasiewelt. Ich hab ja ständig an Pans Labyrinth denken müssen, das behandelt auch dieses Thema.

»Bitte geh endlich raus spielen.«
Lena schüttelt so heftig den Kopf, dass ihre Zöpfe fliegen. Die rosa Plastikherzen an den Haargummis klackern.
»Nun geh schon!«
»Bitte nicht, Mama.« Lenas Stimme wird flehend.

Da dachte ich zuerst an Trotz (wenn sie den Kopf so heftig schüttelt), und dann fleht sie. Vielleicht lässt du sie nicht den Kopf schütteln, sondern zu Boden sehen, ODER du machst den Übergang vom Protest zum Flehen fließender.

Lena gelangt zu einer dornenbewehrten Hecke.

Lena umfasst mit beiden Händen die vor Hitze glühende Leiter,

In der Geschichte passt meiner Meinung nach mehr nicht. Zunächst: Sie hört dort auf, wo es spannend wird. Ich habe das Gefühl, hier nur eine Exposition gelesen zu haben, also den ersten Teil, und den Anfang vom zweiten Teil, in dem die Reise in die Fantasiewelt beginnt. Dann aber fehlt die Auseinandersetzung mit dieser Welt. Du schneidest die Begegnung mit dem Frosch ja nur an, aber gerade an dieser Stelle könnte das Mädchen sich entwickeln, sie könnte scheitern, sie könnte wachsen - vielleicht rät ihr der Frosch ja etwas, vielleicht fühlt sie sich in dieser Welt wohl, vielleicht, vielleicht ... aber das alles erzählst du nicht.

Ein Mädchen hat Angst und flüchtet. Ende. Das reicht (mir) aber nicht für eine Geschichte.

Dann finde ich deine Geschichte viel zu überladen mit Symbolen. Ein, zwei Sätze reichen aus, um dem Leser zu zeigen, dass sie Angst hat. Ein weiterer, um die vorgeschützte Wut der Mutter zu zeigen.
Und dann taucht Frank auf, das Mädchen bekommt eine Ohrfeige und haut ab - ER hat genau die richtige Anzahl an Sätzen.

Ich hab das Gefühl, du traust deinem Text nicht. Darum sagst du alles zwei, drei, zehn Mal, malst es schwarzlila aus, tunkst es in Pathos und würzt zu stark. Das ist etwas, was man mir auch oft vorwirft. Und jetzt sehe ich mal, wie diese Überflut wirkt. Hab also was gelernt. :)

Insgesamt könnte man die Geschichte auf einen kleinen Absatz reduzieren. Ein Ende bräuchte man dann allerdings trotzdem noch, das müsste man noch hinzufügen.

Bis bald!

yours

 

Hallo ihr drei

danke fürs Lesen und Kommentieren.
Da ihr alle ins selbe Horn stoßt, habe ich den Text dahingehend noch mal überarbeitet.
Tatsächlich habe ich es mit Lenas Gefühlswelt etwas übertrieben. Das verkehrt sich dann ins Kitschige, was natürlich nicht sein darf. Da habe ich also mächtig gekürzt und zurückgenommen. Auch das Trähnen , was so unangenehm aufgestoßen ist, ist nun umformuliert sowie einige andere monierten Passagen. Besonders der Anfang, das war wirklich zu dick.

Die Passage mit der Erinnerung, da bin ich mir noch nicht so sicher, wie ich das anders anstellen werde. Da muss ich noch mal in mich.

Ich weiß nicht, dieser Text war wirklich kein Schnellschuss, tatsächlich geistert er schon sehr lange in meinem Kopf rum, da der Text von Kunze seit je her eine starke Faszination auf mich ausgeübt hat.
Natürlich hast du recht Quinn, der lebt von seinen vagen Äußerungen, macht deswegen so viel möglich. In eine kg umgesetzt wird es problematisch, da braucht es mehr Abstand. Ich hoffe, jetzt ist etwas mehr davon da. Ganz sicher ist die Bearebitung noch nicht fertig, aber vielleicht hat er schon etwas gewonnen?
Ein Ende Ende werde ich zumindest nicht dranbasteln, yours ;) Wenn der Eintritt ins Dunkel nicht genug eigene Bilder hervorruft, hat der Text zugegebener Maßen versagt, aber da noch was ranzuhängen, das widerspricht meiner Intention. Dann lieber dran feilen, bis die eigenen Bilder auftauchen.

grüßlichst
weltenläufer

 
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Moi Weltenläufer,

edit: huch, verdammt, meine Antwort hat sich mit Deiner überschnitten.

ich finde die Idee sehr schön, aber die Umsetzung kommt für mich nicht vom Boden hoch, sozusagen. Du hast glaube ich viel aus dem Anfang gekürzt, jetzt hat der Text ein Ungleichgewicht darüber. (Ja, Kitsch raus ist sehr gut, jetzt ist der plot aber endlastig).

