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Der Hahn ist tot

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09.03.2014
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Der Hahn ist tot

Zur Beerdigung des Altbürgermeisters Arnold Kofler waren alle aus dem Dorf gekommen. Wie eine Schar verirrter Krähen hockten sie in den Kirchenbänken, und immer mehr Leute drängelten nach vorne: ein krächzender Schwarm, der den Sarg aus hellem Pappelholz umringte und ihn zu überrennen drohte.
Nach der Messe hielten der Jungbürgermeister, der Volksschuldirektor und der Polizeihauptmann nacheinander eine Rede und der Pfarrer lupfte schon seinen Hintern vom Sessel, um alle endgültig in Frieden zu schicken, da erhob sich eine schlanke Gestalt in der ersten Reihe. Die junge Frau in Blazer und Bleistiftrock schritt die Stufen zum Rednerpult empor.
Köpfe reckten sich. Irritiertes Räuspern ertönte. Wer wollte so kurz vor dem Totenschmaus noch eine Rede halten?
Der Pfarrer stand ganz auf und warf einen fragenden Blick zum Chorleiter, doch der zuckte die Schultern. So ließ der Pfarrer seinen Hintern wieder auf den Sessel sinken.
„Die Renate ist`s, seine Enkelin“, flüsterte die Müller-Zenzi der Tirler-Mitzi zu. „S`ist heute morgen aus Amerika eingeflogen.“
„Der Franziska ihr uneheliches Kind.“
Beide Frauen nickten wissend.
Renate Kofler hielt einen Augenblick inne, strich sich eine hellbraune Strähne aus dem Gesicht und schaute in die Runde. Die Krähenschar blickte gespannt zu ihr hinauf. Auch in den hinteren Reihen waren Renates ebenmäßige Gesichtszüge zu erkennen. Schön war sie immer schon gewesen, schon als Kind, wie sich einige wehmütig, andere neidisch, erinnerten.
„Arnold Kofler ...“, begann sie. Das Mikrophon quietschte grell. Sie verstummte und wandte den Kopf. Der Pfarrer trippelte herbei, mit hochgezogenen Schultern und zum Gebet gefalteten Händen, die er nur auseinandernahm, um das Mikrophon einzustellen.
„Arnold Kofler war ein außergewöhnlicher Mensch. Er wusste, was er wollte und ließ sich nicht gerne Vorschriften machen. Wahrscheinlich war er deswegen als Kind ein rechter Lausebengel. Er streifte lieber im Wald umher, als die Schulbank zu drücken. Eines Tages fing er einen Laubfrosch und ließ ihn im Klassenzimmer frei. Als die Lehrerin das Quaken des gequälten Tieres hörte, wusste sie sofort: Das muss Arnold gewesen sein.“
Verhaltenes Gelächter erklang. Nur der Pfarrer runzelte die Stirn.
Mit klarer Stimme fuhr Renate fort: „Trotzdem war Arnold ein erstklassiger Schüler, der sich durch eine schnelle Auffassungsgabe und große Führungskompetenz von den anderen abhob. So war es nicht verwunderlich, dass er schon mit neun Jahren der Hauptministrant wurde, mit elf der Musikkapelle beitrat und mit achtzehn schließlich zum Kapellmeister gewählt wurde. Das Führen war ihm in die Wiege gelegt worden, wie auch der Dirigentenstab.“
Wieder nickten alle zustimmend. Ja, der Kofler Arnold, das war ein Mann gewesen.
„Mit 19 lernte er auf dem Karner Kirchtag die Toldrer Herta kennen. Er war ein fescher Jungbauer mit dreißig Stück Vieh; und sie eine fleißige Bauernmagd mit zwei kräftigen Händen. Die beiden gefielen sich auf Anhieb und schon nach wenigen Monaten fasste sich Arnold ein Herz und fragte Herta, ob sie seine Bäuerin werden möchte. `Ich dachte schon, du fragst nie`, antwortete sie nur.“
Wieder lachten einige. Bloß seine Witwe schluchzte laut auf und rieb sich mit einem Spitzentaschentuch über die Augen.
