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Unvermeidbares
Mein Mann sieht mich irritiert an.
„Du wusstest doch, dass sie dieses Wochenende kommen“, sagt er. „Sie fahren am Freitag gleich nach dem Frühstück von zu Hause los. Dann sind sie spätestens um vier bei uns und wir können noch in Ruhe essen, bevor der Kleine ins Bett muss.“
An dieser Stelle unterbreche ich.
„Wo soll der Kleine denn überhaupt schlafen? Die Wiege ist doch jetzt viel zu klein.“
Auch das hatten sie schon besprochen. Der Kleine konnte einfach mit im Bett seiner Mama schlafen. Das machen sie zu Hause auch so und da hat er ein nagelneues Kinderbett, das wie ein Flugzeug aussieht. Das Bett ist also kein Problem.
Ich genieße die letzte Stunde auf Arbeit an diesem Freitag, koche Kaffee, den ich mit einer Messerspitze Chili verfeinere. Kurz vor vier verabschiedet sich mein neuer Kollege. Der hat Kinder und muss los. Ich suche nach Rezepten im Internet. Der Chef kommt und sagt, dass er mich nicht mehr braucht. Es ist Freitag, ich kann gehen. Die Zeit will ich nutzen und in meinen Lieblingsklamottenladen gehen, danach in den Gemüseladen. Mein Mann ruft an, fragt, wo ich bin und sagt, dass seine Schwester schon mal mit dem Salat begonnen hat.
„Aber wir haben keine Avocados und keinen Chicorée“, werfe ich ein. „Keine Kirschtomaten, keine Kresse, keine Auberginen!“
„Macht nichts“, unterbricht er mich, „komm nur schnell nach Hause, wir müssen bald essen, der Kleine muss ins Bett, sagt sie.“
Ich beeile mich und gehe den kurzen Weg über die Wiese. Aus der Ferne sehe ich auf die Terrasse unseres Hauses. Das Holztürchen hinaus zur Wiese steht offen. Nachbars Katze sitzt neben den Stockrosen und sieht mich kommen. Ich gehe die Stufen hinauf, ohne dass mich jemand bemerkt. Die Schwiegermutter sitzt in der Ecke, liest mit tief gebeugtem Kopf, ein Glas Cola in der Hand. Meinen Mann sehe ich in der Küche am Herd stehen. Der Kleine ist auf dem Weg rein zu ihm. Die Mutter des Kleinen, meine Schwägerin, ist auf dem Weg raus. Sie beugt sich hinunter und sagt etwas zu ihrem Sohn. Ihre rotblonden Haare sind schwarz gefärbt. Der Kleine dreht sich um, zeigt mit dem Finger auf mich und schreit Tante. Jetzt sehen mich auch die anderen. Die Schwiegermutter steht schwer auf und drückt mich an sich. Ich will gerne in die Küche, aber der Kleine hängt an mir und lässt nicht los. Ich nehme ihn an die Hand und wir gehen hinaus auf die Wiese und hinüber zum Sandkasten, um Löcher zu graben und dann wieder zuzuschieben.
