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Abgefuckt

Mix

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18.03.2014
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Abgefuckt

„Die Viele-Welten-Interpretation postuliert, dass es unendlich viele Möglichkeiten gibt“, sagte Gustav. „Und für jede Möglichkeit gibt es ein Universum.“
Neben ihm hing Noah. Dieser fragte: „Wovon redest du?“
„Ich versuche, unsere Situation in Relation zu bringen...“, erwiderte Gustav. „Wenn es unendlich viele Universen insgesamt gibt, dann gibt es auch unendlich viele Universen, die noch abgefuckter sind als unseres.“
„Aber auch unendlich viele, die weniger abgefuckt sind“, sagte Noah.
Gustav nickte. „Wenn das stimmt, ist jeder Mensch in jedem Universum sowohl Glückspilz, als auch Pechvogel.“
„Ich finde, wir sind ziemliche Pechvögel...“, entgegnete Noah und hob seinen Blick zur Decke.
Gustav folgte dem Fingerzeig und seufzte. „Ich neige dazu, dir zuzustimmen...“
Sie beide waren erst vor kurzem in diesem spärlich beleuchteten Kellerraum erwacht, die Hände mit Ketten über ihren Köpfen verbunden, die Füße nur so gerade den Boden berührend. Das letzte, woran sie sich erinnerten, war, dass sie gemeinsam durch eine dunkle Gasse gegangen waren. Dann ein pochender Schmerz, und anschließend – nichts.
„Ich kann immer noch nicht fassen, dass wir hier sind“, sagte Noah, der die Augen wieder gesenkt hatte. „Wenn meine Frau das hier sieht...“
„Nachdem deine Frau das Konzept genauso ablehnt wie du – und wie ich, wie ich hinzufügen möchte – musst du dir darum wohl keine Gedanken machen“, erwiderte Gustav. „Wir müssen uns damit abfinden. Wir sind hier.“
Noah schnaubte. „Weil du mich überredet hast...“
„Deine Frau braucht das Geld genauso dringend wie meine Kinder. Es geht hier darum, dass wir uns um unsere Familien kümmern, schon vergessen?“ Gustavs Lippen waren zu einem sanften Lächeln gekräuselt. Er entschloss sich, für etwas Ablenkung zu sorgen. „Außerdem, ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass wir gar keine Wahl haben?“
„Natürlich ist mir der Gedanke gekommen“, sagte Noah gereizt. „Irgendwie muss ich ja in dieser Drecksgesellschaft dafür sorgen, dass meine Frau über die Runden kommt...“
„Das meine ich nicht“, entgegnete Gustav gelassen. „Ich rede über die Viele-Welten-Interpretation. Jeder behauptet ständig, die Theorie sei ein Argument dafür, dass der Mensch tatsächlich einen freien Willen hat. Aber was, wenn wir nur in diesem stinkenden Keller hängen, weil schon alle anderen Möglichkeiten vergeben sind? Denk darüber nach: Wenn ich im Restaurant sitze und das Steak bestelle, dann tue ich das womöglich nur, weil ich mich in einem anderen Universum für den Fisch entschieden habe. Wenn das zutrifft, könnten wir weder uns selbst, noch deine ‚Drecksgesellschaft‘ für unsere missliche Lage verantwortlich machen.“
Noah machte einen Gesichtsausdruck, der von großer Abneigung diesem Thema gegenüber zeugte. Dennoch erwiderte er: „Wenn es eine unendliche Anzahl an Möglichkeiten gibt, dann gibt es auch immer eine Wahl.“
„Auf der Speisekarte sind aber nicht unendlich viele Gerichte verzeichnet“, sagte Gustav. „Obwohl die Speisekarte natürlich in jedem Universum anders aussehen könnte...“ Er ließ sich die Sache durch den Kopf gehen. „Ich denke, es hängt alles davon ab, ob das Universum endlich oder unendlich ist. Wenn es endlich ist, kann es auch nur eine endliche Anzahl von Möglichkeiten geben, oder? In dem Fall...“
„Halt die Klappe!“, unterbrach ihn Noah harsch. „Als gäbe es nichts Wichtigeres, über das du dir Gedanken machen könntest. Sieh nach oben, vielleicht fällt dir dann was ein.“
