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Meine Kleine

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05.08.2014
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Meine Kleine

Meine Kleine. Sie war nicht sonderlich hübsch und auch nur von durchschnittlicher Intelligenz – wenn überhaupt. Sie erinnerte mich jedoch an etwas...


Zu meinem 28. Geburtstag backte mir meine Verlobte einen Kuchen. Er war gut. Etwas trocken, aber gut. Wir verbrachten den Tag, den Abend und die Nacht miteinander.
Das war nun das vierte Jahr hintereinander, dass wir das taten.
In drei Tagen sollten wir in eine andere Stadt ziehen. In eine große Stadt. Dort würde das neue Leben auf uns warten. Eine 2-Zimmer-Wohnung und ein fünfstelliges Nettogehalt. Für den Anfang hörte sich das doch gar nicht schlecht an, oder? Das Studium war vorbei und zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich damit konfrontiert, mir mein eigenes Ziel zu setzen. Weder Schul- noch Hochschulabschluss gab es mehr zu erreichen. Ich konnte nun selbst entscheiden, in welche Richtung die Reise gehen sollte. Klar war das jetzt alles keine Ideallösung, geschweige denn genau der Weg, den ich einschlagen wollte, aber man sollte ja auch nicht zu wählerisch sein und die Messlatte auch noch nicht zu hoch legen. Die Ziele kamen morgen, heute war die Arbeit dran.


Ich gestaltete mir meine Umgebung selbst. Jeder tat das, oder? Und was ich sah war eine Stadt, deren Zeit vorbei war. Ihre Zeit war weitergezogen und hatte mich mitgenommen. Sah ich doch noch vor gerade einmal zehn Jahren volle und ausverkaufte Hallen bei diversen Livekonzerten, spielten heute dieselben Bands vor einem Publikum, das vielleicht aus 25 Menschen bestand. Keine Menschenmengen mehr, die sich schwitzend aneinander pferchten und im Chor mitsangen und mittanzten, sondern 25 Menschen, die alle davon schwärmten, wie sie dieselbe Band vor zehn Jahren spielen sahen, und damals die Hallen voll und ausverkauft waren; dass sie damals alle zusammen tanzten und sangen. Mit Tränen in den Augen goss man sich das letzte Bier in den Rachen. Schneller als sonst. Noch bevor das letzte Lied vorbei war, damit man sich nicht mit den Musikern dafür schämen musste, dass es heute keine tosende Menge gab, die nach einer Zugabe rufen würde. Das lauteste Geräusch nach dem Konzert würde das des Kabels sein, wenn es aus dem Verstärker gezogen wird.
Vor gerade einmal fünf Jahren wurde noch diskutiert zusammen mit ungebildeten, klugen Menschen. Heute wurde nur noch nachgeredet und zitiert zusammen mit intelligenten, dummen Menschen.


Es war Zeit zu gehen. Dorthin, wo auch die Zeit gegangen ist, um sie wieder einzuholen; um wieder mit ihr zu gehen. Keine Ahnung, wo das genau sein wird. Sollte ich es denn wissen? Ich glaube nicht … zu viele Informationen waren die Zerstörung eigener Ideen. Blöderweise konnten jedoch zu wenige Informationen dem Verstand einen Funken Angst entspringen lassen und ich bat Gott, die Natur, das Universum, das Schicksal, den Zufall, das Glück oder wie auch immer man die Macht schimpfen wollte, die die Fäden zog, dass dieser Funke nicht in die falsche Richtung springen und alles zu Staub und Asche verarbeiten würde. Ich hatte eine scheiß Angst. Vor allem, was kommen würde…


Wie ich hier landete, wusste ich irgendwie nicht mehr. Ich war in der Bar, in meiner Bar, von früher. Wo hätte ich sonst hingehen sollen? Ich hatte noch keine Lust auf diese verdammten Bars, in die sich keine jungen Leute verliefen. Auf diese Bars in die nur Leute mittleren Alters gingen; das eine Auge in das halbleere Glas auf dem Tresen gerichtet, das andere auf den sonnigen, imaginären Horizont, der doch noch das Glück versprach, dem all die verlorenen Seelen hinterrannten. Nein Danke.

„Hab heute Spaß und genieße die letzten Tage hier…“, gab sie mir durchs Telefon mit, als ich gerade dabei war, die Treppen des Hauses herunterzugehen, in dem sich unsere Studentenwohnung befand, „… und vergiss nicht.“
„Werde ich nicht.“
„Was wirst du nicht?“ Ich konnte hören, wie sie durchs Telefon lächelte.
„Vergessen, dass du mich liebst.“
„Richtig. Ich liebe dich.“
„Ich dich auch.“

Ich stand an der Theke und stocherte mit einem Strohhalm in meinem Glas rum. Das Klirren der Eiswürfel konnte ich nicht hören, da die Musik zu laut war. Unterhalten hätte man sich auch nicht können. Eventuell wenn man sich angeschrien hätte, aber wer genoss sowas schon?
Gesellschaft hätte ich keine gewollt. Ich wollte mich in alkoholgetränkter Melancholie von dieser Stadt verabschieden. Ich würde sie vermissen – all das Bekannte – und auch froh sein, endlich hier weg zu können. Die Freiheit rief immerhin nach mir und ich wollte diesem Ruf folgen, oder? Mir wurde mal gesagt, dass es das war, was das Leben spannend machte…

Es war spät und die meisten Anwesenden waren schon stark betrunken. So wie ich … ich war ein paar Gläsern zu viel auf den Grund gegangen, war aber noch nicht am Limit.

Durch meine verschleierte Sicht und meinem leichten Tunnelblick sah ich sie etwas zu spät auf mich zukommen. Als ich sie bemerkte, befand sie sich schon fast unmittelbar vor mir. Sie blieb genau vor meinem Gesicht stehen, küsste mich auf den Mund und lächelte mich an. Ich kannte sie überhaupt nicht...
"Bist du nicht schon fertig mit Bars wie dieser, alter Mann?", sagte sie und grinste mich mit einer Art jugendlicher Überheblichkeit an. So als ob das hier ihr Revier wäre.

Vielleicht war ich wirklich schon fertig mit derartigen Bars, aber ich wollte eben noch einmal vorbeischauen, bevor ich mich in die große und weite Welt stürzte.

