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Tödliches Katzenfutter

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08.01.2002
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Tödliches Katzenfutter

„Ihr müsst schneller sein bei der Kontrolle. Draußen hat sich schon eine Schlange bis auf den Berner Heerweg gebildet. Und die Katzen schmoren in der Sonne.“
Die Vorsitzende des Hamburger Edelkatzenvereins war an unseren weißen Untersuchungstisch getreten.
„Dieses Jahr haben wir eine ungewöhnliche Mischung an Züchtern. Jede Menge Russen mit ihren Neva Masquarade haben sich angemeldet, viel mehr Aussteller als in den Vorjahren.“ Sie blickte besorgt zum Eingang.
„Ich hatte bereits das Vergnügen, proppere Katzen vollbusiger goldbehängter Russinnen zu untersuchen“, sagte ich, „wir werden noch einen Zahn zulegen, aber Gründlichkeit braucht ihre Zeit.“
Die Vorsitzende nickte und wendete sich der kleinen Bühne zu, auf der bereits zwei Punktrichter ihre Plätze eingenommen hatten.
„Morgens ist es hier immer lausig kalt oder ist das nur Einbildung, weil wir in einer Eissporthalle sind?“, sagte Uta, die mir als Helferin zugeteilt war. Ihre Aufgabe war es, die sich manchmal mit allen Krallen wehrenden Katzen an der Flucht zu hindern, während ich die Tiere untersuchte.
Der Strom der russischen Ausstellerinnen nahm gar nicht ab. Soeben hatte eine ihre Neva Masquarade aus der Transportbox gezogen. Die Fellschönheit blickte mich nun aus hellblauen Augen neugierig an. Manchmal wurden uns kranke und verflohte Tiere auf den Tisch gesetzt oder es fehlte die vorgeschriebene Impfung. Immer begleitet von ätzenden Debatten: „Hör‘n Sie mal, ich komme extra aus Frankfurt hierher, um die Kitten auszustellen und jetzt soll ich wegen der fehlenden Tollwutimpfung nicht reingelassen werden? Das ist nicht Ihr Ernst? Das akzeptiere ich nicht.“ Und so weiter und so weiter.
„Guckste mal eben bitte?“, bat Uta und hielt mir den russischen Impfpass vor die Nase. „Schon wieder so ein Aufkleber, den ich nicht verstehe. Ist die Katze nun gegen Leukose geimpft oder nicht?“
„Ist sie“, sagte ich, nachdem ich den Pass geprüft hatte.
Ich tastete den Bauch der erstaunlich gelassenen Neva Masquarade ab, suchte in ihren Ohren nach Milben und prüfte, ob das Zahnfleisch eine gesunde helle Farbe hatte.
„Alles o.k.“, sagte ich zu der Russin, die mir das Gefühl gab, als wären die 60er Jahre wiedergekehrt. Lag es an dem hochtoupierten Haargebilde, in dem bestimmt mehr als eine Flasche Haarspray klebte, oder war es ihr altmodisch riechendes Parfüm?
„Sie können jetzt zu Ihrem Platz gehen.“
Sie nickte, aber dann zog sie ihre Anmeldeunterlagen heraus und fragte: “Wo Platz?“
„Ihr Platz ist ganz hinten auf der rechten Hallenseite.“ Ich deutete in die Richtung.

Sie schüttelte den Kopf. „Geht nicht, hier besser.“ Sie zeigte auf einen Bereich ganz vorne, in dem bereits einige Russinnen die Käfige für ihre Katzen herrichteten.
„Nein, Sie müssen den Platz einnehmen, den man für Sie vorgesehen hat.“
„Hier viel Russen mit Neva“, beharrte sie, „ich Katze nicht allein lassen kann.“
„Tja“, sagte ich, „falls Sie kurz mal weg müssen, könnte Uta sich zu Ihrer Katze setzen und um sie kümmern.“
Die Russin zog die Schultern hoch und ließ sie resigniert wieder fallen. Dann sagte sie an Uta gewandt.
„In halbe Stunde kommen, bitte.“ Uta nickte und blickte auf ihre Uhr.
Um neun Uhr wurde die Katzenausstellung auch für Besucher geöffnet und der Lärmpegel in der Halle stieg an. Die ersten Katzen wurden von weißbekittelten Helfern bei den Züchtern abgeholt und zu den Punktrichtern gebracht.
„Ich geh dann mal, wie versprochen, auf die Katze aufpassen“, verabschiedete sich Uta.
Ich hatte jetzt nur noch die Aufgabe, als Tierarzt für Notfälle und Unvorhergesehenes da zu sein.

