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Frieda nimmt sich den Tag

Seniors
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22.10.2011
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Frieda nimmt sich den Tag

„Frühlingswischwaschi ist das. An so einem Tag.“ Frieda brummte die Worte vor sich hin, immer wieder, während sie die Straße entlanghuschte, hin zu dem Straßencafé auf dem Platz zwischen den Hochhäusern. Sie hielt sich eng an die Gebäude, wandte sich ein- zweimal nach ihrer Wohnung um, ja da war es noch, das zuverlässige Rechteck der braunen Tür mit dem goldenen Knauf.
Frieda setzte sich, wickelte den Riemen ihrer Tasche fest um den Oberschenkel, bestellte Cappuccino und schaute. Sie sah Mädchen, die kurze Kleider ausführten und lange Beine. Bebrillte Männer drängten sich in dem schmalen Sonnenstreifen vor dem Haus, warfen mit der linken Hand Pläne in den Himmel, während die Zigarette in der rechten den Mädchen nachzielte. Sie sah, wie die Sonnenstrahlen allmählich an den Fassaden emporturnten und der verschattete Platz sich zur orangen Heizpilzzone entzündete.
Frieda rückte ihren Stuhl in die Nähe eines Strahlers und wärmte sich die Beine. Außerdem behielt sie auf diese Weise die Straße zu ihrer Wohnung im Blick. Sie legte die Hände in ihren Schoß und schloss die Augen. War das ein Tag zum Feiern? Hastig riss sie die Augen wieder auf und fuhr sich mit einer Hand an die Brust. Wohl nicht, dachte sie, aber ein besonderer Tag ist es doch.

Ein Röckchen wippte vorbei. Apricotfarbener Crêpe Satin, knapp dreißig Zentimeter, schätzte sie. Im Frühjahr werden die Rocksäume kürzer, das freut alle. Sie schmunzelte und strich über den schweren Wollstoff ihrer Hose. Sie hatte es geliebt, Röcke zu entwerfen, kurze duftige Hüllen, die sich um die Schenkel schmiegten. Jedes Jahr. Immer kürzere, bis der Slip blitzte. Und jedes Jahr hatte sich der Kopf ihres Chefs auf ungesunde Weise verfärbt aus Zorn über die fehlende ökonomische Nutzung des Rocksaums. Dann hatten sie alles neu entwerfen müssen und manchmal fegten dann knöchellange, missgünstige Kutten über das Pflaster. Zwei Jahre war sie jetzt raus aus dem Job, viel zu früh, hatte entworfen und genäht und verworfen und neu geplant, bis die Chefhaut wieder erblasste. Einmal stand er hinter ihr, als sie unter einen krapproten Musterstreifen „Chefkopprot“ schrieb. Er schimpfte, aber er lachte auch, denn er brauchte sie viel zu sehr mit ihren flinken Fingern und den gewagten Einfällen. Für einen Moment schwappte Stolz durch ihren Magen, ja wirklich, Modetrends beurteilen, das konnte sie. Und Cheflaunen. So gut, dass die Kolleginnen immer sie vorgeschickt hatten, wenn es Probleme gab. Ach ja, so war das damals.

Der Kellner kam und brachte den zweiten Cappuccino, schimpfte über die neuen Zahlen chronisch Kranker und den Anstieg der Chronitätsabgabe, flachste ein bisschen über den neusten Benzinersatz, der eine Reihe von Motoren durchgekocht hatte. Sie lachte pflichtschuldig und wunderte sich. Merkte er nie, dass sie nur selten antwortete und schon lang nicht mehr fuhr? Sie zahlte und gab ihm ein großzügiges Trinkgeld, registrierte sein überraschtes Gesicht. Ein Stich durchzuckte sie. Wieviel hatte sie ihm denn gegeben? Sorgfältig verstaute sie den Geldbeutel und strich dann langsam über die metallene Tischplatte. Der Kaffee duftete, rief das Bild einer früheren Kollegin wach, mit der sie neulich hier gesessen hatte. Wie hieß sie noch? Irgendwas mit M. Oder? Hastig griff sie nach dem Kaffeelöffel. Nicht über den Namen nachdenken. Bloß nicht. Einfach umrühren. Doch sie tastete ins Leere. Hatte sie den Löffel etwa eingesteckt? Als sie in der Tasche wühlte, rutschte ein Papierblock zwischen ihre Finger. Sie nahm ihn heraus und blätterte. Namen, Aufträge, Termine. Ach ja, dachte sie, mein Spezialdaumenkino. Ich muss nachgucken. Schnell. Was war es, das ich prüfen wollte? Ihre Adresse stand auf der ersten Seite. Die hatte sie noch nie gebraucht. Weiter hinten Einkaufen gehen, dann ein Name: Dr. Manninger, 17 Uhr. Hatte sie den etwa vergessen? Mit dem Finger fuhr sie hastig die Tage in ihrem Phone nach, verglich, noch einmal und noch einmal, immer wieder. Nein, das war schon länger her. Sie hatte nur vergessen, den Zettel fortzuwerfen. Von ihrem Magen quoll ein heißes Brennen in die Kehle, ein Gefühl, als verdrehe es die Speiseröhre. Sie riss das letzte Blatt ab, zerknitterte es und warf es vor sich auf den Tisch. Neben den Kaffeelöffel. Hatte der die ganze Zeit da gelegen? Sie streckte den Rücken durch, als könnte sie so das Wirre und Hilflose, das sie zu überschwemmen drohte, eindämmen. Ihre Hand krallte sich um den Löffel, so fest, dass die Kanten in die Haut bohrten, und schob den Papierball auf die andere Seite des Tisches, weg von sich, nur weg, bis der Löffel abrutschte und über das Metall schrappte.
Frieda rieb sich die schmerzende Hand, betrachtete die Kratzspuren auf der Tischplatte und den verbogenen Löffelstiel, dann rührte sie in ihrem Kaffee. Milchblasen verbanden sich, platzten und fügten sich neu.
Ein Mädchen spazierte an ihrem Tisch vorbei. Solche festen Schenkel hatte sie auch einmal gehabt. So lang war das gar nicht her, oder doch?
Zeit war elastisch geworden, ein Band, das sich dehnte, und wenn Frieda daran zog und endlich glaubte, eine Erinnerung zu fassen und zu behalten, dann schnalzte das Band zurück und die Erinnerung entglitt. Schnell kam es, das Schnalzen, und weh tat es. Frieda strich über ihre Hände, als hätten sie einen Schlag erhalten, betrachtete die braunen Flecken. Sie hatte gleich aufgeben wollen, damals.

*​

„Kein Grund zu resignieren“, sagte Dr. Manninger, „Das wird so früh erkannt jetzt, ihnen bleibt viel Zeit. Auch wenn es sehr früh auftritt. Die Medikamente werden die Krankheit aufhalten. Sie müssen sie allerdings regelmäßig nehmen und auf eine gesunde Lebensführung achten. Und sie sind teuer. Wenden Sie sich an die Beratungszentren. Anders geht es nicht. Irgendwann werden Sie dann eine Lösung finden müssen, wo sie zukünftig wohnen wollen.“ Während er sprach, lupfte er seine Mundwinkel, als könnte er ihre jämmerliche Zukunft mit einem fröhlichen „Auf, wird schon“ aus der Welt schaffen.
Frieda hatte es sich abgewöhnt, den Menschen in die Augen zu schauen, wenn sie mit ihnen sprach. Der Mund lachte freundlich, gleichzeitig beklagten sich die Augen über die Last, mit ihr umzugehen, oder, schlimmer noch, bemitleideten sie, wenn sie nach einem Wort rang oder einer Erinnerung. Nein, sie zog Münder vor.
Dr. Manninger zum Beispiel war das Heben der Mundwinkel so zur Gewohnheit geworden, dass diese sich zu vertikalen Kerben Richtung Stirn vertieft hatten, Optimistenwinkel nannte Frieda sie. Gerade erklommen sie Gesichtshöhen, dachte sie, die waren einfach nicht möglich. Dabei plärrte er eine Durchhalteparole nach der anderen. Ob man als Arzt ein Mundwinkelseminar besuchen musste? Wegen der vielen chronisch Kranken?
Mundtheater macht er, dachte sie. Nichts als Mundtheater. Sie hatte schon gewusst, was los war, als sie das erste Mal in Manningers Praxis erschienen war. Zu viele Zettel, die sie an zu viel erinnerten, zu viele Aussetzer. Es war ein unheimliches Wesen, das sie gepackt hielt, ein Wesen, das sie mit kleinen Zetteln bekämpfte.

*​

Eigentlich sah die Messingplatte auch aus wie ein überdimensionierter Zettel.
Beratungszentrum Ianua digna
Menschenwürdig leben
Menschenwürdig gehen
stand darauf. Mit dem Leben haben sie sich aber was vorgenommen, dachte Frieda. Sie hatte eine Weile gebraucht, um einen Termin auszumachen, aber die Tabletten waren zu teuer. Nur als Mitglied eines Beratungszentrums konnte man sich noch eine Therapie leisten. Und dann gab es da noch etwas, was sie von ihnen wollte.
Sie tastete über das diskrete, schwarzweiße Schild, fuhr die Buchstaben nach: Tägliche Besuchszeiten 8-12 und 15-18 Uhr. Vor dem Nachbargrundstück kackte ein Hund auf den Gehweg, die Besitzerin linste zu ihr herüber. Frieda runzelte die Stirn. Hoffentlich hatte sie nicht den gleichen flehentlichen Gesichtsausdruck wie der Hund, der jetzt unbeholfen in ihre Richtung buckelte und dabei eine Kotspur hinter sich her zog. Schnell trat sie ein.
Vor ihr erstreckte sich ein Saal mit mehreren Sitzgruppen, in denen mindestens zehn Leute warteten. Sie sahen ganz normal aus. Sie musste lachen, was hatte sie erwartet, Skelette, die mit Bastelzeug für Demente klapperten?
Die Stühle vor Raum 9 waren leer. Frieda strich sich noch einmal über den Rock, zupfte ihre Frisur zurecht und klopfte. Eine Altstimme bat sie hinein. Hinter einem kleinen Schreibtisch hockte eine Frau mit lockigen Haaren und einer riesigen Brille. Sie sah aus wie eine verfressene Katze. Macht nichts, dachte Frieda, sie würde sie sowieso nicht anschauen. Sie wollte nur die Zulassung für ihre Medikamente und den Rest. Und dafür brauchte sie jetzt ihre ganze Kraft. Im frühen Stadium die Kontroll-Pille zu erschmeicheln, das würde nicht leicht werden.
Die Frau begrüßte sie, wies auf einen bequemen Sessel in einer Sitzecke, kam um den Schreibtisch herum und setzte sich ihr gegenüber. Eine Kerze flackerte Honigschimmer auf das Holz, an den Wänden hingen bunte Bilder.
„Frieda Steitzinger, geboren 1980? Das sind Sie? Darf ich Ihre Arztberichte sehen?“
Oh je, dachte Frieda, und nestelte ihre Unterlagen heraus, das klang nicht gut, das klang nach genauer Prüfung.
Zwei Stunden später lag das Gebäude hinter ihr. Verwundert blickte sie sich um. Das war alles ganz leicht gewesen, sie hatte geplaudert, Espresso getrunken, Mandelplätzchen gegessen, hatte verwundert verfolgt, wie Angst und Sorge sich zu Gelassenheit wandelten. Die Katze plauderte so unbefangen, dass Frieda dauernd kicherte. Jetzt hielt sie eine Mappe in der Hand, darin abgeheftet die Zulassung für ihre Medikamente und ihre Arztberichte. Auf der Vorderseite glänzten herbstlich bunte Weinblattranken, in der Mitte war die Nummer L54789 eingeprägt. So ein kitschiges Muster hätte sie nie auf einem ihrer Röcke geduldet, doch jetzt fuhr sie mit dem Finger über die tröstliche Erhebung der Zahl. Und das Beste, sie hatte ihre kleine Versicherung, ein in dezentem Elfenbein gefärbtes Schächtelchen, in dem eine hellblaue Pille lag. Teuer, aber nun konnte sie gehen, wann immer sie wollte. Sie hatte etwas, mit dem sie die Kontrolle behielt, wenn ihr alles entglitt. Sie musste nur den richtigen Zeitpunkt erwischen.

*​

„Hirn-Aussatz“, sagte Kim, als sie ihr endlich von der Diagnose erzählte, und dann machte sie ganz ängstliche Augen, weil das so ein gemeines Wort war. Dabei gefiel es Frieda. Aussatz, das klang wie der stotternde Motor ihres alten Autos, Pickel nannten sie es, weil es der Schandfleck der Straße war, ja, Hirnpickel war gut. Das machte das Wesen so schön mürbe.

Und dann wollte Kim, dass sie ein Fest feierten.
„Das machen doch alle“, schimpfte Frieda.
„Wir feiern. Keine Widerrede. Und du lädst alle ehemaligen Liebhaber ein, überhaupt alle, die in deinem Leben eine Rolle spielen.“ Kim lachte, dann wurde ihre Stimme leise. „Niemand braucht zu wissen, dass es ein Abschied ist. Und dann“, ihre Stimme hob sich wieder, „wenn alle zu viel gesoffen haben, dann knipsen wir sie und erpressen sie, weil sie so scheiße aussehen.“
„Aber dein Herz.“
„Was soll damit sein? Dem geht’s gut. Du willst nur nicht feiern.“
„Hm.“ Frieda rieb einen unsichtbaren Fleck von der Tischplatte. „Und dann?“
„Dann kleben wir die Fotos in ein Buch.“
Als Frieda die Gästeliste zusammenstellte, fand sie, dass die Gesichter der Männer, mit denen sie in den letzten Jahren zusammen war, einander glichen. An ihre Namen erinnerte sie sich nicht. Sie hatte das Gefühl, es waren mindestens fünf, kam sich frivol vor, doch Kim sagte, es waren nur zwei. Sie war es auch, die sie anschrieb.

Das Fest rauschte an ihr vorbei, ein Reigen von Menschen, die mit ihr redeten, mit ihr anstießen. Jedes Mal, wenn es klingelte, hatte sie Angst, dass sie das Gesicht nicht erkannte oder den Namen nicht wusste. Sie trank zu viel, verkroch sich endlich in einem der leeren Räume. Es war Kims Zimmer. Irgendwann ertappte sie sich dabei, wie sie an dem Träger eines schwarzen Tangokleids roch. Kims Parfum haftete daran, überdeckt von einem leichten Schweißgeruch. Wegen ihr saß sie jetzt hier wie ein verschrecktes Schaf, wegen ihrer blöden Idee mit der Party. Kim würde weiter tanzen und denken und sich erinnern. Und sie? Frieda zerrte an dem Träger, sah voll bitterer Freude, wie sich der Stoff dehnte, riss weiter, bis er mit einem Knarzen nachgab, brüchiger, morscher Scheiß war das. Schnell stopfte sie das Kleid in den Schrank und kauerte sich in eine Ecke.
„Frieda?“ Mit einem Mal ragte Kim über ihr auf, entdeckte, wie sie da hockte, klein und hingeduckt. „Was ist denn mit dir?“ Ihr Atem roch nach Wein, Frieda fühlte ihre Hand, ihr Zupacken, und dann waren sie in dem großen Raum, zwischen den anderen, während One Day aus den Boxen dröhnte. Kim griff sie an beiden Händen, ließ sie nicht mehr los, tanzte mit ihr im Kreis, ganz wild, obwohl sie es doch so schlimm am Herzen hatte, immer weiter, schön war das, wunderschön, das hatten sie nie gemacht vorher, weiter und weiter, bis sie beide umfielen vor Lachen und Trunkenheit und Schwindel.
Dann rief Kim und ihre Stimme überschlug sich: „Mit Ihnen tanz ich am liebsten, Frau Frieda! Und noch was! Wenn du nicht mehr weißt, wer wer ist, dann bin ich deine Erinnerung, und du, du sollst mein Herz sein.“ Und dann lachte sie laut, weil alle ganz pikiert guckten und weil das so entsetzlich rosarot und zum Schreien war, und sie zog Frieda ganz schnell wieder hoch, und sie drehten sich weiter, immer rund und rundherum, bis alles verschwamm, und in dem Taumel sah Frieda Gesichter vor sich, große, bunte Gesichter, aber sie kannte sie nicht, und dann dachte sie an ein Stück zerrissenen, seidigen Stoff.