"Wen nennst du hier alt?"
Blöderweise musste ich in ihren Augen wirklich schon alt wirken. Ich versuchte sie, so gut es mir meine Sicht noch erlaubte, zu mustern und stellte fest, dass sie mindestens zehn Jahre jünger sein musste als ich – wenn nicht noch mehr. Kein Altersunterschied eigentlich, aber in Anbetracht der Tatsache, dass ich noch keine verfluchten 30 war, doch ein ziemlicher Altersunterschied.
Sie lächelte mich immer noch an, ging ein paar Schritte zurück und streckte ihre Arme seitlich aus, als wollte sie anfangen zu tanzen.
Ihr Getränk drückte sie irgendeinem Typen in die Hand. Bekannt oder unbekannt, war mir gänzlich unbekannt. Er schien jedoch irgendwie äußerst überrascht.
Sie schloss ihre Augen und fing an zu tanzen. Hier in dieser Bar, wo normalerweise niemand tanzte. Außer vielleicht einer Gruppe von Leuten, die regelmäßig vorbeischauten und ununterbrochen auf XTC waren.
Sie ließ fast unmerklich ihre Hüfte kreisen, ging leicht in die Knie, fasste sich mit ihren Händen langsam, wie in Zeitlupe, an den Hinterkopf. Ihre Bewegungen waren fließend. So fließend und so wunderschön anzuschauen, dass es fast unrealistisch wirkte und ich davon überzeugt war, dass mir mein Verstand im Bezug darauf, wie perfekt sie wirklich aussah, einen Streich gespielt haben musste.

Doch wie ihre Bewegungen in Zeitlupe abzulaufen schienen, so schien auch die Zeit immer langsamer zu werden. Immer langsamer, bis sie stehen blieb.

Es war nicht ihr Aussehen, das mein Verlangen nach ihr auslöste. Auch nicht die Tatsache, dass sie offensichtlich etwas auf mich stand. Das passierte eben. Solche Situationen waren nichts Neues für Menschen in Beziehungen. Man lernte damit umzugehen und nein zu sagen, wenn eine wunderschöne Person des anderen Geschlechtes auftauchte und einen Narren an einem fraß. Selbst wenn diese Person erst 17 Jahre alt war. Man verteufelte sie dann eventuell kurz dafür, dass sie nicht blicken ließ, als man noch Single war, aber nach frühestens zehn Minuten oder spätestens dem nächsten Tag hatte man die Situation vergessen und drauf geschissen.
Hier war es etwas anderes. Dieses tanzende Mädchen schilderte mir ein Szenario, wie ich es lange nichtmehr gespürt, gesehen oder erlebt hatte.
Sie tanzte, wie wir früher tanzten. An einem Ort, an man eigentlich nicht tanzte. Wieso hätte man hier auch tanzen sollen? Es war eine Bar, kein Club. Hier saß man auf Hölzernen Barhockern an der Hölzernen Theke, während man sich bei Folkmusik importiertes Bier in den Hals stellte, bis man von den Schwingtüren, die zu den Toiletten führten, niedergeprügelt wurde, weil man ihnen keinerlei Widerstand mehr leisten konnte.
Hier genoss man die Musik und das Beisammensein; hier forderte man die Ausdauer der Leber heraus, nicht die der Muskeln, die an den Knochen hingen. Wir tanzten hier früher nur wenn wir unsere Köpfe schon ausgeschaltet hatten; wenn der Verstand im Koma lag - nicht dorthin versetzt durch eine beruhigende Betäubung, sondern dreckig vom Stuhl gezerrt mit einem in Chloroform getränkten, dreckigen Lappen, der uns ohne Mitleid ins Gesicht gepresst wurde. Dann, nur dann, tanzten wir auch.

Irgendein Typ kam ihr näher und wollte offensichtlich, dass sie ihm mehr als nur den Sinn des Sehens stimulierte. Als sie ihn bemerkte, schlug sie ihm sein Glas aus der Hand, zeigte ihm den Finger und trat ihm zwischen die Beine, sodass er zusammenklappte, wie ein alter, nasser Sack und winselnd und wimmernd am Boden liegen blieb.
Ohne abrupte Bewegungen ging sie wieder in ihren Tanz über und bevor sie wieder die Augen schloss, schenkte sie mir noch ein Lächeln.

Sie benahm sich, wie wir früher, ohne Rücksicht, ohne gutes Benehmen. Einfach darauf scheißen. Und all das mit einem Stil, der in meinem Alter nicht mehr vorhanden war. Man schien diesen leider irgendwann zu verlernen oder einfach zu verlieren.
Ich konnte nicht wegsehen. Ihre Lippen, wie sie sich bewegte und wie sie sich mit den Händen durch ihre langen, dunklen Haare fuhr.

Um sie herum begann dichter, graublauer Rauch aufzuziehen und ich konnte schon bald nicht weiter als eine Armlänge sehen. Alles wurde undeutlich und verschleiert von einer dicken Schicht aus dickem Dunst. Ich konnte sie nur noch schemenhaft sehen, obwohl sie nicht weit von mir entfernt war.
Der Geruch von Zigarettenrauch stieg mir in die Nase und setzte sich in meinen Klamotten und in meinen Haaren fest. Er überdeckte all die restlichen Gerüche, die hier in der Bar vorhanden waren. Den nach getrocknetem Bier, den nach Schweiß und den nach festgetretener Kotze. War das besser? Ich fand schon. Egal.
Es war wie früher; wie in einer Zeit, an die ich mich nur noch sehr schwach erinnern konnte, da ich damals noch sehr jung war. Ich vermisste diese Zeit.

Ich nahm noch einen Schluck Whiskey und würgte ihn herunter. Er schmeckte irgendwie furchtbar. Whiskey war wie Kaffee. Ich lernte ihn erst zu genießen, als ich zum ersten Mal von seiner wunderschönen Wirkung gekostet und gelernt hatte, diese zu schätzen.