„Es verging kaum ein Jahr, und der erste Sohn erblickte das Licht der Welt: Karl. Danach folgten Franziska und Anton, dann Benedikt, Helene, Paula und Stanislaus, jeweils im Jahresrhythmus. Der Raschatscher-Hof war immer von fröhlichen Kinderstimmen erfüllt und der Pfarrer musste gewiss nie den langen Weg vom Dorf auf sich nehmen, um den Kofler Arnold daran zu erinnern, fruchtbar zu sein und sich zu vermehren, so wie es in der Bibel steht.“
Keiner sagte etwas. Das Gesicht des Pfarrers erstarrte zu einer Maske. Nur die Leute aus der ersten Reihe konnten sehen, dass er die Hände so verkrampft gefaltet hatte, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten.
„Mit dem Haus voller Kinder hatte die junge Bäuerin alle Hände voll zu tun, während Arnold Kofler die Felder bestellte, sich um das Vieh kümmerte und nebenbei die Musikkapelle führte. Die Geschäfte auf dem Hof liefen prächtig und mit gerade neununddreißig Jahren wurde mein Großvater einstimmig zum Bürgermeister gewählt. Als der damalige Pfarrer vom Ausgang der Wahl hörte, brummte er nur: `Wer denn sonst.`“
Einige klatschten, ließen nach einem energischen „Schscht“ des Pfarrers ihre Hände jedoch sinken.
„Mit großer Weitsicht führte Arnold Kofler die Geschicke dieses kleinen Dorfes und er hatte für jeden ein offenes Ohr. Ob bei der Überschwemmung vor zweiundzwanzig Jahren, bei der fast alle Häuser bis in den ersten Stock überflutet wurden oder beim Brand im Widum, der Bürgermeister war stets zur Stelle. Ohne viel Aufhebens half er, wo er nur konnte.“
Zustimmendes Gemurmel ging durch die Reihen.
„Auch als seine Tochter Franziska bei einem tragischen Unfall ihr Leben lassen musste, erklärte sich Arnold Kofler bereit, ihre Tochter Renate, mich, bei sich aufzunehmen wie sein eigenes Kind.“
„Von wegen Unfall. Tabletten hat`s g´nommen“, zischte der Müller-Sepp.
„Und trotzdem liegt`s auf geweihtem Boden“, stimmte der Tirler Schorsch zu.
„Dank Arnold Kofler und seiner Frau Herta hatte ich nach dem plötzlichen Tod meiner Mutter ein Dach über dem Kopf und im Laufe der Zeit die Möglichkeit, die Oberschule in Bozen und danach die Universität in Berlin zu besuchen. Dank der Unterstützung meines Großvaters durfte ich die Fachausbildung zur Kinderärztin in den USA absolvieren, wo ich seit einigen Jahren praktiziere.“
„Der Arnold hätte sie auch auf`n Nordpol geschickt, wenn er nur gekonnt hätte“, meinte der Tirler-Schorsch.
„Hauptsache, weit weg!“
„Die Renate wusste ja von jeder seiner G´schichten“, raunte der Müller-Sepp. „Ich hab` gehört, er hat`s auch bei ihr probiert. Und nicht nur einmal.“
Das Kopfschütteln seines Nachbarn ließ ihn verstummen.
Renate fuhr fort: „Für all das muss ich meinem Großvater Arnold Kofler dankbar sein. Ohne seine Hilfe wäre ich nie soweit gekommen. So manch einer Versuchung hat auch Arnold Kofler nicht widerstehen können, vor so manchen Sünden ist er nicht verschont geblieben, aber er hat versucht, alles auszugleichen durch seine finanzielle Großzügigkeit, die bis nach seinem Tod anhält. Für den Rest, für den wird er dem Herrgott Rechenschaft ablegen. Möge er ruhen in Frieden.“
Alle hielten den Atem an, als Renate Kofler vom Rednerpult herunterstieg und mit starrem Blick durch den Mittelgang hinausschritt. Das Klacken ihrer Stöckelschuhe auf dem Marmor hallte, dann fiel die Kirchentür mit einem Krachen ins Schloss.
In die Stille hinein sagte die Tirler-Mitzi: „Tot ist er. Jetzt tut er keinem mehr was, der alte Gockel.“

