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Fahrt in die Provinz

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21.07.2014
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Fahrt in die Provinz

Fahrt in die Provinz
Friedewald. Was für ein provinzieller Bahnhof! Selbst die Bahnhofshalle lud dazu ein, die nächste Bahn sofort wieder zurück zu nehmen. Wohin auch immer, nur weg von hier. Abbas stieg aus dem Zug und lief Richtung Innenstadt.

Die Kulturreferentin hatte ihm ein Zimmer im Schlosshotel gebucht und den Weg dorthin beschrieben. Es war nicht weit vom Bahnhof entfernt und konnte gut zu Fuß erreicht werden. Ein Blick auf die Uhr: Zehn vor vier. Um fünf Uhr sollte die Lesung in den Tagungsräumen des Hotels stattfinden. Wie vor jeder Lesung war Abbas aufgeregt. Seinen Text, den konnte er gelassen vorlesen, aber das ganze Drumherum machte ihn nervös: Die Leute vom Kulturreferat, die ihn begrüßen würden, die förmlichen Reden, deren es bedurfte, damit sich ein Gast an einem fremden Ort wohlfühlte. Gestelzte Witze, die wirklich niemanden amüsierten und die Atmosphäre auflockern sollten - all das hing Abbas zum Hals heraus. ‚Warum machte er das eigentlich?‘, fragte er sich, während er sein Hotel am Ende der Straße sah. Er dachte an seinen Literaturagenten, der immer wieder betonte, wie wichtig Vermarktung für noch unbekannte Autoren waren. Und Lesungen gehörten nun mal dazu. Für Abbas eine wahre Herausforderung. Er hatte schon elf Lesungen vor einem Publikum gehalten. Ein wenig Übung hatte er schon, aber dennoch pochte sein Herz.

Abbas reiste zeitlich knapp an. Im Hotelzimmer legte er seinen Koffer in die Ecke und klappte ihn auf. Seine Sachen für eine Nacht herauszunehmen lohnte sich nicht. Er zündete sich eine Zigarette an und schaute aus dem Fenster auf die Hauptstraße, die durch das Zentrum der Stadt führte. An der Ampel herrschte reges Treiben. Autos hielten, Menschen überquerten die Straße. Immer das gleiche Szenarium spielte sich vor seinem Auge ab, und dennoch blieb sein Blick an dieser Kreuzung haften. 16.25 Uhr. Abbas ging ins Bad und ließ kaltes Wasser über sein Gesicht laufen, schaute prüfend in den Spiegel und stieß ein leises Inshallah aus.

Es war Zeit, hinunter in die Halle zu gehen und sich den Organisatoren vom Kulturreferat und dem Vorsitzenden des Friedewalder Geschichtsvereins vorzustellen. Im Vorraum des Veranstaltungssaals wurde Sekt ausgeschenkt. Im Saal selbst sah man von hinten die Rücken der Gäste. Frauen mit großen Hüten und provinziellem Schick neigten sich ihren Sitznachbarn entgegen und unterhielten sich angeregt. Herr Hinterbein, der Vorsitzende des Geschichtsvereins, kam freundlich lächelnd auf Abbas zu und nahm ihn eilig mit in einen Raum hinter der Bühne. Dort stellte er ihm die Präsidentin des Kulturreferats vor. Frau Dornauf-Zwirn war eine schlanke, dunkelhaarige Frau mit Pagenkopf, zierlicher Hakennase und mäßigem Überbiss. Der gelbe Blazer unterstrich die Zerbrechlichkeit ihrer Erscheinung. Die schmalen Lippen waren auffallend rot geschminkt, und wenn sie nicht redete, zog sich ihr Mund zu einem roten Punkt zusammen. Ihr Gesicht verriet keine Emotion. Mit gut überlegten Worten begrüßte sie Abbas:
„Guten Tag, Herr Malik. Herzlich willkommen in Friedewald. Wie war Ihre Reise von Berlin hierher?“ Dieser begann seine Antwort mit „Salam aleikum“ und schob gleich ein „Friede sei mit dir!“ hinterher. Frau Dornauf-Zwirns Mund formierte sich zu einem Lächeln, doch ihre tiefliegenden Augen verrieten eine leichte Irritation, als ob man ihr am helllichten Tag einen starken Whisky angeboten hätte. Dann erläuterte sie Abbas das geplante Programm und schaute dabei flüchtig an ihrem Gast herunter. Der Anblick der hellblauen, etwas vergilbten Jeans, die abgewetzten Turnschuhe und die unkonventionelle Art des Schriftstellers beschäftigten Frau Dornauf-Zwirn offensichtlich. Mit einem weiteren, einstudierten Lächeln öffnete sie ihren rechten Arm und bedeutete Abbas, auf die Bühne zu treten.
Dort im Rampenlicht war also sein Platz für die nächsten zwei Stunden. Abbas lief mit etwas gebückter, fast demütiger Haltung auf den Tisch mit den beiden Stühlen zu. Er schaute nur kurz in den Saal, setzte sich auf einen Stuhl und wartete das Klatschen des Publikums ab. Herr Hinterbein nahm neben ihm Platz, zog sofort das Mikrofon zu sich:
„Guten Tag, meine verehrten Damen und Herren. Dem Kulturreferat in Zusammenarbeit mit dem Geschichtsverein Friedewald ist es gelungen, einen jungen Exilschriftsteller einzuladen, der uns heute aus seinem autobiografischen Roman Dem Himmel so nah vorlesen wird.“
Nach einer längeren Rede über die politische Situation im Irak übergab Herr Hinterbein das Wort an Frau Dornauf-Zwirn, die sich mit Abbas über seine schriftstellerische Tätigkeit unterhalten würde. Frau Dornauf-Zwirn setzte sich neben den Autor, schaute bedächtig nach unten und begann:
„Herr Malik, Sie haben im vergangenen Mai den Hilde-Domin-Preis für Literatur im Exil verliehen bekommen, Sie wurden im Dezember mit dem Nelly-Sachs-Preis ausgezeichnet, und die Queen-Mary-College-University of London hat Ihnen ein zehnwöchiges Stipendium finanziert. Wie war das für Sie?“
„Das war alles toll, nur das Wetter in London war beschissen.“
Abbas antwortete mit einem starken Akzent. Er zog die vorletzte Silbe von beschissen ein wenig in die Länge und schaute lachend, aber etwas verlegen in die Runde. Zu seiner Erleichterung lachte das Publikum. Der Anfang war geschafft und Abbas begann zu erzählen, was er immer auf Lesungen erzählte. Mit einem ironischen Augenzwinkern berichtete er aus seinem Leben als Flüchtling in Deutschland, er beschrieb seine Verhaftung in einer bayerischen Kleinstadt und erklärte schließlich, wie er zum Schreiben gekommen war. Wohlbedacht klammerte er seine Erlebnisse im irakischen Gefängnis aus. Dann nahm er sein Buch zur Hand, öffnete es an einer Stelle, die mit einem Notizzettel markiert war und begann zu lesen. Es waren starke, emotionsgeladene Schauplätze, an die Abbas seine Leser heranführte, angefangen mit der Liebesgeschichte seiner Eltern. Die sinnlich-orientalische Erzählkunst amüsierte Abbas‘ Zuhörer. Einige neigten ihren Kopf zur Seite und ließen sich bereitwillig in die Welt des Morgenlandes entführen. Selbst Frau Dornauf-Zwirn schien sich von der Anstrengung der ersten Begegnung mit dem außergewöhnlichen Schriftsteller erholt zu haben. Sie lauschte den Worten des Orientalen.