„Na Uta? Katzenbetreuung beendet?“
„Ja, aber diese Russin, die ist völlig aufgelöst. Ich weiß überhaupt nicht, was ich falsch gemacht habe. Das Trockenfutter, das ich der Neva gegeben habe, das Viech war ja total hungrig, hatte ich in der großen Tasche der Russin gefunden. Die Neva war so ausgehungert, die hat das Futter ohne zu kauen verschlungen. Als die Russin zurückkam, hat sie sich wie eine Furie auf mich gestürzt und mir die Brocken aus der Hand gerissen und zusammen mit dem letzten Futterbeutelchen in ihre Handtasche getan. Und rumgeschrien hat sie.“
„Du hättest das Futter nicht einfach aus der Tasche der Russin nehmen dürfen. Sicherlich war sie deswegen so sauer.“
„Na hör mal. Da hab ich mich ja wohl kaum an ihrem Mittagessen vergriffen. Da kommt sie übrigens.“

„Schnell kommen! Katze muss", die Russin steckte zwei Finger in ihren Mund, als müsste sie kotzen.
„Sie meinen, Ihre Katze ist krank und muss spucken? Hat sie was Falsches gefressen?“ „Ja! Njet!“ Sie schüttelte ihren Kopf. Aus ihren Augen liefen dicke Tränen, die eine feine Linie aufgelöster Wimperntusche mit sich zogen.
„Sie müssen machen, dass Neva wieder ausspuckt, schnell, schnell“, sagte sie kurzatmig. Ihre Augen suchten die Halle ab.
„Was hat sie denn verschluckt?“
Die Russin packte meinen Arm und es lag so viel Verzweiflung in der Art wie sie „schnell“ sagte, dass ich auf der Stelle mit ihr loseilte.
Mit untergeschlagenen Pfoten lag die Katze entspannt in ihrem Vogelkäfiggefängnis.
Ihre Aquamarinaugen schauten lasziv durch die am Käfig vorbeiziehenden Besucher hindurch.
Eine kranke Katze sah anders aus. Trotzdem schob ich die Käfigtür auf und begann ihren Bauch abzutasten.
Die Blicke der Russin schwenkten fahrig zwischen ihrer Neva und dem Geschehen in der Halle hin und her. Sie war in eine Art selbstbeschwörenden Singsang verfallen und ich roch ihre Panik. Plötzlich verstummte ihr Wimmern, sie schien etwas erblickt zu haben, riss ihre Handtasche hoch und hetzte, ohne sich weiter um mich zu kümmern, davon.
Ich ertastete bei der Neva einen festen Bauch, sie hatte also ganz gut Futter reingeschaufelt. Aber das war nicht bedenklich. Merkwürdig war nur eine kleine, blutende Stelle am Zahnfleisch. Die Wunde war frisch. Woran konnte sie sich bloß verletzt haben?
Ich suchte ihre kleine Behausung ab, fand aber nur einen Trockenfutterbrocken, der sich unter ihr Paradekissen geschoben hatte. Ich steckte ihn ein.
Ich streichelte der Neva über den Kopf. Ihr duldsamer Charakter hatte mich schon bei der Eingangsuntersuchung erstaunt. Gelassene Ausstellungskatzen sind selten. Für die meisten war das hier purer Stress.
Ich wartete auf die Rückkehr der Russin.
Unterdessen war die Ausstellung in vollem Gange, der Lärmpegel war gestiegen.
Die ersten ermittelten Rassesieger wurden auf der Bühne vorgestellt und mit Pokalen geehrt.
Plötzlich stürmte Uta auf mich zu und fiel mir kreidebleich in die Arme.
„Die Russin“, dann stockte sie, schüttelte benommen den Kopf, ihre Lippen bebten und im Lärm der Halle formten sie das Wort „tot“.
„Was? Die Russin?“ Das konnte ich mir nicht vorstellen. Uta nickte verzweifelt.
„Was ist denn passiert?“, fragte ich.
„Ich bin auf die Toilette und schau grad, in welche Kabine ich gehen kann, da seh ich das ganze Blut. Und die Russin, die hängt so halb zusammengeknickt auf dem Klo und... “, Uta schluchzte, „es lief das ganze Blut aus ihrem Hals.“
„Umgebracht? Das fasse ich nicht.“
„Eine von den Züchterinnen hat gesagt, sie ist auf der Toilette mit ihr zusammengestoßen. Sie wollte grad raus, die Russin rein. Vielleicht war sie auf der Flucht? Jemand hat merkwürdige Typen gesehen, die ....“