 

Hey Marlene,

du beschreibst gut. War angenehm zu lesen, aber mir fehlt da das gewisse Etwas. Nämlich ein paar mehr Infos über seine Taten, um die Geschichte zu einem netten Höhepunkt zu führen. So ist das nur ein angeknabbertes Stück, das mich nicht vollständig in Anspruch genommen hat, dabei hast du noch einiges an Potential, das du rauskitzeln kannst.

Keep it up,
Hank Johnson.

 

Boah, Marlene,

stark, diese Geschichte. Nicht nur, dass sie sich sehr fehlerfrei und flüssig liest, gestockt habe ich nur bei

„Auch als seine Tochter Franziska bei einem tragischen Unfall ihr Leben lassen musste, erklärte sich Arnold Kofler bereit, ihre Tochter Renate, mich, bei sich aufzunehmen wie sein eigenes Kind.“
  • das würde ich umkehren >> mich, ihre Tochter Renate. Überlege zudem, ob nicht »seine Enkelin« statt »ihre Tochter« verständlicher wäre, aber das nur als Gedanke.

– aber sonst absolut gelungen in meinen Augen. Ich merke im Lauf des Lesens, welchen Sprengstoff die Oberfläche der Familie Kofler und der mitwissenden Dorfgemeinschaft birgt. Das muss ich erstmal verdauen. Ich finde es gerade gut, dass du Details zu den Taten ausgespart hast. Das dem Leser zu überlassen, hebt die Geschichte »angenehm« von den üblichen Mitleid heischenden, bewusst schockenden Texten zur Missbrauchsthematik ab. Solche Texte fördern eben nicht, dass sich die Gesellschaft damit aktiv auseinandersetzt, sie verschwenden nur Empörung beim Publikum, stumpfen es ab.


Viele Grüße
-- floritiv

 

Servus Marlene, willkommen hier.

Wie eine Schar verirrter Krähen hockten sie in den Kirchenbänken, und immer mehr Leute drängelten nach vorne: ein krächzender Schwarm, der dem Sarg aus hellem Pappelholz umringte und ihn zu überrennen drohte.

Eigentlich sind das schöne Bilder, aber irgendwie erscheinen sie mir auch etwas widersprüchlich. Einerseits hocken die Leute da, andererseits drängeln sie nach vorne (dieselben Leute?), einerseits sollen sie verirrt, verloren wirken, andererseits überrennen sie als krächzender Schwarm … Also irgendwie geht das nicht recht auf für mich. Vielleicht könntest du da noch eine Winzigkeit umstellen bzw. ergänzen: z.B. Die einen hockten wie …, die anderen drängelten … Oder: … und diejenigen, die keinen Platz mehr fanden, drängelten nach vorne …
Aber mir gefällt, wie du schreibst.
Ich bin selbst in einer kleinen Landgemeinde aufgewachsen und für mein Gefühl gelingt es dir recht gut, von Anfang an eine glaubwürdige Atmosphäre zu schaffen und du hast auch eine spannende, beklemmende Thematik:

Die vermeintlich heile, überschaubare Welt einer kleinen, ländlichen Dorfgemeinschaft wird als das entlarvt, was sie in Wahrheit ist: als ein Spiegelbild der großen Welt, nicht besser und nicht schlechter. Da wie dort legt die soziale Stellung den Maßstab für die Moral fest *). Durch das gegenseitige Bekanntsein aller mit allen ist es hier allerdings wohl noch eine Spur verlogener.
Dass die moralische Fragwürdigkeit und die sexuellen Ausschweifungen des Dorfhäuptlings nicht als das gesehen und angeprangert werden, was sie in Wahrheit sind, nämlich schlicht missbräuchliche Übergriffe, sondern stillschweigend als Zeichen von Stärke und Virilität akzeptiert oder gar klammheimlich bewundert werden, gehört ja beinahe zur Folklore in manch ländlichen Gebieten*).
Ja, das Duckmäusertum der kleinen Leute vor den Honoratioren, die sich das Wohlwollen ihrer „Untertanen“ einfach mit Geld erkaufen *), führst du hier sehr schön vor.
Und auch der Umstand, dass es oft erst eines Anstoßes von außen bedarf, den Leuten ihr Pharisäertum vor Augen zu führen, entspricht dem wahren Leben.

Wie Hank Johnson fehlt es auch mir an einem echten Höhepunkt in der Geschichte. So einen abschließenden kleinen, quasi läuternden Volksaufstand in der Kirche zu schildern wäre für einen fabulierenden Erzähler natürlich ein gefundenes Fressen, die Glaubwürdigkeit der Geschichte allerdings dadurch beim Teufel, weil im wirklichen Leben vermutlich kein einziger der braven Kirchgänger sich irgendeiner (Mit)schuld bewusst wäre. Insofern passt das schon alles.

