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Der angemessene Wagen

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19.08.2014
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Der angemessene Wagen

Das große Jahresmeeting des Konzerns , für den ich nun schon über 7 Jahre im Vertrieb tätig war, fand in einer Veranstaltungshalle in meinem Wohnort im Ruhrgebiet statt. Die Location war so ausgewählt worden, dass die Außendienstmitarbeiter und die Kollegen aus den Niederlassungen in ganz Deutschland eine möglichst kurze Anreise hatten. Mein Job war der Verkauf unserer Produkte an die Autoindustrie und deren Zulieferern. Ich habe mich im Laufe der Jahre unter Einsatz meiner Intelligenz, meiner Ellenbogen und Ausnutzung aller sich bietenden Möglichkeiten nach oben gekämpft und war nun nach Umsatzzahlen seit 4 Jahren unangefochten die Nummer 1 im Vertrieb.
Es war noch eine halbe Stunde Zeit bis zum Beginn der Veranstaltung. Trotzdem waren wohl schon die meisten im Vortragsraum. Es müssen vier- bis fünfhundert Mitarbeiter gewesen sein. Die meisten kannte ich nicht, da ich überwiegend mit den ca. 45 Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fachabteilung zu tun hatte. In der Vorhalle ging ich zum Anmeldeschalter, an dem ich mich mit Personalnummer, Name und privater Adresse eintragen musste und dann ein Ticket mit meiner Sitzplatznummer bekam. Als ich mich gerade umdrehen und in den Vortragsraum gehen wollte sprach mich jemand an:
„Sieh an, der Superverkäufer Gernot Lürssen . Haben Sie denn als Überflieger wenigstens einen Erste Klasse Sitzplatz bekommen?“
Das war Udo Manz, einer der Kollegen aus dem Innendienst, der nicht besonders talentiert oder fleißig war, aber immer einen dämlichen Spruch auf den Lippen hatte. Ich konnte ihn nicht leiden und nachdem ich einige Male seine Inkompetenz bei passender Gelegenheit bei unserem Vorgesetzten angedeutet habe, beruhte das sicher auf Gegenseitigkeit.
„Hauptsache nicht zu nah bei Ihnen“, sagte ich zynisch und ging in Richtung Vortragsraum. Manz grinste als ich an ihm vorbei ging . Einen bösen Blick hatte ich schon eher von Manz erwartet. Idiot! Als ich mich in die Sitzreihe einfädelte, wo meine Platznummer war, musste ich mich an meinem Abteilungsleiter vorbeizwängen, um vier Sessel weiter zu meinem Sitz zu gelangen. Mein Boss war ein knurriger Typ, der aus meiner Sicht unverdient die Früchte meiner Arbeit erntete. Bei Gesprächen mit ihm ging es immer nur ums Geschäftliche. Ein öfters verdientes Lob hatte ich von ihm nie bekommen. Daher war ich etwas erstaunt, als er mich merkwürdig lächelnd ansprach:
„Hallo Lürssen, Sie suchen doch ein neues Auto oder ? Ich habe Ihnen einen Sonderdruck des Automagazins mitgebracht. Sie legen doch auf Luxus und neueste Technik großen Wert ?“ Mit diesen Worten drückte er mir ein dünnes Sonderdruckheftchen in die Hand.
„Wir haben heute Abend im Hotel noch eine Überraschung für Sie! Sie kommen doch?“
„Aber natürlich.“ sagte ich gefasst.
Der Großteil meiner Kollegen kam von auswärts und übernachtete in einem nahegelegenen Hotel, wo dann auf Firmenkosten ein Abendessen stattfand. Ich wohnte hier im Ort und hatte mir deshalb kein Hotelzimmer reservieren lassen. Außerdem hatte ich eigentlich nicht vor, mir den Abend bei einem Essen mit diesen eingebildeten Durchschnittstypen von Kollegen zu versauen. Allerdings war die Frage von meinem Chef eindeutig als zwingende Aufforderung zu verstehen. Und vielleicht war die Überraschung ja eine Würdigung meiner Leistungen vor versammelter Mannschaft. Auf alle Fälle nahm ich mir vor, beim unvermeidlichen abendlichen Umtrunk mit niemandem auf Brüderschaft anzustoßen. Als Leistungsträger muss man eine gewisse Distanz bewahren. Schließlich rechnete ich ja auch in naher Zukunft mit einer Beförderung. Sollten meine Untergebenen mich dann duzen ?