Du hast hier gleich ein paar heftige Konflikte auf engem Raum, plus einen Schwenk ins entweder Symbolische oder Phantastische. Mir ist die Geschichte rein von der Zeichenzahl her viel zu kurz für all die Konflikte und Ängste - auf der anderen Seite werden Bilder dabei nicht selbstverständlich verwendet, sondern zehnmal hin und hergewendet, mit ähnlichen Worten mehrmals beschrieben, erklärt, veranschaulicht, eigentlich schon dem Leser aufgedrängt. Dabei würde die Geschichte an sich bestimmt gut funktionieren.

Ich versuche mal, das aufzudröseln.

Konflikte:
* Stiefvater kommt ins Haus, unangenehm dominant bricht er in die Beziehung Mädchen/Mutter ein
* Gewalt gegen die Ehefrau
* > Lügen / Verschweigen
* Psychische Gewalt gegen das Kind / Psychoterror im Haus
* > Problematik oder Belastung für Beziehung Mutter/Tochter
* Kind findet keinen vertrauten Ort, kein Zuhause mehr
* Zurückgestoßenwerden / Verlassensein
* Verlust des Schutzes; im Grunde, der Mutter selbst; Sprachlosgkeit/Aufbrechen der Kommunikation
* Froschmann ... tja, das wird ein Symbol sein, dazu fällt mir nur sexuelle Gewalt ein

Sicher hängt das alles zusammen. Aber der einzige Konflikt, den ich intensiv und emotional mitreißend bzw. glaubwürdig dargestellt finde, ist die unausgesprochen verzweifelte Situation um Mutter und Tochter, bzw. dazu den Vater im Hintergrund. Da steckt sehr viel Impliziertes drin - Mutter belügt sich selbst, dadurch auch das Kind, Vertrauensverlust, sie kann das Kind nicht schützen, Zwiespalt, Aggression, Persönlichkeitsverlust, Zurückweisung, Gewalt weitergereicht.

Der Anfang ist durchaus klassisch, aber sehr realistisch, auch vom timing her völlig ok. Das Intro sagt nichts weltbewegend Neues, aber das muß an dieser Stelle auch nicht unbedingt sein. Bis »Sei bitte nicht so laut, willst du, dass er rauskommt?« dahin für mich stimmig, genug, aber nicht zu viel.

Mamas Stimme klingt bei diesen Worten zittrig.
Ist mir zu viel - klar, bei diesen Worten, wir haben ja grad die wörtliche Rede. Ich weiß, der Satz soll rund und ausgefeilt, nicht 08/15 klingen, das wäre aber besser in Sätzen verwendet, bei denen es sinnvoll ist: als zusätzliche Information, die wir anders nicht bekämen.
»Ich habe Angst.« Lena will sich an Mamas Rock klammern, doch die packt ihre Arme und hält sie fest.
Hier finde ich es optimal gelöst - das Klammern steht für sich, auch die Handlung der Mutter. Auch gut, daß hier nicht "schreit Lena und will sich an Mamas Rock ..." steht (das als Vergleich mit oben)
Lena weiß, dass es viel zu warm für das langärmlige Hemd ist, das Mama trägt. Aber Lena weiß auch, warum sie es trägt. Früher hat Mama auch nie ihr Gesicht hinter einer Sonnenbrille versteckt.
Doppeltes no-go: Die langen Ärmel sind ausgenudelt bis zum Gehtnichtmehr. Dann hat man das ja obendrein in all den Autoaggressionstexten, also hab ich mich kurz gefragt, ob die Frau sich zusätzlich zu den Schlägen des Mannes auch noch selbst schneidet.
Die langen Ärmel/Sonnenbrille gingen überhaupt nur, wenn man das gen Ende eines Textes bekommt, in dem eine Beziehung als gewaltlos dargestellt war - was sich dann als Selbstbetrug der Prot rausstellte, z.B.
So als Schock, wenn man das überhaupt nicht erwartet, und es eine kleine, fiese Andeutung wäre, die fast untergeht. Der Erzähler meint doch wohl nicht, daß die geschlagen ...? Aber hier ist das doch sonnenklar - der Typ ist ein Despot, die Mutter flüstert im eigenen Haus, will das Kind aus der Gefahrenzone schicken. Da geht das nicht mehr über *wisper wisper* Ärmel .
Zwei Möglichkeiten: Du gehst realistisch und roh ran. Es findet Gewalt statt, dann spuck es aus, anstatt höflich drumrumzueiern. Oder Du sagst ganz unaufgeregt nebenbei: Die Frau hat blaue Flecken, Verletzungen, irgendwas. Kurz und neutral, aber konkret.
(»Ich bin jetzt dein Vater, also nenn mich auch so!«)
Das kam besser in direkter Rede. Vorschlag (aus Liverecherche, wenn Du so willst): solche Typen finden es ganz klasse, Fragen zu stellen, die nur eine Antwort dulden. Dann kommen sie sich erst Recht toll vor, weil es ja theoretisch eine Widerspruchsmöglichkeit gäbe: "Was hab ich gesagt, wie sollst du mich nennen?" so circa.
Die Herzen klackern einmal heftig, als Mama ihr eine Backpfeife verpasst.
Ich weiß, das soll eine Auslassung sein, die etwas impliziert. Aber was? Der Schlag ist die zentrale Geste - alles gehört impliziert, aber nicht das. Sie latscht ihr eine, da hört man es verdammt laut klatschen, nicht leise die Haarspangen klackern. Das dürfte sowohl aus Innensicht des Kindes wie auch aus Sicht des Erzählers so sein. Das ist wie die Ärmel: Nicht dreimal um die eigene Achse drehen - hier passiert etwas Grausames, das klackert nicht hübsch. Und dann noch rosa Herzchenspangen - das geht mir zu weit. Es müssen ja nicht gleich Totenköpfe sein, aber es sollte vllt auch nicht das allerallerunschuldigste Symbol für Kleinmädchen sein.
»Dass du mich auch noch anlügen musst!« Dieses Mal schwingt deutlich Zorn in ihrer Stimme mit.
Siehe "zittrig" > das klingt schon mit, schieb es nicht nach. Irgendwie verärgert das, weil wir es grad gehört haben, und Du jetzt mit dem Zeigefinger kommst, daß wir das jetzt auch wirkich verstehen.
»Geh schon!«, zischt Mama. Es ist weniger ein böses als ein ängstliches Zischen. Mama lässt Lenas Arme los.
dito. Das Loslassen ist doch gut genug.

