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Copywrite Aromatherapie

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24.01.2009
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Aromatherapie

Als ich die Wohnung betrete, liegt Kati in Strichmännchen-Stellung auf dem Fußboden; was soviel bedeutet, wie, sie will jetzt nicht gestört werden, weil sie atmet. Ich steige über sie hinweg und ärgere mich über ihre Soziologiebücher, die Kati aus ihrem Zimmer aus- und auf dem Küchentisch wieder eingelagert hat. Die Bücher und anderes Zeug.
Ich will Wasser für Tee aufsetzen und suche in dem Chaos nach meiner Garfield-Tasse. Schließlich finde ich sie im Kühlschrank, mit einer Restpfütze Tee und dem dazugehörigen Beutel. Kati stellt gern Dinge in den Kühlschrank, auch wenn wir Platz in der Küche haben. Sie sagt, das seien noch Nachklänge ihrer Kindheit.
Als ich den Wasserkocher fülle, rappelt sie sich auf. „Muss das jetzt sein?“
„Ich mach mir nur schnell einen Tee“, flüstere ich.
„Aber ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du so klapperst.“
„Dann geh halt in deinem Zimmer atmen“, sage ich und schäme mich sogleich dafür.
„Das war gemein“, sagt sie.
„Tut mir leid. War nicht so gemeint.“ Das meine ich ernst. Kati ist letzte Woche von ihrem Freund verlassen worden, hat sich daraufhin drei Tage in ihrem Zimmer verbarrikadiert, am vierten kam sie rausmaschiert, hat sich eine Pizza in den Ofen geschoben, ein Bier aufgemacht und gesagt, sie müsse etwas unternehmen, sein Geruch hängt da überall fest, weshalb sie Unmengen von Duftkerzen und -stäbchen im Zimmer verteilt hat. Ich weiß nicht, ob sie ihn damit ersticken oder ausräuchern will. Jedenfalls betritt sie ihr Zimmer jetzt nur noch, um nach den Kerzen zu schauen, oder um etwas herauszuholen, was sie dann später in der Küche zwischenlagert.
„Wie lange glaubst du, wird es noch dauern, bis seine Aura dein Zimmer verlassen hat?“
„Zehn Tage“, sagt sie. „Zehn im Ganzen.“ Dann legt sie sich wieder auf den Fußboden und schließt die Augen.
Ich rechne nach und stelle fest, dass ab morgen wieder alles beim alten ist. Auch Kati. Die tickt so. Erst kommt die Leidensphase, dann die Bekämpfungsphase mit festgesetzter Dauer und dann, Fingerschnipp, ist sie wieder völlig "normal". Wie sie das macht, wird eines ihrer vielen Geheimnisse bleiben, aber eines, um das ich sie beneide.
„Du warst heute Nacht nicht zu Hause. Erzähl, wie war er?“, sagt sie, während sich ihr Bauch hebt und senkt, hebt und senkt, hebt und senkt.
„Kein gutes Thema“, sage ich.
Sie setzt sich auf und schaut mich erschrocken an. „Hat er keinen hoch bekommen?“
„Doch“, sage ich.
„War es Mauerblümchensex?“
„Nein“, sage ich.
„Also, ihr hattet Sex. 'Mister-ich-will-den-unbedingt-haben' hat dich flachgelegt. Und er war nicht verklemmt? Habe ich das soweit richtig verstanden?“
„Hast du.“
„Hat er dir nichts zum Frühstück angeboten? War er schon weg, als du in seinem Bett aufgewacht bist? Putzt er sich morgens nicht die Zähne? Ist er Veganer? Was ist sein Problem?“
„Sein Vater“, stammle ich.
„Hast du eben sein Vater gesagt?“
„Hab ich“, sage ich.
„Versteh ich nicht.“
„Ich auch nicht. Es ist vollkommen schräg und verrückt.“
„Okay“, sagt Kati. „Ich habe Zeit.“
„Okay“, sage ich. „Ich mach mir nur eben den Tee fertig.“
„Bring Schokolade mit. Ist in der Tüte auf dem Boden. Hab eingekauft.“
Mit Tee und Schokolade setze ich mich neben sie auf den Boden. Ich lehne mich an das Sofa, Kati sitzt aufrecht im Schneidersitz neben mir.
„Es war wirklich schön. Wir waren im Freiluftkino. Er hatte Erdbeeren und Schlagsahne mitgebracht.“
„Erbeeren und Schlagsahne.“ Kati lacht. „Wie süß“, sagt sie, dabei hat sie "süß" vorher in Tabasco getaucht.
„Ich fand das nett.“
„Klar fandest du das nett. Erzähl weiter.“
„Dann sind wir zu ihm nach Hause und kamen mitten in das Gewitter. Bis auf die Haut durchgeweicht, standen wir im Hausflur. Und da fing es an.“
„Ihr habt gefummelt.“
„Ja.“
„Ich will Details, Luzie. Ich bin eine Wüstenblume.“
„Wir also nach oben, zu ihm in die Wohnung, und raus aus den nassen Klamotten und-“ Ich breche ab und schaue Kati an. „Ich will dir das nicht im Detail erzählen.“
„Keine Chance? Nicht mal eine kleine?“
„Nein.“
„Dich hat es voll erwischt. Oh Mann. Okay. Wie ging es weiter?“
„Also, es war gut.“ Kurz halte ich inne, dann korrigiere ich mich. „Es war verdammt gut. Und heute Morgen, wir wollten gerade zur Wiederholung ansetzen, kommt sein Vater mit Brötchen zum Frühstück.“
„Okay“, sagt Kati und zieht die vier Buchstaben auf die Wortlänge von Denkmalschutzbeauftragter.
