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Casanova i de Schwiiz (Züritüütsch)

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29.01.2010
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Casanova i de Schwiiz (Züritüütsch)

Wüetig schlaat Laoin von Roll d‘Türe hinter sich zue, als si s‘Reschterant verlaat. Dä Tschan Carlo, mit dem si sit vier Mönet befründet isch, hintergaat si. Nöd nur mit einere, wie si jetzt vermuetet, sondern er pflückt sich wohl jedi die einigermasse ufräizend isch und sim Scharm erliit.

Als si s‘neu eröffneti Lokal beträte hät, s‘hät en grosse Adrang gha, isch si beschwingt und guet gluunt gsi. Doch dänn hät si dä Tschan Carlo entdeckt, wie när mit de Chrischtina i eidütiger Wiis gschmuuset hät, e Chommilitonin vo de Uni.
«Laoin, du bisch au da.» Er isch überrascht gsi und hät sich erscht nach ene Moment us de Umarmig vo de Chrischtina löse chönne.
«Ich ha gmeint, du segsch hüt Abig mit dinere Gruppe zäme?» Ire gegenüber hät er gsäit gha, hüt chönn er si nöt träffe, da er sich mit sinere Lärngruppe uf e Prüefig vorbereiti.
«Das bin ich doch au, d‘Chrischtina ghört au dazue. Die andere chönnt erscht uf di Achti cho, so häm mer bschlosse, eus vorher no die neu Beiz azluege.»
«Das isch doch än schlächte Witz, oder?», erregt sich Laoin drufhi.
«Ich weiss nöd was du meinsch?» De Tschian Carlo macht dazue e unschuldigi Miine, öppis wonn er durchuus behärrscht, während d‘Chrischtina e schpöttisches Lächle ufgsetzt hät.
«Willsch du mich für blööd verchaufe, ich ha doch gsee, wie du mit dere Schnäpfe ummegfummlet häsch. Läärne, das ich nöd lache. Wool höchschtens neuii Liebesschtellige.»
«Gaats dir no? Was säll das zickigi Getue!? Ich cha mich schliesslich träffe mit wemm ich will und au mache waas ich will. Wenns der nöd passt, dänn verschwind doch eifach und mäld dich erscht, wänn widder normal bisch.»
«Daruuf chasch lang waarte.»D‘Laoin wänndet sich mit ene verächtliche Blick uf Chrischtina ab und gaat.
Si hät scho mehrfach dä Verdacht gha, das sini Zuneigig zu ire zwar nöd gspillt isch, er iri Bezieig aber uf di liecht Schultere nemmi. Als in emal es Meitli i ire Gegewart eidütig agredt hät, hät er nachher nur schnippisch gmeint, es seg e Verflosseni. Er hät jedoch nie gseit, wie vills davo git. Si hät sich entschlosse, ihm i de nächschte Ziit di chalt Schultere s zeige.

Hèèi hät si nöd welle, dä Gedanke alleige umezsitze, isch ire z‘depremierend. Da hät si sich erinneret, dass d‘Historischi Gsellschaft hüt Abig im Chauflüütesaal en Churzvortrag mit ere aschlüüsende Diskussion abhaltet. D‘Reihe handlet vo historische Persoone, wo d‘Schwiiz bereist händ, Wahrschiinlich nöd bsunders spannend, aber wenigschtens öppis zu irem Schtudiegebiet.

Di meischte Bsuecher sind älteri Manne und nur wenig jungi Lüt unter de öppe drü Dutzend Teilnehmer. Da betritt dä Referänt d‘Büüne und begrüesst di Awesende. Hinter ihm lüüchtet a ere Tafle dä Titel vom Voortrag uf: Casanova i de Schwiiz. E chlini Episode, i züritüütschem Dialekt, isch no agmerkt.


A ene Namittag im Summer 1760, isch en edel ufträtende Maa vor dä Härbärg Huus zum Schtorche in Züri, us ere Chutsche gschtige, die us Eisidle cho isch. Vom Personal, wo dee Ma nöt kännt händ, hät wohl niemert dänkt, dass de e mal id Gschichtsbüecher iigaa wird. Tschacomo Tschirolamo Casanova, en Dokter für wältliches und chirchliches Rächt, gboore in Venedig. Sini Eltere sind Schauschpiiler gsi, vo dene er sin Scharm und sis Fabuliertalänt gèèrbt hät. Die Gab hät em ermöglicht, andere Lüt possierlich öppis vorzmache und si i sin Bann s‘zieh.