„Nicht sehr inspirierend“, sagte Gustav. „Ich finde Quantenphysik interessanter als Gliedmaßen.“ Er sah zu Noah, der den Blick verdrießlich erwiderte.„Du bereust es, hier zu sein, oder? Du wärst lieber bei deiner Frau...“
„Wärst du jetzt nicht lieber bei deinen Kindern, anstatt hier zu hängen und darauf zu warten, dass dieser Psychopath durch die Tür kommt, dir die Arme abhackt und dich dann verbluten lässt?“
„Nein. Das wäre paradox. Wenn wir die Viele-Welten-Interpretation mal beiseite lassen, oder auch jeden anderen Denkansatz, der uns einen freien Willen abspricht, dann haben wir uns diese Sache doch ziemlich genau überlegt. Wir sind hier, um unsere Familien zu retten. Daher gibt es keinen Ort im ganzen Universum, an dem ich in diesem Augenblick lieber wäre.“
Plötzlich hörten sie Schritte von außerhalb des Kellerraumes. Immer lauter wurden sie, und als das Geräusch seinen Höhepunkt erreicht zu haben schien, verstummte es. Ein neuerlicher Laut ertönte, diesmal von der Tür. Jemand öffnete das Schloss. Die Tür schwang nach innen auf, und herein trat ein beleibter Mann. Gustav hatte ihn zuvor auf Bildern gesehen, dennoch war er fasziniert von dessen Erscheinung. Große Teile seines Gesichts waren bedeckt von einem ungepflegten Vollbart. Er trug ein feines, schwarzes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, dazu eine Jogginghose. Sein rechter Fuß steckte in einem zerschlissenen Turnschuh, der linke in einem vornehmen Herrenschuh.
Nachdem er seine Gefangenen neugierig gemustert hatte, schloss er die Tür, nahm einen Stuhl und setzte sich ihnen mit verschränkten Armen gegenüber. Er spuckte auf den Boden und räusperte sich. „Seid ihr dumm?“ Nacheinander nahm er sie ins Visier. „Nachts durch eine dunkle Gasse zu gehen und zu erwarten, ihr würdet am anderen Ende heile wieder rauskommen?“
Gustav antwortete gleichgültig: „Ja, wir sind dumm.“
„Hattet ihr keine Angst?“
„Nicht wirklich.“
„Und jetzt?“
„Auch nicht.“
Ihr Peiniger betrachtete erneut Noah und sagte: „Er hat Angst.“ Ein Grinsen formte sich in den Tiefen seines Bartes. „Das kann ich ihm ansehen.“
Noahs Blick traf den des Mannes, aber er erwiderte nichts. Stattdessen ergriff wieder Gustav das Wort: „Ihn irritiert vermutlich, dass sämtliche Arme, die hier von der Decke baumeln, nur noch ihren Mittelfinger haben. Ich muss gestehen, auch für mich ist das kein schöner Anblick.“
„Würde es dir besser gefallen, wenn noch alle Finger dran wären?“, fragte der Mann.
„Bedingt.“ Gustav wunderte sich, dass sein Gegenüber noch nicht zur Tat geschritten war. Aber er wollte sich nicht beklagen. „Wieso haben Sie sie abgetrennt?“
„Meine Art, der Welt den Stinkefinger zu zeigen. Kreativ, findest du nicht?“
„Bedingt.“
Plötzlich erhob Noah seine Stimme: „Ich habe es mir anders überlegt. Ich will gehen.“
Sowohl Gustav, als auch ihr Peiniger sahen ihn überrascht an. „Du kannst nicht gehen“, sprach letzterer. „Ich brauche frische Arme für meine Sammlung. Von meinen ersten Fundstücken ist nicht mehr viel übrig, und ich muss sie ersetzen.“
„Oh, ich bitte dich“, sagte Noah herablassend, „das hier ist bloß Show. Wenn du unsere Arme nicht bekommst, werden sie dir neue zukommen lassen.“
Sie?“, fragte der Mann. „Wer ist ‚sie‘?“
Gustav seufzte. Hätte er diese Sache doch nur alleine durchgezogen. Aber die Verantwortlichen hatten ihnen eine dicke Bonusprämie versprochen, wenn sie es zu zweit machten. Abgesehen davon, dass dadurch mehr Blut flöße, würden die Zuschauer das Geschehen noch interessierter verfolgen, weil zwei Freunde ein Schicksal teilten. Angeblich wäre dies etwas Neues.
„Na, sie!“, antwortete Noah energisch. „Sie, die uns gesagt haben, dass wir um Mitternacht durch diese Gasse gehen sollen, weil das deine Zeit und dein Gebiet sind. Verstehst du nicht? Das alles hier ist eine Farce!“