Schließlich wechselte der Tonus des Vorlesers. Die Reaktion der Zuhörer war prompt an ihrer sich versteifenden Körperhaltung zu erkennen. Manche richteten sich wieder auf. Eine aufgeregte Stille schwappte dem Erzähler entgegen. Die vollkommene Aufmerksamkeit nutzte Abbas, um eine Folterszene im irakischen Gefängnis eindrucksvoll vorzutragen. Ein brutaler Wärter quälte einen Inhaftierten und schrie ihn an:
„Hör mal, du Arschloch! Wenn du nicht sagst, für welche Organisation du arbeitest, dann sorge ich dafür, dass dich alle Wärter und Gefangenen hier ficken.“
Angespannte Stille. Das letzte Wort echote im Saal. Frau Dornauf-Zwirns Gesicht blieb regungslos und doch war darin das ganze Entsetzen über alle Unanständigkeiten dieser Welt zu lesen. Was für einen Schriftsteller hatten sie da eingeladen? Und das sollte große Literatur sein? Der kleine, rotgeschminkte Mund verkrampfte sich, und die Lippen wirkten seltsam hell. Der einzige lebendige unter den Hörern war Herr Hinterbein. In der ersten Reihe sitzend drehte er sich heimlich amüsiert zu den Gästen im Saal um und schaute in ihre Gesichter. Ein Schmunzeln konnte er sich nicht verkneifen. Als Abbas schließlich mit der Lesung seines Buches geendet hatte, wehte ein Hauch von Erleichterung um die Köpfe der Zuhörer.
Auch von Abbas fiel die Anspannung ab. Er wusste, dass sein Text eine kleine Zumutung für die Hörer war. Dennoch: Er wollte bewusst provozieren, um mit seiner Geschichte im Gedächtnis der Menschen zu bleiben.

Nach einem langen Applaus wurden Worte des Dankes und der Anerkennung ausgesprochen, Hände geschüttelt und schließlich eine gute Heimreise nach Berlin gewünscht.
Als Abbas die Bühne verließ und Richtung Ausgang zusteuerte, fädelten sich viele Gäste zu einer Schlange auf. Sie alle wollten ein Autogramm des Vortragenden bekommen. Eine ältere Dame legte ihre Hand auf seinen Arm und schaute ihm einen Moment in die Augen, bevor sie anfing zu sprechen: „Sie haben die Hölle erlebt und sind nicht daran zerbrochen! Das sehe ich in Ihrem Blick. Sie sind ein starker Mann. Ich wünsche Ihnen viel Kraft für die Zukunft!“ Abbas war gerührt und bedankte sich für die klugen Worte. Er fragte nach ihrem Vornamen und kritzelte eine kurze Widmung in ihr Buch. Dann kam ein junger Mann mit Schildkappe an die Reihe. „Echt krass, was du im Knast mitgemacht hast. Respekt!“, sagte er mit einem leichten Kopfnicken. Abbas las aufrichtige Anerkennung in seinem Gesicht und antwortete mit einem freundschaftlichen Schulterklopfer.
Abbas war noch lange mit Autogrammschreiben beschäftigt. Er freute sich über all die ergriffenen Zuhörer, die für einen Nachmittag in seine Welt eingetaucht waren und an seinem Schicksal teilnahmen. Es war ein schönes Gefühl, mit diesen Menschen durch seine Worte verbunden zu sein. Als er am nächsten Morgen das Hotel verließ und Richtung Bahnhof lief, war Abbas sich nun sicher: Es hatte sich gelohnt, nach Friedewald zu kommen. Es hatte sich wirklich gelohnt.