»Mama, glaub mir doch - er wartet im Pool auf mich!«
»Sei leise«, zischt sie nun wesentlich schärfer und unterstreicht das mit einer heftigen Handbewegung, »du weckst Vater.«
»Bitte, komm mit ...«
»Was ist das für ein Lärm?« Franks Stimme lässt Mutter und Tochter erstarren. »Muss ich erst rauskommen, damit es ruhig wird?«
(ZEILENUMBRUCH) Sie lauschen, doch keine Diele knarrt. Als die beiden sich wieder trauen zu atmen, packt die Mutter Lena am Arm und zerrt sie nach draußen in den Garten.
Schöne Stelle! (Der Vater muß nicht kursiv sprechen, das ist doch gewöhnliche wörtliche Rede.) Da ist alles drin, was Du in Sonnenbrillen und zitternder Stimme und ängstlichem Zischen zu viel gesagt hast. Hier hat man Gegenwart und Vergangenheit der beiden, die Beziehung, die am Zerbrechen ist (die zw Mutter und Tochter) und die ohnehin schön kaputte Ehe. Diese Passage könnte sehr viel drumrum ersetzen, und der Text würde viel klarer, mitreißender, erschreckender. Weniger betulich.
Lena klammert sich an Mamas Bein. »Der Froschmann!«, flüstert sie in den ausgewaschenen Stoff. Lena atmet so tief ein, wie sie nur kann, inhaliert durch die Nase, sucht den Duft aus einer Zeit vor dem Froschmann. Aber die Schürze ist vollgesogen mit Furcht und Lena glaubt, daran ersticken zu müssen. Doch dann, als sie schon meint, es nicht länger auszuhalten, wird sie mit einem Hauch von Früher belohnt: Eine Ahnung von Sonnencreme, die ihr mit warmen Händen einmassiert wird, ein Schimmer vom Zauber einer Gutenachtgeschichte, ein Aufflackern ihres eigenen Kicherns, als vertraute Finger zielsicher ihre kitzligen Stellen fanden.
Ebenso hier - sehr schön, erzählt viel ohne explizit breitzulatschen und uns was aufzudrücken. Das sieht man vor sich, riecht die Creme und fühlt die Sonne. Wunderschön und im Kontext nun traurig - so muß es sein.
Das Fette würde ich entweder in einen eigenen Satz packen oder streichen. Das verdödelt hier bissl. Ein Bild wird nicht dadurch stärker, daß man auch noch ein zweites dafür hinterhersetzt. (Obwohl die zweite Szene mit der Gutnachtsache an sich sehr niedlich ist, es nimmt sich nur gegenseitig den Raum. Wäre zu schade zum Streichen, vllt findest Du ja ne andere Stelle dafür?).
Lena schleicht tiefer in den Garten. Sie setzt jeden Schritt mit bedacht, ihre Füße streicheln das lange Gras mehr als sie es niederdrücken. Lena ist ein Indianer, eine Elfe, eine Fee, vollkommen geräuschlos.
Bedacht.
Als Moment schön, aber nicht in so viele gleiche Bilder gepackt. Und damit finde ich es vertan. Es reicht völlig (nicht nur als Info, sondern v.a. emotional = es überzuckert mich nicht): Lena schleicht tiefer in den Garten. Ihre Füße streicheln das lange Gras, vollkommen geräuschlos. Da fehlt nix, ich hab nur rausgeholt und nicht umgestellt, fände es viel treffender. Ab davon hasse ich meist Vergleiche - sie sind kitschig; etwas soll über ein Symbol gesagt werden, was auch ganz einfach und treffend ginge. Vergleiche geben mir schnell den Eindruck von Trivialliteratur.
Sie saugt alles Licht ab
:confused: Wie absaugen? Wenn 'auf', aber das klingt unschön. Klar, absorbiert ist zu gestelzt, aber wie wäre Licht schlucken? Das sagt man durchaus bei Texturen.
Sie saugt alles Licht ab und hinterlässt nur stumpfe Schatten der Wirklichkeit.
Warte. Das klingt für mich nicht poetisch-märchenhaft. Schatten der Wirklichkeit ist so ein, uff, Hammer, der eigentlich nix sagt. Ein leeres Bild, das aber umso dramatischer klingt. Dann nimm lieber ein leises, das Schrecken in sich trägt. Die gierigen Pflanzen oben fand ich sehr hübsch, da findet sich bestimmt was mit deutlicher Aussage.