*​

Der Zettel hing an ihrer Zimmertür. Tabletten einnehmen stand darauf. Wann hatte sie den geschrieben? Sie erinnerte sich nicht. Noch mehr Zettel, eine ganze Serie hatte es sich in ihrem Zimmer breit gemacht. Als hätte jemand anderes sie heimlich aufgehängt; doch es war ihre Schrift, wenn sie auch aussah wie in großer Eile geschrieben. Am Kleiderschrank hingen welche, der nächste neben dem Tagebuch, in das sie jeden Tag ihre Fragen schrieb, und ein ganzer Zettelfächer klebte am Schreibtisch, wo der Tablettendosierer lag.
Sie riss die Zettel ab, nur den an der Tür ließ sie hängen, dann nahm sie die Box in die Hand und schob das Fach für Donnerstag heraus. Drei Tabletten lagen darin, fein aufgeteilt auf Sonne, Mond und Mittag. Mittag war unbeschriftet geblieben, bis sie selbst ein Symbol gemalt hatte: einen Stinkefinger. Das vierte Fach war nur an zwei Tagen der Woche gefüllt, Vitaminpillen lagen darin. Sie schob die Box noch weiter auf und beobachtete, wie die Tabletten in ihren Fächern rollten; kleine, hilflose Kügelchen. Schnell schluckte sie die Donnerstagmorgen-Pille. Der Boden der leeren Fächer war mit einer pastellfarbenen Staubschicht bedeckt. Sie befeuchtete den Zeigefinger, fuhr auf dem Boden eines Faches entlang und leckte den Staub ab. Sie musste an ein Kinderstück denken; ein kleiner, dicker Ritter im Kampf gegen das Böse. Ob er auch bitter schmeckte, wenn man an ihm leckte?
„Oblong-Fitz-Oblong“, rief sie, „Treten Sie an gegen den Aussatz!“ Sie schluckte die Stinkefingertablette rasch hinterher.
„Was ist denn schon wieder?“ Kim schaute ins Zimmer. Sie sah blass aus. Und müde. „Hast du die Tabletten schon genommen?“ Sie nahm ihr den Dosierer aus der Hand und prüfte die Fächer. „Du hast ja schon die Mittagstablette eingenommen. Soll ich das nicht langsam übernehmen?“
„Nein ich ...“
„Das ist wichtig, du musst dich dran halten. Dann lass es mich machen, wenn du es nicht mehr schaffst.“ Kims Stimme klang schrill.
Frieda griff nach dem Dosierer. „Gib her!“
„Ich weiß nicht“, Kim verzog das Gesicht, „traust du dir das echt noch zu?“
„Gib her!“ Mit einem Ruck zog Frieda an der Plastikschachtel, riss sie Kim aus der Hand, die erschrocken auf einen Schnitt an ihrer Hand blickte. Die Tabletten sprangen heraus und kreiselten über den Boden.
Bestürzt sah Frieda auf Kims Hand. „Das wollte ich nicht. Ich wollte nur …“
„Jetzt sieh mal, was du gemacht hast!“, Kim wies auf den Schnitt, aus dem ein Blutfaden quoll. „Keine Ahnung, in welches Fach die Dinger gehören. Mann, das nervt!“ Sie hockte sich auf den Boden, suchte, sagte, „Lass mal sehen“, und nahm Frieda den Dosierer aus der Hand. Sie legte die Tabletten in ihre Fächer zurück, an einer klebte ein bisschen Rot. Dann stand sie auf und hob die Hand. Frieda duckte sich, über ihr hing Kims Hand. Einen Moment stellte Frieda sich vor, wie die Finger zum Schlag ausholten, auf den Kopf droschen, als müssten sie die Schädeldecke durchdringen, fast wünschte sie es sich. Dann spürte sie doch nur wieder das harte Streicheln, das Ziepen an ihren Haaren. Kims Gesicht schwebte über ihr, es sah traurig aus. Frieda fühlte, wie ihr der Dosierer in die Hand geschoben wurde. Dann war sie allein.
Wann war das passiert, dass Kim ihr die Entscheidungen abnehmen wollte? Waren es Tage her? Oder Wochen? Die Erinnerung war abgetaucht in die zähe Masse, die jetzt ihr Gedächtnis war.
Sie hatte sich verändert, ihre Kim, sie sah breiter aus, dabei war sie doch klein und zierlich, und größer jetzt, viel größer als Frieda. Und sie redete so viel und wusste alles, und Frieda konnte nicht antworten, so schnell, wie die Fragen gestellt wurden. Jede Geschichte von ihnen beiden, wie sie Kim geholfen hatte, ihre Arbeit zu schreiben, oder wie sie ihr Flieder geholt hatte und dabei vom Baum gefallen war, jede einzelne Geschichte wurde zu einem Schatz, den Frieda Tag für Tag suchte, um ihn Kim und sich neu zu schenken. Damit alles seine Ordnung hatte. So froh war sie über das Wiedergefundene, doch Kims Gesicht erstarrte, wenn Frieda anfing zu erzählen. Und am schlimmsten war das Streicheln.
Als Kim aus dem Zimmer gegangen war, setzte Frieda sich vor ihren Schreibtisch und schlug das Tagebuch auf. Sie schrieb. Ich schäme mich für das, was ich bin, und noch mehr für das, was ich sein werde. Und wie es dann mit Kim sein wird. Ich … Sie schlug das Tagebuch zu, öffnete es wieder und riss die Seite aus dem Buch heraus.
Der Aussatz kam näher, ob sie wollte oder nicht. Ihre Vergesslichkeit zeigte es und Kims Gesicht zeigte es. Die Hoffnung, dass sie noch eine Weile so leben konnte, platzte. Es war Zeit.
Sie ging an ihren Schreibtisch, kramte ganz hinten in der Schublade, wo sie in einer versteckt liegenden Schachtel die kleine, blaue Pille aus dem Beratungszentrum aufbewahrte: Hyperbarbitol, schmerzlos und tödlich. Man musste es nur nehmen. Und genau das war der Punkt. Sie, die so schnell gelebt hatte, immer drauflos, so oft war sie gesprungen, zum nächsten Mann, in einen neuen Job oder mit dem Fallschirm. Vor diesem Sprung aber hatte sie Angst. Sie wollte nicht vor sich hin krepieren, aber sie wollte auch nicht spüren, wie die Tablette den Hals hinunterrutschte, und daran denken müssen, dass dies der letzte Moment ihres Lebens war. Sollte sie ihr graues Spitzenkleid anziehen und auf den Tod anstoßen mit einem Glas Champagner? Und vorher zum Friseur gehen? Eine flotte Kurzhaarfrisur schneiden lassen? Das passte doch alles nicht. Ach, sie hatte einfach Angst, jämmerliche beschissene Babyangst. Nachdenklich wendete sie das Kästchen zwischen ihren Fingern hin und her. Dann öffnete sie es. Vorsichtig platzierte sie die Pille in das vierte Fach für Sonntag. Heute wusste sie noch, dass sie diese Pille nicht nehmen durfte. Und morgen würde sie das auch noch wissen. Lange noch. Aber irgendwann würde sie vergessen, was das für eine Pille war und sie würde sie nehmen. Ihr Tod wäre ein merkwürdiger Zufall, eine Folge ihrer Vergesslichkeit. Sie würde dem Aussatz ein Schnippchen schlagen und ihrer eigenen Angst gleich mit.
Aber, dachte sie, was ist, wenn Kim mir den Dosierer wegnimmt? Sie beruhigte sich, das macht sie so schnell nicht, und wenn, dann schauspielere ich, ich werde so tun, als nehme ich die Pille und bewahre sie woanders auf. Das geht schon. Und wenn ich es nicht mehr weiß? Dann gibt Kim mir die Pille. Ihre Kehle verengte sich, sie schluckte, massierte sich den Nacken. Kim. Sie wird es verstehen, sagte sie sich dann, sogar, wenn sie das mit der Pille kapiert. Ja. Sie wird zurechtkommen, das ist ok, sie ist doch jetzt gewachsen. Außerdem wollte sie ja die Box. Sie verzog den Mund. Kontrolle hat einen Preis, auch für eine Freundin. Sie drängte den Gedanken an Kim endgültig zurück und lächelte. Ihr Vergessen würde sie vom Vergessen erlösen.

*​

Sie nahm den Papierball, der immer noch auf dem Metalltisch lag, zerknüllte ihn noch mehr und warf ihn mit Schwung auf die Straße, direkt vor die Pumps eines der Minirockmädchen. Wenn man einen Entschluss gefasst hatte, war alles leicht, es ging ihr gut heute, verdammt noch mal.
„Naja ein Dunking war das jetzt nicht gerade“, sagte der junge Mann, der neben ihr Platz genommen hatte.
„Wie bitte?“
„Dunking. Basketball, Korbwurf.“
„Dunking.“ Frieda schüttelte den Kopf. Sie sah den jungen Mann eine Weile an, musterte sein bartloses Kinn, den Pferdeschwanz. Er sah aus wie ein frisch geschlüpftes Küken. „Sie sehen aus wie ein Max.“
Der Junge stutzte. „Ich dachte wie der andere.“
„Wollen Sie einen Kaffee mit mir trinken? Der Kaffee ist gut, allerdings ist die Milch zu dünn: Die Blasen platzen.“
Der junge Mann nickte. „Mit platzenden Blasen kenne ich mich aus. Besonders mit Hoffnungsblasen.“ Seine Mundwinkel tänzelten nach unten. Gottseidank, dachte Frieda, einer, bei dem Mund und Augen nicht zwei verschiedene Geschichten erzählen. Doch so schnell sie gesackt waren, hoben seine Mundwinkel sich wieder, flatterten, als müsste der Mann sich noch entscheiden, ob er über das, was er sagte, lachen wollte. Da, schon wieder. Die Mundwinkel tanzten. Aber Tango ist das nicht, dachte Frieda, eher Veitstanz. Sie riskierte einen Blick zur Nase, wanderte über Sommersprossen zu hellbraunen Augen, in deren Mitte grüne Pünktchen schwammen.
„Platzende Blasen, blasende Platzen“, sagte sie. „Heute ist ein Blasenplatztag.“
„Ja …“, der Mann zögerte, musterte Frieda für einen Augenblick, dann fuhr er fort: „Ich weiß jetzt nicht, soll ich erzählen?“
Frieda nickte.
„Also eigentlich muss man das wirklich erzählen. Es ist absurd. Ich habe für ein Institut Interviews führen müssen. Den Job bin ich los. Aber egal, bin wohl nicht für so was geschaffen. Die wollten so psychologische Profile. Und ich hab alles andere rausgekriegt, nur nicht die Profile. Und das, was ich rausgekriegt hab, das hätt ich denen schon vorher erzählen können. Als ich ihnen gesagt hab, dass der Aufwand die Mittel nicht lohnt, haben sie gesagt, das sehen sie auch so, und haben mich rausgeschmissen. Naja, vielleicht besser so.“
„Was mussten sie fragen?“
„Ich musste Filmtitel nennen und die Leute mussten dann sagen, was ihnen dazu einfällt. Hab ich gemacht. Und was ist denen eingefallen? Fast immer?“ Der junge Mann krauste die Nase.
„Was zu essen?“
„Klar. War immer Popcorn. Ich weiß jetzt genau, dass Chilipopcorn besonders häufig von Männern gegessen wird, die in Actionthriller gehen. Wenn Frauen mitgehen, nehmen sie eine kleine Packung Popcorn, süß und gefärbt wie Karotten, und geben ihrem Begleiter nichts davon ab. Ich wusste nicht, dass Möhrchen-Popcorn eine Art Protestaktion ist." Er lachte. "Bei Schmachtfetzen, z. B. den Remakes von diesem, Mann, jetzt fällt er mir nicht ein …“
„Das ist mein Job“, sagte Frieda und griff nach der Tasse des jungen Mannes.
„Nur zu, nur zu“, irritiert blickte er auf seinen Kaffee, der gerade in Friedas Mund verschwand, „jetzt weiß ich es wieder, Walt Disney, komisch, dass das Zeug immer noch boomt, da kaufen die Frauen doppelsüßes Popcorn, Partnerbox, für sich und den Mann an ihrer Seite. Ich glaube, das ist eine Art Anti-Kondom. Den Kerlen fällt sofort auf, dass die Freundin das kauft. Da werden sie vorsichtig. Und dann erzählen sie, dass das Popcorn ihnen den Magen zugeklebt hätte in der Nacht nach dem Kino und alles andere gleich mit.“
„Und dann?“
„Und dann, naja“, der junge Mann setzte sich zurecht, griff sich wieder seine Tasse, nahm einen Schluck. „Dann, also ich find das ja schon komisch, wenn die immer mit Popcorn kommen. Aber es war wirklich so. Zum Beispiel: Was fällt Ihnen ein, wenn Sie „Morningtiger“ hören? Antwort: Das war da, wo meine Freundin einen Riesenaufstand gemacht hat, weil es kein buntes Popcorn mehr gab. Und der Proband und ich uns dann zusammen überlegt haben, ob man nicht Popcorn passend zum Film erfinden sollte. Also in diesem Fall Streifenpopcorn mit Zähnen.“ Der junge Mann lachte. „Fragt man sich doch echt, jetzt gibt es Popcorn seit der Steinzeit und nie ist einer auf diese Idee gekommen.“
Frieda gluckste, sein Lachen war ansteckend. „Was ist das? Morningtiger?“
„Was? Den kennen Sie nicht? Der Film von Milan Swamovic, von dem redet zur Zeit jeder. Ein ganz junger Regisseur, ein Schüler von Hooper. Apropos Hooper. Nach „Les Miserables“ musste ich auch fragen. Und wissen Sie, was mein Proband gesagt hat? Das war, als mein Karamell-Popcorn, so elend klebrig war, dass mir die Zahnfüllung rausgefallen ist.“ Der junge Mann seufzte übertrieben und verdrehte die Augen. „Ich weiß nicht, das muss wohl an mir liegen.“
Frieda verstand nichts, aber das Geplauder des jungen Mannes umhüllte sie wie eine gemütliche Decke. Man musste nicht antworten, er unterhielt sich ganz von allein. Sie lachte so laut, dass die Leute vom Nebentisch herüberschauten. Frieda drohte ihnen mit dem Finger. Als sie zurückschaute, sah sie, dass der junge Mann auch den Finger erhoben hatte.
„Jetzt müssen sie dazu nur noch mit den Ohren wackeln, dann kriegen die sich gar nicht mehr ein, sehen Sie, so …“ Seine Schläfen zitterten auf und ab.
Frieda prustete.
„Also das war das Problem, sobald die einmal Popcorn sagten, musste ich weiterfragen. Wissen Sie, die Sache mit dem Popcorn interessiert mich ja schon lange. Warum zum Beispiel gibt es das immer noch? Und wie hat es überhaupt den Weg in die Kinos genommen?“
„In einer Tüte?“
Der junge Mann stutzte. „Sie haben lustige Antworten. Ich hab mich natürlich oft auch gezwungen, anderes zu fragen, sonst wär ich wohl schon früher rausgeflogen.“
„Und dann?“
„Naja, den meisten fällt auch noch ein, mit wem sie im Kino waren. Hätt ich denen von dem Institut auch vorher sagen können. Ist doch logisch. Ich mein, Essen und Menschen, das ist doch das Wichtigste.“
„Das geht mir auch so. Ich erinnere mich auch nur noch an Essen und Menschen. Aber das ist bei mir normal.“ Frieda kicherte.
„Und dann gibt es da noch die Cineasten. Um die dreißig, buschige Augenbrauen. Für die gilt das alles nicht, die essen immer nur dasselbe Popcorn, egal, welcher Film. Dafür XXL-Packung. Immer. Aber einer hat mir heute einen super Tipp gegeben. Das guck ich mir nachher gleich an. Dieser Swamovic, der soll eine Indie-Produktion gemacht haben. Über Ianua digna. Kann man nur im Netz sehen.“
„Was?“
„Ein Film über Ianua digna. Dass die jedem die Todespille aufdrücken, selbst Leuten, die noch lange gut leben könnten. Und die lassen sich das teuer bezahlen. Und, jetzt kommts, das Zeug da drin funktioniert noch nicht mal. Ein paar Leute sollen ganz furchtbar verreckt sein, und manche haben trotzdem überlebt, und es war schlimmer als vorher. Die Pharma-Industrie sponsert die angeblich. Und die Regierung auch. Sind doch alle froh, die vielen Kranken loszuwerden. Sie werden ja ganz blass. Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?“

Als der junge Mann gegangen war, saß Frieda immer noch da und lauschte der Leere in ihrem Inneren. Als wäre etwas abgemäht worden. Es tat noch nicht einmal besonders weh, es war einfach nur fremd. Das, was sie für Kontrolle und eine ironische Idee gehalten hatte, war eine Schimäre.
Leute liefen an ihr vorbei, sie sah ihnen hinterher. Und dann war es ihr klar, sie musste so schnell wie möglich nach Hause, die Pille rausnehmen. Sie musste. So wollte sie nicht gehen, nicht mit dieser Angst. Das wollte sie sich nicht antun. Und Kim auch nicht.
Und zuallererst würde sie in einen Film gehen mit Kim. Und an den jungen Mann denken, wenn er ihr wieder einfiel. Dafür war jetzt die Zeit. War doch egal, wenn Kim größer wurde als sie. Aber erst würden sie zusammen Popcorn essen. Eine riesige Tüte.

*​

Als Frieda eintrat, wartete Kim schon auf sie. Sie saß am Tisch, vor sich ein Stück Kuchen, pickte Krümel auf und leckte sie von ihrem Finger.
„Ich habe auf dich gewartet“, sagte sie. An der Kuchenplatte lehnte eine Postkarte. Frieda stellte ihre Tasche ab, wollte in ihr Zimmer, sie musste etwas Dringendes erledigen. Doch Kim umarmte sie, ganz fest, es war ein schönes Gefühl. Stimmt, sie musste sich erst einmal mit Kim vertragen, sich entschuldigen.
Sie griff nach einem Teller: „Ich auch Kuchen.“
Kim lachte und schnitt ihr ein Stück ab. Als Frieda sich über den Kuchen beugte, fühlte sie Kims Hand ihren Kopf berühren. Ganz leicht, wie ein Vogel, der sie zart mit den Federn streifte. Sie sah auf, sagte, „wir müssen zusammen ins Kino gehen, das ist wichtig.“ Dann stopfte sie sich ein Stück Kuchen in den Mund, kaute einmal und erhob sich.
Kim sagte: „Das ist für dich“, und reichte ihr die Postkarte. „Ich bin manchmal so ungeduldig, es tut mir leid. Es ist nicht einfach für uns beide.“ Sie senkte den Kopf. „Ich hab Kuchen gebacken und dann hab ich die Postkarte gesehen. Die zwei hier, die sind wie du und ich. Da hab ich sie dir mitgebracht.“
Auf der Karte liefen zwei struppige Hunde nebeneinander her. Hinter ihnen verschmolzen graugrüne Hügel mit dem Himmel.
„Das bist du“, sagte Kim und wies auf das linke Hündchen, das im Sprung durch die Luft flog, so dass die Haare nach hinten wehten. „Genauso wild bist du manchmal. Und das da, das bin ich.“ Sie deutete auf den Hund, der neben dem anderen über die Straße trabte, er sah ein wenig besorgt aus. Die Mundwinkel wiesen nach unten, bildeten zusammen mit der schwarzen Lacknase ein Dreieck. Die Augen waren groß und feucht, sahen den Betrachter direkt an. Frieda blickte auf die beiden Hunde, es war nur eine Postkarte, aber es war ein schönes Geschenk und ein bitteres, und so, dass sie weinen wollte, weil es ihr in die Seele schnitt. Wieder fiel Frieda ein, dass sie unbedingt an etwas denken wollte, was war es nur, irgendetwas, das mit blauer Farbe zu tun hatte. Ärger bohrte in ihr, warum hatte sie nicht einen Zettel geschrieben, das machte sie doch sonst immer? Sie erinnerte sich verdammt noch mal an nichts. Sie kniff sich in die Hand, ganz fest, saugte am Handballen, die Karte immer noch zwischen den Fingern, bis sich ein blauer Fleck bildete, blau, ja blau, das war es, bestimmt war es das, an etwas Blaues wollte sie denken. Noch einmal saugte sie und drehte dabei die Hand, so dass ihr Blick wieder auf die Karte fiel. Ach, Kims Geschenk, sie genoss die Lebensfreude, die in den beiden Hundekörpern steckte, die Anspannung des Sprungs und die Gemächlichkeit des Trabens, sie folgte dem hellen Feldweg, der sich mit dem Dunkel des Waldes verband, wanderte hin zu dem Streifen Himmel, der über den Hündchen leuchtete. Helles Lichtblau mit einem Grünstich. Ja, dachte sie, daran habe ich denken wollen, an diesen Himmel. Hell mit einem Schimmer Grün. Kims Geschenk. Sie tippte auf die Karte, fuhr den Himmelsstreifen entlang und freute sich über die beiden Hunde.