 

Servus federleicht

Ein Autor auf Lesereise, tja.
Also mir ist der Text zu brav. Zu brav und harmlos. In allem eigentlich, sowohl sprachlich, als auch inhaltlich. Also irgendwas fehlt mir da. Klingt wie ein authentischer Erlebnisbericht, beinahe ausufernd in seinem Detailreichtum, aber zu wenig in die Tiefe gehend. Und die dramaturgischen Höhepunkte erschöpfen sich in der Erwähnung des Wortes „ficken“ und darin, dass Frau Dornauf-Zwirn immer wieder mal despektierlich dreinschaut. Also ich weiß nicht recht, was die Geschichte mit mir, dem Leser, machen will. Worüber soll ich mir da den Kopf zerbrechen? Über die bittere Vergangenheit des Protagonisten? Oder soll ich mich mit ihm freuen, dass er es offenbar in ein besseres Leben geschafft hat? Mir blieb der Typ während des Lesens einfach fremd und gleichgültig, du konntest ihn mir nicht nahebringen. Und die gesellschaftliche Relevanz? Die müsste ich mir eigentlich selbst konstruieren, weil du mir, abgesehen von den biografischen Hintergründen des Protagonisten, ja nichts davon erzählst. Sein Publikum hat Malik mit seiner Geschichte offenbar erreichen können. Mich als Leser allerdings nicht.
Klingt jetzt vielleicht ein bisschen hart, aber ich fand die Geschichte einfach nicht besonders interessant, ich empfand sie nicht als packend oder aufrüttelnd oder mich nachdenklich machend. Zu brav dahinerzählt einfach.

Noch ein bisschen Textkram:

die förmlichen Reden, denen [deren] es bedurfte,

wie wichtig Vermarktungen für noch unbekannte Autoren waren.
Der Plural klingt eigenartig, und eigentlich braucht es ihn nicht.

und nahm ihn eilig mit in einen Raum hinter die Bühne.
hinter der Bühne fände ich besser, weil sich das ja auf den Raum bezieht, oder?

die abgewetzten Turnschuhe, [kein Komma] und die unkonventionelle Art

der uns heute aus seinem autobiografischen Roman Dem Himmel so nah vorlesen wird.“
Den Buchtitel würde ich kursiv setzen.

ein 10-wöchiges [zehnwöchiges] Stipendium

und erklärte schließlich, wie er zum Schreiben kam [gekommen war].

und ließen sich bereitwillig in die Welt des Abendlandes entführen.
Hier sollte wohl Morgenland stehen, oder?

Die Reaktion der Zuhörer war prompt an ihrer versteifenden Körperhaltung zu erkennen.
entweder: an ihrer steifen Körperhaltung
oder: an ihrer sich versteifenden Körperhaltung

Der einzige Lebendige [lebendige] unter den Hörern
(bezieht sich adjektivisch auf die Hörer)


offshore

 

Hallo federleicht

Eine ruhige und angenehm vorgetragene Erzählung. Beinah erinnerte es mich an eine Kolumne, die Abbas selbst für die Lokalzeitung von Friedewald festhielt. Doch darin liegt auch die Krux der Sache, da eine Geschichte, will sie sich von andern literarischen Textformen abheben, im Stoff auch eine Wandlung erfahren sollte. Diese trat nicht ein. Abbas geht vielleicht eine Nuance sicherer, als er gekommen war, doch mehr vermag es dem Leser diesbezüglich nicht zu vermitteln.

Aufgefallen sind mir noch die Namensgebungen. Abba Malik ist ja gängig, aber Hinterbein und Dornauf-Zwirn wirken auf mich als Leser doch assoziativ, das Heitere berührend. Bei Friedewald, das als erster Name die Handlung prominent einleitet, fühlte ich mich beinah in die Irre geleitet, doch ahnte ich, dass hier kaum von einem Friedwald, also einer alternativen Bestattungsform am Fusse eines Baumes, die Rede sein wird. Natürlich ist es auch ein gültiger Name, doch kumuliert mit den andern, vermittelte es mir ein wenig den Eindruck, hier soll Schalk gezwungen Lockerheit einbringen.

In der Handlung könnte es vielleicht auch mehr gewinnen, wenn anstelle eines nur darüber Redens, auch Passagen aus seinem Buch eingeflossen wären. So bleibt es eine Betrachtung von aussen, die wie erwähnt, als Kolumne vergnüglich zu lesen wäre.

Zwei Äusserungen liessen mich im Text noch stutzen. Sind sie gewollt in dieser Form den Personen zuzurechnen, ihrer Denk- und Sprechweise zuzuordnen, ist es schon gut. Ansonsten würde ich da den Federstrich der Aussagen leicht variieren:

„Hör mal, du Arschloch! Wenn du nicht zugibst, für welche Organisation du arbeitest, dann sorge ich dafür, dass dich alle Wärter und Gefangenen hier ficken.“

Dies ist falsch formuliert. Zugeben kann Abbas nur etwas, wenn die Frage auf ein bestimmtes Objekt zielt, also der Name einer Organisation genannt wäre. Ansonsten ist die Fragestellung mit sagst treffend.

Was für einen Schriftsteller hatten sie da eingeladen? Und das sollte große Literatur sein?

Frau Dornauf-Zwirns Überlegung entspringt einem kleinbürgerlichen Denken. Nicht, dass manche Ausdrücke, die der Autor vortrug, nicht degoutant wären, doch das eine Autobiographie zur grossen Literatur zählt, wäre doch eine ausgesprochene Rarität.

Insgesamt habe ich es dennoch gern gelesen, da ich ruhige Erzählweisen mag. ;)

Schöne Grüsse

Ankreon

 

Hallo offshore, hallo Anakreon,

Vielen Dank für eure Kommentare.
Offshore: Dein Kommentar hat mich nicht sonderlich zum Nachdenken angeregt. Deine anschließenden Textbemerkungen waren aber hilfreich.

Anakreon:

Beinah erinnerte es mich an eine Kolumne, die Abbas selbst für die Lokalzeitung von Friedewald festhielt. Doch darin liegt auch die Krux der Sache, da eine Geschichte, will sie sich von andern literarischen Textformen abheben, im Stoff auch eine Wandlung erfahren sollte. Diese trat nicht ein. Abbas geht vielleicht eine Nuance sicherer, als er gekommen war, doch mehr vermag es dem Leser diesbezüglich nicht zu vermitteln.