Ist eine kleine, feine, kluge Geschichte, Marlene.

offshore

*) Eigenartigerweise fielen mir beim Lesen dieser fiktiven Geschichte immer wieder real existierende Personen ein ...

 

Hallo Hank Johnson, hallo floritiv, hallo ernst offshore,

erstmal vielen Dank für euer Feedback. Ich finde es äußerst erhellend, die Meinung anderer zu meinem Text zu erfahren.

@ Hank Johnson:
Eigentlich dachte ich, Renates Andeutungen in ihrer Rede und der Schlusssatz der Tirler Mitzi wären Höhepunkt genug. Alle wussten es, keiner tat etwas dagegen. Allerdings wäre auch ein Ende mit etwas mehr Action auch nicht schlecht. Mir schwebt da so eine Massenschlägerei in der Kirche vor … :-)

@ ernst offshore:
Hab mir den Satz noch einmal angeschaut. Stimme dir zu. “mich, ihre Tochter Renate” ist besser. Überlege auch, ob ich den Satz nicht in zwei Sätze aufsplitten sollte.
Komischerweise mag ich Texte, in denen das “Wichtige”, das “Schockierende” nicht explizit beschrieben wird, nicht besonders. Trotzdem mache ich das recht oft so. Vielleicht weil es schreibtechnisch leichter ist?

@floritiv:
Ich stimme dir zu und habe daher den Satz geringfügig abgeändert. So sollte klarer verständlich sein, dass die Kirchenbänke schon besetzt sind, und sich immer mehr Leute in die Kirche hineindrängen (Änderungen fett) :
“Zur Beerdigung des Altbürgermeisters Arnold Kofler waren alle Leute aus dem Dorf gekommen. Wie eine Schar verirrter Krähen hockten sie in den Kirchenbänken, und immer mehr davon drängelten nach vorne: ein krächzender Schwarm, der dem Sarg aus hellem Pappelholz umringte und ihn zu überrennen drohte.”

Wenn zwei von drei Lesern sagen, dass der Höhepunkt fehlt, dann muss was dran sein. Andererseits könnte ich jetzt argumentieren, dass der Höhepunkt ja genau im NICHTSTUN besteht. Alle wissen es, keiner tut etwas.

Ich habe übrigens tatsächlich keine realen Personen beschrieben … dieses Mal zumindest (Schweiß abwisch und grins). Gott sei mein Zeuge. Dass meine reellen Vorbilder zu offensichtlich erkennbar waren, hat mich schon einmal in Teufels Küche gebracht, um beim Thema zu bleiben...

Danke, Leute, ich werd dranbleiben!

 

Hallo Marlene,

eine Geschichte, die ich sehr gelungen finde. Ich muss den positiven Kommentaren der anderen nichts mehr hinzufügen, habe aber noch Anregungen für das Ende.
Wie wäre es, wenn Renate sagt (nur ein Beispiel): "Ich nehme an, ihr Männer wisst, wessen Kinder ihr großzieht und ernährt. Von meinem, das ich sicherheitshalber in den USA gelasen habe, weiß ich es genau." Das ist jetzt sehr schlecht formuliert, aber ich denke, du weißt, auf welche Spitze ich hinauswill.

Viele Grüße
Sylvi

 

Nabönd Marlene,

so die richtigen Dramen, die spielen sich ja eh immer im Alpenraum ab. So scheint es. Mit was das wohl zusammenhängt? Ein Glanzlicht für mich ist "Via Mala". Dein Abgang hier ist leiser, eher der mit Stil, die kalte Schulter zeigend. Die versammelte Meute weiß schon, um was es geht.

Schön geschrieben. Am Anfang war noch das mit

der de[n]m Sarg aus hellem Pappelholz umringte
, aber das nur als Randnotiz.

So wie ich es rauslese, kannst Du eine Geschichte schreiben, die zeigt, was passiert, wenn Menschen sich in Geschichten wieder erkennen. In Deinem Text hier wird sich der halbe Alpenraum wieder erkennen ... :D

... und natürlich der Hunsrück.