„Meine Damen und Herren, wir bitten um Ihre Aufmerksamkeit“, wir beide blickten überrascht zur Bühne. „Es ist eine Straftat verübt worden. Herr Kommissar Brink wird Sie alle dazu befragen. Bitte verlassen Sie die Halle bis dahin nicht.“

Kommissar Brink hatte auf der Bühne seinen Platz eingerichtet und schaute jedem, der zur Befragung an seinen Tisch geführt wurde, prüfend in die Augen. Die Personalien hatte bereits ein anderer Polizist erfragt. „Sie sind also der zuständige Tierarzt für diese Veranstaltung.“ Ich nickte.
„Wann haben Sie die Ermordete zum letzten Mal gesehen?“
„Ich wurde von ihr gebeten, nach ihrer Katze zu sehen, die hatte wohl etwas gefressen, was sie nicht sollte. Der Katze ging es aber gut, soweit man das überhaupt von Katzen in Käfigen auf solchen Ausstellungen sagen kann.“
Der Kommissar nickte und lächelte. „Wie wichtig ist so eine Ausstellung für die Züchter? Lohnt es wirklich den weiten Weg aus Russland hierher?“
„Ich würde sagen: ja. Es gibt Preise und Auszeichnungen, wie z.B. den Grand Champion, der ist weltweit anerkannt. Wenn eine Katze so einen Titel trägt, dann ist sie in Züchterkreisen begehrt und der Nachwuchs bringt viel Geld.“
„Unterstellen wir mal, die Frau war hier, um diesen Titel für ihr Tier zu erringen. Hatte sie denn Chancen?“
„Das kann letztendlich nur die Jury entscheiden, aber es waren außergewöhnlich viele Tiere dieser Rasse dabei, so an die 80 russischen Züchter. Die Konkurrenz war heute groß.“
„Sie wollen damit sagen“, der Kommissar wirkte überrascht, „dass sie überhaupt nicht sicher sein konnte, diesen Titel mit nach Hause nehmen zu können?“
„Stimmt. Wenn nur drei, vier Tiere einer Rasse angemeldet sind, dann ist die Chance deutlich größer.“
„Ist Ihnen im Verhalten der Russin etwas aufgefallen?“
„Dass sie nervös wirkte, sehr nervös sogar. Bevor sie wortlos davon hetzte, hatte ich den Eindruck, dass sie etwas gesehen hatte.“
„Oder jemanden gesehen?“
„Könnte auch sein.“
„Wie lange blieben Sie bei der Katze?“
„Bis Uta, meine Helferin, mir von dem Mord berichtete.“
„Sind Ihnen drei Männer aus Osteuropa aufgefallen?“
„Nein, ich habe mich nicht um die Besucher gekümmert. Vermuten Sie denn einen Zusammenhang?“
„Ja. Eine Zeugin hat beobachtet, dass es zwischen dem Opfer und drei Männern, vermutlich Russen und breit wie Geldschränke, so die Zeugin, zu einem lauten Streit im Vorraum, auf dem Weg zu den Toiletten gekommen war.“
„Nein, Russen sind mir nicht aufgefallen. Aber merkwürdig finde ich, dass alle Neva Masquarade von Züchterinnen vorgestellt wurden. Kein einziger Mann dabei. Auch nicht zum Helfen, wie es sonst üblich ist.“
„Was schließen Sie daraus?“
„Nichts. Es fiel mir nur auf.“
Der Blick des Kommissars schweifte über die in der Halle Wartenden.
„Sie können jetzt gehen“, sagte er, „sollte ich noch Fragen haben, werde ich mich bei Ihnen melden.“
Ich packte meinen Arztkoffer und wandte mich dem Ausgang zu, als mich die Vereinsvorsitzende rief.
„Die Katze, was machen wir mit ihr? Ich habe schon bei den Russinnen angefragt, ob eine sie mitnimmt, aber da besteht völliges Desinteresse.“
„O.k., dann nehm ich sie erstmal mit nach Hause“, sagte ich, „ist das mit dem Kommissar so abgesprochen, dass die Katze mitdarf?“
„Ja, nur der Transportbehälter muss dableiben, der soll untersucht werden.“