Der Froschmann. Hm, vermutlich steht er doch nicht für einen vergewaltigenden Nachbarn. Vllt ist es nur ihre Angst? Hier sind zu viele Symbolhaftigkeiten verwuselt, die Schlingpflanzen, Dornenhecken, der Drache, die Fee, die Abdeckplane, der Pool an sich, Froschhaut, Augen, (Augen der Mutter weinen schwarzes Öl ...), Wildnis, Schlange, Blüten, Schildkröte, das zu schwache Sonnenlicht kann die Magie nicht brechen, trübe Schatten, Finsternis und schließlich eine glühende Leiter.
Ich blicke überhaupt nicht mehr durch in diesem Dschungel. Für mein Gefühl gehört die Hälfte der Vergleiche und Doppelbedeutungen/-beschreibungen gestrichen. Ersatzlos. Ich kann keine Vorschläge machen, was, weil ich nicht kapiere, was wofür stehen soll.

Grundsätzlich: das Mädchen ist verloren in einer zumindest größtenteils magisch-bedrohlichen Welt. Bei der Angst, die sie anfangs vor dem Froschmann hatte, ist mir die tatsächliche Begegnung zu verträumt beschrieben. Es ist unklar, ob das hier nicht doch ihr Rückzugsort ist - das kommt aber nicht hin, denn oben hätte sie lieber die Schläge des Vaters provoziert, als daß sie in den Garten gegangen wäre. Also verändert sich was bei ihr, und was, das erschließt sich mir nicht. (Ablösung von der Mutter?).

Dieser Text steht unsicher schwankend im Bezug auf die Darstellung des Konfliktes und ebenso unsicher im Gebrauch seiner Metaphern zwischen zwei Möglichkeiten, und für die hätte ich zwei Beispiele:
jungspundvagabund: "Benji und ich" - harsch und roh und ohne Kompromisse.
vitas "Schulmädchen" - ganz ohne zusätzliche Erklärungen steht ein phantastischer Moment als Gefühl/Innensicht (und sicher 1000 anderes mehr) mitten im realistischen plot. Kein tja Vorsicht ich hab hier aber ... tausend Bilder und erklärt und zugesetzt. Eine Selbstverständlichkeit und Subtilität, die hier noch fehlt.

Ich glaube, Du mußtest Dich selbst noch überzeugen, daß Phantastik und Alltag verknüpft werden können - so klingt es. Dabei liest man schon, daß Du lange dran gesessen hast, und daß es sicher auch eine elegante Verbindung zwischen all dem gibt. Nur kommt es nicht ganz durch, für fremde Augen.

Möglicherweise hab ich ganz massiv was nicht kapiert. Aber an sich habe ich bei sehr schräger surrealistischer Literatur keine Probleme - weil bei aller Verrücktheit dort eine selbstbewußte, interne Logik der story und der Bilder zu erkennen ist.