Grüße
Morphin

 

Hallo Sylvie, hallo Morphin,

ich freue mich sehr, dass ihr meine Geschichte gelesen habt!
Danke für die Anregungen. @ Sylvie: Das Ende werde ich erstmal so stehen lassen. Vielleicht überlege ich mir doch noch was Härteres, wer weiß? @ Morphin: Nach zwanzig Mal lesen und ebenso vielen Änderungen nimmt mein Gehirn solche Tippfehler nicht mehr wahr...danke daher für den aufmerksamen Blick! Wird gleich geändert!
lg
Marlene

 

Hallo Marlene,
da ich gerade mal vorbeischaue: Unbedingt so "leise" lassen, das Ende! Nein, keine Schlägerei, das wäre ja eine ganz andere Geschichte. Wenn schon etwas ändern, dann vielleicht "keinem" (koam' ?) statt "niemandem", ich finde, das sagt sich flüssiger. Auch ein paar Zeilen darüber, über das "sogar" stolperte ich mehrmals, klanglich und inhaltlich; kann ganz entfallen, finde ich.
Sonst, wie schon gesagt, eine wunderbare Erzählung.
kiebitz

 

Hallo Kiebitz,
danke fürs Lesen und fürs Feedback!
Obwohl ich weiter oben laut über ein alternatives Ende nachgedacht habe, stimme ich dir nun doch zu. (Das passt natürlich auch meinem Ego besser, hehe.) Mit einem anderen Ende wäre es tatsächlich eine andere Geschichte. Renate spricht ja nur offen aus, was eh schon alle wissen.
Ich werde das mit den Einschüben "sogar" usw überprüfen und die Geschichte noch einmal laut vorlesen. Nur leider heute nicht mehr, aber morgen oder übermorgen.
Gute Nacht und lg
Marlene

 

Hallo Kiebitz,
jetzt, Äonen nach deinem Feedback, endlich meine Antwort darauf.
Was das "sogar" betrifft, kann ich dir zustimmen. Ist rhythmisch besser, wenn ich es entferne. Ich hatte dieses "sogar" als sarkastische Spitze eingefügt.
Was das "niemandem" betrifft, bin ich nicht ganz deiner Meinung. Zwar sprechen die Leute aus dem Dorf Dialekt, aber bei der Schlusspointe habe ich jmich (unbewusst, diese Erklärung erfolgt erst hier, also im Nachhinein) für das Hochdeutsche entschieden, weil ich da sicher bin, dass es alle sofort(estens) verstehen, was ich bei "koam" bezweifle. "Keinem" ist ein guter Kompromiss, das liest sich flüssiger als "niemandem". Dann änder ich die beiden Sachen jetzt mal.
Danke!
lg

 

Hallo Maria,
danke fürs Lesen und das Feedback-Schreiben!
Ja, ich weiß, das mit dem gewissen Etwas! Daran arbeite ich noch! :-) Wird sich in die Länge ziehen, habe ich so den Eindruck...
Ich denke allerdings, dass ich diese Geschichte so stehen lasse. Du bist nicht die einzige, die angemerkt aht, dass die Geschichte keinen so richtigen Höhepunkt hätte. Ich dachte mir, dass es schon ungeheuerlich (und ein Höhepunkt) ist, wenn die vom Opa finanzierte Nichte seine Übergriffe bei der Totenrede thematisiert. Allerdings kann man darüber diskutieren. Ich persönlich bin auch allerdings eher ein Fan von Geschichten mit einprägsameren Höhepunkten, das gebe ich zu.
Lg und danke nochmal!

 

Hallo Marlene

Ich kann mich den positiven Kommentaren nur anschließen.

Besonders schön herausgestellt hast du die Doppelzüngigkeit der Dorfbewohner, gerade zum Ende hin, wenn Renates Rede kommentiert wird - zunächst noch leise gemurmelt, aber am Schluss, wenn Renate die Kirche verlassen hat und die Bewohner wieder "unter sich" sind, doch ganz offen. Dabei offenbaren sich nicht nur eigene engstirnige Ansichten:

„Und trotzdem liegt`s auf geweihtem Boden“, stimmte der Tirler Schorsch zu.

sondern auch dunkle Geheimnisse:

„Von wegen Unfall. Tabletten hat`s g´nommen“, zischte der Müller-Sepp.

„Ich hab` gehört, er hat`s auch bei ihr probiert. Und nicht nur einmal.“

Die Wahrheit erfährt der Leser nicht, das gefällt mir, haben die Aussagen so in der Form den Gehalt von Gerüchten - obwohl man natürlich weiß, dass dahinter nur allzu oft ein Körnchen Wahrheit steckt.

