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Alpha O'Droma - Der Zeitungsjunge

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28.05.2001
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Alpha O'Droma - Der Zeitungsjunge

Der Zeitungsjunge

Ich trage Zeitungen aus. In Kreuzberg.
Mein Name ist Fasal.
Klingt irgendwie nach Bombenleger, ich weiß. Kann ich nix für.
Geht auch nicht wirklich um mich. Es geht um die Geschichte. Um das Leben.
Ihr wollt immer alles hören, hier in Europa, über alles reden, als wäre euer Leben eine Talkshow und man könnte alles ausdiskutieren.
Kann man nicht.
Alle hier fühlen sich viel zu sicher, egal ob sie in spießigen Doppelhaushälften, defätistischen Hinterhauslöchern oder in einer hippen Yuppie-Eigentumswohnung in Mitte leben. Ihr fühlt euch sicher vor dem Leben, weil ihr alle mit dem echten Leben nichts mehr zu tun habt.
Ist outgesourced, endgelagert, zu besichtigen in prolligen Reality-TV-Formaten.
Wirkliches Leben ist anders, schmeckt nach Blut, Schweiß und Kot.

Ok, hier ist die Geschichte:

Wenn dich jemand gefoltert hat und du hast das zufällig überlebt, bleiben nur drei Möglichkeiten:
1. Du verdrängst es und gehst deiner Wege
2. Du findest ihn und tötest ihn
3. Du findest ihn und folterst ihn wie er dich gefoltert hat

Natürlich existiert die Möglichkeit von Abweichungen, doch diese drei Möglichkeiten decken deine drei möglichen Geisteszustände auf:
1. Du bist eine Lutschpuppe
2. Du bist gesund
3. Du bist genau so krank wie er

Besagte Abweichungen entstehen durch oft unwillkürliche Mischformen von 1 bis 3.
Was, wenn du ihn töten willst, aber nicht finden kannst?
Dann bist du geistig gesund, aber dennoch eine Lutschpuppe.
Was, wenn du ihn foltern willst, aber ihn nicht finden kannst?
Dann bist du eine kranke Lutschpuppe!
Was, wenn du ihn findest und nicht töten oder foltern kannst?
Dann bist du seine ganz persönliche Lutschpuppe und lutschst ihm am besten seinen Schwanz, denn dann bist du nicht nur ein Schwächling, sondern auch ein echt kranker, co-abhängiger Zombie.
Ich war 14 Jahre alt, als ich all dies lernte.

So ist das und nicht anders.

Jetzt gibt es die Philanthropen, die argumentieren, dein Folterer sei doch krank und die Gesellschaft müsse ihm helfen. Dass Inhaftierung irgendetwas nütze. Therapien. Resozialisierung. Die haben alle keine Ahnung. Die sind noch nie gefoltert worden. Die wissen nicht, wie nah sich Folterer und Gefolterter kommen. Das ist intim. Nicht nur so oberflächlich intim wie ein Fick! Es entspricht der Defloration, dem allerersten Mal. Jahre später kann man vielleicht darüber sprechen, Jahrzehnte später darüber gar scherzen, doch in den unmittelbaren Jahren danach existiert nichts Todernsteres, nichts Heiligeres als der erste Fick.
In gewisser Weise ist Folter sogar noch intimer. Von deiner Entjungferung erzählst du wenigstens deinem besten Freund oder deiner besten Freundin. Von deiner Folterung erzählst du keiner Menschenseele. Du schämst dich still.

Die syrische Gemeinde in Berlin ist überschaubar, die meisten flohen vor Assads Truppen in den Libanon, wo sie dann zu Hunderttausenden in Zeltstädten lebten. Viele Monate lang. Die westlichen Länder nehmen immer nur wenige von uns auf, wohl aus Angst, mehr könnten kommen, und so war es ein absoluter Glücksfall, ein Lottogewinn, dass Deutschland mich als Asylanten aufnahm. Ich landete in einem Lager in Berlin, als einer von 50 Flüchtlingen zog ich unter Polizeischutz in ein ehemaliges Schulgebäude in Berlin-Hellersdorf, begleitet von viel Krawall seitens der Anwohner, von denen ein beträchtlicher Anteil Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel trug, also sparte ich mein bescheidenes Taschengeld für eine Waffe.
Nach gut drei Monaten hatte ich 150 Euro für eine alte Mauser beisammen. Die sah irgendwie archaisch aus, so nach Zweiter Weltkrieg, vielleicht war sie sogar so alt, aber sie funktionierte und kam mit genug Munition, sollte mir ein Rudel Neonazis blöd kommen.
Ich habe zweieinhalb Jahre gegen Assads Truppen gekämpft, da machten mir ein paar unterbelichtete jugendliche Faschos keine Angst, die sollten es nur versuchen!
Sie versuchten es nie ...