Mit meiner Zunge fuhr ich über meine Oberlippe, wo sich immer vereinzelte Tropfen in meinem Bart verfingen. Zu meiner Überraschung ertastete meine Zunge lediglich eine nackte Oberlippe. Dort befand sich kein Bart, noch nicht. Verwirrt sah ich in den großen Spiegel, der sich hinter der Bar befand. Ich blickte in das Gesicht eines Kindes. Die Wangenknochen noch nicht ganz so markant, noch keine ersten Fältchen unter den Augen. Meine Haare waren lang und das erste Tattoo am Arm juckte noch.
Ich war wieder jung. Ich stand vor einem Mädchen, für das ich in einer Zeit, in der die Entfernung zwischen meinen Füßen und meinem Kopf zwar schon ihr Maximum erreicht hatte, aber ich dieser Entfernung mental noch nicht gerecht wurde, gemordet, sie aber nie angesprochen hätte, weil ich den Mut dafür noch nicht aufbringen konnte. Ihre Unschuld, ihre Naivität und ihre - wenn auch nur überzeugend gespielte - Verruchtheit trafen mich wie Schläge ins Gesicht; von einer Hand geführt, die mit dem weichsten aller Samthandschuhe bekleidet war und dann, plötzlich, war ich wieder zurück.
Zurück, in einer Zeit, die sich anfühlte, wie der Anfang.

Ich ging zu ihr rüber und als ich vor ihr stand, riss sie mich an sich. Engumschlungen fing ich an, mitzutanzen. Am Anfang fühlte sich die Situation, in der ich mich befand, irgendwie komisch an; unangemessen und zum Teil auch falsch. Ich fühlte mich eingerostet; als ob ich die Schritte, die sie ging, lange nicht mehr gegangen war; als ob ich die Schritte niemals bewusst gelernt, aber trotzdem verlernt hatte.

Nach einiger Zeit – es konnten mehrere Stunden, oder auch nur wenige Minuten gewesen sein – fiel mir alles mehr und mehr wieder ein und meine Schritte glichen fast ihren. Wir lachten und alberten rum; wir tranken und feierten. Was wir feierten, wusste ich nicht ... es war auch egal. Alles war jetzt egal.

„Lass uns gehen.“ Wie sie es aussprach hörte es sich mehr nach einem Befehl als nach einem Vorschlag an.
„Wohin gehen?“, fragte ich.
„Egal. Werden wir sehen. Hauptsache raus hier.“

Als wir kurz unbeobachtet waren, klaute sie eine Flasche Whiskey von der Bar. Sie nahm mich lachend an die Hand und mit Augen, die vor Aufregungen nicht nur leuchteten, sondern strahlten, zerrte sie mich in Richtung Ausgang.

„Warte kurz!“, rief ich ihr nach und hoffte, dass ich lauter als die Musik war.
Sie drehte sich zu mir um und sah mich fragend an. „Warte kurz. Geh schon mal raus. Ich bin gleich da.“ Sie sagte nichts weiter, nickte mir zu und ging nach draußen.

Ich stand genau an der Stelle der Theke, an der ich die erste Hälfte dieser Nacht verbracht hatte, drehte meinen Kopf zur Seite und starrte in mein altes Gesicht. In das Gesicht mit den leichten Fältchen unter den Augen und dem Dreitagebart.

„Dein Ernst?“, fragte ich ihn und versuchte so herablassend wie nur möglich zu wirken.
„Was?“, gab er sichtlich überrascht zurück.
„Du. Das Alles… Ringring. Ich bin es. Heb ab, wir haben zu reden.“

Ich lief an ihm vorbei und rempelte ihn mit der Schulter an. Im Augenwinkel sah ich, wie er leicht taumelte und mir wehleidig hinterherstarrte.

„Wohin gehen wir?“, fragte ich sie. Meine Augen brannten nachdem ich die verrauchte Bar verlassen hatte und plötzlich der klaren und frischen Luft hilflos ausgesetzt war.
„Überallhin! Wohin du willst! Suchs dir aus!“
Während sie das sagte, riss sie ihre Arme in die Luft und drehte sich lächelnd im Kreis. In der einen Hand eine Zigarette, in der anderen die geklaute Flasche Whiskey. Ich sah ihr dabei zu und es machte mich glücklich. Sie sah toll aus. Sie hatte ihre Augen geschlossen und ihre langen Haare flogen durch die Luft. Es war ein zauberhafter Anblick und erst als sie kurz davor war hinzufallen, zog sie die Bremse und kam wankend vor Schwindel auf mich zu.
„Und?!“, fragte sie mich.
„Keine Ahnung… Wir könnten. Ich weiß nicht.“ Sie lachte laut. Etwas zu laut und zu euphorisch für meinen Geschmack. Sie küsste mich und das Szenario stimmte: Die alte Straße war fast leer; kaum mehr Menschen waren unterwegs. Die Fachwerkhäuser, die hier seit einigen Jahrhunderten wachten, beugten sich mittlerweile, vom Gewicht ihrer eigenen Fassaden nach unten gezogen, zu uns, als wollten sie uns genau beobachten; als hätten wir ein Publikum, dass nur aus Gebrechlichkeit bestand. Eine surreale Vorstellung, die realer war, als ich es mir hätte vorstellen können.
Es roch nach Sommer und leichter Wind wehte uns um die Ohren. Sie nahm mein Gesicht in beide Hände und drückte mich von sich weg.
„Ich wüsste da was.“
Ehe ich sie fragen konnte, hatte sie mich wieder an die Hand genommen und zerrte mich die Straße entlang. Die Straßenlaternen hier waren alt und spendeten nichts weiter als dieses orange-gelbe, warme Licht, das mittlerweile in den meisten Teilen der Stadt von weißglühenden Halogenlampen abgelöst wurde. Wir liefen von einem Lichtkegel in den nächsten.
Hell, dunkel, hell, dunkel …

Nach ein paar Minuten konnte ich den Fluss hören, der sich tosend seinen Weg durch unsere Stadt bahnte. Er gab gleichmäßigen Lärm von sich und noch bevor ich ihn sah, wusste ich, wo wir hingingen.

„Stopp hier.“, sagte sie, als wir die Mitte der schlecht beleuchteten Brücke erreichten.
Sie beugte sich über das Geländer. „Hier ist gut.“
Sie schüttelte sich ihre offene Jacke von den Armen und zog ihre Chucks aus, ohne die Hände zu benutzen.
„Komm schon!“, forderte sie mich auf, als sie merkte, dass ich zögerte. Sie boxte mir auf die Schulter und lächelte mich nach wie vor an. Dieses Lächeln …
Wir zogen uns komplett nackt aus und schwangen uns über das Geländer, auf einen schmalen Sims, der gerade breit genug war, um auf ihm stehen zu können.
Ich hielt mich mit beiden Armen am Geländer hinter mir fest und lehnte mich nach vorne. Unter mir tobte das Wasser. Ich wusste nicht wie tief es war und ich wusste auch nicht, wo mich die Strömung hintragen würde. Alles was ich wusste war, dass ich springen wollte.

