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Aus in Zeitlupe

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21.08.2014
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Aus in Zeitlupe

(1)
Wo wohnst du? Tippte sie in die Tasten.
In Nizza, und du? – kam die Antwort
Oh- schön… ich friste mein Leben in Straßburg.
Ach, das Elsass… und was suchst Du hier auf diesem Chat?
Nichts – ich suche gar nichts, tippte sie wieder. Muss man das? Ich bin bloss allein und wollte mal den Bildschirm wechseln.
LOL- kam es zurück. Es ist wohl kalt bei Euch, immerhin ist noch Winter?
Ja, antwortete sie. Das ist natürlich BEI EUCH im März keine Frage….. Und womit verdienst du dein Leben in Nizza?
Mit gar nichts mehr, kam es sofort zurück. Ich bin Musiker, aber mehr oder weniger in Rente.
Komisch, dachte sie, mit 55 ? Und sie gab weiter ein:
Was heißt "weniger" ?
OK…… war die Antwort, ich bin krankgeschrieben. Aber nichts Schlimmes.
Auch das kam ihr wieder verdächtig vor. "nichts schlimmes" aber trotzdem fast Rente? Sie tippte zurück:
Was hast Du denn ? Eine Krankheit die länger dauert?
Ja, war die Antwort.
Das war ihr nicht genug. Sie drängte weiter:
Ja was denn ? Sag's schon!
Naja, was genetisches. Nicht so schlimm.
Verdammt, sie hasste es wenn jemand so zögerte.
Sag's mir richtig, was ist schon dabei!? Hast Du MS ?
Nein (Erleichterung auf ihrer Seite)
Nur spinale Muskelatrophie.
"Nur" ??? Bestürzung erfasste sie.
Oh! War ihre erste Reaktion.
Darauf folgte eine lange Diskussion. Die Computertastatur lief heiss. Sie erfuhr einiges über diese Krankheit, lernte, dass es mehrere Varianten gäbe, eine davon brach erst sehr spät, nach 50, aus. Sie heisst "Morbus Pompe".
Wie gross bist du, fragte sie später mal.
1m76, hiess es, und wiege 78 kg. Das ging ja noch, dachte sie. Aber eigentlich konnte es ihr ja egal sein. Sie wollte ja keinen Mann, der krank und zu alledem noch 20kg leichter war als sie.
Lange Zeit später meinte sie, sie müsse jetzt Schluss machen.
Hast Du MSN? Fragte er
Vielleicht – tippte sie als Antwort… Wozu?
Ich würde gern öfters mit Dir diskutieren. Ich mag deine Art… Würdest du mir deine Adresse geben?
Oh Gott, was will er von mir? Ich habe doch jetzt schon 2 Std. mit ihm gesprochen. Er ist ja sehr nett, aber was soll aus sowas werden?
Ach nein, schrieb sie in das Antwortfenster. Warum auch!? Das nützt uns doch nichts. Lassen wir's dabei bewenden.
Du bist ein harter Brocken, kam als Antwort zurück. Warum darf ich dich nicht weiter anschreiben? Es würde mir Freude machen, ich streite gerne mit dir! Bitte, lass mir Deine MSN Adresse.
Nein, nein, ich möchte keine Kontakte mehr zufügen, antwortete sie erneut. Nachher hört man sowieso nichts mehr von den Leuten.
Von mir hörst/siehst du bestimmt wieder was. Gib Deine Adresse und ich werde es dir beweisen!
Sie gab sich geschlagen. War ja auch egal. Sollte der Kerl aufdringlich werden, konnte sie ihn immer noch blockieren.
OK, tippte sie wieder. Versuch's mal, ob die Verbindung klappt.
2 Minuten später erklang der Messengerton.
Hello, schrieb sie in das Fenster.
Siehst Du, es geht doch - schrieb er zurück. Wie schön, dass Du mich nicht rausgeschmissen hast.
Sie sah sein Foto – ein offenes, freundliches Gesicht, graumeliertes Haar, braune Augen und ein lachender Mund. Eigentlich ganz nett.
Ich bin müde, schrieb sie zurück, reden wir morgen weiter.

