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Brass und die Schlacht auf den purpurnen Feldern

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10.10.2006
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Brass und die Schlacht auf den purpurnen Feldern

Es tut not zu wissen, dass Brass ein einfacher Mann war. Nie aus seinem Weiler herausgekommen. Kannte den Fürsten nur vom Hörensagen, wenn weit gereiste Männer Einkehr hielten in der Schänke und erzählten von fernen Orten. Dort, Brass drückte sich dermeist am Feuer herum und würfelte, hörte er zum ersten Mal vom Fürsten. Der Fürst, so kam es ihm zu Ohren, sei ein stattlicher Mann, stark wie zwei Ochsen und größer als ein großer Mann mit einem mittelgroßen auf den Schultern. Und gewitzt sei er, gescheit wie ein Storch und ein Mann, dem man dienen müsse, Mann und Weib gleichermaßen.
„Wohl doch nicht gleichermaßen!“, brüllte Pitt dann, der mit am Feuer hockte und würfelte.
„Doch! Gleichermaßen!“, sagte der weit gereiste Mann in das Gelächter der Männer des Weilers hinein.
„Dann!“, schrie Pitt noch einmal auf. „Ist der Fürst wohl ein Mann, den man lieber neben als hinter sich weiß!“
Es wurde gelacht, getrunken und von Weibern ward gesungen. Dem weit gereisten Mann wurde auf die Schulter geschlagen und man bedrängte, befragte, betatschte und umringte ihn; Pitt und Brass jedoch würfelten am Feuer weiter und es kümmerte sie nur ihr Spiel und dass sie es warm hatten und dass es laut zuging und dass alles seine Richtigkeit hatte, das kümmerte sie auch.
Ein paar Monde später, als der weit gereiste Mann mit anderen Männern zurückkam, und Waffen und Pferde dabei hatte und Brass davon in Kenntnis setzte, er müsse für seinen Fürsten kämpfen, zog man Pitt aus seiner Hütte, hängte ihn mit dem Kopf nach unten an einem Querbalken auf und trieb ihm einen Speer von hinten durch den Leib, dass das Blut, was aus seinem Mund kam, von einem solchen Rot war, dass Brass meinte, so müsse Blut aussehen, wenn es nachts vergossen werde. Ein unsinniger Gedanke, denn Pitt starb am hellen Tag. Aber Brass hatte viele unsinnige Gedanken.

Das erste Mal sah Brass den Fürsten, als er für ihn auf den purpurnen Feldern kämpfte. Damals waren die Felder braun und kahl. Purpur nannte man sie erst nach jenem Tag.
Der Fürst, aber das wusste Brass damals noch nicht, war ein junger Mann, dem die Rüstung seines Vaters noch zu weit war, des Vaters Schwert zu schwer, das Land des Vaters zu klein, zu kahl, nicht rot genug. Und vielleicht haben die alten Leute Recht, die sagen, dass das Schicksal mit rot geschrieben werde. Vielleicht haben andere Recht, die sagen, dass Geschichte von vielen kleinen Männern geschrieben wird und nicht von wenigen großen.
Brass jedenfalls stand in Reih und Glied. Die Rüstung war ihm zu eng, unter dem schweren Helm konnte er wenig hören und noch weniger sehen und die Halbrüstung des Nebenmanns rieb an seiner Schulter. Der Fürst ritt an der Schlachtreihe vorbei auf einem schwarzen, schönen Pferd. Jemand blies in ein Horn, jemand schlug eine Trommel und Brass marschierte.

Das Marschieren nach Trommeln wird für jeden Mann das einzige, was zählt. Es ersetzt das Denken, Brass dachte nicht mehr an das Feuer in der Schänke, daran wie ihm die Arme weh taten, wenn er den Tag auf dem Feld verbracht hatte, dachte nicht mehr daran, wie sich Gras anfühlte nach einem Sommerregen, dachte nicht an den Geruch von Heu oder an das, woran du denkst, wenn du die Nase eines Pferdes anfasst, dachte nicht daran, wie schön es ist, wenn du dich einfach in eine warmen Ecke kauern kannst und einschläfst oder wie es ist, wenn du dir mit Schnee die Brust, den Rücken und den Schwanz abreibst, dachte nicht an Wein, nicht an Weib und nicht an die Würfelei. Brass dachte an Trommeln. Menschen verschmelzen, wenn sie zu Trommeln marschieren. Der Mann neben ihm war ein Fischer, schon vermählt, schon Vater, aber nur eine Tochter. Was sollte nur werden? Wo die Aussteuer hernehmen? Der Mann neben jenem war nur ein einziger Sohn, noch nichts gelernt, auf dem Feld mitgeholfen, die Mutter wollte ihn zur Lehre geben, der Vater sagte, es werde sich schon finden, der Hof sei groß genug für drei. Der Platz daneben war leer, vielleicht wär Pitt da mit gelaufen.
Man hörte das Surren von Pfeilen in der Luft, ob's die eigenen waren, konnte Brass nicht sagen, er umklammerte den Speer fester, sah nur den Nacken des Mannes vor sich und hörte das Schlagen der Trommel in seinen Gebeinen. Dann trafen die Schlachtreihen aufeinander.

Manchen kann man von Blut nicht genug erzählen. Es wurde viel gestorben und viel gemordet an jenem Tag. Die Männer waren noch nicht sehr geschickt im Schlachten, aber mit einigem Eifer dabei. Lange war Brass eingekeilt in den Menschenmassen um ihn herum, hatte keinen Feind vor sich, keinen neben sich, nur Freunde, konnte allein hoffen, dass der vor ihm nicht allzu bald fiel, dass er seine Kraft noch etwas schonen konnte, bis es an ihm war, den Speer zu nehmen. Die Reihen lichteten sich, von hinten wurde geschoben, Brassens Herz klopfte und klopfte, hatte die Trommel bald ihrer Notwendigkeit enthoben, und da: Der Mann vor ihm fiel oder floh oder verschwand oder war einfach nicht mehr da, sein erster Feind. Ein Barbar. Nie würde Brass diesen Anblick vergessen, als er in die Hocke ging, den Speer mit der rechten Hand fest hielt und ihn dem Feind von unten in den Leib trieb. Fell hatte der um seine Schulter gewickelt, Fell, wie man es anfassen und berühren konnte, wie um etwas daraus zu machen, das einen warm hielt. Schnell zog er den Speer heraus, hinter ihm schrie jemand: „Reiter“, und Brass blickte auf und tötete einen anderen und dann noch einen, es bereitete ihm nicht viel Mühe, der Speer von unten schien die wilden Fremden zu überraschen, die nach seinem Haupt oder seiner Brust schlugen, und er sank auf die Knie, ganz demütig, und tötete. Weil Brass keinen Schild hatte, war er schnell, und weil der Speer zu lang war, brach er ihn ab. Bald lösten sich die Reihen auf und Brass erkannte linkerhand den weit gereisten Mann, der eine schönere Rüstung hatte als Brass, dem die rechte Seite aber hinab hing wie Fleisch in der Räucherkammer. Ein bärtiger Riese mit einer zweiblättrigen Axt sprang auf den weit gereisten Mann zu, Brass wandte seinen Blick nach rechts, wo er das Banner des Fürsten flattern sah.

Das erste, was ein Fürst im Feld lernen musste, so stand es später in den Büchern und so hallte es fortan jedem Adepten der Kriegskunst in den Ohren, war es, sich mit den besten Männern zu umgeben, die man nur finden konnte, damit man sicher war und stark und befähigt, dahin zu gehen, wo man hingehen musste. Das wusste der Fürst damals noch nicht. Er hatte die Leibgarde seines Vaters um sich geschart, satte, alte Männer, deren Zeit lang hinter ihnen lag. Manche hatten ein halbes Leben nicht mehr auf einem Pferd gesessen, und wo ihr Kampfesmut ungebrochen war, ihre Kampfeskraft lag in Trümmern. Viele hatten vom alten Fürsten einen Hof bekommen, sich Weiber gesucht, Söhne gezeugt, Branntwein gesoffen, zu Paraden waren sie noch mal an den Hof gereist und hatten zusammen getafelt und ihre Schwüre erneuert und ihre Kameradschaft besungen, aber jetzt – in der Schlacht auf den purpurnen Feldern wurden sie vom Antlitz der Erde gepickt wie Fische aus einem Teich, wenn die Reiher zurückkommen.

In einer Schlacht ist das Banner des Fürsten wie ein Leuchtfeuer in der Dunkelheit. Und das Banner wankte und drohte zu fallen. Der Fürst auf dem Rappen mitsamt seiner schwindenden Schar Getreuer wurde von den Barbaren bedrängt, schon griffen die Hände nach einem weiteren der Panzerreiter, bekamen ihn am Schienbein zu fassen, der Ritter schlug mit dem Schwert auf das Fußvolk unter sich, da erwischte ihn ein geschleuderter Speer in der Brust und warf ihn vom Pferd. Dem Rittersmann neben ihm hauten sie das Pferd tot und schon bald war der König allein, und hatte nicht links und nicht rechts mehr einen Getreuen und keinen Freund mehr auf der Welt, schon hatten die Hände ihn gepackt und aus dem Sattel gezerrt, und die wunderschöne, schwarze Rüstung lag im Matsch der kahlen Felder. Ein Mann hatte den Fuß auf seine Brust gestellt und er führte einen Hammer mit sich, einen gemacht wie um Steine zu klopfen. Und den Hammer schwang er, hoch über seinem Kopf.
Was dachte der Fürst wohl in dem Augenblick? Dachte er, dass das Land seines Vaters doch, bei näherer Betrachtung, von ausreichender Größe sei? Dachte er daran, dass ihm niemand gesagt hatte, wie schnell Träume enden konnten und wonach sie dabei stanken? Dachte er daran, dass Geschichtsbücher weitergeschrieben wurden, ob mit oder ohne ihn? Die Antwort auf jene Fragen werden wir in keinem Buch finden, nicht am Fuße eines Monuments und nicht an eine Häuserwand gekrakelt, wir werden sie nicht in Liedern hören, nicht im Getuschel am Feuer und nicht einmal der Wind vermag es, sie uns zu flüstern. Es gibt Momente, die kann ein Fürst aus dem Gedächtnis der Welt tilgen, wenn er genug Zeit hat, und wenn er jemanden hat, wie Brass, der mit der Schulter voran den Barbar mit dem Hammer zu Fall brachte, der ihm von hinten mit bloßer Faust den Schädel einschlug, der seinen Speer nahm und ihm dem nächsten in den Leib trieb und der sich vor den Fürsten stellte in den Matsch auf den purpurnen Feldern und der seinen Fürsten bewachte wie eine Wölfin ihr Junges. Und Brass hielt, so erzählte man es sich zumindest später, mit der Rechten den Speer und mit der Linken das Banner des Fürsten und streckte es so lange in die Höhe, bis es – so sang später einmal ein Troubadour – das Banner eines Königs wurde.
Es blieb das Banner eines Fürsten und blieb es noch, als sich eine Truppe zu ihnen durchgeschlagen hatte. Das Banner eines Königs wurde es erst Jahre später, als eine größere Streitmacht eine kleinere Gegnerschar an einem Ort niedermetzelte, der keinen anderen Namen danach trug. Aber nachts flüsterten die jungen Männer von dem Moment auf den purpurnen Feldern und sahen zum Mann an der rechten Seite des Königs empor und sie träumten.


Ein Fürst kann gewiss Momente aus dem Gedächtnis der Welt tilgen, wenn alle, die daran beteiligt waren, entweder erschlagen wurden oder so treue Seelen sind wie Brass.
Aber mehr noch kann ein König einen Augenblick in das Gedächtnis der Welt brennen.
Zu Beginn war es nur ein Troubadour, der des nachts im Lager die Geschichte von den purpurnen Feldern sang. Später, als man Städte mit Kultur erobert hatte, ließ man es von einigen Schaustellern aufführen. Dort der edle König, hier der wilde Kriegshetzer, der ihm an Leib und Leben will, schon nahte der unbedarfte Dorfjunge, der sich vor seinen König wirft, den tödlichen Streich abzuwehren. Eine Drei-Personen-Sache, so lang wie es dauert, zwei volle Krüge zu leeren.
Doch mit dem Reich des Königs wuchs auch die Darbietung, und bald, als endlich Frieden herrschte oder, wie man flüstern könnte, als die Kunde von Krieg nicht mehr bis an den Hof drang, hieß man es Festspiele, verbot den Menschen an jenem Tag zu arbeiten, ließ Brot an die Armen und Versehrten verteilen und schließlich feierte man sie zum dreißigsten Mal und beschloss, es sollten besondere werden.
Und der Fürst von einst war schon lang nicht mehr jung und seit zwanzig Sommern war er der Rüstung des Vaters entwachsen und zwei Söhne hatte er. Und man könnte sagen, es waren prächtige Burschen.

Brass aber schlief gern bis zum frühen Mittag, dann ließ er sich kalten Braten kommen und setzte sich in den Hof, auf seinen Lieblingsplatz. Manchmal ging er in jene dunkle Ecke des Stalls, in der die alten Kriegsrösser des Königs ihr Gnadenbrot bekamen und er fasste ihnen an die Nasen und schnüffelte nach dem Geruch des Heus. Überall schnüffelte Brass herum. Die Mägde in der Küche wagten es nicht, ihn zu verscheuchen, auch die Knechte im Stall nicht, nicht die Pagen der Königin und nicht die Waffenknechte des Königs. Überall war geschäftiges Treiben, jeder schien mit etwas beschäftigt zu sein, auf dem Weg irgendwohin oder von irgendwoher. Nur Brass nicht.
Brass schlich durch die Gänge, suchte nach einem Platz am Feuer, nach Branntwein und nach jemandem zum Würfeln. Manchmal sah er den König noch, aus weiter Ferne. Und sobald er wen traf, der ihn erkannte, klopfte der ihm auf die Schultern und fragte, ob sich die Schlacht auf den purpurnen Feldern so zugetragen hatte, wie man es sich erzählte. Aber Brass redete lieber über Pferdenasen und über das Würfelspiel.
Manchmal konnte Brass nachts nicht schlafen, dann trank er.

