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Thema des Monats Hippiekacke

Seniors
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13.02.2008
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Hippiekacke

Seit Ina menstruiert, ist alles scheiße. Die Jungs sagen, es seien ihre Brüste, aber die haben keine Ahnung. Alle möglichen Mädchen haben alle möglichen Brüste, oft sogar schönere als Ina. Aber seit Ina menstruiert, hat sie diese Haut. Die ist golden und spannt sich ganz straff um ihren Körper. Sie spannt sich natürlich auch um die Brüste, mag sein, dass die Verwechslung da herkommt, aber genauso sind es die Beine und vor allem die Arme, die so sind, dass man sie immer anfassen möchte, um ein bisschen hineinzudrücken und zu fühlen, wie warm die Haut ist und wie sie zurückspringt. Wenn Ina gerade aus dem Urlaub zurückkommt, ist es am schlimmsten.
Seit ich menstruiere, habe ich auch eine Haut. Aber die ist nicht wie Inas. Meine neue Haut hat rote Striemen auf den Hüften, und an den Beinen und am Busen ist sie durchsichtig, damit die Adern blau hindurchgucken können. Dabei konnte ich es kaum erwarten, endlich mit Ina zu menstruieren. Eines Tages hab ich sie sogar aufs Mädchenklo geschleppt, wo ich eine blutige Binde im Mülleimer gefunden hatte. „Es ist soweit!“
Da hat Ina mich ganz fest gedrückt. „Komm, wir gehen ein Eis essen, zur Feier des Tages. Du hast echt Glück gehabt, dass du beim ersten Mal ne Binde dabeihattest. Ich hab mir die ganze Hose versaut.“
Deshalb konnten wir nicht zusammen feiern, als ich wirklich meine Tage bekommen habe.
Früher haben uns die Leute oft gefragt, ob wir Schwestern oder sogar Zwillinge sind. Seit wir menstruieren, tut das keiner mehr.

Wir sitzen Arm an Arm hinten im Bus, wo man den Motor am besten spürt. Alles riecht nach Chlor und Ina bürstet ihre Haare jetzt schon seit zehn Minuten. Schräg gegenüber sitzt Jens, der auch eine Folge von Inas Haut, also ihrer Menstruation ist. Jens ist blond und hat nicht mal sein T-Shirt angezogen. Überm Hosenbund hat er ein paar Haare, die in schnellem Rhythmus aufglänzen, wenn der Bus durch eine Allee fährt.
Neben Jens sitzt Adrian und fummelt an der Gummiabdichtung der Fensterscheibe herum, bohrt seine Fingernägel hinein, riecht an ihnen und porkelt weiter.
„Nun hör doch endlich mit dem Gefrickel auf. Das macht einen ja wahnsinnig“, sage ich. Adrian guckt erschrocken hoch, und schon tut er mir leid, mit seinen roten Haaren und der Zahnspange, um die er die Lippen nie ganz schließen kann.
Jens lacht und haut Adrian auf den Hinterkopf, wie er es immer tut. „Hör auf zu Fummeln, Makowski, du Perversling!“
„Lass ihn doch mal, Jens“, sagt Ina, die immer ein Herz für die Schwachen und Geknechteten hat. Das habe ich grundsätzlich auch, aber Adrian macht es einem schwer.
So lange wir zu viert waren, ging es einigermaßen. Wir haben Schweinchen gespielt, mit Adrian in der Mitte, aber irgendwann musste Jens Ina natürlich zum Sprungturm ziehen, und ich blieb allein mit Adrian zurück. Adrian traut sich nicht zu springen und ich habe Jens’ elegante Köpper schon hundertmal gesehen.
Ich hab mir sehr viel Mühe gegeben und Adrian tausend Fragen gestellt: „Warum zum Henker lässt du dich vom Jens immer hauen?“, „Findest du, die Amis sollten da jetzt Bomben draufschmeißen?“, „Was ist dein Lieblingsbuch?“, „Was hältst du vom Seifert?“, „Was hast du am Wochenende gemacht?“, „Magst du Katzen oder Hunde lieber?“, „Kennst du gute Witze?“, „Was ist dein Lieblingsessen?“
Adrian machte: „hm“, „weiß nicht“, „hm“, „weiß nicht“, „nix“, „weiß nicht“, „nee“, „Kartoffeln“.
Da hab ich mich auf den Bauch gedreht und mein Buch aufgeschlagen.
Wenn ich Adrian jetzt so angucke mit seinem offenen Mund, seinen Blick schon wieder gierig auf das Fenstergummi gerichtet, tut er mir leid. Aber ich tue mir auch leid. Wir sitzen in derselben Patsche. Wir sind Geiseln von Inas Menstruation.
Seit Ina menstruiert, geht sie auch lieber in die Raucherecke als in den Wald. Seit der fünften Klasse sind wir in jeder Mittagspause mit Martin und Johannes, den Ötzen, in den verbotenen Schulforst gegangen, um morsche Bäume umzurempeln, Puffpilze plattzutrampeln und erbitterte Diskussionen zu führen: Blut versus Öl, Monarchie versus Kommunismus, Elberfeld versus Ronsdorf. Ina und ich waren immer auf der Idealistenseite (bzw. für Elberfeld) und die Ötze haben die Pragmaten gegeben, bis wir vor Wut brüllten und sie lachten. Wenn Ina jetzt mal mitkommt, debattieren wir über Rauchen versus Nichtrauchen und da kann ich nicht auf ihrer Seite sein. Es ist einfach zu unlogisch.
Wenn man mit den Ötzen schwimmen geht, ist man mehr unter als über Wasser und die Lungen tun weh, wenn man sich endlich auf den Beckenrand robbt. Die Ötze sind ziemlich uncool und haben seltsame Ansichten zum Sozialstaat, aber mit ihnen hätten wir bestimmt einen schöneren Tag verbracht als mit Jens und Adrian.
„Das machen wir bald wieder, ne?“, sagt Jens und legt seine Hand auf Inas goldenen Oberschenkel.
Ich habe meine Füße auf meinen Rucksack gestellt, damit meine Oberschenkel nicht auf der Sitzfläche aufliegen und dick aussehen, wie Quark mit Heidelbeeren.
„Das ist doch nur Babyspeck. Das verwächst sich“, sagt meine Mutter, wenn ich wieder heulend und zeternd in irgendeiner Umkleidekabine stehe. Aber das ist Schwachsinn, denn der Speck ist nagelneu, der kam nämlich mit der Haut. Und wenn ich das sage, sagt meine Mutter „Das ist doch nicht das Wichtigste im Leben“, als wüsste sie nicht, dass ich viel zu gut in der Schule bin, um mir auch noch Fettheit erlauben zu können.
Mein Vater ist da anders, der weiß Bescheid. Als er mich letztens zum Wochenende abgeholt hat, hat er so auf meine Oberschenkel geguckt, die ich leichtsinnigerweise nicht hochgestellt hatte, und gefragt: „Fühlst du dich so eigentlich wohl?“
„Ja“, hab ich gelogen und mir ist ganz heiß geworden dabei.
„Aber den Jungs gefällt das glaube ich nicht so, oder?“
Zur Strafe, für mich und für ihn, hab ich an dem Tag die Gänsekeule nicht gegessen, die er extra für mich von der Oma geholt hatte.
Ina schiebt Jens’ Hand von ihrem Bein und bindet ihre Haare zu einem Pferdeschwanz hoch. „Mal gucken.“
Seit einem Jahr ist sie unentschlossen zwischen Tobias und Jens. Tobias ist dunkel und grüblerisch. Jens ist blonder Turmspringer. Ich bin für Tobias, weil sein bester Freund nicht ganz so schlimm ist wie Adrian.
„Ok, dann tschö, Prinzessin“, sagt Jens und schwingt sich elegant aus dem Bus. Adrian wuselt hinterher, ohne irgendwas zu mir zu sagen. Das kann man ihm wenigstens zugute halten.
Ina und ich vibrieren eine Weile schweigend über dem Busmotor, dann flüstert sie: „Die Nicole hat’s mit dem Michael gemacht. Im Schulforst. Es hat wehgetan, hat sie gesagt.“
Seit Ina immer in der Raucherecke steht, weiß sie solche Sachen. Ich stelle mir Michael und Nicole in den Puffpilzen vor. Ob er sich auf den Rücken gelegt hat, damit sie es bequemer hat? Nein, nicht der Michael, dem ist sowas egal. Vielleicht hat es vor allem deshalb wehgetan, weil sich der riesige Michael mit seinem ganzen Gewicht auf die winzige Nicole gelegt hat, ohne sich um die Stöcke und Steine unter ihr zu scheren. Michael ist eh ein Arsch, das hätte Nicole eigentlich auch wissen können. Aber Nicole hat nicht so die Wahl. Sie hat keine Haut wie Ina und mit ihren Pferdezähnen muss sie nehmen, was sie kriegen kann. Bei Ina wird es ganz anders sein. Jens/Tobias wird ihr Rosenblätter aufs Bett streuen und Teelichte in Herzform drumherum stellen, deren Flammen sich in ihrer Goldhaut spiegeln werden. Das volle romantische Kitschprogramm eben. Am fairsten wäre es eigentlich, wenn es eine Wand gäbe, mit Löchern drin. Da können sich die Mädchen auf die eine Seite legen und die Jungs ihre Pimmel von der anderen Seite reinstecken. Da würde sich alles gerecht verteilen, nicht der Jens und der Tobias auf die Ina und der Michael auf die Nicole und der Adrian auf mich. Und im Grunde wäre es dann auch egal, weil man ja eh niemanden sehen und sprechen müsste. Das wäre praktisch.
Ina packt ihren Discman aus und reicht mir einen Ohrstöpsel. So rütteln wir noch ein paar Haltestellen weiter, bevor wir raus müssen.
„Du hast noch deine Jacke bei mir im Rucksack“, sagt Ina und wühlt eine Weile. „Jetzt weiß ich nicht, welche deine ist und welche meine.“
„Meine ist die mit dem Ketchup-Fleck vorne drauf“, sage ich, aber da hat sie es schon auseinanderklamüsert und zieht ihre Jacke über. Sie ist weiß mit hellblauem Surf vorne drauf. Wir haben die Jacken zusammen auf der Badminton-Freizeit gekauft. Inas Haut leuchtet mit dem Weiß um die Wette, aber meine Jacke sieht irgendwie grau aus. Wahrscheinlich hat meine Mutter wieder schwarze Socken mitgewaschen.
„Soll ich dir auch noch so einen Zopf wie mir machen?“, fragt Ina.
Obwohl ich es liebe, wenn sie mir die Haare kämmt, sie ganz stramm zusammenfasst und das Haargummi mit einem Schnacken drumrum wickelt, schüttele ich den Kopf.

