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Frieda nimmt sich den Tag

Seniors
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22.10.2011
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Frieda nimmt sich den Tag

„Frühlingswischwaschi ist das. An so einem Tag.“ Frieda brummte die Worte vor sich hin, immer wieder, während sie die Straße entlanghuschte, hin zu dem Straßencafé auf dem Platz zwischen den Hochhäusern. Sie hielt sich eng an die Gebäude, wandte sich ein- zweimal nach ihrer Wohnung um, ja da war es noch, das zuverlässige Rechteck der braunen Tür mit dem goldenen Knauf.
Frieda setzte sich, wickelte den Riemen ihrer Tasche fest um den Oberschenkel, bestellte Cappuccino und schaute. Sie sah Mädchen, die kurze Kleider ausführten und lange Beine. Bebrillte Männer drängten sich in dem schmalen Sonnenstreifen vor dem Haus, warfen mit der linken Hand Pläne in den Himmel, während die Zigarette in der rechten den Mädchen nachzielte. Sie sah, wie die Sonnenstrahlen allmählich an den Fassaden emporturnten und der verschattete Platz sich zur orangen Heizpilzzone entzündete.
Frieda rückte ihren Stuhl in die Nähe eines Strahlers und wärmte sich die Beine. Außerdem behielt sie auf diese Weise die Straße zu ihrer Wohnung im Blick. Sie legte die Hände in ihren Schoß und schloss die Augen. War das ein Tag zum Feiern? Hastig riss sie die Augen wieder auf und fuhr sich mit einer Hand an die Brust. Wohl nicht, dachte sie, aber ein besonderer Tag ist es doch.

Ein Röckchen wippte vorbei. Apricotfarbener Crêpe Satin, knapp dreißig Zentimeter, schätzte sie. Im Frühjahr werden die Rocksäume kürzer, das freut alle. Sie schmunzelte und strich über den schweren Wollstoff ihrer Hose. Sie hatte es geliebt, Röcke zu entwerfen, kurze duftige Hüllen, die sich um die Schenkel schmiegten. Jedes Jahr. Immer kürzere, bis der Slip blitzte. Und jedes Jahr hatte sich der Kopf ihres Chefs auf ungesunde Weise verfärbt aus Zorn über die fehlende ökonomische Nutzung des Rocksaums. Dann hatten sie alles neu entwerfen müssen und manchmal fegten dann knöchellange, missgünstige Kutten über das Pflaster. Zwei Jahre war sie jetzt raus aus dem Job, viel zu früh, hatte entworfen und genäht und verworfen und neu geplant, bis die Chefhaut wieder erblasste. Einmal stand er hinter ihr, als sie unter einen krapproten Musterstreifen „Chefkopprot“ schrieb. Er schimpfte, aber er lachte auch, denn er brauchte sie viel zu sehr mit ihren flinken Fingern und den gewagten Einfällen. Für einen Moment schwappte Stolz durch ihren Magen, ja wirklich, Modetrends beurteilen, das konnte sie. Und Cheflaunen. So gut, dass die Kolleginnen immer sie vorgeschickt hatten, wenn es Probleme gab. Ach ja, so war das damals.

Der Kellner kam und brachte den zweiten Cappuccino, schimpfte über die neuen Zahlen chronisch Kranker und den Anstieg der Chronitätsabgabe, flachste ein bisschen über den neusten Benzinersatz, der eine Reihe von Motoren durchgekocht hatte. Sie lachte pflichtschuldig und wunderte sich. Merkte er nie, dass sie nur selten antwortete und schon lang nicht mehr fuhr? Sie zahlte und gab ihm ein großzügiges Trinkgeld, registrierte sein überraschtes Gesicht. Ein Stich durchzuckte sie. Wieviel hatte sie ihm denn gegeben? Sorgfältig verstaute sie den Geldbeutel und strich dann langsam über die metallene Tischplatte. Der Kaffee duftete, rief das Bild einer früheren Kollegin wach, mit der sie neulich hier gesessen hatte. Wie hieß sie noch? Irgendwas mit M. Oder? Hastig griff sie nach dem Kaffeelöffel. Nicht über den Namen nachdenken. Bloß nicht. Einfach umrühren. Doch sie tastete ins Leere. Hatte sie den Löffel etwa eingesteckt? Als sie in der Tasche wühlte, rutschte ein Papierblock zwischen ihre Finger. Sie nahm ihn heraus und blätterte. Namen, Aufträge, Termine. Ach ja, dachte sie, mein Spezialdaumenkino. Ich muss nachgucken. Schnell. Was war es, das ich prüfen wollte? Ihre Adresse stand auf der ersten Seite. Die hatte sie noch nie gebraucht. Weiter hinten Einkaufen gehen, dann ein Name: Dr. Manninger, 17 Uhr. Hatte sie den etwa vergessen? Mit dem Finger fuhr sie hastig die Tage in ihrem Phone nach, verglich, noch einmal und noch einmal, immer wieder. Nein, das war schon länger her. Sie hatte nur vergessen, den Zettel fortzuwerfen. Von ihrem Magen quoll ein heißes Brennen in die Kehle, ein Gefühl, als verdrehe es die Speiseröhre. Sie riss das letzte Blatt ab, zerknitterte es und warf es vor sich auf den Tisch. Neben den Kaffeelöffel. Hatte der die ganze Zeit da gelegen? Sie streckte den Rücken durch, als könnte sie so das Wirre und Hilflose, das sie zu überschwemmen drohte, eindämmen. Ihre Hand krallte sich um den Löffel, so fest, dass die Kanten in die Haut bohrten, und schob den Papierball auf die andere Seite des Tisches, weg von sich, nur weg, bis der Löffel abrutschte und über das Metall schrappte.
Frieda rieb sich die schmerzende Hand, betrachtete die Kratzspuren auf der Tischplatte und den verbogenen Löffelstiel, dann rührte sie in ihrem Kaffee. Milchblasen verbanden sich, platzten und fügten sich neu.
Ein Mädchen spazierte an ihrem Tisch vorbei. Solche festen Schenkel hatte sie auch einmal gehabt. So lang war das gar nicht her, oder doch?
Zeit war elastisch geworden, ein Band, das sich dehnte, und wenn Frieda daran zog und endlich glaubte, eine Erinnerung zu fassen und zu behalten, dann schnalzte das Band zurück und die Erinnerung entglitt. Schnell kam es, das Schnalzen, und weh tat es. Frieda strich über ihre Hände, als hätten sie einen Schlag erhalten, betrachtete die braunen Flecken. Sie hatte gleich aufgeben wollen, damals.

*​

„Kein Grund zu resignieren“, sagte Dr. Manninger, „Das wird so früh erkannt jetzt, ihnen bleibt viel Zeit. Auch wenn es sehr früh auftritt. Die Medikamente werden die Krankheit aufhalten. Sie müssen sie allerdings regelmäßig nehmen und auf eine gesunde Lebensführung achten. Und sie sind teuer. Wenden Sie sich an die Beratungszentren. Anders geht es nicht. Irgendwann werden Sie dann eine Lösung finden müssen, wo sie zukünftig wohnen wollen.“ Während er sprach, lupfte er seine Mundwinkel, als könnte er ihre jämmerliche Zukunft mit einem fröhlichen „Auf, wird schon“ aus der Welt schaffen.
Frieda hatte es sich abgewöhnt, den Menschen in die Augen zu schauen, wenn sie mit ihnen sprach. Der Mund lachte freundlich, gleichzeitig beklagten sich die Augen über die Last, mit ihr umzugehen, oder, schlimmer noch, bemitleideten sie, wenn sie nach einem Wort rang oder einer Erinnerung. Nein, sie zog Münder vor.
Dr. Manninger zum Beispiel war das Heben der Mundwinkel so zur Gewohnheit geworden, dass diese sich zu vertikalen Kerben Richtung Stirn vertieft hatten, Optimistenwinkel nannte Frieda sie. Gerade erklommen sie Gesichtshöhen, dachte sie, die waren einfach nicht möglich. Dabei plärrte er eine Durchhalteparole nach der anderen. Ob man als Arzt ein Mundwinkelseminar besuchen musste? Wegen der vielen chronisch Kranken?
Mundtheater macht er, dachte sie. Nichts als Mundtheater. Sie hatte schon gewusst, was los war, als sie das erste Mal in Manningers Praxis erschienen war. Zu viele Zettel, die sie an zu viel erinnerten, zu viele Aussetzer. Es war ein unheimliches Wesen, das sie gepackt hielt, ein Wesen, das sie mit kleinen Zetteln bekämpfte.

*​

Eigentlich sah die Messingplatte auch aus wie ein überdimensionierter Zettel.
Beratungszentrum Ianua digna
Menschenwürdig leben
Menschenwürdig gehen
stand darauf. Mit dem Leben haben sie sich aber was vorgenommen, dachte Frieda. Sie hatte eine Weile gebraucht, um einen Termin auszumachen, aber die Tabletten waren zu teuer. Nur als Mitglied eines Beratungszentrums konnte man sich noch eine Therapie leisten. Und dann gab es da noch etwas, was sie von ihnen wollte.
Sie tastete über das diskrete, schwarzweiße Schild, fuhr die Buchstaben nach: Tägliche Besuchszeiten 8-12 und 15-18 Uhr. Vor dem Nachbargrundstück kackte ein Hund auf den Gehweg, die Besitzerin linste zu ihr herüber. Frieda runzelte die Stirn. Hoffentlich hatte sie nicht den gleichen flehentlichen Gesichtsausdruck wie der Hund, der jetzt unbeholfen in ihre Richtung buckelte und dabei eine Kotspur hinter sich her zog. Schnell trat sie ein.
Vor ihr erstreckte sich ein Saal mit mehreren Sitzgruppen, in denen mindestens zehn Leute warteten. Sie sahen ganz normal aus. Sie musste lachen, was hatte sie erwartet, Skelette, die mit Bastelzeug für Demente klapperten?
Die Stühle vor Raum 9 waren leer. Frieda strich sich noch einmal über den Rock, zupfte ihre Frisur zurecht und klopfte. Eine Altstimme bat sie hinein. Hinter einem kleinen Schreibtisch hockte eine Frau mit lockigen Haaren und einer riesigen Brille. Sie sah aus wie eine verfressene Katze. Macht nichts, dachte Frieda, sie würde sie sowieso nicht anschauen. Sie wollte nur die Zulassung für ihre Medikamente und den Rest. Und dafür brauchte sie jetzt ihre ganze Kraft. Im frühen Stadium die Kontroll-Pille zu erschmeicheln, das würde nicht leicht werden.
Die Frau begrüßte sie, wies auf einen bequemen Sessel in einer Sitzecke, kam um den Schreibtisch herum und setzte sich ihr gegenüber. Eine Kerze flackerte Honigschimmer auf das Holz, an den Wänden hingen bunte Bilder.
„Frieda Steitzinger, geboren 1980? Das sind Sie? Darf ich Ihre Arztberichte sehen?“
Oh je, dachte Frieda, und nestelte ihre Unterlagen heraus, das klang nicht gut, das klang nach genauer Prüfung.
Zwei Stunden später lag das Gebäude hinter ihr. Verwundert blickte sie sich um. Das war alles ganz leicht gewesen, sie hatte geplaudert, Espresso getrunken, Mandelplätzchen gegessen, hatte verwundert verfolgt, wie Angst und Sorge sich zu Gelassenheit wandelten. Die Katze plauderte so unbefangen, dass Frieda dauernd kicherte. Jetzt hielt sie eine Mappe in der Hand, darin abgeheftet die Zulassung für ihre Medikamente und ihre Arztberichte. Auf der Vorderseite glänzten herbstlich bunte Weinblattranken, in der Mitte war die Nummer L54789 eingeprägt. So ein kitschiges Muster hätte sie nie auf einem ihrer Röcke geduldet, doch jetzt fuhr sie mit dem Finger über die tröstliche Erhebung der Zahl. Und das Beste, sie hatte ihre kleine Versicherung, ein in dezentem Elfenbein gefärbtes Schächtelchen, in dem eine hellblaue Pille lag. Teuer, aber nun konnte sie gehen, wann immer sie wollte. Sie hatte etwas, mit dem sie die Kontrolle behielt, wenn ihr alles entglitt. Sie musste nur den richtigen Zeitpunkt erwischen.

