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Acht-Wort-Geschichten: Kommentare & Kritiken

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Acht-Wort-Geschichten: Kommentare & Kritiken

Hier könnt ihr, der Titel des Threads lässt es vielleicht vermuten, Acht-Wort-Geschichten kommentieren bzw. kritisieren. Viel Spaß dabei. Es gelten natürlich die üblichen Regeln.

 

Puh, schwer. Bei der Mehrzahl an Beiträgen habe ich schon Probleme, diesen überhaupt Geschichtencharakter zuzugestehen. Aber meine Beiträge sind natürlich alles Geschichten, das ist klar wie dicke Tinte. :D ;)
Habe mal zurückgeblättert in diesem Thread. Der letzte Beitrag mit unübersehbaren Geschichtencharakter ist einer von Berg:

Berg schrieb:
1914: Brite erschießt Hitler.
Schwere Gewissensbisse.
Wird Pazifist.
Begründung:
  • Handlungsverlauf ist vorhanden.
  • Ihren Kontext bezieht die Geschichte aus der Allgemeinbildung, das heißt, sie ist nicht beliebig.
  • Mich lässt Berg nicht mit einem Schulterzucken zurück; die paar Worte entfachen schon recht viele Gedanken, ja, was wäre wenn.
  • Ich identifiziere mich mit der Hauptperson.
  • Ich frage mich, wenn ich einen beliebigen Missmenschen, der sagen wir, der betrunken in der Nachttram den linken Arm zum Gruß schwingt, erschösse mit dem Argument, er könnte ja ...
  • Alles in allem finde ich, der Text ist eine Geschichte, weil es um einen Konflikt geht: Um den Konflikt zwischen "Was habe ich getan?" und "Was hätten wir tun müssen?"
  • Man kann sie auch kritisch hinterfragen: Was war die Motivation, dass der Brite Hitler erschoss, was erklärt seine Gewissensbisse? Denn, nehmen wir an, er hätte geahnt, was der Kerl für ein Pulver im Kopf hat, hätte er meines Erachtens keine Gewissensbisse gehabt

Mein Lob, denn Empfehlen hat hier kaum Sinn,
-- floritiv.

 

@floritiv

Denn, nehmen wir an, er hätte geahnt, was der Kerl für ein Pulver im Kopf hat, hätte er meines Erachtens keine Gewissensbisse gehabt
Das führt unweigerlich zu den aktuellen Ereignissen: Was ging nur dem "du-weisst-schon-wer" aus Oslo durch den Kopf? Und hätte man den Briten damals zum "Schlächter" eines vortschrittlichen politischen Geistes gestempelt? Brrr, wie gruselig.

 

Kennzeichen heutiger Autoren? Pudel nicht kennen, Geschichtenthread zumüllen.

Hallo Dion!
Hier wird eine Frage gestellt und beantwortet. Das ist für mich eher ein Meinungsbild, also Richtung Kolumne.
Auch ist die Aussage als philosophische Hypothese nicht haltbar. Das beweisen die Gegenproben:
Ist kein Autor, wer den Pudel kennt?
Ist kein Autor, wer den Geschichtenthread nicht zumüllt?

LG
Asterix

 

30 Jahre Ehe. Schweigen uns an. Funktioniert immer!

Für mich eine Geschichte, da:

... in dreißig Jahren Schweigen kein Streit aufkommen konnte, funktioniert die Ehe noch

oder

... zu schweigen geht einfacher als diskutieren, also funktioniert es mit den zweien immer.

Schwierig an der Wortkonstruktion ist die Zweideutigkeit, es entwickelt sich für mich kein klares Kopfkino. Vielleicht könnte der dritte Satz (Wort 7+8) noch einmal überarbeitet werden, damit das knackiger wird.

 

Schöner wär auch, wenn die Dreißig ausgeschrieben wäre. Mit dem archaischen ß hätte die Zahll mehr Gewicht. :)

Ich bin auch über die letzten Wörter gestolpert. Vor allem, weil ich die ersten Sätze so las: Dreißig Jahre Ehe schweigen uns an. Da sah ich dann das Paar diesen dreißig Jahren gegenübersitzen und dachte: Haben die nichts zu sagen, all diese Jahre? Da müßten doch auch welche dabeisein, die Romane daherschnattern oder melodramatische Traktate beten könnten!

In dem Fall hätte ein Kursatz wie Eines spricht oder Keiner antwortet mehr Blam gehabt, aber das denke ich wohl nur, weil das Ding bei mir nicht so angekommen ist, wie es sollte.