Am nächsten Tag gehe ich zum Saturn und kaufe mir einen gelben Punkrock-Sampler, mit dem ich eine Weile üben muss, bevor ich ihn mögen kann. Ich kaufe auch rote Schnürsenkel für meine Docs, denn gegen Nazis bin ich ganz fest. Auf der Gesamtschule gibt es weder Nazis, noch Punks und auch nur wenige Ausländer. In der Klasse haben wir eine Isländerin und eine Marokkanerin, die nichts darf. Mit der Anarchie ist es komplizierter als mit dem Antifaschismus, die ist den Ötzen mit ihrem Pragmatismus schwer zu erklären.
Von nun an lasse ich mich jeden Tag von Michael und seinen Freunden als „linke Bazille“ beschimpfen, aber das ist besser als „Streber“. In der Stadt werde ich zum ersten Mal als „Zecke“ beschimpft, leider nicht von einem Nazi, sondern von einem Türken. Der hat die roten Schnürsenkel offensichtlich nicht verstanden. Wenn ich jetzt mit Ina unterwegs bin, fragt niemand mehr, ob wir Schwestern sind und die meisten glauben nicht mal, dass sie meine Freundin ist. Das liegt aber weder an Haut noch an plus oder minus Babyspeck, sondern an meinen Haaren. Die sind jetzt raspelkurz und meine Mutter hat sie mit Henna knallrot gefärbt.
Zum Punksein fehlen mir nur die Punks.

Es dauert ein paar Monate, bis ich einen finde, der beim Altstadtfest auf dem Kopfsteinpflaster hockt und Ukulele spielt. Drei Mal laufe ich um den Marktplatz und beobachte aus dem Augenwinkel, wie er mit Omis, Hunden und Kindern schäkert. Er hat einen grünen Iro, der ihm über das rechte Auge hängt, und trägt eine rot-weiße Absperrkette um den Hals. Bei meiner vierten Marktplatzrunde bleibe ich beim Zuckerstand stehen und kaufe eine Waffel. Damit trabe ich schnurstracks auf den Typen zu, obwohl mein Herz mir so in den Hals klopft, dass ich Angst habe, mich auf seine Ukulele zu übergeben, wenn ich nur den Mund öffne.
„Willst du Waffel?“, frage ich und rupfe ihm drei Herzen ab.
„Geil, Waffel“, sagt er.
„Wie heißt du?“, frage ich.
„Ich bin der Sascha. Wie kommt’s, dass ich dich hier noch nie gesehen habe?“
Ich mache „och“, „ach“, „Schule woanders“, da packt Sascha seine Ukulele in eine Plastiktüte und steht auf.
„Kommste mit zum Bahnhof? Die anderen sind auch da.“
Die anderen heißen Jan und Mira und fläzen sich in einer Kachelnische des Bahnhofgebäudes. Vor ihnen steht ein Kassettenrekorder, der eine Art von deutscher Punkmusik scheppert, die mir unbekannt ist. Jan hat Büschel algenfarbener Wolle auf dem Kopf.
Ich frage: „Wie hast du das gemacht? Hast du dir Lockenwickler in die Haare gedreht?“
Da guckt er beleidigt und Mira fällt vor Lachen fast aus der Nische. Dann sagt sie, ich soll mich hinsetzen und erzählt eine Geschichte, wie sie den Schuldirektor mit ihren schnellen Sprüchen zum Weinen gebracht hat. Ich sitze da, in meiner mit Filzstiften bemalten Jeans und bewundere ihre Schlagfertigkeit und ihren Mut ebenso wie ihre enge Leopardenhose.
Später kommt ein großes Mädchen mit Nasenring und braunem Pferdeschwanz dazu. Das ist Kati. Sie setzt sich bei Jan auf den Schoß und die beiden fangen an zu knutschen. Ich denke, wenn die Mädchen mit den langen Haaren, die auch auf der Schule jemanden finden könnten, jetzt mit den Punk-Jungs zusammen sind, bleibt für die Punk-Mädchen nicht viel übrig.
„Die beißen sich in den Kopf“, sagt Mira.
„Hippiekacke“, sagt Sascha und dann zu mir: „Komm, wir jagen dir ein paar Mercedessterne.“
Auf dem Parkplatz hinter der Provinzial finden wir ein paar Mercedesse. Selbst meine Mutter nennt sie Bonzenkarren, wenn sie unsere Ente schnibbeln. Sascha zeigt mir, wie ich das Metall auf seine Stahlkappe legen und drauftreten muss, damit ich einen Armreif und einen Stern rausbekomme.
Abends im Bett kann ich nicht schlafen, weil ich vor Glück glühe.