Pläne machte ich, für die Zukunft. Ich würde genug Geld verdienen und dann zurückkehren und ihn finden. Ihn dann erwischen, wenn alles vorbei war und er am wenigsten damit rechnete, alles malte ich mir in den schönsten Farben aus, doch es sollte alles völlig anders kommen.

Ich sah Abdulhadi durch Zufall in der S-Bahn.
Fast hätte ich mir in die Hose geschissen. Meine Angst war so unmittelbar und körperlich, dass ich eine Weile brauchte, um mich zu sammeln. Dabei half, dass ich mir nicht ganz sicher war, ich hatte ihn schließlich nur zweimal im Halbdunkel sehen können, als wegen der Schläge meine Augenbinde verrutscht war, doch sein kalter Blick hatte sich eingebrannt, das hier war Abdulla - wie ihn die anderen Wärter nannten - Abdulhadi war sein voller Vorname. Das erfuhr ich einmal, als es mir gelang, ein Gespräch zu belauschen. Man hatte mich bis zur Ohnmacht gefoltert und dachte, ich sei noch immer bewusstlos, Abdulhadi, das bedeutet "Der Knecht des Rechtleitenden" - wie passend für einen Folterknecht Baschar al-Assads!
Die S-Bahn war voll, also näherte ich mich vorsichtig. Angst dass er mich erkennen könnte, beschlich mich kaum. Mittlerweile war ich 17 Jahre alt, einen Kopf größer als damals und trug einen Bart. All die Verbrennungen, Schnitte, Narben, die das Schwein mir zugefügt hatte, waren unter meiner Kleidung verborgen. Das Gesicht lassen sie stets aus, keine harten Schläge, die nicht schnell heilen, vielleicht zahlt einer Lösegeld und man kommt wider Erwarten frei, da muss man ja präsentabel sein, falls irgendjemand Fotos macht.
Der menschliche Körper bietet genug andere schmerzempfindliche Stellen ...

Am Alexanderplatz stieg er um.
Ich folgte ihm in sicherem Abstand hinunter zur U-Bahnlinie 8, stieg einen Waggon hinter ihm ein. Er fuhr bis zur Endstation Hermannstraße und betrat dort ein in der Oberlandstraße liegendes Wohnhaus, ging nach hinten in einen Hof, dann schloss sich die Eingangstür und ich wagte nicht, ihm noch weiter hinterher zu gehen, das würde vielleicht auffallen.
Den ganzen Abend verbrachte ich dort, er kam nicht heraus. Zuversichtlich, seinen Wohnort gefunden zu haben, schmiedete ich Pläne, doch wie sicher konnte ich sein, dass er nicht nur irgendwo zu Besuch war, dass ich ihn nicht wieder verlöre in dieser großen Stadt?
Zur Sicherheit verbrachte ich die ganze Nacht dort, an einen Baum gelehnt, den Hauseingang nicht aus den Augen lassend.
Erst am Vormittag des nächsten Morgens verließ er das Gebäude, ging zu einem Kiosk, um Zigaretten zu holen. Zigaretten! Nicht dran denken!
Mir fiel dabei auf, dass er ein anderes Hemd trug als am Vortage - jetzt war ich sicher: hier würde ich ihn wiederfinden! Mutig schritt ich auf ihn zu und bat ihn in meinem damals noch gebrochenen Deutsch um eine Zigarette.
Eine verächtliche Handbewegung war die Antwort: "Fuck off!"
Diese Stimme! Nun hatte ich die absolute Gewissheit.
Abdulhadi, der Knecht des Rechtleitenden stand vor mir. Ein mürrisches "Sorry" grunzend, tat ich wie mir geheißen und verpisste mich. Abdulhadi hatte mich nicht erkannt, ja kaum mehr Notiz von mir genommen als von einer lästigen Fliege, die kurz auf seiner Stirn landet, um sogleich weiter zu surren.
Perfekt!
Bester Laune fuhr ich ins Asylheim und schlief den ganzen Tag.
Zufrieden und ohne irgendwelche Albträume!