Als die dreißigsten Festspiele zum Jahrestag der Schlacht auf den purpurnen Feldern anstanden, schickte man nach ihm, kleidete ihn an, setzte ihn auf ein Pferd und ließ ihn mit den anderen ausreiten. Es war ein Spektakel, der Tross brauchte acht Tage, das Feld zu erreichen. Zeltstangen wurden aufgestellt und eine Tribüne aus Holz, Akrobaten tanzten und schlugen Räder, Trosshuren und Marketenderinnen waren zu sehen, zu hören und zu riechen und der König thronte auf einem Podest auf einer Empore.
Natürlich war Brass viel zu alt, um Brass zu spielen, das übernahm ein einfacher Junge aus dem alten Weiler, der sich zu einem Marktflecken gemausert hatte. Und natürlich war auch der König viel zu alt, um den Fürsten zu spielen. Die Rolle fiel an seinen Erstgeborenen, einen strammen, blonden Mann. Und da der Mann, der beim ersten Mal den Feind gegeben hatte, schon vor dreißig Jahren gestorben war, fiel die Rolle nun an den Zweitgeborenen des Königs, der sich mit seinen feinen Händen schwer daran tat, den Hammer zu heben.

„Diese Rüstung“, sagte der Erstgeborene, während sie auf den Pferden saßen und mit offenen Visieren auf ihren Einsatz warteten, „dieses klobige Ding, es ist kein Wunder, dass mein Vater damals fast verreckt ist. Und dieses Schwert? Es ist stumpf und schlampig tariert, wie soll man damit zuschlagen können?“ Der Erstgeborene hieb mit dem Schwert durch die Luft. „Wir werden leichtere Rüstungen brauchen und schärfere Schwerter.“
„Euer Gnaden“, sagte Brass und der junge Mann drehte seinen Kopf zu Brass und nickte ihm zu.
„Wartet hier“, sagte er, „Ihr seht nicht gut aus, wir wollen doch meine Feier nicht durch einen alten, toten Helden verderben.“
„Schaff das schon, Euer Gnaden.“
„Ist schon Recht. Es ist ja auch Euer Tag“, wieder lächelte der Erstgeborene. „Passt auf, dass sie Euch nicht die Knochen brechen, wenn sie Euch aus dem Sattel heben. Der Waffenmeister hat gesagt, da geht es manchmal etwas rau zu.“
„War beim ersten Mal dabei. Ging auch rau zu.“
Eine Fanfare ertönte, der Erstgeborene klappte sein Visier herunter, gab dem Pferd die Sporen und sie preschten dahin.
Brass hatte man eine Sonderposition zugedacht: Er würde das Banner halten.

Die Schar der Getreuen lichtete sich um den falschen Fürsten. Links und rechts neben Brass wurden die Männer aus den Satteln gestoßen unter Juchei und Juchee, die schwarz verkleideten Soldaten mit ihren angeklebten Bärten setzten sich auf die gefallenen Pagen und Waffenknechte in ihren Blechrüstungen. Schon konnte Brass das Rudel der gefährlich aussehenden Kerle ausmachen, dort war der Zweitgeborene mit dem großen Hammer und auch einige andere Leute, die er vor dreißig Jahren getötet hatte, fand er vor sich versammelt. Nun rannten sie auf ihn zu. Und dort, schließlich, sah er auch sich selbst. Dort sah Brass Brass, mit roter Farbe verschmiert, den abgebrochenen Speer hielt er nach oben, als wolle er ihn werfen, der Mann hatte die Statur eines Ringkämpfers und das gebräunte Gesicht eines Bauern.
Fast zärtlich nahmen sie den echten Brass nun vom Gaul. Die Schergen hoben ihn aus dem Sattel, setzten ihn auf das Gras der purpurnen Felder und fielen dann unter den falschen Schlägen des Fürsten zusammen, bevor der selbst vom Pferd gezogen und von dem Barbar mit dem riesigen Hammer unter dem Gejohle des Publikums auf den Boden geworfen wurde.
Der Erstgeborene lag zu Füßen des Zweitgeborenen, der hatte den Hammer erhoben und zum Schlag angesetzt und wurde von Brass zu Fall gebracht, der zum echten Brass ging, ihm das Banner aus der Hand entriss, sich nun vor den Fürsten stellte und mit getäuschten Schlägen Barbar um Barbar zu Fall brachte. So ein Spektakel war's, dass niemand sah, wie Brass im Gras der purpurnen Felder verschied.
So ein Spektakel war's, dass niemand, nicht einmal der junge Brass, vernehmen konnte, was der alte Brass noch zu sagen hatte, als ihm das Banner aus der Hand gerissen wurde: „Nicht.“

 

Hallo Quinn,

ich muss gestehen, dass ich die Geschichte verglichen mit meinen Vorkritikern schändlicherweise nur recht oberflächlich gelesen habe, wie es aussieht, ja, ich geb's zu, ich las im offensiven Fehlerfindmodus, leider mit mauer Beute. Darum will ich mich zur inhaltlichen Seite auch gar nicht weiter äußern und beschränke mich auf eine Liste von ein paar Stellen, die ich einem Neuling frank und frei unter die Nase reiben würde, dir natürlich trotzdem. :D

Es wurde gelacht, getrunken und von Weibern wurd gesungen.
  • wurd >> ward? Das heißt, du hast in dem Satz ja schon "wurde", also besser weglassen? >> Es wurde gelacht, getrunken und von Weibern gesungen. Der Satz hat dann eine andere Prosodie, klar. Stellenweise ist der Text überhaupt recht pathetisch für meinen Geschmack, eine Priese mehr Lakonie wär nicht zu verachten.

oder an das, woran du denkst, wenn du die Nase eines Pferdes anfasst, ...
  • du >> man. Du geht manchmal, hier nach meinem Geschmack nicht so gut.

hörte das Schlagen der Trommel in seinen Gebeinen.
  • Ist Brass ein Zombie? Gebeinen >> Beinen

Fische aus einem Teich, wenn die Reiher zurückkommen
  • Punkt am Ende fehlt. Sonst: top diese ganze Schlachtszene, insbesondere der Trommelabsatz zuvor

Dem Rittersmann neben ihm hauten sie das Pferd tot
  • hauten >> hieben. Heutzutage sagt man zwar hauten, aber es passt m.E. nicht zu deinem Stil.

und die wunderschöne, schwarze Rüstung lag im Matsch der kahlen Felder.
  • Komma würde ich hier weglassen. Mach mal den bewährten Test mit Und: "wunderschöne und schwarze Rüstung" – hört sich doof an, gell?

mehr bis an den Hof drangen, sagte man Festspiele dazu, verbot
  • die Formulierung "sagte man Festspiele dazu" ist recht umgangssprachlich, auch diese Stelle empfinde ich als stilbrüchig. >> nannte (oder hieß) man es Festspiele.

Und der Fürst von einst war schon lang nicht mehr jung und seit zwanzig Sommern war er der Rüstung des Vaters entwachsen und zwei Söhne hatte er. Und man könnte sagen, es waren prächtige Burschen.
  • Boah, Quinn, du wagst es in deiner Liga so zu schreiben? Das ist ja liederlich, warum verwässerst du mit modalen Konjunktiven? >> […] entwachsen. Zwei Söhne hatte er, und es waren prächtige Burschen.

Für mich eine formidable Geschichte über die Tatsache, dass Held nicht gleich Held ist, sondern manchmal eben bloß Werkzeug, weil zukunftsgeschichtsbewusste Fürsten (also: Fürsten) nun mal Legenden brauchen. Vermutlich hätte eine Gesellschaft, die ihren Kindern Geschichte auf dieselbe Art beibringt wie mit diesem Text demonstriert, längst verschiedene Wörter entwickelt für die verschiedenen Heldtypen. Altruistische Helden à la Robin Hood, egoistische Helden wie Hmm Fälltmir Geradekeiner-Ein, willfährige Hammerhelden wie Brass. Jetzt hab ich mich ja doch inhaltlich geäußert, quelle blamage, ach egal.

Soweit …

 

Hallo Feirefiz,

Fuer mich ist die Staerke der Geschichte tatsaechlich die Erzaehlstimme. Und die Perspektive. Also, so richtig personaler-Erzaehler-maessig auf Brass eingeschraenkt zu werden, wie es lollek vielleicht meint, das haette der Geschichte in meinen Augen ihren Witz genommen - mal abgesehen davon, dass man bei der Trommelszene ja schon ziemlich nah drankommt.*
Ich hab's auch anders probiert und es ging einfach nicht. Dann habe ich einen anderen Ansatz gewählt mit dem „Helden“ als Blackbox, sozusagen, und das hat, für mich, dann eher funktioniert.

Also der Witz der Geschichte ist ja einerseits dieser moderne Maerchenerzaehler, da schwingt die Ironie, das Spiel mit der Erzaehlkonvention ja in jeder Zeile mit. Andererseits ist es die umgekehrte Sichtweise, Weltgeschichte aus der Froschperspektive halt - ist, wie Novak schon angedeutet hat, nicht der neueste Dreh, find ich aber trotzdem noch spannend.*
Ich finde schon, dass so eine Art von Geschichte, das hat mich jedenfalls gereizt, doch auch mal wirklich was ganz anderes ist. Also mich reizt es einfach mal was zu machen und der Leser sagt. Wo kommt das denn jetzt her? Also ja, Brecht hat die Fragen des lesenden Arbeiters geschrieben und auch diese Froschperspektive ist schon eingenommen worden, aber so insgesamt ist die Geschichte doch hier – im Umfeld des Forums – was, das man selten zu lesen kriegt, würd ich sagen.

*Das hatte ich glaube ich zum ersten Mal bei Braveheart, dass ich mir so ueberlegt hab, wie das da im Fussvolk ist, wenn man eindeutig nicht der Filmheld ist und es einfach mal ziemlich schnell und unzeremoniell vorbei sein kann.*
Ich hab beim Schreiben tatsächlich an den Schwesternfilm von Bravehaert gedacht, an „Der Patriot“, da hat die Hauptfigur auch eine Heldentat begangen im britisch-französischen Kolonialkrieg ein Massaker angerichtet und muss damit leben, jeder gratuliert ihn zu der Tat und er muss damit klar kommen. Sowas ähnliches hatte ich schon mal in einer Geschichte.

. Deshalb braucht es da auch schon den auktorialen Erzaehler, um da so ein bisschen Wahrnehmungsschaerfe reinzukriegen. Doch, das finde ich als Anlage schon sehr spannend und auch traurig, dass da so eine Brassfroschperspektive nur so scheinbar priveligiert wird, um dann wieder entlarvt zu werden. Brass ist ja kein Akteur der Geschichte, kein Held - der laeuft einfach nur mit und steht dann einmal passend. Also wird damit irgendwie auch die Romantik solcher Froschperspektiven als alternative Geschichtsschreibung als naiv entlavt. Denn die Kleinen sind halt ebensowenig Helden und Macher wie die Grossen, das meiste ist Zufall und erst im Nachhinein macht der Geist der Geschichte nen Schuh draus.*
Ja, ich fürchte das seh ich genau seh. Diese Romantik und der Kitsch, der dann in „persönlichem Erleben“ steckt, viele wollen das ja dann grade in der Geschichte drin haben. Auf Augenhöhe mit den Figuren sein. Das persönliche Erleben.
Ich hab mich in der Geschichte bewusst dagegen entschieden. Auch gegen die Romantisierung, die man sonst oft hat, und die so ein bisschen zu der Thematik dazugehört. Kameradschaft, das Leben im Felde, Ehre, Stolz, Adrenalin, Wut, Zorn, Hoffnung, Elend – was ja auch an Kritik zu der Geschichte kommt, dass es hier fehle.
Ich fand den Helden als Black-Box einen aufregenden Gedanken hier.

Hm ja, das haette man evtl. noch etwas zuspitzen koennen, so in Richtung Mythenbildung und aktiver Geschichtspolitik. Also die spielen das ja schon relativ 1:1 nach da, da koennte man doch sicher einiges dran biegen, dass man den Fuersten noch besser aussehen laesst und so.*
Ja, ich denke, so wird es auch kommen. Aber hier fand ich die Idee schön – deshalb ist es ja auch in Fantasy -, dass man hier schon die Idee auch feiert, dass der einfache Mann eine so große Rolle spielt. Das ist ja kein Gedanke aus der Zeit, in der das hier spielt, das ist nicht der Absolutismus, sondern das ist schon eher eine Pervertierung so eines sozialistischen Gedanken, dass der weiter in dieser Inszenierung erhöht wird. Dass das Volk also nicht den Fürsten feiert, sondern in dieser Stellvertreterfigur sich selbst. Und wie wichtig es ist, für das Vaterland zu kämpfen und wie gut man dabei aussieht und wie ruhmreich. Vielleicht wird es der Sohn des Fürsten dann anders machen und sich selbst wieder überhöhen. Ich hab den Gedanken durchgespielt, mir war das als Lösung dann auch zu platt, obwohl es eher in diese Zeit gepasst hätte. Das man gesagt hätte. Der Fürst muss größer. Das ist ja eigentlich die typische Lösung für solche Schwert-Gesellschaft, derjenige, der am oberen Ende steht, muss der klügste, der stärkste, der potenteste Mann sein. Das ist ja noch August der Starke und Ronald Reagan und Schwarzenegger.
Aber deshalb ist es ja auch Fantasy hier, ich fand hier die Idee gut, dass der „einfache Mann“ als Held aus Propaganda-Zwecken gefeiert wird und nicht der Fürst, wie man annehmen könnte.