(2)
- Guten Abend! Wie geht es Dir?
- Mein Gott, lass mich doch erst mal ankommen, war die Antwort. Ein lachendes Emoticon war dabei.
Aha, sie freute sich anscheinend.
- Wie war dein Tag? Ihre Antwort kam schnell und knapp: Langweilig. Und deiner?
- Ich hatte einiges zu tun, mit meinem Geschäft und dem Teilhaber. Und morgen ist wieder Probe, da muss ich noch was vorbereiten. Aber jetzt bin ich nur für dich da. Was machst Du eigentlich im hohen Norden?
- Ich bin arbeitslos, schrieb sie zurück. Die Transportfirma, in der ich arbeitete, hat meinen gesamten Arbeitsplatz nach Deutschland verlegt.
- Verdammt, tippte er zurück. Das ist hart.
- Ja – besonders in meinem (biblischen) Alter (ihren Humor hatte sie scheinbar trotz allem nicht verloren). Aber ich lasse es noch mal drauf ankommen, vielleicht hab ich noch mal Glück. Und wenn nicht, dann beantrage ich eben Frührente.
Jetzt schrieb er: "biblisches" Alter? Du bist gerade mal 1 Jahr älter als ich. Sag mal, hast du ein Foto?
Antwort: Au weia, genau das wollte ich vermeiden. Aber du hast es ja so gewollt. Krieg nur mal keinen Schreck!
Es erschien ein Foto in dem dazu vorhergesehenen Rahmen. Blond, blaue Augen, kurzes Haar; regelmäßige Gesichtszüge, leichtes Lächeln. Sie gefiel ihm sofort. Und sie sah nicht aus wie 56.
- Lebst du alleine? Fragte er vorsichtig
- Nein, erschien ihre Antwort. Ach, dachte er; wär ja auch unwahrscheinlich gewesen, dass so eine nette Frau allein ist. Aber dann kam der nächste Satz:
- Ich wohne mit meiner Tochter und Antonio bei Marcel.
Was? dachte er – was ist denn das für ein Haushalt?
- Erklär mir das mal näher, tippte er ein.
Wieder erschien das lachende Emoticon. Und dann kam nur noch: Antonio = Hund, Marcel = Kater
Diesmal sendete er das Lach-Emoticon. Und schrieb:
- Ich bin verheiratet, wir sind seit 30 Jahren zusammen. Ich habe zwei Töchter und eine Enkeltochter.
Er hoffte, dass sie diese Eröffnung nicht abschrecken würde, und wirklich, ihre Antwort ließ etwas auf sich warten.
Aber dann kam ihr Text: Weiß deine Frau, dass du im Internet flirtest und Mädchen aufreißt?
Das hatte er natürlich nicht erwartet. Er musste wieder lachen und schickte erneut das Lach-Emoticon.
- Ja, tippte er. Sie ist informiert und es ist ihr egal. Sie hat einen Liebhaber, denn wir haben beschlossen, solange ich noch nicht im Rollstuhl sitzen muss, dass jeder von uns noch ein bisschen vom Leben profitieren soll.
Er wusste nicht, wie sie das aufnehmen würde. Eine Weile kam keine Antwort. Und dann ein längerer Text:
- Das ist wenigstens ehrlich. Mich hat mein Mann jahrelang belogen und betrogen, hat auf meine Kosten gut gelebt und mich ausgenutzt. Ich vertraue niemandem mehr. Man gewöhnt sich ans Alleinsein.
Er verstand, warum sie vorher so zurückhaltend gewesen war und sie hauptsächlich über seine Person diskutiert hatten. Es wurde ihm bewusst, dass sie sich trotz allem für ihn interessiert hatte und seine Probleme gelesen und kommentiert hatte, ohne Vorurteile und ohne Mitleid.
- Du hast ein zu großes Herz, tippte er in das Fenster. Aber das mag ich so an Dir.
- Danke, schrieb sie. Aber Du brauchst mir bitte keine Komplimente zu machen, an sowas bin ich nicht gewöhnt!
- Gut, tippte er gleich wieder ein. Aber dass Du mir gefällst, hast Du bestimmt schon gemerkt!
- Ja, kam zurück. Ich denke es mir. Aber was soll ich damit anfangen? Du bist weit weg und schon vergeben und überhaupt nicht "mein Typ". Lass uns über was andres reden.
So, da hatte er es wieder. Kalte Dusche. Einfach so. Jedes Mal, wenn er meinte, er hätte ein endlich etwas Boden gewonnen, schickte sie ihn wieder in die Wüste.
- OK, schrieb er zurück. Was macht deine Tochter?