Im Chloschter Eisidle hät de Casanova a de Pforte aachlopfet gha und drum bätte, bi ine iizträtte z‘därfe, um chünftig nach de Regle vom heilige Benedikt zläbe. De amtierendi Abt Nikolaus Imfäld hät jedoch scho vom Casanova ghört gha und gar nöd nur gfreuts. So hät er gwüsst, dass dä Casanova im Jahr 1741, nachdem er vier nideri Weiie übercho hät, bi enere Predigt bsoffe vo de Chanzle i de Chile San Samuele in Venedig gheit isch. Trotzdem hät er erscht drü Jahr schpäter sini chirchlichi Laufbaan ufgee. Einigi Jahr schpäter hät de Casanova in Rom de Papscht Clemens XIII. känneglernt, de in wäge sinere Begaabig, luschtigi Gschichte z‘verzelle is Herz gschlosse hät. De hät em dänn sogar erlaubt, di verbotene Büecher, genauer Erotica us aller Wält, zläse, wo i de vatikanische Bibliothek zu wüsseschaftliche Zwäck gsammlet worde sind. Sini päpschtlichi Beziehig wäri unter andere Umschtänd durchuus als Empfellig azluege gsi. Doch 1755 isch er wäge angebliche Schmähig gege die heiligi Religion verhaftet und i die berüchtigte Bleichammere vo Venedig gschteckt worde. Nach füfzäh Mönet isch em bi eneme zweite Versuech glunge vo det z flüchte, und sither hät er sich in ganz Europa umetriebe. Bevor er nach Eisidle gange isch, hät er in Gänf sich so einigi Eskapade gleischtet gha. D Schauspielerin Dübois säll sis Herz in Wallige versetzt ha, was in ernschthaft über ene Hüratsatrag nachdänke la hät. Doch wie hüüfig i sim Läbe, hät er au det müesse flüchte, da nöd alli Lüt in möge händ und ihm findlich gsinnt gsi sind. Vor allem d‘Ehemanne vo dene Damene us de ghobene Gsellschaft, die sich für sini bsundre Dienscht grosszügig erkänntlich zeigt händ. All das, hät de Abt Nikolaus veralasst, inn abzwise, fründlich und salbigsvoll, aber bestimmt. Dänn z’Eisidle isch mer Päpschtlicher gsi als de heilig Vater sälber.