 

Wow. Ich musste beim Lesen an deine Anmerkung zu meinem Kommentar unter Quinns Text denken, mit der Schwierigkeit des Wachstums als Autor und dem Druck deswegen usw. und ich kann dir sagen, dass dir, nach meinem Geschmack, mit diesem Text eine richtige Meisterleistung gelungen ist. So viel dazu.
Die Geschichte ist sowohl sprachlich, als auch thematisch einfach verdammt stark. Wie sich die Sätze nahtlos verzahnen, wie alles ineinander greift, so einfühlsam, vielschichtig und intensiv, Mensch, ich bin wirklich sehr beeindruckt.
Die Prot., ihre Geschichte, dieser Prozess des "Aussatzes", das ist schon verdammt packend. Wie eindringlich du in ihre Gefühlswelt eintauchst, ja, mich als Leser da eintauchen lässt, dieser traurige und gleichzeitig ironische Blick, die Millionen wunderbarer Details, die greifbaren Charakterisierungen, die plastischen Interaktionen, die ungewöhnlichen, sehr ... ja wie sage ich das am besten, sehr literarischen Reflektionen, das ist ein verdammt starker Mix, der dir hier gelingt.
Du zeichnest hier eine sehr echte Figur, mit einer Feinheit, die sie vollkommen macht. Ich bin ein bisschen neidisch, aber das ist auch sehr inspirierend.
DIe Freundschaft mit Kim, wie sie gezeichnet ist und der Wandel, den sie durchmacht, das ist sehr authentisch. Und dieses Gefühl der Verzweiflung, wie es um sich schlägt, wie Frieda nach ihren Erinnerungen greift und wie ihr alles zu entrinnen scheint, das hat mich auch sehr berührt.
Ja klar, da fragt man sich, wie geht man denn aus dem Leben, wie geht man mit so einer Situation um, dieser schleichende, unsichtbare Zerfall, die ganze Ausweglosigkeit und die Angst, die allgegenwärtig ist und gleichzeitig die Lust am Leben, die kleinen Dinge, die so viel Bedeutung bekommen, ja, das ist alles hier drin.
Was mir auch so gut gefällt, ist dass Frieda nicht verbittert, es sind hier schon auch zynische Momente vorhanden, die Szene mit dem Arzt z.B. und dem ganzen Mundwinkeltheater, aber alles in allem ist es einfach eine sehr liebenswürdige Figur, die du da zeichnest, und sie nimmt die Situation mit Würde.
Und dann ist das Thema Tod ja schon unglaublich emotional und da ist man wahrscheinlich immer sehr nahe dran, irgendein Klischee rauszuhauen, vor allem wenn man dann beim Schreiben die kritische Distanz verliert, ja, aber du vermeidest hier alle Fallen und es ist noch nicht einmal zu sentimental.
Vielleicht ist mir was entgangen, aber ich habe relativ am Anfang schon aufgehört analytisch zu lesen, weil es einfach so gut geschrieben ist.
Natürlich habe ich mich schon gefragt, wo es denn all diese Popcornsorten gibt, aber das passt schon.
Essen und Menschen, ja, das ist wohl wahr.
Es ist ein anspruchsvoller Text, der mich als Leser fordert, es ist definitiv eine der besten Geschichten, die ich bisher hier auf der Seite gelesen habe. Und eigentlich, das muss ich jetzt eingestehen, lese ich Geschichten mit weiblichen Prots nicht besonders gerne. Das ist blöd, ich weiß.
Das wird jetzt glaube ich der erste Text, den ich hier empfehlen werde, will mir die Tage die passenden Worte überlegen.
lg, randundband

 

Liebe Novak,

aaach, deine Geschichte tut so weh, so weh. Ich weiss gar nicht, was ich dazu schreiben soll. Am besten, ich falte sie ganz sorgfältig zusammen und leg sie in ein Kästchen und das stelle ich zuhinterst in den Schrank. Dann weiss ich – wenn ich es nicht vergesse, - dass da etwas Kostbares liegt, was ich nicht wissen will.
Um mich zu beruhigen, mache ich jetzt erstmal etwas Textkram:
Straßencafe auf dem Platz > Straßencafé
bestellte Capuccino > Cappuccino
die Kontrolle behielt,wenn > fehlt ein Leerschlag

und dann dachte sie an ein Stück zerrissenen, seidigen Stoff.
da stimmt etwas nicht: Das Stück / der Stoff … Ein Stück zerrissenes? Oder: und dann dachte sie an einen zerrissenen, seidigen Stoff.

Wo ich mir nicht ganz so sicher bin: Die Popcorn-Sache. Die hat mich abgelenkt. Ich hab sie mit einem Schmunzeln gelesen, wurde dann etwas unwillig, sie schien mir nicht unwesentlich, nur zu lang. Aber warte mal noch, was andere dazu sagen oder was du selbst empfindest, wenn du die Passage mal ruhen lässt und später wieder liest. Im Gegensatz dazu fand ich aber die 'Strecke' mit der Hundekarte gut!
Gestolpert bin ich über das Geburtsjahr 1980. Da dachte ich: Was so früh schon? So jung ist Frieda? Gerade mal 33?
Und: bekommt man echt auf der Beratungsstelle diese blaue Pille in die Hand gedrückt? Sollte die nicht eher von Dr. Manninger gegeben werden? *rätsel*

Wunderschön atmosphärisch und eindringlich:

Zeit war elastisch geworden, ein Band, das sich dehnte, und wenn Frieda daran zog und endlich glaubte, eine Erinnerung zu fassen und zu behalten, dann schnalzte das Band zurück und die Erinnerung entglitt.
Eine Kerze flackerte Honigschimmer auf das Holz,
Und dann lachte sie laut, weil alle ganz pikiert guckten und weil das so entsetzlich rosarot und zum Schreien war,
Ihr Vergessen würde sie vom Vergessen erlösen. Ein wunderbar ironischer Widerspruch.
Ein wunderbar ironischer Widerspruch. > Diesen Kommentar würde ich streichen. Der erübrigt sich.

Ja, da hast du eine gute, eine sehr gute Geschichte geschrieben. Ich kann hier nicht alles zitieren. Beeindruckend, wie emphatisch du Frieda und Kim handeln lässt und sie mir nahe bringst. Die vielen Details – wie aus dem Augenwinkel. Nirgendwo bleibst du kleben. Dadurch wird die Geschichte so schmerzlich und wahrhaftig: Handlung statt Beschreibung. Gross, gross, grossartig!

Mit lieben Grüssen,
Gisanne

 
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Wahnsinn, liebe Novak!
Keine der vielen Geschichten, die ich im letzten Jahr hier gelesen hab, hat mich derart kalt erwischt wie diese hier. Ich schwör’s dir, beinahe hätte ich geheult beim Lesen, also einen richtigen Kloß hatte ich im Hals, kein Witz.
Obwohl ich eigentlich eher skeptisch zu lesen begann, muss ich gestehen. Offenbar geht’s da um eine ältere Frau, dachte ich mir, gar um eine kranke, ältere Frau? Will ich sowas lesen? Als dann allerdings von ihrem früheren Beruf die Rede ist, war ich beinahe wie vom Blitz getroffen, und ab da begann mich die Geschichte förmlich zu verschlingen.
Es mag jetzt ein riesengroßer Zufall sein, dass die Schwester meines Vaters in Deutschland gelebt und als Modeschöpferin (sic) gearbeitet hat. Sie war eine ungemein kluge, liebenswerte, großherzige und gleichzeitig herrlich exaltierte Frau und ich als ihr Patenkind hab sie abgöttisch geliebt. In ihren letzten Lebensjahren taumelte sie dann unaufhaltsam dem Abgrund der Alzheimerkrankheit entgegen und starb schließlich vor zwei Jahren neunzigjährig. Jessas, hab ich die geliebt. Pff.

Und klar hab ich mir gestern nach dem Lesen gedacht, verdammt offshore, zu der Geschichte darfst du jetzt eigentlich gar nichts sagen, da kann ja nur sentimentales, vollkommen unkritisches und subjektives Geschwafel rauskommen. Vielleicht später, in ein paar Tagen dann, mit ein wenig Distanz. Aber heute Morgen wiederum hab ich mir gedacht, scheiß doch drauf, mich hat deine Geschichte dermaßen berührt, mir echt das Herz zusammengeschnürt und das Hirn verdreht, warum soll ich das nicht einfach sagen? Warum soll ich dir nicht von meinen unmittelbaren Gefühlen beim Lesen erzählen, Zufall hin oder her?
Immerhin ist es ja deine Sprache, dein Erzählenkönnen, deine so augenscheinliche Liebe zum Text und den Figuren, die mich so tief in meine Erinnerungen sinken ließen. Und gleichzeitig war ich nicht so unkritisch und so befangen, dass mir die großartige Komposition deiner Geschichte nicht aufgefallen wäre. Wie es dir gelingt, diese unglaublich vielen Details und Beobachtungen zu verweben, so folgerichtig eins ins andere fließen zu lassen, mit immer wieder überraschenden Wendungen. Ich will da jetzt gar nicht anfangen, besonders schöne Stellen zu erwähnen, ich käme zu keinem Ende. Das ist schon sehr, sehr gekonnt. Und deine Erzählsprache erst, die ist so dicht dran an der Frau, ihr so vollkommen angemessen. Meine Güte, Novak, das ist einfach eine ganz, ganz tolle, starke Geschichte, so traurig und so wunderschön.
Ich getraue mich ja kaum, die für mich einzige Schwäche zu erwähnen:
Die Begegnung mit dem jungen Mann im Café ist so liebenswert und gleichzeitig so schräg und witzig, und klar spürt man, dass da jetzt was kommen muss, aber das ist dann halt schon ein riesengroßer Zufall, dass er ausgerechnet diese Doku erwähnt …
Klar, das ist dramaturgisch vollkommen perfekt konstruiert, vor allem im Hinblick darauf, was sich dann alles daraus ergibt. Aber eben doch, na ja, irgendwie konstruiert halt … andererseits, scheiß drauf, ist ja eine Geschichte, und wenn ich mir so anschaue, was es im wirklichen Leben an aberwitzigen Zufällen gibt, dann passt das schon.
Ich will jetzt aufhören, liebe Novak, mein Herz ist so voll, ich könnte endlos weiterschreiben, und die Geschichte loben und loben und loben …

Jetzt bleibt mir nur mehr, mich mit randundband darüber zu streiten, wer die Geschichte nun empfiehlt, bzw. mit all den anderen, die das vermutlich auch tun wollen.
Allerdings hab ich schon einmal, gemeinsam mit Lakita, quasi eine Doppelempfehlung ausgesprochen, vielleicht wird’s ja diesmal die Kollektivempfehlung einer Dutzendschaft von Lesern. Verdient hätte es der Text allemal.

Ein ganz großes Dankeschön, Novak, für diese hinreißende Geschichte.

offshore

 
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Hallo,

ich finde, die Frage, ob der Text in der Zukunft spielt, und wie weit er in der Zukunft angeordnet ist, lenkt von der eigentlichen Geschichte ab, ohne viel beizusteuern. Also man weiß: 1980 ist sie geboren. Und das ist nicht „unsere“ Welt, weil es so eine Suizid-Pille gibt. Und der junge Mann spricht über Popcorn wesentlich deutlicher „Dass es das noch gibt“ als es heute der Fall wäre. Die Erzählerin verhält sich, finde ich, auch nicht wie eine heute 33 jährige. Es wär halt gut, wenn irgendwo am Anfang das deutlich werden würde. Oder es spielt „Jetzt“ und ich bin da einem falschen Pferd nachgerannt, ich will nur sagen: So Fragen wie „Ist das jetzt ein Mann oder eine Frau“ und „Wie alt ist die?“ oder „Wann spielt das?“ - das sind Sachen, die ein Text früh klären sollte, wenn er sie thematisieren will, sonst lenken die ab.

Zum Thema: Ich fand den stärksten Moment, wenn sie ganz am Anfang mit dem Kellner zu tun hat. Und er das Trinkgeld nimmt und komisch schaut, und Frieda denkt sofort: Oh Gott, was hast du ihm jetzt gegeben? Das fand ich auf den Punkt perfekt. Das hat mich berührt. Dieses Misstrauen sich selbst gegenüber, dieser ständige Zweifel. Ansonsten finde ich den Text die ersten Seiten über stärker als die letzten. Das mit dem Kellner, auch diese schöne Passage mit dem Chef und wie sie da gearbeitet hat, wie sie den Mädchen nachschaut – das fand ich sehr schön. In der zweiten Hälfte finde ich Kim insgesamt das stärkste Element, weil es mich als Leser vor eine zweite Frage stellt. Die erste Frage ist ganz klar: Oh Gott, wenn ich da den Kellner so unsicher anschauen würde? Wenn ich das hätte? Und die zweite Frage ist dann: Wenn das jemand hätte, für den ich dann verantwortlich bin. Da fand ich in der zweiten Hälfte die beste Stelle, wenn Frieda sich an etwas erinnert und es Kim sagt und denkt, die müsse sich ja auch so super freuen, und sie schaut nur traurig. Da ergänze ich als Leser: Weil sie das schon 5mal in der Woche gehört hat, und das ist so ein zweiter punktgenauer Stich bei mir. Ich hab neulich im Fernsehen gesehen, dass man Schauspielerinnen sagt, sie sollten ihre Tränen unterdrückten, wenn sie das Publikum zum weinen bekommen möchten. Das ist auch ein kluger Rat für solche Geschichten, das hab ich an der Stelle gemerkt.

Die Geschichte ist im Kern diese Statusbeschreibung, ein Zustand, eine Lebenssituation. Den Plot mit dieser „Todespille“, der Dialog mit dem Popcorn-Typen: das ist dann wie so ein trojanisches Pferd. Mich interessiert das Thema Alzheimer – wie kann ich das jetzt dem Programmchef verkaufen: Ich sag, ich mach einen Thriller draus mit dem Thema „Euthanasie“ noch, dann hab ich ein aktuelles Thema noch und es hört sich im Pitch spannender an. Also das fand ich schwierig im Text. Das Thema „Alzheimer“ und „Vergessen“ ist wie jedes „große“ Thema für einen Autor dankbar. „Amour“ von Haneke, noch andere Sachen – überhaupt wenn es um Sterben und Abschied geht, um Verlust oder diese „großen Themen“ - da kann man als Autor, der den Stoff ernst nimmt, auch wenig falsch machen, denke ich. Man sagt zwar immer, das sei so schwer und tabuisiert und man sei da so dicht an der Kitschfalle – aber … ich halt das für Quatsch. Für einen Autor, der diese Themen annimmt und ernst nimmt, sind das dankbare Themen. Ich denke der Kitschfalle lässt sich leicht ausweichen, wenn man ein bestimmtes Niveau erreicht, ich finde das hast du auf jeden Fall in dem Text. Ich denke über Pubertierende, die ihr Ding in alles mögliche stecken, kann man nur schwer was Gescheites schreiben, aber über so existentielle Themen wie Alzheimer, das Verblassen aus der Welt: Klar. Auch wenn das immer so hingestellt wird, als sei das ein Tabu-Thema, sind „Alzheimer“ und die Angst vorm Altern präsente Themen in der Fiktion der letzten Jahre.

Fazit: Ich find den Text gut, ich finde er hat in zwei Momenten genau meine Frequenz getroffen. Ich finde er hat in der Darstellung des schwierigen Verhältnis zu Kim seine Stärkeren. Der Text zerfällt ein bisschen in zwei Teile. Der erste Teil, diese Zustandsbeschreibung, die Angst vorm Verblassen find ich stärker. In der zweiten Hälfte kommt mit dieser Todespille ein zweites, großes Thema in die Geschichte, das mir nicht stark genug mit dem ersten verbunden ist. Den Popcorn-Jungen krieg ich schwer unter, der fällt ein wenig aus dem Monolithischen der Geschichten und bricht sie auf.

Ansonsten denke ich die Geschichte ist auf hohem Niveau, sie ist angenehm temperiert, mich haut sie jetzt halt nicht aus den Socken, aber das kann eh kein Text garantieren. Von deinen Geschichten, die ich bisher gelesen hab, denke ich schon, dass die hier auf einem anderen Niveau ist.

Gruß
Quinn

P.S.: Der Titel ist spitze!

 

Hallo Novak

Eine Neue von Dir! Ich bemerkte sie letzte Nacht und war natürlich neugierig, was sich da anbahnt. Einem Impuls folgend scrollte ich erst mal ihre Länge und fiel in Ohnmacht (=Schlaf). Doch nun mit mehr Speicherkapazität, um diesen Umfang aufzunehmen, machte ich mich ans Lesen.

Frieda brummte die Worte vor sich hin, immer wieder, während sie die Straße entlanghuschte, hin zu dem Straßencafé auf dem Platz zwischen den Hochhäusern.

Ich versuchte mir das huschen der Frieda bildlich vorzustellen, einem Schatten gleich meinte ich sie wahrzunehmen, als wolle sie nicht auffallen. Da war ich mir gar nicht sicher, ob ich da etwas hineininterpretiere, dem gar nicht so ist.

Mit dem Finger fuhr sie hastig die Tage in ihrem Phone nach, verglich, noch einmal und noch einmal, immer wieder. Nein, das war schon länger her. Sie hatte nur vergessen, den Zettel fortzuwerfen.

An dieser Stelle hatte ein Unbehagen seinen klammernden Griff bereits fest um mich gelegt, es war mir klar, was da in Frieda vorging. Die Diagnose zeigte sich in den Erinnerungsfetzen oder mehr noch, in den fehlenden Teilen.

Ob man als Arzt ein Mundwinkelseminar besuchen musste?

:lol: Gemein zu lachen, aber der traurige Gedanke von Frieda erzeugte mir doch impulsiv Situationskomik, wenn ich mir die Teilnehmer an einem solchen Seminar vorstelle.

Beratungszentrum Ianua digna
Menschenwürdig leben
Menschenwürdig gehen

Sehr schöner Name, den Du da dem Zentrum gönnst, eine Tür zur Würde. Für mein Empfinden fügt es sich feinfühlig ein.

Noch mehr Zettel, eine ganze Serie hatte es sich in ihrem Zimmer breit gemacht.

Das Unbehagen war hier für mich als Leser schon arg zur Bedrückung angeschwollen, da der Zustand von Frieda zunehmend intensiver wirkte.

Sie werden ja ganz blass. Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?“

:lol: Dieser Abschnitt schaffte es, das mir Beklemmende soweit aufzuheben, dass ich laut lachen musste. Die kleine Blaue hatte mich beim ersten Auftreten zwar schon erheitert, da weder sie noch der Markenname real existieren, aber einen Indie-Film aufklärend darüber abzudrehen, das ist der Clou. Die arme Frieda …

Auf der Karte liefen zwei struppige Hunde nebeneinander her.

Hier gelang Dir der ganz grosse Wurf. Eine an sich deprimierende Geschichte, die von der Diagnose und in der Entwicklung eigentlich nur einem Ausgang zustreben kann, so friedvoll und besänftigend enden zu lassen, ohne auch nur im Ansatz kitschig zu werden. Ein gewagtes Thema, das sich humorvoll mit dem nötigen Ernst verquickt und sprachlich schön und locker anbietet.

Aus meiner Lesersicht war es deine beste Geschichte, die mir bekannt ist.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Liebe Novak,

wie sie so da saß, am Anfang, den Kaffee schlürfend, über die Vorzüge kurzer Röcke sinnierend, ich dachte, wann geht die Sache denn los. Wenn sie nicht von dir gewesen wäre, diese Geschichte, vielleicht wäre ich geflüchtet ...