Jetzt, wo du es so sagst. Stimmt, die Grenzziehung ist nicht ganz sauber. Für mein Empfinden aber kein großer Widerspruch.

Aufgefallen sind mir noch die Namensgebungen. Abba Malik ist ja gängig, aber Hinterbein und Dornauf-Zwirn wirken auf mich als Leser doch assoziativ, das Heitere berührend.

Bei dem arabischen Namen kam es mir darauf an, dass der Leser ihn gut lesen kann. Ich wollte kein Zungenverknoten evozieren. Zweitrangig, aber nicht ganz unbedeutend, ist die Übersetzung: Abbas, der Löwe und Malik, der König. Anders bei den Vertretern des Kleinbürgertums, Frau Dornauf-Zwirn und Herr Hinterbein. Hier sollte, wie du sagst, das Heitere berührt werden.

Bei Friedewald, das als erster Name die Handlung prominent einleitet, fühlte ich mich beinah in die Irre geleitet, doch ahnte ich, dass hier kaum von einem Friedwald, also einer alternativen Bestattungsform am Fusse eines Baumes, die Rede sein wird. Natürlich ist es auch ein gültiger Name, doch kumuliert mit den andern, vermittelte es mir ein wenig den Eindruck, hier soll Schalk gezwungen Lockerheit einbringen.

Zu Friedewald: Ich war lange auf der Suche nach dem Namen einer Kleinstadt, die nach verstaubter Provinz roch. Eigentlich sollte es ein Ort im Baden-Württembergischen sein, aber die Ortschaften klangen nicht in meinem Ohr. Ich habe mich dann für das hessische Friedewald entschieden. Dieses Dorf kenne ich (Ich wohne da aber nicht!) und es steht für mich für die Provinz. So klein dieser Ort auch sein mag, im Verkehrsfunk ist häufig die Rede davon und müsste daher zumindest den hessischen Bewohnern ein Begriff sein. Mit dem Namen habe ich also kein Sprachspiel verbunden.


In der Handlung könnte es vielleicht auch mehr gewinnen, wenn anstelle eines nur darüber Redens, auch Passagen aus seinem Buch eingeflossen wären. So bleibt es eine Betrachtung von aussen, die wie erwähnt, als Kolumne vergnüglich zu lesen wäre.

Da hast du wahrscheinlich recht. Ich weiß noch nicht, wie ich das lösen kann.

Zwei Äusserungen liessen mich im Text noch stutzen. Sind sie gewollt in dieser Form den Personen zuzurechnen, ihrer Denk- und Sprechweise zuzuordnen, ist es schon gut. Ansonsten würde ich da den Federstrich der Aussagen leicht variieren:
Dies ist falsch formuliert. Zugeben kann Abbas nur etwas, wenn die Frage auf ein bestimmtes Objekt zielt, also der Name einer Organisation genannt wäre. Ansonsten ist die Fragestellung mit sagst treffend.

Auch hier hast du recht. Dieser Satz ist ein nicht als solches gekennzeichnetes Zitat. Ich hätte es wahrscheinlich nicht so formuliert, mir ist der Fehler aber nicht aufgefallen.

Danke für die Anregungen.

Viele Grüße
federleicht

 

Hallo Federleicht

Ich fange mit dem Schluss an, weil ich die Geschichte erst von ihrem Schluss her begriff.

Als er am nächsten Morgen das Hotel verließ und Richtung Bahnhof lief, war Abbas sich nun sicher: Es hatte sich gelohnt, nach Friedewald zu kommen. Es hatte sich wirklich gelohnt.

Nach diesem Satz dachte ich: Aha, darum ging's in der Geschichte. Ach je, jetzt erst begreife ich's!

Friedewald. Was für ein provinzieller Bahnhof! Selbst die Bahnhofshalle lud dazu ein, die nächste Bahn sofort wieder zurück zu nehmen. Wohin auch immer, nur weg von hier.

Tatsächlich steht schon zu Beginn geschrieben, worum es geht. Aber ich habe das als Eingangsphrasen abgetan und dachte immerzu, dass irgendwann noch irgendein Clou kommen müsste.

Was mich jetzt freilich noch mehr irritiert, sind die humoristisch-sarkastischen Namen einiger Personen. Herr Abbas nimmt die Leute in Friedewald nämlich ernst, ansonsten würde ihn ihre Teilnahme an seiner Welt doch nicht freuen. Durch die Wahl komischer Namen wird dagegen dieser Ernst hintertrieben. Allenfalls sollen damit Zweifel geschürt werden, welche die Geschichte hätten spannender machen sollen. Aber auf mich wirkte es künstlich; als würde der Verfasser nicht mit Herrn Abbas einig gehen. Es passt nicht zur Hauptfigur.

Die für eine Kurzgeschichte eher breite und ruhige Erzählweise hat mir gefallen.

Gruß teoma

 

Hallo teoma,

in der Geschichte möchte ich insbesondere zwei Personen als Stellvertreter ihrer Herkunft (ich will nicht immer die soziale Schicht bemühen) in ihrer Andersartigkeit gegenüber stellen: Einmal der Autor Abbas, der für Einfachheit und Authentizität steht, der Schlimmes in seinem Heimatland erlebt hat und der einem Publikum seine Geschichte erzählen möchte. Abbas ist kein Freund von Konventionellem und Floskelhaftem. Demgegenüber steht die Präsidentin des Kulturreferats Frau Dornauf-Zwirn, die sich aus Hilflosigkeit an Phrasen festklammert und deren Mimik und Gestik das Gekünselte des kleinbürgerlichen Denkens entlarvt. Im Interview kommen die beiden nicht zusammen, das Trennende bleibt bis zum Schluss. Herr Hinterbein ist zwar auf der Seite von Frau Dornauf-Zwirn zu sehen, soll aber vom Leser sympathischer wahrgenommen werden. Er distanziert sich von der für viele Anwesenden schockierende Ausdrucksweise "ficken", indem er schelmisch zu den Zuhörern schaut.
Der emotionale Austausch findet dennoch statt: Zwischen Abbas und dem Publikum. Dass sie ihm seine etwas saloppe Art nicht übel nehmen, zeigen sie durch Ergriffenheit am Ende der Lesung.
Der sarkastische Blick sollte also hauptsächliche auf Frau Dornauf-Zwirn gelenkt werden.