Bi sim Ufenthalt in Züri isch em d Dame Ludovica von Roll begegnet, die sofort sis Herz höher schlaa hät, da si attraktiv uusgse und au zu de vermögende Lüt ghört hät. Zu ire Ziit hät si au als Amazone golte, will sii i aller Wält umegreist isch. Da er scho lang davo gläbt hät, dass in d‘Fraue für sini Liebesdienscht entschädiged, schliesslich hät er das i de Büecher in Rom sehr guet gschtudiert gha, und sini Finanze sind da zuenehmend wider änger gworde, isch äm das Frauezimmer bsunders willkomme gsi. Es isch em jedoch nöd glunge, i die Gsellschaft ine zcho, i dere die Dame verchehrt isch, die bessere Züürcher händ welle unter sich si. Wo d‘von Roll denn uf Bsuech nach Solothurn gange isch, hät er sichs nöd ne la, ihre nazreise. Sin versuech ire nöcher zcho, indem er e Stell als Chellner aagnoo hät, isch erfolglos gsi. Da hät er sich als Stiffelchnächt verchleidet, um a iri Wade z‘lange. Wie‘s genau passiert isch, weiss niemert s‘zäge, oder die woss wüsset schwiiget. Uf jede Fall häts d‘Frau von Roll arrangschiert, dass er erfahre hät, i de Nacht, aber erscht gäge de Morge, wänn alli schlaafet, seg ires Zimmer ihm zuegänglich. Das hät er au uusgnützt. Er hät sich ire hiige, sini ganzi Chunscht vo de Liebi schpüre laa, und sich durch iri luschtvolle Schrei immer neu angstachlet gfühlt. Doch wo s‘hell worde isch, d‘Sunne hät iri Straale gschickt und zu ine is Bett glüchtet, hät er en Schock übercho. Sini Gspiilin die schlaafend näbe ihm gläge isch, isch nöd Ludovica gsi, sondern e hinkendi Witwe, die in scho lang verfolgt gha hät. Und er hät sich nüd Böses ahnend zwei Stund lang a ire abgrackeret gha. Am Notizzädel, wo d‘Ludovica ihm zuecho la hät, muess öppert manipuliert ha, d‘Zimmernummere abgänderet ha. Doch sgröschti Missgschick isch gsi, dass d‘Frau von Roll, dere ires Zimmer isch nebezue gsi, das ganzi hät muesse mitaalose. Si isch tüüf beledigt gsi, über de unghüüri Missgriff vom Casanova siine Sinn, si mit ere magere, gruusig stinkende Häx z‘verwächsle, das isch zvil gsi. Doch Krönig isch gsi, dass er sich dabi no glücklich gschetzt hät, i de meinig, mit dä Ludovica z‘kopuliere. Zwar isch es ihm glunge, sich mit enere fiise Intrige sich z‘räche, aber sini Gunscht bi de Ludovica hät er ändgültig verschpillt gha.

D‘Schwiizer Fraue händs äm würkli nöd eifach gmacht gha, doch da hät er no nöd chönne aahne, dass die schlimmscht Helvetia ihm erscht no bevorstaaht. E achtzäjährigi us Bern, die er drüü Jahr schpääter in London chännneglernt hät, wird ihm die gröschti Niderlaag zuefüege. Doch das isch ja scho e ganz anderi Gschicht.

Nach füüf Summermönet im Jahr 1760 i de Schwiiz, hät er dänn wider anderschwo sis Glück gsuecht.

De Name Ludovica von Roll hät Laoin verwirrt. Es muess e Urahnin irer Familie gsi si. Aber au s‘Wärbe vom Casanova um si, als ob es Paralelle im Läbe zwüsche ine beide gee würd. D‘Entrüschtig vo de Ludovica hät si sich guet vorschtelle chönne, es gat ire momenta so mit em Tschan Carlo. Doch dä Casanova häts zu sinere exischtenzielle Sicherig gmacht gha, im Gägesatz zum Tschan Carlo. Oder isch da gar käin Gägesatz? Er hät sich doch immer wiider vo mier verchöschtige laa, dänkt Laoin. De Schuft! Dass ich vo dere Parable erfahre ha, cha kein Zuefall si, eher än Wink vom Schicksal. Ich werd wie d‘Ludovica mim Verehrer ändgültig dä Laufpass gee.

 
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Im Kanton Zürich unterscheidet man fünf regionale Varianten des Zürichdeutschen, einem hochalemannischen Dialekt. Der im Text angewandte Dialekt entspricht dem, wie er heute in der Stadt Zürich gesprochen wird.

Um Lesern, denen es Mühe bereitet diesen Dialekt zu lesen, eine Erleichterung zu bieten, nachfolgend eine Übersetzung. Soweit es die Kongruenz zuliess, wählte ich dafür die Form wortgetreuer Wiedergabe, ansonsten eine sinngemässe Darstellung.


Casanova in der Schweiz​

Wütend schlägt Laoine von Roll die Türe hinter sich zu, als sie das Restaurant verlässt. Gian Carlo, mit dem sie nun seit vier Monaten befreundet ist, hintergeht sie. Nicht nur mit einer, wie sie jetzt vermutet, sondern er pflückte sich wohl jede die einigermassen aufreizend ist und seinem Charme erliegt.