*​

„Hirn-Aussatz“, sagte Kim, als sie ihr endlich von der Diagnose erzählte, und dann machte sie ganz ängstliche Augen, weil das so ein gemeines Wort war. Dabei gefiel es Frieda. Aussatz, das klang wie der stotternde Motor ihres alten Autos, Pickel nannten sie es, weil es der Schandfleck der Straße war, ja, Hirnpickel war gut. Das machte das Wesen so schön mürbe.

Und dann wollte Kim, dass sie ein Fest feierten.
„Das machen doch alle“, schimpfte Frieda.
„Wir feiern. Keine Widerrede. Und du lädst alle ehemaligen Liebhaber ein, überhaupt alle, die in deinem Leben eine Rolle spielen.“ Kim lachte, dann wurde ihre Stimme leise. „Niemand braucht zu wissen, dass es ein Abschied ist. Und dann“, ihre Stimme hob sich wieder, „wenn alle zu viel gesoffen haben, dann knipsen wir sie und erpressen sie, weil sie so scheiße aussehen.“
„Aber dein Herz.“
„Was soll damit sein? Dem geht’s gut. Du willst nur nicht feiern.“
„Hm.“ Frieda rieb einen unsichtbaren Fleck von der Tischplatte. „Und dann?“
„Dann kleben wir die Fotos in ein Buch.“
Als Frieda die Gästeliste zusammenstellte, fand sie, dass die Gesichter der Männer, mit denen sie in den letzten Jahren zusammen war, einander glichen. An ihre Namen erinnerte sie sich nicht. Sie hatte das Gefühl, es waren mindestens fünf, kam sich frivol vor, doch Kim sagte, es waren nur zwei. Sie war es auch, die sie anschrieb.

Das Fest rauschte an ihr vorbei, ein Reigen von Menschen, die mit ihr redeten, mit ihr anstießen. Jedes Mal, wenn es klingelte, hatte sie Angst, dass sie das Gesicht nicht erkannte oder den Namen nicht wusste. Sie trank zu viel, verkroch sich endlich in einem der leeren Räume. Es war Kims Zimmer. Irgendwann ertappte sie sich dabei, wie sie an dem Träger eines schwarzen Tangokleids roch. Kims Parfum haftete daran, überdeckt von einem leichten Schweißgeruch. Wegen ihr saß sie jetzt hier wie ein verschrecktes Schaf, wegen ihrer blöden Idee mit der Party. Kim würde weiter tanzen und denken und sich erinnern. Und sie? Frieda zerrte an dem Träger, sah voll bitterer Freude, wie sich der Stoff dehnte, riss weiter, bis er mit einem Knarzen nachgab, brüchiger, morscher Scheiß war das. Schnell stopfte sie das Kleid in den Schrank und kauerte sich in eine Ecke.
„Frieda?“ Mit einem Mal ragte Kim über ihr auf, entdeckte, wie sie da hockte, klein und hingeduckt. „Was ist denn mit dir?“ Ihr Atem roch nach Wein, Frieda fühlte ihre Hand, ihr Zupacken, und dann waren sie in dem großen Raum, zwischen den anderen, während One Day aus den Boxen dröhnte. Kim griff sie an beiden Händen, ließ sie nicht mehr los, tanzte mit ihr im Kreis, ganz wild, obwohl sie es doch so schlimm am Herzen hatte, immer weiter, schön war das, wunderschön, das hatten sie nie gemacht vorher, weiter und weiter, bis sie beide umfielen vor Lachen und Trunkenheit und Schwindel.
Dann rief Kim und ihre Stimme überschlug sich: „Mit Ihnen tanz ich am liebsten, Frau Frieda! Und noch was! Wenn du nicht mehr weißt, wer wer ist, dann bin ich deine Erinnerung, und du, du sollst mein Herz sein.“ Und dann lachte sie laut, weil alle ganz pikiert guckten und weil das so entsetzlich rosarot und zum Schreien war, und sie zog Frieda ganz schnell wieder hoch, und sie drehten sich weiter, immer rund und rundherum, bis alles verschwamm, und in dem Taumel sah Frieda Gesichter vor sich, große, bunte Gesichter, aber sie kannte sie nicht, und dann dachte sie an ein Stück zerrissenen, seidigen Stoff.

*​

Der Zettel hing an ihrer Zimmertür. Tabletten einnehmen stand darauf. Wann hatte sie den geschrieben? Sie erinnerte sich nicht. Noch mehr Zettel, eine ganze Serie hatte es sich in ihrem Zimmer breit gemacht. Als hätte jemand anderes sie heimlich aufgehängt; doch es war ihre Schrift, wenn sie auch aussah wie in großer Eile geschrieben. Am Kleiderschrank hingen welche, der nächste neben dem Tagebuch, in das sie jeden Tag ihre Fragen schrieb, und ein ganzer Zettelfächer klebte am Schreibtisch, wo der Tablettendosierer lag.
Sie riss die Zettel ab, nur den an der Tür ließ sie hängen, dann nahm sie die Box in die Hand und schob das Fach für Donnerstag heraus. Drei Tabletten lagen darin, fein aufgeteilt auf Sonne, Mond und Mittag. Mittag war unbeschriftet geblieben, bis sie selbst ein Symbol gemalt hatte: einen Stinkefinger. Das vierte Fach war nur an zwei Tagen der Woche gefüllt, Vitaminpillen lagen darin. Sie schob die Box noch weiter auf und beobachtete, wie die Tabletten in ihren Fächern rollten; kleine, hilflose Kügelchen. Schnell schluckte sie die Donnerstagmorgen-Pille. Der Boden der leeren Fächer war mit einer pastellfarbenen Staubschicht bedeckt. Sie befeuchtete den Zeigefinger, fuhr auf dem Boden eines Faches entlang und leckte den Staub ab. Sie musste an ein Kinderstück denken; ein kleiner, dicker Ritter im Kampf gegen das Böse. Ob er auch bitter schmeckte, wenn man an ihm leckte?
„Oblong-Fitz-Oblong“, rief sie, „Treten Sie an gegen den Aussatz!“ Sie schluckte die Stinkefingertablette rasch hinterher.
„Was ist denn schon wieder?“ Kim schaute ins Zimmer. Sie sah blass aus. Und müde. „Hast du die Tabletten schon genommen?“ Sie nahm ihr den Dosierer aus der Hand und prüfte die Fächer. „Du hast ja schon die Mittagstablette eingenommen. Soll ich das nicht langsam übernehmen?“
„Nein ich ...“
„Das ist wichtig, du musst dich dran halten. Dann lass es mich machen, wenn du es nicht mehr schaffst.“ Kims Stimme klang schrill.
Frieda griff nach dem Dosierer. „Gib her!“
„Ich weiß nicht“, Kim verzog das Gesicht, „traust du dir das echt noch zu?“
„Gib her!“ Mit einem Ruck zog Frieda an der Plastikschachtel, riss sie Kim aus der Hand, die erschrocken auf einen Schnitt an ihrer Hand blickte. Die Tabletten sprangen heraus und kreiselten über den Boden.
Bestürzt sah Frieda auf Kims Hand. „Das wollte ich nicht. Ich wollte nur …“
„Jetzt sieh mal, was du gemacht hast!“, Kim wies auf den Schnitt, aus dem ein Blutfaden quoll. „Keine Ahnung, in welches Fach die Dinger gehören. Mann, das nervt!“ Sie hockte sich auf den Boden, suchte, sagte, „Lass mal sehen“, und nahm Frieda den Dosierer aus der Hand. Sie legte die Tabletten in ihre Fächer zurück, an einer klebte ein bisschen Rot. Dann stand sie auf und hob die Hand. Frieda duckte sich, über ihr hing Kims Hand. Einen Moment stellte Frieda sich vor, wie die Finger zum Schlag ausholten, auf den Kopf droschen, als müssten sie die Schädeldecke durchdringen, fast wünschte sie es sich. Dann spürte sie doch nur wieder das harte Streicheln, das Ziepen an ihren Haaren. Kims Gesicht schwebte über ihr, es sah traurig aus. Frieda fühlte, wie ihr der Dosierer in die Hand geschoben wurde. Dann war sie allein.
Wann war das passiert, dass Kim ihr die Entscheidungen abnehmen wollte? Waren es Tage her? Oder Wochen? Die Erinnerung war abgetaucht in die zähe Masse, die jetzt ihr Gedächtnis war.
Sie hatte sich verändert, ihre Kim, sie sah breiter aus, dabei war sie doch klein und zierlich, und größer jetzt, viel größer als Frieda. Und sie redete so viel und wusste alles, und Frieda konnte nicht antworten, so schnell, wie die Fragen gestellt wurden. Jede Geschichte von ihnen beiden, wie sie Kim geholfen hatte, ihre Arbeit zu schreiben, oder wie sie ihr Flieder geholt hatte und dabei vom Baum gefallen war, jede einzelne Geschichte wurde zu einem Schatz, den Frieda Tag für Tag suchte, um ihn Kim und sich neu zu schenken. Damit alles seine Ordnung hatte. So froh war sie über das Wiedergefundene, doch Kims Gesicht erstarrte, wenn Frieda anfing zu erzählen. Und am schlimmsten war das Streicheln.
Als Kim aus dem Zimmer gegangen war, setzte Frieda sich vor ihren Schreibtisch und schlug das Tagebuch auf. Sie schrieb. Ich schäme mich für das, was ich bin, und noch mehr für das, was ich sein werde. Und wie es dann mit Kim sein wird. Ich … Sie schlug das Tagebuch zu, öffnete es wieder und riss die Seite aus dem Buch heraus.
Der Aussatz kam näher, ob sie wollte oder nicht. Ihre Vergesslichkeit zeigte es und Kims Gesicht zeigte es. Die Hoffnung, dass sie noch eine Weile so leben konnte, platzte. Es war Zeit.
Sie ging an ihren Schreibtisch, kramte ganz hinten in der Schublade, wo sie in einer versteckt liegenden Schachtel die kleine, blaue Pille aus dem Beratungszentrum aufbewahrte: Hyperbarbitol, schmerzlos und tödlich. Man musste es nur nehmen. Und genau das war der Punkt. Sie, die so schnell gelebt hatte, immer drauflos, so oft war sie gesprungen, zum nächsten Mann, in einen neuen Job oder mit dem Fallschirm. Vor diesem Sprung aber hatte sie Angst. Sie wollte nicht vor sich hin krepieren, aber sie wollte auch nicht spüren, wie die Tablette den Hals hinunterrutschte, und daran denken müssen, dass dies der letzte Moment ihres Lebens war. Sollte sie ihr graues Spitzenkleid anziehen und auf den Tod anstoßen mit einem Glas Champagner? Und vorher zum Friseur gehen? Eine flotte Kurzhaarfrisur schneiden lassen? Das passte doch alles nicht. Ach, sie hatte einfach Angst, jämmerliche beschissene Babyangst. Nachdenklich wendete sie das Kästchen zwischen ihren Fingern hin und her. Dann öffnete sie es. Vorsichtig platzierte sie die Pille in das vierte Fach für Sonntag. Heute wusste sie noch, dass sie diese Pille nicht nehmen durfte. Und morgen würde sie das auch noch wissen. Lange noch. Aber irgendwann würde sie vergessen, was das für eine Pille war und sie würde sie nehmen. Ihr Tod wäre ein merkwürdiger Zufall, eine Folge ihrer Vergesslichkeit. Sie würde dem Aussatz ein Schnippchen schlagen und ihrer eigenen Angst gleich mit.
Aber, dachte sie, was ist, wenn Kim mir den Dosierer wegnimmt? Sie beruhigte sich, das macht sie so schnell nicht, und wenn, dann schauspielere ich, ich werde so tun, als nehme ich die Pille und bewahre sie woanders auf. Das geht schon. Und wenn ich es nicht mehr weiß? Dann gibt Kim mir die Pille. Ihre Kehle verengte sich, sie schluckte, massierte sich den Nacken. Kim. Sie wird es verstehen, sagte sie sich dann, sogar, wenn sie das mit der Pille kapiert. Ja. Sie wird zurechtkommen, das ist ok, sie ist doch jetzt gewachsen. Außerdem wollte sie ja die Box. Sie verzog den Mund. Kontrolle hat einen Preis, auch für eine Freundin. Sie drängte den Gedanken an Kim endgültig zurück und lächelte. Ihr Vergessen würde sie vom Vergessen erlösen.