Die Veranstaltung würde gegen 16.00 Uhr zu Ende sein. Eine halbe Stunde später hatte ich einen Termin bei der Niederlassung eines süddeutschen Premiumautoherstellers . Das Autohaus war gleich um die Ecke –das würde zeitlich kein Problem werden. Im Hotel musste ich erst um 19.00Uhr sein. Über zwei Stunden Zeit um mir mein geplantes neues Fahrzeug in Ruhe anzusehen und mich beraten zu lassen. In meiner Firma fuhren die unteren Dienstränge mit eigenen Autos und erhielten Kilometergeld – wie ich auch – noch. Die Abteilungsleiter und Mitarbeiter mit herausragenden Leistungen hatten Anspruch auf einen Dienstwagen. Ein Firmenwagen war auch mein nächstes Ziel, denn bei ca. 60.000 Kilometern die ich im Jahr zurücklegte musste ich mir alle 2,5 Jahre einen neuen Wagen kaufen. Für ein durchschnittliches Mittelklassemodell reichte das Kilometergeld gut aus, für eine Premiumlimousine , die mir wohl sicherlich zustand, musste ich bislang jeden Monat etwas drauflegen.
Neben mir sowie direkt vor und hinter mir saßen ein Großteil meiner Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fachabteilung. Einige schauten lächelnd zu mir herüber, als ich mit einem überlegenen Gesichtsausdruck betont lässig Platz nahm. Warum grinsten die alle so blöde? Sonst war der Umgang mit denen immer unerfreulich. Kurz und knapp wurden meine E-Mails beantwortet, im direkten Gespräch waren die meisten eher bissig und ich hatte öfter das Gefühl, dass hinter meinem Rücken über mich getuschelt wurde. Und jetzt diese lächelnden Gesichter! Hatte das mir der „Überraschung“ am Abend zu tun? Wussten die etwas, was ich nicht mitbekommen hatte? Vielleicht stand meine Beförderung zum Abteilungsleiter an und ich würde die Nachfolge von unserem Chef antreten, der kurz vor dem Ruhestand war. Und diese halbintelligenten Gestalten versuchten auf diese dümmliche Weise „gut Wetter“ bei mir zu machen. Da würden sie sich aber noch wundern. Wenn ich das Zepter erst mal in den Händen hätte, würde die gesamte Abteilung aufgemischt. Gedanklich ging ich einige Typen durch. Da war die Abteilungssekretärin, die regelmäßig die Mittagspause überzog und wenn der Chef nicht da war, stundenlang im Internet surfte. Zweimal schon hatte ich diese Pflichtverletzung bei der Personalabteilung gemeldet, aber passiert war nichts, außer, dass sie mich nicht mehr grüßte.
Dann der dicke Müller, Außendienstler wie ich. Er war lahmarschig hoch drei. Vor einem halben Jahr hatte er wochenlang an einem Großprojekt herum gestümpert , bis ich schließlich den Einkaufsleiter des potentiellen Kunden zu einem großzügigen Mittagessen einlud, meine ausgefeilte Rhetorik einsetzte und im Anschluss kurz darauf den Auftrag bekam. Der dicke Müller hatte dann überall in der Abteilung herumerzählt, ich hätte ihm den Umsatz geklaut und wäre ein niederträchtiger Kerl der über Leichen geht. Seitdem gehen wir uns gezielt aus dem Weg. Er ist halt kein Vertriebsprofi sondern ein Opfer. Warum hat der gelächelt? Sonst vermeiden wir jeden Blickkontakt. Dann kam mir der schüchterne Lemmers aus der Auftragsbearbeitung in den Sinn. Er saß jetzt schräg vor mir. Letztes Jahr hat er still und heimlich eine Power-Point Präsentation über eine neue Marktausrichtung unserer Abteilung erstellt und mich um meine Meinung gebeten. Ich habe sie mir per Mail schicken lassen und ihm zwei Tage später mitgeteilt, dass sie nichts taugt. Nachdem ich die Präsentation etwas überarbeitet und geändert hatte, habe ich sie unserem Hauptabteilungsleiter als Verbesserungsvorschlag zukommen lassen. Lemmers hat mich danach mit traurigem Hundeblick angeschaut. Was soll es, wenn man erfolgreich sein will, darf man keine Gewissensbisse haben.
Zu den meisten anderen Mitarbeitern fielen mir ähnliche Geschichten ein. Sie waren entweder zu langsam, zu unentschlossen oder einfach nicht kompetent. Da war ich ein ganz anderes Kaliber. Wenn ich eine Chance sah, nutzte ich sie zu meinem Vorteil. Als Top-Mitarbeiter darf man nicht zimperlich sein und muss sich ums eigene Fortkommen kümmern.