Wenn dich jemand gefoltert hat und du hast das zufällig überlebt, bleiben nur drei Möglichkeiten:

1. Du verdrängst es und gehst deiner Wege
2. Du findest ihn und tötest ihn
3. Du findest ihn und folterst ihn wie er dich gefoltert hat

Abgepasst habe ich ihn zwei Tage später auf seinem eigenen Hinterhof. Lautlos sackte er zusammen, als ich ihm die Waffe über den Schädel zog. Dann zerrte ich ihn in eine dunkle Ecke hinter den Mülltonnen, fesselte und knebelte ihn mit Gaffa-Tape.
Ich denke, ich habe einen guten Mittelweg gefunden: ich zündete mir eine seiner Zigaretten an, sog genüsslich daran und blies dann sanft auf die Spitze, so dass die Glut sich von fahlem Rosagrau in grelles Neonorange verfärbte – Vorbote des sengenden neonorangefarbenen Schmerzes. Ich habe gelächelt und die Angst in seinen Augen gesehen. Das Erkennen.
Er wusste, dass ich dazu fähig war, war überzeugt von seinem mit unvorstellbarer Pein gekommenen Ende. Ich weidete mich an dieser seiner Erkenntnis.
Dann drückte ich ab. Zweimal. Ich weiß nicht, ob es die Aufregung war oder ich ein beschissener Schütze, aber er lebte immer noch. Die erste Kugel hatte sein Herz verfehlt und saß wohl als Steckschuss in seinem linken Lungenflügel. Die zweite hatte seine Bauchhöhle durchschlagen und hatte ihm ein alternatives Arschloch verpasst. Würde ihm leider nicht mehr von Nutzen sein, denn das Blut aus der Eintrittswunde glänzte pechschwarz. Angesichts dieser Erkenntnis überlegte ich kurz, ob ich es dabei beließe, doch das hätte bedeutet, dass ich unfähig wäre, Verantwortung zu übernehmen. Er oder ich!
Hätte er das überlebt, er hätte mich ohne Frage gefunden. Und auch getötet – hoffentlich. Gewiss jedoch zuvor ausgiebig gefoltert. Ein Hund kläffte. Oben ging ein Fenster auf.
Wenn man so intim war wie wir beide, macht man einander nichts vor. Hätte ich ihn jetzt den Bullen und den Ärzten übergeben, hätte er gesiegt. Er hätte gewusst, dass ich nur eine feige kleine Lutschpuppe bin. Außerdem, wie sollte ich alles beweisen? Ich dachte das, er dachte das und jeder wusste, was der andere dachte. Er wimmerte. Ich lächelte, zog kurz seine Hoden in Erwägung und entschied mich dann doch, ihm mitten ins Gesicht zu schießen. Seine Kieferknochen spritzen in alle Richtungen und er klappte nach hinten. Trotz des konvulsivischen Zuckens seines Körpers blieben seine Augen geöffnet. Sie sahen mich an. Der Kerl lebte immer noch. Verdammt! Ich leerte den Rest des Magazins in seinen Schädel, um sicher zu sein.
Oben schrie eine Frau und ein Mann brüllte, er riefe sofort die Polizei.
Ich rannte durch den Hinterhof, sprang über die Mauer in den Nebenhof und zog meine Handschuhe aus, stopfte sie in meinen kleinen Rucksack.
Es war Sommer, ein schöner Tag, ein perfekter Tag, ich erwischte den Bus, kaum dass ich die Hermannstraße erreicht hatte. Nach zwei Stationen stieg ich aus.
Die alte Mauser in einer Aldi-Tüte noch an der Haltestelle in den Mülleimer geworfen - dann in ein Taxi gesprungen, Kurzstrecke, fünf Euro passend – runter in die U-8 – am Alex einmal quer durch den Kaufhof - rasiert in der Toilette dort, ein paar Blutspritzer, aber nur auf der Jacke, nicht auf den Jeans, gut! Klamotten gewechselt, Handschuhe, Jacke und Basecap in eine zweite Aldi-Tüte gestopft und diese in einen zuvor ausgespähten Müllcontainer geworfen - ab in die S-Bahn, jetzt ein frisch rasierter Typ ohne Jacke oder Basecap, nur in einem bunten T-Shirt – Schleichweg durch den Park zum Asylheim und ich war frei.

Frei von ihm!
Frei von mir?

Die Zeit wird es zeigen.

Das Leben ist schön, ich habe genug zu Essen, Kleidung und sogar eine eigene kleine Wohnung. Seit kurzem bin ich volljährig, mache das Abitur auf der Abendschule. Eines Tages will ich Germanistik und Arabistik an der FU studieren, aber ein Schritt nach dem anderen! Ich schlafe jetzt nachts durch. Keiner schlägt mich oder schießt auf mich.