(3)
- Hallo, wie geht es dir, meine Liebe?
- Danke, es geht… Und du? Hast Du das mit deinem Geschäftspartner erledigt?
- Ja, wir haben uns auf eine Ratenzahlung geeinigt. Gottseidank zahlt meine Krankenkasse fast mein vollständiges Gehalt weiter, seit dem ich krankgeschrieben bin.
- Du kannst das Geschäft nicht weiter mit führen?
- Nein. Mit der Zeit werde ich keine Kraft mehr haben, Instrumente zu heben oder Kisten zu tragen.
- Oh nein… wie kommt das eigentlich? Warum trifft es ausgerechnet dich?
- Meine Eltern sind beide gesunde Träger des kranken Gens. Wenn beide DNAs zusammentreffen, dann wird der "Fehler" effektiv. Meine beiden Brüder sind auch davon betroffen.
- Aber was ist die eigentliche Fehlkonstruktion? Wie erklärt man das?
- Es ist kompliziert… Stell Dir Enzyme vor, die bewirken, dass sich deine Muskeln aufbauen, wenn du sie trainierst. Diese Enzyme fehlen mir. Sobald ich meine Muskeln arbeiten lasse, nutzen sie sich ab. Sie werden einfach immer weniger. Und irgendwann ist es aus. Nur das es in Zeitlupe geschieht. Unmerklich.
Sie ist bestürzt. Weiß nicht, wie sie reagieren soll. Eine Weile ist Funkstille.
- Was soll ich sagen. Ich fühle mich so ohnmächtig.
- Sag einfach nichts. Vergiss es. Sag mal, du hast doch eine Webcam – möchtest Du eigentlich nicht, dass wir uns mal "live" sehen?
Oh Gott, das auch noch. Sie hasste die Webcam. Sie fand sich selbst völlig unfotogen und mochte sich nicht zeigen. Ein Foto, das war was anderes, aber "direct live"??
- Lieber nicht, tippte sie in das Fenster.
- Warum nicht? Kam die Antwort – Du musst vor mir doch keine Angst haben!
Daraufhin musste sie wieder lachen und schickte das Lach-Emoticon.
- OK, schrieb sie, aber nur kurz, zum Fernsehen schaltest du besser den anderen Apparat ein.
Sofort kam die Anfrage nach der Webcam-Verbindung. Sie akzeptierte. Ein paar Sekunden lang tat sich nichts. Und dann – tauchte sein lachendes Gesicht auf, eine Brille auf der Nase, eine andere an einer Kette um den Hals gehängt.
- Na siehst du, sagt er, es tut doch nicht weh!
Ein Lächeln wie Philip Brenninkmeyer in einem Rosamunde-Pilcher-Film.
- Es ist aber ziemlich dunkel bei dir, schreibt er schnell. Hast du deine Stromrechnung nicht bezahlt?
- Nein, schrieb sie zurück. Ich habe nur die kleine Lampe in der Ecke, ich sitze auf meinem Bett!
- Sowas solltest du mir nicht erzählen, ich könnte mir heiße Gedanken machen!
- Das glaub ich dir nicht, du weißt ganz genau dass ich sonst wieder ausschalte!
Am anderen Ende lachte er aus vollem Hals.
- Das hab ich auch nicht anders erwartet, schrieb er. Aber trotzdem – wie schön, dich zu sehen. Ich hoffe du bist nicht allzu enttäuscht von mir.
- Doch, gibt sie zurück.
Sofort ändert sich sein Gesichtsausdruck. Bevor er noch etwas dazu sagen kann, tippt sie ganz schnell noch:
- Angenehm enttäuscht. Und grinst ihn an.

