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Hochzeit der Frösche

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22.10.2011
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Hochzeit der Frösche

Der Morgen war furchtbar, als hätte ihn jemand in den Tag gerotzt. Marek steckte sich eine Zigarette an, verzog das Gesicht, warf sie auf den Boden und trat sie achtlos aus. Er musste einen Song schreiben. Jetzt, hier, sofort. Obwohl ihn das Kläffen und Jaulen der Hunde die ganze Nacht wachgehalten hatte. Jetzt krakeelten Hähne, was die Hunde wieder anfeuerte. Ein widerliches Spektakel. Am meisten aber nervte das Schluchzen.

Als Jana nach ihm rief, waren vier Stunden vergangen.
„Wie läuft‘s?“
Er deutete auf den Papierkorb.
„Ach je, mach dir nichts draus. Hier stört dich wenigstens nichts. Keine Autos, kein Fluglärm, keine Band. Nur Natur.“ Sie zupfte ihn am Ohrläppchen.
„Klar, jaulende Köter und völlig bescheuerte Hähne. Echt toll! Besonders das Scheißhuhn, ich hatte das Gefühl, das hat bei uns im Bett gegackert.“
„Hast du das auch gehört? Es brütet direkt vorm Fenster, das ist so geil! Vielleicht kriegen wir Küken.“
„Manchmal glaub ich, du hast‘s mehr mit Viechern als mit Menschen“, sagte er, zog sie an ihrem Zopf zu sich heran, küsste sie und wandte sich dann wieder der Gitarre zu.
„Ich find‘s toll hier. Heute Morgen habe ich Kaffee getrunken. Unter Orangenblüten. Zusammen mit einem kleinen, struppigen Hund. Komm, lass uns draußen essen.“

Bevor Marek das Haus zum ersten Mal sah, hatte er gedacht, so etwas gäbe es gar nicht mehr. Es lag an der türkischen Riviera, ein Blütentraum ganz allein inmitten von Orangenbäumen. Marek durfte darin wohnen, kostenlos, das hatte Mehmet veranlasst, Marek musste sich nur erholen und mit ein paar starken, neuen Songs zurückkehren. Was heißt nur, dachte er, Mehmet hatte gut lachen, der schrappte entspannt an seinem Bass rum und wartete darauf, dass Marek sich das Material für eine CD aus dem Hirn quetschte. Er steckte sich schnell eine Zigarette an, sog hastig, sodass er husten musste. Wie lange war es her, dass er einen richtig guten Song geschrieben hatte? Zu lang. Für die Band, für Jana, für ihn. Vor allem für ihn. Damals hatte die Gitarre ihn geliebt, jetzt war sie kalt. Doch er wusste, was sie aufheizen konnte: Alk und ein paar Glückspillen.

Der Song klang, als hätte ihn ein taubes Kind geschrieben. Entnervt ratschte Marek mit dem Daumen über die Saiten; da stahl sich das Geräusch von letzter Nacht in das Scheppern der Gitarre. Marek legte den Finger auf den Bund und lauschte hinaus: ein Schluchzen wie von einem Menschen.
Die Sonne blendete, als er vor das Haus trat, sie schob ein Flimmern vor den Schuppen und die Mauer aus übereinandergeschichteten Steinen, die das Grundstück zu den verlassenen Feldern abgrenzte. Von dort führte ein Pfad zwischen knorrigen Bäumen zum Meer. Weiße Blüten bedeckten den Sand und das Gras. Ein Windzug kreiselte ein paar davon auf ihn zu, schön sah das aus; doch mit quälender Intensität schnitt das Geräusch in das friedliche Geflimmer des Platzes. Ein Mensch konnte das nicht sein, hier war niemand. Aber gaben Tiere solche Laute von sich? Vielleicht welche, die er noch nicht kannte? Kleine ekelhafte Biester mit Gift und einem langen peitschenden Stachelschwanz? Bereit, sich in seine wehrlose Haut zu bohren? Er musste lachen, was sollte die Pussynummer, dann ging er los. Der Boden fühlte sich weich an und uneben, als liefe man über moosige Buckel. Nur manchmal bohrte sich ein Stein in seine Fußsohlen. Das Schluchzen wurde lauter, als er näher zur Mauer kam. Für einen Moment hatte er das Gefühl, hinter den Steinen läge ein bösartiges Kind, das auf ihn wartete. Doch da war nur ein Bassin, das inmitten der Steinstufen und der bröckelnden Reste einer gemauerten Einfassung vor ihm ruhte. Wasser schimmerte darin, dicht, stofflich, graugrün. Ein schmaler Tunnel führte von dem Becken hinaus auf die Felder, verlor sich Richtung Meer. Damit haben die mal die Felder bewässert, dachte Marek, jetzt könnten sie‘s als Ferienhaus mit Minipool anbieten, jedenfalls, wenn man in Jauche plantschen will.
Ein engmaschiges, stabiles Drahtgeflecht bedeckte die Oberfläche des Beckens, nur am Rand war eine Lücke ausgespart. Komische Sitten, dachte Marek, und fuhr mit dem Finger einen der glänzenden Rhomben nach. Die spinnen doch, wofür denn ein Poolgefängnis? Er erschrak, als es unmittelbar vor ihm schluchzte. Marek spähte in das trübe Wasser, wanderte über das Gestein. Das Tier verschmolz mit dem Graubraun der Mauerreste, so dass Marek ihn erst sah, als er sprang. Ein Frosch. Er landete auf dem Metallnetz, sprang weiter, und verschwand in der Lücke, Marek beugte sich darüber, doch er sah nur Pflanzen, die wie eine schmierige Tapete an den Wänden klebten. Weit unten zitterte eine Kontur, die sich immer wieder verschob. Marek blickte auf seine Hand, schluckte, der Umriss des Tieres war doppelt so groß. „Kein Wunder, dass der ein Gitter braucht.“ Wasser spritzte auf, traf ihn an der Wange. Scheißfrosch, dachte er, dann ersauf doch. Schnell schob er ein paar Bretter über die Öffnung.