Wer könnte sich mehr erträumen?

Mein Name ist Fasal und ich trage Zeitung aus.

 
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Hallo Alpha,

Ich folgte ihm in sicherem Abstand hinunter zur U-Bahnlinie 8, stieg einen Waggon hinter ihm ein. Er fuhr bis zur Endstation Hermannstraße

Die U8 fährt gerade nicht durch bis zur Hermannstraße, sondern nur bis zur Boddinstraße, wegen Bauarbeiten oder so.


Ich leerte den Rest des Magazins in seinen Schädel, dass er aussah wie eine Pizza Margherita mit doppelt Tomate.

Der Text hat einen satirischen Ton. Da geht es los mit diesem Hammerzeugs, echt ewig lang, und ich denk so okay … was ist denn der Scheiße-ich-bin-gefeuert-Hammer? Das ist nicht der Hammer. Das ist einfach nur Scheiße. Das hat nichts mit Hammer zu tun. Ich kann nicht folgen.

Auf jeden Fall … der Text nimmt sich nicht Ernst, wie er ein ernstes Thema behandelt, und dann kann ich den Text dann auch nicht wirklich Ernst nehmen. Hart du wirklich versucht, dich in einen 17-jährigen Syrier hineinzuversetzen, der gefoltert wurde? Ne, oder? Das ist eine Satire, die auf Ernst macht. So erzählt ein Syrier seine Geschcihte ganz sicher nicht. Und dann ist der Text … was ist das? Dann müsste es entweder unwahrscheinlich komisch sein, oder er ist halt Propaganda. Hier eine Geschichte über einen der Jungs, den man aufgenommen hat? Kann ich so nicht Ernst nehmen. Dann müsstest du den Ton runterschreuben, dann müsste es etwas weniger Deutsch klingen, dann kannst du nicht mit dem "Hammer" anfangen.
Also ich wohn gerade in Kreuzberg in einem alternativen linken Wohnprojekt (das klingt vieeeel abgefahrener als es das tatsächlich ist … :) ist halt billig wohnen und ich kenn paar Leute hier und die haben das abgecheckt für mich und alles gechillt). Aber ich bin auf jeden Fall im "Zentrum des Geschehens" und ja … gibt halt immer wieder mal ne kleine Demo. Sonst krieg ich nichts mit. Vor paar Wochen war ein Flüchtling glaub mal im Haus, keine Ahnung. Der hat was gegessen. Wenn man nahe dran ist … ist man manchmal auch weiter weg.
Du bist gar nicht hier, oder? Weil das Detail mit Hermannstraße nicht stimmt … daher weiß ich das.

Sorry, ich mag die Story nicht wirklich, vielleicht sehen das andere ganz anders. Sprachlich gut, man kann das echt gut lesen und so, aber das Thema und wie das behandelt wird … also das hat schon was Komisches, diese drei Mögichkeiten und so … aber ... so im Gesamtkonzept stimmt da was nicht, finde ich. Der Ton müsste anders sein.


MfG,

JuJu

 

Also Hermannstarße ist die Endstation, ich bin in Neukölln aufgewachsen, da war die Endstation Boddinstraße, die haben es nach der Wende nur bis zum Ring verlängert (da ist auch die Oberlandstraße, kenne jedes Haus da), und die Tatsache, dass man da jetzt gerade wegen Bauarbeiten nicht bis zur Endstation Hermannstraße durchfahren kann, ist völlig unerheblich, denn so exakt ist die Story zeitlich nicht festgelegt.

Ernst hingegen nehme ich deinen Einwand mit der Sprache. Ich bin in sehr viele Entwicklungsländer gereist und habe viele junge Burschen kennengelernt, die mit 14 schon erwachsen waren und mit 20 alte Männer. In Burma, in Afghanistan, im nahen Osten etc.pp. - und am frappierendsten fand ich deren Abstand zu den Gräueln, die sie erlebten, und vor allem zu sich selbst: sie erzählen dir die übelsten Geschichten mit einem Lachen, so wie du einen Witz erzählen würdest. Ist wohl ein Überlebensmechanismus, das Zynische und beinahe satirisch Anmutende ist also durchaus intendiert, aber sprachlich - auch mit vier Jahren Abstand und anderthalb Jahren Deutsch lernen, ist die Sprache vielleicht zu abstrakt, da kannst du Recht haben.
Obwohl gerade sehr junge Asylanten - wenn sie nicht unter sich bleiben - eine neue Sprache in Rekordzeit lernen. Sie haben ja meist auch sonst wenig zu tun...