Natürlich kann man sich die Frage nach der Pointe stellen. Und auch die Wandlung, die die Hauptfigur erfährt, ist eine leise, nicht im Außen angelegte. Dennoch finde ich sie passend zum Thema und Erzählstil. Wer mehr action will, soll "Straßburg" lesen.

Danke für deine Einschätzung.

Viele Grüße
federleicht

 
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Hallo federleicht,

und wieder eine federleichte Geschichte, diesmal mit massivem, an ein riesiges, unüberwindliches Gebirge erinnernden Hintergrund. So eine Art

Höllengänger meets Gutmenschentum
.

Ein Mensch, dessen Familie und er selber durch eine kriegerische, politische und u.U. sogar religiöse Hölle gingen, trifft auf eine provinziell elegante, angemuffte Welt der gutmenschendeln grossen Hüte der, jetzt sag ich mal, Zahnarzt- und Anwaltsgattinnen, seit Generationen im Grossen und Ganzen Mitglieder einer unverletzten Reichtumshierarchie in der deutschen Provinz. Allenfalls der Geschichtsverein deutet auf einen Bezug zur einfacheren, weil ärmeren Bevölkerungsschicht hin.

Hier scheint mir auch ein Bruch, weil für mich unlogisch: was hat ein Geschichtsverein aus dem Hessischen, also dem deutschen Urland schlechthin, mit einem irakischen Exilschriftsteller am Hut? Mit dem Geschichtsverein assoziiert man hier doch allenfalls Aurorenvorlesungen aus diesem Themenkreis? Oder meinst du vielmehr einen Geschichtenverein, da wir uns ja auch im Urland des deutschen Märchenwesens befinden? Auf jeden Fall gut beschrieben, diese aus dem Leben gegriffene Assoziaton, und sie bemüht das Gehirn.

Bei allen bisherigen Kritiken möchte ich auch eine Lanze für die sprechenden Namen und deren Einblendung in deinen Text brechen. Bei dieser Gattung muss man allerdings vorsichtig sein, nicht ins Alberne abzudriften. Ich finde, das ist dir durch den massvollen Einsatz gut gelungen.

Gutmenschentum meets Realität:

Hör mal, du Arschloch! Wenn du nicht zugibst, für welche Organisation du arbeitet, dann sorge ich dafür, dass alle Wärter und Gefangenen dich hier ficken.

Eigentlich dein einziger Bezug und direkter Bericht über die durchlittenen Qualen des Schriftstellers. Vielleicht hättest du das noch etwas ausweiten können. Ist aber auch hinlänglich aus den Medien bekannt.

Brav und harmlos? Ja, aber muss alles mit Action unterlegt sein? Ich bin zur Zeit selber ein Freund von Geschichten, deren Spannungen irgendwo subtiler, feinfühliger aufgebaut sind.

Ich hab die Geschichte auf jeden Fall gern gelesen. Ja, und Straßburg kann man eigentlich nicht unmittelbar dagegen setzen.

Viele Grüsse
JMM

 
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@ jeanmarie malte

jeanmarie malte schrieb:
Brav und harmlos? Ja, aber muss alles mit Action unterlegt sein?
Weil du dich damit so ganz offensichtlich auf meinen Kommentar beziehst, empfinde ich deine Frage natürlich auch an mich gerichtet und möchte dir deshalb auch darauf antworten, jeanmarie malte.
Es ist natürlich absurd, aus meinem Resümee, der Text sei mir zu brav und zu harmlos, abzuleiten, ich fordere mehr „Action“ ein. Ich bin nämlich durchaus imstande, die Intentionen eines Autors, wenn schon nicht zu erkennen, so zumindest zu erahnen. Und dass es sich bei diesem Text um keíne Räuberpistole handeln soll, sondern um die Beschreibung eines unaufgeregten Alltagserlebnisses, hab ich schon kapiert. Deshalb bezog sich mein Urteil „mir zu brav und harmlos“ ja nicht auf mangelnde Handlung oder gar zu wenig „Action“, sondern vorwiegend auf die Erzählsprache, die mir zu glattgebügelt und unattraktiv erschien und auf den eher langweiligen Charakter der Erzählung. Mich persönlich konnte die Erzählung halt einfach nicht packen.

Und hier scheinst du dir selbst zu widersprechen:.

Hör mal, du Arschloch! Wenn du nicht zugibst, für welche Organisation du arbeitet, dann sorge ich dafür, dass alle Wärter und Gefangenen dich hier ficken.
Eigentlich dein einziger Bezug und direkter Bericht über die durchlittenen Qualen des Schriftstellers. Vielleicht hättest du das noch etwas ausweiten können.
Was ist das denn anderes, als ein (dezenter) Wunsch nach mehr "Action"?

offshore

 

Hallo federleicht,
angenehm formuliert in Stile eines Berichts erfährt der Leser von einem eigentlich normalen Leseabend in der Provinz. Alles ist wohlausgewogen, wie es sich für sich ein Städtchen gehört. Am Schluss ist Abbas sogar gerne in der Provinz gewesen?

