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Kurz, kürzer, meine letzte Kurzgeschichte
"Superkräfte"
Auch wenn Sedera nicht viel wusste, war sie sich bei dieser einen Sache doch ziemlich sicher: Kassendienst beim Sommerschlussverkauf im Superkräfte-Supermarkt war ein undankbarer Job.
Nach der großen Superheldenschwemme, damals 2029, hatte die Obrigkeit beschlossen in allen größeren Städten die Möglichkeit für einen zeitbegrenzten Erwerb von besonderen, aber auch scheinbar belanglosen Fähigkeiten, zu ermöglichen. Jede erdenkliche Erweiterung der eigenen Persönlichkeit – von der Verbesserung der körperlichen Stärke, über Gedankenleserei, bis hin zu Kleinigkeiten, wie, nicht niesen zu müssen, wenn man morgens direkt in die Sonne sah – konnte in bunten, teils glitzernden Boost-Boxen erworben werden und ebensolche zog Sedera nun seit Stunden im Akkord über das Laufband ihrer Kasse.
Unsichtbarkeit – Miep – Teleportation – Miep – Röntgenblick – Miep…
Monotonie machte sich breit, bis sich ein barbie-esk aussehendes Mädchen, entgegengesetzt der Anstellrichtung, an der Schlange der wartenden Kunden vorbeidrängelte und sich erschreckend selbstbewusst vor Sedera positionierte.
Die goldblond gefärbten Ringellocken zu zwei, seitlich an ihrem Kopf gebundenen Zöpfen schüttelnd, hob sie vorwurfsvoll und bitter blickend ihren Kopf. Sie schien nicht wirklich enttäuscht, aber umso mehr entrüstet darüber, dass die von ihr zuvor ausgiebig erprobte Superkraft wohl defekt gewesen zu sein schien. Sie knallte den lieblos geöffneten Karton auf das Kassenband und forderte von Sedera eine unverzügliche und befriedigende Reaktion, die sie mit den Worten: “Das hat mir Mama, die blöde Kuh, gekauft. Keine Ahnung, was das sein soll, aber es ist kaputt!“ einleitete.
Der forsche Ton des Kindes, das noch nicht einmal dem Vorschulalter entwachsen zu sein schien, irritierte Sedera zwar, hielt sie aber nicht davon ab, das, für diesen Fall vorgesehene Schema zu durchlaufen: Artikel ungefragt zurücknehmen, weglegen, quittieren, den Gegenwert auszahlen, weitermachen.
Mit einem Bündel Bargeld verschwand das Miniatur-Biest Richtung Verkaufsfläche, wohl um seinen erlittenen Schaden wieder auszugleichen und Sedera verfiel in ihr gewohntes Bewegungsmuster zurück und schob für den Rest ihres Arbeitstages weiterhin farbig funkelnde Boost-Boxen über die Scannerfläche des Kassenbandes.
Als der Supermarkt an diesem Abend seine überdimensionierten, vollautomatischen Einganstüren schloss, trennte Sedera nur noch die Aufgabe der Retouren-Abwicklung von ihrem Feierabend. Sie griff in das Fach unterhalb ihrer Kassierstation und hatte die zurückgegebene Verpackung des kleinen Mädchens in der Hand. Aus reiner Neugierde strich Sedera die verknitterte Front der Pappschachtel glatt und dachte sich: “Stimmt, war wahrscheinlich wirklich kaputt.“ als sie die Inhaltsbeschreibung des Kartons entdeckte und das Wort “Dankbarkeit“ las.