Als sie das neu eröffnete Lokal betrat, es hatte einen grossen Andrang, war sie beschwingt und gut gelaunt gewesen. Doch da entdeckte sie Gian Carlo, der mit Christina in eindeutiger Weise herummachte, einer Kommilitonin von der Universität.
«Laoine, du bist auch hier.» Er war überrascht und vermochte sich erst einen Moment später aus der Umarmung von Christina zu lösen.
«Ich dachte, dass du heute Abend mit deiner Gruppe zusammen lernst.» Ihr gegenüber hatte er bemerkt, heute könnten sie sich nicht treffen, da er sich mit seiner Lerngruppe auf eine Prüfung vorbereite.
«Das bin ich doch auch, Christina gehört dazu. Die andern können erst um 20 Uhr kommen, so haben wir beschlossen, uns vorher noch das neue Lokal hier anzusehen.»
«Das ist doch ein schlechter Witz, oder?», erregte sich Laoine.
«Ich weiss nicht, was du meinst?» Gian Carlo macht eine unschuldige Miene, etwas das er durchaus beherrschte, während Christina ein spöttisches Lächeln aufsetzte.
«Willst du mich für blöd verkaufen, ich habe doch gesehen, wie du mit dieser Schnepfe herumgemacht hast. Lernen, das ich nicht lache. Wohl höchstens neue Liebesstellungen.»
«Geht es dir noch? Was soll das zickige Getue!? Ich kann mich schliesslich treffen mit wem ich will und auch machen, was ich will. Wenn es dir nicht passt, dann verschwinde doch einfach und melde dich erst, wenn du wieder normal bist.»
«Darauf kannst du lange warten.» Laoine wandte sich mit einem verächtlichen Blick auf Christina ab und ging.
Sie hatte schon mehrfach den Verdacht, dass seine Zuneigung zu ihr zwar nicht gespielt war, er aber ihre Beziehung auf die leichte Schulter nahm. Als ihn mal ein Mädchen in ihrer Gegenwart eindeutig ansprach, hatte er nachher nur schnippisch gemeint, es sei eine Verflossene. Er hatte jedoch nie erwähnt, wie viele es davon gab. Sie entschloss sich, ihm in nächster Zeit erst mal die kalte Schulter zu zeigen.

Nach Hause wollte sie nicht, der Gedanke allein herumzusitzen, deprimierte sie. Da erinnerte sie sich, dass die Historische Gesellschaft heute Abend im Kaufleutensaal einen Kurzvortrag mit anschliessender Diskussion abhält. Die Reihe handelt von berühmten Personen, die die Schweiz bereisten. Wahrscheinlich nicht besonders spannend, aber wenigstens etwas zu ihrem Studiengebiet.

Die meisten Besucher sind ältere Herren und nur wenige junge Leute unter den etwa drei Dutzend Teilnehmern. Da betritt der Referent die Bühne und begrüsst die Anwesenden. Hinter ihm leuchtete an einer Tafel der Titel des Vortrages auf: Casanova in der Schweiz. Eine kleine Episode, in zürichdeutschem Dialekt, war noch angemerkt.

An einem Nachmittag im Sommer 1760 entstieg ein edel auftretender Herr vor der Herberge Haus zum Storchen in Zürich, einer Kutsche, die aus Einsiedeln kam. Vom Personal, das den Herrn nicht kannte, dachte wohl niemand, dass dieser einmal in die Geschichtsbücher eingehen wird. Giacomo Girolamo Casanova, ein Doktor für weltliches und kirchliches Recht, geboren in Venedig. Seine Eltern waren Schauspieler, von denen er seinen Charme und sein Fabuliertalent erbte. Diese Gabe ermöglichte ihm, anderen Leuten possenreich etwas vorzumachen und sie in seinen Bann zu ziehen.