Aber diesen Kritikpunktfinde ich gut, da habe ich den Ton vielleicht nicht richtig getroffen. Danke!

 

Du willst sie ja unbedingt hören, aber ihr wollt immer alles hören, ihr Europäer, über alles reden, als wäre euer Leben eine Talkshow und man könnte alles ausdiskutieren.

Da steckt einfach zu viel offensichtlicher Zeigefinger drin. Der Autor scheint nahezu überall durch, erklärt noch schnell, wie scheiße die Welt ist. Erzähle doch lieber eine Geschichte, ohne diese Wertungen, dann kann der Leser auch etwas mitnehmen. Nicht das große Drama, das interessiert mich nicht, da kann ich Tagesschau ansehen. Das ist so ein Text, der möchte alles mitnehmen. Noch schnell Folter und hier noch und da noch, und dann wirkt das in der Tat übervoll und auch komisch. Ich finde das sprachlich auch, ehrlich gesagt, nicht so prall. Ich würde das reduzieren, da muss viel mehr Wirkung rein.

Gruss, Jimmy

 
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Servus Alpha O'Droma

Erst gestern hat Fliege die Ausschreibung zum aktuellen „Münchner Kurzgeschichtenwettbewerb“ gepostet:

[…] Diesmal haben wir ein Thema gesucht, das einen klaren zeitlichen - auch politischen - Bezug hat, […] Mit 'Ausweitung der Kampfzone' meinen wir, eine zeitgemäße, passende Vorlage gefunden zu haben.
Was passiert eigentlich gerade in der Welt? Israel rächt den Tod dreier gemordeter - ja, fast Kinder - an hunderten von Palästinensern. Die Ukraine scheint zum Schauplatz eines irren Stellvertreterkrieges zu werden und keiner darf wissen, was die Wahrheit ist. […] Ausweitung der Kampfzone: Wir wollen von euch Geschichten, die den kampfbereiten Menschen zeigen.
(Hervorhebung von mir.)
Sowas gibt’s hier im Forum eigentlich überhaupt nicht, hab ich mir da gedacht. Ich kann mich nämlich echt nicht erinnern, in der letzten Zeit hier etwas gelesen zu haben, das von aktueller und zeitpolitischer Relevanz gewesen wäre. Obwohl es ja wahrlich genug Themen gäbe … Ist das Forum tatsächlich so ein weltfremder Elfenbeinturm, hab ich mich gefragt.
Umso mehr war ich beeindruckt, heute diesen Text von dir zu entdecken, der kam mir beinahe wie eine unmittelbare Reaktion auf Flieges Beitrag vor, bzw. wie die Antithese zu meinen gestrigen Gedanken.
Weil du dir ein wahrhaft aktuelles, schmerzhaftes Thema gewählt hast, ein empörendes, herzzusammenschnürendes, hirnsträubendes Thema.
Wie nähert man sich so einem Thema?
Darf man Wortwitz und Pointen einstreuen? Darf man sarkastisch sein? Stellenweise unernst?
In Wahrheit weiß ich nicht, wie ich mit dem Text umgehen soll. Soll ich ihm vorwerfen, dass er einen beinahe unernsten Unterton hat?
Oder muss ich dem siebzehnjährigen(!) Ich-Erzähler seinen abgebrühten Zynismus zugestehen? Ist es glaubwürdig, dass ein traumatisierter Junge eine derart distanzierte und reflektierte (ja, fast lausbübische) Einstellung zu seiner grausamen Vergangenheit hat? Ist man in diesem Alter wirklich zu solch zynischen Rachefantasien fähig? Und letztlich zu so einem exzessiven Gewaltausbruch? Ich weiß es echt nicht. Jessas, ich hab zwei Söhne in dem Alter, also ich kann das echt nicht leidenschaftslos betrachten, ehrlich, mir wird’s da ganz anders, wenn ich da drüber nachdenke.
Darf ich überhaupt zugeben, dass ich den Text für toll geschrieben halte, auch wenn ich ihn stellenweise als unangemessen empfinde? Zu sehr auf literarischen Effekt zielend? Zu originell sein wollend?
Mit dem Thema hast du mich echt ins Herz getroffen, Alpha O'Droma. Oder in den Magen getreten, tut auf jeden Fall verdammt weh. Die Umsetzung? Ich weiß nicht recht, ich schwanke zwischen nicht adäquat, nicht ganz seriös und brillant. Darfst dir’s aussuchen.