Zum Glück hielt ich durch, alle Milchblasen lang, denn der vorsichtig sich herantastende Beginn passt zur Geschichte des sich - ganz langsam - Verlierens. Ja, so 'normal' sitzt und denkt und schaut der Mensch, und der Abgrund sitzt schon mit am Tisch.
Und wie er sich von innen, ins Denken und Fühlen, hineinfrisst, das hast du unglaublich gut dargestellt. So gut, dass es mir als Leserin beinahe so schlecht ging wie ihr, der es passiert.
Und die Sache mit der blauen Pille, Wahnsinn, wie du ganz zart und mittelbar die scheinbare Einfachheit des 'Notausgangs' infrage stellst, nebenher den Leser in die Ungewissheit entlässt, was ihr mit dieser Pille womöglich noch bevorsteht. Oder ohne.
Eine ergreifende, wieder toll erzählte, Geschichte, danke.

Ein einziger Kritikpunkt in meinen Augen, das Popcorn ploppt zu sehr, ich finde, es bekommt zu viel Raum (also soviel steckt für mich nicht drin an Sinnbildlichkeit). Der ganze Rest: Nicht zu übertreffen.

Viele Grüße,

Eva

P.S.
Meinem Vater ging es so, seither fürchte ich mich vor einer Schicksalsmöglichkeit mehr ...

 
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An meine Kommentatoren, vielen Dank schon mal euch allen.
Gestern wollt ich schön allen antworten, aber dann haben mich so ein paar unerwartete Moderatorenaufgaben davon abgehalten. Jetzt brauch ich halt ein bisschen, denn die Woche hat wieder angefangen, und die hier, die ist echt hart. Aber mal schauen.

Lieber randundband,
mit dir fang ich an, warst ja auch der erste. Und ich glaube vor dem ersten Kommentar hat man immer so ein kleines Spannungsgefühl. Und Mensch, Mensch, mir ist die Kinnlade runtergefallen, als ich gelesen habe, was du geschrieben hast. Ich hab ihn schon Samstag Nacht gelesen und hab direkt einen dicken Kloß in den Hals gekriegt. Ich glaube, so doll hat mich noch nie jemand gelobt. Mensch, das ist mindestens so schön wie warmes Bad und dazu Eiscreme und fetter Cappuccino. Halt, den Krimi von Jörg Maurer darf ich nicht vergessen. Ja. Auf jeden Fall.
Ich muss schon sagen, wenn ich daran denke, wie ich gezweifelt habe, ob die Geschichte denn ok ist, ob ich sie überhaupt posten soll, weil ich mir so unsicher war, da muss ich jetzt fast lachen. Ich glaube, mit dem Einschätzen von Geschichten hab ichs nicht so, vor allem, wenn es meine eigenen sind.
Mich hat das mächtig gefreut, dass du die Geschichte so gut findest, das ist ja klar. Und so wie du die Frieda als Mensch beschreibst mit ihrer Liebe zum Leben und der Lust an den kleinen Dingen, genau so sollte sie auch ankommen.
Ach ja, Lob tut halt auch verdammt gut, denn natürlich will man sich verbessern. Das hängt nur leider manchmal nicht nur von dem eigenen Willen ab, Entwicklungen gehen rauf und runter und schlagen ihre Kapriolen. Aber das ist ja auch spannend.

Wie sich die Sätze nahtlos verzahnen, wie alles ineinander greift
Ja, da habe ich in diesem Fall großen Wert drauf gelegt, es steckt sehr viel Arbeit in diesem Text, das ist bei mir aber immer so. Aber hier wars im Endefffekt noch mehr. Aber zu dem Verzahnen wollte ich sagen, dass ich, was diesen Punkt betrifft, sehr viel von Rick gelernt habe. Der hatte mal vor geraumer Zeit eine Geschichte geschrieben über mehrere Frauen und Männer. Als er sie schrieb, hat er jeden neuen Teil der Geschichte mit dem Ende des vorherigen Teils verknüpft, vorstellbar wie so ein schriftstellerischer Staffellauf. Das hatte mir damals mächtig imponiert. Hier ist im Prinzip nur eine Stelle übrig geblieben, wo das wirklich geklappt hat, nämlich als sie nach dem Arztbesuch vor dem Schild steht. Aber vielleicht merkt man ja doch noch mehr davon, als ich dachte.

Wie eindringlich du in ihre Gefühlswelt eintauchst, ja, mich als Leser da eintauchen lässt, dieser traurige und gleichzeitig ironische Blick
Auch das war mir sehr wichtig, dass es nicht zu traurig wird, sondern durch ihre Ironie oder ihre Liebe zum Leben so ein bisschen gebrochen wird.
Ich finde, dass die Sache sonst Gefahr läuft, zu rührselig zu werden.

Du zeichnest hier eine sehr echte Figur, mit einer Feinheit, die sie vollkommen macht. Ich bin ein bisschen neidisch, aber das ist auch sehr inspirierend.
Du schreibst hier was, das fühlen hier glaube ich viele. Mir geht es so, jetzt zum Beispiel bei der Jugendtextchallenge, dass ich denke, Mensch, das würdest du nie hinkriegen, Novak. Ich denk schon, dass ich ein zu alter Knochen bin, um das noch authentisch rüberzubringen, obwohl ich Jugendgeschichten verdammt gerne lese und mich dafür ja nicht zu alt finde. :) Und gleichzeitig fühlt man Stolz auf die anderen, die so schöne Geschichten schreiben, Freude darüber, dass das so tolle Texte sind und wie die Autoren hier sich entwickeln. Und, das ist ein immens wichtiger Punkt, das sehe ich haargenau so wie du, man wird total inspiriert.

Ja klar, da fragt man sich, wie geht man denn aus dem Leben, wie geht man mit so einer Situation um, dieser schleichende, unsichtbare Zerfall, die ganze Ausweglosigkeit und die Angst, die allgegenwärtig ist und gleichzeitig die Lust am Leben, die kleinen Dinge, die so viel Bedeutung bekommen, ja, das ist alles hier drin
So war die Geschichte gemeint. Genau die beiden Pole waren mir wichtig, dass die rauskommen. Es lässt sich leicht sagen, wie man sich denn verhalten würde, wenn es mal soweit ist. Ich kenne viele, die sich das genau überlegen, wenn sie noch gesund sind, und die sich ganz sicher sind, wie sie mit dieser Situation umgehen würden. Und dann kommt doch alles ganz anders. Ach, ich habe leider mit diesen Dingen persönlich zu tun, will da nicht so viel mehr zu sagen, ich glaube, da drängt sich das dann als Thema regelrecht auf.

Natürlich habe ich mich schon gefragt, wo es denn all diese Popcornsorten gibt, aber das passt schon.
Essen und Menschen, ja, das ist wohl wahr.
In der Zukunft natürlich. Der Text spielt in zwanzig, dreißig Jahren. Und ich muss mir selbst vorwerfen, dass ich das nicht gleich zu Anfang deutlich gemacht habe. Ich hatte in einer der ursprünglichen Fassungen so eine Sonnenlichteinfangmaschine, nein, ich meine keine Solarzellen, die sind ja schräg angeordnet, nein, meine Maschine konnte auch als Hauswand Sonnenlicht speichern und damit dem Platz und den Heizpilzen und so Strom liefern. Aber erstens hab ich mir fast die Finger und das Hirn verknäult beim Ausdenken dieser bescheuerten Manschine. Ich hatte in Physik ganz oft ne fünf! Ich bewunder seitdem science fiction Autoren noch mehr. Ich hatte vor, dem Leser gleich mitzuteilen, hör mal, du bist hier nicht in der Gegenwart, das zeigt die Maschine. Aber wie gesagt, nicht nur, dass ich auf dem Niveau einer Sonnenlichteinfangmaschine blieb, ein Freund, den ich damals zu dem Thema befragt hatte, meinte, wenn ich mit so einer Machine anfange, dann erwartet der Leser einen echten science fiction, also solle ich es lieber lassen. Und die Frieda ins Cafe´zu setzen und eine Zeitung lesen zu lassen, die 2032 gedruckt wurde, das erschien mir zu vordergründig. Ich dachte dann, die Chronitätsabgabe und das Wissen, dass man mit 32 kein Alzheimer kriegt, würden für sich sprechen, aber das ist wohl zu wenig. Du warst verdutzt, Gisanne hat das angemerkt und Quinn hat das dann explizit gemacht. Ich denke, man muss bei aller Spannung, die man gerade am Beginn wirken lassen will, darauf achten, dass der Leser eine Personen- und Ortsorientierung hat. Ich hätte da mal auf mein Bauchgefühl hören sollen. Jetzt werd ich mir meine Gehirnwürstchen halt nachträglich quetschen, damit ich doch noch eine Idee kriege. Ist ja jetzt keine riesige Sache.

Und eigentlich, das muss ich jetzt eingestehen, lese ich Geschichten mit weiblichen Prots nicht besonders gerne. Das ist blöd, ich weiß.
Hehe, fand ich lustig, das hab ich mir noch nie überlegt. Ich seh das zum Teil ganz anders, ich find das nämlich manchmal lustig, welchen so ganz anderen Blick Autoren haben, wenn sie Protagonisten des eigenen Geschlechts oder eben des anderen Geschlechts handeln lassen. Es ist, wenn man noch nicht so supererfahren ist, manchmal leichter, einen Protagonisten des eigenen Geschlechts handeln zu lassen. Da kennt man sich besser aus. :D
Lieber randundband, noch einmal tausend Dank für deinen Kommentar, für dein Lob, ich hab mich tierisch gefreut, dass die Geschichte so angekommen ist bei dir, wie sie gemeint war.
Viele Grüße von Novak

 

„Die Geißeln sind in der Tat eine Angelegenheit,
die jeden angeht, aber man glaubt nicht an
Geißeln, selbst wenn sie einen aufs Haupt treffen.“
Camus​

Warum sprech ich hier die (potentiellen) Konjunktive vor der ersten würde-Konstruktion
Macht nichts, dachte Frieda, sie würde sie sowieso nicht anschauen
nicht an? Weil das scheinbare Spiel mit dem
Aussatz
immer schon aus dem Konjunktiv ein Konjunktief schuf.
Der Aussätzige war in der Tat nicht nur der an dem Aussatz/der Lepra erkrankte, sondern auch der von einer Pest befallene, die man isolieren musste, und darum die Stigmatisierten buchstäblich aussetzte, um nicht selbst befallen zu werden, und jeder glaubt, dass er unsterblich sei, nicht von schwerer Pein getroffen werde. Vielleicht sind diese, die es schlicht vergessen, dass da was ist, noch relativ glücklich dran. (Sagt man nicht, Glücklich wäre, wer vergäße, was nicht mehr ändern ließe? Das ist wie mit dem Tod: Er ist das Problem derer, die mit LEBEN müssen)
Ob ein Arzt
Mundwinkelseminare
Besuchen muss, weiß ich nicht. Aber in den zwanzig Jahren, in denen ich mit Ärzten zu tun hatte, hat sich das Bild wesentlich zum Geschäftsmann hin gewandelt, der an der Ware Gesundheit auch ordentlich verdienen will und dazu gehört die Imagepflege - notfalls mit Hilfe des Marketing, dessen sich das Kapital ja auch in seiner uniformierten Variante bedient.
Von der Gesundheitsindustrie ganz zu schweigen … Wo Geld zu verdienen ist, schlägt das System zu …
Da hat mir dann der junge Mann ein bisschen Hoffnung gemacht …

Paar Schnitzer

Flüchtigkeit

Straßencafe
…café
Wieviel hatte sie ihm denn gegeben?
Wieviel = Konjunktion? Eher nicht.
… , so fest, dass die Kanten in die Haut bohrten, …
Sich …?
das ist ok,
okay oder o. k.
…, griff sich wieder seine Tasse, nahm einen Sch[l]uck.

Zeichensetzung

…, wandte sich ein-[,] zweimal nach ihrer …
Ach, sie hatte einfach Angst, jämmerliche[,] beschissene Babyangst
Aber irgendwann würde sie vergessen, was das für eine Pille war[,] und sie würde sie nehmen.

„Oblong-Fitz-Oblong“, rief sie,
ja, das waren noch Zeiten, als die Blechdosenarmee über Auftritte der Augsburger Puppenkiste nicht nur Kinderherzen erfreute, sondern auch schon Fiete Appelschnut und Hein Segelohr. Wenn die erste Vergesslichkeit auftritt, nenn ich’s professorale Ausfallserscheinung (Vorbild: Einstein), dumm ist dann freilich, wenn’s andauert. Nicht, wenn man seine Träume vergisst, zumindest nicht mehr um sie weiß, erst, wenn einer letztlich sich selbst vergisst.

Gern gelesen vom

Friedel

 
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Liebe Novak

Zunächst einmal hats mich sehr gefreut, als ich gesehen hab, dass du einen neuen Text eingestellt hast. Ich weiss, dass du intensiv an deinen Texten arbeitest und das Schreiben sehr ernst nimmst, auch, dass du hohe Ansprüche an dich selbst hast - daher freue ich mich jedes Mal, wenn du eine neue Geschichte einstellst.

Bevor ich da jetzt einsteige, möchte ich mit einem Zitat aus deiner Antwort beginnen:

Ich dachte dann, die Chronitätsabgabe und das Wissen, dass man mit 32 kein Alzheimer kriegt, würden für sich sprechen, aber das ist wohl zu wenig.

Ich habe neulich - eher zufällig - einen Artikel über Alzheimer gelesen und dabei erfahren, dass der jüngste Patient 27 Jahre alt war. Ich hab das nicht weiter recherchiert wie bis zu Wikipedia, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass das stimmt.

Anfangs dachte ich auch anhand deiner Beschreibungen, die Frieda sei eine ältere Frau. Als dann das Geburtsjahr erwähnt wurde, war ich der Meinung, es handle sich um eine der seltenen jüngeren Patientinnen. Das fand ich interessant dann, weil ich gespannt war, ob du dem Thema aus Sicht einer jungen Betroffenen etwas abgewinnen kannst, das mit einer älteren Betroffenen vielleicht nicht möglich gewesen wäre. Am Ende war ich dann etwas durcheinander mit dem Alter, denke aber auch, dass es keine Rolle spielt, ob die Frieda 30 oder 50 ist. In ihren wesentlichen Aspekten wäre die Geschichte dieselbe, weil es egal ist, wie alt man ist, wenn man an Alzheimer erkrankt. Die Krankheit raubt einem die Erinnerung und damit die eigene Identität - da kommt es nicht mehr auf das Alter an.

In deiner Geschichte zeigt sich eben dieser Verlust der Identität, die Entfremdung, an vielen Stellen, und so erzeugst du auch ein tiefes Mitgefühl des Lesers mit deiner Figur. Du bist in jeder Stelle nah an ihr dran, ohne sentimental zu werden oder sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Du arbeitest viel mit erlebter Rede, zeigst uns viel von der Gedankenwelt der Frieda und lässt sie schwanken zwischen Hoffnung und Angst, zwischen Freude und Traurigkeit. Es ist dieser Mix, der die Figur für den Leser interessant macht und auch ein grosses Identifikationspotential erzeugt.

Die Fixierung auf die Zettel ist ein Aspekt. Auf der einen Seite weiss Frieda, dass sie ohne die Zettel nicht mehr leben kann, auf der anderen Seite ist diese Abhängigkeit aber auch eine grosse Belastung. Es ist eine wirklich niederschmetternde Erkenntnis - ohne diese Zettel kenne ich mein Leben nicht mehr, und wie viel davon kann ich überhaupt auf Zettel notieren? Das ist bedrückend, deutlich wird das für mich an der Stelle, als Frieda den nutzlosen Zettel zusammenknüllt und du schreibst:

und schob den Papierball auf die andere Seite des Tisches, weg von sich, nur weg,

Damit sind die Zettel Segen und Fluch zugleich.

Eine andere tolle Stelle fand ich, als Kim und sie ihre Party feiern und Frieda sich zunächst im Zimmer in eine Ecke kauert, vor lauter Scham und Angst. Es ist genau dieser Zustand, in den man von der Alzheimer-Krankheit getrieben wird, in die Isolation. Die nimmt Frieda hier vorweg. Dann, nur einen Absatz später, tanzt sie ausgelassen mit Kim, bis beide vor Lachen umfallen. Trotz dieser Gegensätze ist das eine authentische Szene, auch hier spielst du wieder mit den beiden Extremen, das zieht sich wirklich durch den ganzen Text.

Ich möchte nochmal auf die Zeit zurückkommen: Du sagst, der Text sei in der Zukunft angesiedelt. Ich finde, wenn ein Text in der Gegenwart spielen könnte, sollte er das auch tun. Es braucht gute Gründe, die Handlung in eine andere Zeit zu verlagern, eben weil du dann vor die schon angesprochenen Probleme gestellt wirst, dem Leser mitzuteilen, in welcher Zeit der Text denn nun spielt. Hier sehe ich ehrlich gesagt keinen Grund, die Handlung in die Zukunft zu verlagern (die Punkte, die das verdeutlichen sollen, das Popcorn und der Benzinersatz zum Beispiel, fand ich dann auch eher verwirrend). Du brauchst eine Erklärung für die Sterbepille, die wiederum, um diesen tragischen Twist am Ende hinzubekommen: Frieda wird sich töten, obwohl sie es gar nicht wollte.
Ich finde, der Text schlägt da am Ende eine Kapriole zu viel. Die Idee mit dem aufgeschobenen Selbstmord, die ist ganz stark, auch weil ihr eine eigene Tragik innewohnt: Frieda nimmt sich die letzte freie Entscheidung. An dem Tag, wenn sie die Pille schluckt, weiss sie nicht mehr, was sie damit bewirkt, das ist die ultimative Resignation vor der Krankheit. Also das gefällt mir gut.
Dann aber die Vorwürfe gegen diese Sterbehilfe-Organisation, das kommt mir zu plötzlich und passt irgendwie nicht. Das ist eine sehr persönliche Geschichte, die du da geschrieben hast, da wirkt so ein Seitenhieb auf die Pharmaindustrie fehl am Platze. Zumal auch zwei Dinge klar sein sollten: Zum einen müssen die Anschuldigungen keinesfalls der Wahrheit entsprechen (nur weil irgendwer das in irgendeinem Film behauptet), zum anderen bessern sich Friedas Leben und ihre Aussichten dadurch nicht.
Wenn du den Twist am Ende beibehalten möchtest, kannst du immer noch die Ängste von Frieda beschreiben, die ja im Text auch schon der massgebliche Grund sind. Dafür braucht es aber keine Gerüchte, dass die Pillen angeblich nicht wirken und den Zustand der Patienten nur verschlechtern. Jeder hätte in einer solchen Situation Angst, diese Pille zu schlucken, auch (und vielleicht besonders) wenn sie zu 100% wirkt.
Also, um den Gedanken zu Ende zu führen: Nur wegen der Pille musst du die Geschichte nicht in die Zukunft verlagern. Eine solche Pille könnte man auch heute schon beziehen, verbunden mit denselben Hoffnungen und Ängsten. Gerade wenn du Wert auf die Ängste legst, wenn eine solche Pille heutzutage aus einer dubiosen Quelle beschafft wird, wäre die "Qualität" noch viel fragwürdiger und die Ängste damit durchaus nachvollziehbar.

Ein wenig Textkram noch am Ende:

Sie sah, wie die Sonnenstrahlen allmählich an den Fassaden emporturnten und der verschattete Platz sich zur orangen Heizpilzzone entzündete.