*​

Sie nahm den Papierball, der immer noch auf dem Metalltisch lag, zerknüllte ihn noch mehr und warf ihn mit Schwung auf die Straße, direkt vor die Pumps eines der Minirockmädchen. Wenn man einen Entschluss gefasst hatte, war alles leicht, es ging ihr gut heute, verdammt noch mal.
„Naja ein Dunking war das jetzt nicht gerade“, sagte der junge Mann, der neben ihr Platz genommen hatte.
„Wie bitte?“
„Dunking. Basketball, Korbwurf.“
„Dunking.“ Frieda schüttelte den Kopf. Sie sah den jungen Mann eine Weile an, musterte sein bartloses Kinn, den Pferdeschwanz. Er sah aus wie ein frisch geschlüpftes Küken. „Sie sehen aus wie ein Max.“
Der Junge stutzte. „Ich dachte wie der andere.“
„Wollen Sie einen Kaffee mit mir trinken? Der Kaffee ist gut, allerdings ist die Milch zu dünn: Die Blasen platzen.“
Der junge Mann nickte. „Mit platzenden Blasen kenne ich mich aus. Besonders mit Hoffnungsblasen.“ Seine Mundwinkel tänzelten nach unten. Gottseidank, dachte Frieda, einer, bei dem Mund und Augen nicht zwei verschiedene Geschichten erzählen. Doch so schnell sie gesackt waren, hoben seine Mundwinkel sich wieder, flatterten, als müsste der Mann sich noch entscheiden, ob er über das, was er sagte, lachen wollte. Da, schon wieder. Die Mundwinkel tanzten. Aber Tango ist das nicht, dachte Frieda, eher Veitstanz. Sie riskierte einen Blick zur Nase, wanderte über Sommersprossen zu hellbraunen Augen, in deren Mitte grüne Pünktchen schwammen.
„Platzende Blasen, blasende Platzen“, sagte sie. „Heute ist ein Blasenplatztag.“
„Ja …“, der Mann zögerte, musterte Frieda für einen Augenblick, dann fuhr er fort: „Ich weiß jetzt nicht, soll ich erzählen?“
Frieda nickte.
„Also eigentlich muss man das wirklich erzählen. Es ist absurd. Ich habe für ein Institut Interviews führen müssen. Den Job bin ich los. Aber egal, bin wohl nicht für so was geschaffen. Die wollten so psychologische Profile. Und ich hab alles andere rausgekriegt, nur nicht die Profile. Und das, was ich rausgekriegt hab, das hätt ich denen schon vorher erzählen können. Als ich ihnen gesagt hab, dass der Aufwand die Mittel nicht lohnt, haben sie gesagt, das sehen sie auch so, und haben mich rausgeschmissen. Naja, vielleicht besser so.“
„Was mussten sie fragen?“
„Ich musste Filmtitel nennen und die Leute mussten dann sagen, was ihnen dazu einfällt. Hab ich gemacht. Und was ist denen eingefallen? Fast immer?“ Der junge Mann krauste die Nase.
„Was zu essen?“
„Klar. War immer Popcorn. Ich weiß jetzt genau, dass Chilipopcorn besonders häufig von Männern gegessen wird, die in Actionthriller gehen. Wenn Frauen mitgehen, nehmen sie eine kleine Packung Popcorn, süß und gefärbt wie Karotten, und geben ihrem Begleiter nichts davon ab. Ich wusste nicht, dass Möhrchen-Popcorn eine Art Protestaktion ist." Er lachte. "Bei Schmachtfetzen, z. B. den Remakes von diesem, Mann, jetzt fällt er mir nicht ein …“
„Das ist mein Job“, sagte Frieda und griff nach der Tasse des jungen Mannes.
„Nur zu, nur zu“, irritiert blickte er auf seinen Kaffee, der gerade in Friedas Mund verschwand, „jetzt weiß ich es wieder, Walt Disney, komisch, dass das Zeug immer noch boomt, da kaufen die Frauen doppelsüßes Popcorn, Partnerbox, für sich und den Mann an ihrer Seite. Ich glaube, das ist eine Art Anti-Kondom. Den Kerlen fällt sofort auf, dass die Freundin das kauft. Da werden sie vorsichtig. Und dann erzählen sie, dass das Popcorn ihnen den Magen zugeklebt hätte in der Nacht nach dem Kino und alles andere gleich mit.“
„Und dann?“
„Und dann, naja“, der junge Mann setzte sich zurecht, griff sich wieder seine Tasse, nahm einen Schluck. „Dann, also ich find das ja schon komisch, wenn die immer mit Popcorn kommen. Aber es war wirklich so. Zum Beispiel: Was fällt Ihnen ein, wenn Sie „Morningtiger“ hören? Antwort: Das war da, wo meine Freundin einen Riesenaufstand gemacht hat, weil es kein buntes Popcorn mehr gab. Und der Proband und ich uns dann zusammen überlegt haben, ob man nicht Popcorn passend zum Film erfinden sollte. Also in diesem Fall Streifenpopcorn mit Zähnen.“ Der junge Mann lachte. „Fragt man sich doch echt, jetzt gibt es Popcorn seit der Steinzeit und nie ist einer auf diese Idee gekommen.“
Frieda gluckste, sein Lachen war ansteckend. „Was ist das? Morningtiger?“
„Was? Den kennen Sie nicht? Der Film von Milan Swamovic, von dem redet zur Zeit jeder. Ein ganz junger Regisseur, ein Schüler von Hooper. Apropos Hooper. Nach „Les Miserables“ musste ich auch fragen. Und wissen Sie, was mein Proband gesagt hat? Das war, als mein Karamell-Popcorn, so elend klebrig war, dass mir die Zahnfüllung rausgefallen ist.“ Der junge Mann seufzte übertrieben und verdrehte die Augen. „Ich weiß nicht, das muss wohl an mir liegen.“
Frieda verstand nichts, aber das Geplauder des jungen Mannes umhüllte sie wie eine gemütliche Decke. Man musste nicht antworten, er unterhielt sich ganz von allein. Sie lachte so laut, dass die Leute vom Nebentisch herüberschauten. Frieda drohte ihnen mit dem Finger. Als sie zurückschaute, sah sie, dass der junge Mann auch den Finger erhoben hatte.
„Jetzt müssen sie dazu nur noch mit den Ohren wackeln, dann kriegen die sich gar nicht mehr ein, sehen Sie, so …“ Seine Schläfen zitterten auf und ab.
Frieda prustete.
„Also das war das Problem, sobald die einmal Popcorn sagten, musste ich weiterfragen. Wissen Sie, die Sache mit dem Popcorn interessiert mich ja schon lange. Warum zum Beispiel gibt es das immer noch? Und wie hat es überhaupt den Weg in die Kinos genommen?“
„In einer Tüte?“
Der junge Mann stutzte. „Sie haben lustige Antworten. Ich hab mich natürlich oft auch gezwungen, anderes zu fragen, sonst wär ich wohl schon früher rausgeflogen.“
„Und dann?“
„Naja, den meisten fällt auch noch ein, mit wem sie im Kino waren. Hätt ich denen von dem Institut auch vorher sagen können. Ist doch logisch. Ich mein, Essen und Menschen, das ist doch das Wichtigste.“
„Das geht mir auch so. Ich erinnere mich auch nur noch an Essen und Menschen. Aber das ist bei mir normal.“ Frieda kicherte.
„Und dann gibt es da noch die Cineasten. Um die dreißig, buschige Augenbrauen. Für die gilt das alles nicht, die essen immer nur dasselbe Popcorn, egal, welcher Film. Dafür XXL-Packung. Immer. Aber einer hat mir heute einen super Tipp gegeben. Das guck ich mir nachher gleich an. Dieser Swamovic, der soll eine Indie-Produktion gemacht haben. Über Ianua digna. Kann man nur im Netz sehen.“
„Was?“
„Ein Film über Ianua digna. Dass die jedem die Todespille aufdrücken, selbst Leuten, die noch lange gut leben könnten. Und die lassen sich das teuer bezahlen. Und, jetzt kommts, das Zeug da drin funktioniert noch nicht mal. Ein paar Leute sollen ganz furchtbar verreckt sein, und manche haben trotzdem überlebt, und es war schlimmer als vorher. Die Pharma-Industrie sponsert die angeblich. Und die Regierung auch. Sind doch alle froh, die vielen Kranken loszuwerden. Sie werden ja ganz blass. Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?“

Als der junge Mann gegangen war, saß Frieda immer noch da und lauschte der Leere in ihrem Inneren. Als wäre etwas abgemäht worden. Es tat noch nicht einmal besonders weh, es war einfach nur fremd. Das, was sie für Kontrolle und eine ironische Idee gehalten hatte, war eine Schimäre.
Leute liefen an ihr vorbei, sie sah ihnen hinterher. Und dann war es ihr klar, sie musste so schnell wie möglich nach Hause, die Pille rausnehmen. Sie musste. So wollte sie nicht gehen, nicht mit dieser Angst. Das wollte sie sich nicht antun. Und Kim auch nicht.
Und zuallererst würde sie in einen Film gehen mit Kim. Und an den jungen Mann denken, wenn er ihr wieder einfiel. Dafür war jetzt die Zeit. War doch egal, wenn Kim größer wurde als sie. Aber erst würden sie zusammen Popcorn essen. Eine riesige Tüte.