Irgendwann kehrt Ruhe ein. Der Kleine liegt im Bett. Die Schwiegermutter erzählt ihm, wie lieb er heute war, drei Würstchen hat er gegessen. Ich denke an die kleinen Finger, die er an den neuen Sitzauflagen und überall, wo er vorbeikam, abgewischt hat. Wir vier Erwachsenen stehen um ihn herum und beten für alle hungrigen Kinder der Welt. Dann liest ihm seine Mutter eine verworrene Seeräubergeschichte vor. Das dauert mir zu lange. Ich gehe zurück in die Küche und räume auf, schmeiße die Essensreste des Kleinen weg, ein halbes Würstchen, ein angebissenes Brötchen, ein matschiges Stück Melone. Auf dem Weg hinaus auf die Terrasse fällt mir auf, dass die Kühlschranktür eingebeult ist, in der Mitte der Beule ein Kratzer. Ich berühre die Stelle, sehe auf den Schaden aus anderen Winkeln. Die Beule ist nicht groß, aber von überallher deutlich sichtbar. Der Kühlschrank mit der stahlgebürsteten Tür war ein Hochzeitsgeschenk. Ich zeige den Schaden meinem Mann, mache Gesten, dass er nichts sagen soll, nur sehen. Die Schwiegermutter sitzt draußen auf der Terrasse und strickt. Die schweren Beine hat sie auf einen Stuhl gelegt. Mein Mann kann nicht still sein und schlussfolgert sofort, dass es der Kleine gewesen sein muss. Die Schwiegermutter steht mühsam auf, greift nach ihrer Brille und sieht sich die Beule an. Wie Inspektoren stehen wir vor dem Kühlschrank. Sie sagt, der Wind hätte ihr die Tür aus der Hand gerissen, als sie die Colaflaschen in den Kühlschrank stellen wollte. Die Kühlschranktür kann gegen den Hebel an der Terrassentür gestoßen sein. Das glaubt sie, sei passiert. Nein, jetzt ist sie sich ganz sicher, dass es so war. Der Kleine konnte gar nichts dafür, aber sie auch nicht. Schuld war die Zugluft in diesem Hause. Die Schwiegermutter setzt sich wieder und strickt weiter. Sie legt die Beine wieder auf den Stuhl und stöhnt, dass sie ganz kaputt ist von dieser langen Fahrt. Ich setze mich zu ihr mit einer Tasse Kaffee. Ich muss ihr versichern, dass ich nicht böse bin und darüber hinwegkommen werde. Der erste Schaden ist immer der Schlimmste, erklärt sie mir. Die nächsten vier, fünf Schäden machen dann gar nichts mehr. Außerdem sei es sehr wichtig, dass man keine Furcht bekommt uns zu besuchen. Dass man sich nicht die ganze Zeit vorsehen muss, sondern sich wie zu Hause fühlen kann. Meine Tasse ist leer. Ich gehe in die Küche und stelle den Geschirrspüler an. Mein Mann hat ihn sorgfältig eingeräumt, getestet, dass sich der Sprüharm drehen kann und nichts festsitzt. Nach einer Weile kommt auch meine Schwägerin auf die Terrasse. Der Kleine schläft jetzt. Sie setzt sich zu uns und zündet sich eine Zigarette an. Wir machen Pläne für den nächsten Tag. Es soll regnen.
„Ihr könntet doch mit dem Kleinen ins Super-Hero-Museum gehen“, schlägt die Schwiegermutter vor. Er ist noch nicht mal vier, aber meine Schwägerin hat ihm das Super-Hero-Museum schon seit langem fest versprochen.
„Er wäre so enttäuscht, wenn ihr nicht mit ihm dorthin geht“, sagt die Schwiegermutter, und sieht auffordernd in die Runde.
Ich wache auf und das Bett neben mir ist leer. Ich sehe es nicht gleich, weil die Bettdecke so aufgebauscht ist, aber ich höre meinen Mann in der Ferne. Er schimpft. Mein Kopf tut weh und ich öffne den Mund ein paar Mal ganz weit. Das Kieferngelenk knackt, immer auf der rechten Seite. Ich nehme die Zahnschiene heraus. Die anderen müssen mich so nicht sehen. Mein Kopf tut immer noch weh und ich will noch nicht aufstehen. Auf das Geschimpfe meines Mannes wird jetzt lautstark reagiert. Ich höre die grelle Stimme meiner Schwägerin. Ihre Stimmen vermischen sich merkwürdig mit dem Gekreische im Kinderfernsehen. Langsam verstehe ich den Zusammenhang. Der Kleine hat ins Wohnzimmer gepinkelt. Mein Mann schimpft ihn aus, meine Schwägerin schimpft daraufhin meinen Mann aus. Niemand, außer ihr selbst, darf mit ihrem Sohn schimpfen. Ihre Stimme überschlägt sich fast. Ich bleibe liegen. Auch von der Schwiegermutter höre ich noch nichts. Ihre Schlaftabletten sind stark, doch so lange schläft sie sonst nicht. Es wird ruhiger im Haus, kein Getrampel auf der Treppe mehr zu hören. Sie reden wieder mit normalen Stimmen. Ich suche meine Klamotten und will mich ins Bad schleichen, um zu duschen. Ich öffne leise die Tür und fahre zurück. Meine Schwägerin sitzt auf dem Klo. Sie schließt nie ab. Der Kleine bekommt Angst, wenn die Tür verschlossen ist. Ich entschuldige mich schnell und gehe in die Küche. Mein Mann kommt mit Eimer, Wischlappen und saurer Miene.