Ein Jahr später

Seit ich den Babyspeck ausgezogen habe, schlottern meine alten Hosen. Dafür habe ich neue Lieblingsknochen. Das sind die Schlüsselbeine. Kati ist mit nach Köln gekommen, um mich mit meinem Geburtstagsgeld ganz neu auszustatten. Danach hat sie bei mir übernachtet und meine kalten Füße zwischen ihren Beinen gewärmt. Und als sie wegen Jan geheult hat, habe ich meinen Kopf an ihren Busen gelegt, bis sie wieder atmen konnte. Mit Kati ist das Leben wunderbar.

"Wir rasseln voll laut", sagt Kati, als wir mit unserem neuen Geschmeide zum Remscheider Bahnhof hinaufklettern. Jan und Sascha sind schon da. Mira lässt uns wie immer warten.
„Sie schminkt sich wohl noch“, sagt Kati böse.
Dabei dürfte das nicht lange dauern. Miras neues Make-up besteht daraus, dass sie sich mit einem Kajal ein paar Pandaaugen und eine Joker-Fresse bis an die Ohren malt. Spätestens nach einer halben Stunde hat sie sich alles unter die Nase geschmiert und schert sich den ganzen Abend nicht mehr darum.
Ich habe mir exakte Katzenaugen gezeichnet und den grünen Lidschatten auf die Haarfarbe abgestimmt. In meiner Lederjacke habe ich alles dabei, was man für Retuschen braucht.
Der Zug, den wir uns rausgesucht haben, fährt ein und ohne uns wieder aus. Ohne Mira würde Jan nicht mitkommen. Also haben wir eine halbe Stunde für den Bahnhofsimbiss. Das reicht allerdings immer noch nicht, um meinen Wochenenddöner zu mümmeln.
„Du isst wie mit Vollprothese“, sagt Jan.
„Fick dich!“, antworte ich, es ist nämlich nur vorausschauend gedacht. Wenn ich den Wochenenddöner in den frühen Morgenstunden wieder auskotze, möchte ich nicht an unzerkautem Pressfleisch ersticken. Und wenn man außerdem nur einen Döner pro Woche darf und ansonsten bloß den täglichen Salat aus der Schulkantine, tut man eh gut daran, sich so lange wie möglich daran zu erfreuen.
Kurz bevor der nächste Zug eintrifft, kommt Mira entspannt herangeschwoft.
„Wir wären jetzt ohne dich gefahren“, sage ich.
Mira zeigt auf meinen neuen Tartan-Minirock. „Wenn ich so kurze Beine hätte wie du, würde ich sie nicht noch so betonen.“
Mira hat so kurze Beine wie ich und krumm sind sie noch dazu. Ich kenne jeden Makel an ihrem Körper: die schwarzen Haare auf den Unterarmen, die stummeligen Finger, den flachen Arsch, den schmutzigen Hals, die großen Zähne, die ihre untere Gesichtshälfte etwas nach Affenschnauze aussehen lassen und den schiebenden Gang, an dem man sie schon auf hundert Meter erkennt. Kati und ich haben eine Skizze von Mira angefertigt, auf der alles kartographiert ist.
„Mir gefällt’s so“, sage ich lahm und ärgere mich, dass ich dabei rot werde.
Mira ist schnell und treffsicher. Wenn man am Morgen eine halbe Stunde damit verbracht hat, den Pickel auf der Stirn abzudecken und noch eine Haarsträhne drüber zu zwirbeln, ist das erste, was Mira sagt, wenn man zur Tür reinkommt: „Setz dich da drüben hin! Ich will nicht in der Nähe sein, wenn das Ding hochgeht.“ Und als ich meinen Arsch noch unter weiten T-Shirts verstecken musste, sagte sie: „Beleg nicht die ganze Matratze mit deinem fetten Arsch.“
Bevor wir in den Zug steigen, werfe ich den Restdöner auf die Schienen.

Im Zug sind zwei Vierer frei, so dass auch der Armeerucksack mit dem Bier sitzen kann.
Jan hat den Kasi mitgebracht und der spielt: Komma lecker, komma lecker, komma lecker unten bei mich bei. Pack mich da an, wo es stinkt, dann kauf ich Pommes für uns zwei. Aber Pommes esse ich ja eh nicht.
„Apropos, wie läuft’s mit der Alten?“, fragt Jan.
Sascha wohnt jetzt bei einer Frau, die ein zweijähriges Kind und einen enormen Arsch hat. Er wiegt nachdenklich den Kopf. „Na ja, ist halt n bisschen, wie ne Salami durch’n Hausflur werfen.“
Ich spanne meine Beckenbodenmuskulatur an. Ich habe zwar kein Kind geboren, aber wer weiß, vielleicht bin ich trotzdem Hausflur, genetisch gesehen. Wenn man innen so vermurkst wäre, könnte man wohl nicht viel dran machen.
„Vielleicht liegt’s auch daran, dass die Salami nur ne BiFi ist“, sagt Mira.
Sascha macht einen Kussmund. „Du kannst es gerne ausprobieren.“
Mira schüttelt sich angewidert.
An der nächsten Haltestelle steigen ein paar Prolls ein, die schon auf dem Bahnsteig böse gucken. Kurz darauf rascheln sie in ihren Jogginganzügen an uns vorbei, mit Zungenschnalzen und Schlitzaugen, um ihrer Abscheu Ausdruck zu verleihen. Der letzte und kleinste in diesem Gänsemarsch zischt leise: „Zecken!“
„Wirtstiere!“, ruft Sascha zurück.
Da erschreckt sich der letzte Proll und stolpert einen Schritt nach vorn, so dass es eine Karambolage mit dem zweitletzten Proll gibt, der überrascht stehengeblieben ist. Alle drehen sich um und wurschteln sich für einen Moment im engen Gang umher. Dann dackeln sie weiter und rotzen noch einmal verächtlich aufs PVC, bevor sie im Gelenk der Bahn verschwinden.
Eine Station bevor wir raus müssen, steigen die Prolls aus. Jetzt sind sie wieder großmäulig, rufen „Zecken“ und „Missgeburten“ und boxen an die Fenster. "Wirtstiere, Nachgeburten" grölt Sascha und will ihnen seinen Arsch zeigen, wickelt sich aber nicht schnell genug aus den Gürteln.