Da musste ich stutzen. Heizpilze, die bring ich mit Weihnachtsmarkt und Skifahren in Verbindung, also mit tiefem Winter. Hier ist ja von einem warmen Frühlingstag die Rede, von kurzen Röcken, warum dann Heizpilze?

Meinem Gefühl nach müsste es "orangenen" Heizpilzzone heissen, aber ich glaube, "orange" gehört zu den Farben, die man nicht beugt. Also vermutlich "orangefarbenen Heizpilzzone".

So gut, dass die Kolleginnen immer sie vorgeschickt hatten, wenn es Probleme gab. Ach ja, so war das damals.

Ja, hier wird schon klar, das ist eine ältere Frau. Aber ich dachte, das sei ein erzählerischer Kniff von dir, und du wolltest sie absichtlich älter darstellen als sie ist.

Sie zahlte und gab ihm ein großzügiges Trinkgeld, registrierte sein überraschtes Gesicht. Ein Stich durchzuckte sie. Wieviel hatte sie ihm denn gegeben?

Überlege doch mal, ob man das "grosszügig" hier weglassen kann. Denn wenn es aus ihrer Sicht - und aus der schreibst du ja - schon grosszügig ist, warum durchzuckt sie dann ein Stich, wenn er überrascht schaut?

Zeit war elastisch geworden, ein Band, das sich dehnte, und wenn Frieda daran zog und endlich glaubte, eine Erinnerung zu fassen und zu behalten, dann schnalzte das Band zurück und die Erinnerung entglitt.

Sehr schönes Bild!

Das wird so früh erkannt jetzt, ihnen bleibt viel Zeit.

Ihnen / Sie ==> gross als Anrede.

Frieda hatte es sich abgewöhnt, den Menschen in die Augen zu schauen, wenn sie mit ihnen sprach. Der Mund lachte freundlich, gleichzeitig beklagten sich die Augen über die Last, mit ihr umzugehen, oder, schlimmer noch, bemitleideten sie, wenn sie nach einem Wort rang oder einer Erinnerung. Nein, sie zog Münder vor.

Ganz tolle Stelle. Sehr fein beobachtet.

Es war ein unheimliches Wesen, das sie gepackt hielt, ein Wesen, das sie mit kleinen Zetteln bekämpfte.

Mag kleinlich sein, aber auch hier kannst du überlegen, ob es die Adjektive braucht. "Wesen" finde ich schon ein unheimliches Wort, "klein" ist bei Zettel in meinen Augen auch überflüssig.

Wann war das passiert, dass Kim ihr die Entscheidungen abnehmen wollte? Waren es Tage her? Oder Wochen? Die Erinnerung war abgetaucht in die zähe Masse, die jetzt ihr Gedächtnis war.

Hier fände ich es schöner, wenn du das Bild vom elastischen Band nochmal aufgreifen würdest - das hat mir echt gut gefallen. "Zähe Masse" hat nicht die gleiche Wirkung auf mich.

Also Novak, in meinen Augen ist dir da ein sehr persönliches Portrait gelungen von einer Frau, die von einer heimtückischen Krankheit befallen wurde. Ich habe mit deiner Frieda mitgefühlt, mich auch in ihren schönen Momenten mit ihr gefreut, ich denke wirklich, das Authentische ist die grosse Stärke des Textes. Das Ende ist tragisch, aber auch konsequent, und ich kann Friedas Entscheidung, dem Leben ein würdevolles Ende zu bereiten, verstehen. Wenn du noch an dem Text arbeiten möchtest, würde ich überlegen, ob es die Sterbehilfe-Organisation und die Anschuldigungen gegen sie braucht (dasselbe gilt für Friedas Zweifel und ihre Umentscheidung - wie gesagt, der tragische Höhepunkt besteht für mich darin, den Selbstmord bis zu dem Tag zu verzögern, an dem er keine freie Entscheidung mehr ist). Das gibt dem Text zwar nochmal eine neue Dramatik, wirkt auf mich aber etwas zu aufgesetzt, die Stärken hat er definitiv an anderen Stellen.

Viele Grüsse,
Schwups

 

Liebe Novak,

nun komme ich endlich dazu, auch eine DEINER Geschichten mal zu kommentieren.

Als ich Deinen Text zu lesen begann, hatte ich den Eindruck, die Dame sei auf der Flucht vor etwas oder jemandem. Sie huschte, wirkte nervös und auf eine Art auch ängstlich. Zwischendrin verstand ich Deinen Einstieg nicht, er schien mir nicht zum Rest zu passen. Als ich fertig war, sah ich es dann wieder anders. Klar, sie war tatsächlich auf der Flucht. Ihre zunehmende Vergesslichkeit war ihr auf den Fersen, verfolgte sie, ließ ihre Vergangenheit und Gegenwart nach und nach verschwinden, bis sie schließlich auch im Begriff sein wird, ihre Zukunft in ihren Bann zu ziehen, die durch sie verändert wird.

Je mehr ich mich mit Deiner Geschichte befasse, desto trauriger gestaltet sie sich für mich.

Ich habe jetzt nicht ALLE Kommentare gelesen, sondern nur reingeschnuppert, deshalb weiß ich nicht, ob das Thema schon angesprochen wurde – nämlich der liebe Dottore.
Keine Ahnung, ob das Deine Absicht war, aber Du sprichst auf jeden Fall etwas an, das sich heutzutage leider viel zu oft vorfinden lässt: ein Geschäft mit der Gesundheit und der schlechte, oberflächliche Umgang mit Patienten seitens der Ärzte.
Dieses bittersüße Lächeln (oder sollte ich sagen „Grinsen“?) des Dr. Manninger, der vielleicht seinen Profit daraus schlägt, diese Pillen an die Patienten zu bringen. Oder der sich nicht wirklich die Mühe macht, Informationen über dieses Medikament einzuholen. Diese aufgesetzte Freundlichkeit, diese routinierte Gleichgültigkeit im Umgang mit Frieda. Handelt er fahrlässig? Er ist mir sehr unsympathisch und taktlos aufgefallen.. Zum Glück gibt es Ärzte, die ihre Patienten als Menschen mit Bedürfnissen und Persönlichkeiten ansehen und sie dementsprechend behandeln und beraten.

Mit Friedas Alter bin ich erst auch nicht so zurecht gekommen, aber das hast Du ja inzwischen auch geklärt.

Schöne Geschichte – mit bitterem Beigeschmack. Danke!

Meraviglia

 
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Liebe Novak,

gleich vorab, für mich auch Dein stärkster Text, den ich bisher gelesen hab. Hab ihn mir auch gleich noch am Abend ausgedruckt und direkt gelesen. Mit dem Kommentieren hänge ich gerade ein bisschen hinterher, die Zeit, die Zeit ... Nu aber!

Das mit der Klärung der Zukunft wurde schon gesagt, Popcorn ebenfalls, und auch die zwei Teile, aber ich muss Dir sagen, dass ich Dir sehr dankbar war, für die blaue Pille, Sterbehilfe und Selbstbestimmung ist für mich auch ein großes Thema.
Ich kann jetzt nicht sagen, dass sie mich emotional total erwischt hat, wie so manchen anderen Leser, obwohl ich das gut nachvollziehen kann. Ich glaube, da spielen die eigenen Erfahrungen eine große Rolle und die belaufen sich bei mir noch aufs Hören-Sagen. Wer da mehr involviert ist, dem wird es sicher ganz anders unter die Haut kriechen oder man ist auf dem Fuß empfindsamer und ich bin einfach ein Klotz. Aber ganz spurlos an mir vorbeigegangen, ist es nun auch nicht.

Der Kellner kam und brachte den zweiten Cappuccino, schimpfte über die neuen Zahlen chronisch Kranker und den Anstieg der Chronitätsabgabe, flachste ein bisschen über den neusten Benzinersatz, der eine Reihe von Motoren durchgekocht hatte.

Hier wäre der perfekte Zeitpunkt, die Zeit zu klären. Hast Du ja ein bisschen drin, durch den neuen Bezinersatz, mach es deutlicher, lass ihn über was schimpfen was ganz fett auf Zukunft deutet, zum Beispiel, dass sie das Renteneintrittsalter auf 80 angehoben haben, oder das die Verbreitung von Wölfen in deutschen Wäldern langsam bedrohliche Ausmaße annimmt, irgendeine Tierart jetzt endgültig ausgestorben oder König William von England sich ein Bein gebrochen hat. Was weiß ich, Dir fällt sicher etwas ein.

Sie zahlte und gab ihm ein großzügiges Trinkgeld, registrierte sein überraschtes Gesicht. Ein Stich durchzuckte sie. Wieviel hatte sie ihm denn gegeben?

Großartige Stelle!

Frieda hatte es sich abgewöhnt, den Menschen in die Augen zu schauen, wenn sie mit ihnen sprach.

Das konnte ich so gut verstehen. Empfinde ich als einen ganz feinen Figurenstrich.

Ob man als Arzt ein Mundwinkelseminar besuchen musste? Wegen der vielen chronisch Kranken?
Mundtheater macht er, dachte sie.

:)

Verwundert blickte sie sich um. Das war alles ganz leicht gewesen, sie hatte geplaudert, Espresso getrunken, Mandelplätzchen gegessen, hatte verwundert verfolgt, wie Angst und Sorge sich zu Gelassenheit wandelten.

Und so wurde selbst der verwaltungsbürokratische Akt etwas menschlicher. Das fand ich eine schöne Vision.

Teuer, aber nun konnte sie gehen, wann immer sie wollte. Sie hatte etwas, mit dem sie die Kontrolle behielt, wenn ihr alles entglitt. Sie musste nur den richtigen Zeitpunkt erwischen.

Ich habe das hier noch gar nicht so richtig kapiert, was es heißt, den richtigen Zeitpunkt abzupassen. Nach hinten raus bekam das natürlich auf einmal eine Dimension - sag ja, Hören-Sagen-Wissen.

„Das ist wichtig, du musst dich dran halten. Dann lass es mich machen, wenn du es nicht mehr schaffst.“ Kims Stimme klang schrill.
Frieda griff nach dem Dosierer. „Gib her!“
„Ich weiß nicht“, Kim verzog das Gesicht, „traust du dir das echt noch zu?“
„Gib her!“ Mit einem Ruck zog Frieda an der Plastikschachtel, riss sie Kim aus der Hand, die erschrocken auf einen Schnitt an ihrer Hand blickte.

Tja, ab welchen Punkt wird Hilfe zur Entmündigung? Spannende Frage immer wieder und eigentlich auch ein eigenes Thema. Davon hätte ich auch gut und gern noch mehr vertragen. Aber klar, man kann sich dann auch in einem Text verfransen, aber schön, dass es überhaupt aufgeriffen wurde. Fällt mir sowieso grad auf, dass Du das Thema sehr komplex angegangen bist, mit den vielen Facetten, die da reinspielen.

Jede Geschichte von ihnen beiden, wie sie Kim geholfen hatte, ihre Arbeit zu schreiben, oder wie sie ihr Flieder geholt hatte und dabei vom Baum gefallen war, jede einzelne Geschichte wurde zu einem Schatz, den Frieda Tag für Tag suchte, um ihn Kim und sich neu zu schenken. Damit alles seine Ordnung hatte. So froh war sie über das Wiedergefundene, doch Kims Gesicht erstarrte, wenn Frieda anfing zu erzählen. Und am schlimmsten war das Streicheln.

Sehr stark! Weil man hier anhand von Kims Reaktion sieht, wie oft sie diese Geschichten hört, wie sie es nervt, und wie verschieden da eben die Wahrnehmungen sind, zwischen den beiden. Für die eine ist es ein Glück, für die andere eine Belastung.

Vor diesem Sprung aber hatte sie Angst. Sie wollte nicht vor sich hin krepieren, aber sie wollte auch nicht spüren, wie die Tablette den Hals hinunterrutschte, und daran denken müssen, dass dies der letzte Moment ihres Lebens war. Sollte sie ihr graues Spitzenkleid anziehen und auf den Tod anstoßen mit einem Glas Champagner? Und vorher zum Friseur gehen? Eine flotte Kurzhaarfrisur schneiden lassen? Das passte doch alles nicht. Ach, sie hatte einfach Angst, jämmerliche beschissene Babyangst.

Spätestens hier hätte ich aufgehört zu schreiben (wäre es meine Geschichte). Mich da hineinzufühlen, da wäre mir der Text abgehauen, muss ich sagen. Schon allein deswegen, Repekt Frau Novak!

Heute wusste sie noch, dass sie diese Pille nicht nehmen durfte. Und morgen würde sie das auch noch wissen. Lange noch. Aber irgendwann würde sie vergessen, was das für eine Pille war und sie würde sie nehmen. Ihr Tod wäre ein merkwürdiger Zufall, eine Folge ihrer Vergesslichkeit. Sie würde dem Aussatz ein Schnippchen schlagen und ihrer eigenen Angst gleich mit.

Letzten Satz bräuchte ich nicht. Ironie des Schicksals. Da wird das Drama zur Hilfe. Vergessen gegen die Angst. Ich kann die Frau echt verstehen und finde ihren Plan sehr schlau.

Und wenn ich es nicht mehr weiß? Dann gibt Kim mir die Pille. Ihre Kehle verengte sich, sie schluckte, massierte sich den Nacken. Kim. Sie wird es verstehen, sagte sie sich dann, sogar, wenn sie das mit der Pille kapiert. Ja. Sie wird zurechtkommen, das ist ok, sie ist doch jetzt gewachsen.

Sie ist doch jetzt gewachsen - autsch. Kehle zuschnürr. Tja, wie wird es Kim gehen, wenn sie begreift, was sie ihr für eine Pille gegeben hat? Was da alles zusammenkommt, an Themen, uff.

Ihr Vergessen würde sie vom Vergessen erlösen. Ein wunderbar ironischer Widerspruch.

Ich bin ganz klar für streichen ;).

Das guck ich mir nachher gleich an. Dieser Swamovic, der soll eine Indie-Produktion gemacht haben. Über Ianua digna. Kann man nur im Netz sehen.“
„Was?“
„Ein Film über Ianua digna. Dass die jedem die Todespille aufdrücken, selbst Leuten, die noch lange gut leben könnten. Und die lassen sich das teuer bezahlen. Und, jetzt kommts, das Zeug da drin funktioniert noch nicht mal. Ein paar Leute sollen ganz furchtbar verreckt sein, und manche haben trotzdem überlebt, und es war schlimmer als vorher. Die Pharma-Industrie sponsert die angeblich. Und die Regierung auch. Sind doch alle froh, die vielen Kranken loszuwerden. Sie werden ja ganz blass. Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?“

Und dafür das Geseiere über das Popcorn? Wie wäre es, den Kellner wieder auf den Plan zu rufen? Hat er eben wieder was im Radio gehört oder in der Zeitung (gibt es das alles noch?) gelesen. Aber, den Einwand fand ich gut, gibt dem Geschehen noch mal eine Wendung, so ein Dolchstoß von hinten.

Ja, dachte sie, daran habe ich denken wollen, an diesen Himmel. Hell mit einem Schimmer Grün. Kims Geschenk. Sie tippte auf die Karte, fuhr den Himmelsstreifen entlang und freute sich über die beiden Hunde.

Mann, Mann. Das Ende ist schon derb, und da wird so eine alberne Postkarte zum Todesurteil, das man ein paar Minuten vorher noch angefochten hat. Entscheidung getroffen, nicht mehr rückgängig. Vielleicht ein Glück, vielleicht ein Unglück. Aber Die Frage stellt sich bei Sterbehilfe eh immer und insofern ist es folgerichtig.

Feine Geschichte. Hat mir auf jeden Fall auch Facetten gezeigt, die mir erst mal gar nicht in den Sinn gekommen wären, die aber natürlich dazugehören.

Sehr gern gelesen!
Beste Grüße, Fliege

 

Liebe Novak,

leider habe ich wegen eines größeren Projektes im Job sehr wenig Zeit. Es drängt mich jedoch, Deine Geschichte als außergewöhnlich gut zu loben. Das Ding ist professionell geschrieben, Frieda ist mit Händen zu greifen.

Danke und bis bald,

nastro.

 
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Hey Novak,

Ich finde den Anfang bisschen schwierig, weil mir zu viele Wörter drin sind, die ich nicht sofort erfassen kann:

Frühlingswischwaschi, entlanghuschte, emporturnten, krapproten, Chefkopprot
Das verhindert, dass ich einfach abtauchen kann.
Sie zahlte und gab ihm ein großzügiges Trinkgeld, registrierte sein überraschtes Gesicht. Ein Stich durchzuckte sie. Wieviel hatte sie ihm denn gegeben? Sorgfältig verstaute sie den Geldbeutel und strich dann langsam über die metallene Tischplatte. Der Kaffee duftete, rief das Bild einer früheren Kollegin wach, mit der sie neulich hier gesessen hatte. Wie hieß sie noch? Irgendwas mit M. Oder? Hastig griff sie nach dem Kaffeelöffel. Nicht über den Namen nachdenken. Bloß nicht. Einfach umrühren.
Ab hier wirds für mich erst interessant, die Stelle gefällt mir auch echt sehr gut.

Der Mund lachte freundlich, gleichzeitig beklagten sich die Augen über die Last, mit ihr umzugehen, oder, schlimmer noch, bemitleideten sie, wenn sie nach einem Wort rang oder einer Erinnerung. Nein, sie zog Münder vor.
Auch sehr treffend.

Vorsichtig platzierte sie die Pille in das vierte Fach für Sonntag.
Tolle Idee! Von dir und von Frieda.
„Dunking. Basketball, Korbwurf.“
Ein Dunking ist doch, wenn man mit dem Ball in der Hand zum Korb hochsteigt und den Ball ins Netz stopft.

Ich finde das Thema stark, Sterbehilfe in der Zukunft, da hab ich auch mal was zu angefangen, hab mirs dann aber nicht zugetraut. Tja, also mir hat der Text auch gefallen, aber mich hat er nicht besonders berührt. Woran das liegt? Keine Ahnung, ich will mich nicht um Kopf und Kragen reden, kenne mich mit Demenz und Sterbehilofe nicht gut genug aus und will niemanden verletzen, der da persönliche Erfahrungen hat. Sagen wir so: Ich kann mich besser in die Leiden von Menschen hineinversetzen, die voll auf der Höhe sind und noch wissen, was gestern gerade geschehen ist etc. Irgendwie, jetzt rede ich mich doch um Kopf und Kragen, hab ich das Gefühl, für Angehörige ist Demenz vielleicht schlimmer als für die Betroffenen? Kann das sein? Jedenfalls ist das, was mir immer bei dem Gedanken wehtut, dass es passieren kann, dass einer meiner Lieblingsmenschen mich nicht mehr erkennt. Ich glaube, das fühlt sich schlimmer an, als wenn ich einen von ihnen nicht mehr erkennen würde.
So, wo der Kopf schon mal ab ist, brauch ich den Kragen auch nicht mehr: Irgendwie empfinde ich das auch als Segen, auf diese Weise zu sterben. Also eine Pille zu nehmen, von der man stirbt, ohne zu wissen, dass man sie genommen hat, weil man vergessen hat, das man diesen Tausch gemacht hat. Da ist man ja dann allen menschlichen Problemen, die mit dem Wissen um den eigenen Tod einhergehen praktisch entglitten.