Trotz der Kürze des Textes hast du die Bewohner wirklich toll beschrieben. Unterstrichen wird das durch den gesprochenen Dialekt und die Nennung der Namen in der Reihenfolge Nachname - Vorname. Das gibt dem Text ein schönes Lokalkolorit. Auch wie du sie zu Beginn mehrfach als Krähen bezeichnest finde ich gelungen - wie eine Schar, die auf ein Opfer wartet, auf das sie einhacken können :)

Ich finde, mit der Länge und den Andeutungen passt das ganz gut. Na gut, einen Tick länger und vielleicht noch die eine oder andere Andeutung mehr hätten es gerne sein können, die Idee mit der Grabrede und den Kommentaren der Bewohner dazu gefällt mir nämlich ziemlich gut, sowie deine Beobachtungsgabe und die eher subtile Herangehensweise.

Insgesamt ist dir da ein kluger Text gelungen, der in seiner Kürze sowohl lustige als auch tragische Elemente enthält und dabei das Wesen einer solchen Dorfgemeinschaft einfängt.

Grüsse,
Schwups

 

Hallo Schwups,

danke erstmal für dein Feedback! Ich freue mich immer sehr, wenn jemand meine Texte liest.
Was die wenigen Andeutungen betrifft, da kann stimme ich dir zu.
Allgemein wird ja gesagt, dass man über das schreiben soll, was einem auch gefällt (zumindest in meiner Schreibschule wird das so dargelegt), auch aus dem praktischen Gesichtspunkt, dass sich damit dank der Lese-Erfahrung leichter tut. Komischerweise habe ich als Verfasserin hier viel mit Andeutungen und dem Nicht-Gesagten gearbeitet, mag das aber als Leserin nicht so wirklich. Ich habe es lieber, wenn die Sache beim Namen genannt wird, ohne dass ich als Leserin lange herumrätseln und heruminterpretieren muss, was der Autor jetzt wieder wohl gemeint haben wird. So nach dem (überspitzten) Motto: Zack, bum, basta. Dass ich hier genau das Gegenteil mache, ist eigentlich widersprüchlich. :-)
Vielleicht liegt es daran, dass ich die Geschichte aus dem Bauch und in einem Rutsch geschrieben habe (Überarbeitungen nicht miteingerechnet). Ich weiß zwar, was mit Renate vorher passiert ist, habe mir das aber nicht bis ins kleinste Detail überlegt.
Dann werd ich mal weiterschreiben.
Schönen Abend noch!
Marlene

 

Hallo Marlene,

deine Geschichte mag ich. Es gibt auch nicht viel zu kritisieren.
Einzig stört mich ein bisschen, dass die Enkelin in ihrer Ansprache wie eine Aussenstehende wirkt.

„Dank Arnold Kofler und seiner Frau Herta hatte ich nach dem plötzlichen Tod meiner Mutter ein Dach über dem Kopf und die Möglichkeit, die Oberschule in Bozen und die Universität in Berlin zu besuchen.

Ich finde es seltsam, dass deine Figur von ihrer Oma als "seine Frau Herta" spricht. Auch wenn es Konflikte innerhalb der Familie gibt, ist die "Enkelin" ein Teil davon und kann sich nicht entziehen.
Das sollte für mich auch in der Sprache zum Ausdruck kommen.

Ansonsten, weiter so!

WPunkt

 
Zuletzt bearbeitet:

Salü Marlene

Ja ein feines Heimatstück vom Land ist dir gelungen, zeitlos und tiefblickend, mit kluger Wortwahl und trefflichen Dialogfetzen, vermittelt es mir doch hautnah die "wahre" Geschichte hinter der Episode in der von falschen Gesichtern mit verachtenden Blicken gefluteten Kirche.
Interessanterweise empfand ich - entgegen WPunkts Empfinden - die kühle Distanziertheit in Renates Rede als bewusste Absicht, mit ihrem "Wohltäter" und dessen bigotter Entourage stilvoll abzurechnen.

Hat mir sehr gut gefallen, auch der Lokalkolorit, der in deiner Erzählung mitschwingt, versetzt einem gleich in die richtige Stimmung.

Gerne gelesen,
liebe Grüsse dot

 

Liebe Marlene,

hier erst ein paar Anmerkungen direkt zum Text:


Renate Kofler hielte einen Augenblick inne, strich sich eine hellbraune Strähne aus dem Gesicht und schaute in die Runde.
Da ist etwas zuviel.