Das war jetzt viel Genörgel, dabei mag ich die Grundidee, die Figuren, das setting; aber ich denke, Du solltest Dich auf eine Sache konzentrieren: Mutter und Kind, die Veränderung Vergangenheit > Gegenwart in all diesen kleinen Momenten. Vater als Stimme aus dem off, wie in einigen schönen Stellen getan. Der Froschmann dann als ein überraschender, phantastischer Abschluß, der sich aus dem Hauptkonflikt Mutter/Tochter ergibt. Und eine Situation, die - selbst bei open end - uns in einen erkennbaren Abschluß (oder neuen Zwiespalt!) entläßt.

Hoffe, Du kannst damit was anfangen; wäre sehr gespannt auf Deine Auflösung.
An Pans Labyrinth mußte ich übrigens nicht denken, weil dort in der Parallelwelt - trotz allen Schreckens - das Mädchen eine gewisse Kompetenz hat, die ihr in der Realität fehlt. Das ist hier in keiner der beiden Welten gegeben.

Liebe Grüße,
Katla

P.S.
Ich hab den Songtext absichtlich erst nach Deinem gelesen. Aber auch dadurch erschließt sich nicht, was der Froschmann für das Mädchen bedeutet. Im Song kann es eine Metapher für alles mögliche sein, es ist verkürzt und kondensiert, daher funktioniert das Selbstwasdenken. Du hast eine Geschichte dabei, die aber die Funktion des Froschmannes für Dich als Autor hier nicht deutlich werden läßt.

 

Hallo Katla,

hat eine Weile gedauert mit meiner Antwort. Wollte deine Auseinandersetzung entsprechend würdigen und bin sie en detail durchgegangen.
Leider muss ich zugeben, dass ich mich an einigen Stellen schwer tue, meine ganzen Darlings zu killen.

Das Indirekte zum Beispiel, das mag ich hier sehr gern und es zieht sich ja durch den gesamten Text. Das jetzt alles so plakativ direkt hinzustellen, blaue Flecken etc, nee, da sträubt es sich bei mir. Weswegen das jetzt ein no-go ist, erschließt sich mir hier nicht so ganz. Bzw kann nachvollziehen wie du das meinst, teile das aber nicht. Dieser Mantel des Schweigens, der ja über allem liegt, das scheint mir doch ganz gut zu passen.

Gleiches gilt für die Vergleiche. Also ich liebe Vergleiche. Tobias O Meissner zum Beispiel, der reiht die Dinger teilweise sehr heftig hintereinander, aber ich finde das großartig. Wenn sie sitzen. Wenn sie nicht sitzen, ist es natürlich ausbremsend.

Dass hier etwas zu viel Konflikte eingestreut werden, ja, das kann ich nach deinem Beitrag jetzt auch verstehen. Ist schon irgendwie ein Knäul, aber ich finde, die konkurrieren nicht miteinander, sondern bedienen einander. So zumindest meine Idee. Wenn das überladen wirkt und/oder man nciht weiß, worauf man sich konzentrieren kann/darf, ist das natürlich ein Schuss nach hinten. Aber auch hier fällt es mir wie eingangs erwähnt schwer, irgendwas von rauszunehmen. Hatte nicht den Eindruck, dass das alles so kreischen würde, sondern es sich eben ergänzt, alles Teile eines Puzles ist. :(

»Dass du mich auch noch anlügen musst!« Dieses Mal schwingt deutlich Zorn in ihrer Stimme mit.
Siehe "zittrig" > das klingt schon mit, schieb es nicht nach. Irgendwie verärgert das, weil wir es grad gehört haben, und Du jetzt mit dem Zeigefinger kommst, daß wir das jetzt auch wirkich verstehen.
Zitat:
»Geh schon!«, zischt Mama. Es ist weniger ein böses als ein ängstliches Zischen. Mama lässt Lenas Arme los.
dito. Das Loslassen ist doch gut genug.
das erste ist raus. Da hast du recht, das ist übererklärend. Beim zweiten, da konnte ich mich noch nicht von lösen.

Zu den Herzen: argh, habe Blümchen draus gemacht, aber das fand ich dann auch scheißlich, genau wie Anhänger, das klingt nicht. Jetzt sind es wieder Herzen :dozey:

Hoffe, Du kannst damit was anfangen; wäre sehr gespannt auf Deine Auflösung.
das konnte ich allerdings. Wie immer sind deine Gedanken sehr ausführlich und fundiert. Danke dafür. :) Deine Spannung, was meine "Auflösung" anbelangt, wird wahrscheinlich nicht in entsprechendem Maße befriedigt sein. :shy:

Danke noch mal für deine Mühen
grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo weltenläufer,

zum ersten Mal, seitdem ich angemeldet bin, war ich am Überlegen, ob ich auf den Kommentar unter einer von mir gelesenen Geschichte verzichten soll. Steht es mir zu, eine Geschichte zu kommentieren, die ich nur in Ansätzen verstehe? Ich habe mich jetzt für einen Kompromiss entschlossen: Ich werde versuchen, zu erläutern, warum ich an dieser Geschichte gescheitert bin und dies mit einigen Textbeispielen unterfüttern, aber darauf verzichten, die Geschichte im Detail durchzugehen.

