- Beitritt
- 28.05.2001
- Beiträge
- 1.121
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 12
Alpha O'Droma - Der Zeitungsjunge
Der Zeitungsjunge
Ich trage Zeitungen aus. In Kreuzberg.
Mein Name ist Fasal.
Klingt irgendwie nach Bombenleger, ich weiß. Kann ich nix für.
Geht auch nicht wirklich um mich. Es geht um die Geschichte. Um das Leben.
Ihr wollt immer alles hören, hier in Europa, über alles reden, als wäre euer Leben eine Talkshow und man könnte alles ausdiskutieren.
Kann man nicht.
Alle hier fühlen sich viel zu sicher, egal ob sie in spießigen Doppelhaushälften, defätistischen Hinterhauslöchern oder in einer hippen Yuppie-Eigentumswohnung in Mitte leben. Ihr fühlt euch sicher vor dem Leben, weil ihr alle mit dem echten Leben nichts mehr zu tun habt.
Ist outgesourced, endgelagert, zu besichtigen in prolligen Reality-TV-Formaten.
Wirkliches Leben ist anders, schmeckt nach Blut, Schweiß und Kot.
Ok, hier ist die Geschichte:
Wenn dich jemand gefoltert hat und du hast das zufällig überlebt, bleiben nur drei Möglichkeiten:
1. Du verdrängst es und gehst deiner Wege
2. Du findest ihn und tötest ihn
3. Du findest ihn und folterst ihn wie er dich gefoltert hat
Natürlich existiert die Möglichkeit von Abweichungen, doch diese drei Möglichkeiten decken deine drei möglichen Geisteszustände auf:
1. Du bist eine Lutschpuppe
2. Du bist gesund
3. Du bist genau so krank wie er
Besagte Abweichungen entstehen durch oft unwillkürliche Mischformen von 1 bis 3.
Was, wenn du ihn töten willst, aber nicht finden kannst?
Dann bist du geistig gesund, aber dennoch eine Lutschpuppe.
Was, wenn du ihn foltern willst, aber ihn nicht finden kannst?
Dann bist du eine kranke Lutschpuppe!
Was, wenn du ihn findest und nicht töten oder foltern kannst?
Dann bist du seine ganz persönliche Lutschpuppe und lutschst ihm am besten seinen Schwanz, denn dann bist du nicht nur ein Schwächling, sondern auch ein echt kranker, co-abhängiger Zombie.
Ich war 14 Jahre alt, als ich all dies lernte.
So ist das und nicht anders.
Jetzt gibt es die Philanthropen, die argumentieren, dein Folterer sei doch krank und die Gesellschaft müsse ihm helfen. Dass Inhaftierung irgendetwas nütze. Therapien. Resozialisierung. Die haben alle keine Ahnung. Die sind noch nie gefoltert worden. Die wissen nicht, wie nah sich Folterer und Gefolterter kommen. Das ist intim. Nicht nur so oberflächlich intim wie ein Fick! Es entspricht der Defloration, dem allerersten Mal. Jahre später kann man vielleicht darüber sprechen, Jahrzehnte später darüber gar scherzen, doch in den unmittelbaren Jahren danach existiert nichts Todernsteres, nichts Heiligeres als der erste Fick.
In gewisser Weise ist Folter sogar noch intimer. Von deiner Entjungferung erzählst du wenigstens deinem besten Freund oder deiner besten Freundin. Von deiner Folterung erzählst du keiner Menschenseele. Du schämst dich still.
Die syrische Gemeinde in Berlin ist überschaubar, die meisten flohen vor Assads Truppen in den Libanon, wo sie dann zu Hunderttausenden in Zeltstädten lebten. Viele Monate lang. Die westlichen Länder nehmen immer nur wenige von uns auf, wohl aus Angst, mehr könnten kommen, und so war es ein absoluter Glücksfall, ein Lottogewinn, dass Deutschland mich als Asylanten aufnahm. Ich landete in einem Lager in Berlin, als einer von 50 Flüchtlingen zog ich unter Polizeischutz in ein ehemaliges Schulgebäude in Berlin-Hellersdorf, begleitet von viel Krawall seitens der Anwohner, von denen ein beträchtlicher Anteil Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel trug, also sparte ich mein bescheidenes Taschengeld für eine Waffe.
Nach gut drei Monaten hatte ich 150 Euro für eine alte Mauser beisammen. Die sah irgendwie archaisch aus, so nach Zweiter Weltkrieg, vielleicht war sie sogar so alt, aber sie funktionierte und kam mit genug Munition, sollte mir ein Rudel Neonazis blöd kommen.