*und andererseits und obwohl ich die grundsaetzliche Perspektiv- und Erzaehlerstimmenwahl ziemlich gut finde, hakelt es mir noch an zu vielen Stellen. Ist halt keine Erzaehlstimme, die einem einfach so zufliegt.*
Ja, das stimmt auf jeden Fall. Ich hätte das noch mehr überarbeiten müssen. Ich hab die Geschichte dann schon so lange mit mir rumgeschleppt, dass ich, als ich sie dann endlich schreiben konnte, dann auch sofort loswerden wollte.
Ich denke dafür ist das Forum hier auch sehr verlockend. Ich brauch dann eh immer ein bisschen Abstand, um in den Details noch mehr zu sehen und drüber zu gehen, da denke ich mir aber auch: Dann kann ich sie auch posten und mir die Meinung von anderen Leuten anhören, statt dass ich's alleine mach oder mir einen Beta-LEser such.
Aber ja, ich brauch dann immer ein paar Tage und andere Stimmen, um die Geschcihte glatter zu kriegen. Wobei das mit der Stimme natürlich schwierig ist, noch zu hören: Was geht und was ist zu dick? Also wenn ich die Geschichte nicht dann gepostet hätte, hätte ich garantiert vieles Exaltierte rausgeschmissen wieder, weil ich gekniffen hätte. Und in dem Moment hat mir da seinfach gefallen, das mal durchzuziehen, bevor ich Schiss krieg.

Danke dir für deinen Kommentar, ich denke, ich kann direinfach in allem zustimmen, ich fühl mich da ganz schön ertappt auch, im Guten wie im Schlechtem
Quinn


Hallo juju,

*Und wie muss das auf ihn wirken? Das ist schon schön. Du spielst hier voll mit der Realität, finde ich. Das war schon beim Focks so, da gibt es viele Parallelen, meine ich.*
Jau, ich merk das auch, dass bestimmte Themen und Geschichten bei mir immer wiederkommen. Das hier ist am Ende Gewinner-Ich, hab ich dann beim Schreiben auch gemerkt. Gut mir sind halt die schwächeren Geschichten präsenter auch, aber das ist schon erschreckend, da geht man hin und will was ganz Neues machen und man ist am Ende immer noch man selbst.
Das ist vielleicht das Schicksal von Brass, sogar wenn er ein Held ist, ist er immer noch Brass.
Vielleicht ist das die Tragik der menschlichen Existenz, dass man immer nur man selbst ist, ob man gewinnt oder verliert.
Ich hab das neulich gelesen in einem Interview mit Matthew Weiner, dem Chef von Mad Men. Der hat das über Pete Campbell gesagt, der junge Mann hat sich jahrelang danach gesehnt zu gewinnen und dass die Tür endlich aufgeht, und jetzt stößt er mit der Schulter gegen die Tür und die Tür gibt nach und er ist endlich durch die Tür und er ist immer noch Pete. Große Enttäuschung.
Ich weiß nicht, vielleicht wird durch die Geschichtenbildung und durch Werbung und durch die Religion und durch andere Illusionen so ein Bild vermittelt, dass irgendwo eine höhere Macht schon für eine magische Transformation sorgen wird, wenn irgendwelche Konditionen erfüllt sind. Ist das nicht so eine Grundlage unserer Existenz? So ein Versprechen in unserern Erzählungen.
Wenn Ted endlich die Mutter findet, dann wird er ein ganz neuer Mensch. Ewiges Glück. Wenn Parzifal den Gral findet, wenn Ahab den Wal erlegt, wenn die Red Sox endlich Meister werden, wenn Arjen Robben nur mal gesund bleiben könne, wenn Kurt Cobain nur clean hätte bleiben können … ich hab neulich gelesen, es gibt eine Version da erlegt Ahab den Wal und kommt nach Hause zu seiner Frau. Ich frag mich, wie lang der sich besser gefühlt hat. Es gibt einen Cartoon von Family Guy da erwischt Wile E. Coyote den Roadrunner.

An der Stelle musste ich voll grinsen. Das ist voll Quinn irgendwie. Woran man denkt, wenn man die Nase eines Pferdes anfasst. Alter.**
Ich hab halt noch nie daran gedacht, woran ich denke, wenn ich die Nase eines Pferdes anfasse … ist aber trotzdem voll endringlich, und ab jetzt denke ich bei Pferdenasen nur noch an diese Geschcihte vermutlich.
Das hat mich echt gefreut.

Also Brass ist tatsächlich ein bisschen gesichtslos, aber das soll er sein, meine ich, er ist keine Charlotte, in die ganz viel projiziert wird, sondern er ist eine Tat letztlich, und er gibt sich auch auf, wenn er mitmarschiert, und was er gedacht und getan hat ist letztlich irgendwie egal, er ist ein Symbol, ein Held, das merkt man in der Szene, wenn der Erstgeborene oder wer das ist mit ihm redet, und meint, er solle bitte nicht sterben und sein Fest kaputt machen. Das ist was zählt halt.*
Ich fänd's schön, wenn das so gelesen wird.

Danke dir für deinen Kommentar
Quinn

Hallo kas,

Wenn du Brass sympathischer gemacht hättest, hätte der Schluss weher getan. :P So ist es, wie feirefiz sagt, schon eine Geschichte über die Entstehung von Geschichte und deshalb hauptsächlich meta. Dafür spricht auch der Absatz mit der "Inszenierung". Auch deshalb und weil der mittelalterliche Stil nicht immer konsequent gehalten wird, hat der Text auf mich ironisch gewirkt. Was gut ist!
Ja, es ist schon eher meta, das stimmt. Ich hatte mal Lust so etwas zu schriben, was nicht cool und clean ist. Dass man halt nichtt sagt: Das spielt in einer Bar, da hattest du schon so oft. Oder. Oh, da geht es wieder über Männerfreundschaften!
Sondern dass man halt einfach was Neues kriegt, was man sonst nicht so kriegt, und dass der Leser sich fragt: Was kommt da jetzt? Was passiert da? Dass man halt ein bisschen aus den Bahnen geworfen wird.
Wenn ich das erreicht hab und jemand liest die Geschichte und denkt sich: Okay, das kam jetzt unerwartet. Wenn der Leser da ein Leseerlebnis hat, dass ihn vielleicht mal aus dem Trott reißt, das fände ich schön.
Wenn er jetzt Fantasy-Genre will oder so, im Prinzip will man dann ja das, was man schon kennt: More of the same. Das ist die Gefahr bei dieser Geschichtsüberflutung in der heutigen Zeit. Die Leute gehen ins Kino und gucken Expendables II und – Überraschung – er ist gen au so, wie sie dachten, dass er ist. Ich hab das neulich als Kritik gelesen: Safehouse – ein Thriller mit Denzel Washington. Und er ist genau so, wie man es erwarten würde. Bis in die letzten Verästelungen noch, kriegt der Zuschauer genau das, was er erwartet und wofür er bezahlt hat und wofür er unterschrieben hat.
Ich find das überhaupt nicht schlecht, aber irgendwie ist es doch auch … so bequem.
Ih merk das an mir, ich beobachte das bei anderen, wie abgestumpft man Erzählungen konsumiert. Da hab ich schon Lust, was anderes zu machen, natürlich riskiert man dann auch mehr, man kann sich mehr aufs Maul legen dabei, jo mei.

Freue mich, wieder etwas Neues von dir gelesen zu haben!
Schön. Teil es dir gut ein. ;)

Danke dir
Quinn

Hallo Schwups,

*- du zeigst hier schön den Unterschied zwischen einer Heldenverehrung und dem Menschen, der verehrt wird, und zeigst auch, dass diese Verehrung ein reiner Selbstzweck ist.*
Ja, Denkmäler sind halt besser tot, oder? Tote Helden sind besser als lebende. Die machen auch keinen Ärger mehr, die sagen nichts unbequemes, die schmälern nichts. Erstarrter Ruhm - ich finde das schon eine sehr unangenehme Sache, wenn man darüber nachdenkt. So die Salinger-Methode. Einfach verschwinden, gar nicht mehr riskieren, das Bild zu beschädigen. Wahrscheinlich sterben deshalb die Helden am Ende der Geschichten so oft.

Seltsamerweise erfährt man wenig über diesen Brass, im Mittelteil zoomt der Erzähler dann auch mal komplett weg von ihm. Ich weiss nicht so recht, was Brass sich eigentlich bei all dem denkt. Marschiert er jetzt gern in den Krieg? Vermisst er seinen Freund? Wenn er marschiert, denkt er nur noch an Trommeln, aber gefällt ihm das? Es gibt so Andeutungen im Text, aber für mein Empfinden ist der Erzähler immer ein Stück zu weit weg von der Figur, dass ich sie wirklich fassen kann.
Ich find das spannend. Später sagt einer, dass der nur am Ende mündig wird, kurz vorm Tod, sonst meint man ja, er sagt was, aber er sagt gar nichts. Er fühlt gar nichts, so richtig, der Erzähler sagt etwas über ihn, und er steht irgendwo, und so, aber was geht in ihm vor? Ist es nicht spannend, sich das als Leser zu fragen? Wie man ihn sehen kann. Ich fände das spannend als Leser. Spannender als Lagerfeuer-Romantik.

*Aber was die Geschichte thematisiert, fügst du deiner eigenen Figur ebenfalls an: Im Mittelpunkt steht ihre Tat, nicht sie selbst. Das ist ein interessanter erzählerischer Kniff, aber du bezahlst ihn mit einer blassen Figur.*
Ja, das stimmt. Ich würd aber weitergehen und sagen: Da ist eigentlich, wo die Figur hingehört, eigentlich nur diese black-box. Es ist auch, ich muss das mal sagen, verdammt schwer, das alles dann noch unter zu kriegen, die Wünsche, die man als Leser dann noch hat: Figur noch aufregend, Figur sympathisch und das noch und Blut und Angst und Adrenalin -so diese Überraschungs-Ei-Mentalität. Ich will auch noch Schokolade!
Ich finde als Autor muss man auch bestimmte Grenzen dann akzeptieren, klar wäre größer immer auch schöner und das noch und das noch, und ich kann echt verstehen, dass man sich als Leser dann das wünscht, was da ist, PLUS X. Aber als Autor muss ich da auch manchmal kapitulieren. Also alles, was jetzt da ist, plus Action, plus Figuren auf Augenhöhe, plus identifizierbarer Held als spannende Figur – da muss ich die weiße Fahne schwenken. Da hätte ich die Geschichte viel breiter anlegen müssen für, jetzt im Nachhinein ist das – so wie ich jedenfalls denke – immer sehr schwierig, noch an der Struktur was zu ändern und och Szenen einzuführen oder zusätzliche Sachen. Das traue ich mich immer nicht.
Ich versteh den Wunsch sehr gut, aber das sind immer Sachen, die müssten dann schon unheimlich früh im Entstehungsprozeß der Geschichte kommen, Wenn man sich das so vorm geistigen Auge vorstellt.

Ich habe mir bspw. die Frage gestellt, warum Brass am Hof des Königs bleibt? Klar, jetzt ist er alt und schwach, aber was hat er die letzten 30 Jahre dort gemacht? Auch da wirkt er lethargisch, antriebslos. Selbst in seinen grossen Moment schlittert er mehr durch Zufall hinein.*
Ich finde das schon sehr interessant wie du ihn siehst, und ich denke andere werden ihn dann anders sehen. Ist das auch nicht einfach interessant, sich zu fragen: Was hat der in den 30Jahren da gemacht? Was hätte ich gemacht? Warum macht er das? Du sagst: Lethargie. Aber auch so ein Zweifel: Was hätte er denn machen können. Juju sagt das: Aber ihm geht’s doch da bestimmt besser als Pitt. Aber ist er glücklich damit? Kann man glücklich sein, wenn man Blut an den Händen hat, oder ist das egal, und die Frage ist: Kann man glücklich sein, wenn man zur tat geworden ist und das nie mehr duplizieren kann.
Ich finde das schon interessant genug.

Die Detailanmerkungen werde ich noch einarbeiten, ich werd mich am Wochenende noch mal mit der Geschichte auseinandersetzen und da mal entgraten. Da hab ich mir wohl ,das muss ich gestehen, ein paar Exaltiertheiten zu viel rausgenommen an manchen Stellen.

Danke dir für deinen Kommentar, ich fand den sehr interessant und aufschlußreich
Quinn

Ich mach an der Stelle Schluss, ich versuch wirklich auf jeden Kommentar gesondert einzugehen und jeden für sich zu nehmen, das dauert dann halt immer ein bisschen, freut mich, dass die Geschichte so viele Kommentare bekommt!

 

Hallo Fliege,

meine Feier!, so sprach er, der Jüngling, in seiner Rolle. Man möchte ihm dafür doch glatt eine hinter die Ohren geben.*
Ja, ich finde das auch so … aber ist die Welt nicht auch so? Also das war etwas, das ich in der Geschichte haben wollte. Es freut mich, dass du das so liest und damit auch etwas anfangen konntest.