Die Veranstaltung begann. Zunächst sprach der Vorstand über die weltweite Konzernentwicklung. Dann gab es langatmig und trocken einen Überblick über die Geschäftsentwicklung in Deutschland. Selbstbeweihräucherung nenne ich das, wenn die tolle Planung und die enormen Umsatz- und Gewinnzahlen vorgestellt werden. Aus meiner Sicht basiert der Erfolg und das Umsatzwachstum auf der Arbeit von Leistungsträgern wie mir.
In der ersten Pause las ich den Sonderdruck des Automagazins, welches mir mein Chef in die Hand gedrückt hatte durch. Es war ein Testbericht über genau das Oberklassemodell mit dem ich liebäugelte. Auf der letzten Seite war noch ein Nachruf auf den Trabant. Woher wusste er, was mir vorschwebte ? Bei der einen oder anderen Gelegenheit hatte ich zur Sprache gebracht, dass ich mir ein angemessenes Auto zulegen wollte. Das hatte nach meiner Einschätzung nur keinen sonderlich interessiert. Hing das mit der „ Überraschung“ zusammen? Sollte ich etwa einen Dienstwagen bekommen ? Und dann direkt so ein Luxusding? Nun , verdient hatte ich es mir ja wohl.
Die einzelnen Fachabteilungen konnten auch noch ihre Vorträge bringen und nach schier endlosen Stunden, unterbrochen lediglich von zwei kurzen Pausen, war dann um kurz vor vier Uhr pünktlich Schluss.
Sofort machte ich mich auf den Weg zum Autohaus. Da sowohl der Händler, als auch das Hotel ganz in der Nähe lagen, ließ ich mein Auto auf dem Parkplatz der Veranstaltungshalle stehen und ging zu Fuß. Das Autohaus war ein glänzender Palast. Als ich durch die Tür in den Ausstellungsraum trat, stand ich mitten zwischen den verschiedenen Modellen. Die Fahrzeuge wurden von Scheinwerfern angestrahlt und glitzerten um die Wette. Im Hintergrund kam ein Mann aus einem Verkaufsbüro und ging auf mich zu.
„Herr Lürssen ?“
Ich nickte. “Guten Tag“, brummte ich.
„Neumann. Wir haben telefoniert! Schön da Sie da sind.“ Er schüttelte mir kraftvoll die Hand. „Wenn Sie hier rüber kommen möchten – hier steht das Modell für das Sie sich interessieren.“
Ich ging die paar Schritte auf den prachtvollen, in graumetallic lackierten Boliden zu und stellte gedanklich fest, dass das genau der richtige Farbton sei.
„Laufen Sie doch erst mal um den Wagen rum und sammeln erste Eindrücke“, schnurrte der Verkäufer.
„Mit diesem Modell liebäugle ich schon eine ganze Weile. Sie müssen wissen, dass ich ein Vertriebsprofi in einem großen Konzern bin. Da will man bei der Kundschaft und genauso in der eigenen Firma darstellen, wer man ist. Ich denke der ….“ Mitten im Satz brach ich ab.
Unbemerkt waren drei Kollegen von mir hereingekommen. Manz, der dicke Müller und Heinecke standen lächelnd vor mir.
„Mir ham jesehen, dat Se hier reinjejangen sin“, sagte Müller in seinem peinlichen Slang.
"De Chef hat Ihne doch jesacht, dat mir ne Überraschung haben“ strahlte er wie ein Honigkuchenpferd.
„Wenn ich eine Andeutung machen darf - das hat mit einem Auto zu tun…!“ teilte Manz geheimnisvoll mit. Und dann :
„Kommen Sie doch direkt mit, das Ganze soll noch vor dem Abendessen stattfinden.“