Nachdem ich einen eigenen Behälter aus meinem Wagen geholt hatte, begrüßte mich die Neva bereits so, als seien wir alte Freunde. Sie stand sofort von ihrem Plüschkissen auf, drängte aus dem Käfig in den noch kleineren und schnurrte. Ich holte den Trockenfutterbrocken aus meiner Hosentasche, um sie damit zu belohnen. Aber dazu kam ich nicht, weil er zerbröselte. Als ich sah, was ich in meiner Hand hielt, wurde mir heiß. Ich musste hier schleunigst mit der Neva weg.

Und nun warte ich seit ein paar Stunden gespannt auf die Diamanten, die sie mir ins Katzenklo setzen wird.

 
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Hallo Friedrichard, hallo baronsamedi,

euch beiden zunächst herzlichen Dank für die Kritiken zu dieser kleinen Geschichte.

Ich habe mich gefreut, dass ihr sie gelesen habt. Und wie immer bringt einen jede Kritik weiter in der eigenen Fortentwicklung.

Friedrichard

Ich weiß genau, weshalb Bingo zu tun hat, aber dass mit dem Luja-singen hat er nur vorgeschoben, weil er dich nicht irritieren will.
Seit nämlich der Herr Kater Max, der eine ganze Weile bei uns gewohnt hat, auch eine Etage höher gelangt ist, ist dort oben schwer was los in Sachen Bildung. Kater Max hat gleich nach seinem Eintreffen die Universität für Hipfenkunde (die Abkürzung für Hinterpfotler) gegründet und hält dort jede Menge Vorlesungen über Hipfenhaltung, Sagen und Gebräuche der Hipfe, Hipfendialekte und so weiter.
Während nur ein Teil der Hipfe an die Reinkarnation glaubt, handelt es sich bei den Tieren um Wissen.
Und falls Bingo als ein Papagei wieder runter kommt, man kann ja nie wissen, was so alles passiert, wirst du dich sicherlich freuen, wenn er dich im Ruhrpottdialekt unterhält. :D

Danke für die Fehlersuche, ich hab mich gleich rangemacht und korrigiert.

baronsamedi,

den Anfang habe ich geglättet. Ich hatte ja eine Weile Abstand zur Geschichte und mir fiel diese Dissonanz auch auf.
Tja und die Darstellung der Russen ist wirklich etwas plakativ.
Mir sind solche Russinnen tatsächlich auf den Katzenausstellungen und in Karlsbad begegnet.
Aber natürlich sind die nur ein kleiner Ausschnitt der russischen Gesellschaft, so wie ja auch nicht alle deutschen Männer weiße Socken in Sandalen tragen. :D
Weil die Geschichte insgesamt ja recht kurz ist, möchte ich einer seichteren Darstellung des Stereotyps nicht folgen.
Mit der Gefahr, dass mich vielleicht der eine oder andere für eine Feindbildpflegerin hält, vermag ich zu leben. Weiß ich doch, wie sehr ich mich zum Osten hingezogen fühle.
Dein Vorschlag, noch einen galanten Einschub unterzubringen, ist nicht schlecht. Ich weiß bloß nicht, an welcher Stelle ich die sog. falsche Fährte setzen sollte. Mir kommt die Handlung derartig gerafft und komprimiert vor, dass mir wäre, als bremste ich mit so einem Einschub den Lauf der Geschichte. Aber ich werde darüber nachdenken.

Ich finde, dass jedweder Vorschlag, Teile der Geschichte zu verändern, beim Autor dazu führt, sich noch ein kleines Stückchen intensiver mit dem Text zu beschäftigen. Das hast du jedenfalls erreicht. Lieben Dank.


Euch beiden liebe Grüße

lakita

 

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