Als wir ankommen, läuft das Konzert schon und es wird viel getanzt. Kati will mich direkt ins Gewühl ziehen und Sascha quengelt, dass wir Schnaps trinken sollen, aber ich muss erstmal eine Runde drehen. Es ist wichtig, die Linie zu ziehen, wenn man noch halbwegs nüchtern ist, sonst muss man sich am nächsten Morgen schämen.
„Schöntrinken ist scheiße“, sagt Kati immer, aber das trifft die Sache nicht genau. Es gilt nur in Bezug auf die Männer. Wenn ich erstmal festgelegt habe, wer von ihnen grundsätzlich in Frage kommt, ist das Schöntrinken der nächste Programmpunkt. Meistens dauert es eine Flasche Sekt oder sechs Bier, bis es so weit ist. Ich merke es daran, dass ich auf den Toiletten in den Spiegel gucke und mich nicht mehr erkenne. Wenn da nur noch große schwarze Augen und rote Lippen sind, kann das Spiel beginnen: Man ortet einen der Infragekommenden, der noch nicht an einer anderen rumleckt, und stellt Kontakt her: man will am Kicker mitspielen, einen Schluck Bier abhaben, auf dem Schoß sitzen, beim Tanzen auf die Schultern genommen werden, wissen, ob Typen aus Bottrop/Duisburg/Wermelskirchen gut küssen. Sowas halt. Es ist zu einfach. Einmal haben Sascha und ich gewettet, ob ich den Sänger dieser Band klarmachen könnte. Er hat verloren.
Aber an einen hab ich mich bisher nicht rangetraut, das ist Chucky, der schönste Mann der Welt. Der schönste Mann der Welt ist Skinhead. Ich habe schon ein paar Mal von seinen Hosenträgern geträumt, aber noch nie mit ihm gesprochen. Mira hat mit ihm gesprochen und ich stand daneben und habe seine Koteletten bewundert, die im genau richtigen Winkel zu seinen Wangenknochen stehen. Wenn ich Chucky ansehe, ziept es in mir. Aber Chucky ist schwierig, weil er trinkt, ohne jemals betrunken zu sein, weil er nett und lustig ist, ohne dabei seine Ernsthaftigkeit zu verlieren, weil er tanzt, ohne sich auf die Fresse zu legen. Jetzt gerade steht er lotrecht an der Bar und beobachtet die Tänzer.
„Uh, da ist Chucky“, sagt Kati und hält mir einen Sambuca vor die Nase. „Trink schnell, bevor er weg ist.“
„Ich hasse Sambuca, der macht mich außen und innen klebrig.“
„Schnauze halten, schlucken!“, befiehlt Kati und ich gehorche, auch wenn es mich ordentlich schüttelt. Dann drängt sie mir noch ihr eigenes Pinnchen auf. Ich schlucke wieder und steppe einen kleinen Ekeltanz.
Kati nimmt mein Gesicht in beide Hände und drückt mir einen dicken Kuss auf den Mund. „Und jetzt ran an den Mann!“
„Aber ich bin noch nicht schön genug, ich muss noch mehr trinken“, sage ich, obwohl mir schon ziemlich schwummrig ist, aber eben nicht schwummrig genug für Chucky.
„Du bist wunderschön, Schatzi“, sagt Kati und klapst mir auf den Arsch.
Ich gehe rüber zur Bar, aber nicht direkt zu Chucky, sondern zum Barmann, von dem ich ein Bier ordere, das jetzt natürlich auch fürchterlich schmeckt. Kati macht mir böse Grimassen. Also schiebe ich mich langsam an der Bar entlang auf Chucky zu. Auf den letzten Metern kommt mir zu Gute, dass ein Tänzerknäuel gegen die Bar fegt, so dass ich in Chuckys Richtung ausweichen muss und nun direkt neben ihm stehe.
„Na“, sage ich.
„Na“, sagt er, ohne den Blick von der Bühne zu wenden.
„Keinen Bock zu tanzen?“, frage ich und mache dazu ein paar Ska-Bewegungen, für die ich mich sofort schäme.
„Doch“, sagt er.
„Aha“, sage ich ratlos.
Da wendet er sich zu mir um und stützt sich auf die Bar. „Ich hab ein neues Zungenpiercing“, sagt er „aber dem geht’s nicht so gut. Ich habe Schmerzmittel genommen und Antibiotika. Und ich habe Bier getrunken. Jetzt versuche ich einfach, nicht umzufallen.“
„Verstehe“, sage ich und bin sauer. Jetzt ist der schönste Mann der Welt einmal so betrunken, dass ich mich nicht vor ihm fürchten muss, aber dafür hat er eine entzündete Zunge. Das Leben ist ungerecht!
Er lacht. „Na ja, immerhin habe ich keine Schmerzen mehr.“
„Das ist gut“, sage ich, „dann kannst du es ja einweihen.“
Chucky schüttelt verwirrt den Kopf. „Was einweihen?“
„Das Piercing.“
„Und wie soll ich das einweihen?“
Chucky ist wirklich schwierig.
„Mit mir sollst du das einweihen“, du Trottel, „ich wollte schon immer mal wissen, wie das ist, jemanden mit Zungenpiercing zu küssen.“
Ich weiß natürlich, wie es ist, jemanden mit Piercing zu küssen. So avantgarde ist Chucky ja nun nicht.
Chucky hebt eine seiner weltschönsten Augenbrauen. „Das willst du also wissen?“
„Ja, das will ich“, sage ich und da küsst er mich endlich. Es schmeckt vor allem nach medizinischer Mundspülung.
„Und wie ist es?“, fragt er.
„Sehr gut“, sage ich. „Tut es doll weh?“
„Nicht genug, um aufzuhören.“
"Na dann ..."
Wir bleiben also an der Bar stehen und machen rum. Dabei darf ich Chucky durch die kurzen Haare fahren, mit und gegen den Strich, und meine Hände unter seine Hosenträger schieben. Das ist alles sehr sehr gut. Die ganze Zeit hat er einen Arm ganz eng um meine Taille und den anderen um meine Schultern gelegt. Manchmal streicht er meine Haare zurück und beißt mir ein bisschen in den Hals. Das ist auch sehr sehr gut. Einmal kommt Sascha an die Bar, um Schnaps zu kaufen. Er sagt „Hippiekacke“ und freut sich für mich. Alles ist perfekt.
Chucky hat Heimspiel. Wir sind in Oberhausen und er ist Oberhausener, kennt dementsprechend jeden im Laden, auch den Typen hinter der Bar. Und der sagt irgendwann: „Ihr könnt ja auch hoch gehen.“ Wahrscheinlich, damit wir den Leuten nicht beim Bierkaufen im Weg stehen.
Das ist natürlich sehr exklusiv und macht Chucky noch ein bisschen schöner, als er als schönster Mann der Welt in meinen Armen ohnehin schon ist.
