Flugangst
Mit meinen zittrigen Händen umschloss ich den Sicherheitsgurt und stellte sicher, dass er mich in jedem Fall abfangen würde. Ich hoffte inständig, ich würde ihn nicht brauchen, doch etwas tief in mir, ein leises Flüstern, schien mir durchgehend den Mut nehmen zu wollen. »Ich habe es mir selbst so ausgesucht«, dachte ich laut »und einfach aufgeben kommt nicht in Frage.«
»Richtig. Du schaffst das«, war die Antwort von Erik, der links neben mir saß und einige Listen durchging. Doch so einfach war es nicht. Egal wie stark ich versuchte, positiv zu denken, stets malte ich mir das Schlimmste aus. Nehmen wir die Listen; zwar war er sehr auf die Sicherheit bedacht, doch wofür brauchte Erik noch diese Listen, wo er doch schon länger Pilot war? Alle meine Gedanken kreisten um die Angst, doch schließlich fasste ich neuen Mut, versuchte einfach, nicht mehr nachzudenken und mich in meiner Lage so gut es ging zu entspannen, mir mein Ziel vor Augen führend, endliche meine schreckliche Flugangst loszuwerden. Ich versuchte mir vorzustellen, wohin ich gehen konnte, sollte ich meine Angst loswerden. Doch kaum hatte ich mich entspannt, hörte ich wie Erik aus dem Fenster schrie: »Prop clear!«, und der Propeller kreischend Fahrt aufnahm. »Läuft wie am ersten Tag, das Baby. Lass mich noch schnell ein paar Checks durchführen, bevor wir losrollen.« Ich vertraute ihm. Ich vertraute ihm sogar sehr. Die Routine in all seinen Bewegungen im kleinen Cockpit der Cessna 172 war erstaunlich beruhigend. »Innsbruck Ground, Cessna 4951A at general aviation, request taxi for VFR east departure« hörte ich Erik auf Englisch, der Sprache der Fliegerei, sagen, und hatte keine Ahnung was vor sich ging. Zu sehr war ich mit mir selbst beschäftigt und damit, nicht die Nerven zu verlieren. »Cessna 51A, Innsbruck Ground, taxi and hold short of runway 08 using taxiway zulu«, antwortete eine freundliche Stimme auf Englisch, die ich im Hintergrund über Funk schon mehrmals vernommen hatte, wie sie mit anderen Flugzeugen kommunizierte. »Bereit?«, frage Erik. »Nicht wirklich«, gestand ich »aber fang ruhig an«.
Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt und jedes Geräusch schien verdächtig, jede Bewegung schien zögerlich, jede Falte seiner Stirn schien wie das Resultat eben der Beunruhigung, die ich versuchte zu verdrängen. Das Flugzeug setzte sich sanft in Bewegung. Ich konnte sehen, wie Erik das Flugzeug am Boden mit den Pedalen lenkte. »Das Flugzeug wird am Boden vom sogenannten Seitenruder gesteuert«, hatte er mir erklärt »in der Luft werde ich es auch noch benutzen, aber die Hautarbeit verrichtet dort das Querruder.« Ich hörte zwar zu und nickte an den entsprechenden Stellen, aber letztendlich war es mir egal, solange das verdammte Ding weiterflog. »Willst du mal?«, fragte Erik, indem er auf das Pedal zu meinen Füßen zeigte, welches eine Kopie des seinen war. Etwas in mir schrie laut nein doch hatte ich das Gefühl, es könne mir besser gehen wenn ich selber die Kontrolle mal übernommen hatte. »Das einzige was du tun müsstest, wäre das Baby auf der Spur zu halten, für nur eine kurze Zeit. Außerdem, was soll schon passieren, ich kann ja jederzeit selber eingreifen« Das überzeugte mich und so lerne ich die Steuerung des Flugzeugs am Boden mit Hilfe der Pedale. Mein Herz raste und das Adrenalin machte mich wacher als es je ein Kaffee geschafft hatte, doch schließlich lenkte ich das Flugzeug. Wir hielten an und Erik fummelte an einem Gerät mit vielen Zahlen, bis er schließlich wieder den Tower ansprach. Diesmal war es eine andere Person, die ihm mit den Worten »Cessna 51A, wind calm, runway 08, cleared for takeoff« die Startfreigabe erteilte und meine letzte Chance aus diesem Ding raus zukommen zunichte machte.