Sogar in den hinteren Reihen waren Renates ebenmäßige Gesichtszüge zu erkennen.
Dieser Satz hat für mich keine Logik. Was willst du damit sagen? Dass sie ein bis in die hinterste Bankreihe strahlendes ebenmäßiges Gesicht hat? Andere Gesichter sieht man demnach nicht bis in die letzte Reihe - und wenn, warum nicht? Weißt du, dieses sogar impliziert, das irgendetwas anders ist als normal. Aber was das ist, verheimlichst du mir in dem Satz.

„Auch als seine Tochter Franziska bei einem tragischen Unfall ihr Leben lassen musste, erklärte sich Arnold Kofler bereit, ihre Tochter Renate, mich, bei sich aufzunehmen wie sein eigenes Kind.“

Ich werde mit dieser Wortwahl nicht warm, andere hatten ja auch schon ihre Probleme. Wie sein eigenes Kind musst du unterbringen, aber vielleicht könntest du etwas eleganter werden, z.B.

Auch als seine Tochter Franziska bei einem tragischen Unfall ihr Leben lassen musste, erklärte sich Arnold Kofler bereit, mich, seine (x) Jahre alte Enkelin Renate, bei sich aufzunehmen wie sein eigenes Kind.

„Dank Arnold Kofler und seiner Frau Herta hatte ich nach dem plötzlichen Tod meiner Mutter ein Dach über dem Kopf und die Möglichkeit, die Oberschule in Bozen und die Universität in Berlin zu besuchen.
Da passiert für mich zuviel in einem Satz, entzerre den mal ein wenig. Das Dach über dem Kopf bezieht sich doch auf das Haus von den Großeltern. In zitiertem Satz könnte man auch meinen, dass Renate nie bei den Großeltern war, sondern gleichzeitig in Bozen und Berlin. Vielleicht reicht ein: ... Kopf und im Laufe der Zeit die Möglichkeit, die ...


Dank der Unterstützung meines Großvaters durfte ich die Fachausbildung zur Kinderärztin in den USA machen, wo ich seit einigen Jahren praktiziere.“

besser gefiele mir: Dank der Unterstützung meines Großvaters durfte ich in den USA die Fachausbildung zur Kinderärztin absolvieren, wo ich seit einigen Jahren praktiziere.“


In die Stille hinein sagte die Tirler-Mitzi: „Tot ist er. Jetzt tut er keinem mehr was, der alte Gockel.“
Das finde ich so klasse und ich kann mir diese Mitzi dazu richtig vorstellen mit Dirndl, roten Wangen und geflochtenem Zopf, der rund um den Oberkopf drapiert wird.

Für mich fiel der Begriff Bleistiftrock noch etwas aus dem Rahmen, wenn ich länger darüber nachdenke. Enger Rock würde mir genügen - oder statt Blazer und Bleistiftrock einfach ein schlichtes Kostüm. Naja, auch nicht gar so wichtig, ich wollte es aber erwähnen.

Ich war wirklich in der Kirche drin, obwohl du keine Details über das Gotteshaus als solches geschrieben hast, alleinig nur die Kommentare der Besucher oder die Gesten vom Pfarrer (halb aufstehen, hoch gezogene Schultern etc.) haben mir gereicht, um einzutauchen bzw. von déjà-vues eingeholt zu werden.

Eine kleine, nachdenkliche Geschichte mit passenden wörtlichen Reden (Dialoge sind es ja keine) ist dir hier gelungen. Hoffentlich sind solche Göckel mittlerweile nicht mehr auf jedem Misthaufen zu finden.

Ich freue mich auf mehr von dir.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hi Krips,

ich bin zwar nicht Marlene, aber ich äußere mal meine Sicht als Leser:


WAS hat er denn nun so fürchterliches verbrochen, daß er so einen gehässigen Nachruf verdient hat?
Das verstehe ich schon einmal nicht. Was ist denn an dem Nachruf von Renate gehässig? Die einzigen interpretierbaren Worte, die negativ sind, sind folgende:
So manch einer Versuchung hat auch Arnold Kofler nicht widerstehen können, vor so manchen Sünden ist er nicht verschont geblieben,
ja mei, aber da könnte sie auch mal ein Bier zuviel oder Fleischessen am Freitag damit meinen, egal, die Liste der Dinge, die als Versuchung oder Sünde gelten, ist ja ellenlang.
Ansonsten ist der Nachruf von ihr durchzogen von seinen Leistungen; Renate hat sich bewusst sehr neutral verhalten. Es war gar nicht nötig, die Dinge beim Namen zu nennen, weil es jeder wusste.