Und dann so ein Großmut, mit diesem Lächeln da. Und dieses Herabgeschaue, pass gut auf alter Mann, tu dir nicht weh. Wo ist denn die Wertschätzung hin? Die Ehre? Brass ist so wurscht. Eigentlich stört er ja nur, wie vorher auf dem Hof auch schon.*
Hat man das heute nicht auch so? Es sagen ja viele zu der Geschichte, die könnte auch in einem anderen Setting zu einer anderen Zeit spielen und irgendwie wird die Geschichte hier stark auf die Parabel gestutzt. Vielleicht kommt sie deshalb nicht so an, wie andere Geschichten. Vielleicht muss ich da was anderes machen.
Also so von meiner Begeisterung, dieses Setting zu nehmen und darin etwas zu erzählen, kommt irgendwie wenig beim Leser an, hab ich das Gefühl, sondern es kommt dann halt so als Parabel rüber bei dir und anderen.
Vielleicht ist sie wirklich zu meta, darüber muss ich nochmal nachdenken.

Vielen Dank für deine Detailanmerkungen, wir sehen vieles gleich, das merke ich immer wieder, wenn ich Kommentare von dir lese, du bist nur viel netter als ich :)
Quinn

Hallo gerthans,

*Und da der Spötter deswegen hingerichtet wird, und zwar auf Befehl des Fürsten, wie der Leser vermuten darf, muss diese Anspielung den Fürsten getroffen haben, es dürfte also etwas dran sein. Als homosexueller Mann, der weichlich und feminin ist, passt der Fürst dann nicht so recht in die raue Männerwelt des Mittelalters und schon gar nicht in die Rolle des Monarchen, der damals immer zugleich Heerführer, Kriegsherr war, also ein richtiger Mann sein musste.*
Ich denke, die Homosexualität wurde im Mittelalter als Spott einfach verwendet, man hat die Männlichkeit von jemandem in Frage gestellt, ja. Aber das war ein Vorwurf, der nicht unbedingt etwas mit dem Mann zu tun haben musste.
In meiner Vorstellung hören Pitt und Brass genau da das erste Mal überhaupt von dem „neuen“ Fürsten und vielleicht ahnt Pitt, dass dieser Mann, der so spannend erzählt, auch was von ihnen will. Aber ich denke nicht, dass der Vorwruf „Homosexualität“ hier wirklich Substanz hat, Pitt macht einfach ein bisschen Radau.
Ich glaube auch nicht, dass die Kunde, was in irgendeiner Schänke am Arsch der Welt passiert, wirklich den Fürsten erreicht. Ich denke, der Rekrutierer hat hier diese Kränkung persönlich genommen – dass über ihn auch gelacht wird – und wenn er dann am längeren Hebel sitzt, rächt er sich. Aber das ist meine Sichtweise, sicher sind auch andere völlig legitim.

Der Fürst, dem Homosexualität nachgesagt wird, hat auf dem Felde der Ehre Schwäche gezeigt und muss von seinem Sohn noch nach 30 Jahren in Schutz genommen werden:
Also ich stimme dir zu, ich würd nur die Homosexualität rausnehmen. Sicher muss sich ein „junger Fürst“ in so einer Situation beweisen. Das müsste er aber auch, wenn er ein berüchtiger Nuttenpreller wäre.
Und ja – schön, dass du das siehst - ,ich denke der Thronerbe sieht diese Inszenierung schon mit gemischten Gefühlen, und wenn er an die Macht kommt, wird er die Scharte eben auswetzen wollen. Aber die Stelle soll halt auch zeigen, dass der Thronerbe sich dann wieder selbst seine Sporen verdienen will. Er wird bessere Waffen brauchen, wenn er erstmal seine Schlachten führt.

Der Tod des alten Brass am Schluss lässt sich deshalb als Racheakt deuten, in Auftrag gegeben vom König oder vom erstgeborenen Sohn.
Also ich finde da sals Idee gut, hab damit auch gespielt, aber ich denke ,für mich, findet dieser Prozeß in der Zeit zwischen der Geschichte nach. Dass der Fürst, jedesmal wenn er ihn sieht, dann an diesen Moment erinnert wird, und – vielleicht weiß er mit dem Kopf zu schätzen, dass die „Männer“ so einen Helden brauchen -, aber Brass ist natürlich auch ein Symbol für seine Schwäche.

Das sind aber wirklich Gedanken an der Peripherie der Geschichte hier, die ein Leser sich machen kann, aber die Geschichte lässt dieses Gebiet eher unberührt. Aber man kann sich natürlich schon fragen, wie Brass vom „Mann an der Seite des Königs“ zu diesem Mann ohne Funktion am Hof wird. Und was in den Jahren jetzt genau vorgefallen ist.
In dem Film „Duell – Enemy at the gates“ wird ein Scharfschütze aus der Provinz zu einem kommunistischen Kriegshelden, der letztlich auch „vor seinem Beruf“ geschützt werden muss, wenn die Deutschen den jetzt umbringen, stirbt nicht nur ein guter Soldat, sondern – viel schlimmer – ein Symbol. Vielleicht ging es Brass in den Jahren nach der Schlacht auch so.

Vielen Dank für deine Gedanken zu der Geschichte, ich freue mich, dass sie dir gefallen konnte
Quinn

Hallo jimmy,

*Sprachlich toll, liest sich sehr "vintage", sehr oral erzählt, ist eine Kunst, dies so hinzubekommen. Ich mag die Stimme, die du hier verwendest, sie klingt eben ein wenig nostalgisch, aber nicht verstaubt, alles bleibt klar, bei vielen Märchen habe ich immer das Gefühl, da wird geschwurbelt und alles extra nebulös formuliert. Hier nicht.*
Das freut mich. Dieses „Oral“ erzählte – das ist etwas, das ich haben will. Ich möchte das lesen, ich möchte das schreiben. Ich finde das – im Moment – sehr reizvoll und sehe das uach als ein Feld, auf dem noch viel zu holen ist. Diese Art zu erzählen formal, unzuverlässige Erzähle, stark gefärbte Perspektiven und dann irgendwelche alternativen Geschichtsverläufe inhaltlich – das sind so die weißen Felder, die ich sehe und die ich spannend finde, für mich.

Auch, dass die Ur-Szene sich verändert, die Festspiele müssen her, alles wird immer aufgeblasener, dekadenter, größer, irrsinniger
Ja, die Römer haben das auch gemacht, große Schlachten nachgespielt, symbolisch aufgeladen und inszeniert. Wir machen das ja heute auch. Was ist Braveheart anderes?

Freut mich, dass dir die Geschichte gefallen konnte
Gruß
Quinn

Hallo Berg,

am besten gefällt mir der Stil, der den einfachen Wortschatz und die einfache Denkweise dieses einfachen Mannes wiedergibt. Ist das inspiriert von Wolf Haas? Das wird haften bleiben und als Anregung mitgenommen.
Nee, also von Haas nicht, der hat natürlich auch dieses – wie jimmy sagt - „orale Erzählen“. Aber ich hatte an der Stelle auch einfach Lust, mal in so einer Sprachebene zu erzählen, das reizt mich oft, mal aus den gewohnten Sachen raus und was anderes, sich sprachlich mal verkleiden, in die Vollen gehen, in ein anderes Vokabular rein. Nicht vollends, das wär auch albern, dneke ich, aber halt so ein Kompromiss. Mich reizt das.

Wo es meiner Meinung nach Raum für Verbesserungen gibt: Die Schlachtszene! Da fehlen Angst, echte Schmerzen, Durst, Kälte, Blut und Schweiß. Mit Figuren, die sich nicht fürchten und die nicht leiden, wirkt das wie die Beschreibung des Gedränges in einem Kaufhaus.
Ja, gut, die Geschichte entscheidet sich da eben bewusst dagegen auch, bzw. ich mich als Autor. Ich seh das Bedürfnis danach, aber ich fände es schwer, das in der Geschichte hier zu stillen. Ich denke für so etwas, damit das irgendeine Funktion hat „Angst, Blut, Schweiß“ muss man eine emotionale Beziehung zu den Figuren aufbauen. Da ist es ja nicht damit getan, zu schreiben: Der hat Schmerzen, sondern die Figuren müssen erst mal aufgebaut werden, damit man sie dort beschädigen kann. Dann hätte die Geschichte eine ganz andere Ästhetik gekriegt.
Und ich muss uach sagen: Ich will ja auch kein Spartacus – Blood and Sand schreiben. Für sich genommen sind Actionszenen nicht sehr aufregend zu schreiben, die können eine gute Funktion in einer größeren Geschichte einnehmen, aber in geringem Verhältnis. Also um eine Actionszene oder dieses „Leiden“ hier, zu rechtfertigen, hätte die Geschichte ganz andere Dimensionen gebraucht. Vielleicht ist das eins der Probleme der Geschichte, warum sie nicht so überzeugen kann, wie andere vielleicht. Dass man hier das Gefühl hat: es fehlt was.
Das ist jetzt aber auch was, das bald bei jeder meiner Geschichten kommt: Es fehlt Mehr. Bei Bozo fehlten den Leuten die Grausamkeiten des Tyrannen, bei Focks fehlte ihnen ein Außen-Plot, hier jetzt die Nähe und Sympathie zu den Figuren – ich könnte mir die 3 Geschichten auch mit diesen Elementen vorstellen, aber es wären nicht mehr die, die ich im Kopf hätte, sie wären ein bisschen konventioneller, ein bisschen runder, viel breiter.
Vielleicht muss ich die Geschichten von Anfang an breiter anlegen. Weiß ich nicht. Man wird sehen.

Dein breites Wissen über Filme und TV-Serien kommt dir beim Schaffen interessanter Situationen sichtlich zugute.
Ey. Ich komm mir bald vor wie eine dickbusige Frau, die nur auf eine Sache reduziert wird!

Vielen Dank für deinen Kommentar, hat mich sehr gefreut.
Quinn

 

So, es reicht. Provozierende "Kritiken" von Friedrichard, opa-uwe und Roberto Plantonow gelöscht. Gebt euch keine Mühe mit einer Antwort, Postings von euch (und euren Zweitaccounts) wandern ab sofort kommentarlos in die Tonne. Man könnte meinen, es sei Hochsommer. So viele hirnverbrannte und hasserfüllte Beiträge auf einem Fleck habe ich selten gesehen.

 

Ist ja wieder offen, ich beantworte dann noch die letzten Kommentare, tut mir leid, dass es bisschen gedauert hat, der Trubel lenkt halt dann schon vom Text und der Arbeit daran ab.

Hallo Marai,

Die Sprache ist beeindruckend. Die ganze Geschichte ist beeindruckend.
Das freut mich. Ich hab schon öfter mit dem Gedanken gespielt etwas im Tonfall der Lutherbibel zu schreiben, so ganz geht das sicher nicht mehr, es ist dann immer nur eine ironische Annäherung daran auch, aber die Rhythmik finde ich sehr beeindruckend in den erzählerischen Passagen. Ich hab mich damit auch mal eine Weile auseinandergesetzt.

Mich hat das an ein anderes Siegesbanner erinnert, das an Karfreitag und Ostern aufgerichtet wurde. Im Gegensatz zu Brass, dem das Banner am Ende seines Lebens entrissen wurde, kann dieses Siegeszeichen dem Sieger niemand entreissen.
Unter jeder Art von Banner wurden Grausamkeiten und Unrecht begangen. Und jedes Banner hat im Laufe seiner Zeit darunter auch gelitten.
Ich hab da schon eine mittlerweile sehr kritische Sicht auf Rituale und diesen Pomp um Schlachten, Könige und Kirche herum – natürlich sind die clever konzipiert, damit sie einen ansprechen, aber das ist jetzt auch nicht Thema dieser Geschichte. Aber ich denke nicht nur der Ruhm der Welt ist vergänglich, sondern auch spiritueller Glanz ist oft nur vergänglicher Tand wie uns die Geschichte gelehrt hat.

Danke dir für deinen Kommentar, freut mich, dass dir die Geschichte gefallen konnte,
Quinn

Hallo Anakreon,

Es reimt sich zwar auf Willy Brandt oder das althochdeutsche Wort für Feuer oder Schwert, doch ob die Destillateure deswegen ihren Branntwein umbenennen, bezweifle ich doch ein wenig.
Ich werd das mal korrigieren, manchmal geht doch meine politische Gesinnung mit mir durch.

Hm, was soll ich sagen, direkt fasziniert hat mich diese purpurn schillernde Geschichte nicht, doch ist sie fein abgefasst. Von dem her gab sie mir Stellen aufzumerken, in Gedanken über eine Passage zu sinnieren und ab und an zu schmunzeln.
Gerade dann freut es mich, dass du dich zu einem Kommentar durchringen konntest, wenn dir das Thema der Geschichte und das Setting nicht gefallen konnte. Ich denke so eine Schwertkampf-und-Ritter-Sache hat es – genau wie andere Genres – oft nicht leicht, eine neutralere Geschichte darin zu erzählen. Die Fans owllen dann oft das „klassische Genre“; andere schreckt das klassische Genre dann eher ab. Aber ich finde gerade dann diese Art von Literatur oft spannend, eben weil so vieles darin möglich ist, abseits von Conan dem Barbar oder einer klaren Parabel-Ausrichtung.

Danke dir für deinen Kommentar
Quinn


Hallo,

Aber wenn er nicht dumm ist, warum rettet er dann seinen Fürsten, müsste er in seiner Ermordung doch seine Befreiung von der Unterdrückungen sehen (soweit die andere Heerschar nicht über ihn gebietet) und auch als Mensch müsste er dem Fürsten den Tod wünschen, aus Rache, zumindest aus Gleichgültigkeit. Wer riskiert schon sein Leben für jemanden, den man nicht kennt, oder nur vom Hörensagen und man nichts Gutes gehört hat.
Ich frag mich das auch manchmal, ich denke es gibt einen Mechanismus, dass man Menschen, die von anderen mit viel Autorität gesehen werden, anders behandelt, auch wenn man selbst diese Autorität nicht empfindet.
Also hier an der Stelle z.b.: Vorher gibt es die Passage, dass das Banner eines Fürsten wie ein Feuer in der Nacht ist. Hier fühlt sich der verirrte Brass vielleicht einfach zum Feuer hingezogen. Und vielleicht rettet er ihn, weil er es einfach tut, weil es naheliegt, ist da viel Reflexion in solchen Momenten? Wer ist Brass? Warum tut er,w as er tut? Warum tun Helden, was Helden tun?
Das ist ja die Frage in der Geschichte, für mich, auch eine Leerstelle dann. Ich finde es gibt Anreize in der Geschichte, das zu hinterfragen.Wer ist bRass? Wird er durch die Tat zu einem Mann oder bleibt er die Tat?