Okay, es geht irgendwie um Kindesmissbrauch. Aber leider ist es sehr konfus. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich mit der Metapher vom Froschmann nichts anfangen kann. Wobei es bei dir schon weitaus deutlicher wird als im zugrundeliegenden Liedtext, der für mich so kryptisch ist, dass ich ihn wahrscheinlich ohne deine Hilfe (und die der anderen Kommentatoren) nie verstanden hätte. Sicher, da spielt mit rein, dass ich ein Freund klarer Worte bin. Ich mag einfach keine Symbolik. Wenn es um Kindesmissbrauch geht, dann sollte auch klar sein, dass es um Kindesmissbrauch geht. Ein Beispiel, wenn wir schon bei Liedtexten sind, wäre da für mich zum Beispiel "Böser Wolf" von den Toten Hosen. Das verstehe ich, da kann ich jede einzelne Zeile interpretieren und nachvollziehen und trotzdem steht da niemand mit dem Holzhammer, damit ich auch ja verstehe, dass es hier um ein kleines Mädchen geht, das missbraucht wird.

In deinem Text wird auch wie gesagt ziemlich schnell klar, dass es um Kindesmissbrauch geht. Das geschieht durch Zeilen wie

»Mama leidet nur, weil du dich sträubst«, hat der Froschmann gesagt.

Bis zu diesem Zeitpunkt ist das für mich auch noch alles nachvollziehbar. Aha, denke ich mir, anscheinend wird das kleine Mädchen vom Stiefvater sexuell missbraucht und die Mutter will es nicht wahrhaben. Aber dann entgleitest du mir plötzlich, in dem du Details einbaust, die darauf hinweisen, dass der neue Stiefvater eben nicht der Täter zu sein scheint.

Denn: Wenn der Stiefvater gerade seinen Mittagsschlaf hält, warum fürchtet sich Lena davor, in den Garten zu gehen? Gerade dann müsste doch der Garten ein verlockendes Ziel sein, um möglichst weit weg vom Froschmann zu sein. Also ist der Froschmann wohl etwas anderes. Die einzige andere Möglichkeit, die ich dann sehe, ist, dass der Froschmann wohl den Tod darstellen soll und Lena mithin an der Schwelle zum Selbstmord steht. Dann wiederum ist es aber keine Geschichte mehr über Kindesmissbrauch, sondern über ein Mädchen, das glaubt, Schuld am Leid ihrer Mutter zu sein und deswegen Selbstmord begeht, um diese zu schützen. Auch sehr harter Stoff!

Wenn es allerdings wiederum der Tod ist, dann macht es wenig Sinn, dass dieser die Mutter bestrafen wird (das geschieht doch durch Frank) und dass Lena die Luft zum Atmen fehlt, wenn er sie in ihrem Bett(!) mit seiner Gummihaut umschlingt.

Und das lässt mich eben so unglücklich zurück. Womit haben wir es denn nun beim Froschmann zu tun? Ist er am Ende einfach nur eine Phantasiefigur, die nur das Geschehen simulieren soll? Aber was passiert dann GENAU mit Lena am Ende? Ist Lena vielleicht schizophren und der Froschmann ein anderes, das gequälte ich? Denn das Lena einfach einen starken psychischen Knacks von was auch immer davon getragen habe könnte, wird meiner Meinung nach in folgender Passage angedeutet:

Lena sieht den öligen Film, der hinter Mamas Brille hervorquillt. Er schimmert in stumpfen Farben und es wirkt, als bluteten ihre Augen aus.

Was sieht Lena da? Tränen wohl kaum, die sind nicht ölig und schimmern auch nicht in stumpfen Farben. Ist es ein blaues Auge? Dann gibt es eigentlich auch keinen öligen Film. Halluziniert Lena also?

Das alles hinterlässt mich aus zwei Gründen mit einem unguten Gefühl:

1.) Du willst dem Leser ganz klar eine Botschaft mitgeben, wie aus deinen Kommentaren hervorgeht. Das Thema ist dir ernst und das finde ich gut, denn das sollte es auch sein. Aber wenn du eine klare Botschaft übermitteln möchtest, dann solltest du diese auch formulieren. Eine vage Richtung vorweisen und dann dem Leser überlassen, sich einen Reim darauf zu machen - das ist meiner Meinung nach in Ordnung, wenn man zu einem philophischen Gedankenspiel über ein moralisches Dilemma einladen möchte. Hier gibt es aber kein moralisches Dilemma, denn Lena ist eindeutig das Opfer. Da fühle ich mich als Leser vor den Kopf gestoßen, wenn der Text mir dann sagt: "Klar geht es hier um etwas Konkretes, aber da musst du jetzt schon selber drauf kommen." Das ist sicherlich eine legitime Herangehensweise, aber zumindest ich möchte mir als Leser definitiv nicht den Kopf darüber zerbrechen, ob ich es nun "weniger" schlimm fände, wenn Lena Selbstmord begeht oder Missbrauchsopfer ist. Ein wenig mehr Führung hätte mir daher gut getan.