Am frühen Abend hatte er den Song fertiggebastelt und sich mit Jana gestritten, weil sie die Bretter wieder weggerückt hatte. Außerdem meckerte sie über sein Lied. Falsch, sie hatte nicht gemeckert, nur gesagt, wie sie es fand, aber genau das wollte er nicht hören. Er wusste selbst, es war schlecht. Es war sogar scheiße. Er hatte viel getrunken und eingeworfen, aber seine Phantasie hatte sich keine zwei Millimeter bewegt.
Nach dem Abendessen griff er Janas Hand. „Ich bin so blöd. Viel blöder als dein Hund da, und der hat auch noch mehr Haare auf dem Kopf als ich. Lass uns noch mal rausgehen, Sterne gucken. Ich kanns nicht haben, wenn du sauer bist.“
„Okay“, sagte sie, „aber nicht lang. Und trink nichts mehr.“
Draußen schlug ihnen Orangenblütenduft entgegen. „Wie Schaumbad, nur ohne Chemie", sagte Marek. Jana lachte und knuffte ihn auf den Oberarm. Vorsichtig tasteten sie sich Richtung Meer. Gerade wollte Jana sich auf das Mäuerchen des Kanals setzen, da erstarrte sie. Direkt vor ihnen, Zentimeter entfernt, kollerte der Frosch, ein langgezogener, satter Ton, dann schraubte die Stimme sich hoch, trillerte hell. Erst als der Ton erstarb, merkte Marek, dass Jana seine Hand quetschte. „Mein Gott, ist das Biest laut“, sagte sie. „Und groß ist der.“ Ihre Stimme klang sachlich, doch weit hinten kratzte die Ängstlichkeit eines Kindes. Beruhigend drückte Marek ihre Hand. „Keine Angst“, flüsterte er und zog eine Schnapsflasche aus dem Rucksack. „Ich sag doch, die Viecher nerven. Du kannst mir ruhig mal was glauben. Lass uns die Öffnung abdecken, damit wir heute Nacht pennen können. Vielleicht haut er dann durch den Tunnel ab. Auf die Felder.“
Jana war hinter ihn getreten. „Und wenn das zu weit ist? Erstickt der dann nicht?“ Sie kratzte sich am Arm. „Vielleicht geht’s ja auch so.“
„Wieso das denn jetzt?“ Seine Stimme klang bissiger, als er es gewollt hatte, er blickte auf die Flasche und trank, bis ihm Flüssigkeit über das Kinn tropfte.
Dann fuhr er herum. Etwas hatte sich bewegt. Am Rande des Beckens saß ein zweiter Frosch. „Leuchte mal her“, flüsterte Marek. Wie eine fleckige Beule wölbte sich der Leib des Tieres aus den Pflanzen. Am Kopf blähten sich Hautsäcke, fielen ein, wölbten sich erneut. Ein Auge glomm, der schwarze Spalt darin erlosch, ein Häutchen schob sich darüber. Dann tauchte das Tier ab. Tief unten erspähte Marek zwei weitere Körper. „Du hast Weibchen, Großer“, kicherte er, „viel Vergnügen bei der Hochzeitsnacht.“ Er nahm noch einen kräftigen Schluck, rülpste und schüttelte Janas Hand ab, die ihn zum Haus ziehen wollte. Okay, er war betrunken, aber es fühlte sich gut an. „Zeit für einen flotten Dreier“, rief er, „dir geht‘s besser als mir, kleiner, grüner Bruder, ich hab nur ein Weibchen, und das fickt nicht mehr mit mir. Vielleicht tut sie‘s ja mit Freddy, reitet auf seinem süßen, kleinen Drumstick.“
Jana seufzte. „Hör auf. Ich hab dir hundert Mal gesagt, dass Freddy mich …“ Sie fuhr zusammen, denn aus dem Becken drangen kurze, abgehackte Töne, fast ein Bellen, das sich bis zum Stakkato steigerte. „Was war das“, flüsterte sie, „etwa der Frosch?“
„Wer sonst“, sagte Marek, „der ist auch sauer, der Typ. Weil er so hässliche Weibchen hat. Ohne Arsch, dafür magere Schenkel. Froschweiber sind die hässlichsten Tussen der Welt.“ Er johlte ein paar Töne, zog sie absichtlich lang. „Das wäre mal ein Song. Grüne Weiber ohne Arsch, wie findest du das?“
„Marek, du spinnst, du hast jetzt endgültig genug gesoffen, komm ins Haus.“
„Oder, kleiner grüner Bruder mit dem hässlichen Weib, vielleicht brauchst du auch Schnaps, damit du deine arschlosen Tussen erträgst“, sagte er und goss seine Flasche in einem Schwung in das Bassin. Aus dem Becken drang Zischen, so laut, dass es das Scharren der Platte auf dem rauen Mauerwerk übertönte, als Marek sie über die Öffnung schob. „Nichts zu danken, Grünköpfchen, ich hab Nachschub“, grölte er. „Ich lass euch Hochzeit feiern, und das Zischen treib ich dir noch aus, Meister Frosch.“

*

Als Marek am nächsten Morgen aufwachte, fühlte er sich gut. So gut wie seit langem nicht mehr. Durch das Fenster drang frische Luft. Janas Seite des Bettes war leer. Aus der Küche hörte er Geklapper, der Geruch von Rührei zog durch das Haus. Er hatte keine Kopfschmerzen, nichts, obwohl er gesoffen hatte wie ein Loch und keine Erinnerung mehr daran, wie er ins Bett gekommen war. Er wusste nur noch, dass sie sich die halbe Nacht gestritten hatten, alles wegen dem Scheißfrosch, hörte Janas Zetern und das Trillern des Frosches, alles andere war untergegangen in einem graugrünen Traum.
Draußen war es schon warm, der Blütenduft mischte sich mit dem Aroma des Windes, der nach Pinien roch und nach Meer. Als er an der Mauer vorbeistreifte, sah er, dass die Holzlatten weg waren. Hatte er das Bassin im Suff wieder abgedeckt? Oder hatte Jana sie weggenommen?
Aber süß sah sie aus, dachte er, als er in die Küche trat. Sie stand am Herd und hatte irgend so ein Wickelteil um die Hüften geschlungen. Der struppige Hund saß neben ihr und starrte hoffnungsfroh nach oben. Marek trat hinter sie und vergrub seine Nase in ihrer Halsbeuge. Sie roch gut, nach Jana, Eiern mit Speck und etwas Blumigem. „Bratfett?“, fragte er. „Das ist Parfüm, du Troll“, sagte sie, „geh zu deinen Gitarrensaiten, von Frauen verstehst du nichts.“ Sie lachte, aber sie drehte sich nicht um.
„Ich glaube, ich kann froh sein, dass du mir die Pfanne nicht über den Schädel ziehst“, sagte er. „Jana“, seine Stimme wurde rau, „es tut mir leid, ich war betrunken, ich hab keine Ahnung mehr, was los war und warum wir uns gestritten haben, es tut mir leid. Richtig leid.“
Endlich drehte sie sich um. „Du musst mir versprechen, weniger zu saufen, und nimm diesen Scheiß nicht mehr. Wenn du so zu bist, wirst du richtig fies. Ich kenn dich dann gar nicht mehr. Weißt du, was …“
„Ich weiß“, sagte er, ging zum Regal, packte eine Flasche, warf sie in den Mülleimer, dann noch eine, und sah Jana an und warf weiter, bis ihr Gesicht weich wurde. „Das ist der Essig“, sagte sie, deutete auf die Flasche, die er in der Hand hielt, und lachte. Marek schaltete den Herd aus, nahm Jana an der Hand und zog sie mit sich.
Dann stand sie vor ihm. Der Wickelrock spannte sich eng über ihre Hüften. Als er auseinanderfiel, kicherte sie: „Siehst du“, sagte sie, „das ist mein Zauberrock, ein Gewand für Schäferstündchen“, dann zogen sie sich gegenseitig auf das Bett.