Gruß
Quinn

Hallo PSS,

Womit ich nicht ganz klar komme, ist die Kategorie Fantasy/Märchen. Weshalb nicht Gesellschaf oder Historik? Du hast sie mit voller Absicht in diese Kategorie gesteckt, das ist mir klar, jedoch - verstehen tu ich's nicht. Denn im Grunde ist es eine allgemeine Darstellung sozialer Umstände, Macht, Ohnmacht, Vergessenwerden, Mythen, man kann fast schon sagen: der Entstehung eines Mems.
Aber genug davon, ich nehme sie auch als Märchen, deine Geschichte.
Hier lässt es die Art, wie die Geschichte zu lesen ist, offen, in Gesellschaft muss man sie als Parabel lesen. In Historik denke ich will man eine andere Art von Geschichte, Fakten, genaue Beschreibungen, also meine Vorstellungen, was „Historik“ sein sollte, ist da sehr begrenzt. Ich denke „Historik“ lässt einem Autor sehr wenig Freiraum. Ich erwarte mir von Historik einen bestimmten Anspruch, den ich selbst nicht erfüllen möchte.
Es ist, für mich, eine Geschichte, die aufregend sein sollte in der Thematik, im Setting, die da das Thema aus den klaren Implikationen befreit, die aber dann auf einer zweiten Ebene auch als Parabel taugt. Aber eben nicht nur, nicht nur so trocken. Das Ideal wären Geschichten, die der Leser erleben kann, die er aber auch abstrahiert betrachten kann.
Das Problem ist, dass es dann oft ein Kompromiss ist, und der Leser sie noch mehr erleben möchte als vorgesehen.
Aber ich finde so ein archaisches Szenario, eine andere Geschichtsanordnung, sehr reizvoll.

Meine absolute Lieblingsstelle ist der Vergleich des Todes der gar nicht mehr Kampfeskräftigen mit den zurückkehrenden Reihern. An dieser Stelle habe ich wirklich kurz pausiert, um ihn noch ein paar Male zu lesen. Also das ist klasse. Dicht gefolgt von Brass, wie er die alten Schlachtrösser in deren dunkler Ecke im Stall besucht. Diese Stelle ist schon sehr, sehr tief, da habe ich Brass ganz klar sehen können, das fand ich toll.
Das freut mich sehr, wenn man merkt, dass sich bestimmte Stellen dann lohnen, an denen man länger saß.

Die Wortwiederholungen haben mich zu Beginn irritiert. Irgendwann habe ich innegehalten und mich vergewissert, dass das Quinn ist, der da schreibt. So ungewohnt ist das. Aber als ich am Ende angekommen war, da war ich mir sehr sicher, dass du das mit Absicht alles so gesetzt hast, denn da war ich dann ja drin in der Erzählstimme, da war's stimmig.
Ja, das Problem ist, wenn man in einer anderen Stilebene schreibt, ist man auch nicht so stilsicher wie in einer „normaleren“. Da sagt man: Gut, hier gehören halt Wiederholungen auch dazu. Und bei diesem Neubalancieren lässt man sich selbst zu viele durchgehen. Das gleiche hab ich auch, wenn ich versuche betont unverdichtet zu schreiben. Da ist die Balance zwischen lässig und schlampig schwer zu halten. Hier sind es dann Wortwiederholungen, Banalitäten oder wenn es zu gestelzt klingt. Ich denke der Text wird in den nächsten Wochen schon noch ein bisschen glatter poliert werden.

Freut mich, dass dir die Geschichte so gut gefallen hat!
Quinn

Hallo floritiv,

Heutzutage sagt man zwar hauten, aber es passt m.E. nicht zu deinem Stil.
da hab ich lang überlegt, ich glaube „hauen“ passt auch ganz gut, aber halt in so einer anderen Verwendung. Mehr dieses „Hauen und Stechen“, also nicht das mit dem runterhauen, woran man heute denkt, sondern das Kolbenschwingen-Hauen.
Aloso „hauen“ gibt es für mich eben einmal in der mittelalterlichen Nahkampf-Version und im heute lapidaren Alltagsdeutsch „Hau mal auf den Knopf“, die gehen dann durcheinander an der Stelle.

die Formulierung "sagte man Festspiele dazu" ist recht umgangssprachlich, auch diese Stelle empfinde ich als stilbrüchig. >> nannte (oder hieß) man es Festspiele.
Hieß ist gut, das ist gekauft.

Für mich eine formidable Geschichte über die Tatsache, dass Held nicht gleich Held ist, sondern manchmal eben bloß Werkzeug, weil zukunftsgeschichtsbewusste Fürsten (also: Fürsten) nun mal Legenden brauchen. Vermutlich hätte eine Gesellschaft, die ihren Kindern Geschichte auf dieselbe Art beibringt wie mit diesem Text demonstriert, längst verschiedene Wörter entwickelt für die verschiedenen Heldtypen. Altruistische Helden à la Robin Hood, egoistische Helden wie Hmm Fälltmir Geradekeiner-Ein, willfährige Hammerhelden wie Brass .
Das ist schon eine sehr interessante Idee, wie andere Gesellschaften Helden sehen würden. Ich denke Helden gibt es, weil es Geschichten gibt, und weil Menschen Bezugspunkte in Geschichten brauchen. Wir hatten halt in unserer Geschichte Phasen mit sehr zentralisierten Regierungsformen, in denen es wichtig war, bestimmte Personen, Päpste, Heilige, Fürsten, Helden, Götter, Halbgötter zu erhöhen. Die nordische Mythologie ist noch voller Helden, die Antike auch. Im Laufe der Jahre und der Geschichte schwindet das. Berühmter Held im Dreißigjährigen Krieg: Puh. Dann hat man die Heldenverehrung auf die Heerführer umgelenkt und mittlerweile sind wir bei Helden angelangt und sehen sie entweder gleich völlig fiktiv oder nennen sie Rollenvorbilder und suchen sie im Sport oder in der Kunst.
Und so richtig aufregend sind Helden heute doch nur, wenn sie stürzen. Tiger Woods oder so. Aber durch die Nähe zu Geschichten und zu den Helden ist eine Verklärung und Geschichtsfälschung – wie sie hier in der Geschichte passiert – ja kaum noch möglich.
Also Brass ist eine Figur, die Strahlkraft entwickeln wird, je weiter Leute von ihm weg sind. Bis man in den entfernten Provinzen des Landes noch von diesem Gründungskampf hören und sich erzählen wird. Das hat ja in der heutigen Zeit kaum noch Relevanz.
Ich find diese Gründungsmythen von Staaten oder Gemeinschaften sehr interessant und aufregend. Dass eigentlich jede Hochkultur so einen Kulturmythos hat, der dann auch verklärt wird, so eine goldene Zeit, ein goldener Moment. Die Amerikaner feiern das grade wieder im Kino groß mit Lincoln. Deren Kulturheroen sind viel jünger und präsenter als andere. In Deutschland wären Kulturheroen sowas wie Barborassa, in der Schweiz Willhelm Tell, in Großbritannien Artus – das spielt ja alles nicht mehr so die große Rolle wie bei jüngeren „Nationen“.
Also grad die Amerikaner haben – wie man z.B. in American Gods nachlesen kann – sehr spannende, noch nahe „Kulturheroen“. Und auch die Heldenverehrung ist da natürlich ausgeprägter als bei uns. Die Idee, dass ein einzelner einen Unterschied machen kann, hängt da vielleicht mit dem amerikanischen Traum zusammen. Hier in der Geschcihte war das für mich eher so eine Idee aus der Moderne, aus kommunistischen Regimen oder sozialistischen, dass der „einfache Mann“ hier erhöht wird, obwohl er selbst nichts zählt, als cleveren Schachzug des Fürsten.

Danke dir für deinen Kommentar, aus dem „formidabel“ hab ich rausgelesen, dass dir die Geschichte auch gefiel, das freut mich!
Quinn

 

Hej Quinn,

eine traurige Geschichte. Und das gefällt mir daran. Ein einfacher Mann, der es in der Schlacht zu etwas bringt und danach dennoch doch nicht viel anders lebt und stirbt, als ein (halbwegs gemochter) Hund.

Sprachlich hat es mir größtenteils gefallen, aber hier und da haut's mich raus ohne dass ich den Sinn verstehe.

Es tut not zu wissen, dass Brass ein einfacher Mann war.
Schöner Satz.

Nie aus seinem Weiler herausgekommen. Kannte den Fürsten nur vom Hörensagen
Das klingt, als spräche Brass selbst oder ein anderer einfacher Mann. Dieses Verschlucken der Personalpronomen wirkt wie abgeschliffen, nichts unnötiges wird gesagt. Außerdem drückt es eine spezielle Art der (Selbst)Wahrnehmung aus. Es passt zu Brass. Aber (für mich) nicht zum ersten Satz.

und es kümmerte sie nur ihr Spiel und dass sie es warm hatten und dass es laut zuging und dass alles seine Richtigkeit hatte, das kümmerte sie auch.
Kindlich klingt das hier. Wie aus einem Astrid-Lindgren-Buch. Ich bin immer noch auf der Suche nach dem Erzähler, der wabert mir noch unklar vor der Nase.

Aber Brass hatte viele unsinnige Gedanken.
Hier weckst Du Erwartungen, die Du nicht erfüllst. Oder anders: Ich achte mal darauf, ob ich ihn noch bei einem unsinnigen Gedanken erwische.

dem die Rüstung seines Vaters noch zu weit war, des Vaters Schwert zu schwer, das Land des Vaters zu klein
warum nicht konsequent: dem die Rüstung seines Vaters noch zu weit war, des Vaters Schwert zu schwer, des Vaters Land zu klein ... egal, ich les es automatisch so.

Und vielleicht haben die alten Leute Recht, die sagen, dass das Schicksal mit rot geschrieben werde. Vielleicht haben andere Recht, die sagen, dass Geschichte von vielen kleinen Männern geschrieben wird und nicht von wenigen großen.
Hm. Irgendwie passen diese Gedanken an viele Stellen der Geschichte. Man könnte sie an den Anfang setzen (aber dann wäre der gute erste Satz dahin) oder irgendwo an den Anfang der Schlacht. Ich meine nur, sie sollten irgendwo stehen, wo sie gezielter wirken. Hier klingt es so nach: Übrigens, was ich mal ganz allgemein zu großen Schlachten sagen wollte ...

Das Marschieren nach Trommeln wird für jeden Mann das einzige, was zählt. Es ersetzt das Denken, Brass dachte nicht mehr an das Feuer in der Schänke, daran wie ihm die Arme weh taten, wenn er den Tag auf dem Feld verbracht hatte, dachte nicht mehr daran, wie sich Gras anfühlte nach einem Sommerregen, dachte nicht an den Geruch von Heu oder an das, woran du denkst, wenn du die Nase eines Pferdes anfasst,
Vom Allgemeinen zu Brass zur persönlichen Ansprache.
Ich weiß nicht, ob Du versuchst, kameramäßig immer näher heran zu zoomen. Irgendwie gelingt es, irgendwie nicht. Ich fühle mich, als würde ich eine Treppe mit (kleinen) Stufen hinunter rutschen. Für mich funktioniert es ab da, wo der Blickwinkel klar ist.

Brass dachte an Trommeln.
Nun ja. Vermutlich hat er eher darauf gehört als daran zu denken. Natürlich geht beides. Aber welchen Sinn macht es (rein schlachttechnisch) Gehörtes auch noch zu denken. Und was denkt er? "Trommeln, Trommeln, trommeln, trommeln. Es trommelt. Es trommelt immer noch."
(Abgesehen davon: Ich glaube, das ist symptomatisch für die heutige Zeit, alles wird gedacht. Dafür gibt es ja auch viele gute Gründe. Aber zu Brassens Zeiten?)
Er könnte auch an nichts denken, weil er nur auf das Trommeln achtete. Das würde für mich eher nach "verschmelzen" klingen. Andererseits hast Du dann das Problem, dass er anschließend eine Menge mehr als nur "Trommeln" oder "es trommelt" denkt. Da ist der Fischer-Nachbar, die Aussteuer usw.

Der Mann vor ihm fiel oder floh oder verschwand oder war einfach nicht mehr da, sein erster Feind.
Findest Du das wirklich richtig so?
Weil, natürlich ist klar, dass der Mann vor ihm nicht sein erster Feind ist, aber mit Komma klingt es so.

Nie würde Brass diesen Anblick vergessen, als er in die Hocke ging, den Speer mit der rechten Hand fest hielt und ihn dem Feind von unten in den Leib trieb. Fell hatte der um seine Schulter gewickelt, Fell, wie man es anfassen und berühren konnte, wie um etwas daraus zu machen, das einen warm hielt. Schnell zog er den Speer heraus, hinter ihm schrie jemand: „Reiter“, und Brass blickte auf und tötete einen anderen und dann noch einen, es bereitete ihm nicht viel Mühe, der Speer von unten schien die wilden Fremden zu überraschen, die nach seinem Haupt oder seiner Brust schlugen, und er sank auf die Knie, ganz demütig, und tötete.
Natürlich kein schöner Absatz, in dem Sinne, dass dort Schönes erzählt wird. Aber für mich stimmt er. Außerdem finde ich die Demut gut gewählt. Sie verdeutlicht Brass und sie verdeutlicht das Dilemma des Tötens in einer solchen Schlacht.

wie Fische aus einem Teich, wenn die Reiher zurückkommen.
Das ist vllt arg spitzfindig, aber dieses Zurückkommen klingt nach Frühling. Soll es?