Wir dürfen hinter die Bar gehen und uns durch eine niedrige Tür ducken. Dahinter ist eine steile Treppe. Ich schwanke gefährlich und Chucky muss mir helfen, damit ich mir nicht den Hals breche. Oben stößt er eine schwere Eisentür auf. Der Raum dahinter ist riesig, aber fast leer. Vorne bei der Tür sind ein paar leere Getränkekästen gestapelt und hinten, in einem Viereck, das der Mond durch eine Dachluke wirft, steht ein räudiges Sofa, mit einem Haufen Decken darauf. Als die Tür hinter uns ins Schloss fällt, hört sich die untere Etage wie unter Wasser an. Chucky nimmt meine Hand und zieht mich Richtung Mondlicht. Der Beton unter meinen Füßen fühlt sich weich an, als sei er nur die Cellophanhaut der Unterwasserwelt – wie das Meer der Augsburger Puppenkiste. Im Gehen scheuchen wir ein paar Staubmäuse vor uns her. Chucky baut uns ein Nest: Er zieht die Polster vom Sofa, klopft sie einmal aus und guckt, welche Seite schöner ist, damit die nach oben liegt. Dann breitet er noch eine Decke darüber. „Das ist alles, was ich dir bieten kann.“
„Sieht doch gemütlich aus“, sage ich und setze mich zu ihm auf das Lager, das zart nach zu oft benutztem Handtuch riecht.
Wir machen weiter rum, wie unten, aber jetzt wandern Chuckys Hände dabei überall auf meinem Körper herum. Unter mein T-Shirt und unter den BH, okay, das kenne ich, doch er zwängt sie auch unter den Bund der Strumpf- und der Unterhose, was neu ist. Mein Körper scheint sich allerdings besser auszukennen als ich und reagiert darauf sofort mit Hitze und Nässe. Ich bin ganz überrascht, dass ich so gut funktioniere.
Dann setze ich mich auf und schnüre meine Stiefel auf, was Chucky zum Anlass nimmt, ebenfalls seine Stiefel auszuziehen. Wir müssen lachen, als wir so nebeneinandersitzen und minutenlang an den Schnürsenkeln herumfummeln. Ich ziehe nur die Strumpfhose aus, aber Chucky streift sich die Hosenträger von den Schultern und zieht sein Polohemd über den Kopf. Dann knöpft er seine Hose auf.
„Was ist damit?“, fragt er und zupft an meinem Top.
„Das ist doch nicht im Weg“, sage ich, was auch für meinen Rock gilt, den man schließlich hochschieben kann.
Chucky zuckt die Schultern und legt sich auf mich. Ich fasse ihn nicht viel an, nur mal an den Schultern oder in den Haaren, aber mehr scheint auch nicht nötig zu sein, so hart wie er sich unten gegen mich drängt.
„Das ist aber im Weg“, sagt er und zieht mir die Unterhose aus. Dann sucht er zwischen seinen Sachen rum, bis er ein Kondom findet.
„Dann passiert es also jetzt“, denke ich und schließe die Augen für einen Moment. Als ich sie öffne, ist Chucky wieder über mir. Er macht irgendwas mit seinen Fingern und dann drückt und bohrt er in mich hinein. Ich halte die Luft an, aber es tut nicht weh. Ich klammere mich an seinen Schultern fest und beobachte, wie sein weißer Arsch hoch und runter geht. Ich stelle mir vor, wie wir von oben aussehen und denke die ganze Zeit: „Jetzt habe ich also Sex.“
„Willst du oben sein?“, fragt Chucky, aber ich schüttele den Kopf. Ich wüsste nicht, was ich oben machen sollte, wo er nichts zu tun hat, als mich anzusehen. Da wird er schneller. Auch das tut nicht weh, aber es tut auch sonst nicht viel, jedenfalls weniger als das, was er vorher mit seinen Fingern gemacht hat. Ich weiß nicht, ob ich Geräusche machen soll. Ich würde gerne das Schmatzen und das Klatschen mit irgendwas übertönen, aber Chucky macht auch nicht viele Geräusche, so dass ich mir affig vorkommen würde.
Während ich noch über Geräusche nachdenke, stemmt Chucky sich plötzlich hoch und umfasst meine Hüften, so dass er ganz weit weg von mir ist und wir uns nicht mehr küssen können. Er sieht mich auch nicht mehr an, sondern guckt dahin, wo er in mich hineinstößt. Das geht eine Weile so, dann kneift er die Augen zusammen und legt den Kopf in den Nacken, so dass der Mond ihm direkt ins Gesicht scheint. Sein Gesicht sieht ganz nackt aus in diesem Moment. Dann lässt er sich schlaff auf mich sinken.
Er liegt auf meiner Brust und atmet viel. Als ich seinen Rücken anfasse, ist der ganz nass. Ich bin erleichtert, dass ich offenbar nicht unter Hausflur-Syndrom leide.
Chucky greift nach unten und zieht sich aus mir heraus. Er macht einen Knoten in das Kondom und wirft es in eine Ecke, bevor ich genauer sehen kann, was außen dranklebt und drinnen rumschwimmt.
Dann legt er sich neben mich, seine Nase ganz nah an meiner. Jetzt riecht es wieder nach medizinischer Mundspülung. Ich sehe nasse Augen und fahle Mondhaut. Ich kann sein nacktes Gesicht nicht vergessen.
Chucky betrachtet mich, fährt mit den Fingerspitzen die Kontur meines Kiefers nach und lächelt. „Eigentlich heiße ich Philipp.“
„Chucky gefällt mir besser.“
Ich setze mich auf und wühle in dem Kleiderhaufen nach meiner Unterhose. Dann steige ich in meine Stiefel. Die Strumpfhose stopfe ich zusammengerollt in meine Jacke.
„Ich glaub, wir sollten mal wieder runter. Ich hab keinen Bock, dass die anderen ohne mich abhauen.“
„Du kannst auch mit zu mir kommen. Ich hab sturmfrei“, sagt Chucky. „Oder ich komm mit zu dir. Dann musst du nicht alleine fahren.“
„Das würde meine Mutter nicht erlauben“, lüge ich.
Chucky rafft seine Sachen zusammen.
Als ich die Treppe wieder hinunterklettere, fühle ich Chucky zwischen meinen Beinen und in meinem Nacken.
Wenn ich das am Montag in der großen Pause Ina erzähle, wird sie mich küssen und alle Details wissen wollen. „Das müssen wir feiern, mit einer Flasche Sekt", wird sie sagen und Chuckys Art voll süß finden.
„Soll ich uns Bier holen?“, fragt Chucky und lässt die Hosenträger auf die Schultern schnacken.
Ich nicke, ohne ihn anzusehen.
„Ja, ich geh raus, die anderen suchen.“