Marek fuhr sich durch die Haare, er hatte vier Stunden gearbeitet, hochkonzentriert, der Duft der Orangenblüten belebte ihn, die Melodien flogen ihm zu wie früher. Das Schluchzen des Frosches hatte er in sein Lied eingebaut. Es klang nun wie das Werben eines Mannes. Eine kleine funky line, die sich um die Hauptmelodie rankte. Jetzt könnt ihr Hochzeit feiern, ihr Riesenquaker, dachte er, ich schreib euch ein Liebeslied. Direkt auf den Leib. Von mir aus könnt ihr herkommen, euch unter einen Baum hocken, eine Runde chillen und dabei eine Pfeife durchziehen, das heißt, wenn ihr nicht grad rammelt.
Als Jana ins Zimmer kam, probierte er einen Riff, der zur Bridge überleiten sollte.
„Das klingt gut“, sagte sie.
„Ja, hör‘s dir an.“
Dann spielte er los, zupfte das Intro, deutete Übergänge an, um Jana ein Gefühl für den Aufbau zu geben, summte Melodie und Chorus, dazwischen perlte er ein paar Läufe für das Solo.
„Das ist gut, verdammt gut sogar. Ich wusste es doch, du bist immer noch fantastisch. Und der Text?“
„Ich hab noch nicht alles, aber die ersten Strophen stehen. Hör zu:

When she walked in
Unknown woman with green skin
She was a gorgeous dream of legs

Then she called me love
And she sucked me off
I was stuck to her luscious long legs

Er endete und sah Jana erwartungsvoll an. Sie verzog den Mund, als hätte ihr jemand eine mit Essig gefüllte Praline in den Mund geschoben.
„Green. Hast du green gesungen?“
„Ja, antwortete er, green, g r e e n. Was ist daran Besonderes?“
„Soll das ein Frosch sein?“
„Was weiß ich, ein Frosch, ein Riesenpopel, von mir aus ein Salatkopf. Klingt cool, oder? Ist mir eingefallen, als der Kackfrosch draußen rumgequakt hat. Überhaupt, das halbe Lied stammt von dem.“
Jana schüttelte den Kopf und ging aus dem Zimmer. Marek lief ihr hinterher. „Was ist denn jetzt los, kriegst du deine Tage oder was?“ Draußen auf dem Hof holte er sie ein. „Was ist denn, es war so schön den ganzen Tag.“
„Es ist nur wegen letzter Nacht. Dein Text … und der Frosch.“
„Jetzt lass die letzte Nacht, es ist doch alles wieder gut. Ich saufe nicht und lass den Quaker in Ruhe. Es war so schön. Wie früher.“ Er zupfte an den Trägern ihres Tops und schob sie hinunter, streichelte über ihre Schultern. Jana drehte sich zu ihm um. In ihren Augen flackerte eine vorsichtige Regung. Dann zog sie die Träger hoch. „Du erinnerst dich nicht mehr an letzte Nacht, vielleicht … ach, lass mich einfach.“
Er wollte sie küssen, doch sie drehte den Kopf weg und streifte mit den Lippen seine Wange, eine Geste wie von einer Mutter, die sauer auf ihr Kind ist und es dann tröstet, weil Leute zuschauen. Als sie zurück ins Haus ging, fiel Marek ein, dass sie ihn auch nicht auf den Mund geküsst hatte, als sie miteinander geschlafen hatten.

*

Der neue Song stak in jedem Winkel seines Hirns. Wie ein Splitter, den man unaufhörlich spürt, der jedoch nicht schmerzt, sondern Energie-Wellen sendet. Vibrationen voller Kraft, die als Echo von jedem Stein, jedem Balken zurückgeworfen wurden, wenn Marek summend durch die Räume strich. Selbst in der Nacht stahl sich das Lied in seinen Schlaf und verband sich mit den Tiergeräuschen zu einem treibenden Rhythmus.

She glued my balls
and she chipped my soul
cocksucking mindsucking frog

Jana mochte den Refrain noch weniger als den Beginn. Dieser Ort sei nicht gut für ihn, sagte sie. Sie wollte sogar abfahren. Aber er brauchte das Haus, die Einsamkeit. Hier ging es ihm endlich wieder gut. Misserfolg war ein Schicksal, das immer nur andere befallen hatte. Ihn doch nicht. Als er dann merkte, dass er doch an der Reihe war, hatte sich der Zweifel schon tief in die Knochen gebohrt und sie von innen ausgehöhlt. Er war zusammengefallen wie eine Marionette, der jemand die Fäden durchtrennt hatte. Er erinnerte Jana an diese schwere Zeit, bat sie zu bleiben, bettelte, bis sie ihm noch eine kurze Frist versprach. Aber bald schon, das musste er schwören, würden sie fahren. Er kapierte das alles nicht. Seine freche, liebevolle Jana mäkelte an dem besten Song rum, den er jemals geschrieben hatte, hockte stundenlang am Froschbassin, neben sich den Hund wie einen knopfäugigen Bodyguard, und glotzte in die Tiefe.