Fahrt in die Provinz
Der Titel suggeriert anderes, nämlich eine Fahrt. Geboten wird ein Leseabend in der Provinz.
Selbst die Bahnhofshalle lud dazu ein, die nächste Bahn sofort wieder zurück zu nehmen. Wohin auch immer, nur weg von hier.
Warum Abbas dieses Gefühl hat, wird nicht klar. Es wird hier nur das Versatzstück „Provinz“ dargeboten. Ich möchte aber wissen, weshalb für Abbas diese deutsche Provinz so schlimm ist und nicht mit einem Klischee abgespeist werden.
An der Ampel herrschte reges Treiben. Autos hielten, Menschen überquerten die Straße.
Beschreibung von Provinz? Das gilt überall?
Herr Hinterbein, der Vorsitzende des Geschichtsvereins
Und andere Namen: Soll es eine Satire auf die Provinz sein?
Ein Wort fällt heraus: ficken.
Das bringt das Literaturweltbild der Frau Dornauf-Zwirn ins Wanken.

Frau Dornauf-Zwirns Mund formierte sich zu einem Lächeln, doch ihre tiefliegenden Augen verrieten eine leichte Irritation, als ob man ihr am helllichten Tag einen starken Whisky angeboten hätte.
Frau Dornauf-Zwirns Gesicht blieb regungslos und doch war darin das ganze Entsetzen über alle Unanständigkeiten dieser Welt zu lesen. Was für einen Schriftsteller hatten sie da eingeladen? Und das sollte große Literatur sein? Der kleine, rotgeschminkte Mund verkrampfte sich, und die Lippen wirkten seltsam hell.
So eine Dame konnte man vor gut 30 Jahren wohl in der Provinz entdecken, heute ist diese Beschreibung unwirklich. Auch als Satire vor 30 Jahren wenig amüsant. Dass sie von den „Unanständigkeiten dieser Welt“ (auch in der Literatur) nichts mitbekommen haben sollte, das zu glauben, das er fordert schon viel guten Willen.
Dem Himmel so nah
Das ist der Titel des Buches von Abbas; ein sehr guter Titel; nur erfährt man kaum etwas über den Inhalt. Eigentlich könnte er doch froh sein, in Friedewalde sein zu dürfen, denn dort wird meines Wissens nicht gefoltert.
berichtete er aus seinem Leben als Flüchtling in Deutschland, er beschrieb seine Verhaftung in einer bayerischen Kleinstadt und erklärte schließlich, wie er zum Schreiben gekommen war.
Die Informationen sind bitter wenig. Warum ist er in einer bayerischen Kleinstadt verhaftet worden? Ladendiebstahl? Zigarettenschmuggel? So ist dieser Satz wenig befriedigend, weil er nur aufzählt, nichts erzählt.
Er wusste, dass sein Text eine kleine Zumutung für die Hörer war. Dennoch: Er wollte bewusst provozieren, um mit seiner Geschichte im Gedächtnis der Menschen zu bleiben.
Klein ist richtig, denn wer Zeitung liest und Tagesschau guckt, der ist Schlimmeres gewöhnt. Von anderen Filmen einmal abgesehen.
Er freute sich über all die ergriffenen Zuhörer, die für einen Nachmittag in seine Welt eingetaucht waren und an seinem Schicksal teilnahmen. Es war ein schönes Gefühl, mit diesen Menschen durch seine Worte verbunden zu sein.
Soll das jetzt den Lernprozess des weltläufigen Dichters beschreiben: In der Provinz findest du Verständnis trotz der Dornau-Zwirn?
Das klingt ein wenig negativ. Trotzdem meine ich, dass dein Stil mit seiner ruhigen Art lobenswert ist. Dass der Inhalt durchaus Ansätze hat, daraus eine lesenswerte Geschichte zu machen. Dass dies leider noch nicht so gelungen ist. Und ich meine, diese von dir geschilderte Konfrontation des Publikums mit der Brutalität in anderen Ländern und dem Wohlbehagen in Deutschland (nicht nur in der Provinz) wäre eine erneute Überarbeitung des Textes wert.
Fröhliche Grüße
Wilhelm

 

Hallo Jeanmarie Malte,

danke für deinen Kommentar.

Ein Mensch, dessen Familie und er selber durch eine kriegerische, politische und u.U. sogar religiöse Hölle gingen, trifft auf eine provinziell elegante, angemuffte Welt der gutmenschendeln grossen Hüte der, jetzt sag ich mal, Zahnarzt- und Anwaltsgattinnen, seit Generationen im Grossen und Ganzen Mitglieder einer unverletzten Reichtumshierarchie in der deutschen Provinz. Allenfalls der Geschichtsverein deutet auf einen Bezug zur einfacheren, weil ärmeren Bevölkerungsschicht hin.

Allein an diesen Ausführungen erkenne ich, dass du das Anliegen des Textes verstanden hast.
Durch all eure Kommentare und deiner oben stehenden Deutung ist mir folgendes bewusst geworden: Der Begriff "Provinz" und auch noch in Verbindung mit "Friedewald" ist offensichtlich irreführend. Es geht nicht vordergründig um ein Stadt-Land-Gefälle, sondern um ein soziales Gefälle, das hier an den Stellvertretern Abbas und Frau Dornau-Zwirn aufgezeigt werden soll. Die Provinz kann verstärkend wirken, sie aber im Titel zu nennen, sorgt für Verwirrung. Ich denke darüber nach, die Handlung nach Königstein im Taunus zu transferieren. Dort finden sich viele Reiche und Neureiche (dort laufen viele Frau Dornauf-Zwirns rum) und der Ort an sich liefert eher die gesellschaftliche Kulisse, die ich für die Glaubwürdigkeit der Geschichte brauche.


Hier scheint mir auch ein Bruch, weil für mich unlogisch: was hat ein Geschichtsverein aus dem Hessischen, also dem deutschen Urland schlechthin, mit einem irakischen Exilschriftsteller am Hut? Mit dem Geschichtsverein assoziiert man hier doch allenfalls Aurorenvorlesungen aus diesem Themenkreis? Oder meinst du vielmehr einen Geschichtenverein, da wir uns ja auch im Urland des deutschen Märchenwesens befinden?