offshore

 
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Hey,
ich finde, es ist kein Problem wegen dem unseriösen Unterton. Man darf bei solchen Themen auch ruhig zynisch sein. ich hab mal irgendwo gelesen, wenn das Thema vglw. banal ist, übertreibt man in der Darstellung besser, wenn das Thema ernst ist, untertreibt man es lieber. Hier kann man ruhig Witzchen machen, hier passt für mich der Kontrast.
Probleme sehe ich bei anderen Punkten.
Der Anfang, das mit dem Hammer, ich verstehe nicht, was das soll. Wieso gehört das in den Text rein? Das ist so ein Autorending, man meint, man hat eine coole Spielerei gefunden und dann reizt man sie aus. Hier im Text, wirkt sie auf mich wie ein Fremdkörper.
Dann auch mit den Europäern, der Text braucht diese Anklagen nicht, du hast ein Thema, dann komm direkt zu der Geschichte. ich meine, der Text kündigt das ja auch an die ganze Zeit, als würde er sich dessen bewusst sein, dass er unnötig rumeiert. Braucht er nicht.
Dann hat das jemand oben gesagt, das ist nicht die Stimme eines siebzehnjährigen, niemals. Da muss das Vokabular angepasst werden. Hier so Zeugs:

mpulserhaltender, kinetische Energie umwandelnder
Vorbote des sengenden neonorangefarbenen Schmerzes
paar unterbelichtete jugendliche Faschos
defätistischen Hartz-IV-Cocoons
Ist outgesourced, endgelagert, zu besichtigen in prolligen Reality-TV-Formaten
unvorstellbarer Pein
konvulsivischen Zuckens
das nehme ich keinem siebzehnjährigen ab.
Ich würds stilistisch auf jeden Fall ein wenig runterfahren.
Es ist auf jeden Fall toll geschrieben, sprachlich 1a, aber passt halt nicht zu der Figur.
Aber Thema und Idee finde ich sehr gut, bin gespannt, ob du das noch überarbeitest.
Grüße,
randundband
a ja, wieso ist eigentlich dein Name im Titel?

 
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"Was willst Du eigentlich erreichen?" (von Tashmetum)

Gar nix, das war eigentlich nur eine Fingerübung, ich war vor 10 Jahren hier mal aktiv mit Kurzgeschichten und habe letztens Mirko (Webmaster) nach langer Zeit mal wieder auf ein halbes Dutzend Bier getroffen und dachte mir so "Och schreib doch mal wieder 'ne Kurzgeschichte".
Also voll blond Tagesthemen verwurstet ohne Sinn und Ziel...

"Der Anfang, das mit dem Hammer, ich verstehe nicht, was das soll. Wieso gehört das in den Text rein? Das ist so ein Autorending, man meint, man hat eine coole Spielerei gefunden und dann reizt man sie aus. Hier im Text, wirkt sie auf mich wie ein Fremdkörper." (von randundband)

Ja, Randyman, da haste mich voll erwischt, da hab ich onaniert und bin zu spät gekommen, völlig berechtigte Kritik, gehört gekürzt oder gar gestrichen! (jimmy haute zu Recht in dieselbe Kerbe)

Danke auch ernst offshore für seine tolle Kritik, der den Text - nomen est omen - ernster genommen hat als ich. Nicht falsch verstehen, ich bin mir der Ernsthaftigkeit des Themas durchaus bewusst, doch fehlt mir - als Satiriker - augenscheinlich der nötige Ernst, um das Thema adäquat zu behandeln. Ich habe halt immer nur den Sinn für das Groteske und - da gehe ich mit den entsprechenden Kritiken konform - das wird dem Sujét nicht immer gerecht, es wirkt daher teilweise unangemessen.

Ein herzliches Dankeschön für die vielen konstruktiven Kritiken, Mädelz!

"a ja, wieso ist eigentlich dein Name im Titel?"
Weil ich hier seit 10 jahren nix mehr gepostet habe und zu blöd dafür bin! :D

 