Nur die Kopfschmerzen, die waren widerlich. Das kam von dem unaufhörlichen Arbeiten. Er schlief nicht, er aß nicht. Er komponierte. Er eilte sich, aber die Arbeit an dem ersten Song, die dehnte und kostete er aus, als würde er lange, glatte Schenkel genüsslich streicheln, immer höher hinauf, sie öffnen und spreizen, ganz langsam. Er lächelte, als er daran dachte. Vor dem Urlaub hatten er und Jana zwei Monate Sendepause gehabt und gestern Abend hatten sie gleich dreimal miteinander geschlafen. Sie hatte nach Blüten und feuchter Haut gerochen, nach Jana eben. Ihr Körper bog und wand sich unter seinen Händen, er konnte kaum glauben, dass man sich so bewegen konnte. Und wenn sie ihn ansah, kurz bevor sie kam, wusste er Bescheid: nie zuvor hatte er es so gebracht. Und jetzt? Jetzt wollte er nur noch komponieren, hoffentlich kam sie nicht und störte. Jetzt waren ihre Blicke und Berührungen zu viel. Wie etwas, das sich an ihn klebte, etwas Schmieriges. Einen Wimpernschlag lang schämte er sich für diesen Gedanken, dann griff er grübelnd zu seinem Bleistift und schnupperte. Merkwürdig, wie konnte ein Stift modrig riechen. Irgendwie stank heute alles modrig. Sogar die Orangenblüten. Sogar Jana. Noch einmal schnupperte er an dem Holz.

And when the night was over
My prick was like a snake
She deformed me into a fertile monster

Das ist es, dachte er, steckte sich den Stift hinter das Ohr und griff zur Gitarre.

*

Marek war eingenickt, die Hand am Gitarrenhals. Er hatte von Jana geträumt, die sich Wasserpflanzen ins Haar flocht und mit Freddy über seinen Song lästerte. Wo war sie? Suchend schaute er sich um. Vielleicht saß sie mal wieder unter den Orangenbäumen. Oder am Bassin. Vielleicht wartete sie ja auch, bis der Froschkönig aus den Fluten stieg, und vielleicht hatte der Dreadlocks wie Freddy.
Die Umrisse des Beckens verschwammen im Abendlicht, so dass er erst an eine Sinnestäuschung glaubte, als er den riesigen Klumpen auf der Einfassung sah: der Frosch. Marek griff nach einem Stein und schleuderte ihn nach dem Tier. Ganz langsam, als wollte es ihn genau beobachten, glitt es auf dem Rand weiter. Die Beine spannten sich an und streckten sich, verharrten, als wollte das Tier ihm seine Größe und die weißumrandeten Flecken zeigen. Die Augen fixierten Marek, Schlitze in einem dunkelgelben Mond. Dann verschwand es. „Verpiss dich, Meister, was hast du gefressen, dass du noch fetter bist? Womit hat Jana dich gefüttert? Ich mach dich platt.“ Marek griff einen weiteren Stein. Vorsichtig beugte er sich über die Öffnung. Von unten hörte er leises Rauschen, dazwischen dumpfes Schmatzen und ein Vibrieren, als presste jemand Luft durch die Lippen. Erschrocken schnappte Marek nach Luft. Das Tier saß auf einem kleinen Vorsprung oberhalb der Wasseroberfläche und starrte ihn an. Dann öffnete es sein Maul und zischte. Tief unten am Boden ahnte er die Umrisse von mindestens zehn weiteren Tieren.
Marek griff wahllos Steine und schleuderte sie, bis Blasen ihm das Verschwinden der Frösche anzeigten. „Drecksbande“, knurrte er, „… muss fröscheln heißen, nicht vögeln.“ Er lachte laut, doch sein Magen brannte. Schnell ruckte er das Brett über die Öffnung. Vielleicht sollte er irgendwas reinschütten. Gift, Kloreiniger, seinen Schnaps. Er kicherte. Wenn er schon dabei war, konnte er auch dem gluckenden Huhn die Sache versauen. Schluss mit Brüten direkt unterm Schlafzimmerfenster. Doch die Kuhle, in die das Huhn sich gestern geschmiegt hatte, war leer. Zwei Federn lagen auf dem Boden.
„Na gut“, knurrte er, „bin ich dich los, Scheißvieh.“
Als er um die Ecke bog, sah er Jana, in ihrer Hand hielt sie Federn.
„Was hast du mit dem Huhn gemacht? Oder hat Knopfauge die Beißerchen ausgefahren?“ Mareks Blick streifte den Hund, der ihn leise anknurrte.
„Die Hühner sind weg. Und …“ Ihre Mundwinkel zuckten, als wollte sie etwas sagen, verkniff es sich aber.
„Wieso sind die Hühner weg? Abgehauen oder was? Und wieso bist du so komisch? Ist es etwa schon wieder wegen dem Song?“
„Das ist jetzt egal. Ich war beim Auto. Es ist kaputt.“
„Was heißt das.“
„Das heißt, es ist kaputt. Es springt nicht an. Null.“ Jana sah auf den Boden.
„Komm, das kann nicht sein, das Auto ist neu.“
„Dann geh doch hin, schau nach!“ Sie hob den Kopf und sah ihm direkt in die Augen.
„Dann müssen wir den Vermieter anrufen.“
„Was denkst du wohl, was ich machen wollte, aber mein Handy ist weg. Und deins auch.“
„Wieso sind die Handys weg?“
„Sie sind halt weg, ich weiß es doch nicht.“
„Ein Handy kommt doch nicht einfach so weg. Und was hast du überhaupt beim Auto gemacht, wir wollten erst morgen fahren.“
Jana sah zu dem Schuppen, in dem das Auto stand, und zuckte mit den Schultern. Irgendetwas kam ihm vertraut vor an dieser Bewegung. Dann wusste er es. Genauso hatten sie gezuckt, als sie behauptet hatte, sie würde sich das Rauchen abgewöhnen, obwohl in ihrer Tasche ein funkelnagelneues Päckchen steckte.
„Wolltest du ohne mich weg?“
„Ach Marek!“
„Du bist schon die ganze Zeit mies drauf, meckerst rum, wenn ich das Lied spiele. Du ziehst mich richtig runter. Gerade jetzt.“ Er holte tief Luft. „Vielleicht sollten wir mal reden.“
„Ich rede doch schon die ganze Zeit, ich erklär dir, dass ich hier weg will. Die Frösche werden immer fetter. Und was machst du? Du sitzt ununterbrochen an der Gitarre, schreibst und singst und schreibst. Du bist wie besessen von deinem verdammten Lied und diesen ekelhaften Viechern.“
„Das musst du grad sagen. Du hockst doch die ganze Zeit bei denen und hältst Händchen mit diesen Sumo-Quakern. Wahrscheinlich hast du die mit den Hühnern gefüttert.“ Er biss sich auf die Lippen, so aggressiv hatte das nicht klingen sollen.
Jana sah ihn von oben bis unten an, ihr Blick stoppte, weitete sich, sie holte krampfhaft Luft. Dann sah er nur noch ihren Rücken und die Tür, die hinter ihr zuschlug.