Die anderen stehen um eine Tonne, in der ein Lagerfeuer brennt. Sie grinsen, als sie mich mit nackten Beinen heranstapfen sehen.
Mira pfeift sogar ein bisschen. „Das hat ja lange gedauert. Hat wohl keinen hochgekriegt.“
„Doch, alles einwandfrei“, sage ich und schlage ein, als Sascha seine Hand zum High-Five hebt.
Kati testet, wie lange sie ihre Hand über eine Flamme halten kann. „Glückwunsch. Aber du darfst jetzt nicht immer in Oberhausen abhängen. Das erlaube ich nicht.“
„Warum sollte ich in Oberhausen abhängen?“
Kati zieht ihre Hand mit einem Zischen zurück und schüttelt sie kühl.
„Na, Chucky ist doch niedlich. Und guck, er bringt dir Bier. Was will man mehr.“
Chucky kommt tatsächlich mit zwei Flaschen um die Ecke.
„Das wäre doch nicht nötig gewesen“, sagt Sascha und schnappt ihm eine davon weg.
Chucky lacht und prostet ihm mit der verbleibenden Flasche zu. Neben Sascha und Jan sieht er ziemlich kurz aus und irgendwie glatt. Er reicht mir seine Flasche, doch als ich einen Schluck nehme, steigt er mir direkt wieder den Hals hoch. Ich reiche das Bier an Kati weiter. Chucky legt mir von hinten die Arme um die Taille und hinterlässt einen sehr feuchten Fleck an meinem Nacken.
„Meine Zunge tut übrigens sauweh“, flüstert er.
„Dann solltest du sie jetzt wahrscheinlich schonen“, sage ich und schüttele ihn ab. Da geht er mit Sascha neues Bier holen, verteilt es in der Runde und steht etwas verloren umher, den Blick stier ins Feuer gerichtet.
Jetzt wo wir so viel zu trinken haben, kommt auch der Krombacher zu uns rübergelatscht, um sich seinen Anteil abzuholen. Der Krombacher hat einen falbfarbenen Filziro und Zähne, die aussehen, als seien sie mit Schmelzkäse bestrichen. Das wäre an sich nicht so schlimm, wenn er einem nicht immer so auf die Pelle rücken und fragen würde, ob man mitkommen will in sein besetztes Haus in Asseln. Er erzählt einen Schwank aus seiner Jugend: Hausräumung mit Molotowcocktails. Mira kontert mit einer ihrer Angebereien, eine wilde Geschichte von einer Nazikeilerei. Sie erzählt wie immer packend und ich bin auch ganz fasziniert, bis sie mich so anguckt, als warte sie auf etwas. Da wird mir klar, dass ich bei den Ereignissen, die sie da besingt, selbst anwesend war, und sie nun bestätigen soll. Der Tag, an dem man uns aus einer Nazikneipe ein halbes Schnitzel hinterherwarf und wir flitzen gingen, ist nun der Tag, an dem wir uns mit zehn schrankgroßen Faschos eine blutige Straßenschlacht lieferten.
Jan nickt eifrig und dichtet noch ein paar Miraheldentaten hinzu.
Kati hat natürlich keinen Bock auf die Mirashow feat. Jan und so beginnen wir unser eigenes Gespräch darüber, wie Männer aussähen und gehen müssten, wenn sie so dicke Eier wie Rattenmännchen hätten.
Mittlerweile ist aber wieder der Krombacher dran und der kann es nicht leiden, wenn man seinen Geschichten aus der Zeit, als man sich den Iro noch mit Pflanzendünger färbte und mit Zuckerwasser stellte, nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenkt.
„Habt ihr eigentlich schon mal Hunger gehabt?“, brüllt er uns plötzlich an.
„Ich habe seit einem Jahr Hunger, Krombacher“, sage ich.
Da schimpft er „Euch geht’s doch allen zu gut“, und zieht von dannen.
Mira macht keinen Spruch und auch sonst sagt keiner was. Nur Chucky sieht mich an und hebt eine Augenbraue. Er sieht aus, als würde er gleich Händchen halten wollen.
"Wenn wir die letzte Bahn noch erwischen wollen, müssten wir jetzt mal lositzen", sagt Mira und ich bin erleichtert. So viel hilft es allerdings auch wieder nicht, denn Chucky will unbedingt noch mit zum Bahnhof kommen. Also stürme ich mit Kati vorneweg – wir wollen den Zug ja nicht verpassen – und Chucky muss sich auf dem Weg mit Mira unterhalten. Soll sie ihn doch mit ihrer Heldendichtung beeindrucken. Mir ist das egal.
Als wir die Unterführung zum Bahnhof erreichen, wird mir schwindelig vor Anstrengung und so kotze ich meinen gutzerkauten Wochenenddöner auf die Fliesen. Meine Kotze glitzert im Halogenlicht und verläuft langsam bergab.
„Du hast ein Hakenkreuz gekotzt“, sagt Sascha und zeichnet die Form in der Luft nach.
„Sorry, muss sowas wie ein Atavismus sein.“
Dann diskutiere ich mit Sascha, was meine Kotze über die politische Ausrichtung meiner Großeltern aussagt. Er zeichnet ein Kreuzungsschema an die Wand der Unterführung und schreibt nach meinen Angaben Gertrud, Heinrich, Ilse und Ludwig in die erste Reihe.
„Das kannst du aber nicht aus einem einzigen Phänotyp ableiten. Du weißt ja nicht mal, ob das dominant oder intermediär läuft. Es könnte ja auch Polygenie sein“, sage ich und lehne mich zur Sicherheit an die Wand.
„Du bist echt bescheuert“, sagt Chucky, „aber ich find dich süß, also ruf mich an.“ Damit steckt er mir einen Zettel in die Brusttasche und verschwindet in der Dunkelheit. Alle machen Winkewinke und ich rufe ihm hinterher: „Was bist du eigentlich für ein Skinhead? Du bist ein verdammter Hippie! Lass dir mal die Haare wachsen!“