Da hast du mich natürlich erwischt! Also, Grundlage meines Textes war tatsächlich die Lesung eines irakischen Exilschriftstellers, der im Rahmen einer Georg-Büchner-Veranstaltung (Georg Büchner war ja seinerseits Exilschriftsteller, zufällig auch in Straßburg) eingeladen wurde. Daher war der Geschichtsverein Mitorganisator der Lesung. Es ist meiner Nachlässigkeit geschuldet, dieses wichtige Detail übersehen zu haben. Schön, dass du mich darauf aufmerksam machst.

Eigentlich dein einziger Bezug und direkter Bericht über die durchlittenen Qualen des Schriftstellers. Vielleicht hättest du das noch etwas ausweiten können. Ist aber auch hinlänglich aus den Medien bekannt.

In meinem Kopf noch sehr präsent, aber zu wenig zu Papier gebracht. Das muss unbedingt noch mal überarbeitet werden.


Viele Grüße
federleicht

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo,

in dem Text wimmelt es von Klischees. Der Exil-Autor, natürlich unkonventionell ist und ein wenig ficki-ficki sagt, und dann die Bildungsbürger, die so ein wenig geschockt sind und diese Tante vom Kulturreferat, die nichts rallt und so ein wenig hung over aussieht. Und natürlich hat sie einen Doppelnamen, und natürlich muss der Autor ein Exot sein.

Zwei Welten prallen aufeinander. Du willst es nicht soziale Schicht nennen. Naja. Du arbeitest aber den Unterschied der jeweiligen Milieus aber auch nicht gerade heraus. Du stellst einfach zwei Blöcke nebeneinander, und dann passiert herzlich wenig. Ich meine, das ergibt doch alles in allem fast kein Konfliktpotentilal. Würde dieser Abbas sagen: Hier, ihr bornierten Kleinbürger, ihr seid Schuld dran, irh habt eine Mitschuld! Dann vielleicht. Dann würde es ein Eklat geben, etwas woran sich der Geist entzünden kann. So liest er ein wenig vor, und dann sagt er Ficken! und alle sind versteinert. Also, dieses Bild vom Publikum einer Lesung ist meiner Meinung nach veraltet. Heute schockt man keinen mehr so rasch, auch nicht die Bildungsbürger. Da muss einfach mehr kommen, mehr Substanz. Und so geht es mir mit dem Text auch - zu wenig Substanz. Am Ende auch keine Karthasis, da weicht der Autor auch ein wenig aus, weicht der Brisanz aus, dann doch wieder versöhnliche Worte von Alt und Jung. Also, ich weiß nicht, unentschlossen, der Text.

Die sprachlichen Bilder klingen in meinen Ohren auch nicht richtig. Da sind so viele Sachen drin, die mich aus dem Lesefluss herausgebracht haben. Vergilbte Jeans - gibt es das? Sind alte oder ranzige Jeans wirklich vergilbt, also gelblich? Das mit dem Whisky am helllichten Tag, was hat das mit Irritation in den Augen zu tun? Dann redet der Autor mit sich selbst in der dritten Person.

Konstruktiv: Ich würde hier viel mehr Dialog reinbringen. Gerade durch den Dialog kann man hier viel machen, kann ein wirklicher Austausch stattfinden. Ich würde mich auch auf eine Prämisse mal konzentrieren, was der Text eigentlich möchte.

Gruss, Jimmy

PS: Eins noch. Ich habe mal die anderen Kommentare jetzt gelesen, und auch deine Antworten. Du scheinst dir deiner Sache ja ziemlich sicher zu sein und bügelst vieles einfach so ab. Man kann immer sagen: Jaha, das habe ich aber so gewollt! Oder: So eine Geschichte ist das nicht! Man kann sich auch jeden Fakt so hindrehen, dass der Leser die Intention des Textes nicht verstanden hat. Kann man alles. Man kann auch seinen Text seitenlang begründen, auch das geht. Dem Leser ist das aber scheißegal, der denkt sich seinen Teil sowieso und macht nach einem Absatz Schluss. Hier geht es um Textarbeit - du scheinst dich aber gegen jeden Input wehren zu wollen. Wenn du natürlich der Überzeugung bist, sowieso schon als Autor vollendet zu sein, dann frage ich mich irgendwie, was du hier möchtest? Schulterklopfer und das Ego aufpolieren, oder aber ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Text, um besser zu werden?

 

Hallo Wilhelm,

angenehm formuliert in Stile eines Berichts erfährt der Leser von einem eigentlich normalen Leseabend in der Provinz. Alles ist wohlausgewogen, wie es sich für sich ein Städtchen gehört. Am Schluss ist Abbas sogar gerne in der Provinz gewesen?
Der Titel suggeriert anderes, nämlich eine Fahrt. Geboten wird ein Leseabend in der Provinz.
Warum Abbas dieses Gefühl hat, wird nicht klar. Es wird hier nur das Versatzstück „Provinz“ dargeboten. Ich möchte aber wissen, weshalb für Abbas diese deutsche Provinz so schlimm ist und nicht mit einem Klischee abgespeist werden.

Es ist die Aufgewühltheit eines zurückhaltenden Abbas, der zwar schon im Lesungenhalten geübt, aber immer wieder neu aufgeregt ist. Es geht um einen Teil seiner selbst, den er vor einem unbekannten Publikum vortragen soll und das verunsichert. Der provinzielle Bahnhof, wenig einladend und zu Berlin einen großen Kontrast bietend, spiegelt das innere Empfinden von Abbas wider.

So eine Dame konnte man vor gut 30 Jahren wohl in der Provinz entdecken, heute ist diese Beschreibung unwirklich. Auch als Satire vor 30 Jahren wenig amüsant. Dass sie von den „Unanständigkeiten dieser Welt“ (auch in der Literatur) nichts mitbekommen haben sollte, das zu glauben, das er fordert schon viel guten Willen.