*

Das Quaken der Frösche teilte die Nacht in Phasen. In die Abschnitte, wenn Jana neben ihm kauerte und den Hund streichelte, und in die, wenn sie irgendwo draußen herumwanderte. Weiß Gott, was sie da trieb.
Er wachte auf, als es dämmerte. Jana war schon wieder weg. Er hatte von ihr geträumt, schillernd grüne Träume, in denen sie am Brunnen saß, den Schoß voller Frösche. Seit gestern Abend war sie noch komischer. Und blass. Wie ein Froschbauch. Er schüttelte sich. Von draußen ertönte ein Summen, ein tiefer Laut, kaum hörbar, doch er spürte ihn in Kopf und Bauch und Eiern, wie er zog und an ihm zerrte. Als er vor die Tür trat, wurde das Summen lauter, er hielt sich die Ohren zu, schwankte, sein Fuß traf etwas Weiches. Ein grünbrauner Körper sprang. Marek starrte hinterher, sah weitere Tiere, die vor ihm auswichen, als er auf den Hof taumelte, sah es und erfasste doch nicht, was er sah, zu sehr summte es in seinem Inneren. Der Boden bis zum Bassin wimmelte von Fröschen. Ein Teil der Mauer, die Bretter, das Gitter, sie sahen aus wie geschmolzen. Mitten in dem Gequirle stand Jana. Die Frösche sprangen an ihr hoch, saugten sich fest. Immer mehr wurden es, bis ihre Schenkel mit Klumpen übersät waren. Jana stand erstarrt, sie wehrte sich nicht, dann hob sie die Arme, als wollte sie um Hilfe bitten oder – etwas in ihm zuckte grell, segnete sie etwa das grünbraune Meer? Endlich ließ ihn das Summen los, er brüllte, und obwohl sie nicht reagierte, brüllte er weiter, ergriff einen Besen, schlug die Frösche von ihren Beinen, schob Jana hinter sich. Endlich klammerte sie sich an ihn. „Haut ab, Drecksviecher, ihr kriegt meine Frau nicht.“ Mit weiten Armbewegungen schwang er den Besen vor sich, kehrte, schrie. Ein Frosch sprang hoch, Marek zerrte ihn von seiner Haut, kehrte weiter, schnell jetzt, nur noch ein paar Meter, fühlte kitzelndes Tasten am Schenkel.
Als die Tür zuschlug, schlüpften ein paar Frösche mit hinein, griffen an, bis Marek zutrat. Unter seinen Füßen knackte und schmatzte es, er stampfte, bis der Boden mit zuckendem Brei überzogen war. Von draußen hörte er ihre Körper gegen das Holz prallen.
„Das brennt“, sagte Jana, sie weinte. Er wusste, dass sie Trost wollte. Aber sie stank. Blut sickerte an ihren Beinen hinab, bahnte Linien in den grünen Schleim, mit dem die Schenkel überzogen waren. „Das wird gleich besser“, sagte er, „mich haben sie auch berührt, das ist nicht schlimm. Es brennt nur ein bisschen. Gleich ist es vorbei.“ Er nickte. „Die Viecher sind mutiert, vielleicht haben sie Hanf gefressen.“ Er lachte künstlich, irgendwie musste er sie ablenken, damit sie sich beruhigte. „Marek“, sie fasste ihn am Arm, doch er drehte sich weg, ihm wurde übel von ihrem Geruch. Wie faulige Blumen. Jana strich über seinen Rücken, presste sich in seine Arme, zerrte an ihm, bis er sie abschüttelte. Hatte sie ihn eben tatsächlich zum Bett ziehen wollen? „Das meinst du doch nicht ernst“, sagte er. Sie senkte den Kopf, stand da mit hängenden Schultern, machte auf Mitleid. „Das ist krank“, er schob sie zum Badezimmer. „Komm, wasch dich erst mal.“ Er schloss die Augen. Jana, Jana, dachte er, lass mich in Ruhe, ich habe genug von dem Scheiß. Er strich sich über die Stirn, starrte an die Wand, ausgerechnet jetzt fiel ihm ein, wie er das Lied beenden konnte.
„Marek“, ihre Stimme war brüchig. „Bitte schreib nicht an ...“
„Nur die paar Zeilen“, sagte er und griff nach einem Blatt Papier.

I went to the wise man
But he couldn´t help me
because frog woman has married me

Er sang die Strophe laut. Dann schaute er sich um. Jana stand immer noch da, ganz still. Dann sang er den Refrain. Und sah sie dabei an.

She glued my balls
And she chipped my soul
Mindsucking cocksucking wife

Sie schluchzte, nur einmal, dann sagte sie: „Lass mich gehen. Allein, wenn du nicht willst.“ Marek schnaubte. Was sollte das jetzt? Wollte sie über ein Froschmeer latschen?
Von draußen erklang das Platschen der Tierkörper. Dann ein Jaulen. Scheiße, der Hund. Marek öffnete, Frösche quollen herein. Er trampelte und schlug um sich, bis er sie erledigt hatte, dann sah er hinaus. Der Hund stand im Hof, den Rücken an die Wand des Schuppens gepresst. Vor ihm drängte sich eine endlose, wimmelnde Schicht von Leibern. Grüngrau, quallig, eine zappelnde Wand, die sich immer näher an den Hund heranschob. Der hatte die Lefzen hochgezogen und knurrte, das Fell gesträubt, die Ohren steif nach vorne gerichtet. Dann sprang der erste Frosch, der Hund fing ihn in der Luft, schüttelte, blutiger Brei spritzte, dann löste sich der zweite, wieder schnappte der Hund, immer mehr Froschleiber schossen ihm entgegen, kleine weiche Torpedos, die ihr Ziel fanden, sich wie Saugnäpfe anhefteten. Die Schnauze des Hundes tickte wie ein Uhrwerk, fasste, schüttelte, unermüdlich, doch die Froschleiber flogen, immer mehr, immer schneller, bis der Hund unter dem Beschuss zusammenbrach, zu einem unförmigen Klumpen wurde, der unter graugrüner Decke zuckte, schwächer und schwächer, sich noch einmal aufbäumte und die oberste Schicht abschüttelte, dass sie wie Tropfen davonflog, dann war es vorbei. Als die Frösche fertig waren, blieb der Leib des Hundes zurück. Unbehaart, er sah aus wie gekocht.