Ich bin in sehr viele Entwicklungsländer gereist und habe viele junge Burschen kennengelernt, die mit 14 schon erwachsen waren und mit 20 alte Männer. In Burma, in Afghanistan, im nahen Osten etc.pp. - und am frappierendsten fand ich deren Abstand zu den Gräueln, die sie erlebten, und vor allem zu sich selbst: sie erzählen dir die übelsten Geschichten mit einem Lachen, so wie du einen Witz erzählen würdest. Ist wohl ein Überlebensmechanismus, das Zynische und beinahe satirisch Anmutende ist also durchaus intendiert, aber sprachlich - auch mit vier Jahren Abstand und anderthalb Jahren Deutsch lernen, ist die Sprache vielleicht zu abstrakt, da kannst du Recht haben.
Da ist mir eingefallen, was die Geschichte in meinen Augen gut brauchen könnte: Eine ebenfalls abgebrühte links orientierte Oma oder so, die trotz ihrer eigenen, vielleicht eingebildeten Abgebrühtheit erschüttert ist davon, wie der Syrer (laut duden.de ist Syrier mit i eine Nebenform, schade, könnt sonst wieder meckern :D) ihr so vollkommen locker und witzig von der Zunge weg aus seiner Vergangenheit erzählt. Was natürlich die Gefahr birgt, das so ne Art Forrest Gump dabei herauskommt, die müsstest du entweder umschiffen, keine Ahnung wie, oder bewusst dieses Motiv bedienen, z.B. in dem du statt einer Pralinenschachtel ein Folterwergzeugarsenal zeigen lässt oder so.
So in dieser monologischen Form bleibt mir der Junge jedenfalls etwas blass und lieblos konstruiert, plakativ. So löblich es ist, nach zehn Jahren wieder mal was hier zu schreiben, hättest du dir etwas mehr Mühe geben können, finde ich. Überhaupt – für eine Fingerübung so ein Thema herzunehmen, ist das nicht zynisch?

 

Servus Alpha, alte Saftschnecke!

Immer noch lebendig? Herrlich. Und mal gleich wieder einen Alpha-Text rausgehauen. Was ist ein Alpha-Text? Nun, er polarisiert. Du hast das Thema auf den Tisch gelegt und nun treffen sich die Leute drum herum und sortieren sich nach der jeweiligen Auffassung am Nord- und am Südpol des Tisches. Bei buji damals war es aber oft extremer. Na gut ... sprachlich ein Alpha. Ganz klar.

Das Ganze kann man natürlich auch anders erzählen. Hier ist mir aber wichtig: Es WURDE erzählt. Und zwar so, dass gleich mal darüber diskutiert wird, und nicht alle hier dem Autor auf die Schulter klopfen und morgen wieder zu Aldi gehen.

In dem man zu viel Satire anmahnt oder die falsche Sprache für nen Siebzehnjährigen (wobei man ja nicht alle Sprachen aller Siebzehnjährigen kennt), hat man sich ja schon wieder vom Thema entfernt und dem Autor zugewandt. Das könnte durchaus auch ein Teil von Alphas Strategie sein, also Vorsicht, Kritiker. Man ist da schneller auf dem Glatteis, als einem lieb sein kann.

NICHTS darüber zu schreiben, ist auch nicht gut. ETWAS darüber zu schreiben dagegen schon.

Egal, wie er es schreibt, das Thema ist allgegenwärtig und äußerst ernst. Jedes Hirn ist fähig, den Mantel der Satire oder nicht adäquaten Sprache zu heben, um den Kern zu sehen. Und da bleibt nur der Blick in den Spiegel, der da heißt: Und was tun wir?

Heiko

 
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Nee, er warnt ja explizit vor mir! :lol:

Habe jetzt mal überarbeitet, den ganzen Hammerkram am Anfang gestrichen, den erhobenen Zeigefinger aber drin gelassen, die Sprache etwas abgeschliffen, die sehr satirisch anmutenden Ecken wie Pizza Margerita abgerundet.

Eine Oma werde ich nicht einfügen, überhaupt wollte ich einen völlig isolierten und auf sich selbst zurückgezogenen Menschen zeichnen. gerade bei den syrischen Flüchtlingen gibt es ja zwei Gruppen (also bei den Widerstandskämpfern), nämlich sehr die islamisch bis islamistisch geprägten - die bilden ihre eigene Community oder mischen sich in die vorhandene - aber dann existieren da auch die eher westlich orientierten, die eben nicht im mokkafarbenem Hauskleid mit Allahu-akbar-Bart und selbst gehäkeltem Teewärmer auf dem Kopf rumrennen. Die würden meist gern Teil unserer Gesellschaft werden, die wünschen sich Nike-Runners, Lewis-Jeans und einen I-Pod, einfach eine ganz normale globalisierte Kackbratze zu sein.

Ich beobachte gern Menschen. Berlin ist perfekt dafür, hier gibt es das ganze Spektrum. Oft sehe ich jemanden - in meinem Falle kam ich morgens um 5 nach Hause und traf einen Zeitungszusteller, keine 20 und offensichtlich aus dem arabischen Raum. Ich wünschte ihm einen guten Morgen und kaufte ihm eine Zeitung ab (abonniere nix und im Haus wohnen auch keine Arschlöcher, denen ich sie ohne schlechtes Gewissen geklaut hätte), man sprach 2 Sätze, sein Deutsch war das eines Jungen, der noch nicht lange hier ist. das war schon alles, man macht sich dann so seine Gedanken, wie einer aus den Nahen Osten dazu kommt, in Berlin Zeitung auszutragen, was für Scheiße der wohl erlebt hat...