„Der Kleine hat auf den Teppich gepinkelt“, sagt er mit vorwurfsvoller Stimme.
Der Teppich ist blau und passt überhaupt nicht ins Wohnzimmer, aber er war im Angebot und deshalb wurde er gekauft. Ich bin erleichtert, dass es nicht das neue Sofa war.
„Hat er Blasenentzündung?“, frage ich. Er läuft immer nur barfuß herum und schreit, wenn man ihm Socken anziehen will. Mein Mann schüttelt verärgert den Kopf: „Sie setzt ihn einfach vor den Fernseher und schläft weiter.“
„Dann können wir endlich einen neuen Teppich kaufen“, sage ich, um ihn aufzumuntern. Er spült den Lappen aus und sieht mich kurz zweifelnd an. Das Bad ist jetzt frei, und ich nehme schnell meine Klamotten und schließe mich ein. Ich stelle mich unter die Dusche und lasse mir zehn Minuten lang heißes Wasser über den Nacken laufen. Das Leben ist herrlich. Heute Nachmittag haben wir schon einen ganzen Tag überstanden.
Oben höre ich meine Schwägerin mit dem Kleinen diskutieren. Sie sagt etwas und bekommt Nein-Schreie zur Antwort. Ich beginne das Frühstück vorzubereiten. Die Schwiegermutter kommt und sagt, dass sie ganz fantastisch geschlafen hat und es ihr heute viel besser geht. Diese langen Fahrten gehen ihr immer so in die Knochen. Sie bietet mir ihre Hilfe an, aber ich wiegele ab. Sie geht hinaus auf die Terrasse, zündet sich eine Zigarette an und schreibt Zahlen in ein Sudoku. Das Fenster zur Küche ist gekippt und der Qualm zieht herein. Ich will es schließen, aber tue es nicht und ärgere mich über mich selbst. Als der Tisch gedeckt ist, kommen meine Schwägerin und der Kleine aus dem Bad. Jetzt ist er gut gelaunt und will frühstücken. Wir setzen uns. Ich habe eine alte Sitzauflage auf den Stuhl gelegt, auf dem er sitzen soll. Sie sieht fast genauso aus wie die neuen. Der Kleine protestiert sofort. Nicht wegen der Sitzauflage, sondern weil er neben seinem Onkel sitzen will und nicht neben mir. Der Kleine zerrt mit aller Kraft an der Armlehne meines Stuhls. Ich soll aufstehen und sein Onkel soll auf meinem Platz sitzen.
„Das geht nicht“, sage ich.
Furchtbares Gebrüll setzt ein und ich habe kurz Angst, was die Nachbarn wohl denken. Irgendwo hatte ich gelesen, dass man in solchen Situationen konsequent bleiben muss. Außerdem kann ich meinen Platz nicht hergeben, weil ich so am schnellsten all das aus der Küche holen kann, was ich vergessen habe. Ich wende mich dem Kleinen zu. Sage deutlich und bestimmt, dass das mein Platz ist, schon immer war und immer sein wird und damit basta. Er schreit noch lauter, rudert mit seinen kurzen Armen in der Luft herum bis sein Glas umfällt. Die Milch läuft über meine alte Jogginghose, das stört mich nicht weiter. Von meiner Jogginghose läuft sie blitzschnell auf die neue Sitzauflage, auf der ich sitze. Meine Schwägerin redet aufgeregt auf den Kleinen ein, versucht ihn mit Versprechungen von seinem Gebrüll abzubringen. Ich gehe hinein, ziehe mir eine andere Hose an, hole einen Lappen und trockne den Stuhl ab.
Die Schwiegermutter sagt: „So was ist ganz normal, wenn man Kinder hat“, und greift nach einem Brötchen. „Am besten ihr gewöhnt euch schon mal dran.“
Mein Mann ist erstaunlich ruhig. Der Kleine hat inzwischen eine Brötchenhälfte mit Schokoladenaufstrich und die andere mit gekochtem Schinken verlangt. Seine Mutter soll die beiden Hälften zusammenklappen. Ich denke, dass das einer seiner Tricks ist. Erstaunlicherweise wird es ruhig am Tisch und er isst friedlich sein zusammengeklapptes Brötchen.