 
Zuletzt bearbeitet:

Auch wenn das jetzt hundertmal wie Thread-Bumping aussieht, ich schwör’s dir, fiz, dass ich diese Geschichte hervorkrame, hat absolut gar nix damit zu tun, dass ich dich am Wochenende persönlich kennengelernt habe.
Vielmehr ist es einem Zufall zu verdanken: Während der Zugfahrt vom Bodensee zurück nach Wien vertrieb ich mir nämlich die Zeit, indem ich in der umfangreichen offshoreschen Korrespondenz schmökerte. Und da stolperte ich über eine Mail vom 7.10.2013, in der ich das geschrieben hab:

offshore an XY schrieb:
… und natürlich hab ich in den letzten Tagen auch über diese Challenge nachgedacht und auch mit meiner Freundin darüber gesprochen. Sie meinte, ich könne doch mit Elementen aus der Nordwand-Geschichte arbeiten. Auf der einen Seite diese durchgeknallten, punkrockaffinen Hardcore-Kletterfreaks, und ihnen gegenüber die schnöseligen, gutbürgerlichen, hedonistischen höheren Töchterchen und Söhnchen. Irgendso was halt, zwei vollkommen konträre Lebenswelten, die da aufeinanderprallen. Absolut unzeitgemäß natürlich, weil 1980er-Jahre, aber für mich die einzige Chance, was halbwegs Authentisches hinzukriegen, dachte ich mir.
Na ja, und heute zum Morgenkaffee las ich fiz‘ Text und wurde gleich wieder ein bisschen kleinlaut und realistisch. Verdammt, was für eine irre gutgeschriebene Geschichte, so was schaff ich nie. Schon gar nicht in drei Wochen. Scheiß drauf.
Usw.

Und am 13.10.2013:

fiz legt ja mit ihrer überarbeiteten Version ganz schön was vor, behaupte ich jetzt mal, also für meinen Geschmack hat sie eine wirklich großartige Geschichte geschrieben.
(Hervorhebungen erfolgten nachträglich)

Und wie ich dann in Salzburg in den ÖBB-Railjet umstieg, bin ich gleich mal ins Internet (ja, in den Ösi-Zügen gibt’s Wlan, hähä) und hab Hippiekacke noch mal gelesen. Na ja, und wenn die Geschichte jetzt auch schon was weiß ich wie viele Komms hat, ich also kaum wirklich Neues dazu sagen könnte, will ich dir trotzdem sagen, dass ich sie irre gut finde und sie wahnsinnig gerne gelesen habe. Also die ist stilistisch ungemein souverän, kreativ und originell, so voller Sprachwitz, und da gibt's so manchen Satz, den ich gleich fünfmal las, kein Witz, und gleichzeitig bewegt sie sich auf einem derart hohen Niveau von Authentizität und Glaubwürdigkeit, dass selbst ich, der ich ja dem Alter der Protagonisten, nun ja, einigermaßen entwachsen bin, von ihr wie auf eine Zeitreise mitgerissen wurde. Jugendliches Gefühlsdurcheinander, Identitätssuche, das ganze elendige Erwachsenwerden. Ganz großartiges Kino.

Schon mal drüber nachgedacht, dass du Geschichten schreiben solltest, fiz?“, hab ich dich am Lagerfeuer gefragt, erinnerst du dich?
Ja, du bist in der Tat eine begnadete Geschichtenerzählerin, sowohl mündlich als auch schriftlich.

Das wollte ich dir nämlich schon längst einmal sagen.

offshore

 

Hey ernst,

Auch wenn das jetzt hundertmal wie Thread-Bumping aussieht, ich schwör’s dir, fiz, dass ich diese Geschichte hervorkrame, hat absolut gar nix damit zu tun, dass ich dich am Wochenende persönlich kennengelernt habe.
Und selbst wenn, wäre das auch eine lässliche Sünde.

Also das freut mich natürlich total, dass Dich die Sprache und auch der Inhalt so gepackt haben. Ich hab auch selten, oder eher noch nie so gelitten für eine Geschichte. Und jetzt nachdem ich eine ganze Armee von darlings gekillt habe, passt es auch langsam.
Was ich der Geschichte natürlich schwer übelnehme ist, dass sie Dich davon abgehalten hat, auch an der Challenge teilzunehmen. Wobei ich natürlich sehe, dass das wem auch immer gegenüber bloß eine billige Ausrede war, hehe.

„Schon mal drüber nachgedacht, dass du Geschichten schreiben solltest, fiz?“, hab ich dich am Lagerfeuer gefragt, erinnerst du dich?
Ja, du bist in der Tat eine begnadete Geschichtenerzählerin, sowohl mündlich als auch schriftlich.
Ich erinnere mich. Waren ja auch nur zwei Campari-Orange auf meiner Seite. Ich werde mir diese indirekte Aufforderung zu Herzen nehmen und gleich am Montag meinen kreativitätstötenden Job kündigen. Dann beginne ich meine besprochene Alternativ-Karriere, die mir total viel Zeit und Kopfkapazität zum Schreiben lassen wird und dann geht es hier rund und Du wirst Dich wie ein kleiner Zauberlehrling fühlen.

Danke, ernst.

fiz

 

Da bin ich doch fast ein wenig gerührt, das ist 90iger in echt. Herrliche Beobachtungen, genau und gut formuliert. Ich hätte mir noch eine Schleife zurück gewünscht zu der Goldhäutigen, aber man kann nicht alles haben. Vielleicht hätte das auch etwas zerstört, wer weiss. Normalerweise bin ich sehr plottgeil, aber das ist einfach eine feine, liebe Geschichte.

 

Hallo Fiz,
ich schleiche schon ne Weile um die Geschichte herum. Nach Deiner Kritik vor ein paar Wochen wollte ich Dich aber gerne noch ein bisschen hassen.
Teufel auch, der Text hat es nicht besser gemacht. Ich habe ihn geliebt. Kennst Du das Gefühl, wenn man ein ganz, ganz tolles Buch begonnen hat, das einen gleich so richtig angefixt hat und man sich auf der Arbeit, oder an einem anderen Ort, wünscht, ja Sehnsucht hat, endlich weiter zu lesen?
So geht es mir mit Deiner Geschichte. Ich habe sie in einem Rutsch gelesen und jetzt habe ich Heimweh nach der kleinen Punkerin. Bitte schreibe ein Buch über sie. Ich gebe Dir maximal bis nächste Woche Montag Zeit, sonst sterbe ich!
Kündige! Und schreib. Hätte ich massenhaft Geld, würde ich Dich als meine persönliche Genschichtenerzählerin einstellen und am Schreibtisch anketten.

So und jetzt schmolle ich ein bisschen, ist doch scheiße, dass es Menschen gibt, die immer das richtige Wort an der rechten Stelle finden.

Liebe Grüße,
Gretha

 

Hey FieberOptik,

Normalerweise bin ich sehr plottgeil, aber das ist einfach eine feine, liebe Geschichte.
Dabei ist das schon eine meiner plotreichsten Geschichten :D Aber Danke auf jeden Fall für das Kompliment.