„Sei still, Noah!“, sagte Gustav mit zusammengepressten Zähnen. „Du verdirbst noch alles...!“
„Wovon spricht er?“, wandte sich der Mann an ihn.
Gustavs Antwort kam prompt: „Keine Ahnung.“
„Wir werden beobachtet“, erklärte Noah, „von Millionen Menschen, die im Moment in ihren Wohnzimmern sitzen und auf ihren Fernseher starren. In der Decke dieses Kellers wurde eine versteckte Kamera installiert. Sie nimmt alles auf.“
Ihr Peiniger starrte ihn einen Moment lang an, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Gustav. „Ich werde jetzt einen deiner Arme befreien und ihn mir genauer ansehen, damit ich festlegen kann, an welcher Stelle ich ihn abtrennen werde. Bitte wehre dich nicht.“
„Würde mir nicht im Traum einfallen“, sagte der Angesprochene, erleichtert, dass Noahs Worte keine Wirkung zeigten. Der Mann befreite Gustavs rechtes Handgelenk aus der Fessel, krempelte den Ärmel des Pullovers zurück und tastete vorsichtig den Arm ab.
„Es ist wahr!“, beharrte Noah. „Du weißt nichts davon, weil du schon dein ganzes Leben beobachtet wirst. Dir wird eine Welt vorgegaukelt, die nicht mehr existiert, dir und vielen anderen. Die Menschen haben Gefallen gefunden am Blutvergießen. Das Ganze ist wie Big Brother, bloß... pervers.“
Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätte Gustav gelacht. Stattdessen zischte er: „Sei endlich still!“
„Gustav und ich, wir sind an dieser Welt gescheitert. Wir verachten das, was man dir hier antut, aber wir sind arme Hunde. Wir haben kein Geld und müssen irgendwie für unsere Familien sorgen. Deswegen haben wir uns hierfür gemeldet. Jeder, der sich live vor der Kamera abschlachten lässt, erhält einen großen Geldbetrag. Damit können meine Frau und seine Kinder über die Runden kommen. Aber es ist Quatsch, es ist Schwachsinn. Was bringt das alles, wenn wir nicht mehr da sind, um uns um sie zu kümmern? Bitte, lass uns frei!“
Der Mann hatte sich Noah zugewandt, schien aufmerksam zu lauschen. Da bemerkte Gustav, dass ein Hackbeil hinten in der Jogginghose des Serienmörders steckte, und er traf eine Entscheidung.
„Es ist ein Witz“, fuhr Noah fort. „Du bist nur eine Marionette der Medien, ohne freien Willen, und weißt es nicht einmal, und wir sind auch noch bereit mitzuspielen. Für Geld. Wir geben unseren Familien Geld und setzen sie gleichzeitig einem Schmerz aus, der mit Geld nicht aufzuwiegen ist. Es ist ein Witz. Ich hätte mich niemals dazu - “
Weiter kam er nicht. Gustav hatte sich das Beil geschnappt und es in die Brust seines Freundes gerammt. Knochen splitterten, und Blut spritzte ihm entgegen. Mit einigem Kraftaufwand zog er das Beil wieder heraus, wodurch noch mehr Blut aus dem Körper trat. Noch drei Mal wiederholte er die Prozedur und dachte dabei an seine Kinder. Sie würden zwar ihn verlieren, aber eine Zukunft gewinnen. Mit dem Erlös für seinen Tod standen ihnen alle Wege offen. Wenn Noahs Frau Glück hatte, würde auch sie den Betrag erhalten. Sicher war dies nicht, denn den plötzlichen Sinneswandel ihres Mannes würden die Verantwortlichen womöglich als Vertragsbruch werten. Gustav hatte gehandelt, damit er nicht mit hineingezogen würde.
Als sein Werk vollbracht war, betrachtete er das blutige Beil in seiner Hand. „Ich habe die Arme unversehrt gelassen.“ Dann reichte er es dem Mann und fügte hinzu: „Mach dir nichts draus. Wir alle sind irgendjemandes Marionette.“
Mit argwöhnischer Miene nahm sein Gegenüber das Mordinstrument entgegen. „Ich ziehe es vor, meinen Opfern die Arme abzutrennen, während sie noch leben. Dann sind sie frischer.“
„Wenn du dich beeilst, sind sie noch frisch genug“, sagte Gustav. Sein zukünftiger Schlächter machte sich sofort an die Arbeit, und während Gustav ihm zusah, murmelte er: „Für Universen wie dieses wurde das Wort ‚abgefuckt‘ erfunden...“