*​

Als Frieda eintrat, wartete Kim schon auf sie. Sie saß am Tisch, vor sich ein Stück Kuchen, pickte Krümel auf und leckte sie von ihrem Finger.
„Ich habe auf dich gewartet“, sagte sie. An der Kuchenplatte lehnte eine Postkarte. Frieda stellte ihre Tasche ab, wollte in ihr Zimmer, sie musste etwas Dringendes erledigen. Doch Kim umarmte sie, ganz fest, es war ein schönes Gefühl. Stimmt, sie musste sich erst einmal mit Kim vertragen, sich entschuldigen.
Sie griff nach einem Teller: „Ich auch Kuchen.“
Kim lachte und schnitt ihr ein Stück ab. Als Frieda sich über den Kuchen beugte, fühlte sie Kims Hand ihren Kopf berühren. Ganz leicht, wie ein Vogel, der sie zart mit den Federn streifte. Sie sah auf, sagte, „wir müssen zusammen ins Kino gehen, das ist wichtig.“ Dann stopfte sie sich ein Stück Kuchen in den Mund, kaute einmal und erhob sich.
Kim sagte: „Das ist für dich“, und reichte ihr die Postkarte. „Ich bin manchmal so ungeduldig, es tut mir leid. Es ist nicht einfach für uns beide.“ Sie senkte den Kopf. „Ich hab Kuchen gebacken und dann hab ich die Postkarte gesehen. Die zwei hier, die sind wie du und ich. Da hab ich sie dir mitgebracht.“
Auf der Karte liefen zwei struppige Hunde nebeneinander her. Hinter ihnen verschmolzen graugrüne Hügel mit dem Himmel.
„Das bist du“, sagte Kim und wies auf das linke Hündchen, das im Sprung durch die Luft flog, so dass die Haare nach hinten wehten. „Genauso wild bist du manchmal. Und das da, das bin ich.“ Sie deutete auf den Hund, der neben dem anderen über die Straße trabte, er sah ein wenig besorgt aus. Die Mundwinkel wiesen nach unten, bildeten zusammen mit der schwarzen Lacknase ein Dreieck. Die Augen waren groß und feucht, sahen den Betrachter direkt an. Frieda blickte auf die beiden Hunde, es war nur eine Postkarte, aber es war ein schönes Geschenk und ein bitteres, und so, dass sie weinen wollte, weil es ihr in die Seele schnitt. Wieder fiel Frieda ein, dass sie unbedingt an etwas denken wollte, was war es nur, irgendetwas, das mit blauer Farbe zu tun hatte. Ärger bohrte in ihr, warum hatte sie nicht einen Zettel geschrieben, das machte sie doch sonst immer? Sie erinnerte sich verdammt noch mal an nichts. Sie kniff sich in die Hand, ganz fest, saugte am Handballen, die Karte immer noch zwischen den Fingern, bis sich ein blauer Fleck bildete, blau, ja blau, das war es, bestimmt war es das, an etwas Blaues wollte sie denken. Noch einmal saugte sie und drehte dabei die Hand, so dass ihr Blick wieder auf die Karte fiel. Ach, Kims Geschenk, sie genoss die Lebensfreude, die in den beiden Hundekörpern steckte, die Anspannung des Sprungs und die Gemächlichkeit des Trabens, sie folgte dem hellen Feldweg, der sich mit dem Dunkel des Waldes verband, wanderte hin zu dem Streifen Himmel, der über den Hündchen leuchtete. Helles Lichtblau mit einem Grünstich. Ja, dachte sie, daran habe ich denken wollen, an diesen Himmel. Hell mit einem Schimmer Grün. Kims Geschenk. Sie tippte auf die Karte, fuhr den Himmelsstreifen entlang und freute sich über die beiden Hunde.

 

Hallo Novak,

ich hoffe, es ist hier nicht verpönt, ein zweites Mal zu antworten, ich habe dazu keine Hinweise oder FAQ finden können.

Aber an einer Stelle habe ich mich ein bisschen geärgert. Das war hier.
Du hast recht, das klingt oberlehrerhaft. Ich möchte mich bei dir dafür entschuldigen. Hintergrund ist, dass meine eigenen Texte in den ersten Versionen generell überfrachtet sind, und bei mir in der Regel nur nochmal und nochmal Putzen hilft. Deshalb kam unüberlegt dieser Spruch. Ich wollte dich nicht ärgern.

Nach meiner Anmeldung hatte ich Lust, eine Geschichte zu kommentieren, die Wahl fiel auf deine, unter anderem wegen der vielen Antworten, die machten mich neugierig.
Ich hatte die Antworten nicht alle gelesen und lag daher mit "vehement positiv" offenbar falsch; mein oberflächlicher Eindruck war der einer überwiegend positiven Bewertung, und zwar hauptsächlich des Inhalts, der Ideenwelt. Das waren teilweise tiefgründige, liebevolle und sehr ausführliche Kommentare, denen ich nichts hinzufügen konnte. Meine Formulierung zielte darauf ab, dass ich mich hingegen der Formkritik widmen und auf den bereits ausführlich besprochenen Inhalt nicht weiter eingehen wollte.
"Reinweiß" war einerseits Versuch, mittels Humor meiner Antwort eine eventuell wahrgenommene Schärfe zu nehmen, wie du schon vermutest, andererseits auch einen durch viel Lob eventuell nachlässig werdenden Ehrgeiz anzustacheln. Außerdem störte mich die Fokussierung auf den Inhalt, die auch in den anderen Threads vorzuherrschen schien, die ich besucht hatte. Die positiven Kommentare waren also wirklich ein Grund. Für mich ist dieser Grund nicht komisch.
Deinen Hinweisen nachgehend habe ich mittlerweile weitere Kommentare gelesen und finde den allgemeinen Ton nun zugegebenermaßen noch allerhöchstens beige, womit mein ursprünglicher Kommentar seine prinzipielle Wucht einbüßt. Die Empfehlung, dem "reinweiß" zwecks Erhaltung des plastischen Kontrasts weiterhin Glauben zu schenken, muss nicht ganz ernst genommen werden.

Ja, da habe ich natürlich geschluckt. Klingt ja ziemlich … naja, wie schon mal gegessener Handkees, so will man ja echt nicht ankommen.
So sollte das aber überhaupt nicht wirken. Empfände ich deine Geschichte als gegessenen Handkees, hätte ich mich damit nicht beschäftigt. Ich habe mir abmildernde Floskeln erspart, nicht um ein hartes Urteil zu sprechen, sondern weil sie Ballast auch für eine Kritik sind. Ich wollte dir also nicht den Wind aus den Segeln nehmen, aber der immer nur halbwegs befriedigenden Umformulierung ein paar konkrete Punkte zur Seite stellen.
Ob der Stil einer Schule entspricht, kann ich nicht sagen, wir sind doch alle Autodidakten. Es ist ein flotter Stil, den ich wählte, weil die Geschichte auf mich wirkte, als könnte sie Tempo gebrauchen. Das ist selbstverständlich Geschmackssache.
Das Problem an einer Umformulierung ist, dass das Ergebnis mehr oder weniger anders klingt als das Original und damit dem Autor fremd wird. Ich habe versucht, ein paar meiner Kritikpunkte umzumodeln, aber eine Änderung zieht die andere nach sich und am Ende hat man einen völlig anderen Text. Und alles wegen ein paar kleiner Punkte. Sprich: dem Autor sollte es, anders als dem Umformulierer, möglich sein, diese Punkte zu verbessern, ohne den eigenen Geschmack aufgeben zu müssen – nur er kennt ihn.
Denn ich finde das wesentlich und eine genauso interessante Frage wie du. Themen und Ideen haben wir bis an unser Lebensende genug, aber die Form bringt den Leser dazu, sich mit diesen Themen erst zu beschäftigen. Noch unterhalb aller Stilfragen sind es solche Kleinigkeiten, die einen Text auf den ersten Blick holperig oder nicht holperig wirken lassen. Die von dir angesprochene Routine führt meines Erachtens genau dahin: Holpern und Glätte unterscheiden zu können. Man lese ein paar Dutzend Romane und wird künftig schon mit dem ersten Absatz sagen können, welches die handwerklich schlechten sind. Beim eigenen Text ist das viel schwieriger, das geht mir genauso. Und da kann ein Forum eine schöne Sache sein.

Vielen Dank für deine ausführliche und offene Antwort, die mich sehr gefreut hat. Du nimmst dir viel Zeit für deine Kommentatoren und hast dich durch meine missverständliche Ausdrucksweise nicht provozieren lassen. Ich werde auf jeden Fall am Ball bleiben.
Ach, zum Namen noch. Also, was anderswo durchs Kabel fließt, weiß ich ja nicht, bei mir aber tatsächlich keine Currywurst.

Liebe Grüße,
Dat

 
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Hallo Dat,

ich hoffe, es ist hier nicht verpönt, ein zweites Mal zu antworten, ich habe dazu keine Hinweise oder FAQ finden können.
Aber keineswegs ist das verpönt, im Gegenteil. Nur wenn wir vom Thema abkämen und uns über Rezepte austauschen würden. ;) Außerdem: Ich hatte ja Fragen und Unsicherheiten, da hab ich mich also über deine nochmalige Antwort sehr gefreut.

Entschuldigen musst du dich bei mir übrigens gar nicht. Ich hatte ja ohnehin gemerkt, dass du deine Gründe hattest. Und jetzt kann ich das nochmal besser nachvollziehen.

Der Text, den ich hier eingestellt habe, ist von mir hundertfach überarbeitet. Das ist natürlich eine Übertreibung, denn ich habe nicht mitgezählt. Aber das ist das Ergebnis von langem langem daran Arbeiten. Besonders der Anfang hat mich, das weiß ich noch, sehr viel Mühe gekostet. Nur, das heißt ja nicht, dass es dann gut ist. Das hätte man nur gerne.