Ich hätte mir noch eine Schleife zurück gewünscht zu der Goldhäutigen, aber man kann nicht alles haben.
Da hast Du Recht, das hatte ich schon länger geplant und zumindest imaginiert wird die Rückkehr zu Ina ja noch einmal. Aber wenn es mich packt, schreib ich da hinten vielleicht echt noch mal ne Szene dran.

Danke für Deinen Kommentar.

Hey Gretha,

ich schleiche schon ne Weile um die Geschichte herum. Nach Deiner Kritik vor ein paar Wochen wollte ich Dich aber gerne noch ein bisschen hassen.
Ja, hehe. Das kenn ich. Passiert mir auch schon mal, dass mir hier jemand auf die Zehen tritt und dann schreibt derjeniege ne Geschichte, die ich einfach nicht scheiße finden kann, so gerne ich es auch täte. Freut mich natürlich ungemein, dass Dir der Text da so in den Hass reingegrätscht hat.

Kennst Du das Gefühl, wenn man ein ganz, ganz tolles Buch begonnen hat, das einen gleich so richtig angefixt hat und man sich auf der Arbeit, oder an einem anderen Ort, wünscht, ja Sehnsucht hat, endlich weiter zu lesen?
Puha. Ja, das kenne ich so grob von früher, aber ich erinnere mich nicht mehr, wann ich das das letzte Mal so hatte. Traurig eigentlich. Bei den Büchern, die ich im Moment so lesen muss, zähle ich immer die Seiten, um zu gucken, wie viele ich noch muss.
Aber halt, ich erinnere mich doch an was. Bei Flieges Geschichte zu dieser Jugendgeschichte, fand ich die Protagonistin Franz so gut, dass ich am liebsten ein ganzes Buch über sie gelesen hätte.

Ich gebe Dir maximal bis nächste Woche Montag Zeit, sonst sterbe ich!
Kündige! Und schreib. Hätte ich massenhaft Geld, würde ich Dich als meine persönliche Genschichtenerzählerin einstellen und am Schreibtisch anketten.
Nächsten Montag? Das wird knapp, aber na gut, unter Druck arbeite ich eh am besten, bzw. ich arbeite nur unter Druck. Vielleicht sollte ich so ein Crowdfunding-Ding draus machen. Leute müssen sich verpflichten, das fertige Buch zu kaufen und wenn da, na sagen wir 50.000 Euro zusammen sind, kündige ich und schreib das Ding.

So und jetzt schmolle ich ein bisschen, ist doch scheiße, dass es Menschen gibt, die immer das richtige Wort an der rechten Stelle finden.
Musst Du nicht schmollen, dass ich mit Worten auch ziemlich daneben hauen kann, hab ich schließlich auch schon unter Beweis gestellt.

Danke auch Dir für Deinen Kommentar.

lg,
fiz

 

Hallo Maria,

danke erstmal für die Zitate. Nichts geht über Zitiertwerden :D

Alles was Du über die Sexszene geschrieben hast, dieser Eindruck von Kälte und Lustlosigkeit, das war schon so das Ziel. Also obwohl es Dir insgesamt nicht so gefallen hat, war ich trotzdem froh, dass das Gefühl in etwa so angekommen ist, wie ich es auslösen wollte. Ist natürlich doof, dass Du den Sinn dahinter nicht so richtig gesehen hast und es Dir das Ende ein bisschen verdorben hat.

Und irgendwie war die gesamte Szene lustlos, als würden sie nur sitzen und sich über ein langweiliges Thema unterhalten. Das fand ich auch ur arg. Ich meine, wenn ich versuche, eine Sexszene zu schreiben, dann packe ich so viele Gefühle wie nur möglich hinein und bei dir ist es genau das Gegenteil.
Ich hab da schon viele Gefühle beim Schreiben reingepackt. Aber jede Sexszene ist ja anders. Es geht ja nicht immer um heiße Liebe und wilde Leidenschaft. Ich will da jetzt auch nicht so ausführlich meine eigene Geschichte interpretieren. Vielleicht bin ich auch zu faul dazu, wie Du zu faul zum Lesen der anderen Kommentare warst, die es erklärt hätten. :P Aber ich denke mal unter den gegebenen Umständen, mit diesem Mädchen, das so gar nicht mit sich und ihrem Körper klarkommt und sich außerdem noch gefühllos trinken muss, um überhaupt Körperkontakt herstellen zu können, muss das genau so laufen. Dir war das ja irgendwie auch von vorneherein klar, dass das jetzt nichts Dolles wird.

Und nach dem Geschlechtsverkehr ist die Dame diejenige, die kalt und abweisend ist. Normalerweise sind es ja die Jungs, die nach der Erregung irgendwie völlig daneben sind und bei dir ist das schon wieder umgekehrt. Nice =D Und dann doch nicht so nice. Ich weiß jetzt nicht, was meine Vorredner alles geschrieben haben, aber irgendwie kam mir das Ende einfach viel zu kalt vor. Irgendwie. Ich weiß nicht, aber mir gefällt das Ende nicht. Und irgendwie schon. Also das Ende in dieser Form finde ich super, einfach voll der Punk, aber irgendwie hat es mir auch nicht gefallen. Dabei wollte ich nicht einmal, dass sie mit dem schönsten Mann der Welt schläft und als sie es dann tut, wollte ich auch nicht, dass sie sich von ihm wieder trennt. Oder so. Ich kann es wirklich nicht genau sagen, aber das Ende nehme ich mit gemischten Gefühlen auf. Keine Ahnung, ob das gut ist.
Also ich find das gut, auch wenn Du es nicht gut findest :D Es ist ja ein gemischtes Ende. Und die Kälte erklärt sich eben aus der Unsicherheit des Mädchens. Natürlich ist die nicht so hart, wie sie da tut. Aber so schützt die sich halt vor der Ablehnung, die sie befürchtet. Und Punk ist da nur eine nützliche Maske, um alles was mit verletzlichen Gefühlen und Nähe zu tun hat, als "Hippiekacke" abzuhaken.

Moment, noch was: ich habe wirklich erwartet, dass sie Sahas Wurst ausprobieren würde und ich war mir auch sicher, dass das irgendwann passieren würde. Vielleicht passiert das auch, aber ich finde es toll, dass das nicht in dieser Geschichte vorkommt. Das hast du total toll eingefädelt. Respekt.
ahem. Das passiert später, oder in ner anderen Dimension. Der Text hat ziemlich viel Überschuss. Ein Figurenkosmos, der ganz mies und metzgerartig zu einer Kurzgeschichte zusammengehackt wurde.
Dasselbe mit Ina. Und ich seh nach wiederholtem Gemecker auch ein, dass das objektiv falsch ist, sie da so schön einzuführen und dann verschwinden zu lassen. Ist halt immer schwierig, nach so langer Zeit, noch mal grundsätzlich an nen Text ranzugehen. Aber ich schreib das jetzt auf einen meiner to-do-Zettel, den ich dann auf unbestimmte Zeit verlegen werde.

Danke für Deinen Kommentar!

lg,
fiz

 

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