 

uff.

Hallo Mix,

Ich kam am Ende des Textes an, und dachte: dazu jetzt einen Kommentar schreiben? Kein Wunder, dass hier noch nix steht! - harter Stoff.
Sureal fand ich, dass die Gewallt so nüchtern dargestellt wird. Schmerz ist gar kein Thema, was "erfrischend" war. Die Universums-Diskusion war schon fast komisch.
^^aus meiner Sicht darfst du das gern als Kompliment werten ;)

Auch, dass mich die Geschichte thematich sehr an Menschenjagt und Todesmarsch von Bachmann (King) erinnert hat.

Tja - ich wurde merk-würdig unterhalten und habe nichts zu meckern.

gern gelesen
pantoholli

 

„Für Universen wie dieses wurde das Wort ‚abgefuckt‘ erfunden...“

Respekt, Mix!
Sprachlich souverän und überzeugend schreibst du hier eine wahrhaft erschreckende Dystopie, die allerdings angesichts der heutigen erbärmlichen, qotengeilen Fernsehlandschaft gar nicht so weit hergeholt erscheint.
Besonders beklemmend (und gleichzeitig sehr unterhaltsam) fand ich die Abgeklärtheit der beiden Opfer und wie sie, den sicheren Tod vor Augen, herrlich entspannt und witzig noch über Paralleluniversen schwadronieren, ein Thema, mit dem du mich ohnehin sofort am Haken hattest.
Die Geschichte ist auch dramaturgisch sehr geschickt gemacht, die Spannung hältst du bis zum Schluss, … und überhaupt, einfach ein toller, kluger, gut geschriebener Text.
Ich will mich abends noch mal ausführlicher damit beschäftigen, jetzt muss ich wieder ins Bergwerk.

offshore

 

Ich find's ziemlich geil.
Du beweist deine Prämisse "abgefuckt" sehr schön, sozusagen :)

Ein kleiner Punkt:

Da bemerkte Gustav, dass ein Hackbeil hinten in der Jogginghose des Serienmörders steckte

Das Bild dass ich da im Kopf habe funktioniert nicht. Da muss ja ein unrealistisch starker Gummizug in der Hose sein, wenn die ein Hackbeil hält. Vielleicht ist es aber auch ein Universum, wo Jogginghosen efach stabiler sind als in unserem :)

 

Hallo pantoholli!

Ich kam am Ende des Textes an, und dachte: dazu jetzt einen Kommentar schreiben? Kein Wunder, dass hier noch nix steht! - harter Stoff.

Da freut es mich ja umso mehr, dass du der Erste bist, der sich getraut hat ;) Deine Worte nehme ich sehr gerne als Kompliment an, obwohl ich gestehen muss, dass ich keinen der von dir angesprochenen Texte gelesen habe. Aber wenn du damit positives assoziierst und meine Geschichte dich daran erinnert, kann das ja nichts allzu schlechtes bedeuten. Danke für deinen Kommentar!


Hallo ernst offshore!

Auch dir danke für dein Feedback und für dein Lob. Ja, in der Tat wirkt das Szenario der Geschichte nicht allzu unrealistisch, leider, muss man da wohl sagen. Wer weiß, wohin sich unsere Fernsehlandschaft noch entwickelt^^ Die Paralleluniversen in der Geschichte sind mir eine Herzensangelegenheit. Ich bin nur Laie, finde aber Astrophysik, Quantenphysik und alles, was damit zu tun hat, extrem faszinierend. Ich dachte mir, wie die beiden sich darüber so entspannt austauschen, bildet das sicher einen hübschen Kontrast zu der SItuation, in der sie sich befinden. Danke nochmal für deinen Kommentar!