Also ich finde den Text schon gut, aber für mich ist der nicht auf einem höheren Niveau als andere Texte von dir, er geht für mich eher von deinen persönlichen Stärken weg, ist mehr verkopft und ich weiß nicht, ob mir das gefallen will. Der Text hat viellicht andere Ansprüche und er geht in eine gesellschaftskritische Richtung, was ich grundsätzlich sehr gut finde, trotzdem glaube ich, dass deine Stärken woanders liegen. Es ist trotzdem sehr, sehr richtig, dass du diesen Text, der wirklich gut ist, geschrieben hast. Das ist so auspendeln für die eigene Entwicklung, da kannst du viel für nächste Texte mitnehmen. Wie gesagt, ich habs mich noch nie getraut, so einen Text zu veröffentlichen, weil ich befürchte, dem Thema nicht ganz gerecht werden zu können. Mir hat bei deinem Text persönlich irgendwas gefehlt, um ihn für ganz groß zu halten. Ich weiß nicht, ich war nicht traurig, dass Frieda nix mehr checkt, ich war nicht sauer auf die Pillenverkäufergesellschaft, irgendwie war es eher so: Ja, so wird es sein, so kann es sein, aber das ist jetzt auch nicht schlechter als heute und Demenz ist ein sehr interessantes Thema.

Ich hatte den Ansatz bei meinem Text, dass es um Sterbehilfe für psychisch kranke Menschen geht, die es in einigen Ländern ja gibt. Da geht es dann mehr um die Angehörigen, um Gutachten (Wer sagt: Ja, er ist krank genug für die blaue Pille und wer profitiert von diesem Gutachten) also es geht um bewusste Entscheidungen und ich glaube, mir hat dein Text deshalb nicht so sehr zu schaffen gemacht, weil es fast wie ein plötzlicher Herztod ist, wenn man eine Pille nimmt, von der man stirbt, das aber nicht weiß und dann bumm, dann ist man tot. Ach, Respekt für deinen Mut, was Neues auszuprobieren, richtige Entscheidung. Thema: sehr gut. Ausführung: Gut.

Ich glaube, wenn du an folgender Stelle ausgestiegen wärst, hätte mich der Text viel mehr überzeugt:

Ach, sie hatte einfach Angst, jämmerliche beschissene Babyangst. Nachdenklich wendete sie das Kästchen zwischen ihren Fingern hin und her. Dann öffnete sie es. Vorsichtig platzierte sie die Pille in das vierte Fach für Sonntag.
Wäre für mich das perfekte Ende.


Liebe Grüße

Lollek

 

So, jetzt gehts weiter. Zunächst mal muss ich mich entschuldigen, dass ich so säumig bin. Ich wusste ja, dass die letzte Woche schlimm werden würde, ich wusste aber nicht, dass es dann so furchtbar wird. Arbeit, Familie, Konflikte - das alles haut mir momentan ganz schön ins Kontor, daher muss ich mich zur Zeit hier ein bisschen rar machen. Zum Glück sind auch ein paar hübsche Sachen dabei gewesen.
Vielleicht hätte ich die Geschichte ein paar Tage früher posten sollen, da hatte ich noch mehr Zeit oder erst sehr viel später. Naja, ich hatte halt auf letzten Sonntag gehofft, und da kam dann hier ja einiges dazwischen. Jetzt lass ich mir halt Zeit beim Antworten. Aber ich denke, das ist okay.


Liebe Gisanne,

aaach, deine Geschichte tut so weh, so weh. Ich weiss gar nicht, was ich dazu schreiben soll. Am besten, ich falte sie ganz sorgfältig zusammen und leg sie in ein Kästchen und das stelle ich zuhinterst in den Schrank. Dann weiss ich – wenn ich es nicht vergesse, - dass da etwas Kostbares liegt, was ich nicht wissen will.
Eiwei, eine Geschichte wie eine Pille.

Straßencafe auf dem Platz > Straßencafé
bestellte Capuccino > Cappuccino
die Kontrolle behielt,wenn > fehlt ein Leerschlag
Hab ich zum Teil eh schon verbessert. Nur das Straßencafe, Mensch, das steht noch immer. Ich muss ehrlich mal sagen, ich hatte noch nie keine Ahnung nicht, wie man das Strichelchen oben draufknäulen kann. Und dann habe ich es bisher immer einfach gelassen und gehofft, es sieht schon keiner. Aber Pustekuchen! Ihr seid zu genau. Eben gerade habe ich alle Striche auf meiner Tastatur durchprobiert und habs rausgekiregt: café, café,café,café,café,café.
Ich kanns!

da stimmt etwas nicht: Das Stück / der Stoff … Ein Stück zerrissenes? Oder: und dann dachte sie an einen zerrissenen, seidigen Stoff.
Was soll da nicht stimmen? Mir fällt nichts auf. Alle Fälle aus meiner Sicht richtig.

Wo ich mir nicht ganz so sicher bin: Die Popcorn-Sache. Die hat mich abgelenkt. Ich hab sie mit einem Schmunzeln gelesen, wurde dann etwas unwillig, sie schien mir nicht unwesentlich, nur zu lang.
Das war eine Sache, die ich mir beim Schreiben und danach immer wieder überlegt habe. Sie ist für mich wichtig, weil ich Freida eben nicht nur so ängstlich und verzweifelt wegen ihrer Erkrankung zeigen wollte, sondern mir war ihre Lebensfreude, ihre Ablenkbarkeit wichtig. Dazu diente die Popcornsache. Vielleicht könnte man das ein wenig kürzen, da hast du Recht, denn meine Absicht kommt sicherlich zum Ausdruck, auch wenn das letzte Zückerchen am Popcorn nicht abgeschmeckt ist. Das werde ich mir, wenn ich ein bisschen mehr Ruhe habe, auf jeden Fall noch einmal überlegen.

Gestolpert bin ich über das Geburtsjahr 1980. Da dachte ich: Was so früh schon? So jung ist Frieda? Gerade mal 33?
Freida sollte so Anfang Mitte fünzig sein. Ich finde auch, dass man ihr das anmerkt, dass sie keine junge Frau mehr ist.
Fünfzig ist immer noch früh. Auch wenn es noch frühere Fälle gibt. Des Rätsels Lösung, wie ich an randundband schrieb, die Geschichte spielt einfach in der Zukunft. Dazu dienten die Hinweise wie der neuste Benzinersatz oder die Chronitätsabgabe. Es gibt keine Abgabe für chronisch Kranke, die wegen zu hoher Kosten im Gesundheitswesen von jedem abgedrückt werden müssten. Es gibt auch keine Beratungscentren, bei denen man angemeldet sein muss, damit man überhaupt die Therapie bezahlt bekommt. Und es gibt auch schon gar nicht die Todespille, die so locker zu nehmen wäre, dass man es gar nicht merkt, wenn man sie schluckt. Glaub mir, ich hab mich da ziemlich schlau gemacht. Da es aber offensichtlich vielen so ging, dass es immer noch zu uneindeutig war, habe ich schon mal alle Schuld fürs Leserunverständnis auf mich genommen. Ich bau da noch einen Hinweis ein, die ganze Zeit stand ich da ziemlich dusselig vor diesem Problem, aber Fliege hat mir dann zum Glück mit ihren kleinen Ideen in ihrem Kommentar auf die Spünge geholfen.

Und: bekommt man echt auf der Beratungsstelle diese blaue Pille in die Hand gedrückt? Sollte die nicht eher von Dr. Manninger gegeben werden? *rätsel*
Naja, die Beratungszentren haben schon einen von Staats wegen bestellten Auftrag erhalten. Euthanasie ist vom Staat her gestattet, er hat das an Beratungszentren übertragen. Die sortieren und sparen dem Staat Kosten ein dadurch, dass sie die Pille verteilen. In die Hand drücken tun sie das nicht, sondern sie prüfen das Begehren, aber eben so, dass man dann doch aus dem Haus rauskommt und hat die Pille in der Hand.

Über die von dir gelobten Stellen habe ich mich sehr gefreut. Ich hab das gern gehört, dass sie eindringlich sind. Denn sie gehören auch zu meinen Lieblingsstellen.

Ein wunderbar ironischer Widerspruch. > Diesen Kommentar würde ich streichen. Der erübrigt sich.
Das mach ich.

Beeindruckend, wie emphatisch du Frieda und Kim handeln lässt und sie mir nahe bringst. Die vielen Details – wie aus dem Augenwinkel. Nirgendwo bleibst du kleben. Dadurch wird die Geschichte so schmerzlich und wahrhaftig: Handlung statt Beschreibung. Gross, gross, grossartig!
He, das musste ich noch mal zitieren. Klingt so schön und ist auch gut für die Motivation und die Autorenseele.
Ich danke dir schön für deine Auseinandersetzung, für dein Lob, für deine Eindrücke, deine Kritik und für das Auffinden von Nickeligkeiten. Und besonders auch für das Nennen von atmosphärisch guten Stellen. Mir geht es leider immer noch so, dass ich es nicht richtig merke, ob ein Text, den ich schreibe, nun zu den besseren gehört oder auch mal nix ist. Manchmal helfen eure Augen da einfach sehr, den persönlichen Eindruck zu objektivieren.
Viele liebe Grüße zurück zu dir. Ich hoffe, dir geht es ganz gut und bei euch ist es nicht so ääbsch wie hier im Rhein-Main-Gebiet.
Novak

Lieber ernst offshore,

Wahnsinn, liebe Novak!
Keine der vielen Geschichten, die ich im letzten Jahr hier gelesen hab, hat mich derart kalt erwischt wie diese hier. Ich schwör’s dir, beinahe hätte ich geheult beim Lesen, also einen richtigen Kloß hatte ich im Hals, kein Witz.
Also ich kann mir das gut vorstellen, dass man noch stärker reagiert, wenn durch eine Geschichte eigene Erfahrungen angetriggert werden . Mir ging das schon mal mit einer Geschichte von feirefiz und mit einer von Lollek und mit einer von Rick so, da hätte ich in allen Fällen mein Wohnzimmer unter Wasser setzen können. Das ist dann schon ganz was Besonderes, wenn man sich ganz persönlich berührt fühlt.

Es mag jetzt ein riesengroßer Zufall sein, dass die Schwester meines Vaters in Deutschland gelebt und als Modeschöpferin (sic) gearbeitet hat. Sie war eine ungemein kluge, liebenswerte, großherzige und gleichzeitig herrlich exaltierte Frau und ich als ihr Patenkind hab sie abgöttisch geliebt. In ihren letzten Lebensjahren taumelte sie dann unaufhaltsam dem Abgrund der Alzheimerkrankheit entgegen und starb schließlich vor zwei Jahren neunzigjährig. Jessas, hab ich die geliebt. Pff.
Also da habe ich auch gedacht, die Welt ist verdammt klein, aber wahrscheinlich stimmt das gar nicht. Wie auch immer, ich kann mir vorstellen, dass du wie vom Donner gerührt warst.
An dem Anfang der Geschichte hab ich ziemlich rumgebosselt, denn so eine Geschichte von einer älteren Frau, wer will das schon lesen? Der Anfang war vorher ein bisschen länger, ich hab da gestrichen und fast denke ich, ich müsste noch mehr beschleunigen, damit mir die Leser nicht abspringen. Geschichten von alten vergesslichen Weibern gehen nie so gut wie junge knackige Liebesabenteuerchen und Geschichten voller Witz und Frechheit, das ist einfach eine Wahrheit, mir geht das ja auch nicht anders. Aber ich wollte es halt trotzdem schreiben, weil es mir sehr sehr wichtig war. Die Geschichte hat viel Arbeit und Zeit gekostet, ich habe Gespräche geführt mit einer Kollegin, deren Freundin mit gerade mal fünfzig an Alzheimer erkrankte. Ich hab selbst in dem mir bekannten Rahmen geguckt und beobachtet, denn ich wollte auf keinen Fall oberflächlich oder irgendwie zu platt an die Sache rangehen. Von daher bin ich heilfroh und superglücklich, dass es für die allermeisten so gut funktioniert. Mich hat das ein ganzes Stück weitergebracht, diese Geschichte zu schreiben. Und ich muss mal sagen, dass sich für mich hier wieder mal eine ganz ganz große Stärke von kg.de zeigt, man muss nichts schreiben, was die meisten Leute (draußen) lesen wollen, man muss keine Erwartungen erfüllen. Man kann seinen Weg gehen, sich weiterentwickeln wie man das will und kriegt eine Supermenge Anregungen. Das ist schon sehr sehr toll.

Immerhin ist es ja deine Sprache, dein Erzählenkönnen, deine so augenscheinliche Liebe zum Text und den Figuren, die mich so tief in meine Erinnerungen sinken ließen. Und gleichzeitig war ich nicht so unkritisch und so befangen, dass mir die großartige Komposition deiner Geschichte nicht aufgefallen wäre. Wie es dir gelingt, diese unglaublich vielen Details und Beobachtungen zu verweben, so folgerichtig eins ins andere fließen zu lassen, mit immer wieder überraschenden Wendungen.
Bei so viel Lob ging mir das Herz auf. Ich druck mir glaube ich echt mal ein paar Kommentare aus und hämg sie mir übers Bett. Oder ich leg sie mir beim nächsten Geschichtenschreiben unters Kopfkissen. Vielleicht beflügelt so viel Lob meine Kreativität. Ach ich sonne mich gerade, ich weiß, aber es ist auch zu schön.

Die Begegnung mit dem jungen Mann im Café ist so liebenswert und gleichzeitig so schräg und witzig, und klar spürt man, dass da jetzt was kommen muss, aber das ist dann halt schon ein riesengroßer Zufall, dass er ausgerechnet diese Doku erwähnt …
Klar, das ist dramaturgisch vollkommen perfekt konstruiert, vor allem im Hinblick darauf, was sich dann alles daraus ergibt. Aber eben doch, na ja, irgendwie konstruiert halt …
Ja klar, aber leben die Geschichten nicht von großen konstruierten Zufällen?

Vielen lieben Dank, ernst offshore, für dein Lob, dein Lesen, deine Überschwänglichkeit, ich hab mich super darüber gefreut, weil ich gemerkt habe, dass mir da, was dich betrifft, doch ein bisserl was geglückt ist.

Bis die Tage und alles Liebe.
Viele Grüße von hier nach Österreich
Novak

 

Hallo Quinn, mit dir geht es weiter.

Ich freu mich immer, wenn du Texte von mir kommentierst, irgendwie bist du so ein Ideenfinder und Ideenputzer (neben der Spracharbeit). Das kenn ich von niemandem sonst hier. Ist irgendwie deine ganz besondere Gabe. Ich hab schon Texte geschrieben, da hast du Aspekte drin entdeckt, die hatte ich so noch nicht mal aus dem alleralleräußersten Augenwinkel mitgekriegt, obwohl ichs ja geschreiben hatte. Unds hatte trotzdem gestimmt. Ich find das sehr anregend, auch wenn ich von den wenigsten Fällen was Neues aus deiner Idee machen konnte, aber das ist finde ich auch ein riesiger Schritt, dazu muss man denn schon sehr viel Zeit haben.

Aber der Reihe nach.

Es wär halt gut, wenn irgendwo am Anfang das deutlich werden würde. Oder es spielt „Jetzt“ und ich bin da einem falschen Pferd nachgerannt, ich will nur sagen: So Fragen wie „Ist das jetzt ein Mann oder eine Frau“ und „Wie alt ist die?“ oder „Wann spielt das?“ - das sind Sachen, die ein Text früh klären sollte, wenn er sie thematisieren will, sonst lenken die ab.
Ja, klar, geb ich dir unumwunden recht. Aber ich find das so ulkig, du hasts doch alles gesehen. Warum ists dann unklar? Alles ist doch da, eine Chronitätsabgabe gibts nicht, auch keine Todespille und die blöden Beratungszentren auch nicht. Also siehst du doch alles. Meinst du echt, man muss das noch deutlicher machen? Naja, ich vertrau dir und Gisanne, die das ja auch moniert oder die Zukunftssache nicht gesehen hatte, halt schon so sehr, dass ich das deutlicher machen werde, aber so richtig überzeugt bin ich nicht. Ich machs echt nur wegen Gisanne und dir. Gibts denn da eine goldene Regel, wann man was klar machen muss? Logisch, wenn ich am Ende des Textes erst erfahre, dass eine Figur ein Roboter ist, dann ist das irgendwie blöd. Aber hier kommts ja ziemlich schnell, dass ich was Zukünftiges einbaue. Woher weiß man sowas, dass es zu schlapp eingeführt ist. Du erinnerst dich bestimmt noch an Möchtegerns Text von dem Roboterkind. Alabasterirgendwas? Da haben viele (unter anderem Dödelnovak) einen Punkt im Text übersehen, nämlich die Parallelität zu den Gipseiern. Da warst du dir supersicher, dass wir Leser unseren Job nicht gemacht hatten (nur die kritische Möchtegern fands nicht). Woran merkt man das denn nun? Da kam die Gipseikiste doch auch erst später. Verstehst du mein Problem? Vielleicht gibts da auch kein Generalrezept. Weiß nicht. Ändern tu ichs soweiso, ich stell nur manchmal so Grundsatzfragen, aber das kennt man ja schon von mir.

Zum Thema: Ich fand den stärksten Moment, wenn sie ganz am Anfang mit dem Kellner zu tun hat. Und er das Trinkgeld nimmt und komisch schaut, und Frieda denkt sofort: Oh Gott, was hast du ihm jetzt gegeben? Das fand ich auf den Punkt perfekt. Das hat mich berührt.
Ja, ich finde, das ist auch eine Sache, die was mit Authentischsein zu tun hat. Ich glaube, du warst das, der mal geschreiben hat, Kings Texte sind deswegen so gut, weil er es immer schafft, eigene Ängste einzubauen in seine Erzählung. Das Beispiel war damals die Angst um die eigenen Kinder. Hier ist das auch so, natürlich hat Freidas Geschichte mit mir nichts zu tun, aber das Gefühl, dass man wegen Überforderung oder Stress oder Vergesslichkeit sich selbst nicht trauen kann, das kenne ich leider nur zu gut, wahrscheinlich jeder von uns und um diese Hilflosigkeit ging es mir hier, die konnte ich abrufen.

Und die zweite Frage ist dann: Wenn das jemand hätte, für den ich dann verantwortlich bin. Da fand ich in der zweiten Hälfte die beste Stelle, wenn Frieda sich an etwas erinnert und es Kim sagt und denkt, die müsse sich ja auch so super freuen, und sie schaut nur traurig. Da ergänze ich als Leser: Weil sie das schon 5mal in der Woche gehört hat, und das ist so ein zweiter punktgenauer Stich bei mir. Ich hab neulich im Fernsehen gesehen, dass man Schauspielerinnen sagt, sie sollten ihre Tränen unterdrückten, wenn sie das Publikum zum weinen bekommen möchten. Das ist auch ein kluger Rat für solche Geschichten, das hab ich an der Stelle gemerkt.
Also die Stelle hat es mir auch angetan. Hat auch was mit Authentizität zu tun. Deine Ergänzung ist natürlich richtig. Das mit den Schauspielerinnen ist ein interessante Sache. Leuchtet mir sofort ein, dass die die Zuschauer eher rühren, wenn sie Tränen nicht fließen lassen. Merkt man beim Melodrama gucken ja selbst. Was aber bedeutet das für diese Stelle? Da versteh ich glaub ich deinen Hinweis leider nicht. Ist ja eine generelle Idee von dir, wie man Leseremotion beeinflussen könnte. Ach je, ich raffs nicht ganz.