Ich wollte dir also nicht den Wind aus den Segeln nehmen, aber der immer nur halbwegs befriedigenden Umformulierung ein paar konkrete Punkte zur Seite stellen. (...)
Es ist ein flotter Stil, den ich wählte, weil die Geschichte auf mich wirkte, als könnte sie Tempo gebrauchen. Das ist selbstverständlich Geschmackssache.
Die konkreten Punkte sind ja das Gute, da kann man sich austauschen. Der Unterschied zwischen unseren beiden Versionen ist wirklich das Tempo. Ich wollte der Frieda, im Cafe sitzend und schauend, ja gerade kein Tempo geben, sondern eher etwas Meditatives. Von daher meine Entscheidung für z. B. die Satzgefüge, die ausgeschriebenen Konjunktionalsätze, keine Partzipialkonstruktionen, kein Ellipsen. Darum z. B. der Sound von dem sich wiederholenden Sie sah. Also das war nicht Mangelarbeit, sondern Entscheidung. Trotzdem kann man das ja dann übertreiben oder es halt falsch entscheiden.
Jedenfalls hast du mir eine Menge Stoff zum Nachdenken gegeben. Leider bin ich für mich nicht so richtig zu einem Entschluss gekommen. Ich könnte ja sagen, ich bin der Chef der Geschichte blabla. Aber du hast mich auch ein bisschen unsicher gemacht, ob meine Entscheidung hier wirklich die richtige war. Gerade der Anfang einer KG im Netz muss ja sofort einen Knall- und Sogeffekt ausüben. Und das mach ich hier nicht. In einem Roman wäre das vielleicht was anderes, da kauft man nicht wegen dem ersten Satz, sondern wegen dem Klappentext und prüft (so mach ich das jedenfalls) an ein paar Stellen, ob einem der Stil prinzipiell zusagt, und oft sagt mir bei Romanen der Anfang gar nicht zu, ich hab sie aber trotzdem verschlungen.

Sprich: dem Autor sollte es, anders als dem Umformulierer, möglich sein, diese Punkte zu verbessern, ohne den eigenen Geschmack aufgeben zu müssen – nur er kennt ihn.
He, du hast gut lachen. Das ist hier gar nicht so einfach. Ich verlang gleich mal Schadenersatz von dir :D
(Das war übrigens ein Witz, ich geh mal lieber auf Nummer Sicher, wir sind ja schließlich im Netz, da kann man dem anderen nicht ins lachende Gesicht schauen). Also ich finde das schwierig, da meine Intention zu erhalten bei dem Tempo deiner Anfangsversion.
Ich glaube, ich muss mal noch jemand anderen um Rat fragen. es interessiert mich jetzt tasächlich brennend.

Themen und Ideen haben wir bis an unser Lebensende genug, aber die Form bringt den Leser dazu, sich mit diesen Themen erst zu beschäftigen.
Selbst da geh ich mit dir nicht ganz d'accord fürchte ich. Klar muss die Form stimmen. Aber ich habe die Erfahrung bei meinem eigenen Lesen gemacht, dass zu viel Geliebäugele mit der Form oder eine Beschränkung der Sprache mir auf Dauer nicht gut gefallen. Ich glaube, ich mag es da eher variantenreich oder eben so einfach, dass die Sprache in den Hintergrund tritt und man von der Geschichte gefesselt wird. Ich rede jetzt nicht mehr von meinen Texten, sondern ganz allgemein. Ich weiß noch, dass ich früher bestimmte Schriftsteller wegen ihrer Sprache liebte. Und da ist zum Teil nichts von geblieben. Ich habe z. B. früher Bücher von Alice Hofman verschlungen. Und irgendwann hatte ich so die Nase voll von ihr und diesem Bilderschwulst und Metapherngeballer, weil die Geschichten mir nichts mehr gaben. Manchmal ist es so, dass es eine ganz einfache Sprache braucht, um die Wucht einer Geschichte, eines Inhalts zuzulassen. Also für mich sind immer noch Garp oder Hotel New Hampshire und diverse Sachen von King das, was ich unbedingt immer und immer wieder lesen will.

Ich werde auf jeden Fall am Ball bleiben.
Das ist gut. Wenn ich tasächlich einen neuen Anfang schreiben sollte, melde ich mich bestimmt bei dir. Und ansonsten: Schön, dass du da bist. Ich bin schon gespannt auf weitere Kommentare (ohne dich jetzt unter Druck setzen zu wollen) und natürlich Geschichten von dir. Viel Spaß hier.

Ach, zum Namen noch. Also, was anderswo durchs Kabel fließt, weiß ich ja nicht, bei mir aber tatsächlich keine Currywurst.
:lol:

Danke für dein nochmaliges Melden. Viele liebe Grüße zurück.
Novak

 

Liebe Novak,

diese Geschichte habe ich zweimal gelesen und sie wird mir noch lange in Erinnerung sein, weil ich sie handwerklich gut und berührend fand.
Dieser Kommentar wird vermutlich nicht sehr hilfreich sein, weil er davon handelt, warum mir der Text so gut gefallen hat. ;)

Du beschreibst am Anfang Friedas spezielle Wahrnehmung und stellst damit Empathie her:

Ein Röckchen wippte vorbei. Apricotfarbener Crêpe Satin, knapp dreißig Zentimeter, schätzte sie.
Dieses Mitfühlen verstärkt sich noch durch die Beschreibung des Verhältnisses zu dem sehr speziellen Chef.

Die Science-Fiction-Elemente mit der Chronitätsabgabe und erfundenen Werken der Popkultur braucht die Geschichte gar nicht. Sie stören aber auch nicht (sehr).

Exzellent fand ich die Beschreibung von Friedas Problem, indem du ihr ständiges Misstrauen gegen sich selbst und ihre Vorkehrungen gegen Fehler schilderst:

Dr. Manninger, 17 Uhr. Hatte sie den etwa vergessen? Mit dem Finger fuhr sie hastig die Tage in ihrem Phone nach, verglich, noch einmal und noch einmal, immer wieder. Nein, das war schon länger her. Sie hatte nur vergessen, den Zettel fortzuwerfen.

Eine sehr geschickte Andeutung (das unwillkürliche Heben der Hand) zeigt uns, dass Kim Frieda schon geschlagen hat:
„Ich weiß nicht“, Kim verzog das Gesicht, „traust du dir das echt noch zu?“
„Gib her!“ Mit einem Ruck zog Frieda an der Plastikschachtel, riss sie Kim aus der Hand, die erschrocken auf einen Schnitt an ihrer Hand blickte. Die Tabletten sprangen heraus und kreiselten über den Boden.
Bestürzt sah Frieda auf Kims Hand. „Das wollte ich nicht. Ich wollte nur …“
„Jetzt sieh mal, was du gemacht hast!“, Kim wies auf den Schnitt, aus dem ein Blutfaden quoll. „Keine Ahnung, in welches Fach die Dinger gehören. Mann, das nervt!“ Sie hockte sich auf den Boden, suchte, sagte, „Lass mal sehen“, und nahm Frieda den Dosierer aus der Hand. Sie legte die Tabletten in ihre Fächer zurück, an einer klebte ein bisschen Rot. Dann stand sie auf und hob die Hand. Frieda duckte sich, über ihr hing Kims Hand. Einen Moment stellte Frieda sich vor, wie die Finger zum Schlag ausholten, auf den Kopf droschen, als müssten sie die Schädeldecke durchdringen, fast wünschte sie es sich. Dann spürte sie doch nur wieder das harte Streicheln, das Ziepen an ihren Haaren. Kims Gesicht schwebte über ihr, es sah traurig aus.

Wenn die Kontrolle über die eigene Sprache schwindet, entstehen seltsame Ausdrücke, die etwas Kindlich-Unmittelbares haben:
„Platzende Blasen, blasende Platzen“, sagte sie. „Heute ist ein Blasenplatztag.“

Am Allerschönsten fand ich die Szene mit der Postkarte.
Kim sagte: „Das ist für dich“, und reichte ihr die Postkarte. „Ich bin manchmal so ungeduldig, es tut mir leid. Es ist nicht einfach für uns beide.“ Sie senkte den Kopf. „Ich hab Kuchen gebacken und dann hab ich die Postkarte gesehen. Die zwei hier, die sind wie du und ich. Da hab ich sie dir mitgebracht.“
Auf der Karte liefen zwei struppige Hunde nebeneinander her. Hinter ihnen verschmolzen graugrüne Hügel mit dem Himmel.
„Das bist du“, sagte Kim und wies auf das linke Hündchen, das im Sprung durch die Luft flog, so dass die Haare nach hinten wehten. „Genauso wild bist du manchmal. Und das da, das bin ich.“ Sie deutete auf den Hund, der neben dem anderen über die Straße trabte, er sah ein wenig besorgt aus. Die Mundwinkel wiesen nach unten, bildeten zusammen mit der schwarzen Lacknase ein Dreieck. Die Augen waren groß und feucht, sahen den Betrachter direkt an. Frieda blickte auf die beiden Hunde, es war nur eine Postkarte, aber es war ein schönes Geschenk und ein bitteres, und so, dass sie weinen wollte, weil es ihr in die Seele schnitt.

Den Abgang durch eine Giftpille, um sich selbst eine ständige Verschlechterung des Zustands zu ersparen, habe ich übrigens in dem folgenden Roman als Ausweg aus derselben Situation gelesen:
Mein Leben ohne Gestern: http://www.amazon.de/Mein-Leben-ohne-Gestern-Roman/dp/3785760167
Die Protagonistin in dem Roman geht bei ihrem Selbstmord etwas anders als Frieda vor und lebt in ganz anderen Verhältnissen (Naturwissenschaftlerin, verheiratet mit erwachsenen Kindern).

Es gelingt dir, diese Geschichte mit wenigen medizinischen und dafür vielen menschlichen Details glaubhaft zu erzählen.

Gern gelesen!

Berg

 

Hallo Novak,
Mein Kommentar kommt sehr spät. Aber ich möchte auch nur schreiben was mir davon auch nach längerer Zeit in Erinnerung geblieben ist. ;)
Die Geschichte hat mich total berührt. Zum einen, weil ich den Verlust spüren konnte, den die Protagonistin und ihre Freundin erfahren, zum anderen, weil ich Trost empfunden habe, wie beide damit umgehen.
Die Möglichkeit, seinem Leben ein Ende zu setzen, mag durch die blaue Pille gegeben sein, doch wenn ich es nicht mehr zu entscheiden vermag, ob ich lieber tot als lebend wäre, wer soll es dann können? Ganz viele Gedanken sind bei mir angestoßen worden. Auch denke ich, dass ein Angehöriger, der den Verfall mitverfolgt, überfordert reagieren könnte und letztendlich aus falschen Beweggründen motiviert ist, Sterbehilfe zu leisten. Was macht ein Leben lebenswert? Wessen Leben ist lebenswert? Und damit schließe ich auch das Leben einer Spinne ein, die ich früher sofort zermatscht habe, weil sie mich ekelte. Heute fange ich das Monster ;) ein und setze es aus. Mag sein, das dann eine Amsel Sekunden später vollendet, was ich nicht vollbracht habe, aber irgendwann stirbt ein jedes Lebewesen. Die Gnade besteht doch darin, dass es nicht weiß, wann. Und das hast du mit deiner Geschichte wunderbar getroffen.

Liebe Grüße , GD

 
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Lieber Berg, wie wunderschön, dass du mal wieder da bist, ich hatte dich schon vermisst. :)

diese Geschichte habe ich zweimal gelesen und sie wird mir noch lange in Erinnerung sein, weil ich sie handwerklich gut und berührend fand.
Dieser Kommentar wird vermutlich nicht sehr hilfreich sein, weil er davon handelt, warum mir der Text so gut gefallen hat.
Ach, damit kann ich ganz gut leben. :D

Du beschreibst am Anfang Friedas spezielle Wahrnehmung und stellst damit Empathie her:
...
Dieses Mitfühlen verstärkt sich noch durch die Beschreibung des Verhältnisses zu dem sehr speziellen Chef.
Ja, das war meine Absicht. Außerdem wollte ich die Frieda damit so ein bisschen charakterisieren, sie ist nicht ältlich und abgeklärt auf die Welt gekommen, sondern hat sich was getraut oder ist ein bisschen über die Stränge geschlagen. Und gerade das mit dem Chef, dass sie da auch frech ist, das soll zeigen, wie sie dem Leben gegenüber steht.