Hallo Irony!

Und nochmal danke! Freut mich, dass dir der Text gefallen hat. Zu dem Hackbeil in der Jogginghose: Wenn der sich da einen strammen Knoten reinbindet, hält das bestimmt. Ich könnte ihm natürlich eine andere Hose geben, aber ich finde, die Jogginghose passt so schön zu seinem feinen Hemd ;)

 

Hallo Mix,
Stephen King hat unter dem Pseudonym Richard Bachmann einige Bücher geschreiben.
Bei "Menschenjagt" geht es darum, dass sich jemand in einer Fernsehschow von Profi-killern jagen lässt. Pro Tag den er überlebt, bekommt seine Familie Geld. Wurde mit Schwarzenegger schlecht verfilmt (Running Man)
Bei "Todesmarsch" gehts darum, dass 100 Jugendliche laufen. Fällt jemand für 30 Sekunden unter 5 Milen pro Stunde, bekommt er eine Verwarnung. Nach 3 Verwarnungen wird er erschossen. Das Ganze wird wie bei den Olympischen Spielen per Fernsehen übertragen. Der, der überlebt, bekommt alles was er sich wünscht.

Fällt somit alles in die Kategorie: Perverses Fernsehen.

Gruss
pantoholli

 

Ah, danke für den Hinweis. Ja, da besteht dann tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit zu meiner Geschichte. Die Bücher muss ich mir vielleicht mal genauer ansehen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Noch mal ich, Mix.
Ich habe deine Geschichte jetzt noch einmal in aller Ruhe gelesen, und ich muss sagen, sie hat mir genauso gut gefallen wie heute Mittag, nach wie vor habe ich echt nichts daran auszusetzen. Wiederum hat es mir der klug ausgedachte Plot angetan und diese zwei bedauernswerten fatalistischen Hunde. Und natürlich deren so absurd gewählte Sprache,

„Ich neige dazu, dir zuzustimmen...“

„…und wie ich, wie ich hinzufügen möchte …“

„Das meine ich nicht“, entgegnete Gustav gelassen. „Ich rede über die Viele-Welten-Interpretation. Jeder behauptet ständig, die Theorie sei ein Argument dafür, dass der Mensch tatsächlich einen freien Willen hat …“


die vor dem tragischen Hintergrund umso schräger klingt.

(Sollte übrigens die freie Willensentscheidung eine Illusion sein – wovon die meisten realistischen Denker heute ausgehen – sind Gustavs pfiffige Versuche, sich sein Los durch das Herumfantasieren über Paralellwelten erträglicher zu gestalten, auch wenn sie herrlich schräg sind, leider nicht mehr als Pfeifen im dunklen Wald.)
.
Ein paar Verbesserungsvorschläge hätte ich noch für dich:

„Außerdem, ist dir schonmal [schon mal] der Gedanke gekommen

Wenn ich im Resteraunt [Restaurant] sitze

„Als gäbe es nichts wichtigeres [Wichtigeres]

Plötzlich hörten sie Schritte, deren Ursprung jenseits des Kellerraumes lag. Sie wurden immer lauter, und als sie ihren Höhepunkt erreicht zu haben schienen, verstummten sie.
Das gefällt mir nicht recht. Nicht die Schritte erreichen ihren Höhepunkt, sondern deren Geräusche. Das solltest du anders formulieren.

Große Teiles [Teile] seines Gesichts

Abgesehen davon, dass dadurch mehr Blut fließen würde, würden die Zuschauer das Geschehen noch interessierter verfolgen, weil zwei Freunde ein Schicksal teilten. Angeblich wäre dies etwas neues [Neues].
Hier könntest du ruhig den Konjunktiv II – flösse – verwenden, nicht nur, weil der perfekt zur Eloquenz deiner Protagonisten passte, sondern du so auch die unhübsche Wiederholung (würde, würden) vermeiden könntest.