Im Osten ging langsam die Sonne auf und ihre ersten Strahlen durchschlangen die verwinkelten Straßen der Altstadt wie riesige Tentakel.
„Was gibt’s zu verlieren?“, fragte sie mich und drückte mir den Whiskey in die Hand.
Ich sah sie an und sie sah mich an. Sie sah auf fast süße Art wahnsinnig aus. Ihre Haare wehten im starken Wind, der über dem Fluss lag und die aufgehende Sonne schien ihr mitten ins Gesicht, weswegen sie ihr rechtes Auge geschlossen hielt, das linke strahlte immer noch.
„Nichts eigentlich.“, entgegnete ich gelassen.
Ich nahm ihre Hand und wir sprangen.


Als ich aufwachte, merkte ich, dass ich nicht lange geschlafen haben konnte. Die Sonne stand nach wie vor nicht sonderlich hoch am Himmel und von der Straße her ließen sich noch kaum Geräusche ausmachen.
Während des Aufstehens fühlte sich mein Körper müde an, aber mein Verstand war vollkommen klar und frisch. Ich verließ das Schlafzimmer und ging ins Badezimmer, wo ich mir mein Gesicht wusch. Als ich meinen Kopf vom Waschbecken erhob, sah ich, wie mir ein altes Gesicht aus dem Spiegel entgegenstarrte. Es war mein Gesicht. Mein bärtiges Gesicht mit den kleinen Fältchen unter den Augen.

Sie schlief noch, als ich zurück ins Schlafzimmer schlich.
So leise wie möglich begann ich, meine Klamotten zusammenzusuchen. Ich wollte sie nicht aufwecken.
Nachdem ich jedes einzelne Stück zusammen hatte, zog ich mich an. Auf dem Weg nach draußen sah ich an der Eingangstür einen Zettel hängen, der mit Notizen vollgekritzelt war. Daran hing, an einer kurzen Kette, ein Stift und ich beschloss ihr meine Telefonnummer aufzuschreiben.
Nach den ersten fünf Zahlen verwarf ich diese Idee schnell wieder und strich alles hastig durch.
Ich wollte hier so schnell wie möglich raus. Noch bevor die Tür quietschend vollends zurück ins Schloss gefallen war, entschied ich mich zurück zu gehen. Ich öffnete die Tür erneut, nahm den Stift und notierte ihr meine Nummer. Ich schrieb keinen Namen dazu, lediglich meine zwölfstellige Handynummer Dann ging ich nach Hause.


„Du bist spät.“, murmelte meine Verlobte, als ich mich neben sie ins Bett legte.
Ich sagte nichts. „Wie war es? Hattest du Spaß?“
„Ging schon.“, sagte ich knapp und schloss die Augen.


Drei Tage später klingelte mein Telefon. Mein Display zeigte ‚Unbekannte Nummer‘ an. Ringring
„Willst du nicht abheben?“, fragte mich meine Verlobte, die halb schlafend auf dem Sofa neben mir lag.

Keine Ahnung … Sollte ich denn abheben?

 

Moin zash,

ich tu mir wirklich schwer mit meiner Kritik. Weil ... ja, weil ich weiß, dass es schwer wird. Zunächst aber mal, was ich so als Beispiele anführe:

Selbst wenn diese Person erst 17 Jahre alt war. Man verteufelte sie dann eventuell kurz dafür, dass sie [sich] nicht blicken ließ,
Oder:
Dort befand sich kein Bart, noch nicht. Verwirrt sah ich in den großen Spiegel, der sich hinter der Bar befand.
Oder:
Blöderweise musste ich in ihren Augen wirklich schon alt wirken. Ich versuchte sie, so gut es mir meine Sicht noch erlaubte, zu mustern und stellte fest, dass sie mindestens zehn Jahre jünger sein musste als ich –
Oder:
konnte ... musste ... war

Ganz klar, Du bewegst dich in Richtung lyrischer Sprache, verwendest aber viel zu viele Elemente der modernen Umgangssprache. Das wirklich gute Deutsch geht verloren, immer schneller. Ich war es früher, als dummer junger Mann, nicht, ein Verfechter der wundervollen deutschen Sprache. Aber heute bin ich es. Weil man mit ihr den Geschichten so intensiv Leben einhauchen kann, wie mit kaum einer anderen Sprache.

Dazu ist es notwendig, sie wieder zu beleben, ja, sie wieder zu lernen. Sich gegen die inflationäre Verwendung von Hilfsverben zu wehren, als Beispiel.

Leider geht auf der anderen Seite, der Leserseite, das Leseverständnis, bald und in mittlerer Zukunft, ziemlich verloren. Denn auch in den Schulen gibt man dieses Deutsch auf, tauscht es gegen das Schnelle der Moderne. Aber um der Sprache willen, und um der Erhaltung wunderschöner Literatur, will ich zumindest dagegen anschreiben.

Und Du hast mit deinem Text, einem sehr schönen Plot, auch begonnen. Aber Du solltest unbedingt noch feilen. Das ist leider wirkliches und hartes Handwerkszeug. Aber es lohnt sich für deine Geschichte. Denn ich finde sie gut.

So, ich hoffe, mein Geschwurbel hat Dir jetzt nicht die Lust genommen.

Grüße
Morphin

 

Hey Morphin

Erstmal: Doch hast du. Ich bin raus. Keinen Bock mehr auf die Scheiße...


Anderseits wurde ich noch nie auf meine Verwendung von Hilfsverben aufmerksam gemacht.
Stimmt schon, was du sagst. Ist mir irgendwie nie aufgefallen. Und ob dus glaubst oder nicht, ich hab mir gerade en Post-it an den Bildschirm geklebt, um mich zukünftig daran zu erinnern, weil ich auch andere Geschichten von mir durchgegangen bin und feststellen durfte, dass ich viel zu viele Hilfsverben benutze. Danke dafür...


zash

 

Erstmal: Doch hast du. Ich bin raus. Keinen Bock mehr auf die Scheiße...
:susp:

Wohin raus? Weg? Wat? Warum? Wegen mir? Weil ich dich auf einem Weg sehe, der lyrisch ist und deshalb eine besondere sprachliche Beachtung benötigt? Ne, deswegen nicht.