Als Marek sich umdrehte, stand Jana hinter ihm. „Rudi“, sagte sie.
„Wovon redest du?“
„Der Hund, ich hab ihn so genannt.“ Sie weinte. „Er sah aus wie ein Rudi.“ Sie wandte sich vom Fenster ab und hockte sich auf das Bett. Marek setzte sich neben sie, wollte sie trösten, Gestank hin oder her, doch sein Blick fiel auf die Tasche, die sie in der Hand hielt. „Du wolltest wirklich weg?“ Er riss sie ihr weg, ganz oben lag ein Blatt. Mindsucking frog stand darauf. In seiner Schrift. Immer schneller wühlte er. Sie hatte alles eingesackt. Bis auf die letzten Zeilen, die er vorhin geschrieben hatte.
Als er ihr in die Augen schaute, zappelte weit hinten ein spöttischer Punkt, erst ganz klein, dann wurde er immer größer, bis er ihn deutlich sah. Die Erkenntnis schlug ein in seiner Brust, jagte das Herz in einen fremden Rhythmus. „Du wolltest wirklich abhauen. Erst mit dem Auto. Und jetzt wieder. Und ich? Ich sollte wohl der Riesenbraten werden für die Frösche. Das gibt’s nicht. Erst fütterst du die Viecher mit Hühnern, dann haust du ab. Mit meinen Songs.“
Sie senkte den Kopf, hob ihre Schultern, schluchzte, ein flehender Laut, der in einem Husten endete. Gekonnt, dachte er, wirkt fast echt. Er packte sie an den Schultern. „Das ist so widerlich, du hast mich die ganze Zeit verarscht. Du bist wie das Froschweib aus meinem Lied, baust mich auf und dann machst du mich zum Freak. Warum tust du das? Warum?“ Ein Glühen breitete sich in ihm aus, strahlte in seine Arme. Ein Infarkt, dachte er, dann merkte er, dass er sich bewegen konnte, dass es Wut war, die ihn zerriss, wenn er sie nicht aus sich herausschrie. Dann stieß er Jana von sich, so heftig, dass sie mit dem Kopf gegen die Wand prallte. Es krachte, dann sackte ihr Körper zusammen und ihre Augen verdrehten sich. Von draußen hörte er lautes Kollern, das immer mehr anschwoll.
„Scheißviecher, habt ihr Hunger, jetzt, wo euch die Futtermagd nicht mehr bedient?“
Der zappelnde Punkt in Janas Augen war ganz nach hinten gerutscht. Oder es hatte ihn nie gegeben. Sie sah klein aus, ein Kind mit zu großen Augen im dünnen Gesicht. Erst da fiel ihm auf, dass es totenstill war. Der Hof war leer.

*

Licht kroch durch die Öffnungen des Fensterladens, milchige Streifen, die das Zimmer rasterten. Marek spähte hinaus. Hinter ihm kollerte es. Waren die Viecher zurückgekommen? Aber es war Jana. Sie schlief. Er blickte sie an, ohne irgendetwas zu tun. Sie war immer noch schön, die Frau, die ihn verraten hatte. Er hatte es nicht gewagt, sie zu bewegen, nachdem er sie auf das Bett gelegt hatte. Zwischen ihren Lippen blähte sich Spucke. Sie stank. Nur einmal hatte er so etwas gerochen, das war, als jemand Knochen in eine Blumenvase geworfen hatte. Er würgte. Janas Haut war blass, Entzündungen zogen sich wie Maserungen über ihre Beine, die Flächen dazwischen verfärbten sich graugrün. Meine Frau wird zu einem Frosch, schrie es in ihm, die Viecher brauchen dich gar nicht zu fressen, kleine Jana, sie holen dich so. Er musste sie wenigstens verbinden. Weit hinten, in seinem Schrank gab es Verbandszeug, er fingerte zwischen T-Shirts, fühlte die weichen Plastikpäckchen, bis seine Finger etwas Hartes tasteten. Er zog es heraus und starrte darauf, er braucht lange, bis er erkannte, was die unförmigen, zerschlagenen Gebilde waren. Handys. Verbogene, zertrümmerte Handy-Klumpen. Hatte Jana das getan? Aber sie wäre doch niemals so bescheuert, die Reste ausgerechnet in seinem Schrank zu verstecken. Ein wehes Gefühl sprang ihn an, als füllte sein Inneres sich mit Splittern. Er atmete tief ein, wartete, bis er sich beruhigt hatte, nur nicht denken, nur tun, was nötig war, griff nach dem Mull und dem Desinfektionsmittel und verband Janas Beine. Sie wachte auf und starrte ihn an. Von draußen hörte er das Tocktock der Frösche, sie waren zurück. Er spähte aus dem Fenster, für einen Moment sah Marek lange Schenkel, die zum Sprung ansetzten, direkt auf ihn zu. Er schüttelte den Kopf. Als er sich umdrehte, hatte Jana sich aufgerichtet. Ihre Augen glänzten. Er packte sie an den Händen und befahl ihr, ruhig zu bleiben. Es würde nicht mehr lange dauern, dann hatten die Frösche die Wände der Hütte gefressen und dann würden sie beide in einem Meer von Froschleibern untergehen. Er musste bei Verstand bleiben.
„Ich habe dich so geliebt. Was ist mit uns passiert?“
Jana sah ihn an und schüttelte den Kopf.
„Doch. Du hast die Frösche gefüttert. Und du wolltest weg mit meinem Lied.“
„Marek, ich habe deine Hände gesehen, gestern, als ich vom Auto kam. Blut und Öl. Du hast das Auto kaputt gemacht und die Frösche gefüttert. Wahrscheinlich hast du auch die Handys versteckt. Damit wir hier bleiben. Und alles wegen diesem verdammten Lied. Ich wollte es mitnehmen, ja, aber nur, damit du nachkommst.“ Sie stockte, flüsterte nur noch. „Ich wollte dich retten. Vor den Fröschen, vor dir.“