Den Plot mit dieser „Todespille“, der Dialog mit dem Popcorn-Typen: das ist dann wie so ein trojanisches Pferd. Mich interessiert das Thema Alzheimer – wie kann ich das jetzt dem Programmchef verkaufen: Ich sag, ich mach einen Thriller draus mit dem Thema „Euthanasie“ noch, dann hab ich ein aktuelles Thema noch und es hört sich im Pitch spannender an. Also das fand ich schwierig im Text.
Das mein ich, da denkst du daran, dass man sich ruhig trauen könnte, den gesamten Plot um diese Aspekte zu kürzen. Ist aber schwierig für mich. An dieser Zukunfts- und Euthanasieidee häng ich. War auch der Ausgangspunkt für die gesamte Geschichte. Trotz plot und Aufbauplanung und sonstwas entwickeln sich meine Geschichten immer in ungeahnte Richtungen. Ist bei mir einfach so. Hier war das so, dass der gesamte Kim-Aspekt nachträglich reinkam bzw. total von mir betont wurde, weil er mir gefiel, weil er mir echt schien. Ich wollte zeigen, was das für eine Beziehung heißt oder heißen kann, wenn einer krank oder hilflos wird, da ändert sich nämlich so einiges.

überhaupt wenn es um Sterben und Abschied geht, um Verlust oder diese „großen Themen“ - da kann man als Autor, der den Stoff ernst nimmt, auch wenig falsch machen, denke ich. Man sagt zwar immer, das sei so schwer und tabuisiert und man sei da so dicht an der Kitschfalle – aber … ich halt das für Quatsch.
Das weiß ich nicht, ob du da recht hast. Klar, wenn man das Thema ernst nimmt, dann wird man auch mit der Sentimentalität vorsichtig umgehen und nicht so auf die Tränendrüse drücken. Aber ganz ehrlich, ich hab einen Riesenrespekt vor diesem Thema gehabt, und ich finde immer noch, dass man, ohne dass man das böse meint oder schlampig oder oberflächlich ist, so einiges in den Sand setzen kann.

Für einen Autor, der diese Themen annimmt und ernst nimmt, sind das dankbare Themen. Ich denke der Kitschfalle lässt sich leicht ausweichen, wenn man ein bestimmtes Niveau erreicht, ich finde das hast du auf jeden Fall in dem Text.
Ja, vielleicht hast du wirklich recht, es sind ja auch sehr existenzielle Themen. Von daher auch sehr dankbare Themen. Trotzdem: Ich hatte echt Schiss, dass ich das nicht hinkreige.

Der Text zerfällt ein bisschen in zwei Teile. Der erste Teil, diese Zustandsbeschreibung, die Angst vorm Verblassen find ich stärker. In der zweiten Hälfte kommt mit dieser Todespille ein zweites, großes Thema in die Geschichte, das mir nicht stark genug mit dem ersten verbunden ist. Den Popcorn-Jungen krieg ich schwer unter, der fällt ein wenig aus dem Monolithischen der Geschichten und bricht sie auf.
Da gebe ich dir recht, also beim Popcorn-Mann, auch wenn ichs ungern tu. Meine größte Angst war, nachdem ich die Geschichte geschreiben hatte, dass es diese zwei Teile gibt und dem der Leser das zu sehr auseinandergeht. Ich finde zwar nicht, dass das der Fall ist, aber man hat ja trotzdem so einen Eindruck von irgendwelchen Sollbruchstellen in einem Text. Und das schien mir hier der Fall zu sein, ohne dass ich eine Idee gehabt hätte, wie das runder gelingen könnte. Der Popcorn-Junge steht für - das hab ich glaube ich schon mal geschreiben - ihre Lebenslust, die trotz Angst, Depression, Hilflosogkeit immer noch da ist. Sie lässt sich ablenken, könnte am Leben noch teilnehmen, wenn die Bedimgungen so wären, dass sie jedes Fünkchen Leben noch geneißen kann. Ihr Popcorn noch genießen kann. Ich denke, dass sich an der Stelle auch hinter meinem Rücken persönliche Stellungsnahmen zu Euthanasie durchgesetzt haben. Ich finde zwar, dass jeder Mensch darüber entscheiden können sollte, dass er unter bestimmten Umständen gehen kann. Aber solange Sterbehilfefragen diskutiert werden und Alter, Krankheit und Tod FRagen sind, die unter Kostengesichtspunkten diskutiert werden, kann die gesamte Euthanaiedebatte auch schnell etwas Zynisches bekommen. Man könnte so viel tun für Demente, das ist echt der Hammer, aber klar, wenn sehr wenige Angestellte sich um eine Menge Patienten kümmern müssen, ach, ich fang erst gar nicht an, da krieg ich zuviel, da reicht es grad mal für die bloße Pflege.

Ansonsten denke ich die Geschichte ist auf hohem Niveau, sie ist angenehm temperiert, mich haut sie jetzt halt nicht aus den Socken, aber das kann eh kein Text garantieren. Von deinen Geschichten, die ich bisher gelesen hab, denke ich schon, dass die hier auf einem anderen Niveau ist.
Naja, wie säh das denn auch aus, wenn du so ohne Socken dastündest. Dann behalt sie mal lieber an, wer weiß, was sonst noch passiert.
Nee, ist nur Spaß, ich freu mich natürlich ganz arg über das Lob, das darin steckt, begleitest du doch schon seit langem meine Geschichten wie so eine Art Mentor, und ich beiß mir genauso lang schon dran die Zähne aus, meine Geschichten zu verbessern, du bist auch ein mir sehr wichtiges Korrektiv, da find ich das ziemlich cool, dass du hier eine Steigerung feststellst. Das ist mir sehr viel wert.

P.S.: Der Titel ist spitze!
Ha! Endich sachts ma einer. Ich finde meine Titel sonst immer, naja, nicht gerade schlecht, aber halt sehr einfach auch, eher so die klare, dezente Linie. Und den hier fand ich mal richtig gut.
Das ist eh so eine Sache, wie kommt man auf gute Titel, das würd ich ja echt mal gerne wissen.
Lieber Quinn, ich danke dir sehr für dein Lesen, deine Eindrücke und auch für das Erzählen der Stellen, die dir gefielen. Und überhaupt. Mir bringt das immer sehr viel.
Also dankeschön mal wieder.
Novak

 

Lieber Anakreon,

Einem Impuls folgend scrollte ich erst mal ihre Länge und fiel in Ohnmacht (=Schlaf). Doch nun mit mehr Speicherkapazität, um diesen Umfang aufzunehmen, machte ich mich ans Lesen.
Sind doch nur 9 Seiten. :D

Ich versuchte mir das huschen der Frieda bildlich vorzustellen, einem Schatten gleich meinte ich sie wahrzunehmen, als wolle sie nicht auffallen. Da war ich mir gar nicht sicher, ob ich da etwas hineininterpretiere, dem gar nicht so ist.
Naja, sie huscht eben. Das hast du schon nicht falsch gesehen. Ich merke immer wieder, dass es eine der wichtigsten "Regeln" beim Schreiben ist, wirklich starke Verben zu nehmen. Die sagen total viel aus. Klar kann man sich mal vergreifen, aber das Pronzip gilt einfach trotzdem.

:lol: Gemein zu lachen, aber der traurige Gedanke von Frieda erzeugte mir doch impulsiv Situationskomik, wenn ich mir die Teilnehmer an einem solchen Seminar vorstelle.
Das ist schön, dass das so angekommen ist, das war meine Hoffnung, dass die Geschichte eben nicht nur als traurig oder bedrückend wahrgenommen wird, sondern dass man ab und an schmunzeln kann, weil sie so einen Galgenhumor entwickelt.

Sehr schöner Name, den Du da dem Zentrum gönnst, eine Tür zur Würde. Für mein Empfinden fügt es sich feinfühlig ein.
Da hab ich mich auch gefreut, Anakrein, diese ganze Namensgeberei, manchmal ist das echt nicht einfach, da was Passendes zu finden, ich hatte da lang dran rumgebosselt. Und meine Lateinkenntnisse liege nun auch schon lang zurüclk. Schön, dass dir das gefiel.


Hier gelang Dir der ganz grosse Wurf. Eine an sich deprimierende Geschichte, die von der Diagnose und in der Entwicklung eigentlich nur einem Ausgang zustreben kann, so friedvoll und besänftigend enden zu lassen, ohne auch nur im Ansatz kitschig zu werden. Ein gewagtes Thema, das sich humorvoll mit dem nötigen Ernst verquickt und sprachlich schön und locker anbietet.
Super. Die Wendung mit der Karte, die war mir schon wichtig, das Ende klingt friedlich aus, wenn man auch nicht weiß, ob sie sich vielleicht doch noch an die Pille erinnern wird oder eben doch nicht. Aber sie klingt aus in Erinnerung an eine ihr sehr wihtige Sache, und das ist ihre Freundschaft/Liebe zu ihrer Kim. Und diese Karte, die ist eben das Zeichen ihrer Freundschaft.

Aus meiner Lesersicht war es deine beste Geschichte, die mir bekannt ist.
Ich finde das einfach sehr angenehm und ja irgendwie fühlt man sich da richtig wohl, wenn jemand wie du einen so begleitet in der Geschichtenentwicklung. Ich glaube, du kannst mit Fug und Recht sagen, dass du über meine Geschichten Bescheid weißt. Und da freu ich mich natürlich wahnsinnig, wenn ich mich in deinen Augen verbessert habe.

Lieber Anakreon, tausend Dank für das Lesen der Geschichte, obwohl sie so lang war. Ich danke dir nicht weniger für die Auseinandersetzung und die Gedanken zur Geschichte. Aber auch für deine Bestätigung.
Viele Grüße von Novak zu dir in die Schweiz und vielleicht zum ersten Schnee?


Liebe Eva,

wie sie so da saß, am Anfang, den Kaffee schlürfend, über die Vorzüge kurzer Röcke sinnierend, ich dachte, wann geht die Sache denn los. Wenn sie nicht von dir gewesen wäre, diese Geschichte, vielleicht wäre ich geflüchtet ...
Ja was ein Glück, dass ich bei dir so einen guten Ruf genieße. Aber ich verstehe schon, am Anfang von so einer alten Frau zu lesen, das ist nicht jedermanns Sache. Und es beginnt ja auch echt nicht reißerisch. Ich denke mir manchmal, dass ich vielleicht noch einen Satz oder so kürzen könnte. Aber im Moment wüsste ich nicht, welchen. Haben alle noch total den Sinn für mich.

Zum Glück hielt ich durch, alle Milchblasen lang, denn der vorsichtig sich herantastende Beginn passt zur Geschichte des sich - ganz langsam - Verlierens. Ja, so 'normal' sitzt und denkt und schaut der Mensch, und der Abgrund sitzt schon mit am Tisch.
Ja, so ist es. Der Aufbau ergibt schon Sinn. Man muss sie in ihrer Hilflosigkeit als Leser wahrnehmen können.

Und wie er sich von innen, ins Denken und Fühlen, hineinfrisst, das hast du unglaublich gut dargestellt. So gut, dass es mir als Leserin beinahe so schlecht ging wie ihr, der es passiert.
Dass dir das dann nahe gekommen ist, finde ich natürlich gut, aber schlecht? Nee, das soll es dir natürlich nicht gehen. :(

Und die Sache mit der blauen Pille, Wahnsinn, wie du ganz zart und mittelbar die scheinbare Einfachheit des 'Notausgangs' infrage stellst, nebenher den Leser in die Ungewissheit entlässt, was ihr mit dieser Pille womöglich noch bevorsteht. Oder ohne.

Eine ergreifende, wieder toll erzählte, Geschichte, danke.


Da habe ich mich gefreut wie ein Huhn, das ein neues Ei gelegt hat. Ging runter wie Öl.

Ein einziger Kritikpunkt in meinen Augen, das Popcorn ploppt zu sehr, ich finde, es bekommt zu viel Raum (also soviel steckt für mich nicht drin an Sinnbildlichkeit). Der ganze Rest: Nicht zu übertreffen.
Das Popcorn bzw. das Gespräch hat schon seine Bewandnis, ich habs schon mal an jemand anderen geschreiben. Aber du hast bestimmt Recht damit, dass es vielleicht etwas zu viel Raum einnimmt, das habe ich schon beim Schreiben der Geschichte immer wieder mal überlegt. Also in einer ruhigen Minute prüf ich das noch mal nach, die letzte Episode, weißt du die mit dem Karamellpopcorn, ich glaub die könnt ich ohne Problem streichen. Falls du das hier noch mal liest, kannst du ja noch mal Bescheid sagen, ob du das auch findest.

Liebe Eva, ich danke dir für dein Interesse, das Lesen, die Geduld mit dem Anfang, aber auch für dein Lob und deine Kritik.
Viele Grüße Richtung Darmstadt aus Frankfurt

 

Himmel nochmal, dieses Mal brauche ich aber wirklich lange. Das ist ja schlimm. Mühsam nährt sich usw. Aber bis zum 30. schaffe ich es wohl doch noch. Hoffentlich. :dozey:

Hallo, lieber Friedel,
schön, dass du vorbeigeschaut hast.

Der Aussätzige war in der Tat nicht nur der an dem Aussatz/der Lepra erkrankte, sondern auch der von einer Pest befallene, die man isolieren musste, und darum die Stigmatisierten buchstäblich aussetzte, um nicht selbst befallen zu werden, und jeder glaubt, dass er unsterblich sei, nicht von schwerer Pein getroffen werde. Vielleicht sind diese, die es schlicht vergessen, dass da was ist, noch relativ glücklich dran. (Sagt man nicht, Glücklich wäre, wer vergäße, was nicht mehr ändern ließe? Das ist wie mit dem Tod: Er ist das Problem derer, die mit LEBEN müssen)

Isolation ist tatsächlich eine der Wirkungen der „Vergesslichkeit“. Schon allein daher weiß ich nicht, ob das Vergessen wirklich leichter zu ertragen ist als andere Geißeln. Nicht nur, dass man schlecht in den Kopf der Betroffenen hineinschauen kann. Es ist ja auch so, dass es in dem Heim, das ich oft besuche eine ganze Reihe von Dementen sind, die in einer Zeitschleife oder Fantasieschleife ihrer Erinnerung feststecken, die sie total ängstigt. Wenn ich diese alten Frauen miterlebe, wie sie vor Furcht um Hilfe schreien, und es ist ein gutes Heim, dann, beschert einem Demenz, Alzheimer nicht nur im frühen Stadium fürchterliche Zustände. Also ich krieg da Schiss, wenn ich die eine Frau höre, die immer brüllt, sie sei im KZ. Mann, ich darf gar nicht daran denken. Von daher glaube ich einfach nicht, dass das Vergessen nur das Leid derer ist, die auf diese Weise einen Menschen in seiner Bewusstheit verlieren.

Aber in den zwanzig Jahren, in denen ich mit Ärzten zu tun hatte, hat sich das Bild wesentlich zum Geschäftsmann hin gewandelt, der an der Ware Gesundheit auch ordentlich verdienen will und dazu gehört die Imagepflege - notfalls mit Hilfe des Marketing, dessen sich das Kapital ja auch in seiner uniformierten Variante bedient.
Von der Gesundheitsindustrie ganz zu schweigen … Wo Geld zu verdienen ist, schlägt das System zu …
Da hat mir dann der junge Mann ein bisschen Hoffnung gemacht …

Ja, da hast du Recht. Ärzte, Gesundheitsindustrie, das alles ist so ein Horrorthema, Leute, die es gut meinen mit ihren Patienten können selbst kaum leben, die meisten anderen betreiben es als möglichst profitables Geschäft.

Das …café hab ich schon ausgebessert. Und noch andere Kleinigkeiten. Ich weiß nicht, ich pass so auf, aber du findest doch immer noch was.

Das hier wollt ich im Moment noch lassen, aber ich bin schon am Unschwenken, naja, ist ja auch nur eine Kleinigkeit, ich achte da immer auf den Rhythmus, von daher bin ich noch ein bisschen unschlüssig.

… , so fest, dass die Kanten in die Haut bohrten, …

ja, das waren noch Zeiten, als die Blechdosenarmee über Auftritte der Augsburger Puppenkiste nicht nur Kinderherzen erfreute, sondern auch schon Fiete Appelschnut und Hein Segelohr.
Wunderbar, du kennst die alle. Ich dachte schon, das wird keiner mehr kennen und passt dann daher nicht. Aber die alten Kerlchen haben immer noch einen guten Auftritt. Neulich habe ich sogar in einer der Jugendgeschichten was von der Augsburger Puppenkiste gelesen. Ich glaube, es war bei feirefiz.

Wenn die erste Vergesslichkeit auftritt, nenn ich’s professorale Ausfallserscheinung (Vorbild: Einstein), dumm ist dann freilich, wenn’s andauert. Nicht, wenn man seine Träume vergisst, zumindest nicht mehr um sie weiß, erst, wenn einer letztlich sich selbst vergisst.
Ja, so seh ich das auch.
Lieber Friedel, wie immer ein großes Dankeschön für dein Lesen, dein Urteil und für deine Genauigkeit.
Langsam wird’s auch schon Zeit für ein Weihnachtsbock, dann proste ich dir mal zu.
Schönes Wochenende, auch wenn es nur noch der Sonntagabend ist.

Hallo, lieber Schwups

Ich habe neulich - eher zufällig - einen Artikel über Alzheimer gelesen und dabei erfahren, dass der jüngste Patient 27 Jahre alt war. Ich hab das nicht weiter recherchiert wie bis zu Wikipedia, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass das stimmt.
Ja, das stimmt, es gint sehr junge Patienten, aber das ist nicht die Regel. Wenn man nachliest, wird immer betont, dass es eher eine Erkrankung älterer Menschen ist, also ab ungefähr über sechzig.

Am Ende war ich dann etwas durcheinander mit dem Alter, denke aber auch, dass es keine Rolle spielt, ob die Frieda 30 oder 50 ist. In ihren wesentlichen Aspekten wäre die Geschichte dieselbe, weil es egal ist, wie alt man ist, wenn man an Alzheimer erkrankt. Die Krankheit raubt einem die Erinnerung und damit die eigene Identität - da kommt es nicht mehr auf das Alter an.
Ich war doch ziemlich erstaunt, dass man sie nicht als um oder über fünfzig wahrnimmt. Das war für mich absolut eindeutig, so, wie sie denkt und redet. Ihre braunen Flecken auf den Händen, man würde Sommersprossen sagen, wenn es keine Altersflecken wären. Oder so, wie sie über ihre Schenkel redet. Ich weiß nicht, wenn ich das noch mehr in den Vordergrund gebracht hätte, vielleicht hätte man das als redundant empfunden. Aber du hast unbedingt Recht damit, dass das Alter nicht im Vordergrund steht, die Geschichte wäre in ihren Grundzügen tatsächlich gleich. Ich muss darüber einfach noch eine Ecke nachdenken.