Du darfst mich schlagen, wenn ich die falschen Worte gewählt habe. Du BIST doch auf dem Weg. Der Weg ist aber lang. Keine Ahnung, wie viele ihn schon gingen. Ich hab gedacht, ich komme nie so weit. Und mein Weg ist auch nicht fertig, so wenig, wie der der meisten anderen, die schreiben.

Schreiben IST Entwicklung. Nicht nur das Handwerkszeug, nicht nur die Sprache die man lebt, erlebt und immer wieder neu lernt. Schreiben ist INNERE Entwicklung. Und die kann man nicht vorwegnehmen.

Lass Dich doch nicht von so nem Arschloch wie mir entmutigen. Ich bin nichts.

Also. Weitermachen. Nur so macht schreiben Sinn. Im Weitermachen.

Morphin

 

Das war en Witz... als ob du mir hier den Spaß verderben könntest :read: .

Was genau verstehst du unter 'lyrisch'?


zash

 

Im Osten ging langsam die Sonne auf und ihre ersten Strahlen durchschlangen die verwinkelten Straßen der Altstadt wie riesige Tentakel.
Das ist ein lyrischer Ausdruck. Also eine mehr bildhafte, fließende Beschreibung einer Realität, die ein anderer so NIE sehen würde. Das Drumherum in einen Lavastrom von Worten gießen, denen nüchternere Betrachter nie auf die Schliche kämen.

 

Alles klar. Danke. Ich weiß immer nicht, wie ich derartige Kinder beim Namen nennen soll.
Das ist einer meiner wenigen Texte gewesen, die ich 'normal' (so nenne ich es :lol: ) geschrieben habe.
Eigentlich mag ich es, sprachlich etwas abzudrehen - auf die eine oder andere Art - aber hier ließ der Plot das für mich irgendwie nicht ganz zu und ich mochte den Plot und deswegen habe ich die Geschichte geschrieben. Ob ich mich auf den 'lyrischen Weg' begebe, weiß ich noch nicht so recht, weil die lyrischen Dinger eher nur eine Minderheit in meinen Texten ausmachen...

 

Hallo,

diese Geschichte ist sprachlich unpräzise, spekulativ, oft belehrend und an den wichtigen Stellen einfach vollkommen konstruiert. Zudem ist der Erzähler ein in Selbstmitleid Ertrinkender.

Bsp: Ihre Zeit war weitergezogen und hatte mich mitgenommen
Eben nicht. Sonst würde er der Zeit nicht hinterherrennen und dies bedauern. Dann würde ihm dies nicht weiter auffallen, denn er betrachtet das alles retrospektiv.

Bsp: Auf diese Bars in die nur Leute mittleren Alters gingen; das eine Auge in das halbleere Glas auf dem Tresen gerichtet, das andere auf den sonnigen, imaginären Horizont, der doch noch das Glück versprach, dem all die verlorenen Seelen hinterrannten.

Er meint keine Bar, sondern eine Kneipe oder ein Pub. (Da wird Bier getrunken). Egal. Woher hat der Prot denn dieses Wissen - woher weiß er, das es alles verlorene Seelen sind, die sich da an einem imaginären Horizont sonnen?

Bsp: Es war wie früher; wie in einer Zeit, an die ich mich nur noch sehr schwach erinnern konnte, da ich damals noch sehr jung war. Ich vermisste diese Zeit.

Ich denke, der Prot ist 28. Leidet er an früher Demenz? Oder ist er mit fünf um die Häuser gezogen? Also, entweder, er ist 59 oder 67, dann kann ich das nachvollziehen. So ist das schlicht unglaubwürdig.

Und dann? Dieses Lolita, die 17 ist und ihn antörnt. Ist es eine Traumsequenz, wo er mit seinem jungen Alter ego konferiert? Ich weiß es nicht, es wird nicht deutlich. Jedenfalls lesen sich diese Szenen wie eine Altherrenphantasie - leider, muss man sagen.

Bsp: Sie sah auf fast süße Art wahnsinnig aus. Ihre Haare wehten im starken Wind, der über dem Fluss lag und die aufgehende Sonne schien ihr mitten ins Gesicht, weswegen sie ihr rechtes Auge geschlossen hielt, das linke strahlte immer noch.

Wie sieht man denn auf fast süße Art wahnsinnig aus? Mit rosa Einhörner in den Augen? Das ist sprachlich nicht gut gemacht. Entweder du beschreibst es, diesen einen Eindruck, oder aber du zeigst es dem Leser. So ist das eine Nullinformation.

Dieser Text traut sich nichts. Im Endeffekt bietet er dem Leser auch nichts an. Welche Erkenntnis, außer Selbstmitleid, welches aber ja noch belohnt wird (!) mit einem One Night Stand. Also, hätte er sie jetzt angelabert und sich einen wirklich derben Korb abgeholt, oder sie hätte mit ihm gespielt und ihm mal gezeigt, hier, das hättest du wohl gerne, aber er kriegt sie nicht, so dass ihm bewußt wird, seine Zeit läuft ab, oder sie ist schon abgelaufen - aber so? Der Prot hat nichts zu verlieren und er verliert auch nichts. Er gewinnt eine Nacht mit einer süßen Wahnsinnigen und vögelt ihr wahrscheinlich das Gehirn raus, und kehrt dann versoffen zu seiner Alten zurück. Da sehe ich wenig Konflikt, um ehrlich zu sein.

Mir hat dein Text leider nichts gesagt.

Gruss, Jimmy

 

Hey jimmy,
danke für die durchaus ausführliche Kritik. In vielerlei Hinsicht hast du Recht (spekulativ, belehrend, Selbstmitleid etc), aber selbstverständlich muss ich mich bei einigen Einwänden auch mal en bisschen rechtfertigen ;)

Eben nicht. Sonst würde er der Zeit nicht hinterherrennen und dies bedauern. Dann würde ihm dies nicht weiter auffallen, denn er betrachtet das alles retrospektiv.
Mhh. Das ist entweder falsch verstanden, oder von mir schlecht ausgedrückt worden. Die Zeit hat ihn in diesem Fall lediglich mit aus der Stadt heraus genommen, aber nicht mit zu einem neuen Ort. Er fragt sich im Laufe der Geschichte, wo seine Zeit wohl hin ist. Sie war nicht mehr 'hier', genauso wie er nicht mehr 'hierher' gehört.