Als sie die Augen schloss, und den Kopf zur Seite drehte, ruckte die Welt und riss alles mit sich bis auf den Hof mit dem Brunnen und dem kleinen Haus. Die hatte sie vergessen. Mitten in dem Schweigen, das nun vor ihm stand, klaffte ein Riss, ein Riss, der sich immer weiter öffnete. Und er sah die Nacht, in der er glühend vor Eifersucht seine Frau packte und sie zwingen wollte, ihre Hand in das Bassin zu tauchen, es war Spaß, böser Spaß und auch ein bisschen Ernst. Sie hatte sich festgehalten und geschrien, bis er von ihr abließ. Und dann hatte sie geweint. Und das machte ihn noch wütender, so sehr, dass er in das Bassin griff und das Wasser mit seinen Händen durchfurchte wie mit einer Gabel aus Fleisch, bis er eines der Tiere am Bein ergriffen hatte. Er zog das strampelnde Ding heraus und riss daran, bis sich ein zartes Gelenk vom Leib löste und blutige Fetzen zu Boden fielen. Und er lachte, als er das Schluchzen der Frösche hörte, er lachte weiter, weil er sich böse fühlte, und das konnte gar nicht sein, nicht bei ihm, aber es machte Spaß, richtig Spaß, und es konnte auch nicht sein, dass da ein Frosch vor ihm saß und er als einziger ihn verstand. „Du hast mir den Gefährten genommen, du sollst ihn ersetzen. Und alle, die dich schützen, werde ich verderben.“ Da wusste er, es gab keinen Froschkönig, das war ein Märchen, es gab immer nur die Königin. Er sah Janas ungläubiges Gesicht, ihre panischen Versuche, das Tier zu verscheuchen. Dann schnellte der Frosch auf ihn zu, kühle Glätte traf seine Haut, eine Zunge wischte in Mund und Auge. Die Froschkönigin küsste ihn.

Als Marek sich umdrehte, war Jana still, leblos, als wäre sie tot. Von draußen hallte Gekreisch, brandete zu ihm wie eine Welle aus Tönen, in die sich ein monotones Pochen schlich. Ein Gleichklang von Körpern, die sich lösten und landeten, ganz leise, dann immer lauter. Sie kamen. Ein Meer von Leibern, aufeinander, untereinander, saugen und schmatzen, immer näher, bis sie bei ihm waren, ihn auf sich luden, auch wenn es die unterste Schicht zerquetschte. Immer mehr drängten sich übereinander, so viele, dass sie sich zu einem wogenden Teppich vereinten, auf dem er lag, ein letztes Mal den Himmel sah und die Sterne, bis grünliches Wasser über ihm zusammenschlug.

 
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Lieber Wilhelm,
deine Kommentare haben oft so einen speziellen Blickwinkel, streifen Ideen und Hintergründe, auf die man als Autor manchmal selbst nicht kommt. Und du spürst auch manchmal Themen auf, die in der Geschichte mitschwingen, die man als Autor gar nicht wahrgenommen hat, die sich hinter dem Rücken eingeschlichen haben. Neulich habe ich mal bei einer meiner anderen Geschichten bemerkt, dass sie z. B. das gleiche Thema hatte wie eine andere von dir kommentierte. Da hattest du mir geschreiben, dass das eine Trostgeschichte sei. Und das stimmt exakt, obwohl mir das selbst nicht klar war. Fand ich für mich selbst sehr überraschend.
Diese Geschichte hier entstand ganz profan in einem Urlaub, als meine Miturlauber durch dicke quakenden Frösche ständig wach gehalten wurden. Das war kein beruhigendes Quaken wie bei dir, sondern ein ganz schöner Radau. Vielleicht waren das ja schon Mutationen. :confused:
Jedenfalls habe ich die Atmosphäre dann mit verschiedenen Mythen verbunden, die ich kenne. Die Froschkönigin, Sagen aus dem Regenwald, dass Frösche eine aphrodisierende Wirkung haben und die Schaffenskraft des Menschen steigern. Ein bisschen erschuf sich die Geschichte dann auch selbst. Manschreibt, hat so einen ungefähren Verlauf im Kopf, aber noch keine Ahnung davon, wie alles zusammenhängt und dann schreibt man drauflos. War recht chaotisch und dadurch anstrengend. Aber wie ich im Nachhinein merke, auch eine sehr dankbare Sache. Ich mag jetzt die Geschichte selbst. Anfangs war sie von den beiden Leuten, die meine Geschichten immer zu lesen kriegen, ziemlich gedisst worden, die mochten sie gar nicht. Da sah ich sie dann mit deren Augen und hab aber auch noch mal daran gearbeitet, jetzt mag ich sie echt gern. Ich find sie selbst recht verwickelt. Und das mag ich ja eigentlich.

Aber ich schreibe ja keinen Songtext, bin in keiner Schaffenskrise und bin weder betrunken noch nehme ich Pillen.
:D

eine imponierende Geschichte, vieldeutig, tiefgründig, spannend.
Hach, das geht so runter. Unglaublich. Wenn ich zwei Leute wäre, jetzt würd ich mir garantiert auf die Schulter klopfen. Ich glaube, ich werde nie alt genug sein für Lob.

Jetzt, am Ende der Lektüre, frage ich: Wer oder wo ist Freddy? Er scheint ja eine gewisse Rolle zu spielen: Eifersucht fällt mir dabei ein. Oder größeren Erfolg?
Ja, der Schlagzeuger wird nur am Rande erwähnt. Er ist nur Staffage für Janas und Mareks Konflikt, gemeint von mir war, dass Jana eine Affäre mit Freddy angedichtet wird von Marek. Es ist also Eifersucht. Angst, dass Jana sich mit seinem Rivalen zusammengetan hätte.
Mit dieser Stelle hier: „Hör auf. Ich hab dir hundert Mal gesagt, dass Freddy mich…“ will Jana eigentlich sagen, dass Freddy sie nicht interessiert. Ich hatte es extra abgebrochen. Jetzt bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob das eine so gute Idee war.

Was du aus den Namen rausliest, das finde ich immer wieder erstaunlich, aber andererseits auch nicht abwegig. Ich kann mir vorstellen, dass sich da hinter dem Rücken durchaus unbewusste Kenntnisse Bahn brechen. Allerdings frage ich mich gerade, wie das gehen soll, wenn man die Bedeutung eines Namens gar nicht kennt? :dozey: Wurscht, ich hab deine Hinweise zu den Namen jedenfalls saugern gelesen, es passt ja wirklich manchmal gut zusammen.

