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Ein verdammter Glückspilz
Peter trottet mit gesenktem Kopf die Lessingstraße herunter. Ein grauer Mittfünfziger mit Aktentasche. Warum sich auch feierabends beeilen? Ihn erwartet nur der Tatort und Nudeln im Kühlschrank, die von seiner Vermieterin.
Mit den Gedanken ist er noch bei der Arbeit. Mittlerweile Abteilungsleiter, hat er in einem Versicherungsunternehmen Karriere gemacht. Ihm ist es immer gut gelungen, Zahlen und Menschen unter einem Hut zu bringen, auch wenn letztere oft den Kürzeren gezogen haben. So hat sich bei seinem Kollegium Oberflächlichkeit ihm gegenüber gebildet, was sich in letzter Zeit auch auf seinen Gemütszustand überträgt.
Hinzu kam letzte Nacht, die wie ein Schatten über dem Tag liegt. Ein immer wiederkehrender Traum hat ihn um den Schlaf gebracht:
Er ist auf der Flucht vor einer gewaltigen Standuhr mit Silberziffernblatt. Sie nähert sich, holt ihn fast ein. Ihr Ticken wird lauter, gleicht bald dem einer Bombe und er weiß nicht, wie lange noch, bis sein letztes Stündlein schlägt, wie lange noch, bis alles endet.
Irgendwann kommt Peter an der Haustür an. Schon den Schlüssel in der Hand, hält er inne. Da dreht er um und geht die Straße runter bis ans Ende des Blocks. Vor einer Kneipe mit dem Namen 'Feierabend' bleibt er stehen. „Passt doch“, denkt er und öffnet die Tür. Der dunkle Raum, in dessen Ecken sich einige Gestalten versteckt haben, wirkt nicht gerade einladend. Er versucht so zu tun, als fühle er sich heimisch, setzt sich an die Bar und bestellt einen Tee.
Da nimmt eine in blau gekleidete Dreißigjährige neben ihm Platz. Sie zündet sich eine Kippe an, pustet in die Luft und mustert Peter.
„Mein Gott, sehen Sie schlecht aus! Einen harten Tag gehabt?“, fragt sie.
„Hab gar nicht gewusst, dass man das mir ansieht.“
Warum einer wildfremden Person nicht den Seelenmüll abladen, denkt Peter und fängt an zu erzählen. Das ist auch neu: sich mit irgendwelchen dahergekommenen Frauen unterhalten.
„Schlaf. Das ist was mir fehlt. Ich komm einfach nicht mehr zur Ruhe. Eigentlich müsste alles laufen, seinen Gang gehen. Aber es hängt fest.“
„Wo hängts denn?“ Ihre Handtasche brummt. Sie greift hinein und drückt den Anruf weg. Peter nimmt den letzten Schluck.
„Ich habe nicht den blassesten Schimmer.“
Dann erzählt er ihr den Traum.
Sie hört aufmerksam zu, nickt ab und an verständnisvoll. Einmal fällt ihr dabei eine Strähne ins Gesicht. Nachdem Peter fertig ist, starrt er ins Teeglas. Beide schweigen eine Weile. Plötzlich schlägt sie ihm mit der flachen Hand auf den Rücken.
„Jetzt hör doch Mal auf, Trübsal zu blasen! Auf was wartest du? Dass dir jemand den Hintern rettet?“
Peter, leicht irritiert und aus der Fassung gebracht, weiß nicht so recht, wie reagieren. „Ja, vielleicht schon“, gibt er zögernd zu. „Kennen Sie so jemanden?“
Da fängt sie an, aus dem Bauch heraus zu lachen. Peter schaut verdutzt, blickt sich um und fragt, ob alles in Ordnung wäre. Doch sie kriegt sich nicht mehr ein. Es wird langsam peinlich, denn Leute schauen schon herüber und so was kann Peter gar nicht leiden.
Also gut, sie verlassen die Kneipe auf einen Spaziergang, schließlich ist es ein herrlicher Herbsttag gewesen, der sich dem Ende neigt. Auf der Brücke schauen sie den Blättern im Fluss nach, die wie kleine Boote einem ungewissen Ziel zusteuern.
„Willst du einen Zug? Ich bin Vivian.“
„Ich heiße Peter.“
Warum denn eigentlich nicht, heute sind sie ihm egal, seine Grundsätze und sein aufgesetzter Idealismus.
„Schmeckt seltsam, irgendwie süßlich“, meint Peter. Eine warme Brise fährt ihm durchs schüttere Haar. Die Abendsonne lässt auf dem Wasser kleine Lichtinseln aufblitzen.
„Kennst du das“, spricht es aus ihm heraus, „wenn dir der Boden unter den Füßen weggezogen wird und dir die Beine gleichzeitig vorkommen, als wären sie in Zement gegossen? Du fällst aus allen Wolken in bodenlose Tiefen, und du weißt nicht warum. Aber du bist dir sicher, es gibt dafür einen Sinn, es gibt dafür einen Grund.“
Sie kichert, wirft sich den Schal um den Hals. „Und so fühlst du dich grade?“
Ohne es zu merken, raucht er den Joint alleine fertig. Es wäre schon ihn Ordnung sagt sie. Sie ist überhaupt nicht so, wie er anfangs gedacht hatte. Dann sagt sie:
„Es gibt kein Zufall. Oder warum haben wir uns sonst getroffen?“
Peter, nie um eine Antwort verlegen, bringt keinen Satz mehr hervor. Er hat das Gefühl, gegen eine Wand zu krachen. Er steht still, die Zeit steht still. Nur das Hier und Jetzt pocht in den Ohren. Peter gibt sich der Situation hin. Was bleibt ihm auch anderes übrig?
Zwei Schwalben fliegen ins Abendrot, aber ihr Flug gleicht einem Tanz. Sie tanzen um einander, bis es nicht mehr ersichtlich und auch unbedeutend ist, welche der beiden welche war.
„Jetzt, in diesem Moment, ist mir klar geworden, was mir fehlt“, sagt er da.
„So, so, da bin ich aber gespannt!“
„Es ist, ich glaube …“
Vivian blickt ihn ernst an. Er sieht sein Gesicht in ihren dunklen Augen.
„Etwa ich?“, flüstert sie.
Peter schaut verlegen zu Boden. Dann nimmt er ihre Hände, atmet tief durch und fragt:
„Wer bist du eigentlich?“
„Kannst du dir das nicht denken? Ich habe dir doch schon zwei Wünsche erfüllt.“
Peter runzelt die Stirn. Leichter Schwindel steigt ihm zu Kopf. Dann fährt er sich durchs Gesicht, als wollte er seine Verwirrung wegwischen. „Wünsche?“
„Du hast sie nicht ausgesprochen. Nur dein Herz. Du hast dir in letzter Zeit viel Mühe gemacht, es zu vernachlässigen. Also habe ich es für dich geöffnet.“
Peter legt die Stirn in Falten. „Was …“, will er anfangen, aber sie führt ihren Finger zu seinem Mund. Diese Güte in ihrem Lächeln, es wird warm in Peters Brust. „Genug geredet.“
Zum Abschied der Sonne versammeln sich die Farben des Himmels zu einem Freudenfest. Peter denkt sich: „Was bin ich doch für ein verdammter Glückspilz.“ Und endlich leuchtet auch sein Gesicht wieder.
Als er sich zu Vivian umdreht, ist sie weg. Er blickt umher und sieht kein bekanntes Gesicht. Nur ein blauer Falter zieht im Schmetterlingsgang davon.