Ich habe zweieinhalb Jahre gegen Assads Truppen gekämpft, da machten mir ein paar unterbelichtete jugendliche Faschos keine Angst, die sollten es nur versuchen!
Sie versuchten es nie ...
Pläne machte ich, für die Zukunft. Ich würde genug Geld verdienen und dann zurückkehren und ihn finden. Ihn dann erwischen, wenn alles vorbei war und er am wenigsten damit rechnete, alles malte ich mir in den schönsten Farben aus, doch es sollte alles völlig anders kommen.
Ich sah Abdulhadi durch Zufall in der S-Bahn.
Fast hätte ich mir in die Hose geschissen. Meine Angst war so unmittelbar und körperlich, dass ich eine Weile brauchte, um mich zu sammeln. Dabei half, dass ich mir nicht ganz sicher war, ich hatte ihn schließlich nur zweimal im Halbdunkel sehen können, als wegen der Schläge meine Augenbinde verrutscht war, doch sein kalter Blick hatte sich eingebrannt, das hier war Abdulla - wie ihn die anderen Wärter nannten - Abdulhadi war sein voller Vorname. Das erfuhr ich einmal, als es mir gelang, ein Gespräch zu belauschen. Man hatte mich bis zur Ohnmacht gefoltert und dachte, ich sei noch immer bewusstlos, Abdulhadi, das bedeutet "Der Knecht des Rechtleitenden" - wie passend für einen Folterknecht Baschar al-Assads!
Die S-Bahn war voll, also näherte ich mich vorsichtig. Angst dass er mich erkennen könnte, beschlich mich kaum. Mittlerweile war ich 17 Jahre alt, einen Kopf größer als damals und trug einen Bart. All die Verbrennungen, Schnitte, Narben, die das Schwein mir zugefügt hatte, waren unter meiner Kleidung verborgen. Das Gesicht lassen sie stets aus, keine harten Schläge, die nicht schnell heilen, vielleicht zahlt einer Lösegeld und man kommt wider Erwarten frei, da muss man ja präsentabel sein, falls irgendjemand Fotos macht.
Der menschliche Körper bietet genug andere schmerzempfindliche Stellen ...
Am Alexanderplatz stieg er um.
Ich folgte ihm in sicherem Abstand hinunter zur U-Bahnlinie 8, stieg einen Waggon hinter ihm ein. Er fuhr bis zur Endstation Hermannstraße und betrat dort ein in der Oberlandstraße liegendes Wohnhaus, ging nach hinten in einen Hof, dann schloss sich die Eingangstür und ich wagte nicht, ihm noch weiter hinterher zu gehen, das würde vielleicht auffallen.
Den ganzen Abend verbrachte ich dort, er kam nicht heraus. Zuversichtlich, seinen Wohnort gefunden zu haben, schmiedete ich Pläne, doch wie sicher konnte ich sein, dass er nicht nur irgendwo zu Besuch war, dass ich ihn nicht wieder verlöre in dieser großen Stadt?
Zur Sicherheit verbrachte ich die ganze Nacht dort, an einen Baum gelehnt, den Hauseingang nicht aus den Augen lassend.
Erst am Vormittag des nächsten Morgens verließ er das Gebäude, ging zu einem Kiosk, um Zigaretten zu holen. Zigaretten! Nicht dran denken!
Mir fiel dabei auf, dass er ein anderes Hemd trug als am Vortage - jetzt war ich sicher: hier würde ich ihn wiederfinden! Mutig schritt ich auf ihn zu und bat ihn in meinem damals noch gebrochenen Deutsch um eine Zigarette.
Eine verächtliche Handbewegung war die Antwort: "Fuck off!"
Diese Stimme! Nun hatte ich die absolute Gewissheit.
Abdulhadi, der Knecht des Rechtleitenden stand vor mir. Ein mürrisches "Sorry" grunzend, tat ich wie mir geheißen und verpisste mich. Abdulhadi hatte mich nicht erkannt, ja kaum mehr Notiz von mir genommen als von einer lästigen Fliege, die kurz auf seiner Stirn landet, um sogleich weiter zu surren.
Perfekt!
Bester Laune fuhr ich ins Asylheim und schlief den ganzen Tag.
Zufrieden und ohne irgendwelche Albträume!
Wenn dich jemand gefoltert hat und du hast das zufällig überlebt, bleiben nur drei Möglichkeiten:
1. Du verdrängst es und gehst deiner Wege
2. Du findest ihn und tötest ihn
3. Du findest ihn und folterst ihn wie er dich gefoltert hat
Abgepasst habe ich ihn zwei Tage später auf seinem eigenen Hinterhof. Lautlos sackte er zusammen, als ich ihm die Waffe über den Schädel zog. Dann zerrte ich ihn in eine dunkle Ecke hinter den Mülltonnen, fesselte und knebelte ihn mit Gaffa-Tape.