Wir diskutieren unser Ausflugsziel. Mein Mann hat herausgefunden, dass das Super-Hero-Museum geschlossen ist. Meine Schwägerin rollt mit den Augen, weil er nicht Super-Hero-Museum sagen soll. Der Kleine darf das nicht hören. Er erwartet ja, dass wir alle dorthin gehen. Wir diskutieren andere Möglichkeiten. Die Wahl steht zwischen Kinderland und Spring-ins-Meer.
„Das Spring-ins-Meer sieht aber richtig toll aus“, sagt die Schwiegermutter.
Mein Mann hat seinen Laptop auf den Tisch gestellt und zeigt uns Bilder vom Spring-ins-Meer. Der Kleine läuft mit einer Birne in der Hand auf der Terrasse herum. Seine Mutter ruft ihn, er soll auch die Bilder vom Spring-ins-Meer sehen. Sie fragt ihn, ob er Lust hat, dorthin zu gehen. Der Kleine windet sich in ihren Armen und schreit, dass er nicht spring` ins Meer will. Meine Schwägerin sagt: „Schau mal, wie cool das aussieht. Der Neptun da unten im Wasser und so ein megacooler Seeräuber dort auf dem Schiff. Schau mal, die süßen Wassernixen, die da rumschwimmen. Und die kleinen Seepferdchen dort unten.“ Der Kleine wirft den Kopf in den Nacken, schreit, dass er nicht will, nicht will, nicht will und schmeißt die Birne von sich. Die Birne schlägt auf dem Holzboden auf und wird zu einem Matschhaufen. Meine Stimme übertönt die der beiden.
„Hör zu“, sage ich, „Spring-ins-Meer ist nur ein Name, du musst nicht ins Meer springen. Niemand muss das. Es heißt nur so.“
Der Kleine versteht sofort. Das überrascht mich. Jetzt sieht er sich die Bilder vom Spring-ins-Meer an. Mein Mann geht ins nächste Browserfenster und zeigt ihm die Bilder vom Kinderland: „Möchtest du lieber ins Kinderland oder ins Spring-ins-Meer?“ Der Kleine läuft davon und versucht die Tür, die hinaus auf die Wiese führt, aufzumachen. Seine Mutter ruft ihn zurück. Die Holztür klemmt und lässt sich nur schwer öffnen. Sie läuft ihm nach, hält ihn fest: „Möchtest du lieber ins Kinderland oder ins Spring-ins-Meer?“ Er antwortet mit Geheul und reißt sich los, um die Holztür aufzumachen. Ich trage das Geschirr hinein, stelle die Lebensmittel zurück in den Kühlschrank. Die Schwiegermutter schüttelt den Kopf und schreibt wieder Zahlen in ihr Sudoku. Ich hole Küchenpapier, räume die Matschbirne weg und arbeite an einer Ausrede, um mich vor dem drohenden Ausflug zu drücken. Mein Mann hat im Internet ein Flugangebot gefunden und liest es der Schwiegermutter vor.
„Das nächste Mal nehmt ihr den Flieger“, sagt er. „Dann erspart ihr euch die lange Autofahrt.“
Ich feile an meiner Ausrede. Die anderen können ins Spring-ins-Meer oder von mir aus ins Kinderland gehen und ich bleibe zu Hause und bereite das Abendessen vor. Dass mein Mann schon von einem nächsten Mal redet, lässt mein Gehirn panisch arbeiten. Abendessen hört sich gut an, fast ein bisschen altruistisch. Ich verzichte auf diesen Ausflug, um uns was Schönes zu kochen. Vorspeise, Hauptgericht, Dessert, nur ökologische Rohwaren. Der Kleine ist im Wachstum. Es ist wichtig, dass er gesund ernährt wird. Nicht wie bei seiner Mutter, kalte Fertigpizza zum Frühstück und Gummibärchen, wann immer er danach schreit. Das werde ich natürlich nicht erwähnen. Die Ausrede muss ganz beiläufig angebracht werden. Als ob es ihre und nicht meine Idee sei.
Es ist Montag, wieder ein Arbeitstag für meinen Mann und mich. Der Abschiedsabend ist gekommen. Die Schwiegermutter hat Essen gekocht, um mich zu entlasten, wie sie sagt.
„Was habt ihr denn den ganzen Tag so gemacht“, frage ich.