Der Mann befreite sein rechts [rechtes] Handgelenk aus der Fessel, krempelte den Ärmel seines Pullovers zurück und tastete vorsichtig den Arm ab.
Besser: Der Mann befreite Gustavs rechtes Handgelenk aus der Fessel, krempelte den Ärmel des Pullovers zurück …

Wenn die Lage nicht so ernst gewesen wäre, hätte Gustav gelacht.
Schöner: Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätte Gustav gelacht.

Mit einem Schmatzen zog er das Beil wieder heraus,
Passt mir auch nicht hundertpro. Klingt, als wäre es Gustav, der schmatzt.

Irgendwie eigenartig: ist eine elend traurige Geschichte eigentlich, und trotzdem musste ich beim Lesen immer wieder schmunzeln. Dieses Paradoxon ermöglichst du vorwiegend durch dein geschicktes Umgehen mit der Sprachel, glaub ich. Das taugt mir einfach.

Gruß,
offshore

PS

Mix schrieb:
Die Paralleluniversen in der Geschichte sind mir eine Herzensangelegenheit. Ich bin nur Laie, finde aber Astrophysik, Quantenphysik und alles, was damit zu tun hat, extrem faszinierend.
Willkommen im Club, Mix. Mir geht es ähnlich.
Das z.B. schrieb ich in einer Kommentarantwort unter einer meiner Geschichten:

offshore schrieb:
… oder ob man gar einen mutigen Kopfsprung in die unauslotbaren Abgründe der Quantentheorie wagt, und sich über die Existenz annähernd unendlich vieler Paralleluniversen den Kopf zerbricht - ich will jetzt nicht näher auf die wissenschaftlichen Grundlagen (Hubble-Volumen, stetig steigende Expansionsgeschwindigkeit des Alls, Dunkle Energie, 11-Dimensionalität, usw.), eingehen, welche Paralleluniversen mittlerweile nicht mehr nur möglich, sondern sogar höchst plausibel erscheinen lassen, sondern nur sagen, dass z.B. die Multiversum-Hypothese der Quantentheorie im Wesentlichen besagt, dass alle Ergebnisse gleichzeitig eintreten können, sofern ein bestimmtes Ereignis mehrere mögliche Resultate haben kann usw. … (wenn heute in der Kneipe „Zum fröhlichen String“ ein Physiker vom Multiversum spricht, wird er nicht mehr rausgeschmissen, sondern bekommt vermutlich ein Freibier) - tja, das alles ist letztlich Sache des Lesers. (Genauso wie es Sache des Lesers ist, diesen hirnverschwurbelnden 14-Zeilensatz zu verstehen …)

 

Always look on the bright side of life....

Neben ihm hing Noah. Dieser fragte: „Wovon redest du?“

Hi Mix,
ich denke auch, der Begriff 'Universum' ist ein kruder Nonsens egozentrisch dualistisch gepolter Humanoider, "man macht sich gar keine Vorstellung", schon ein Universum scheint unendlich viele Welten zu beherbergen; und glaubte man nicht vor nicht allzu langer Zeit noch an die Erde als zentrales Gestirn, umlaufen von Sonne und all dem anderen kosmischen Sternen-Gestaube?
Gleichviel, du hast hier ein starkes Stück inszeniert, zwar als Grundplot ( pervertierte Realityshow) nicht unbedingt ein Novum und, wie auch schon aus Wien angemerkt wurde, von der Tendenz her in der abgefuckten Wirklichkeit unserer Tage bereits angelegt, aber doch sehr origienell und gekonnt ins Bild gesetzt.
Die mörderische Atmosphäre dieses Kellerkammerspiels wird aufs Schönste gebrochen durch einerseits den unaufgeregten, die Ausweglosikeit und Enge kontakarierenden Viele-Welten-Dialog der Totgeweihten sowie den fast kumpelhaft aufgeräumten 'Serienmörder" als auch durch die Merkwürdigkeit, dass alle Beteiligten der Situation einvernehmlich beiwohnen; lediglich Noahs Einvernehmen schwindet im Angesicht des Drohenden dann doch und er versucht sich durch Verrat auf die Arche zu retten.
Der Kick an der Story aber ist ohne Frage der einleitende Diskurs der beiden.
Interessant wäre vllt noch der Deutungsversuch des Wortes 'abgefuckt'. Ins Volldeutsche gebracht griffe man da wohl zu 'heruntergekommen', was wiederum bedeutete, dass es das deprimierende Ergebnis der einem Universum inhärenten Entwicklung darstellt, einem Weltenverlauf, der Evolution, an deren Ausgang sich Dekadenz und Perversion 'Gute nacht' sagen.
Wie auch immer - was tut man nicht alles für die Familie!
7