Die Science-Fiction-Elemente mit der Chronitätsabgabe und erfundenen Werken der Popkultur braucht die Geschichte gar nicht. Sie stören aber auch nicht (sehr).
Hehe, die Klammer gefällt mir, erst seufzt man erleichtert auf, dann japst man sich doch wieder einen Schluck Luft zwischen die Kiemen, weil du so schön im Nachhinein relativierst. Ja, da merkt man, dass du ein guter Autor bist, sogar die Klammern sind dramaturgisch fachgerecht gesetzt. Vielleicht sollten wir mal eine Geschichte schreiben, in der alle Zeichen vorkommen müssen. Oder in der wir die Dramatik einer Geschichte über die Zeichen herstellen müssen.

Exzellent fand ich die Beschreibung von Friedas Problem, indem du ihr ständiges Misstrauen gegen sich selbst und ihre Vorkehrungen gegen Fehler schilderst:
Ja, das war auch gar nicht so leicht, aber vielleicht hilft mir da mein eigenes Alter, da kriegt man ja auch schon mal einen Herzklabaster, wenn man denkt, man hätte für den Job was vergessen, auch wenn man es dann doch nicht hat.

Eine sehr geschickte Andeutung (das unwillkürliche Heben der Hand) zeigt uns, dass Kim Frieda schon geschlagen hat:
Toll, dass du das gesehen hast, genauso war das gemeint, nicht unbedingt, dass es wirklich vorgekommen ist oder gar mehrmals, aber schon so, dass Aggressivität in die Beziehung reingekommen ist auch, dass Frieda Angst vor Kim bekommen hat.

Wenn die Kontrolle über die eigene Sprache schwindet, entstehen seltsame Ausdrücke, die etwas Kindlich-Unmittelbares haben:
„Platzende Blasen, blasende Platzen“, sagte sie. „Heute ist ein Blasenplatztag.“
Genau, das ist die eine Seite, andererseits sollte das aber auch zeigen, dass Frieda sich hier entspannt und wohlfühlt.

Am Allerschönsten fand ich die Szene mit der Postkarte.
Da hatte ich immer Schiss, dass das möglicherweise zu sentimental oder rührselig wird. Und ja auf jeden Fall, das ist auch eine meiner Lieblingsszenen.

Den Abgang durch eine Giftpille, um sich selbst eine ständige Verschlechterung des Zustands zu ersparen, habe ich übrigens in dem folgenden Roman als Ausweg aus derselben Situation gelesen:
Mein Leben ohne Gestern: http://www.amazon.de/Mein-Leben-ohne.../dp/3785760167
Die Protagonistin in dem Roman geht bei ihrem Selbstmord etwas anders als Frieda vor und lebt in ganz anderen Verhältnissen (Naturwissenschaftlerin, verheiratet mit erwachsenen Kindern).
Selbstmord bei so einer Krankheit liegt ja ganz schön oft nahe. Ich glaube, es gibt viele Menschen, die sich mit solchen Gedanken beschäftigen, wenn sie selbst oder Verwandte, Freunde oder Bekannte von solche einem Schicksal erwischt werden. Wenn man zum Beispiel an Gunter Sachs Selbstmord denkt.
Dankeschön für deinen Buch-Tipp. Das schau ich mir mal an.

Lieber Berg, danke dir, dass du vorbeigeschaut, gelesen und deine Eindrücke hinterlassen hast. Ich hab mich riesig über deinen Kommentar gefreut.
Viele liebe Grüße von Novak. Lass es dir gut gehen.

Hallo GD, wie gut, dass es dich noch gibt, ich dachte schon, du hättest keine Zeit mehr für die wks. Macht von daher gar nichts, wenn dein Komm erst spät kommt.

Die Geschichte hat mich total berührt. Zum einen, weil ich den Verlust spüren konnte, den die Protagonistin und ihre Freundin erfahren, zum anderen, weil ich Trost empfunden habe, wie beide damit umgehen.
Da war ich ungeheuer stolz auf mich, als ich das las. Ich kann mir mittlerweile gar nicht mehr vorstellen, dass ich diese Geschichte geschrieben habe. Ich weiß es zwar, aber ich glaub es gar nicht. Wie auch immer, dieses Melancholische, dass Frieda einerseits ein trauriges Schicksal erfährt, abdererseits aber trotzdem Trost in dem Traurigen steckt, das war mein Ziel.

Die Möglichkeit, seinem Leben ein Ende zu setzen, mag durch die blaue Pille gegeben sein, doch wenn ich es nicht mehr zu entscheiden vermag, ob ich lieber tot als lebend wäre, wer soll es dann können? Ganz viele Gedanken sind bei mir angestoßen worden. Auch denke ich, dass ein Angehöriger, der den Verfall mitverfolgt, überfordert reagieren könnte und letztendlich aus falschen Beweggründen motiviert ist, Sterbehilfe zu leisten. Was macht ein Leben lebenswert? Wessen Leben ist lebenswert?
Das sind exakt die Fragen, die mich auch umtreiben. Wenn man sich vorstellt, man müsste als Angehöriger entscheiden, das ist eine schlimme Vorstellung, andererseits geht es auch nicht anders, denn wenn man da nicht vorsorgt (im Sinne zum Beispiel von einer Patientenverfügung) dann übergibt man seine weitere Existenz an Institutionen oder Behörden, die nach juristischen, aber nicht unbedingt nach menschlichen Erwägungen vorgehen.
Die Fragen, die bei dir angestoßen worden sind, das sind schon knallharte Fragen, die ans Eingemachte gehen. Ich weiß selbst nicht, wie ich mich entscheiden würde. Ob ich es überhaupt könnte. Und wenn ich mir vorstelle, dass in Belgien seit dem Februar Sterbehilfe für Kinder gestattet ist, dann werden diese Fragen ja noch schwieriger. Schon gleich für die Angehörigen. Ich finde gut, dass es das gibt, klar, ist ja auch nur für Kinder, die unter stärksten Schmerzen leiden und keine Hoffnung auf Überleben haben. Aber trotzdem - wie soll man denn sowas entscheiden? Das macht einen doch völlig fertig.

Die Gnade besteht doch darin, dass es nicht weiß, wann. Und das hast du mit deiner Geschichte wunderbar getroffen.
Ja, da hast du Recht, ich denke mir aber, dass diese "Lösung" auch nur gilt oder gelten kann, wenn es sich um Alzheimer handelt oder eine ähnliche Erkrankung. Bei anderen dürfte der Leidensdruck durch die Schmerzen größer werden und ob das dann noch eine Gnade ist? Ich finde das echt schwierig.
Aber hier in dieser Geschichte - klar, da war diese "Lösung" gewollt.

Schön, Goldene Dame, dass du da warst. Ich hab mich sehr über den Kommentar gefreut, er hat mich richtig stolz gemacht.

Bis demnächst mal wieder. Und viele liebe Grüße an dich.
Novak

 

Hallo Novak,
Eine große Geschichte erzählst du da. Handwerklich 1A. Gratuliere.
Obwohl es in der Geschichte ja durchaus nicht viel Action gibt, schaffst du es mich bei der Stange zu halten. So schon mit dem zweiten Satz, der ganz richtig andeutete, dass Frida ein Problem hat:

Sie hielt sich eng an die Gebäude, wandte sich ein- zweimal nach ihrer Wohnung um, ja da war es noch, das zuverlässige Rechteck der braunen Tür mit dem goldenen Knauf.
Sie sah, wie die Sonnenstrahlen allmählich an den Fassaden emporturnten und der verschattete Platz sich zur orangen Heizpilzzone entzündete.
mit diesem Satz hatte ich ein Problem. Die Heizpilzzone habe ich erst nach 3 x lesen verstanden. Vielleicht liegt es an sehen - und heizen = fühlen, dass ich diese Assoziation schief und unklar finde.

Fridas Alter und die Zeit habe ich schnell erkannt, das ist alles in sich logisch und richtig. Trotzdem würde für mich der Text im 2 Teil eine Kürzung vertragen.

Der junge Mann nickte. „Mit platzenden
hier zum Beispiel dauert es mir etwas zu lange, bis die Geschichte wieder weitergeht.

lg
Bernhard

 
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Hallo Bernhard,
schön, dass du dich meldest.

Eine große Geschichte erzählst du da. Handwerklich 1A. Gratuliere.
Hey, ich denk manchmal schon, die Geschichte wär gar nicht von mir. Bei dem vielen Lob!

Obwohl es in der Geschichte ja durchaus nicht viel Action gibt, schaffst du es mich bei der Stange zu halten. So schon mit dem zweiten Satz, der ganz richtig andeutete, dass Frida ein Problem hat
Manchen war der Anfang ja zu lang. Gut, dass es bei dir so angekommen ist, wie es gemeint war. Auch wenn man noch nicht weiß, was sie hat.

mit diesem Satz hatte ich ein Problem. Die Heizpilzzone habe ich erst nach 3 x lesen verstanden. Vielleicht liegt es an sehen - und heizen = fühlen, dass ich diese Assoziation schief und unklar finde.
Da schai ich noch mal. Ich will den Text schon ewig und drei Tage noch mal durchgucken und vielleicht die eine oder andere Kleinigkeit abändern, zum Beispiel auch die zeitliche Verortung, die dir ja zum Glück nichts ausgemacht hat. Da guck ich dann eh alles durch, was Kommentatoren angemerkt haben.
Auch deine Kürzungsvorschlagstelle überleg ich mir dann.

Ich weiß auch nicht, sonst habe ich immer alle Texte ganz zeitnah korrigiert, ich mein nicht nur Tippfehler oder so, das habe ich hier natürlich auch gemacht, sondern Formulierungsanmerkungen oder so. Und dieses Mal? Ich krieg einfach nicht den Überarbeitungsmodus reingeknallt.
Na ja, dir jedenfalls danke ich sehr fürs Melden und Lesen und Eindrücke und Vorschläge Dalassen und das Lob und überhaupt.
Achja und eine Wolfsgeschichte, du weißt schon, die wünsch ich mir.
Ganz liebe Grüße von Novak

 
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Hallo Novak,


bin endlich auch dazu gekommen. Der Einstieg fiel mir irgendwie nicht leicht, damals schon nicht, es fängt an im Café, dann ihre alte Arbeit, dann der Kellner … also das ist alles sehr schön geschrieben, aber ich habe echt lange gebraucht, bevor ich gecheckt hab, worum es geht. Die Erzählstimme ist so ein bisschen "leise", das ist kein Problem, sicherlich stehen da auch viele drauf, aber bei mir hat das dazu geführt, dass ich das eine oder andere überhöre, und dann einfach voll dankbar war, als ich endlich kapiert hab, dass es da irgendwie um Alzheimer geht. Ich weiß, mir geht das häufig so mit Texten, aber: ich find das völlig in Ordnung, wenn man dem Leser relativ früh irgendeine Denkrichtung mitgibt.