Dachte er, dass das Land seines Vaters doch, bei näherer Betrachtung, von ausreichender Größe sei? Dachte er daran, dass ihm niemand gesagt hatte, wie schnell Träume enden konnten und wonach sie dabei stanken? Dachte er daran, dass Geschichtsbücher weitergeschrieben wurden, ob mit oder ohne ihn?
Hätte diese unsinnigen Gedanken doch Brass gehabt.

Eine Drei-Personen-Sache
Das hier haut mich total raus. Eine Drei-Personen-Sache ist etwas Neuzeitliches. Schon der Begriff "Person" hat in Brassens Zeit nix verloren.
Ich weiß ja nicht, ob es Absicht ist. Wenn ja, verstehe ich nicht den Witz dabei.

Und man könnte sagen, es waren prächtige Burschen.
Das ist nett.
(hab später den kommentar von floritiv gelesen: Ich verstehe es so, dass man es wohl sagen könnte, es aber nicht tut.)

Manchmal konnte Brass nachts nicht schlafen, dann trank er.
Das ist mir irgendwie zu dick aufgetragen.

Jetzt hab ich mal ein paar andere Kommentare gelesen. Find die Figur des Brass eigentlich nicht reduziert, sondern ziemlich gut dargestellt, um zu verdeutlichen, was es heisst, ein Held und gleichzeitig Niemand zu sein. Im Grunde ist das ja die Schneide, auf der sich die Geschichte bewegt. Wenn Brass zu persönlich rüberkommt, zu dicht an den Leser heranrückt, geht die Allgemeingültigkeit, die Nichtigkeit, die in jedem Heldentum steckt verloren.
So versteh ich's jedenfalls.

LG
Ane

 
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Hallo Quinn!

Es tut not zu wissen, dass Brass ein einfacher Mann war.
Ja, sehr guter erster Satz, das genau will der ganze Text: Man soll etwas wissen, etwas Wichtiges, der Leser soll etwas erfahren über die Grundstruktur des historischen Gewebes meinetwegen oder wie Geschichte zustande kommt. Dieses "So war es wirklich und das sollst du, Leser! erfahren" steht hier ständig dem gegenüber, was an heroischen (darf ich das Wort hier verwenden? ;)) Geschichten erzählt wird, zuerst über den "übergroßen, übermenschlichen" Fürsten, dann die Ausschmückung der Schlacht durch die Festspiele, die nichts mehr vom eher zufälligen Heldenmut Brass´, von der Desillusionisierung des Fürsten weiß.
Der Ton, der da vor allem am Beginn angeschlagen wird, dieser altertümelnde Ton, der sagt ja auch was über den Erähler: Der ist noch Teil dieser Welt, die vage im Rittertum angesiedelt scheint. Aber er erzählt aus großer Distanz, er umfasst mit seiner Erzählung fast ein ganzes Menschenalter, um eine Entwicklung zu zeigen, um eine Mechanik zu frei zu legen, nämlich dass das Subjekt ganz den äußeren Umständen unterworfen ist, das Subjektive ist hier bedeutungslos, und das gilt sowohl für Brass als auch für den Fürsten, dessen Namen man nicht einmal erfährt.
dass das Blut, was aus seinem Mund kam, von einem solchen Rot war, dass Brass meinte, so müsse Blut aussehen, wenn es nachts vergossen werde. Ein unsinniger Gedanke, denn Pitt starb am hellen Tag. Aber Brass hatte viele unsinnige Gedanken.
Das ist schon interessant, wie Brass und der Fürst hier gegenübergestellt werden: Von Brass Gedanken darf man sozusagen nichts mehr erfahren, weil es ziemlich sicher gefährliche Gedanken sind, weil er ja seinen Freund sterben sieht. Er muss seine Träume, seinen Unsinn aufgeben, weil er in den Krieg ziehen muss, er gibt seine Individualität auf, sein bisheriges Leben wird abgeschnitten:
Das Marschieren nach Trommeln wird für jeden Mann das einzige, was zählt. Es ersetzt das Denken, Brass dachte nicht mehr an das Feuer in der Schänke, daran wie ihm die Arme weh taten, wenn er den Tag auf dem Feld verbracht hatte, dachte nicht mehr daran, wie sich Gras anfühlte nach einem Sommerregen, dachte nicht an den Geruch von Heu oder an das, woran du denkst, wenn du die Nase eines Pferdes anfasst, dachte nicht daran, wie schön es ist, wenn du dich einfach in eine warmen Ecke kauern kannst und einschläfst oder wie es ist, wenn du dir mit Schnee die Brust, den Rücken und den Schwanz abreibst, dachte nicht an Wein, nicht an Weib und nicht an die Würfelei. Brass dachte an Trommeln.
Auch der Fürst hat unsinnige Gedanken und Träume, aber die Macht ist auf seiner Seite und so darf er sie umsetzen:
Das erste Mal sah Brass den Fürsten, als er für ihn auf den purpurnen Feldern kämpfte. Damals waren die Felder braun und kahl. Purpur nannte man sie erst nach jenem Tag.
Der Fürst, aber das wusste Brass damals noch nicht, war ein junger Mann, dem die Rüstung seines Vaters noch zu weit war, des Vaters Schwert zu schwer, das Land des Vaters zu klein, zu kahl, nicht rot genug. Und vielleicht haben die alten Leute Recht, die sagen, dass das Schicksal mit rot geschrieben werde. Vielleicht haben andere Recht, die sagen, dass Geschichte von vielen kleinen Männern geschrieben wird und nicht von wenigen großen
Aber sein Individuum wird auch ausgelöscht, weil das, wie es wirklich war, nicht weitererzählt wird:
Was dachte der Fürst wohl in dem Augenblick? Dachte er, dass das Land seines Vaters doch, bei näherer Betrachtung, von ausreichender Größe sei? Dachte er daran, dass ihm niemand gesagt hatte, wie schnell Träume enden konnten und wonach sie dabei stanken? Dachte er daran, dass Geschichtsbücher weitergeschrieben wurden, ob mit oder ohne ihn? Die Antwort auf jene Fragen werden wir in keinem Buch finden, nicht am Fuße eines Monuments und nicht an eine Häuserwand gekrakelt, wir werden sie nicht in Liedern hören, nicht im Getuschel am Feuer und nicht einmal der Wind vermag es, sie uns zu flüstern. Es gibt Momente, die kann ein Fürst aus dem Gedächtnis der Welt tilgen, wenn er genug Zeit hat, und wenn er jemanden hat, wie Brass,
Brass wird zu einem leeren Menschen, er ist an seine Heldentat gebunden und sonst ist nichts mehr los mit ihm, er weiß nichts mit sich anzufangen, er kann nicht mehr an sein früheres, privates Leben anschließen. Er ist ein Kriegsheld, aber jedem lästig.
Und da der Mann, der beim ersten Mal den Feind gegeben hatte, schon vor dreißig Jahren gestorben war, fiel die Rolle nun an den Zweitgeborenen des Königs, der sich mit seinen feinen Händen schwer daran tat, den Hammer zu heben.
Ich mag diese Ironie hier sehr, dieser Zwiespalt zwischen dem, was wirklich war und der nachgespielten Schlacht, in der der echte Feind aber noch immer tot ist.
Bald lösten sich die Reihen auf und Brass erkannte linkerhand den weit gereisten Mann, der eine schönere Rüstung hatte als Brass, dem die rechte Seite aber hinab hing wie Fleisch in der Räucherkammer. Ein bärtiger Riese mit einer zweiblättrigen Axt sprang auf den weit gereisten Mann zu, Brass wandte seinen Blick nach rechts, wo er das Banner des Fürsten flattern sah.
Sehr schön, wie hier diese Rache von Brass ganz beiläufig erzählt wird.
aber jetzt – in der Schlacht auf den purpurnen Feldern wurden sie vom Antlitz der Erde gepickt wie Fische aus einem Teich, wenn die Reiher zurückkommen.
auch sehr schön, und: Das ist wohl das Gegenteil von Gewaltverherrlichung!
Was mir sehr gut gefallen hat in der Geschichte: Dieser Erzähler hat ja einen sehr distanzierten, umfassenden und zusammenfassenden Blick, und trotzdem gibt es einige Stellen, wo er ganz bei den Figuren ist, zum Beispiel das Gefühl der völligen Orientierungslosigkeit bei Brass am Beginn der Schlacht oder die Szene als der junge Prinz ihm ganz deutlich zeigt, dass der Heldenpart jetzt seiner ist und Brass eigentlich bereits tot. Das Banner ist ja wie eine Staffette, die hier an die jüngere Generation weitergegeben wird. Dass der echte Brass stirbt hat keine Bedeutung mehr, er hat seine Rolle längst erfüllt und niemand braucht ihn mehr, die Geschichte spuckt die echte Person Brass sozusagen aus, als Symbolfigur bleibt er erhalten. Und er selbst hält daran bis zum Schluss fest, weil es auch das Einzige ist, was ihm noch geblieben ist. Deswegen sein "Nicht", er verteidigt das Banner noch immer, obwohl er schon im Sterben liegt.
Mir gefällt die epische Breite der Geschichte, die trotzdem auch private Momente kennt, die der großen Geschichtsschreibung, der Weitererzählung durch die Festspiele entgegengesetzt sind. Mir gefällt der opjektive Ton der Geschichte, der trotzdem insgeheim gegen den Krieg spricht, indem nämlich das Private viel verlockender dargestellt wird. Mir gefällt, dass es eine Geschichte über das Erzählen ist, nämlich über das Verhältnis von Wahrheit und Überhöhung durch epische Dichtung. Mir gefällt, dass es auch eine Parodie auf Heldenepen ist, die aber genug tragische Momente hat, sodass man es auch ernst nimmt.
Es geht eben nicht um historische Genauigkeit, aber es geht sehr wohl um eine Moral: Es ist ganz sicher ein Text gegen den Krieg, denn der Heldenmut hier ist ein eher zufälliger. Da wird überhaupt nichts verherrlicht, sondern eher erzählt, WIE Heldenverherrlichung zustande kommt und was sie wert ist, nämlich: nichts.

Gruß
Andrea

Edit: Das passiert mir nicht oft: Ich habe die Geschichte mehrmals gelesen und habe das Gefühl, dass ich noch nicht alles gesehen habe, was darin steckt, was sehr für sie spricht.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Quinn,

grundsätzlich bin ich ein Fan deiner Geschichten und das hat auch immer viel mit der Raffinesse zu tun, mit der du Figuren entwickelst und mit der du deinen außergewöhnlichen Stil entfaltest.

Offensichtlich wolltest du stilistisch diesmal etwas ganz Anderes machen. Mir gefällt das nicht ganz so gut wie sonst. Diese pseudomittelalterliche Sprache wirkt an manchen Stellen irgendwie zu bemüht, da quietscht es richtig im Satzbau.

Und manche Stellen wirken holprig, nicht mittelalterlich holprig, dann wäre es ja wieder der Stil und täte passen, sondern anders holprig (ich gebe gleich noch Beispiele).

Bei jeder anderen KG hätte man die Figurenzeichnung und manche Beschreibungen als platt und klischeehaft bezeichnet (z. B. das mit der zu großen Rüstung des Vaters), hier scheint es zu funktieren. Für die meisten Leser jedenfalls. Ich tue mich damit schwer. Über Brass erfahre ich nicht viel, außer das er sich fast Russel-Crowe-mäßig durch ein Ridley-Scott-Szenario zu bewegen scheint (an manchen Stellen hörte ich so ein wenig die Musik von Hans Zimmer).

Im ersten Absatz beschreibst du in kurzen Abständen immer wieder das Bild des Würfelns am Feuer, das ich beim ersten Mal sehr eindrucksvoll fand, beim zweiten und dritten Mal dann überstrapaziert.

Worum es in der Geschichte gehen soll, ist soweit klar, durch die reale Schlacht, die dann anschließend später noch einmal nachgespielt wird, und die Verschachtelung der Rollen spielst du mit der Legendenbildung und zeigst den klassischen Antihelden, der nur durch Zufall zum Helden wurde (warum hatte ich da schon wieder Russel Crowe vor Augen ;-))

Zu dem Beispielen:

1.Zitat: Es tut not zu wissen, dass Brass ein einfacher Mann war.

Das liest sich echt komisch. Warum tut es not? Es macht Sinn, zu wissen viellecht, aber dass es not tut ... - du hast offensichtlich versucht, aus "nötig" oder "notwendig" eine andere Formulierung zu finden, aber ich weiß nicht ...

2. Zitat: Es wurde gelacht, getrunken und von Weibern ward gesungen.

Warum einmal so und dann so?

3. Zitat: sei ein stattlicher Mann, stark wie zwei Ochsen und größer als ein großer Mann mit einem mittelgroßen auf den Schultern.

Mir ist schon klar, dass hier der Versuch gemacht wird, eine zeitgemäße und bildhafte Beschreibung zu liefern. Aber zwei solche sehr gewagten Bilder in einen Satz gequetscht ist mir persönlich zu viel. Ich habe gerade das eine Bild mit den zwei Ochsen geschafft, und dann kommen die zwei Männer wie Akrobaten auch mich zu - das war mir zu viel! Und der zweite vergleich, mit 3 x "groß" - das liest sich echt nicht gut.