Er meint keine Bar, sondern eine Kneipe oder ein Pub. (Da wird Bier getrunken). Egal. Woher hat der Prot denn dieses Wissen - woher weiß er, das es alles verlorene Seelen sind, die sich da an einem imaginären Horizont sonnen?
Du hast Recht. Er meint eine Kneipe ... Und ob du es glaubst oder nicht. Man kann in diese Absteigerkneipen auch reingehen und sich mit den Leuten unterhalten, sich umschauen, einen Eindruck gewinnen (ob der stimmt oder nicht sei mal so dahingestellt) und dann sagen, dass man da nicht mehr rein will, weil man eben diese und jene Ansicht vom Klientel hat...

Ich denke, der Prot ist 28. Leidet er an früher Demenz? Oder ist er mit fünf um die Häuser gezogen? Also, entweder, er ist 59 oder 67, dann kann ich das nachvollziehen. So ist das schlicht unglaubwürdig.
Hier ein kurzer Schwank aus meinem Leben. Ich bin keine 17 mehr, aber ich bin auch noch keine 28. Als das Rauchverbot in bayrischen Kneipen/Bars/Pubs/Clubs etc. eingeführt wurde, sollte ich ungefähr 18 gewesen sein. Wo ich (blöderweise) herkomme, war es sehr schwierig ohne gefälschten Ausweis irgendetwas in der Stadt zu machen. Dh alles was vor meinem 18. Geburtstag (seit meinem 14. ca.) passiert ist, spielte sich größtenteils in privaten Kreisen ab. Mit 18 gings dann los und schon ein paar Monate später wars das dann mit dem Rauchen. Also ja, ich finde, dass die Stelle einigermaßen stimmt. Ich kann mich durchaus an mein 18. Lebensjahr erinnern, aber viele Geschehnisse hätten genauso gut mit 17 oder 19 oder 20 passieren können. Soll heißen, dass ich mich an diese besagten 2 - 3 Monate in denen ich noch in der Öffentlichkeit rauchen durfte, so gut wie gar nicht erinnern kann - ich kann sie nicht mehr 100% zuordnen - , weil das Langzeitgedächtnis durchaus ein Arschloch sein kann ;). (Lass die Geschichte meinetwegen nicht in Bayern spielen, wenn du gerade versuchen solltest das hier auszurechnen ^^)

Jedenfalls lesen sich diese Szenen wie eine Altherrenphantasie - leider, muss man sagen.
Wenn sie sich so lesen, dann habe ich da was falsch gemacht. Die 'Situation' an sich ist jedoch alles andere als eine Altherrenphantasie...

Wie sieht man denn auf fast süße Art wahnsinnig aus? [..] Das ist sprachlich nicht gut gemacht. Entweder du beschreibst es, diesen einen Eindruck, oder aber du zeigst es dem Leser.
Recht hast du. Das war zu kurz. Ich werde entweder en schwächeres Wort für 'wahnsinnig' nehmen, oder es näher beschreiben müssen.

Dieser Text traut sich nichts.
Gefällt mir sehr gut :thumbsup:.


beste Grüße
zash

 

hey Tashmetum

vielen Dank für dein ausführliches Feedback.

Erstmal:

Nostalgie, Wehmut ... und das, obwohl Du noch recht jung bist ... mhm.
Ich denke, dass gerade mein jüngeres Alter - noch nicht ganz 'erwachsen', aber auch kein Kind mehr - recht viel Raum für Nostalgie bietet... aber was genau meinst du damit? Ist das so ein Ausspruch des Beileids oder eher eine gewisse Stutzigkeit, weil ich theoretisch noch nicht sooo viel davon weiß? (Hab leider keine Ahnung, ob das im Laufe der Zeit anders wird... woher auch?! :D)

Ich finde es sehr gut, dass du - wie die anderen hier - meine Sprache kritisierst. Ich habe hier bisher erst 3 Geschichten gepostet und was ich irgendwie lustig finde ist, dass diese hier meine 'neutralste' in Sachen Sprache ist. Die anderen beiden finde ich irgendwie doch um einiges extremer und ich habe auch länger damit gezögert, sie hier zu posten, obwohl sie mir besser gefallen als diese hier.
Wie es jimmy vor dir schon gesagt hat

Dieser Text traut sich nichts.
Und das stimmt. Hier habe ich mich nicht ganz so weit aus dem Fenster gelehnt und wollte es mal etwas ruhiger angehen lassen und die Kritiken sind durchwegs 'schlechter' als bei den anderen, was mich irgendwie in meinem Glauben bestärkt, dass mir das extremere besser steht.

Wie dem auch sei... ich stimme dir in deinen Kritikpunkten zu, und es freut mich, dass dir immerhin der Inhalt gefällt.

zash

 

Hi zash,

ich schreibe dir einfach mal beim Lesen mit und gebe dir mein direktes Feedback, ganz unverfroren, ohne viel herumzureden, ich glaube, das bringt einem am meisten.

Sie erinnerte mich jedoch an etwas...
Ich würde die drei Punkte weglassen, ich finde, sowas wirkt schnell irgendwie billig. Jedoch erinnerte sie mich an etwas. fände ich schön, weil der vorige Satz schon mit einem Sie begonnen hat

Klar war das jetzt alles keine Ideallösung, geschweige denn genau der Weg, den ich einschlagen wollte,
Den Gedanken kann ich als Leser nicht ganz nachvollziehen, weil davor das kam:
In drei Tagen sollten wir in eine andere Stadt ziehen. In eine große Stadt. Dort würde das neue Leben auf uns warten. Eine 2-Zimmer-Wohnung und ein fünfstelliges Nettogehalt.
Da solltest du viel spezifischer sein. Er zieht nach Münster und bekommt einen Job als Müllmann (mit fünfstelligem Gehalt), obwohl er Radfahrer und Müll hasst. Dann könnte ich nachvollziehen, wieso er damit nicht zufrieden ist. So klingt das doch eigentlich gar nicht so übel.
Welchen Weg will er denn einschlagen, was für Ziele hat er? Das ist sehr (!) wichtig zu schreiben, weil Ziele und Träume Figuren sehr sehr stark charakterisieren

Jeder tat das, oder?
würde das im Präsens schreiben, so klingt es falsch

bei diversen Livekonzerten
Würde paar Bands aufzählen, das macht Texte authentisch und anschaulich

Ich wollte mich in alkoholgetränkter Melancholie von dieser Stadt verabschieden. Ich würde sie vermissen – all das Bekannte
Wenn du bei deinen Leser Gefühle erzeugen willst, bis bspw. hier, dann musst du ihnen davor szenisch etwas bieten, damit sie die Gefühle des Prots nachvollziehen können. Was macht die Stadt so besonders? Wo war er mit seinen Leuten unterwegs, was ist spannendes passiert in der Stadt, was war so der beste Tag in der Stadt? Erzähle davon, zeige das, dann versteht der Leser auch, wie schrecklich es ist, diese Stadt zu verlieren.