Provokant gefragt, (weil mich das auch aufregen würde und das auch tut, wenn Leute das bei meinen Texten vorschlagen), aber wenn man den ganzen ersten Absatz einfach streicht … fehlt dann irgendwas? Würde das wem auffallen?

„Frühlingswischwaschi ist das. An so einem Tag.“ Frieda brummte die Worte vor sich hin, immer wieder, während sie die Straße entlanghuschte, hin zu dem Straßencafé auf dem Platz zwischen den Hochhäusern. Sie hielt sich eng an die Gebäude, wandte sich ein- zweimal nach ihrer Wohnung um, ja da war es noch, das zuverlässige Rechteck der braunen Tür mit dem goldenen Knauf.
Frieda setzte sich, wickelte den Riemen ihrer Tasche fest um den Oberschenkel, bestellte Cappuccino und schaute. Sie sah Mädchen, die kurze Kleider ausführten und lange Beine. Bebrillte Männer drängten sich in dem schmalen Sonnenstreifen vor dem Haus, warfen mit der linken Hand Pläne in den Himmel, während die Zigarette in der rechten den Mädchen nachzielte. Sie sah, wie die Sonnenstrahlen allmählich an den Fassaden emporturnten und der verschattete Platz sich zur orangen Heizpilzzone entzündete.
Frieda rückte ihren Stuhl in die Nähe eines Strahlers und wärmte sich die Beine. Außerdem behielt sie auf diese Weise die Straße zu ihrer Wohnung im Blick. Sie legte die Hände in ihren Schoß und schloss die Augen. War das ein Tag zum Feiern? Hastig riss sie die Augen wieder auf und fuhr sich mit einer Hand an die Brust. Wohl nicht, dachte sie, aber ein besonderer Tag ist es doch.

Ich find den zweiten Absatz total schön … aber auch da kein Hinweis auf irgendwas Konfliktmäßiges, oder? Das sind zwei lange Absätze zu Beginn mit viel Frühling … es ist natürlich auch so ein Stil, der leise ist, und nichts direkt ansprechen will … also bloß nicht "Alzheimer" sagen oder: Sterbehilfe oder Todespille… sonst ist das viel zu direkt. Da sagt man Kontrollpille und Hirn-Aussatz.
Das ist auch okay, Todespille würde auch nicht passen , aber das ist mir zu lang zu Beginn, glaube ich. Der Text heißt Frieda nimmt sich den Tag, und dann …

Also ich finde dieses Leise in Frauentexten völlig okay, Fliege und viele andere haben das total häufig, aber bei mir ist dann schon so: ich finds gut, wenn ich irgendwie weiß: aber eigentlch passiert da was im Hintergrund und zwischen den Figuren. Da stirbt grad eine oder geht grad fremd oder ist kurz davor, ihrem Mann ein Messer in den Rücken zu stoßen - und das dann ganz leise und sauber und wie so ein hinterhältiges kleines Kätzchen. Das ist ein schöner Effekt. Aber wenn dann der Alltag so total leise beschrieben wird … ist nicht unbedingt meins. Ich fands später dann auch besser hier.

Zeit war elastisch geworden, ein Band, das sich dehnte, und wenn Frieda daran zog und endlich glaubte, eine Erinnerung zu fassen und zu behalten, dann schnalzte das Band zurück und die Erinnerung entglitt.

gefällt

Und ab da ja … gefällts mir schon viel besser.

Ich mochte Kim und die Idee … alle alter Liebhaber einladen … find ich schön.

„Niemand braucht zu wissen, dass es ein Abschied ist. Und dann“, ihre Stimme hob sich wieder, „wenn alle zu viel gesoffen haben, dann knipsen wir sie und erpressen sie, weil sie so scheiße aussehen.“

wie erpressen?

„Aber dein Herz.“
„Was soll damit sein? Dem geht’s gut. Du willst nur nicht feiern.“

Ja, was ist mit dem Herz?

Ich fand das schon richtig packend, als sie das dann ins Tagebuch schreibt … und dann diese Entscheidung trifft.

Dann öffnete sie es. Vorsichtig platzierte sie die Pille in das vierte Fach für Sonntag. Heute wusste sie noch, dass sie diese Pille nicht nehmen durfte. Und morgen würde sie das auch noch wissen. Lange noch. Aber irgendwann würde sie vergessen, was das für eine Pille war und sie würde sie nehmen. Ihr Tod wäre ein merkwürdiger Zufall, eine Folge ihrer Vergesslichkeit. Sie würde dem Aussatz ein Schnippchen schlagen und ihrer eigenen Angst gleich mit.

Also überhaupt ist das eine gute Idee … erinnert mich gad an Magnolia (oder war's Magnolia) Wo die Frau nicht galubt, dass ihr Menn alles vergisst und ihn dann alle zwei Minuten daran erinnert, das Insulin zu spritzen und er das dann auch tut, das ist schon tragsch.

Das Ende find ich auch total traurig, das mit dem jungen Mann auch okay, dass er das so sagt, und ja. Das finde ich schon gut gemacht.

Also der Text hat mir gut gefallen, ich find den sprachlich auch sehr schön, ja … ich hatte vor allem Probleme, bis ich gecheckt hab, dass der Text was mit einer Krankheit zu tun hat. Ist ein schöner Text.

MfG,

JuJu

 
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Hi JuJu,
erst mal herzlichen Dank für den Komm und für dein Feedback und überhaupt. Sorry, dass es so spät geworden ist mit der Antwort. Hab dir dazu ja schon eine PM geschreiben.

Der Einstieg fiel mir irgendwie nicht leicht, damals schon nicht, es fängt an im Café, dann ihre alte Arbeit, dann der Kellner … also das ist alles sehr schön geschrieben, aber ich habe echt lange gebraucht, bevor ich gecheckt hab, worum es geht. Die Erzählstimme ist so ein bisschen "leise", das ist kein Problem, sicherlich stehen da auch viele drauf, aber bei mir hat das dazu geführt, dass ich das eine oder andere überhöre, und dann einfach voll dankbar war, als ich endlich kapiert hab, dass es da irgendwie um Alzheimer geht. Ich weiß, mir geht das häufig so mit Texten, aber: ich find das völlig in Ordnung, wenn man dem Leser relativ früh irgendeine Denkrichtung mitgibt.
Du bist nicht der einzige, dem es schwer fiel, in den Text zu kommen. Deine Idee, dass man eine Denkrichtung mitgeben sollte, find ich völlig richtig. Hab mich nur trotzdem hier dagegen entschieden. Zum Glück gab es ja auch einige, die es schneller kapiert haben :D, ja JuJu, ein bisschen necken will ich dich natürlich schon, wenn du mir so eine Steilvorlage lieferst. Das war aber gar nicht mal der Hauptgrund. Sondern ich fand einfach, dass das besser zu der Geschichte passt. Trotzdem find ich den Hinweis, frühzeitig einen Erklärungsanker mitzugeben sehr wichtig. Kommt in mein persönliches Schreibbüchlein. Hab ich ja auch bei der Zeit, in der die Geschichte spielt, gemerkt, dass man da manchmal deutlicher sein muss.

Provokant gefragt, (weil mich das auch aufregen würde und das auch tut, wenn Leute das bei meinen Texten vorschlagen), aber wenn man den ganzen ersten Absatz einfach streicht … fehlt dann irgendwas? Würde das wem auffallen?
Hehe, wahrscheinlich niemandem. Außer mir. Also ich lass das jetzt so stehen. Hab mich eh schon dazu entscheiden. Und nein, ärgern tu ich mich darüber überhaupt nicht. Ich finds auch null provokant. Eher sehr hilfreich, einem einen Stupser in die Richtung zu geben immer mal wieder, denn ich finde eh von mir, dass ich manchmal ein bisschen langatmig bin und da ist so ein Hinweis nicht das Schlechteste.

Ich mochte Kim und die Idee … alle alter Liebhaber einladen … find ich schön.
Ich auch. Ich glaub, wenns bei mir mal soweit ist, mach ich das in Echt. :D

„Niemand braucht zu wissen, dass es ein Abschied ist. Und dann“, ihre Stimme hob sich wieder, „wenn alle zu viel gesoffen haben, dann knipsen wir sie und erpressen sie, weil sie so scheiße aussehen.“
wie erpressen?
Naja, dass man das scheißige Foto nicht postet. Bei Facebook oder sonstwo. Scheißfotos von sich selbst im zu engen Kleid, oder mit torteverschmiertem Mund, oder so, ach du weißt schon, die will doch keiner. Das war schon früher immer der running gag, dass man eine gute Freundin damit geärgert hat, man würde das letzte Foto von ihr im Bikini mit den ganzen Winterrollen sonstwohin hängen.

„Aber dein Herz.“
„Was soll damit sein? Dem geht’s gut. Du willst nur nicht feiern.“
Ja, was ist mit dem Herz?
Lustig, du bist der erste, der danach fragt. Hätte gedacht, das käm schon vorher. Später im Text kommt noch mal so eine Stelle, da wird dann deutlicher, dass Kim herzkrank ist. Ich hoffe, das kann man trotzdem so machen.

Das Ende find ich auch total traurig, das mit dem jungen Mann auch okay, dass er das so sagt, und ja. Das finde ich schon gut gemacht.
Ja, auch der junge Mann hat ja die Komm so ein bisschen polarisiert. Manche fanden den blöd, aber für mich war der wichtig. Und ich finde für Frieda ist ers auch.

Also der Text hat mir gut gefallen, ich find den sprachlich auch sehr schön, ja … ich hatte vor allem Probleme, bis ich gecheckt hab, dass der Text was mit einer Krankheit zu tun hat. Ist ein schöner Text.
Danke JuJu, dass du vorbeigeschaut hast. Ich weiß ja, dass du viel zu tun hast und da bin ich deswegen gleich noch mal mehr erfreut.
Bis denn und lass es dir gut gehen.
Novak

 
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Hallo Novak,
ich habe jetzt den Vorteil, den korrigierten Text zu lesen. Die Idee finde ich spannend und sehr schön umgesetzt.

„Frieda?“ Mit einem Mal ragte Kim über ihr auf, entdeckte, wie sie da hockte, klein und hingeduckt. „Was ist denn mit dir?“
Der ganze Text wird aus Friedas Perspektive erzählt. An dieser Stelle wechselt die Perspektive zu Kim. Ich sehe das nicht als Problem. Aber hier ist so ein Wechsel einmalig. Ich bin zudem nicht der Richtige, Dir das zu schreiben, da ich selbst ständig Perspektivenwechsel mache und das gegenwärtig unerwünscht ist. Nur ist es mir hier aufgefallen. Vielleicht hast Du das aber auch gewollt?
Kommas und anderes Zeug:
„Was ist denn schon wieder?“ Komma ? Kim schaute ins Zimmer. Sie sah blass aus. Und müde. „Hast du die Tabletten schon genommen?“ Komma ? Sie nahm ihr den Dosierer aus der Hand und prüfte die Fächer.
griff sich wieder seine Tasse, nahm einen Schuck.
Schluck
„Gib her!“ Komma ? Mit einem Ruck zog Frieda an der Plastikschachtel,
Das Lesen hat mir Spass gemacht.
Viele Grüsse, Fugu

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Fugusan,
schön, dass du vorbeischaust.

ich habe jetzt den Vorteil, den korrigierten Text zu lesen.
Hihi, hast du nicht. Der ist nicht korrigiert bis auf ein fehlendes Apostroph oder mal ein Wort. Also nur Kleinigkeiten. Ich hab da nie was dran geändert, wollte ich auch nicht, sondern nur die Zeit (Zukunft) in der das spielt, ein bisschen verdeutlichen. Außerdem wollte ich über Verschiedenes nachdenken. Aber irgendwie hab ich nie die Kurve gekriegt, das zu machen aus verschiedenen Gründen. Es steht auf meiner Liste. Aber wie das so ist, manche Sachen müssen halt furchtbar lange warten, bis sie ein Häkchen kriegen.