Da muss ich dir widersprechen. Ich glaube nicht, dass es hier um einen gesellschaftlichen Wandel geht, der mittlerweile auch die Provinz erreicht hat. Es geht nicht um die Naivität der Protagonistin oder um ein Hinter-dem-Mond-Leben. Es geht um gesellschaftliche Etikette, um das Wahren von starren Formen und den Erhalt des Selbstbildes in der Öffentlichkeit. Dafür steht der verzückende Gesichtsausdruck der besagten Dame. Bitte den Begriff Provinz streichen - er sorgt immer wieder für Missverständnisse (s. auch mein Kommentar an Jeanmari Malte).

Vielen Dank für deine Anregungen. Eine Überarbeitung des Textes wird sicherlicher folgen.

Viele Grüße
federleicht

 

Hm, nach Straßburg nun eine Reise in die Provinz, die sich allemal gelohnt hat – denn wer will schon glauben, dass Berlin der Nabel der Welt wäre, da holt einen schon versehentlich „provinziell“ genanntes Denken ein, dem schon Caesar seinerzeit in Gallien widersprach, als er wie nebenbei gestand, lieber der erste Mann in einem Dorf zu sein als der zwote in Rom.

Und damit ein

federleicht’ Hallöchen
aus der (scheinbar) griechischsten Stadt unserer schönen Republik!

Ja, da haben die Vorredner schon einiges über die Namensfindungen (die ich übrigens als ironische Zeichnungen anseh) gesagt und ich fürchtete, mich im „Friedewald“ wiederzufinden (was sicherlich in den nächsten dreißig Jahren meiner Asche widerfahren wird) und den Abbas (= Vater, aber auch Führer, daraus wurd übrigens vor Zeiten der „Abt“, und Abba – die aramäische Variante – redete der Nazarener wahrscheinlich seinen Schöpfer an), dass ich. Ansonsten haben mir die Vorredner vieles vorgekaut, dass es wenig Neues von mir geben wird. Allein beim angedrohten ficken (das zudem in wörtlicher rede erfolgt) schimmert ein geringer Provinzialismus des Publikums durch, wenn auch sehr unterdrückt(„ficken“ = „Kaum zu glauben ist, dasz ein in den letzten drei oder vier jahrhunderten feststehender und in das volk gedrungner ausdruck früher sollte ungekannt gewesen sein, …, weil der vorstellung des stechens, stoszens die des reibens nahe liegt. noch besser denkt man aber an fegen, schön reiben …, das auch hin und her fahren, wischen bedeutet und an fahen gemahnt, gleich dem folgenden fickfack, vgl. ficke, ohrfeige, ohrfege, wobei auch Toblers fegga für figga zu erwägen ist. hier sei noch das engl. fidge und fidget erwähnt, welche sich zu ficken, wie edge zu ecke, bridge zu brücke verhalten. Selbst fechten scheint anzurühren: das figget mich nicht, was figget dich das?“, dieses Zitat stammt von den Brüdern Grimm, zitiert nach der Onlone-Ausgabe des Grimm’schen Wörterbuches der Uni Trier; dem Stichwort „ficken“ geht der „Fick“ und das genannte „fickfack“ folgt als Stichwort).

Ernst hat schon einiges angesprochen, und Vermarktung ist allemal Einzahl. Tatsächlich ist dann nur ein Relativsatz mit seinem abschließenden Komma zu versehn

…, öffnete es an einer Stelle, die mit einem Notizzettel markiert war[,] und begann zu lesen.
Übrigens, „das Klatschen des Publikums“ könnte in einem Wort als „Beifall/Applaus“ ohne Apposition gefasst werden, denn wer anderes sollte dort beifällig „Klatschen“, wenn nicht ein Publikum?

Gruß

friedel

 

Hallo federleicht,

ich habe ein paar Ansätze gebraucht, der provinzielle Bahnhof hat auch mich erst zum Zurückfahren animiert, aber als ich dann drin war, las sich die Geschichte vom Stil her ganz gut. Insofern stimme ich dem Lob der sanften Erzählweise zu.

Aber ich bin auch der Auffassung, dass Dein Text im Bereich des Nichtssagenden stecken bleibt. Eigentlich müsste das nicht so sein. Das Aufeinanderprallen verschiedener Welten ist immer ein gutes Thema, aber ich finde es in Deinem Text nicht gut umgesetzt, weil Du keine Entscheidung triffst, was für einen Text Du schreiben willst. So klingt der Text wirklich wie ein besserer und kritischerer Artikel für die Lokalzeitung, obwohl der Gedanke dahinter klug ist.

Wenn Du an der Idee festhalten willst, dann würde ich mich an Deiner Stelle für ein bestimmte Richtung entscheiden und diese Konsequenz umsetzen.
Man könnte beispielsweise in eine satirische Richtung gehen und das ganze in einem Eklat enden lassen, da könnte man noch ein paar absurde Momente einfügen. Die Richtung hast DU durch die Namenswahl ja schon ein bisschen angedeutet.
Oder man wählt eine andere Erzählperspektive. Zum Beispiel die Sicht eines Schülers, der von seiner nervigen sozialkritischen Lehrerin dahin geschleppt wird und dann ehrlich von den Erlebnissen von Abbas berührt wird. Man könnte die Figuren dann aus diesem Blickwinkel weiter charakterisieren, wie sie so auf einen Oberstufenschüler wirken. Auch den Vorschlag, mehr von Abbas Erzählung einzubauen, fand ich richtig.

Deinem eigenen Anspruch der Sozialstudie wirst Du meiner Meinung nach noch nicht gerecht. Ich stimme zu, dafür ist der Text noch zu brav, die Charakterisierungen nicht scharf genug, diese Beschreibung mit dem Ficken als Höhepunkt zu wenig.

Gruß, Asadi

 

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