Im Kloster Einsiedeln klopfte Casanova an die Pforte und bat darum, bei ihnen eintreten zu dürfen, um künftig nach den Regeln des heiligen Benedikts zu leben. Der amtierende Abt Nikolaus Imfeld hatte jedoch schon von Casanova gehört, und gar nicht nur Rühmliches. So wusste er, dass Casanova im Jahre 1741, nachdem er vier niedere Weihen empfangen hatte, bei einer Predigt betrunken von einer Kanzel in der Kirche San Samuele in Venedig gestürzt war. Trotzdem gab er erst drei Jahre später seine kirchliche Laufbahn auf. Einige Jahre später lernte Casanova in Rom Papst Clemens XIII. kennen, der ihn wegen seiner Begabung, amüsante Geschichten zu erzählen, ins Herz schloss. Er erlaubte ihm sogar, die verbotenen Bücher, genauer Erotica aus aller Welt, die in der Vatikanischen Bibliothek zu wissenschaftlichen Zwecken gesammelt worden sind, zu lesen. Seine päpstliche Beziehung wäre unter anderen Umständen durchaus als Empfehlung zu werten gewesen. Doch 1755 wurde er wegen angeblicher Schmähung gegen die heilige Religion verhaftet und in die berüchtigten Bleikammern von Venedig gesteckt. Nach fünfzehn Monaten gelang ihm beim zweiten Versuch die Flucht von dort. Seither trieb er sich in ganz Europa herum. Bevor er nach Einsiedeln kam, hatte er in Genf sich einige Eskapaden geleistet. Die Schauspielerin Dubois soll sein Herz in Wallungen versetzt haben, was ihn ernsthaft über einen Heiratsantrag nachdenken liess. Doch wie oft in seinem Leben, musste er auch von dort flüchten, da ihn nicht alle Leute mochten und ihm feindlich gesinnt waren. Vor allem die Ehemänner jener Damen aus der gehobenen Gesellschaft, die sich für seine besonderen Dienste grosszügig erkenntlich zeigten. All dies veranlasste Abt Nikolaus ihn abzuweisen, freundlich und salbungsvoll, aber bestimmt. Denn in Einsiedeln war man päpstlicher als der Heilige Vater selbst.

Bei seinem Aufenthalt in Zürich, begegnete er der Dame Ludovica von Roll, die sein Herz sofort höher schlagen liess, sah sie doch attraktiv aus und gehörte dem Geldadel an. Zu ihrer Zeit galt sie auch als Amazonin, da sie in aller Welt herumreiste. Da er schon lange seine Einkünfte dadurch bestritt, dass Frauen seine Liebesdienste entschädigten, diese Fertigkeit hatte er immerhin in den Büchern in Rom gut studiert, und seine Finanzen wurden wieder einmal enger, war ihm diese Frau eine besonders willkommene Beute. Es gelang ihm jedoch nicht, in die Gesellschaft Zutritt zu erhalten, in der sie verkehrte. Die begüterten Zürcher Bürger pflegten diesbezüglich keine offenen Häuser. Als die Frau von Roll zu einem Besuch in Solothurn weilte, reiste er ihr nach. Sein Versuch ihr näher zu kommen, indem er sich als Kellner engagieren liess, verlief erfolglos. Da verkleidete er sich als Stiefelknecht, um so an ihre Waden greifen zu können. Wie es dann genau vor sich ging, weiss niemand, oder jene, die es wussten, schwiegen tunlichst darüber. Auf jeden Fall arrangierte Frau von Roll es, dass er erfuhr, in der Nacht, aber erst gegen die Morgenstunden, wenn alle andern bereits schlafen, werde ihr Zimmer ihm zugänglich sein. Dies nutzte er auch aus. Er hat sich ihr hingegeben, sie seine ganze Liebeskunst spüren lassen, und sich durch ihre lustvollen Schreie immer neu angestachelt gefühlt. Doch als es hell wurde, die Sonne ihre Strahlen sandte und ins Bett leuchtete, bekam er einen Schock. Seine Gespielin, die schlafend neben ihm lag, war nicht Ludovica, sondern eine hinkende Witwe, die ihn schon lange verfolgte. Und er hat nichts Böses ahnend, sich zwei Stunden lang an ihr abgerackert. Am Notizzettel, den ihm die Ludovica zukommen liess, musste jemand manipuliert, die Zimmernummer geändert haben. Doch das grösste Missgeschick war, dass Frau von Roll, ihr Zimmer lag nebenan, das Ganze mit anhören musste. Sie war tief beleidigt, über den ungeheuren Missgriff von Casanovas Sinnen, sie mit einer mageren, übel stinkenden Hexe zu verwechseln, das war zu viel. Doch die Krönung dieses Fehlgriffs war, dass er sich dabei noch glücklich schätzte, der Meinung, mit der Ludovica zu kopulieren. Zwar gelang es ihm, sich mit einer fiesen Intrige zu rächen, aber die Gunst bei der Ludovica hatte er endgültig verspielt.

