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Anja Röhl: Die Frau meines Vaters. Erinnerungen an Ulrike.

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31.08.2008
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Anja Röhl: Die Frau meines Vaters. Erinnerungen an Ulrike.

Noch ein Buch über Ulrike Meinhof, gibt es davon nicht schon genug? Die Lebensgeschichte von Anja Röhl liefert einen Kontrapunkt zu den Äußerungen der leiblichen Tochter Bettina Röhl. Hier wird nicht ein Defizit aus der Kindheit einer „Rabenmutter“ zugeordnet, hier schreibt eine Frau, die Ulrike Meinhof über viele Jahre erlebt hat. Anja war noch ein Kind, als die neue Partnerin des Vaters in ihr Leben trat, die erste Frau, die ihr zuhörte, die ihr Mut machte, in Streitigkeiten für sie eintrat, sie stärkte. Als Ulrike Meinhof stirbt, ist Anja Röhl eine erwachsene Frau. Im Vordergrund dieses erneuten Eintauchens in die „68er“ steht der alles beherrschende, unfassbar gewalttätige und zwielichtige Vater, den sie spürbar nicht verwunden hat, der in den Beschreibungen zu einer Fratze wird. Ein Mann, der sich lauthals freut über die Nachricht vom Leukämietod eines Kleinkindes aus der Familie, die seine Frau nach der Trennung beherbergt hat, der elitär und angeberisch über die Bedeutung teurer Autos schwadroniert, etwa, um auf Sylt den passenden Eindruck zu machen, der sich nachts im Bett an seine Tochter klammert und dabei onaniert. Das Kind wird magersüchtig, was Wunder, der Arzt veranlasst eine „Verschickung“ in ein Kinderheim auf Föhr, wo sie, wie sollte es in einer Kinderverwahranstalt der 60er Jahre anders sein, erneut Opfer wird.
Das Lebenswerk des Vaters ist die Zeitschrift „konkret“, eine angeblich linke Publikation, die mit der Pornographie und den Kolumnen von Ulrike Meinhof ihre Auflage sichert. Wieder wird deutlich, wie oberflächlich und unehrlich diese linke Schickeria war, wie bunt schillernd, sogar Erich Fried kommt hier zu Besuch, zu einem Gastgeber, der im Keller auf Bilder von nackten Frauen schießt.
Als in diesem von Lieblosigkeit und Gewalt gezeichneten Alltag von Anja Röhl Ulrike Meinhof auftaucht, bedeutet diese eine Chance auf Leben, Stärkung, Heilung, Perspektive. Sie zeigt ihr, auf ihre Gefühle zu hören, zu sich selbst zu stehen und zu sagen, was sie will. Der Leser mag sich dabei fragen, was diese Frau zu Klaus Rainer Röhl verschlagen hat, aber Menschen haben oft mehrere Seiten.
Anja Röhl schreibt in der dritten Person, „das Kind“, „das Mädchen“, „die junge Frau“, in immer gleich klingendem traurigen Tonfall, nie ändert sich die eintönige Stimmung dieser Rückschau, all dieses Geschehen wird nicht ihres, wird nicht verarbeitet, nicht integriert, und wir sehen, dass die Heilung gerade erst begonnen hat mit diesem ersten großen Schritt, lesen von der Frau, „die ja nicht die Erwartungen erfüllt, die Menschen in Liebesbeziehungen haben“, und erfahren, wieder einmal: Missbrauchsopfer bleibt man ein Leben lang.

 

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