Ich atmete tief ein. »Nicht vergessen, die Augen offen halten«, meinte Erik »wir werden jetzt auf die Startbahn rollen. Ich werde ordentlich Gas geben und bei fünfundfünfzig Knoten wird mein Engel hier seine Flügel entfalten und wir werden sanft in diese wunderbare, ruhige Luft fliegen. Löst du bitte die Parkbremse für mich?« Es war offensichtlich, das er mich einbinden wollte um mir Sicherheit zu geben. Ich löste die Parkbremse und widerstand erfolgreich dem Drang, meine Augen zu schließen. Ein kleines Stück mussten wir noch rollen, dann war es soweit. Mit gespielt kindlicher Stimme sagte Erik »Mach schön winki, winki« und zeigte dabei in Richtung meines Freundes, der sich erboten hatte, mir moralische Unterstützung zu geben. Kurz musste ich lächeln, doch dieses Lächeln wurde mir im darauffolgenden Moment aus dem Gesicht gewischt, als das 'Baby', 'mein Engel' den Fluglotsen bekannt als '4951A' Fahrt aufnahm. Wäre ich religiös, hätte ich in diesem Moment gebetet, doch ich gab mich damit zufrieden in die Fähigkeiten meines selbsternannten Therapeuten für Flugangst als Pilot zu vertrauen und starrte auf den Geschwindigkeitsmesser. 10, 20, 30, 40, 50 Knoten - langsam erhob sich das Flugzeug vom Boden. Mein Magen fühlte sich an, als würde er 1A Saltos hinlegen und im Stillen dankte ich mir selbst für meine scharfsinnige Entscheidung, kein Frühstück zu mir zu nehmen. »Verdammt. Verdammt. Verdammt«, flüsterte ich leise, immer wieder. Die Geschwindigkeit stieg weiter an. »Flaps up«, sagte Erik und zeigte auf einen Hebel, den ich betätigte. Das Geräusch welches folgte war sowohl beruhigend als auch verstörend für mich, jedoch hörte es bald darauf auf. Ich versuchte, nicht aus dem Fenster zu schauen. Zwischen den Bergen folgen wir, in dieser kleinen Maschine, und Erik schien ruhig wie immer. Wir stiegen höher, bis wir einen guten Abstand zum Boden erreicht hatten und bewegten uns auf unser Ziel zu: ein kleiner Flugplatz mitten in den Alpen. Die schlimmsten Sekunden der vergangenen Monate waren definitiv diese, und sie wurden erst zu Minuten und dann zu Stunden. Mit der Zeit wurde meine Angst nur noch größer, und nicht, wie ich gehofft hatte, weniger. Den ganzen Flug über erzählte Erik etwas vom Fliegen, doch ich hörte nur halb zu. Nach einiger Zeit wurde er jedoch ruhiger und sein Gesicht verzog sich zu ein wenig. Das ich-könnt-kotzen Gefühl in meinem Magen wurde stärker. »Erik, geht es dir gut?«, fragte ich besorgt. »Ja, ja, kein Problem«, antwortete er wenig überzeugend »wir sind fast da.« Das Flugzeug begann zu sinken wie mein Mut und Erik holte seine Liste raus. »Lies mir das bitte vor, damit ich es abarbeiten kann.« Er reichte mir die Liste und ich machte mich ans Lesen. Auf jede Zeile hin antwortete er mit etwas wie 'check' oder 'set' »Flight Instruments? Radios? ATIS? Carb He-« Ich brach ab, weil sein Kopf vornüber gekippt war. »Erik?«, fragte ich entsetzt. »ERIK?«, doch es war vergebens. Ich rüttelte und schüttelte an ihm und fühlte seinen Puls. Dieser war stabil und bestimmt halb so hoch wie meiner, was in dieser Situation allerdings nicht sonderlich verwunderlich war. Da war ich also, siebentausendfünfhundert Fuß über dem Boden, mit panischer Flugangst und einem Piloten der ein spontanes Nickerchen, dessen Grund ich noch nicht kannte, hielt. Ganz ohne Vorwarnung spürte ich etwas in mir: Der Drang zu überleben. Eine tiefe Entschlossenheit machte sich in mir breit und ich wusste was zu tun war. Ich griff nach dem Steuer. Das Zittern war verschwunden.
(Recht offenes Ende, ich bin mir noch nicht sicher ob ich es so lassen kann. Eure Meinung, bitte.)