Die Schweizer Frauen haben es ihm wirklich nicht einfach gemacht, doch ahnte er da noch nicht, dass die ärgste Helvetia, ihm noch bevorstand. Eine Achtzehnjährige aus Bern, die er drei Jahre später in London kennenlernte, ihm die grösste Niederlage zufügen wird. Doch das ist ja schon eine ganz andere Geschichte.

Nach fünf Sommermonaten im Jahr 1760 in der Schweiz suchte er dann wieder anderswo sein Glück.

Der Name Ludovica von Roll hatte Laoine verwirrt. Es musste eine Urahnin ihrer Familie sein. Aber auch das Werben von Casanova um sie, als ob es Parallelen im Leben zwischen ihren beiden Leben geben würde. Die Entrüstung von Ludovica konnte sie sich gut vorstellen, es ging ihr momentan so mit Gian Carlo. Doch Casanova tat es zu seiner existenziellen Sicherung, im Gegensatz zu Gian Carlo. Oder ist da gar kein Gegensatz? Er hatte sich doch immer wieder von mir verköstigen lassen. Dieser Schuft! Dass ich von dieser Parabel erfuhr, kann kein Zufall sein, eher ein Wink des Schicksals. Ich werde wie die Ludovica meinem Verehrer endgültig den Laufpass geben.

 

Nun brauch ich zur Entspannung ein bisschen melodiöse Sprache,

lieber Anakreon,

und find sie hier.

Als Bewunderer des Grünen Heinrich in all seinen Varianten (incl. der lapidaren Darstellung der Einvernahme helvetischen Bodens durch die eindringenden Alemannen) vermiss ich ein wenig bei Gottfried Keller selbst in den Zürcher Novellen das Alemannische Idiom, was selbstverständlich für die historischen Erzählungen seines Zeitgenossen CF Meyer umso mehr gilt. Nahezu brutal hat mich Gotthelf dann nach Keller & Meyer ins Berner Oberland entführt, wobei ich bestätigen will, dass etwa im Ostfälischen (also im Altsächsischen, wie es heut noch im Harz zB gesprochen wird) jedes Dorf ein bisschen anders plaudert und umgekehrt, zu der Zeit, da noch keine teutsche Lautverschiebung die alten Dialekte entfremdete, verstanden sich – sofern sie zuhören konnten – der Ostorogote und Terwinger (gemeinhin als „Goten“ bezeichnet, Ost- und West-) mit dem Alemannen, Franke mit Friesen und Sachsen, was mich nun nicht veranlassen wird, einen niederländischen Text (das Niederländische fußt auf dem Altfränkischen und der Kaaskopp fühlt nicht nur in der Hymne teutsches Blut in seinen Adern), was der erste Satz eines weitverbreiteten Textes auf Gotisch und Alemannisch belegen mag:

Atta unsar þu in himinam, weihnai namo þein ...
Fater unser thu pist in himile, uuihi namun dinan ...

(wobei das þ, wie man schon richtig vermuten darf, dem th entspricht und wie ein tea-aitsch auch ausgesprochen wird und das dabbelju ja mehr als deutlich zu erkennen ist im satte 300 Jahre jüngeren alemannischen Vaterunser). Bliebe noch die von mir (vielleicht allzu) kühn vertretene These, dass im Terwinger - lösen wir das dabbelju wieder ein und das tea-aitsch wieder in seine ursprüngliche Stellung - zum Thüringer wird.

Aber dann doch eine Frage zum Text:

Tschan Carlo
Das klingt wie der Einbruch des Chinesischen (Mandarin?) ins Zürcher Idiom.

Muss der Vorname Lautmalerisch daherkommen oder sollte er nicht – wie der zweite Name – in korrekter (italischer) Schreibweise erfolgen? Wäre dem so, so sollte der zwote Name mit Ch geschrieben werden, was spätestens mit der Kommilitonin/ Chommilitonin bestätigt wird.