Ich denke, ich habe einen guten Mittelweg gefunden: ich zündete mir eine seiner Zigaretten an, sog genüsslich daran und blies dann sanft auf die Spitze, so dass die Glut sich von fahlem Rosagrau in grelles Neonorange verfärbte – Vorbote des sengenden neonorangefarbenen Schmerzes. Ich habe gelächelt und die Angst in seinen Augen gesehen. Das Erkennen.
Er wusste, dass ich dazu fähig war, war überzeugt von seinem mit unvorstellbarer Pein gekommenen Ende. Ich weidete mich an dieser seiner Erkenntnis.
Dann drückte ich ab. Zweimal. Ich weiß nicht, ob es die Aufregung war oder ich ein beschissener Schütze, aber er lebte immer noch. Die erste Kugel hatte sein Herz verfehlt und saß wohl als Steckschuss in seinem linken Lungenflügel. Die zweite hatte seine Bauchhöhle durchschlagen und hatte ihm ein alternatives Arschloch verpasst. Würde ihm leider nicht mehr von Nutzen sein, denn das Blut aus der Eintrittswunde glänzte pechschwarz. Angesichts dieser Erkenntnis überlegte ich kurz, ob ich es dabei beließe, doch das hätte bedeutet, dass ich unfähig wäre, Verantwortung zu übernehmen. Er oder ich!
Hätte er das überlebt, er hätte mich ohne Frage gefunden. Und auch getötet – hoffentlich. Gewiss jedoch zuvor ausgiebig gefoltert. Ein Hund kläffte. Oben ging ein Fenster auf.
Wenn man so intim war wie wir beide, macht man einander nichts vor. Hätte ich ihn jetzt den Bullen und den Ärzten übergeben, hätte er gesiegt. Er hätte gewusst, dass ich nur eine feige kleine Lutschpuppe bin. Außerdem, wie sollte ich alles beweisen? Ich dachte das, er dachte das und jeder wusste, was der andere dachte. Er wimmerte. Ich lächelte, zog kurz seine Hoden in Erwägung und entschied mich dann doch, ihm mitten ins Gesicht zu schießen. Seine Kieferknochen spritzen in alle Richtungen und er klappte nach hinten. Trotz des konvulsivischen Zuckens seines Körpers blieben seine Augen geöffnet. Sie sahen mich an. Der Kerl lebte immer noch. Verdammt! Ich leerte den Rest des Magazins in seinen Schädel, um sicher zu sein.
Oben schrie eine Frau und ein Mann brüllte, er riefe sofort die Polizei.
Ich rannte durch den Hinterhof, sprang über die Mauer in den Nebenhof und zog meine Handschuhe aus, stopfte sie in meinen kleinen Rucksack.
Es war Sommer, ein schöner Tag, ein perfekter Tag, ich erwischte den Bus, kaum dass ich die Hermannstraße erreicht hatte. Nach zwei Stationen stieg ich aus.
Die alte Mauser in einer Aldi-Tüte noch an der Haltestelle in den Mülleimer geworfen - dann in ein Taxi gesprungen, Kurzstrecke, fünf Euro passend – runter in die U-8 – am Alex einmal quer durch den Kaufhof - rasiert in der Toilette dort, ein paar Blutspritzer, aber nur auf der Jacke, nicht auf den Jeans, gut! Klamotten gewechselt, Handschuhe, Jacke und Basecap in eine zweite Aldi-Tüte gestopft und diese in einen zuvor ausgespähten Müllcontainer geworfen - ab in die S-Bahn, jetzt ein frisch rasierter Typ ohne Jacke oder Basecap, nur in einem bunten T-Shirt – Schleichweg durch den Park zum Asylheim und ich war frei.
Frei von ihm!
Frei von mir?
Die Zeit wird es zeigen.
Das Leben ist schön, ich habe genug zu Essen, Kleidung und sogar eine eigene kleine Wohnung. Seit kurzem bin ich volljährig, mache das Abitur auf der Abendschule. Eines Tages will ich Germanistik und Arabistik an der FU studieren, aber ein Schritt nach dem anderen! Ich schlafe jetzt nachts durch. Keiner schlägt mich oder schießt auf mich.
Wer könnte sich mehr erträumen?
Mein Name ist Fasal und ich trage Zeitung aus.