4. Zitat: Brass jedenfalls stand in Reih und Glied.

Vielleicht denke ich hier irgendwie verquer, aber meiner Ansicht nach können mehrere Personen in Reih und Glied stehen. Aber Brass allein, und das sagt dieser Satz aus, kann es nicht. Es ist schon klar, dass er da mit anderen steht, aber irgendwie ...

5. Zitat: Das Marschieren nach Trommeln wird für jeden Mann das einzige, was zählt. Man marschiert meines Erachtens nach Trommelschlägen oder zum Rhythmus der Trommeln, aber nach Trommeln zu marschieren liest sich sprachlich nachlässig. Oder meinst du "hinter Trommeln her zu marschieren"?

6. Zitat: Brass dachte nicht mehr an das Feuer in der Schänke, daran wie ihm die Arme weh taten, wenn er den Tag auf dem Feld verbracht hatte, dachte nicht mehr daran, wie sich Gras anfühlte nach einem Sommerregen, dachte nicht an den Geruch von Heu oder an das, woran du denkst, wenn du die Nase eines Pferdes anfasst, dachte nicht daran, wie schön es ist, wenn du dich einfach in eine warmen Ecke kauern kannst und einschläfst oder wie es ist, wenn du dir mit Schnee die Brust, den Rücken und den Schwanz abreibst, dachte nicht an Wein, nicht an Weib und nicht an die Würfelei.

Du wechselst mitten in der Beschreibung in die persönlichen Ansprachen, ins "DU". Hatte das einen bestimmten Grund, den Rhythmus zu ändern? Mich hat es gestört. Der Text hat eine sehr große Distanz zum Leser, weil er in einer anderen Zeit, einer anderen Welt, einer anderen Atmosphäre spielt, und die direkte Ansprache passt da meines Erachtens nicht ...

7. Lange war Brass eingekeilt in den Menschenmassen um ihn herum

Das empfinde ich als redundant. Wenn Brass eingekeilt ist, dann versteht es sich doch von selbst, dass die Menschenmassen um ihn herum sind.

Das sind so Beispiele, die mich immer irgendwie aus dem Text geworfen haben. Am Anfang mehr, später weniger. Irgendwo meinte ich auch, die Formulierung "Zur Kenntnis nehmen" gelesen zu haben, eine Formulierung, die man mehr aus dem Umgang mit Ämtern oder in Geschäftsbriefen findet, das passt nicht so zu der gewählten Sprache,

Die Stärken der Geschichte sind gelungene Momente, wo sich Sprache und erzeugte Atmosphäre gut verbinden, und die tragische Entwicklung der Figur deines Brass vom einfachen Mann zum unfreiwilligen Helden, der auf dem Schlachtfeld mehr aus Reflex an Größe gewinnt, und im Schauspiel seines eigenen Heldentums zu Randfigur verdammt am Ende einen unbemerkten Tod sterben musste.

Ich glaube, dieser Text war ein sehr ehrgeiziges Projekt, und du wolltest sehr viel, mit besonderer Sprache, viel Symbolik, mit dem Konzept, der Verschachtelung und den Bildern. Und möglicherweise wolltest du auch mal einen völlig untypischen "Quinn'schen" Text schreiben. Ich kann so was sehr gut verstehen :-)

Aber stellenweise - und ich hab versucht zu erklären wo - hat es mich nicht ganz erreicht.

Ich finde übrigens, du hast eine riesige, geradezu historische Chance vertan: Was für ein Text wäre das unter "Maskenball" gewesen!

Rick

P. S. nun sehe ich grad, die Story wurde doppelt empfohlen - so unterschiedlich können Lesermeinungen sein ;-)

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Quinn,

das ist ein wirklich eindrücklicher, gewaltiger Text, zu dem schon so viel Kluges gesagt wurde. Eine weitere Lobeshymne tut wohl kaum not.
Ich bin jetzt nur wegen des ersten Satzes noch einmal hierhergekommen, weil ich eben unter Ente Fisch von makksi in Ricks Kommentar dazu das las:

Rick schrieb:
Ich habe aber noch einen anderen bedeutsamen ersten Satz gefunden: Der steht in Quinns aktueller Geschichte. Der Satz hat mich dermaßen beschäftigt, dass ich heute Morgen beim Laufen eine Stunde lang fast nur darüber nachgedacht habe. "Es tut Not ..."

Und im Kommentar zu deiner Geschichte schreibt Rick:

Es tut not zu wissen, dass Brass ein einfacher Mann war.

Das liest sich echt komisch. Warum tut es not? Es macht Sinn, zu wissen viellecht, aber dass es not tut ... - du hast offensichtlich versucht, aus "nötig" oder "notwendig" eine andere Formulierung zu finden, aber ich weiß nicht ...

Ja, selbst Friedrichard bezeichnete deinen ersten Satz als:

Friedrichard schrieb:
... seltsame Konstruktion, die altertümelnd tut, aber doch gerade hier erst erfunden wird ...

Und da musste ich mich halt schon wundern, weil mir diese Formulierung seit meiner Kindheit (ich bin Österreicher) nicht nur absolut geläufig ist, im Sinne von notwendig sein, sondern ich sie nach wie vor auch in meiner Alltagssprache gebrauche. Ich habe in den letzten Tagen einige Leute darauf angesprochen, ob sie den Ausdruck irgendwie ungewöhnlich oder fragwürdig fänden, mit dem Resultat, dass er eigentlich von den meisten selbst verwendet wird.

Das wollte ich jetzt einfach einmal gesagt haben.

offshore

 

Ich habe es ja nun mal gegoogelt, und da ich alles glaube, was sich ergoogeln lässt, weiß ich nun, dass diese Formulierung die veraltete Form von nötig bzw. notwendig ist. Deswegen tut mich das jetzt auch nicht mehr stören, es las sich bloß ... ungewohnt. Aber gerade diese ungewohnte Sprache ist ja ein wesentlicher Bestandteil des Textes, also täte es aus meiner Sicht nicht not, den Einstieg einer Veränderung zu unterziehen.

Vielleicht müssen wir (oder besser gesagt ich) nur wieder lernen, auch älteres Wortgut in Geschichten zu akzeptieren, wenn es dazu beiträgt, den Charakter dieser Geschichten zu veredeln.

In meinem Bekanntenkreis sagt keiner mehr "Es tut not", das wäre mir aufgefallen. Aber ich werde das jetzt mal wieder einführen ;-)

Rick

 

@Rick

Aber für viele, die Stellen aus Werner beinhart auswendig zitieren können, gehört: "Es tut not" seit der Kindheit zum eigenen Wotschatz. Als nämlich Röhrich fragt: Tut das not, dass das Moped so laut ist?"

Wollt ich nur klarstellen, dass mir dieser Ausdruck überhaupt nicht altmodisch erschienen ist, ich hatte da eher das Gefühl von Umgangssprache in Norddeutschland. Schon seltsam.

 

Als Lollek es eben erwähnte (Werner) fiel es mir wie Schuppen von den Augen, und ich dachte nur: Na klar! :D

Ich finde, es ist ein guter, ein gelungener Einstieg, er klingt originell.

 

He, ganz genau, Lollek, im Norden Deutschlands redet man so, ich komm aus Frankfurt und kenn das. War zweimal in meinem Leben in Hamburg und jedes Mal traf ich mindestens einen kleinen Mann, der angesichts des einsetzenden Regens sagte: Tut das nu Not?
Ich brech auch mal eine große Lanze für altertümliche und/oder für regionale Ausdrucksweisen, die sind doch schön. Warum soll man sich denn sprachlich einschränken?

 

Hallo Quinn,
Ich finde, du lieferst hier ein hervorragendes Beispiel, was man aus einem Standardplott noch herausholen kann.
Sprachlich habe ich nichts mehr auszusetzen. Die altertümliche Sprache war für mich stimmig und sie ist die eine Hälfte, die den Reiz der Geschichte ausmacht.
Es gibt dann einige sehr starke Absätze

Was dachte der Fürst wohl in dem Augenblick? Dachte er, dass das Land seines Vaters doch, bei näherer Betrachtung, von ausreichender Größe sei?
hier legst du dem Leser nahe, selber zu denken - viele hätten den Fehler gemacht, jetzt in die Gedanken des Fürsten zu schwenken, doch so: distanziert und doch dem Leser nahe bringend: ein gelungenes Lehrbeispiel

lg
Bernhard

 

Hallo Ane,

Hier weckst Du Erwartungen, die Du nicht erfüllst. Oder anders: Ich achte mal darauf, ob ich ihn noch bei einem unsinnigen Gedanken erwische.
Ja, das stimmt. Andrea sagt in ihrem Kommentar, dass Brass mit der Heldentat auch aufhört zu existieren. Diese Blackbox, die der Held ist, Zugang zu seinen Gedanken und Gefühlen – den verwehrt die Geschichte. Hier am Anfang hat man diesen Gedanken, dass Pitts Blut aussieht, als wäre er in der Nacht gestorben, das ist der einzige.
Ich hab das in letzter Zeit häufiger, dass die Erzähler in den Geschichten irgendwas sagen, dass gar nicht stimmt oder sich in der Geschichte nicht wiederfindet, ich weiß nicht, mich reizt das. Wenn der Leser diesen Gedanken hier hat und dann in der weiteren Geschichte schaut, ob noch sowas kommt, das wäre schon gut, finde ich, dann sieht er vielleicht, dass Brass gar nicht mehr viel denkt.

Hm. Irgendwie passen diese Gedanken an viele Stellen der Geschichte. Man könnte sie an den Anfang setzen (aber dann wäre der gute erste Satz dahin) oder irgendwo an den Anfang der Schlacht. Ich meine nur, sie sollten irgendwo stehen, wo sie gezielter wirken. Hier klingt es so nach: Übrigens, was ich mal ganz allgemein zu großen Schlachten sagen wollte ...*
Das ist sprachlich und inhaltlich auch der schwächste Absatz der Geschichte, denke ich, da muss ich noch mal was mit machen.

Nun ja. Vermutlich hat er eher darauf gehört als daran zu denken. Natürlich geht beides. Aber welchen Sinn macht es (rein schlachttechnisch) Gehörtes auch noch zu denken.
Jau, ist halt stilistisch der Gegensatz: Dachte nicht, dachte nicht, dachte nicht, dachte.

Das hier haut mich total raus. Eine Drei-Personen-Sache ist etwas Neuzeitliches. Schon der Begriff "Person" hat in Brassens Zeit nix verloren.
Ja, das stimmt. Das ist die Gefahr bei so einem Text, am Anfang waren noch viele solche kleinen Sachen drin, die diese Sprache eher zu einem Kompromiss zwischen damals und heute machen, und nach und nach sind immer mehr rausgeflogen und die verbliebenen stören jetzt umso mehr.

Wenn Brass zu persönlich rüberkommt, zu dicht an den Leser heranrückt, geht die Allgemeingültigkeit, die Nichtigkeit, die in jedem Heldentum steckt verloren.*
So versteh ich's jedenfalls.
Ja, ich denke das ist eine sehr interessante Lesart.

Hab mich über dienen Kommentar sehr gefreut, vielen Dank
Quinn

Hallo Andrea,

Dieses "So war es wirklich und das sollst du, Leser! erfahren" steht hier ständig dem gegenüber, was an heroischen (darf ich das Wort hier verwenden?) Geschichten erzählt wird, zuerst über den "übergroßen, übermenschlichen" Fürsten, dann die Ausschmückung der Schlacht durch die Festspiele, die nichts mehr vom eher zufälligen Heldenmut Brass´, von der Desillusionisierung des Fürsten weiß.
Ja. Ganz genau. Das Leben wird zum Karneval, zur Umkehr der Verhältnisse hier. Der einfache Mann rettet den großen, die Menschen werden zu Figuren.
Wir haben diese Mythen in unserer Zeit eher in der Religion, in Traditionen (was hat Jesus am Kreuz gedacht?)
Ich stell es mir vor, hier in dieser Geschichte, da machen sie in 500 Jahren einen Feiertag draus und keiner weiß mehr, warum man da eigentlich nicht ins Büro muss. Und vielleicht macht Weihnachten dann einer einen Blockbuster und zeigt, was Brass WIRKLICH in der Schlacht gedacht hat. Die Passion des Brass oder so.