 

Lieber Mix,

da wurden deine beiden Figuren willentlich entführt und hängen jetzt in einem Verlies, sind einem Menschenschlächter ausgeliefert. Dass sie trotz ihrer Situation lustig ironisch herumphilosophieren und sie selbst entlarven, ist makaber erfrischend. Vom leichten Lesen wurde ja schon geschrieben, das ist wahr. Dass das so alles wirklich geschehen könnte, dass sie sich so abgeklärt mit ihrer Situation befassen, statt sich bei schockgefrorenem Verstand etwa freiheraus ihres Darminhalts zu entledigen, bezweifle ich jedoch stark. Daher wohl konnte mein Amusement auch nicht bis zu den Mundwinkeln vordringen.

Noahs Augen trafen die des Mannes, aber er erwiderte nichts.
  • Das liest sich wahrscheinlich unfreiwillig komisch >> Noahs Blick traf den des Mannes

Aber gern gelesen,
-- floritiv

 

Hi und willkommen zurück, ernst!

Dein ausführlicher Kommentar hat mir sehr gefallen. Es freut mich, dass die Geschichte so gut bei dir ankommt. Die Sache mit dem freien Willen werden wir wahrscheinlich niemals abschließend klären können, denn nach einer Entscheidung (ob Illusion oder nicht) bleibt immer die Frage, ob ich nicht auch anders hätte wählen können.
Deine Hinweise zum Text hab ich dankbar aufgenommen und bereits verwertet. Den überarbeiteten Text kannst du oben lesen.

Irgendwie eigenartig: ist eine elend traurige Geschichte eigentlich, und trotzdem musste ich beim Lesen immer wieder schmunzeln. Dieses Paradoxon ermöglichst du vorwiegend durch dein geschicktes Umgehen mit der Sprachel, glaub ich. Das taugt mir einfach.

Ein großes Kompliment, und dafür ein großes Danke!
Deinen zitierten Kommentar zum Thema Paralleluniversen finde ich sehr inspirierend ;)


Hallo 7miles!

Gute Denkanstöße bietest du da. Das freut mich, hatte ich doch gehofft, dass die Geschichte den einen oder anderen zum Denken anregt. Ich würde sagen, mit deinem Deutungsversuch des Wortes "abgefuckt" triffst du die Sache ziemlich gut. Allerdings bleibt im Lichte der Frage nach dem freien Willen stets die Ungewissheit, ob das Universum dazu verdammt ist, abgefuckt zu enden, oder ob der Mensch daran etwas ändern kann. Ich danke dir für das Lesen und Kommentieren meiner Geschichte!


Hallo floritiv!

Auch dir möchte ich für das Lesen und Kommentieren der Geschichte danken. Deinen Hinweis habe ich bereits beherzigt. Komik sollte nicht unfreiwillig sein. Deine Zweifel bezüglich der Abgeklärtheit der beiden Protagonisten kann ich durchaus nachvollziehen. Nachdem es mir in der Geschichte aber nicht unbedingt um höchstmöglichen Realismus geht, denke ich, dass ich damit durchkommen kann ;)

 

Ein letztes Meckern noch, dann halt ich eh die Schnauze:

Plötzlich hörten sie Schritte, deren Ursprung jenseits des Kellerraumes lag. Immer lauter wurden sie, und als das Geräusch seinen Höhepunkt erreicht zu haben schien, verstummte es.
Im Grunde derselbe Lapsus wie zuvor, nur halt verschoben. Du meinst ja nicht den Ursprung der Schritte, sondern den Ursprung der Geräusche der Schritte.
Warum überhaupt so kompliziert? Wie wär's z.B. damit:
Plötzlich hörten sie Schritte von jenseits der Kellertüre (bzw. von außerhalb des Kellerraumes). Immer lauter wurden sie, und als das Geräusch seinen Höhepunkt erreicht zu haben schien, verstummte es.

 

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