2.) Was für mich aber noch viel schlimmer wirkt: Dadurch, dass ich alleine gelassen werde, kann ich nicht wirklich Mitleid mit Lena entwickeln. Nach jedem der drei Male, die ich den Text gelesen habe, war mein erster Gedanke: "Dieses Mädchen ist verrückt und gehört schnellsten in psychiatrische Betreuung!" Das klingt vielleicht auch erst wie Mitleid, ist es aber nicht - ich möchte einfach nicht, dass Lena in ihrem Zustand unbehandelt in der Öffentlichkeit herum rennen kann, da sie womöglich wer weiß was anstellt. Und ich fühle mich wirklich schlecht dabei, dass ich einen Text über einen Missbrauch lese und dabei nicht etwa Mitleid mit dem Opfer habe, sondern mir mehr Gedanken darum mache, wie man verhindern kann, dass Lena nicht eines Tages einem anderen Kind in der Vorschule die Schere ins Bein rammt! Ich weiß, dass dies nicht deine Absicht war, aber leider Gottes wird genau dies bei mir ausgelöst.

So, als Abschluss ein Fazit: Ich finde es gut und mutig, dass du dich an ein Thema wie Kindesmissbrauch herantraust. Aber ein solches Thema benötigt eben auch viel Fingerspitzengefühl, um die Emotionen und die Problematik so einzufangen, dass der Leser am richtigen Punkt getroffen wird. Wie ich hoffentlich nachvollziehbar erläutert habe, ist dir dies zumindest bei mir leider nicht gelungen. Schade!

 

Hallo MuGo,

da hast du ja einen alten Text von mir rausgekramt. :) Ich weiß noch, dass es mir damals wirklich ein Bedürfnis war, diesen Songtext von Kunze in eine Geschichte zu formen, jetzt allerdings, mit dem entsprechenden Abstand, würde ich das ganz anders angehen.

zunächstmal:

Steht es mir zu, eine Geschichte zu kommentieren, die ich nur in Ansätzen verstehe?
na klar, gerade das Verständnisproblem kann einem als Schreiberling doch m,ächtig weiterhelfen. Als Autor ist einem alles immer ganz klar, aber kommt es auch beim Leser so an?

Ich mag einfach keine Symbolik.
7
mja, das ist natürlich schon etwas, was in die Richtung Vorlieben/Geschmack geht, von daher werden wir da texte wahrscheinlich häufiger ganz unterschiedlich bewerten, weil ich das zB sehr gerne mag und sehr schätze, wenn ein Autor damit geschickt umgehen kann.
Ob mir das jetzt hier gelungen ist, das ist natürlich eine andere Frage, gespielt habe ich natürlich schon damit. Wenn es von vornherein abgelehnt wird, hm nun, dann kann man sich natürlich schwer übers gelungen/weniger gelungen unterhalten ...

zu deinem Punkt 1)

"Klar geht es hier um etwas Konkretes, aber da musst du jetzt schon selber drauf kommen."
ein Text muss einladen zum interpretieren, (wenn er denn verschlüsselt ist) er muss so geschaffen sein, dass man Lust daran findet, sich seinen Reim drauf zu machen. Er darf nicht danach schreien. Anscheinend schreit er für dich zu sehr, dann versagt der text.
Zu Punkt 2)
also ich lese da eine ganze Menge Emotionen raus, von daher bin ich ja schon fast zufrieden mit der Wirkung des Textes. ;)
Wie ich hoffentlich nachvollziehbar erläutert habe, ist dir dies zumindest bei mir leider nicht gelungen.
Auch wenn ich jetzt nicht mit jedem Aspekt mitgehe, hast du das schön anschaulich dargelegt. Bin gerade in anderen Projekten verstrickt und die Geshcichte ist so weit weg, dass ich nicht versprechen kann, mich demnächst an eine Überarbeitung zu machen. Dennoch danke ich dir fürs Ausgraben und deinen ausführlichen Kommentar. :)

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Weltenläufer,
ich mag H. R. Kunze, das Froschmann-Lied kenne ich aber nicht.
Eine sehr schöne, berührende Geschichte, arme Lena.
Meine Lieblingsstellen:

Mama reißt Lena wie ein Pflaster ab und hält sie auf Armeslänge von sich.
Lena schleicht tiefer in den Garten. Sie setzt jeden Schritt mit Bedacht, ihre Füße streicheln das lange Gras mehr als sie es niederdrücken. Lena ist ein Indianer, eine Elfe, eine Fee, vollkommen geräuschlos. Mit jedem Meter fort vom Haus nimmt die Verwilderung des Gartens zu. Bald ist sie vom Fenster aus nicht mehr zu sehen, verschluckt vom gierig wuchernden Gewächs.
Gute Nacht, ich hoffe, ich träume nicht vom Froschmann ;)

 

Lieber Weltenläufer,

deine Geschichte ist vor zweieinhalb Jahren geschrieben worden, daher spare ich mir eine ausführliche Kritik, die ohnehin nur schon Gesagtes wiederholen würde, vor allem den leichten Hang zum Kitsch betreffend.

Daraus, was ich zwischen den Zeilen gelesen habe, spricht eine tiefe Ambivalenz des Kindes in seinem Verhältnis zum eigentlichen Vater, der sie in noch jüngeren Jahren sexuell missbraucht hat. Im Dunstkreis Ihrer Mutter, die sich nach ihm einen Kerl gesucht hat, der nicht besser ist, hat Lena Angst vor ihm, dem Froschmann, der in seinem Latexfimmel doch gar nicht ihr Vater sein kann (denkt sie), doch außerhalb, auf sich allein gestellt, folgt sie seinem »Ruf« auf der Suche nach der vermissten Liebe, wenn diese auch durch und durch falsch war.

So ganz passt das auch nicht. Es wirft die Frage auf, warum die Mutter nicht weiter weg gezogen ist, immer noch nahe genug, dass das Kind sich einbilden kann, der Pool läge in ihrem Garten. Klar, es muss gar nicht ihr echter Vater gewesen sein, aber in diesem Lichte fände ich keine Erklärung, warum Lena so scheinbar fremdgesteuert den Ort der Tat(en) wieder aufsucht. Vielleicht ist der Vater aufgrund seiner Verbrechen eingebuchtet worden und schon längst nicht mehr da, und das Grundstück samt Pool gehört mittlerweile anderen. Auch ist möglich, dass der Stiefvater der Täter ist und sie dies auf »den Froschmann« projiziert, wer auch immer sich dann dahinter verbirgt. Hm. Vielleicht spekuliere ich auch in eine völlig falsche Richtung.

Das reflektierte Licht traf Lena mitten auf die Stirn, so heftig, wie der Biss einer Bremse.
  • kein Komma >> so heftig wie der Biss einer Bremse.

Lena schleicht tiefer in den Garten. Sie setzt jeden Schritt mit Bedacht, ihre Füße streicheln das lange Gras mehr als sie es niederdrücken. Lena ist ein Indianer, eine Elfe, eine Fee, vollkommen geräuschlos.
  • Der Gesinnungswandel kommt mir ein bisschen plötzlich und ist dadurch kaum glaubwürdig. Müsste sie sich nicht »gezogen« fühlen, müsste sie nicht wenigstens hadern, zögern?

Einzig das geschwungene Ende der Leiter lockt mit verheißungsvoll poliertem Silber in das Reich des Froschmanns.
  • dass sie das verheißungsvoll polierte Silber lockt finde ich eine höchst problematische Formulierung, da sie suggeriert, dass Lena den sexuellen Kontakt sucht. Aua! Die Art von Liebe, die echte von Elter zu Kind, die Lena nach meiner Theorie (s.o.) eigentlich sucht, verheißt nichts – sie ist, nur leider alles andere als selbstverständlich in dieser kranken Welt.

Der Songtext legt nahe, dass hinter dem Froschmann keine reale Person steckt. Dennoch halte ich zu meiner zugegebenermaßen etwas wackligen Interpretation, zumal hier jede Geschichte für sich stehen sollte, die Angabe der Inspirationsquelle genaugenommen nicht zur Übung gehört und der Autor in meinen Augen damit bloß Unsicherheit verrät ;). Na gut, sonst würde dir sicher irgendwer unterstellen abgekupfert zu haben, insofern ist das legitim.


Viele Grüße,
-- floritiv

 

Hallo Weltenläufer,

Beim nochmaligen Lesen deiner berührenden Kg fielen mir die verschiedenen Zeitformen im folgenden Satz auf:

Mit diesen Worten schließt sie die Tür und verriegelte sie von innen.

Ich assoziiere keinen Kindesmissbrauch mit dieser Geschichte. Die Mutter wird misshandelt, das Kind leidet mit ihr und an ihrer Lieblosigkeit zu ihr.
Der Froschmann - ein Kindheitsgespenst wie der Schwarze Mann - steht für diese Gefühlsmisere.

Oder? Was meint Heinz-Rudolf dazu?

LG Damaris :-)

 

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