Das ist schon interessant, wie Brass und der Fürst hier gegenübergestellt werden: Von Brass Gedanken darf man sozusagen nichts mehr erfahren, weil es ziemlich sicher gefährliche Gedanken sind, weil er ja seinen Freund sterben sieht. Er muss seine Träume, seinen Unsinn aufgeben, weil er in den Krieg ziehen muss, er gibt seine Individualität auf, sein bisheriges Leben wird abgeschnitten:
Das ist ja das, was Brecht in den Gedanken eines lebenden Arbeiters auch sagt. Dass die „großen“ Männer den Rest verschlucken. Auch in unserer Erzähltradition gab es ja lange, lange die Idee (bis Agatha Christie fast noch), dass es sich nicht lohnt über das „einfache Volk“ zu schreiben, weil die gar nicht zu Emotionen und Gedanken fähig sind, von denen es sich lohnen würde, sie aufzuschreiben, sondern es brauchte immer Adel, die Aristokratie, die Mythenwelt, auch wegen Fallhöhe usw.
Also dass man das „einfache Volk“ erzählerisch wegradiert, hat eine lange Tradition in unserer Erzählkultur. Im trojanischen Krieg geht es nur um die Helden, um die herausragenden Adelsfamilien, wenn du da nicht dazu gehörst, kannst du maximal noch eine Bettgeschichte, eine Sklavin oder ein Waffengefährte werden, aber mehr ist nicht drin. Gibt im trojanischen Krieg diese wunderbare Figur des Ajax, der alles richtig macht, aber sich an einem Liebling der Götter, an Odysseus, zu vergreifen droht, weil der ihn reingelegt hat.
Da tut sich auch die Geschichte auf und verschluckt Ajax. Warum? Wenn man mal davon ausgeht, dass es keine Pallas Athene gibt und der Olymp ziemlich leer ist, dann entscheidet sich da Homer, der Erzähler, gegen eine Randfigur und für den Helden seines nächsten großen Hits. Was weiß man heute noch von Ajax? Ein Hundename ist es geworden.
Ajax – mit Sicherheit eine der frühesten literarischen Ungerechtigkeiten in unserer Erzähltradition. :)

Aber sein Individuum wird auch ausgelöscht, weil das, wie es wirklich war, nicht weitererzählt wird:
Ja, ich denke, es hat Jahrhunderte gebraucht, bis wir da erzählerisch wieder waren, wo man mit Achill angefangen hat. Propaganda und Funktionsliteratur verschluckt das Individuum.
Böse Zungen sagen ja, das Christentum sei deshalb eine Weltreligion und so ein Erfolg geworden, weil es da eben doch in den Figuren dann ein Individuum zu sehen war, in Petrus z.b. Dass man da in der Verklärung einen Menschen sehen kann, was vielleicht in anderen Religionen oder im Alten Testament noch nicht so möglich war.
Das ist interessant, wir lesen ja kaum noch Sagen oder Geschichten aus einer Zeit, in denen Drachen und Schlachten und Abenteuer den Menschen noch viel näher waren. Sondern wir gehen immer wieder in diese Zeit und in die Thematik zurück und erzählen sie mit den Mitteln von heute. Und das sind nicht nur die sprachlichen Mittel, sondern wir setzen in diese Zeiten Individuen und geben denen Konflikte, Bedürfnisse und Gedanken, die denen – in der damaligen Zeit – nicht gegeben wurden.
Ich beobachte das mit einiger Fasziniation. Da muss man auch gar nicht bis ins Mittelalter zurückgehen. Mad Men ist im Prinzip die Serie, die in den 50er Jahren hätte laufen müssen, aber das Fernsehen war überhaupt nicht so weit.
Lied von Eis und Feuer – was man für eine Literatur braucht, was man für eine Erzähltradition braucht – um diese Welt zu beschreiben, da ist die Erzähltradition 600 Jahre älter als das, was da beschrieben wird. In der Welt selbst gibt es noch Lagerfeuer-Sagen, Fabeln und Spottgesänge und die Romane, die davon handeln – es ist gar nicht vorstellbar, dass die schon vor 40 Jahren hätten geschrieben werden können. Sondern da brauchte es dann bestimmte „neuzeitliche“ Ideen, was Erzählanlage, Szenenaufbau, Entwicklung usw. angeht.
Ich find das richtig spannend grade. Es ist ja in den Leuten – so diagnostiziert man jedenfalls – eine Sehnsucht nach diesen „einfacheren“ Zeiten, wenn man mal durchschaut, die großen Erfolge der letzten Jahre: Herr der Ringe, Harry Potter, Twilight und Hunger Games – da sind wir überall bei Pfeil, Bogen, Klauen, Pferd, Zauberstab, Liebe, Heldenmut, Verrat, paar von den Sachen spielen in unserer Zeit, paar sind sogar postapokalyptisch, aber im Kern ist das eine Rückwendung in eine Welt, die mit unserer nichts mehr zu tun hat, und die es gar nicht gegeben hat oder nicht geben wird, in so eine Art Fantasy-Vergangenheit. Wenn man guckt, was in den letzten 10 Jahren salonfähig wurde und wo der Massengeschmack hingeht - da muss man schon mal durchatmen.

*Da wird überhaupt nichts verherrlicht, sondern eher erzählt, WIE Heldenverherrlichung zustande kommt und was sie wert ist, nämlich: nichts.
Es ist halt Funktionsliteratur, das sollte man sich bei vielen Sachen klar machen, denke ich. Was Propaganda ist, wofür man Helden braucht, wie das auch pervertiert werden kann.
Ich wollte einfach in dieser Geschichte auch nicht nur Meta schreiben, sondern auch einfach diese Geschichte erzählen auf eine Weise, die dem Leser erlaubt, da die Lücken zu füllen. Es sind ja wirklich – im Grunde – nur vier Szenen, nur vier Schlaglichter auf das Leben hier, die Geschichte ist im Verhältnis zu dem, was sie erzählen will, wieder sehr kurz.
Es freut mich wirklich und das macht mich auch stolz, dass mit so wenig Text eigentlich so viel passieren kann.

Ich hab mich sehr über deinen Kommentar gefreut, ich bin wenig darauf eingegangen, sondern hab viel darüber gelabert, was mir selbst noch im Kopf rumgeht zu der Geschichte, aber ich hab das alles gelesen und find das sehr beeindruckend und gut, danke auch für die Empfehlung, ich steh da drauf, das pinnt so eine Geschichte ein bsischen fest
Gruß
Quinn

Hallo Rick,

Über Brass erfahre ich nicht viel, außer das er sich fast Russel-Crowe-mäßig durch ein Ridley-Scott-Szenario zu bewegen scheint (an manchen Stellen hörte ich so ein wenig die Musik von Hans Zimmer).
Ja, das ist schon die Gefahr. Ich denke bei so einer Geschichte hat man halt klare Klippen, dass diese – da hast du völlig rechte – pesudomittelalterliche Sprache lächerlich wirkt, und dass man diese Conan der Barbar-Ästhetik drin hat. Das fände ich auch nicht gut, bei dir kamen dann genau die Assoziationen hoch, da knallt die Geschichte natürlich richtig gegen die Klippen.

Ich weiß nicht, ich schreib ja normal keine Fantasy, vielleicht geht das, wenn man mehr Routine kriegt, dann leichter, aber wenn ich an einen Satz komme und mich frage, ob da ein „ward“ vielleicht gut ist, dann ist das immer das erste Mal. :)

Also ich werd mir den Text noch genau anschauen auf deine Detailanmerkungen hin, es ist halt schon schwierig, es war mal ein Experiment, ich denke, es lief jetzt ganz gut, ich würd auch nicht für jede Wendung und jede Formulierung die Hand ins Feuer legen können.

Ich setz mich da nochmal dran.

Ich finde übrigens, du hast eine riesige, geradezu historische Chance vertan: Was für ein Text wäre das unter "Maskenball" gewesen!
Wäre interessant gewesen, stimmt.
Ich mach mir da eigentlich nicht so einen Kopf drum, ich hab ja in den letzten Jahren relativ wenig hier eingestellt und ich fand auch vorher hatte ich schon eine ganz ordentliche Bandbreite. Es tut dann schon weh, wenn einer sagt: Warum schreibst du denn diese pseudo-kunst-scheiße, mach doch mal wieder richtig Action oder wenn jemand fanta4mäßig sagt: Die alten Sachen fand ich ja ganz gut, die neuen nicht. Oder: Du solltest NUR Horror schreiben.
Oder: Ich vergleich alles, was du jetzt schreibst, mit meiner Lieblingsgeschichte von dir.
Das nervt schon, klar, aber gibt auch echt schlimmeres. Wenigstens lesen die Leute es und haben klare Vorlieben. Es ist doch auch was schönes, wenn dich einer mit einer bestimmten Geschichte in Verbindung bringt und die noch im Kopf hat, wenn er an dich denkt. Das zeigt doch, dass man Geschichten schreibt, die noch weiterleben, wenn man sie weggeklickt hat. Ich finde das zählt viel.
Und wenn einer sagt – wie du übrigens -: Quinn braucht da nichts einstellen, den erkenne ich IMMER, dann ist da natürlich ein Teil in mir, der dann sagt. Wollen wir doch mal sehen!

Vielen Dank für deine Kritik, Rick, auch die Beschäftigung mit den Details, ich setz mich nochmal ran
Quinn

Hallo ernst offshore,

das ist ein wirklich eindrücklicher,*gewaltiger*Text, zu dem schon so viel Kluges gesagt wurde. Eine weitere Lobeshymne tut wohl kaum not.
Ja … sollte man meinen nicht? Also Lob darf sich ruhig wiederholen, Kritik natürlich auch.
Es ist für mich interessant, wenn einer was zu der Geschichte sagt, weil dann bei mir eben auch wieder neue Prozesse losgehen, die dann zur nächsten Geschichte vielleicht führen, ich kann das schwer sagen, dieses Unterbewußtsein und was da läuft und Kreativität und so – weiß der Geier.

Zu dem „tut not“: Genau das, was Novak gesagt hat.

Danke dir für deine kurze Rückmeldung!
Quinn

 

Hallo Quinn,

noch eine Rückmeldung von mir dazu: Du hast mit deinem Namen bei mir als Leser eine Erwartungshaltung geprägt. Du hast vorher schon sehr variantenreich geschrieben und viele Felder bedient, aber in der Fantasy-Ecke habe ich dich eher nicht gesehen. Ob du es willst oder nicht, ich lese deine Texte dann anders, als wenn ich nicht wüsste, dass sie von dir sind. Ich kann mich ja gar nicht dagegen wehren.

Auf der anderen Seite hätte ich den Text, wäre er nicht von dir gewesen, gar nicht gelesen ;-) Die Fantasy-Ecke ist für mich so interessant wie meine Steuererklärung, das ist nix für mich.

Ja, komisch, wenn man hier ein paar Sachen geschrieben hat, liegt man bei den Forumskollegen in einer Schublade, ob man will oder nicht.

Fakt ist, dass jene Besonderheiten, die ich an deinen Texten sprachlich und stilistisch so schätze, hier nur sehr eingeschränkt und einer völlig anderen Sprache verpflichtet zum Tragen kamen. Aber ich bin mir sicher, dass dir genau DAS beim Schreiben Spaß gemacht hat. Und genau darum geht es ja!

Rick

 

Ich hab am Wochenende noch mal die Geschichte und die Kommentare dazu durchgeschaut und hab zu meiner Schande entdeckt, dass ich den Kommentar von Bernhard über sehen habe, der muss sich mit der einen Mammutantwort über schnitten haben.

Also lieber Bernhard, war nicht bös gemeint, war nur schlechtes Timing. Auch dir vielen Dank, dass du die Geschichte gelesen und kommentiert hast. Das Feedback ist einfach wichtig, und wenn so eine Geschichte vielen gefällt, auch vielen verschiedenen Lesern, dann macht das schon Mut und Lust darauf, auch mal neue Sachen auszuprobieren.

Gruß
Quinn

 

Hallo Quinn!

Was mir bei deinen Geschichten (jedenfalls bei dieser und dem Herrn Focks) sehr gefällt, ist, dass du dir immer eine Menge Gedanken zur Erzählperspektive und zur Natur des Erzählers machst. Die Perspektive wird so gewählt, dass du das Maximum aus dem Stoff herausholen kannst. Dieser "Märchenonkel" passt hier sehr gut und gibt dem Geschehen eine gewisse Färbung, die eine simple personale Perspektive so nicht liefern könnte. Die Abschweifungen, die er in seine Erzählung reinpackt, diese Stellen, die dann im Präsens eine allgemeine Gültigkeit bis in die Gegenwart des Märchenonkels anzeigen, das ist schon gut gemacht. Auch leistet er sich gewisse Kauzigkeiten,

oder an das, woran du denkst, wenn du die Nase eines Pferdes anfasst

die ihn fast schon ein wenig liebenswürdig wirken lassen.

Zur Figur: Brass bleibt immer passiv und sich damit treu. Selbst während der Schlacht, als er von den Umständen gezwungen wird, aktiv zu werden, hat man das Gefühl, dass nicht Brass selbst aktiv wird, sondern der Erzähler, der Brass erzählend mitschleift, ob dieser nun will oder nicht. Und danach wandelt sich das Ganze von einer Heldengeschichte zur Geschichte eines Helden, der von der Vergangenheit zehrt. Bis sie ihn einholt.
Hat mir sehr gefallen, für mich die beste Fantasygeschichte 2013.

Viele Grüße
Blaine

 

Hallo Blaine,

danke für den Kommentar. Ja, mir ist die Erzählperspektive in vielen meiner Geschichte wichtig, ich denke das ist auch das große Plus des Mediums Literatur, das in dieser Erzählperspektive immer etwas Individuelles steckt und dass man den Stoff noch einmal durch einen Filter sieht und dabei auch etwas über diesen Filter lernt.
Ich denke das kann, auch wenn es hochtrabend klingt, uns Literatur immer wieder zeigen, dass es verschiedene Perspektiven auf ein Problem gibt und dass es andere Wahrheiten und Sichtweisen und "Ich"s außerhalb der eigenen Erfahrungen, Wahrnehmungen und Wahrheiten gibt. Das klingt so banal, aber ich denke das ist der Kern der Literatur und auch ihre vornehmste Funktion.
Ich hab es in meinen Geschichten am liebsten, das ist aber auch jedesmal schwierig finde ich, wenn der Leser den Erzähler hinterfragt. Damit geht aber auch immer einiges an Leichtigkeit und Eleganz im Stil verloren und die Handlung leidet oft darunter - wenn ich das mal dauerhaft hinbekomme, bin ich ein großes Stück weiter.

Der Märchenonkel-Erzähler hier ist ja auch eine Art Karikatur auf diese Art von großem Schöpfungsmythos. Ich hatte hier bei der Geschichte tatsächlich so ein bisschen die Heldenverehrung in kommunistischen und sozialistischen Systemen im Auge, wenn man da sagt: Der Bauer dort - auf den baut unser Staat. Oder: Dieser Handwerker hat den Schlüssel in die Räder der Maschinen geworfen, ihm haben wir zu danken! Das ging mir im Kopf rum, als ich den Text geschrieben hab.

Das mit dem Erzähler, der Brass mit durch die Geschichte schleift, ist eine schöne Idee.

Freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat
Quinn

 

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