Bekannt oder unbekannt, war mir gänzlich unbekannt.
Sie schloss ihre Augen und fing an zu tanzen. Hier in dieser Bar, wo normalerweise niemand tanzte.
Doch wie ihre Bewegungen in Zeitlupe abzulaufen schienen, so schien auch die Zeit immer langsamer zu werden.
Ich würde an deiner Stelle beim Korrekturlesen mal penibel auf Wortwiederholungen achten, das kann unschön sein

Sie tanzte, wie wir früher tanzten.
Da wärs eben cool, wenn man jetzt schon eine Szene im Kopf hätte, wie früher denn aussah. Ich als Leser habe keine Ahnung, wer der Prot ist, was er früher gemacht hat. Das weißt du, der Autor, ja. Aber ich nicht. Zeig was davon!

Hölzernen Barhockern an der Hölzernen Theke
hölzernen

dass sie ihm mehr als nur den Sinn des Sehens stimulierte.
what?

sodass er zusammenklappte, wie ein alter, nasser Sack
autsch. Das ist ein sehr abgedroschenes Bild, da findest du was besseres

Ohne abrupte Bewegungen ging sie wieder in ihren Tanz
Texte nach dem Schreiben würde ich immer durchgehen und versuchen, alles wegzustreichen, was nicht von Belangen ist, was nicht fehlen würde. Ist es wichtig, dass sie ohen abrupte Bewegungen wieder tanzt? Oder ist das etwas, das den Lesefluss verlangsamt? Überleg mal. Was willst du sagen? Du willst sagen: Sie tanzt wieder. Sag das doch auch so, ohne Füllmaterial

Der Geruch von Zigarettenrauch stieg mir in die Nase und setzte sich in meinen Klamotten und in meinen Haaren fest. Er überdeckte all die restlichen Gerüche, die hier in der Bar vorhanden waren.
Das passt nicht. Woher weiß es, dass der Geruch in den Klamotten und Haaren sitzt? In dem Augenblick kann er das nur vermuten. Erst am nächsten Tag wird er es wissen. Könntest du streichen, das ist wieder sowas, was nicht wichtig ist, eigentlich, was bloß die Geschwindigkeit rausnimmt

Es war wie früher; wie in einer Zeit, an die ich mich nur noch sehr schwach erinnern konnte, da ich damals noch sehr jung war.
Nee. Er war doch keine drei, er war fünfzehn, sechzehn. Weil es so lang her ist, deswegen kann er sich nicht erinnern

Er schmeckte irgendwie furchtbar. Whiskey war wie Kaffee. Ich lernte ihn erst zu genießen, als ich zum ersten Mal von seiner wunderschönen Wirkung gekostet und gelernt hatte, diese zu schätzen.
Das könntest du bspw. auch streichen, das erschließt man sich beim Lesen selbst, finde ich. Also ich höre jetzt auf, dir Sachen wegzustreichen, ich hoffe du verstehst, was ich meine, dass du ruhig Dinge rausstreichen kannst aus Sätzen oder dem Plot, die eigentlich unwichtig sind, die den Lesefluss verlangsamen, oder? Also du musst das auch nicht machen, ist halt bloß mein Tipp

„Stopp hier.“, sagte sie,
ohne Punkt

Hey, ich fand's gar nicht schlecht. Echt nicht. Sprachlich ist da noch Luft nach oben, wie gesagt, die vielen Wiederholungen, das Füllmaterial; beim Plot würde ich den Anfang etwas umbauen, ich würde zeigen, wie toll es früher war, was der Prot so geiles Erlebt hat in seiner Zeit mit 18, 19, 20, aber nicht nacherzählen, sondern vllt. sogar szenisch, mit Dialog und so. Dann die Szene in der Bar, als er das Mädchen kennenlernt und mit ihr schläft. Immer im Nacken die Verlobte. Oder schieb so Szenen von früheren, coolen Abenden immer mal zwischenrein in die eigentliche Handlung in der Bar, das fände ich auch cool. ABer nur VOrschläge, wie gesagt.
Das wird.

Grüße

 

”It is the evening of today
Eye sit ’n’ watch some children play
Doin’ things Eye used to do
They think are new
Eye sit ’n’ watch as years go by.”​

Whiskey war wie Kaffee
Schon fast richtig,

lieber zash,
(ich setz Dich hier gegenüber gestern (Du erinnerst Dich?) vom grammatischen Geschlecht her mit dem Icherzähler gleich) -

aber Kaffee macht abhängig … Kennt man ja aus der schönen neuen und auch älteren Arbeitswelt. An sich kein Grund, bei Dir vorbeizuschauen – aber das Thema Liebe scheint mich derzeit zu verfolgen wie eigentlich sonst nur ein Rudel von Wolfderivaten, da ist es nur konsequent, auch die zeitliche Komponente hinzuzufügen, denn genau das geben die Verse aus der seltsamen Reise 67 an. Das schlichtere Original stammt übrigens von Mick Jagger (“As Tears Go By“), das er geschrieben hat, als er sechs Jahre jünger war als Dein Icherzähler. Die Klosterschülerin an der Abbey Road (muss man ja nicht jedem auf die Nase binden) hat es zu Anfang ihres fünften Jahrzehnts angemessen gecovert – und das ist ja Dein Thema, wie hier in dem Gemälde

Die Fachwerkhäuser, die hier seit einigen Jahrhunderten wachten, beugten sich mittlerweile, vom Gewicht ihrer eigenen Fassaden nach unten gezogen, zu uns, als wollten sie uns genau beobachten; als hätten wir ein Publikum, dass nur aus Gebrechlichkeit bestand
(das gelungene Bild verrät auch eine poetische Ader – worauf Morphin schon hingewiesen hat - in Dir, die Du aber überwiegend zu verbergen weißt, wohl um eher jüngere Zeitgenossen anzusprechen – wiewohl doch Vergänglichkeit Dein Thema ist; gleichwohl würde – zumindest zum Schluss des Satzes – Zeitlichkeit durch den Konjunktiv verstärkt, also statt
…, dass nur aus Gebrechlichkeit bestand
ein „… bestünde“, was nicht zufällig die umgelautete Stunde ist.