Meine Gedanken überschlugen sich. Das hat mit einem Auto zu tun! Also nicht nur eine offizielle Belobigung sondern einen Dienstwagen als Bonus ? Daher der Sonderdruck vom Chef? Oder sogar schon die Beförderung? Ich sah den Autoverkäufer Verzeihung heischend an und sagte in bewusst coolem Ton:
„Dann gehen Sie mal voraus meine Herren. Schauen wir mal, was anliegt.“
Innerlich war ich alles andere als cool. Würde dies endlich mein erster größerer Karriereschritt sein?
Als wir nach wenigen Minuten Fußweg am Hotel ankamen sah ich schon durch die gläserne Eingangstür, dass sich scheinbar alle meine Kollegen aus der Fachabteilung in der Hotelhalle , wo sich auch die Rezeption befand, versammelt hatten. Ich ging durch die Tür und sah in die lächelnden Gesichter der Menschen, die rund um ein großes , in ein hellblaues Bettlaken eingehülltes Paket, mit riesiger roter Schleife standen. Keiner sprach ein Wort. Unter dem Laken lugten Reifen hervor. Das ganze Ding hatte die Form eines Autos!
Aber es war viel zu klein! Was war hier los ? Das Lächeln der Leute erschien mir nun auch mehr wie ein hämisches Grinsen. Ich wollte etwas sagen, brachte jedoch kein Wort heraus. Schließlich trat die Abteilungssekretärin vor das Paket und sagte zu mir gewandt:
„Wir haben für dieses Geschenk alle zusammengelegt!“
Dann zog Sie mit einem Ruck das Laken herunter und zum Vorschein kam… ein Trabi - ein uralter Trabant. Der Lack war vergammelt, die Sitze völlig verschlissen, eine Stoßstange hing halb runter… eine absolute Schrottgurke.
Quer über die Windschutzscheibe war ein Pappschild mit einem handgeschriebenen Text angebracht:

Als Zeichen unserer Wertschätzung!

Ende

 

Hallo troisdorf,

zuerst einmal Willkommen im Forum. Dein Text ist sehr gut lesbar, Du schreibst aus der Sicht des Ich-Erzählers und verwendest dabei die klare Sprache die wohl auch dem Protagonisten als Vertriebsmitarbeiter zu Eigen ist. Im Laufe der Geschichte wird dem Leser der Charakter des Erzählers in einem inneren Monolog vorgestellt, der ihn durchaus unsympathisch macht und machen soll. Dies vollführst Du mit so großer Konsequenz, dass es kaum möglich ist sich mit dem Charakter zu identifizieren, der ja einerseits bester Vertriebler im Konzern ist und anderseits absolut sozial inkompetent und unempathisch vorgeht. Es kommt zu einem Ungleichgewicht, das an der Realität vorbei geht und den Charakter seltsam eindimensional erscheinen lässt. Denn erfolgreiche Vertriebler im Außendienst brauchen mehr als ausgeklügelte Rhetorik, Sie brauchen z.B. ein funktionierendes Team im Rücken, welches die Verträge, Angebote usw. zeitnah fertig macht, wer da mit seinen Kollegen so umspringt wie Dein Herr Lürssen, bringt sich schnell selber zu Fall. Außerdem wird zumindest ein Verständnis von Sozialkompetenz und Empathie beim Kunden benötigt. Hier hängt meiner Meinung nach die Geschichte zum ersten Mal. Ein weiteres Mal hängt sie bei der Pointe, die ist nämlich sehr vorhersehbar, man muss nur den Titel, den eindimensionalen Protagonisten und die Erwähnung des Trabis zueinander in Bezug setzen, um darauf zu kommen. Gleiches gilt für die Grundidee der Geschichte, die setzt auf ein Rachemotiv, der Protagonist wird vor seinen Kollegen gedemütigt, nachdem er diese schlecht behandelt hat. Hier wünschte ich mir wesentlich mehr Einfallsreichtum.

Fazit:
Schreibstil gefällt mir gut. Die Idee für die Story ist nicht neu. Der Charakter ist blass und bietet keinen Spielraum für Entwicklung, die Pointe daher absehbar.
Schreiben kannst Du. Beschäftige dich jetzt mit Dramaturgie und klopfe Deine Charaktere genau ab, welche Motive haben sie und wie erreichen sie ihre Ziele. Dann merkst Du schnell ob Du auf dem richtigen Weg bist oder nicht.

Schöne Grüße
Lem Pala

 

Hallo Lem,

herzlichen Dank für Deine ausführliche Kritik. Sie ist besser ausgefallen, als ich befürchtet habe.
Dass der Charakter etwas blass ist, habe ich schon beim Schreiben geahnt. Nun ja, das war mein erster Versuch. Die Motive der Protagonisten mehr herauszuarbeiten ist ein guter Tipp. Deine Anregungen werden mich wohl weiterbringen.

Danke
troisdorf11

 

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