 

Von svg:

Aus der Rubrik „Norddeutsche Märchen“

Politiker beteuert unter Tränen: „Es war wahre Liebe!“

Hier wird der Acht-Worte-Geschichte erst durch eine einleitende Erklärung die gewünschte Bedeutung des Autors aufgedrückt.
Im Volksmund gelten Politiker ja nicht gerade als die aufrichtigsten Mitmenschen. Ich frage mich deshalb, braucht es den Zählrahmen sprengenden Zusatz? Denn es funktoniert genau so gut/schlecht auch ohne ihn.

 

Von svg:


Hier wird der Acht-Worte-Geschichte erst durch eine einleitende Erklärung die gewünschte Bedeutung des Autors aufgedrückt.
Im Volksmund gelten Politiker ja nicht gerade als die aufrichtigsten Mitmenschen. Ich frage mich deshalb, braucht es den Zählrahmen sprengenden Zusatz? Denn es funktoniert genau so gut/schlecht auch ohne ihn.


Berechtigter Kommentar, daher geändert in:

Nordeutsches Märchen: Politiker beteuert weinend: "Es war Liebe!"

 
Zuletzt bearbeitet:

Hm! Ich finde, da stimmt im Aufbau ganz fatal was nicht. Politiker oder Sportler beteuern ja gern weinend irgendwas, und dann denkt das Volk gern: Lüge! Märchen!
Aber hier wird die Handlung (Beteuerung unter Tränen) schon als Märchen dargestellt.
Geht man davon aus, daß der Politiker etwas beteuert, das nicht stimmt, wäre mit Märchen die Vorspiegelung von wahrer Liebe gemeint, nicht etwa die Vorspiegelung einer tränenreichen Beteuerung, die ja tatsächlich erfolgt ist.
Das Problem ist: Man weiß, wie es wohl gemeint ist, aber so steht es nicht da. Stünde es so da, klänge es aber schlapper, denn dann hieße es etwa:
Norddeutsches Märchen: Politiker hat aus wahrer Liebe gehandelt!
Und überhaupt: Warum nur norddeutsch? :silly:

 

Und warum norddeutsch nur mit einem 'd'?

Und ist die Geschichte zeitlos wie eine Geschichte meiner Meinung nach sein sollte? Ich meine nicht, bezieht sie ihre Brisanz rein aus der Boetticher-Affäre. Boetticher einmal vergessen, und das passiert wahrscheinlich früher als später, wird auch diese Geschichte nur noch ein Schulterzucken hervorrufen, wenn sie mangels der fehlenden Kontextinformationen überhaupt verstanden wird.

 

Dante, die Acht-Wort-Geschichten-Idee finde ich super. Die meisten sind auch toll geworden. Leider fehlt mir in deiner ersten Geschichte dann doch ein wenig die Geschichte.

Vom gesamten Projekt her erinnert mich das ein bisschen an TwitterLyrik. Schaut da doch auch mal rein.

 

Sie brannte. Und brannte. Und brennt ...? Nicht mehr.

Ich kann leider überhaupt keinen Zugang zu dieser Geschichte finden, auch nachdem ich jetzt schon mehrfach darüber nachgedacht habe. Mir fehlt dazu noch eine Richtung, in die das Geschehen gehen soll. Für mich könnte das Verb durch ein x-beliebig anderes (essen, schlafen, gehen) ersetzt werden und die Aussage / Wirkung wäre genau die gleiche: Keine. :confused:

 

Hier, ich! Ich hab Zugänge zu verkaufen!

1. Hexe auf dem Scheiterhaufen
2. Alte Eiche
3. Verbitterte Kokotte.

Der dritte ist am teuersten, weil er neben der Physik die meiste Metaphysik enthält und am geilsten klingt. :)

 

Hm, ich könnte statt auf "Nicht mehr", den Einzeiler auf "ist ausgebrannt." schließen lassen. Damit würde ich zum einen Makitas Wucherpreise zu nichte machen ;), zum anderen klänge das noch lapidarer. Okay, war wohl nichts. Danke für die Kritik meiner aus Waldschutzskrupel nie geschriebenen, aber schon aufs Wesentliche gekürzten 4000-Seiten-Trilogie.