In deiner Geschichte zeigt sich eben dieser Verlust der Identität, die Entfremdung, an vielen Stellen, und so erzeugst du auch ein tiefes Mitgefühl des Lesers mit deiner Figur. Du bist in jeder Stelle nah an ihr dran, ohne sentimental zu werden oder sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Du arbeitest viel mit erlebter Rede, zeigst uns viel von der Gedankenwelt der Frieda und lässt sie schwanken zwischen Hoffnung und Angst, zwischen Freude und Traurigkeit. Es ist dieser Mix, der die Figur für den Leser interessant macht und auch ein grosses Identifikationspotential erzeugt.
Ich bin froh, dass mir das gelungen ist. Ich wusste auch nicht genau, ob das mit der erlebten Rede klappen wird, das kann ja auch schnell aufdringlich wirken.

Auf der einen Seite weiss Frieda, dass sie ohne die Zettel nicht mehr leben kann, auf der anderen Seite ist diese Abhängigkeit aber auch eine grosse Belastung. Es ist eine wirklich niederschmetternde Erkenntnis - ohne diese Zettel kenne ich mein Leben nicht mehr, und wie viel davon kann ich überhaupt auf Zettel notieren? Das ist bedrückend,
Ich habe mal den Schreibtisch eines an Alzheimer Erkrankten gesehen, der Schreibtisch war übersät mit Zetteln. Man sah eigentlich gar nicht mehr die Wand. Und das Schlimme war, auf ganz vielen stand dasselbe. Das war auch so bei dem Vater eines Freundes. Ich glaube, das zu merken, dass einem die Erinnerung und das Gedächtnis entgleiten, das ist ein sehr schmerzhafter Prozess. Es tut körperlich nicht weh, aber es sperrt einen ein, man verliert die Kontrolle.

Eine andere tolle Stelle fand ich, als Kim und sie ihre Party feiern und Frieda sich zunächst im Zimmer in eine Ecke kauert, vor lauter Scham und Angst. Es ist genau dieser Zustand, in den man von der Alzheimer-Krankheit getrieben wird, in die Isolation. Die nimmt Frieda hier vorweg. Dann, nur einen Absatz später, tanzt sie ausgelassen mit Kim, bis beide vor Lachen umfallen. Trotz dieser Gegensätze ist das eine authentische Szene, auch hier spielst du wieder mit den beiden Extremen, das zieht sich wirklich durch den ganzen Text.
Ich wusste ncht, ob man mir das durchgehen lässt. Aber es war mir wichtig, diese Frau als widersprüchlich und ablenkbar zu zeigen. Sie vergisst und ist darüber verzweifelt, aber sie ist auch lebenslustig und sprunghaft.

Hier sehe ich ehrlich gesagt keinen Grund, die Handlung in die Zukunft zu verlagern (...) Du brauchst eine Erklärung für die Sterbepille, die wiederum, um diesen tragischen Twist am Ende hinzubekommen: Frieda wird sich töten, obwohl sie es gar nicht wollte.
Ich finde, der Text schlägt da am Ende eine Kapriole zu viel. Die Idee mit dem aufgeschobenen Selbstmord, die ist ganz stark, auch weil ihr eine eigene Tragik innewohnt: Frieda nimmt sich die letzte freie Entscheidung. An dem Tag, wenn sie die Pille schluckt, weiss sie nicht mehr, was sie damit bewirkt, das ist die ultimative Resignation vor der Krankheit. Also das gefällt mir gut.
Hier habe ich ehrlich gesagt nicht verstanden, wofür du plädierst. Ne, ich kapiers wirklich nicht. Also ich hab gerafft, dass du das Ende, also dass sie die Pille vergisst rauszunehmen, zu kapriolig findest. Und auch die Sterbepille. Den aufgeschobenen Selbstmord findest du aber eine gute Idee. Aber der geht doch nur mit der Sterbepille. Grübel. Ne, hier bin ich einfach am Schleudern.
Es gibt ja ein paar, die meine Seitenhiebe auf die Todespille und das Geschäft mit ihr nicht so schätzen wussten oder es zuviel fanden. War mir aber trotzdem ganz furchtbar wichtig. Wenn ich Zeit und ein paar gute Ideen hätte, würde ich da grad weitermachen, obwohl ich ja mit science fiction absolut nichts am Hut habe. Was mir aber gefällt, das ist, dass man gesellschaftliche Zustände, wie sie jetzt annäherungsweise existieren, so wunderbar aufs Korn nehmen kann, wenn man sie in der Zukunft zuspitzt.

Zum einen müssen die Anschuldigungen keinesfalls der Wahrheit entsprechen (nur weil irgendwer das in irgendeinem Film behauptet), zum anderen bessern sich Friedas Leben und ihre Aussichten dadurch nicht.
Den Einwand habe ich auch nicht verstanden. Klar, das muss nicht stimmen, aber wenn sie stimmen, dann geht ihre Kalkulation, auf relativ sanfte Weise aus dem Leben zu scheiden absolut nicht auf. Und darum dreht sich ja ihre Entscheidung.

Wenn du den Twist am Ende beibehalten möchtest, kannst du immer noch die Ängste von Frieda beschreiben, die ja im Text auch schon der massgebliche Grund sind. Dafür braucht es aber keine Gerüchte, dass die Pillen angeblich nicht wirken und den Zustand der Patienten nur verschlechtern. Jeder hätte in einer solchen Situation Angst, diese Pille zu schlucken, auch (und vielleicht besonders) wenn sie zu 100% wirkt.
Ja, das kann ich nachvollziehen. Das hätte man machen können. Aber: So eine Pille gibt es wirklich nicht. Da hab ich mich gründlich umgehört. Es gibt keine solche Sterbepille. Ich will da nicht ins Detail gehen hier auf der Seite, aber schmerzlos wirkende Mittel sind als Einzelpille (noch) nicht möglich. Und die dubiosen Mittel, die man über dunkle Kanäle beziehen kann, sind eben dubios mit all den Nachteilen. Und eine Zyankalipille, wie sie Agenten haben sollen, wie man sie sich vermutlich auch über dunkle Kanäle besorgen kann, oder wenn man an den Film „Untergang“ denkt oder an die Umtriebe eines Typen (Atrott hieß der, der in Deutschland als Sterbehelfer auftrat) die bewirkt einen sehr schmerzhaften Tod. Also da braucht man sich gar nicht groß umzuhören und man erfährt das.


Da musste ich stutzen. Heizpilze, die bring ich mit Weihnachtsmarkt und Skifahren in Verbindung, also mit tiefem Winter. Hier ist ja von einem warmen Frühlingstag die Rede, von kurzen Röcken, warum dann Heizpilze?
Also im Frühjahr, wenn die Sonne weg ist, aber es schon so warm ist, dass Stühle draußen stehen, da werden die Dinger angemacht. Jedenfalls hier. Aber vielleicht sind Frankfurter verfrorener.

Meinem Gefühl nach müsste es "orangenen" Heizpilzzone heissen, aber ich glaube, "orange" gehört zu den Farben, die man nicht beugt. Also vermutlich "orangefarbenen Heizpilzzone".
Das weiß ich auf Anhieb nicht, ich hasse das Wort orangenen. Hab immer orangefarbenen geschrieben. Ich guck einfach nochmal nach. Hab ich eben gemacht. Im Duden. Man kann orange Heizpilzzone sagen.

Überlege doch mal, ob man das "grosszügig" hier weglassen kann. Denn wenn es aus ihrer Sicht - und aus der schreibst du ja - schon grosszügig ist, warum durchzuckt sie dann ein Stich, wenn er überrascht schaut?
Nee, das muss ausnahmsweise bleiben. Sie ist ja immer in diesem Café, gibt ein ähnliches Trinkgeld und hat die Vorstellung, ein großzügiges Trinkgeld gegeben zu haben, dh sie hat ja hier das Gefühl, sie wüsste, was sie tut. Wenn der Kellner jetzt überrascht guckt, dann war ihre Vorstellung falsch, und das finde ich für sie noch niederträchtiger, wenn sie statt einfach ein Trinkgeld zu geben Trinkgeld gibt, von dem sie die Menge glaubt zu kennen. Ach ich weiß nicht, ob du verstehst, was ich meine.


Mag kleinlich sein, aber auch hier kannst du überlegen, ob es die Adjektive braucht. "Wesen" finde ich schon ein unheimliches Wort, "klein" ist bei Zettel in meinen Augen auch überflüssig.
Beim Wesen weiß ich noch nicht, aber kleinlich finde ich es sowieso nicht, und beim Zettel find ich es viel stärker ohne „klein“. Der Gegensatz zwischen dem Wesen und dem Zettel wird wuchtiger.

Über die Aufzählung der gelungenen Stellen habe ich mich total gefreut. Und die Anregungen zum Nachdenken und Andresmachen kauf ich auch gerne ab.
An dem Text arbeiten will ich vermutlich nicht mehr. Ich kann das noch nicht mal richtig überlegen. Das liegt aber auch daran, dass ich einfach zu wenig Zeit habe, um mich damit auseinandersetzen zu können. Ja – im Moment mag ich, dass es so bleibt, aber wie gesagt, man bräuchte einfach auch ein bisschen Ruhe, um das wirklich durchdenken zu können. Und ich hab eh schon oft gemerkt, dass mein Kopf wenigstens annähernd frei sein muss, damit ich was schreiben kann, und ich muss dann auch dran bleiben. Also im Moment kann ich mirs nicht vorstellen, überhaupt über einen größeren Einschnitt auch nur nachzudenken.
Das bedeutet aber trotzdem, dass ich deine Einwände, was das Zukünftige der Geschichte betrifft, sehr ernst nehme. Ist wohl auch für zukünftige Geschichten wichtig. Ich denke, ich bräuchte da noch ein bisschen Knowhow, um das hier noch stimmiger zu machen.
Über dein Lob für das persönliche Portait, habe ich mich wahnsinnig gefreut. Es ist mir sehr wichtig gewesen, mal eine Charakterzeichnung richtig hinzukriegen. Denn in den meisten anderen meiner Geschichten steht ja auch die Horrorhandlung im Mittelpunkt. Und manchmal geht das dann auf Kosten der Charakterisierung.
Ich danke dir sehr fürs Vorbeischauen und für deine sehr genaue und intensive Auseinandersetzung mit meinem Text. Ich werd mit Sicherheit noch eine ganze Menge drüber nachdenken.
Ganz liebe Grüße, zu dir in die Schweiz wünscht dir die Novak

Liebe Meraviglia,

Zwischendrin verstand ich Deinen Einstieg nicht, er schien mir nicht zum Rest zu passen. Als ich fertig war, sah ich es dann wieder anders. Klar, sie war tatsächlich auf der Flucht. Ihre zunehmende Vergesslichkeit war ihr auf den Fersen, verfolgte sie, ließ ihre Vergangenheit und Gegenwart nach und nach verschwinden,
Das ist der eine Grund, der andere ist, dass sie sich ja auch ihrer Orientierung nicht mehr sicher ist, obwohl sie den Zettel mit ihrer eigenen Adresse noch nie gebraucht hat, weiß sie es aber nicht, wann das soweit ist. Deshalb behält sie ihre Straße auch immer im Blick.

Keine Ahnung, ob das Deine Absicht war, aber Du sprichst auf jeden Fall etwas an, das sich heutzutage leider viel zu oft vorfinden lässt: ein Geschäft mit der Gesundheit und der schlechte, oberflächliche Umgang mit Patienten seitens der Ärzte.
Dieses bittersüße Lächeln (oder sollte ich sagen „Grinsen“?) des Dr. Manninger, (…) Diese aufgesetzte Freundlichkeit, diese routinierte Gleichgültigkeit im Umgang mit Frieda. Handelt er fahrlässig? Er ist mir sehr unsympathisch und taktlos aufgefallen.. Zum Glück gibt es Ärzte, die ihre Patienten als Menschen mit Bedürfnissen und Persönlichkeiten ansehen und sie dementsprechend behandeln und beraten.
Zum Glück gibt es die. Aber leider auch sehr viele andere Ärzte und in die Richtung sollte auch hier mein Dr. Manninger gehen. Es ist ja so, dass es nicht einfach eine Böswilligkeit der Ärzte ist, die so geldgeil wären, sondern Gesundheit ist halt tatsächlich ein Geschäft und wenn ein Arzt heutzutage einigermaßen gescheit leben will von seiner Praxis, dann muss er sich schon einen zum Teil recht zynischen Umgang mit seiner Klientel zulegen. Das liegt so ein bisschen innerhalb des Systems.

Danke, liebe Meraviglia fürs Lesen, für deine Gedanken und für dein Lob, schön, dass sie dir im Großen und Ganzen gefallen hat.
Viele Grüße von hier nach dort von Novak

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Novak

Schön, und stark, ja und auch berührend. Ich finde es immer wieder toll, wenn AutorInnen es schaffen, an gewissen Stellen in der Geschichte den sensiblen Punkt des Lesers zu treffen. Das gibt mir dann das Gefühl, zur rechten Zeit am rechten Ort, das Gefühl, das Geschehen wirklich zu verstehen. Einzig der bereits kritisierte Rahmen in der Zukunft wollte sich mir auch nicht aufdrängen. Da muss ich in die gleiche Kerbe hauen, würde sogar Schwups folgen, das braucht es gar nicht und die Idee der "obskuren" Quelle für die blaue Pille gefällt mir zum Beispiel, auch im Hinblick rechtlicher Fallstricke. Das erscheint mir auch das einzig konstruierte hier, der Rest ist Zucker.

(BTW: Pentobarbital gibts noch in Kapseln, aus einer (obskuren) Anzeige: "Reine Nembutal (Natrium-Pentobarbital) Kapseln und flüssige zum Verkauf [...]
Wir bauten unsere hervorragenden Ruf, indem wir unseren Kunden mit ausgezeichneter Qualität / Reinheit Nembutal, angenehme und professionelle Shopping-Erlebnis mit 100% diskret Lieferung und freundliche Kundenbetreuung.
",
brrrr!)

Nun, auch wenn Quinn recht damit hat, dass es sich - für versierte Autoren - um ein dankbares Thema handelt, so hast du mit der Ich-Perspektive noch einmal mehr die schwierigere Variante gewählt, und ich dachte gegen Ende, geht das gut? Wie wirst du es schaffen, im richtigen Moment den Leser zu entlassen, ohne einfach den Erzähler zu wechseln.
Und meiner Meinung nach ist es dir mit dem absehbaren und doch nicht holzhammermässig vorgetragenen Ende in der Küche ganz gut gelungen.

Ich kann dir sagen, das Thema beschäfftigt mich schon lange, Friedas Zettelwirtschaft, diese Angst, sich nicht mal mehr an die wichtigsten Dinge in naher Vergangenheit zu erinnern, an das, was man gerade eben noch getan hat.
Das ging mir hier richtig nah, wie Frida Trinkgeld gab, wie sie Kim zum x-ten mal das gleiche erzählt, ohne dass du das explizit aufzeigst, subtil in ihren Blick packst, das ist schon grossartig gemacht und man spürt durchs Band deine Textarbeit, ist halt schön, wenn ein Autor seinen Text ernst nimmt, dran feilt, bis die Aussage stimmt, aber ich labere ...

Der Titel ist wirklich erste Sahne. Es gibt da diesen blöden Spruch, der mir immer zu den unpassensten Momenten einfällt: "Nimm dir Zeit und nicht das Leben." Und Frieda nimmt sich den Tag.

Kleinkram:

„Frühlingswischwaschi ist das. An so einem Tag.“
Das läuft irgendwie gegen die Sprachmelodie, ich lese da: ...wischiwaschi oder ...wischwasch.


Gratulation zur völlig verdienten Empfehlung, aber warum steht das Ding nicht in Gesellschaft?
Nein, nein, nur Spass! :lol:

Danke für diese gut erzählte und einfühlsam geschriebene Geschichte.

Gruss dot

 

Hi Novak,

wollte nur kurz loswerden, wie gut ich den Text finde. Ich weiß gerade gar nicht, ob ich alle deine Geschichten im Forum gelesen habe (? muss ich gleich mal gucken), aber von denen, die ich kenne, ist das hier auf alle Fälle der cleverste Text.

Ich hab die Komms überflogen und zu diesem Text-in-Zukunft-verorten-Problem: Ich seh da kein Problem drin, obwohl ich es beim Lesen auch "falsch" gemacht hatte. Die Chronitätsabgabe hab ich einfach überlesen, weil ... ja, warum? Es war doch mal in der Diskussion, dass Krankenkassen anders bezuschusst werden sollte, je nach Anzahl der chronisch Kranken ... kA, ich hielt es grundsätzlich für möglich, dass irgendein Teil der Krankenversicherungsbeiträge als "Chronitätsabgabe" bezeichnet wird und ich wusste nur nichts davon. :D
Den "Benzinersatzstoff" hielt ich für E10.
Dass der Text in der Zukunft spielen soll, ahnte ich erst, als es hieß, die Prota wäre 1980 geboren (trotzdem hätte es ja ein früher Fall von Demenz sein können), und sicher war ich mir dann, als sie die Selbstmordpille bekam. Also wusste ich das sehr spät und später, als von dir als Autor geplant. Ich hatte allerdings beim Lesen kein weiteres Problem damit und hab das dann einfach so hingenommen. Hab mich nur kurz gefragt, warum der Text nicht in SF steht.

Toll fand ich das mit der Pille und der Pillendose. Weil der Leser ja ganz kurz vorher ahnt, dass sie die Selbstmordpille da reinlegen wird, und dann macht Frieda das und man nickt und denkt "ja, genau, genau so hätte ich das auch gemacht".

Lieblingssatz:

Als Frieda die Gästeliste zusammenstellte, fand sie, dass die Gesichter der Männer, mit denen sie in den letzten Jahren zusammen war, einander glichen. An ihre Namen erinnerte sie sich nicht. Sie hatte das Gefühl, es waren mindestens fünf, kam sich frivol vor, doch Kim sagte, es waren nur zwei.

Und die Stelle fand ich rührend:
„Ja …“, der Mann zögerte, musterte Frieda für einen Augenblick, dann fuhr er fort: „Ich weiß jetzt nicht, soll ich erzählen?“
Frieda nickte.
Gar nicht mal so wegen Frieda und ihrem persönlichen Drama, mehr wegen ihm. Weil er sich da hinsetzt und sie anguckt und dann ausprobiert, ob man mit ihr über sowas reden kann. In der Realität sind solche Leute ziemlich creepy, aber hier in der Geschichte wirken beide unheimlich sympathisch.

Um überhaupt nochmal irgendwas Negatives zu sagen (;)): ich hasse das Wort Frühlingswischiwaschi. Das ging mir den ganzen ersten Absatz lang auf den Keks. Was soll das überhaupt sein, ein Frühlingswischiwaschi?

 

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