Die Alten haben sich da schon was bei gedacht. Aber die Aussage

Es war Zeit zu gehen. Dorthin, wo auch die Zeit gegangen ist, um sie wieder einzuholen; um wieder mit ihr zu gehen
erinnert mich an Gottfried Keller (wenn auch nur ein ganz, ganz kleines bissken) und ist zu relativieren, denn die Zeit geht nicht*. Klingt hier halt so’n bissken an ...
Doch wie ihre Bewegungen in Zeitlupe abzulaufen schienen, so schien auch die Zeit immer langsamer zu werden. Immer langsamer, bis sie stehen blieb.
Letzteres nennt man dann Ewigkeit des Augenblicks ("Verweile nur ..." beim ollen Faust). Sie ist gebunden an den Raum wie der Geist an den Körper, es gibt nur Gegenwart, Vergangenheit – und ein End-Twen hat schon eine von fast drei Jahrzehnten – frisst Zukunft, die in dem Maße schrumpft wie Vergangenheit sich aufbläht. Da kann man als 28-jähriger dem Jugendwahn verfallen – und recht hat er: Die Weisheit, „Trau keinem über dreißig“, muss ja eine Ursache haben, dass einem 28-jährigen angst und bang werden muss - aber welche denn, wenn die „Jungen“ sich wieder verloben, gutbürgerlich halt sich die Ehe versprechen. Was aber nix über die Liebe aussagt, schon gar nix über deren Dauer, wie ja auch die Geschichte mehr von einem kurzfristig nachgegebenem triebhaften Verlangen – da sei der Kaffee vor! - mit anschließendem schlechten Gewissen erzählt.

Erstaunlich wenig formale Schnitzer und wenn, dann scheinen sie mir gelegentlich wie eine eigene, selbstgesetzte Regel zu wirken, wie etwa mit den Auslassungspunkten! Drei Auslassungspunkte zeigen i. d. R. an, dass in einem Wort, Satz oder Text was ausgelassen wurde – in diesem Fall behaupten sie, dass wenigstens ein Buchstabe fehlte (warum hier Konjunktiv II?; verrat ich sofort:) Ich erkenne wohl, dass am etwas was fehlen könnte – aber Du mit Sicherheit nicht, denn dann sprächen wir Mittelhochdeutsch (konkret: etewer, unser heutiges irgendwer oder –was) miteinander oder gar eine noch ältere Sprachstufe . Also besser mit Leerstelle zwischen dem vorhergehenden Wort und den Punkten:

Sie erinnerte mich jedoch an etwas[…]...
Hier klappt’s doch
Ich glaube nicht … zu viele Informationen waren
Scheinbar aber nur dann, wenn eingebettet zwischen zwei Worten, wie eben hier.
Solltestu also noch mal ganz durchschauen, geht im Prinzip sofort weiter mit
Vor allem, was kommen würde…

Manchmal setztu ans Ende der wörtl. Rede einen eher entbehrlichen Punkt
„Nichts eigentlich.“, entgegnete …

„Stopp hier.“, sagte sie, …
Wenn bloßer Aussagesatz, endet in diesem Fall die wörtliche Rede mit den auslaufenden Gänsefüßchen. Isser aber nich’, wie ich meine, denn der Satz schreit nach einem Ausrufezeichen!
„Lass uns gehen.“ Wie sie es aussprach hörte es sich mehr nach einem Befehl als nach einem Vorschlag an.
Warum dann die wörtliche Rede hier nur als Aussagesatz (und dann noch mit dem störenden Punkt? Das hätt ich sogar so geschrieben, wenn’s nur wie eine Bitte klingen sollte …

Wie im richtigen Leben haben Sätze (auch Nebensätze!) Anfang und Ende. Manchmal wird eins von beien vergessen

Auf diese Bars[,] in die nur Leute mittleren Alters gingen; das …
Wir tanzten hier früher nur[,] wenn wir unsere Köpfe schon ausgeschaltet hatten; …
Meine Augen brannten[,] nachdem ich die verrauchte Bar verlassen hatte[,] und plötzlich …
Ich wusste nicht[,] wie tief es war[,] und ich …
Alles[,] was ich wusste[,] war, dass ich springen wollte.
Ihre Haare wehten im starken Wind, der über dem Fluss lag[,] und …

Ja, ich weiß schon, bald wird mir ein Kom(m)a-Prof angetragen ….

Gelegentlich ziehstu zusammen, was gar nicht zusammengehört (selbst wenn eines Tages die opportunistische Dudenredaktion da was ändern wird)

…, aber wer genoss sowas schon?
So was immer auseinander, da eigentlich „so etwas“
nichtmehr

Hier die einzigen offensichtliche Flüchtigkeiten, es ist halt was vergessen worden, vorzugsweise ein „dem“

An einem Ort, an man eigentlich nicht tanzte.
Hier saß man auf Hölzernen Barhockern …
Warum große hölzerne …?

So viel oder wenig für heute!
In jedem Fall hat mir die Geschichte besser gefallen, als Tommy …
Komm ich später drauf zurück, verspricht der

Friedel

* Gottfried Keller hat das m. E. am besten auf den Vers gebracht:

„Die Zeit geht nicht, sie stehet still, / Wir ziehen durch sie hin; / Sie ist ein Karawanserei, / Wir sind die Pilger drin. // Ein Etwas, form- und farbenlos, / Das nur Gestalt gewinnt, / Wo ihr drin auf und nieder taucht, / Bis wieder ihr zerrinnt. // Es blitzt ein Tropfen Morgentau / Im Strahl des Sonnenlichts; / Ein Tag kann eine Perle sein / Und ein Jahrhundert nichts. // Es ist ein weißes Pergament / Die Zeit und jeder schreibt / Mit seinem roten Blut darauf, / Bis ihn der Strom vertreibt. // An dich, du wunderbare Welt, / Du Schönheit ohne End, / Auch ich schreib meinen Liebesbrief / Auf dieses Pergament. // …."

 

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