Mehr braucht es nicht für eine Geschichte, ich bin lediglich aus der Übung, habe über 10 Jahre nur Romane geschrieben, weshalb ich mich wahrscheinlich jetzt etwas ungeschickt anstelle, die Entwicklung eines Protagonisten derart zu verdichten. Wollte damit nichts besonderes aussagen oder bewirken, Tagespresse floss mit ein, achja und ich bringe gern Arschlöcher um. Da mir das privat nicht vergönnt ist, muss in jeder Story wenigstens einer sterben...

Und nochmal zur Sprache: nachdem ich einiges geändert habe, bleibt es offen, ob er die Geschichte einem fiktiven Zuhörer erzählt, oder ob es sich nicht um seine Gedanken handelt. Vielleicht sinniert er über all das in Arabisch und ich hab es nur in Deustch geschrieben, weil mein Arabisch so beschissen ist ... ? :D

Edit:
Hi flammbert, es war KEINE Affekttat. Er bringt ihn erst zwei Tage später um, d.h. er hat das alles geplant, einen kleinen Rucksack (Citybag, wie nennt man die Dinger?) mit extra Sachen dabei, z.B. Rasierzeug, um sein Äußeres schnell zu verändern, er hat das alles gut vorbereitet.
Danke auch dir (und den Vorrednern) für eure Kritik!

 

Hallo Alpha,

schön, mal wieder was von dir zu lesen.

Mir gefällt die fast schon nüchterne Art deines Protagonisten, weil sie den Ernst des Hintergrundes damit gut unterstreicht.
Ein paar Mal hätte ich mir deutlich mehr Sarkasmus gewünscht, aber ich glaube, das wären nur Effektheischereien.
Das hat der Plot nicht nötig.

Der Anfang der Geschichte ist mir zu weit entfernt von der eigentlichen Erzählung, ich würde alles, was an Wichtigem gesagt werden muss, mit in die Geschichte packen, die sofort beginnen sollte.

Seine Aufzählungen, was es für Reaktionsmöglichkeiten gibt, würde ich stark einkürzen. Zwischendrin dachte ich, dass nicht klar wird, wohin diese Reise gehen soll. Da verliert sich dein Protagonist in Satzspielereien, die man ihm nicht abnimmt. Ich meine diesen Absatz:

Besagte Abweichungen entstehen durch oft unwillkürliche Mischformen von 1 bis 3.
Was, wenn du ihn töten willst, aber nicht finden kannst?
Dann bist du geistig gesund, aber dennoch eine Lutschpuppe.
Was, wenn du ihn foltern willst, aber ihn nicht finden kannst?
Dann bist du eine kranke Lutschpuppe!
Was, wenn du ihn findest und nicht töten kannst?
Dann bist du seine ganz persönliche Lutschpuppe und lutschst ihm seinen Schwanz.
Was, wenn du ihn findest, aber nicht foltern kannst?
Das kommt darauf an: wenn du ihn tötest, bist du gesund, verdrängst du es und gehst deiner Wege, bist du nicht nur aus fleischfarbenem Vinyl, sondern auch ein echt kranker, co-abhängiger Zombie.

Der verwässert und wirkt geschwätzig und genau das ist dein Protagonist nicht.


Die Sprache, die dein Protagonist anfänglich spricht, passt zum Teil nicht zu ihm.

defätistischen Hartz-IV-Cocoons oder in einer hippen Yuppie-Eigentumswohnung in Mitte leben. Ihr fühlt euch sicher vor dem Leben

Da mein Vorschlag ja eh der ist, den Anfangsdarling zu killen, breite ich das nicht weiter aus.

falls irgendjemand ein Fotos macht.
das muss entweder ein "s" oder das "ein" weg.

Die zweite hatte seine Bauchhöhle durchschlagen, war von einem Lendenwirbel abgeprallt und hatte ihm ein alternatives Arschloch verpasst.
Ich habe Zweifel, dass er das erkennen kann.

Ich weidete mich an dieser Erkenntnis seiner Erkenntnis.
Ich würde nur schreiben:

Ich weidete mich an seiner Erkenntnis.


Die Geschichte hat mir gefallen.


Lieben Gruß

lakita

 

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