Die Idee finde ich spannend und sehr schön umgesetzt.
Das freut mich. Ich glaub das hört man immer gerne. Dankeschön.

„Frieda?“ Mit einem Mal ragte Kim über ihr auf, entdeckte, wie sie da hockte, klein und hingeduckt. „Was ist denn mit dir?“
Der ganze Text wird aus Friedas Perspektive erzählt. An dieser Stelle wechselt die Perspektive zu Kim.
Hmmm. Das stimmt, das könnte man so lesen. Gemeint war es von mir ganz anders. Also dass Kim über ihr steht, das ist ja eindeutig Friedas Sicht. Da sind wir uns bestimmt einig. Und klein und hingeduckt ist auch aus Friedas Sicht gemeint. Frieda weiß ja, wie sie gerade ausschaut. Sie will aber so nicht sein. So klein und hingeduckt. Und in dem Moment aussgerechnet sieht Kim sie so, wo sie so mieselig dakauert. Das soll Friedas Scham ausdrücken. Ich denk immer noch, dass man das so machen kann. Dich hats ja zum Glück nicht gestört. Aber ganz ehrlich, der sicherste Perspektivschreiber bin ich bestimmt auch nicht. Im Gegenteil.
Ich bin zudem nicht der Richtige, Dir das zu schreiben, da ich selbst ständig Perspektivenwechsel mache und das gegenwärtig unerwünscht ist.
Willkommen im Club. Ich glaube, dadurch, dass es dir Leute gesagt haben, guckst du jetzt viel genauer. Das hat ja seine Vorteile.

Vielleicht hast Du das aber auch gewollt?
Auf jeden Fall. Nee, im Ernst, das würde ich gerne von mir sagen können, dass jede Zeile genau so gewollt ist. Aber die Wahrheit ist, ich denke über so was gar nicht so viel nach. In meiner vorletzten Geschichte, dieser Froschhochzeit, da war es ordentlich ein Problem für mich, weil ich da auch noch immer was verschweigen musste, also hab ich mich mit der Persepktive rumgequält. Aber offensichtlich war es für die Leser im grünen Bereich.
Aber hier an dieser Stelle? Keine Ahnung, ich fühl mich da ehrlich gesagt nicht so oberkompetent. Ich lass es mal stehen, nehm es aber als Auftrag, dass Perspektiven böse kleine Biester sind, die gehörig durchgewalkt/gedacht werden müssen.

Was anderes ists mit den Kommas. Weißt du nicht, dass mein Zweitname Kommapäpstin ist?
Und die sagt dir jetzt .... nein, ich will dich nur ein bisschen uzen. Aber zufällig kenne ich mich da schon ganz gut aus, was nicht ausschließt, dass man völlig betriebsblind wird.
Es ist so: Nach der wörtlichen Rede, wenn sie mit Frage- oder Ausrufezeichen beendet wird, folgt nur dann ein Komma, wenn der Satz da mit der Redeformel weitergeht. Bei mir folgt ein ganz neuer Satz jeweils und keine Redeformel. Und da ist es wie sonst. Da machst du ja auch nicht ein Komma nach einem Ausrufezeichen.
Also so:
"Warum ziehst du schon wieder meine Schürze an?", fragte die Prinzessin den Drachen.
Aber: Warum ziehst du schon wieder meine Schürze an?" Die Prinzessin nahm einen Ast und schlug ihn dem Drachen auf die Schuppen.
Halt wie ein einem Bericht: Ist der NSA-Auschuss sich tatsächlich sicher, Snowdon einzuladen? Die Zweifel an dem Ausschuss mehren sich.

Der Schuck kriegt ein L verpasst.

Ich freu mich sehr, dass du die Frieda gelesen und kommentiert hast. Und dass es dir Spaß gemacht hat, ist natürlich noch viel besser.
Machs gut.
Novak

 

Liebe Novak,

diesen Text will ich schon ewig kommentieren, aber es ist mir schwer gefallen. Ich habe keine Kritik im eigentlichen Sinne, und es ist auch schon ganz viel gesagt worden, deshalb halte ich es kurz. Es gibt nichts, was du aus meiner Sicht besser machen könntest. Ich fand die Geschichte sehr gelungen. Aber ich kann nicht sagen, sie hätte mir gefallen.

Das liegt allerdings nur daran, dass mir das Thema ganz furchtbar unangenehm ist. Wäre die Geschichte nicht von dir, und hätte mir der Anfang die Frieda nicht so ungeheuer sympathisch gemacht, hätte ich mich vielleicht davor gedrückt, sie zu Ende zu lesen.

Ich habe mir auf das Funktionieren meines Gehirns immer ein bisschen was eingebildet, und die Vorstellung, dass es irgendwann einfach damit aufhören könnte, ist der totale Horror für mich. Bekäme ich so eine Diagnose, würde ich sehr wohl über eine „Kontrollpille“ nachdenken, solange das noch geht.

Aber es ist halt nicht so einfach. Auf der individuellen Ebene denke ich, diese Möglichkeit müsste es geben, dass man sein Leben selbstbestimmt beenden kann, wenn es einem die Dinge, die es lebenswert machen, verloren gehen und man den Prozess nicht aufhalten kann.
Aber auf der gesellschaftlichen Ebene befürchte ich so schreckliche Konsequenzen – zum Beispiel dass Menschen, die sich gegen diese Option entscheiden, als wirtschaftliche Belastung gesehen und unter Druck gesetzt würden – dass ich das Gefühl habe, ich kann nicht dafür sein, so eine Möglichkeit zu legalisieren.

Die Geschichte bringt das alles ganz toll auf den Punkt, und zeigt auch sehr eindrucksvoll, wie schrecklich sich so eine Demenzerkrankung anfühlen muss. Wie du es geschafft hast, dass das Ende trotz allem optimistisch wirkt, ist mir ein Rätsel, aber ich finde es großartig. Ja, Essen und andere Menschen sind wohl das wichtigste, und das bleibt uns auch, wenn Erinnerungen und klares Denken uns im Stich lassen. :)

Wenn ich es richtig verstanden habe, werden die Empfehlungen für Geschichten, die vor der Generalüberholung der Seite schon empfohlen waren, wieder zurückkommen, stimmt das? Ansonsten würde ich hier sofort wieder eine schreiben.

Grüße von Perdita

 

Liebe Perdita,

nicht nur, dass du wieder da bist, ich hatte ich schon vermisst, aber ich glaube, das weißt du schon; jetzt schreibst du auch noch was zu meiner Frieda.
Und das hat mich wahnsinnig stolz gemacht.
Ich hab manchmal das Gefühl, der Text ist schon gar nicht mehr von mir, so lange ist das schon her, dass ich ihn geschrieben habe. Und seitdem habe ich auch nur an sehr kurzen Sachen gearbeitet oder gar nicht, so dass das Schreiben sehr fern für mich geworden ist. War auch schon mal anders, ich hoffe ich komme wieder rein.

Ich fand die Geschichte sehr gelungen. Aber ich kann nicht sagen, sie hätte mir gefallen.
Ja, das trifft es wohl sehr. Irgendwie schreibe ich immer über so ein heftiges Zeug, vielleicht sollte ich mal wieder einen Ausflug in den Humor machen.
Umso mehr hat es mich natürlich gefreut, dass sowohl mein Name als auch Friedas Charakter trotzdem in die Geschichte reingezogen haben. Da war ich auch richtig stolz, als du gesagt hast, sie war dir so sympathisch. So sollte das nämlich auch sein, die Frieda ist ja zwischendrin auch neidisch und missgünstig, naja, wer wäre das nicht, wenn er so eine Diagnose hat. Aber ich denke mir halt auch immer, dass Menschen, die keine Fehler haben oder imer nur sunshines sind, einem auch niht wirklich nahe kommen können.
Was du über dich selbst schreibst, perdita, ich kann das gut nachvollziehen, ich glaube, der Verlust einer Sache, einer Eigenschaft trifft einen immer besonders dann, wenn einem sehr an ihr liegt. Ich weiß noch, wie das für mich war (oder heute noch ist), dass ich keinen Sport mehr machen kann. Oder ich sehe das an meiner Mutter, die nun schon sehr alt ist und ihr Gedächtnis verliert, sie war immer eine sehr kluge und intelligente Frau, die sich von ganz unten hochgearbeitet hat, sie leidet manchmal wie ein Schwein darüber, dass ihr etwas entgleitet und sie es nicht mehr zu fassen kriegt.

Aber es ist halt nicht so einfach. Auf der individuellen Ebene denke ich, diese Möglichkeit müsste es geben, dass man sein Leben selbstbestimmt beenden kann, wenn es einem die Dinge, die es lebenswert machen, verloren gehen und man den Prozess nicht aufhalten kann.
Aber auf der gesellschaftlichen Ebene befürchte ich so schreckliche Konsequenzen – zum Beispiel dass Menschen, die sich gegen diese Option entscheiden, als wirtschaftliche Belastung gesehen und unter Druck gesetzt würden – dass ich das Gefühl habe, ich kann nicht dafür sein, so eine Möglichkeit zu legalisieren.
Genau so sehe ich das auch, das ist das Ambivalente an der Sache. Vor kurzem gab es den Fall eines psychisch Kranken Mörders in Belgien, dem eine weiterführende Therarpie in einer Spezialklinik versagt, aber der Antrag auf aktive Sterbehilfe gestattet wurde, weil er so leiden würde. Ich hab mich gefragt, ob es eigentlich noch heuchlerischer geht, als ich das las.
Die Geschichte bringt das alles ganz toll auf den Punkt, und zeigt auch sehr eindrucksvoll, wie schrecklich sich so eine Demenzerkrankung anfühlen muss. Wie du es geschafft hast, dass das Ende trotz allem optimistisch wirkt, ist mir ein Rätsel, aber ich finde es großartig. Ja, Essen und andere Menschen sind wohl das wichtigste, und das bleibt uns auch, wenn Erinnerungen und klares Denken uns im Stich lassen. :)
Mensch und das, das hat mich dann noch mehr erröten lassen, ja, ich war wirklich ganz fertig mit den Nerven im besten Sinne, als ich das las und genauso deinen Satz, dass du die Geschichte nochmal empfehlen würdest, wenn sie es nicht schon wäre.
Vielen, vielen lieben Dank, Perdita.
Bis die Tage
Novak

 

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