Der dritte ist am teuersten, weil er neben der Physik die meiste Metaphysik enthält und am geilsten klingt.
Für mich - und wer weiß, ob sich x andere bloß nicht trauen, das zuzugeben :D - ist der Bogen zur Physik/Metaphysik Meilen zu weit, sorry. Wenn das nur eine Wortschleuder-Pointe ergo essentiell sinnfrei sein sollte, bin ich erleichtert.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hm, ich könnte statt auf "Nicht mehr", den Einzeiler auf "ist ausgebrannt." schließen lassen. Damit würde ich zum einen Makitas Wucherpreise zu nichte machen
Woss? :confused:
Dadurch, daß bei dieser Formulierung der teuerste Zugang am breitesten würde, würdest Du seinen Preis nicht versauen, sondern ihn erhöhen. Denn dann wollten alle rudelweise da durchgehen, und ich wäre stinkreich!
Was Du versuchst, ist, die Quote meines Zugangs Nr. 3 beim Buchmacher zu versauen.
Ein vom Autor noch ungenehmigter/unbestätigter Interpretationszugang ist gewissermaßen eine Wette. Die Quote ist umso höher, je weniger die Wettgemeinschaft die Genehmigung/Bestätigung dieser Interpretation erwartet. Änderst Du die Formulierung, wird die Quote schlecht, weil jeder denkt: Achja, klar, das kann ja nur ne verbitterte Kokotte sein.

der Bogen zur Physik/Metaphysik Meilen zu weit, sorry. Wenn das nur eine Wortschleuder-Pointe ergo essentiell sinnfrei sein sollte, bin ich erleichtert.
Das ist dann natürlich unlogisch, denn so verbreiterst Du zuerst den teuren Zugang und hängst danach ein Geschlossen!-Schild dran. :susp:

Von welchen, die sich ums Bezahlen drücken wollen, hab ich schon originellere Ausreden gehört.
Der Scheck ist in der Post, wie wärs denn damit?

 

Licht geht nicht. Küche stinkt. Streichholz an. Bumm!

Endlich wieder einmal eine 8-W-G, die wirklich eine ist!

 

Hemdknopf platz.
"Outsch mein Auge!"
Scheiß McDonald's.
Das ist schon fast ein Experiment mit der Prämisse:
Verfasse eine Kürzestgeschichte mit grösstmöglichem Überarbeitungspotential.
Fakten:
- Hemdknopf platzt.
- Normalerweise reisst er ab,fliegt davon, irgendwie so.
- Autsch[Komma] mein Auge
- und, ich zähle hier nur sieben Wörter, denn der angehängte Genitiv ('s) zählt nicht. ;)

 

Verkaufe: Babyschuhe, ungetragen

Ich habe auch viel über Hemingways Kürzestgeschichte, die ich gestern kennengelernt habe, nachgedacht. Wegen ihrer Kürze ist sie unvollständig, fragmentarisch, und gerade deshalb regt sie den Leser an. Er fragt sich zu Recht: Warum werden die Babyschuhe verkauft? Und warum wurden sie nicht getragen?


Es könnte so gewesen sein:

In der Weltwirtschaftskrise, der Great Depression, ist ein Säugling gestorben, weil die verarmten Eltern sich keinen Arzt für ihn leisten konnen. Um sich (und vielleicht Kinder) durchzubringen, um etwas zu essen zu kaufen, können sie die Babyschuhe nicht als Andenken behalten, sondern müssen sie verkaufen.


Oder so:

In romantischer Hoffnung auf ein Enkelkind hat ein Vater seiner frisch verheirateten Tochter, die schwanger ist, ein Paar kostbare Babyschuhe geschenkt. Die aber treibt ab und verkauft die Schuhe, um die geplante Kreuzfahrt zu finanzieren.


Was ich damit sagen will: Gerade der fragmentarische, unvollständige Charakter lässt Fragen offen und regt die Fantasie des Lesers an, der dadurch selbst schöpferisch wird, der sich die Geschichte zu Ende ausmalt, sie interpretiert wie ein Schauspieler eine Rolle oder ein Pianist eine Sonate, ihr das Leben einhaucht, ohne das sie noch nicht von den Toten erweckt ist wie Noten auf einem Papier oder Buchstaben, die bestimmen, was Hamlet auf der Bühne sagt.

PS
Freilich gab es auch eine Ästhetik, die solch einen unvollständigen, fragmentarischen Charakter ablehnt und Eindeutigkeit fordert, vom Schriftsteller verlangt, dass er dem Leser alles klar beantwortet, ihm sozusagen vorgekaute Kost vorsetzt. Das forderte der Sozialistische Realismus, die Kunstdoktrin in der Sowjetunion und der DDR. Da ist der Kommunist immer der Gute und der Bourgeois immer der Böse. Die Partei hat immer Recht und schuld an allem ist der Klassenfeind. Der Leser soll sich keine eigenen Gedanken machen, denn alles wird ihm vom allwissenden Erzähler im Sinne der Dokrin beantwortet.

 

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