„Nichts weiter“, sagt sie. „Auf der Terrasse gesessen, gestrickt und endlich dieses Sudoku fertig gemacht.“ Sie hält es mir vor die Nase für den Fall, dass ich nicht weiß, was ein Sudoku ist. „Am Ende habe ich Zweifel bekommen. Konnte nichts wegradieren, weil ich keinen Radiergummi gefunden habe. So ist es halt, wenn man auf Besuch ist.“ Sie seufzt: „Es war so herrlich ruhig heute.“
„Ja, hier ist es ruhig, das genießen wir auch“, sage ich, doch sie meint nicht die Wohnlage. Sie sagt, der Kleine sei heute so zeitig aufgestanden und seine Mutter so müde gewesen, dass sie nach dem Frühstück gleich wieder ins Bett gegangen sei. Der Kleine hat dann ganz allein mit seinem Lego auf der Terrasse gespielt. Das sei so friedlich gewesen. Das habe sie sehr genossen.
Die Schwiegermutter beugt sich zu mir: „Du isst doch Fischauflauf?“
„Na klar, ich esse alles“, lüge ich.
Ich sehe eines unserer teuren Saunahandtücher über den Stuhl gelegt, auf dem der Kleine sitzt.
Meine Schwägerin ist hektisch: „Er soll jetzt essen. Er muss ins Bett.“ Sie hantiert auf dem Teller des Kleinen herum und zerschneidet mit kratzendem Besteck alles in winzige Stückchen: „Es ist wieder so spät, deshalb haben wir schon anfangen.“
„Es ist halb sechs“, sage ich.
„Du kommst immer so spät nach Hause“, sagt die Schwiegermutter, „du hast so lange Arbeitstage.“ Ich nicke ernsthaft.
„Aber wenigstens kannst du nach Hause gehen, wenn du fertig bist. Als Mutter arbeitet man rund um die Uhr, da hat man gar keine Freizeit.“ Die Schwiegermutter drückt ihre Zigarette aus.
„Es ist faktisch möglich, einfach ein Handtuch auf den Stuhl zu legen. Das machen wir zu Hause auch immer so“, sagt meine Schwägerin und ihre Stimme ist wieder so grell.
Die Schwiegermutter fällt zustimmend ein, ja, so machen sie das zu Hause. Meine Schwägerin geht in die Küche, um ein Weinglas für den Kleinen zu holen. Mein Mann und ich schweigen. Ich spieße eine Erbse auf, die aus dem Fischauflauf gerollt ist und sehe sie mir genauer an.
„Dann verstehe ich noch weniger, dass ihr das nicht auch immer so macht, wenn ihr auf Besuch seid“, sage ich zur Schwiegermutter. „Bei anderen faktisch, da spielt es wohl keine Rolle?“ Ich höre wie unsympathisch meine Stimme klingt. Mein Mann sieht mich an und sagt, dass er komischerweise genau dasselbe gerade gedacht hat. Die Schwiegermutter himmelt mit den Augen in Richtung Tür, durch die ihre Tochter verschwunden ist.
„Er will seinen Saft jetzt immer aus einem Weinglas trinken“, lenkt sie ab. „Ganz wie die Großen.“
Sie dreht den Kopf zu mir: „Es gibt auch Kompott. Etwas, was du ganz bestimmt magst.“ Ganz bestimmt, wiederholt sie ein paar Mal während sie aufsteht.
„Schön“, sage ich: „Ich esse alles.“
Die Schwiegermutter geht in die Küche und ich höre die beiden drinnen reden. Sie kommt mit einer großen Schüssel Erdbeeren und Schlagsahne wieder heraus. Meine Schwägerin folgt ihr auf den Fuß, sie hat ein Weinglas für den Kleinen gefunden. Alle bekommen eine große Kompottschüssel voller Erdbeeren mit Schlagsahne. Der Kleine strahlt. Er sitzt mit Piratenhut und Augenbinde am Tisch. Als er die Erdbeeren sieht, lässt er sich überreden, seinen Piratensäbel wegzulegen. In der einen Hand hält er das Weinglas mit Saft und in der anderen den Löffel, mit dem er auf den Erdbeeren herumhackt. Die Schüssel des Kleinen ist die vollste von allen, so voll, dass ein paar Erdbeeren auf den Tisch rollen. Zufrieden schaufeln wir in uns hinein. Endlich ist es stille.