Was das ganze gehässig macht sind die Kommentare der Einwohner, und das ist ja die Krux an der Sache. Viele wissen von dem Inzest*, keiner macht was dagegen, aber man schwatzt darüber. Und die Renate kann (muss nicht) ein Opfer davon sein, ihre Mutter aber sicher. Er versucht sich mit der guten Ausbildung der Enkelin rein zu waschen.

Ich kenne das noch aus meinem Dorf (zwar auch schon 40 Jahre her), dass man hinter hervor gehaltener Hand gemunkelt hat, dass ein bestimmter Vater öfters mit seinen Töchtern ... irgendwann war er dann auch mal im Knast. Aber das Gemunkel war schon Jahre vorher. Es ging lange, bis mal jemand die Polizei holte.

In diese Richtung geht auch dieser Text. Das Dorf trägt es mit - es ist ja auch der Bürgermeister, den kann man ja sowieso nicht verraten.

* Du kannst mich zurecht fragen, wo ich das herauslese. Ich kann dir keine konkrete Textstelle nennen, es ist einfach das Gesamte, was mich dazu verleitet. Und wenn du es anders lesen möchtest, ist es auch in Ordnung. Das ist doch (manchmal) das Schöne an Worten, dass sie jeder so interpretieren kann, wie er mag und das natürlich auch damit einhergeht, aus welchem gesellschaftlichen Hintergrund man kommt.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo Marlene,
" vor so manchen Sünden ist er nicht verschont geblieben, aber er hat versucht, alles auszugleichen durch seine finanzielle Großzügigkeit, die bis nach seinem Tod anhält."

Sehr schön, wie das kommt: zur emotionalen Ausbeutung kommt flankierend die Schaffung finanzieller Abhängigkeiten, das geht Hand in Hand. Er erleichtert sein Gewissen, die Opfer sind dankbar und folgsam. Leider sterben solche Leute meist zu spät, die Opfer haben ihr Leben fast gelebt, wenn sie frei werden, wenn überhaupt, gehen sie bis zum Schluss mit "klackenden Schritten".
Mir gefällt es, wie hier Stimmung eingefangen ist, die erläuternden Zwischenbemerkungen sind fast nicht nötig, um mitzubekommen, worum es geht.

Herzliche Grüße Set

 

Hallo Marlene

Meine Hemmung als Leser an diese Geschichte heranzutreten, war der Titel, dabei erwies er sich symbolisch durchaus als treffend.

Wie eine Schar verirrter Krähen hockten sie in den Kirchenbänken, und immer mehr Leute drängelten nach vorne: ein krächzender Schwarm, der den Sarg aus hellem Pappelholz umringte und ihn zu überrennen drohte.

Mit diesem Satz war ich dann vereinnahmt, das Bild, welches er mir eröffnete, sprach die dunkle Seite meiner Seele mit erhellender Heiterkeit an.

Die junge Frau in Blazer und Bleistiftrock schritt die Stufen zum Rednerpult empor.

Hier stockte mein Blick, obwohl das geschaffene Bild durchaus angenehm ist. Auch wäre es mir vermessen, Paul Poiret, der den „Bleistiftrock“ vor einem Jahrhundert kreierte, und Dior, der ihm später zum modischen Durchbruch verhalf, infrage zu stellen. Nur für die deutsche Bezeichnung, dafür konnte ich mich nie erwärmen. Elegant, körperbetont, wäre eine sympathischere Definition.

„Arnold Kofler...“ begann sie.

Leerschlag vor Auslassungspunkten sowie Komma nach abschliessendem Anführungszeichen:
„Arnold Kofler ...“,

Die Raffinesse an der Geschichte war mir, dass es unausgesprochen bleibt und dennoch klar zutage tritt, was Sache ist. Die Abrechnung mit ihrem Grossvater nimmt die Frau souverän vor, dies derart aufzubauen, finde ich exzellent. Dennoch fehlt mir etwas, nicht direkt ein Höhepunkt, der scheint mir in der Sache gegeben zu sein, doch die Wandlung lässt sich nur schwach herauslesen. Sie ist schon da, mehr zu erahnen, dass vorgehend salbungsvolle Reden gehalten wurden. Da diese nicht expliziter auftreten, kommt das Gefälle nur gering zum Ausdruck.

Ungeachtet meiner abschweifenden Gedanken habe ich die Geschichte gern gelesen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

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