Vielleicht gar nicht mal die einzige Kommentierung vom

Friedel

hierorts.

 

Lieber Friedel

Nun brauch ich zur Entspannung ein bisschen melodiöse Sprache,

Wenn ich mich in vergangenen Jahren an der Côte d’Azur herumtrieb, und in vertrautem Kreise diese Sprache anwandte, wurden wir von der Umgebung öfters verdächtigt, Russen zu sein. So klingen diese Laute für das frankophone Ohr.

vermiss ich ein wenig bei Gottfried Keller selbst in den Zürcher Novellen das Alemannische Idiom, was selbstverständlich für die historischen Erzählungen seines Zeitgenossen CF Meyer umso mehr gilt.

Einen Moment hatte ich überlegt, für den eingebauten Vortrag die Dialektsprache einzusetzen, wie sie um 1760 gesprochen wurde. Doch dies zu erarbeiten, hätte jahrelanger Nachforschung bedurft, wie mir ein Blick in alte, nur schwer lesbare Schriften zeigte. Du zeigst diese Problematik in deinen Textbeispielen in Gotisch und Alemannisch schön auf. Wahrscheinlich wäre Gottfried Keller das alemannische Idiom zum Hindernis geworden, um seine Bücher auch verkaufen zu können, denn wie viele Leser wagen sich schon an Texte im Dialekt verfasst heran.

Zitat:
Tschan Carlo

Das klingt wie der Einbruch des Chinesischen (Mandarin?) ins Zürcher Idiom.

Muss der Vorname Lautmalerisch daherkommen oder sollte er nicht – wie der zweite Name – in korrekter (italischer) Schreibweise erfolgen? Wäre dem so, so sollte der zwote Name mit Ch geschrieben werden, was spätestens mit der Kommilitonin/ Chommilitonin bestätigt wird.


Ich rechnete fest damit, dass wenn ein Philologe dies entdeckt, er mich an den Ohren ziehen wird, bis diese warnend rot aufleuchten. Es gibt schon eine Regel, dass geschriebene Namen nicht in Lautsprache übersetzt werden sollten. Doch meine Verteidigungsrhetorik hatte ich mir gleichzeitig zurechtgelegt: Im entsprechenden Teil rückte ich deshalb von der Regel ab, da es mündliche Sprache ist, die ich zitierte. Beim ausgesprochenen Namen Gian Carlo wird das G zum tsch, das C hingegen bleibt ein C betont aber wie Gh (Gharlo). Das K bei Kommilitonin wiederum zu Ch, im Klang aber eher kehlig herb, nahe am Kh. Um die Verwirrung aber noch zu fördern, ist diese Lautsprache auf die Buchstaben bezogen nicht absolut. So gibt es Wörter, bei denen das G ein G bleibt, wie etwa bei Geburt, oder das K ein K, wie bei Kakao oder Kakophonie. Ich hatte mir selbst die Haare gerauft, bis ich mich sicher wähnte, es richtig getroffen zu haben. Es werden übrigens auch Züritüütsch-Kurse angeboten, die jedoch eine veraltete Sprachform feilhalten. So gehören zu deren Sprachschatz etwa Worte wie Guggumere (aus dem lateinischen cucumer) für Gurke, heute gesprochen Gurkä, oder Chuchichäschtli für Küchenkästchen, was bei modernen Küchen heute ja kaum noch Anwendung findet.

Ich finde es schön, dass du dich mit diesen Fragen auseinandersetztest. Es gibt entfernt ja vielleicht auch eine Ahnung, wie die Mundartsprache zu Kellers Zeiten klang, wenn natürlich inzwischen sich auch so manche Ausdrücke und Laute wandelten. Das Berner Oberländische, in das dich Keller & Meyer entführten, wo Mädchen statt Meitli noch Meitschi heissen, oder ein Zwiebelmarkt (Tradition in der Stadt Bern) Zibellimärit lautet, wobei dies noch simple Worte sind, kann ich deinen Schreck nachfühlen. Dass ich dir mit diesem Text keinen solchen zufügte, freut mich sehr.