Was ist passiert, dass Marek einen offenbar genialen Song schreiben kann?
Er hat seine Menschenfrau gedemütigt, hat einen Frosch zerrissen und ist von der Froschfrau geküsst worden, von der Froschkönigin.
Also ein Fluch der natürlichen Kräfte für den bösen und zerstörerischen Eingriff in das natürliche Leben.
Schluchzen der Frösche gegen Song des Marek. Natur gegen Kultur.
Der Fröschetsunami: Frog Wars. The Empire strikes back.
Du fasst das humorvoll und sehr treffsicher zusammen. So war das gemeint.
Die Froschkönigin wollte Ersatz. Sie weiß, dass sie ihn dadurch als Menschen zerstören wird, aber er hat ja auch ihren Gatten zerrissen. Der Preis, den er dafür erhält, dass er geküsst wurde, ist seine Potenz und seine Kreativität. Das will er sich erhalten. Frog war gefällt mir gut. Die Biester wohnen ja auch im Brunnen und die Menschen, die dort mal gelebt haben, wollten nicht, dass sie an die Oberfläche kommen, sie wollten sie kanalisiert unter dem Gitter belassen. Aber wenn man sich daran vergreift, naja, dann rollt die Froschwelle. :D
Aber diese Hochzeit der Frösche gehört zu den sehr guten Geschichten, die (als hätten sich die Vögel Hitchcocks in Frösche verwandel) einfach gesehen rasend spannend ist und hohe intellektuelle Ansprüche stellt. Dabei habe ich psychoanalytische, soziologische, traumatherapeutische, ökonomische Interpretationsmöglichkeiten nicht ausgeführt. Dein Modell hat eine hohe Anschlussfähigkeit und Aussagekraft.
Oh Mann, redest du von mir?

Ich gehe nun zu meinen Fröschen draußen vor der Tür, quake mit ihnen ein Viertelstündchen und die Natur ist wieder heile, hierorts wenigstens.
Oh ja, ich hoffe, du hast es genossen. Klingt gut, wie du wohnst. Ich wünsch dir noch einen Haufen schönes Wetter. Eine richtig gute Zeit und viel Spaß. Ich fahr jetzt mal in den Urlaub. Vier Wochen!
Vielen Dank für deinen freundlichen, tiefgründigen und so motivierenden Kommentar.
Lass es dir gut gehen.
Novak

 
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Hallo Novak,
weil Du die Kommapäpstin bist, habe ich am Wochenende mehr von Dir gelesen. Hier bin ich hängengeblieben und habe versucht, mehr über Kommas zu lernen. Aber dann hat mich die Geschichte so gefesselt, dass ich nicht mehr auf solche Striche achten konnte.
Nach dem Lesen habe ich mir die Frösche mal weggedacht; und der Inhalt der Geschichte hat sich kaum geändert. Es gäbe keine Bedrohung von aussen, die des Paares gegeneinander würde schrecklicher. Trotzdem - es war ja nur ein Gedankenexperiment so nebenbei - hat mir die Geschichte in ihrer Gesamtheit ausgezeichnet gefallen. Mit den Fröschen ziehst Du den Leser in eine Märchenwelt, in die Zeit, in der es noch richtig Frösche gab. Als die mutierten Frösche auftauchten, dachte ich, die beiden machen Urlaub in der Nähe eines Atomkraftwerks; einer Klinik oder Schweinemastanlage, aus denen Medikamente in den Froschteich sickern. Der Hauptkonflikt bleibt dann aber zwichen Jana und Marek und die Frösche kommen, um Angst zu machen und der Sache ein entzündliches Ende zu setzen. Der Handlungsverlauf und die merkwürdige Beziehung regen zum Weiterdenken an.
Sicher bist Du auch die Strichpunktgöttin? Ich habe keinen Strichpunkt gefunden (vom intensiven Suchen hat mich jedoch der Inhalt der Geschichte abgehalten) und jetzt könnte ich daraus schliessen, dass Göttinnen keine Strichpunkte mögen.
Die Ideen in "Hochzeit der Frösche" finde ich unverschämt tiefsinnig, mit einer einzigartigen Umsetzung.
Viele Grüsse
Fugu

 

Lieber Fugu,

weil Du die Kommapäpstin bist, habe ich am Wochenende mehr von Dir gelesen.
Was für ein geiler Grund! Gefällt mir. :bounce:

Hier bin ich hängengeblieben und habe versucht, mehr über Kommas zu lernen.
Und jetzt? Steigst du jetzt in die Terrarienkunde ein?

Nach dem Lesen habe ich mir die Frösche mal weggedacht; und der Inhalt der Geschichte hat sich kaum geändert. Es gäbe keine Bedrohung von aussen, die des Paares gegeneinander würde schrecklicher.
Huch, ja. Hmm, das ist wirklich ein Gedankenexperiment. Muss ich echt drüber nachdenken. Hast du echt gemeint, ich lass einfach nur die beiden aufeinander los? Oder?
Hmm, eigentlich komm ich ja vom Horror. Vielleicht muss ich mir ja gar nicht mehr so Horrorszenarien ausdenken, wenn du Recht hast. Da häng ich nämlich im Moment ständig fest.

Als die mutierten Frösche auftauchten, dachte ich, die beiden machen Urlaub in der Nähe eines Atomkraftwerks; einer Klinik oder Schweinemastanlage, aus denen Medikamente in den Froschteich sickern. Der Hauptkonflikt bleibt dann aber zwichen Jana und Marek und die Frösche kommen, um Angst zu machen und der Sache ein entzündliches Ende zu setzen. Der Handlungsverlauf und die merkwürdige Beziehung regen zum Weiterdenken an.
Ja, der Hauptkonflikt sollte der zwischen dem Paar sein. Die Idee war, dass der Marek mit seiner Art eine mythische Bedrohung hervorlockt. Ob die nun aus einem Atomkraftwerk oder aus der Scgweinezucht stammt. Aber das ist die Schwierigkeit beim Horror, man muss den Leser dazu bringen, in diese eigene Welt zu folgen, die interne Logik muss dann trotzdem stimmen. Ach je, nicht einfach.

Sicher bist Du auch die Strichpunktgöttin? Ich habe keinen Strichpunkt gefunden (vom intensiven Suchen hat mich jedoch der Inhalt der Geschichte abgehalten) und jetzt könnte ich daraus schliessen, dass Göttinnen keine Strichpunkte mögen.
Stimmt, obwohl ich das nie so zusammengefasst hätte. He, Fugu, die Kommentare von dir sind echt unterhaltsam.
Ich schick dir ein paar Kommas auf dem Luftweg und weil du es bist, auch noch ein paar Strichpunkte.

Vielen Dank für dein Lesen, dein Gedankenexperiment und deine amüsanten Kommentare. Macht total Spaß.
Bis dann
Novak
Die Ideen in "Hochzeit der Frösche" finde ich unverschämt tiefsinnig, mit einer einzigartigen Umsetzung.
Viele Grüsse
Fugu

 

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