„War am Anfang auch ganz nett. Hat mich begrüßt und sich gefreut, hat mir ein Kompliment gemacht, war auch gleich so offen und herzlich. Wir drei haben uns unterhalten, über die Kirche und den Papst und so, und dann ist mir irgendwann aufgefallen, dass der Vater mich so anguckt. Du weißt schon. Und dann hat er von einem Date mit einer Frau erzählt, und die hätte ihn scharf gemacht, wollte aber am Ende nicht, und sein Fazit war, dass wir Frauen immer nur so auf Unschuld machen, dabei brauchen wir es. Biologie und so. Und ich schwöre, als er das erzählt hat, haben seine Augen mich gefickt.“
„Das ist hart. Was hast du gemacht?“
„Ich bin vom Tisch aufgestanden und ins Badezimmer, habe abgeschlossen und ein Handtuch vor das Schlüsselloch gehängt, habe geduscht und gehofft, dass er weg ist, wenn ich fertig bin.“
„Und? War er?“
„War er.“
„Gut.“
„Nicht gut.“
„Weil?“
„Weil dann Nik kam.“
„Mister-es-war-so-schön-letzte-Nacht.“
„Genau. Und ich wollte ihn auch. Wir also die Klamotten wieder aus und Finger hier und Hände da-“
„Ein einziges kleines Detail, bitte“, fleht Kati. „Ich spendiere auch eine zweite Schokolade.“
Ich schaue auf das leere Silberpapier und lass mich erpressen.
„Okay. Aber erst holst du die Schokolade“, sage ich.
Sie steht auf und springt in die Küche, wühlt in der Plastiktüte und kommt mit einer Tafel Erbeer-Sahne-Schokolade zurück.
„Nett“, kommentiere ich die Auswahl. Kati schaut mich an und zuckt mit den Schultern.
„Detail!“
„Also, wir waren auf seinem Sofa. Ich saß auf der Lehne und Nik- Das ist mir echt zu blöd. Ich kann das nicht.“
„Hat dich geleckt“, setzt Kati meinen Satz fort.
„Ja“, sage ich und werde bestimmt rot.
„Wo waren seine Hände zu dem Zeitpunkt?“
„Was?“
„Du hast mich schon verstanden.“
„Ist egal, weil jetzt kommt mein Problem.“ Ich breche mir von der Schokolade vier Felder ab. „Als ich ihn irgendwann anschaue, sehe ich nicht Nik, sondern seinen Vater vor mir hocken.“
„Verdammt.“
„Ich bin wie eine Irre aufgesprungen und hab geschrien und Nik hat mich so fassungslos angestarrt und ich habe nach der Schrecksekunde fassungslos zurückgestarrt, und als ich mich beruhigt hab, hab ich es ihm erzählt, und er hat es überhaupt nicht verstanden, aber so getan, als würde er es verstehen, und hat mich in den Arm genommen, und wie ein Kind hin- und hergewiegt.“
„Heftig. Und dann?“
„Dann haben wir Kaffee getrunken und es später nochmal versucht.“
„Und?“
„Als wir gerade so in Fahrt kamen, habe ich wieder seinen Vater gesehen. Ich habe seinen Vater geritten. Das war so widerlich!“
„Ich nehme an, ihr habt abgebrochen“, analysiert Kati die Situation.
„Ja.“
„Und es dann nicht noch einmal probiert.“
„Nein.“
„Du hast 'ne Macke“, sagt Kati nüchtern.
„Ich weiß“, sage ich.
Wir sitzen schweigend nebeneinander und essen die Schokolade auf. Und dann bekommen Katis Augen diesen Glanz und sie sagt: „Ich weiß. Aromatherapie.“
„Aromatherapie?“
„Auf jeden Fall.“
„Hast du gerade 'ne nasale Phase?“
„Wie kommst du da drauf?“
„Nur so“, sage ich, muss aber auch nicht weiter erklären, weil Kati schon wieder in die Küche gesprungen ist und in der Tüte kramt. Hoffentlich kommt sie jetzt nicht mit noch einer Schokolade an. Tut sie nicht. Stolz präsentiert sie mir ein braunes Plastikfläschen. Mandelpeeling lese ich auf dem Etikett. „Und?“, frage ich.
„Rieche dran“, befiehlt sie.
Ich öffne die Flasche und rieche. „Lecker“, sage ich. „Wie Marzipan.“
„Genau. Und jetzt riechst du dran und denkst an deinen Mister-wir-kriegen-das-schon-wieder-hin.“
Ich tue was sie sagt. Nach zwei Minuten frage ich sie, was das bringen soll.
„Wir müssen Geruch und Nik in deinem Kopf zu einer Einheit bringen. Und bevor ihr das nächste Mal poppt, duschst du vorher. Und dann ist da dieser Geruch an dir, und der haucht deinem Hirn ständig den Namen Nik und sein Bild ein. Verstehste?“
„Und das funktioniert?“
„Pawlowscher Reflex.“
„Ich weiß nicht“, sage ich. „Müsste ich dazu nicht Duft und Nik zusammen aufnehmen, um später über den Duft die Nik-Rezeptoren zu aktivieren?“
„Du nimmst das schon wieder viel zu wörtlich, Frau Linguistin.“
Es gibt Schlimmeres, als an Mandelpeeling zu riechen und dabei an Nik zu denken. Warum also nicht?
„Und jetzt noch der Name des Vaters.“
„Konrad.“
„Und der Nachname?“
„Brauer. Wozu willst du das wissen?“
„Telefonbuch“, sagt sie und mir schwand nichts Gutes. Kati macht keine halben Sachen. Als Kind hat sie mal ein Meerschweinchen mit einem Puppenhausdach geröncht, das war danach tot. Hat sie erzählt. Ich sehe Bilder, in denen Kati Niks Vater wirklich sehr weh tut.
„Ich geh mal in mein Zimmer“, sage ich und stehe auf. „Riechen.“
„Okay“, sagt Kati, legt sich wieder flach auf den Boden, schließt die Augen und atmet in ihren Bauch.