Danke dir für das Lesen und das Kommentieren, das ich mit grossem Vergnügen zur Kenntnis nahm.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Ich rechnete fest damit, dass wenn ein Philologe dies entdeckt, ...
und nu isset'n lumpiger Ruhr(s)pöttler. Da wären wir nun auf das London-Abenteuer mit der Berner Jungfer gespannt,

lieber Anakreon,

einerseits, weil Du’s sicherlich beherrscht und andererseits, weil

… öppis wonn er durchuus behärrscht, …
oder auch
Hèèi hät si nöd welle …
wie Musik klingt!, selbst wenn sie von einem Kosakenchor gesungen würd.

Freilich: Die (sinngemäße) Übersetzung

… in eindeutiger Weise herummachte … / … eidütiger Wiis gschmuuset hät …
lässt der Fantasie größeren Spielraum, als etwa eine wörtliches „Geschmuse“. & noch'n Satzzeichen:
Was säll das zickigi Getue.
Statt des abschl. Punktes besser Ausrufezeichen (um die Heftigkeit darzustellen). Vllt. sogar in Kombination mit einem Fragezeichen, denn an sich ist es ja ein Fragesatz …

Und eine vorerst letzte Anmerkung bzgl. der allgemeinen Dressur zur politischen Korrektheit, die zu sprachlichen Kurriositäten führt (ich warte auf den Tag, da Mensch und Menschin sich verschwestern):

Amazonin
Wie sähe der männl. Amazon aus?

Gruß

Friedel

PS:
Ich hoff ja, dass die Eigentümerversammlung des Weltbildverlages nicht wegen dieser kleinen Episode die Besitzrechte abgeben will - da würd so manches Weltbild erschüttert, dass den ganzen Internet Sermon noch gar nicht mitbekommen hat.

 

Lieber Friedel

Es hätte mich überrascht, wenn deine Neigung zu Sprachschätzen hier nicht in einer akribischen Textabgleichung mündete.

Die (sinngemäße) Übersetzung … in eindeutiger Weise herummachte … / … eidütiger Wiis gschmuuset hät … lässt der Fantasie größeren Spielraum, als etwa eine wörtliches „Geschmuse“

Ja hier habe ich den Ausdruck etwas stark gebeugt, mit der Absicht, es der Fantasie der Übersetzung-Leser anheimzustellen, was im öffentlichen Raum die Grenzen zwischen schicklich und allfällig möglich auslotet.

Statt des abschl. Punktes besser Ausrufezeichen (um die Heftigkeit darzustellen). Vllt. sogar in Kombination mit einem Fragezeichen

Doch ja, da Protestrufe durch Feministinnen bis anhin ausblieben, verträgt es diese Hervorhebung.

Und eine vorerst letzte Anmerkung bzgl. der allgemeinen Dressur zur politischen Korrektheit, die zu sprachlichen Kurriositäten führt (ich warte auf den Tag, da Mensch und Menschin sich verschwestern):

War dies im Prinzip nicht bei den Amazonen gegeben? Der maskuline Geduldsfaden, durch dieses matriarchalische Volk der antiken Mythologie, auf seine Strapazierfähigkeit getestet? Vielleicht entsprangen daraus die Figuren, die keine weibliche Entsprechung fanden. Etwa Herkules (Herakles), dem keine Herkuline kraftprotzend zur Seite stand, wenngleich Athene ihre Hand schützend über ihn hielt.

Ich hoff ja, dass die Eigentümerversammlung des Weltbildverlages nicht wegen dieser kleinen Episode die Besitzrechte abgeben will -

Ich glaube kaum. Seit Casanova hat nicht mehr jeder klerikal Abfällige Zugang zu den gewichtigsten Bibliotheksschätzen. Anderseits ist es aber historisch belegt, dass man etwas auch nur bekämpfen kann, wenn es real existiert. Die kontrollierte Produktion von sündigen Büchern und DVD hat also durchaus ihren (ökonomischen) Wert. Auch wenn Benedictus sich nun mit missionarischem Eifer auf den schwarzen Kontinent konzentriert, so pflegen seine Vertreter ihre Schäfchen eben hier mit weltlichen Bildchen.

Danke fürs Lesen, kommentieren und das deftige Satzzeichen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

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