Die nächste Nacht, die ich mit Nik verbringe, ist mit Sicherheit eine von denen, die es in die Top-Ten geschafft haben. Vorher hatte ich stundenlang in meinem Zimmer Nik eingeatmet, mich geduscht und es hat tatsächlich funktioniert. Weiß allerdings nicht, ob wegen des Duftes oder wegen der Vorstellung, dass Kati seinen Vater zum Eunuchen gemacht hat.
Als ich nach Hause komme, liegt Kati nicht auf dem Boden und in der Küche ist wieder Platz. Trotzdem finde ich meine Tasse im Kühlschrank, diesmal wenigstens abgewaschen. Kati sitzt auf dem Sofa und drückt Blasenfolie.
„Wie wars?“, fragt sie.
„Toll“, sage ich.
Sie strahlt. „Es hat funktioniert?“
„Perfekt.“ Ich gieße uns beiden eine Tasse Tee auf und setzte mich zu ihr aufs Sofa. „Sag mal, hast du Niks Vater wirklich angerufen?“
„Klar“, sagt sie.
„Und?“
„Du hast mir nicht gesagt, dass er einen noch relativ jungen und ziemlich gutaussehenden Vater hat.“
„Was heißt das?“
„Meine Wüstenblume wurde gegossen.“
„Ihr habt nicht wirklich?“
„Doch. War so lala.“
Ich springe auf, renne in mein Zimmer, lege mich in Strichmännchen-Stellung auf den Boden und atme.

 

Hey feirefiz,

guck mal, was ich grad noch gefunden habe: Ein Versatzstueck, das urspruenglich noch fuer pH-neutral gedacht war, das ich dann aber doch rausgeschmissen habe.

Was Du so alles hast. Ich habe nie irgendwelche alten Versatzstücke auf dem Speicher. Wenn ich überarbeite geht "brauch ich nicht" direkt in den Müll. Aber eigentlich ist das ganz schön - sowas irgendwann zu finden :)

Als ich da jetzt druebergestolpert bin, dachte ich: das passt doch gut in diese Kati-WG, die wir da jetzt gemeinsam ausgesponnen haben :D Zur Ruebezahl-WG passt es auch ganz gut.

Ich stelle gerade fest, dass WGs eine wirklich dankbare Form des literarischen Zusammenlebens darstellen, weil, man kann denen eigentlich alles unterjubeln, sogar aussortiertes von Mutti :). War mir ein Fest, dieses "Überbleibsel" zu lesen.

Hey Schwups,

das scheint Dich doch sehr zu beschäftigen. Ich mach jetzt das ja zu nein und hoffe einfach, dass Du recht hast :).

Danke für Eure Nachträge, Fliege

 

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