(4)
- Hello, mein Kleiner – so eröffnete sie diesmal den Dialog. Ich habe einen Vorschlag für dich. Ich weiß, es hat etwas lange gedauert und es ist schon Juni…. Ich musste erst alles auf einander abstimmen, aber soweit steht das Projekt.
- Schön, meine Süße, gab er sofort zurück. Erzähl mal!
Er wusste, dass sie solche Kosenamen nicht mochte und freute sich diebisch, als sie die Augen verdrehte.
- Also, hör zu: Ich werde meine Tochter zur Familie ihrer Freundin fahren, wo sie für die Ferien eingeladen ist. Nachher möchte ich mit meinem Hund 2 Tage am Verdon-See in den Alpen verbringen. Wenn Du möchtest, kannst Du dort hinkommen, so könnten wir uns mal treffen.
Er fiel aus allen Wolken. Das war mal eine Überraschung. Er hätte nicht gedacht, dass sie von sich aus ein Treffen vorschlagen würde. Aber…. Er startete noch einen Versuch:
- Möchtest du nicht gleich bis Nizza weiterfahren? Das geht doch schnell auf der Autobahn!
- Nein, sagt sie. Ich fahre nicht mitten im Sommer bis ans Meer, da sind mir zu viele Touristen. Entweder du kommst an den See, oder du lässt es. Ich fahre dort hin und nicht weiter.
Das war wieder mal typisch kategorisch.
- Gut, sagte er. Ich versuche mein bestes. Du hast doch meine Handy-Nummer?

(5)
SMS von ihr an ihn: 10 Uhr morgens, 30.Juli, Tochter bei Freundin abgegeben, fahre jetzt los.
SMS von ihm an sie: Ich bin schon unterwegs – du bist spät dran!
SMS von ihr an ihn: Ich weiß – und die Autobahn ist ein einziger Stau. Ich fahre durch die Berge.
SMS von ihm an sie: Sei vorsichtig, und fahre nicht wie eine Wilde. Ich warte auf Dich.
SMS von ihr an ihn: Geh ruhig zum Mittagessen, vor 15 Uhr werd ich nicht ankommen.
Bitte sag im Hotel Bescheid, dass ich etwas später komme.
SMS von ihm an sie: Hab ich schon gemacht. Nimm dir Zeit, bau keinen Unfall in den Bergen!
SMS von ihr an ihn: 16 Uhr – fahre gerade unten ins Dorf, wo bist Du?
SMS von ihm an sie: Sitze auf der Bank oben vorm Hotel.

Sie parkte das Auto, ließ den Hund heraus. Er stand von der Bank auf und es wurde ihr bewusst, wie schmächtig er wirkte. Verdammt, dachte sie, ich habe vergessen, die hochhackigen Slipper auszutauschen, als er auf sie zu kam und sie zur Begrüßung die rechts-links Küsschen austauschten. Er sagte ganz einfach zu ihr: Ich habe die Schlüssel zum Zimmer – meine Tasche hab ich schon raufgebracht. Sie fühlte sich überrumpelt und es kam ihr vor, als zitterte sie innerlich. So war das nicht vorgesehen! Sie setzte sich neben ihn auf die Bank und zog die Schuhe aus.
- Ich bin so froh, dass du endlich da bist. Ich fürchtete schon, du würdest mich hängen lassen.
- Das hätt ich nie gemacht.
- Wollen wir schwimmen gehen?
- Klar, deshalb bin ich doch hergekommen!
Er lachte: Diese Antwort hab ich erwartet. Komm, bringen wir dein Gepäck hoch.
Und: Lass uns den Aufzug nehmen, die Treppe ist nicht einfach für mich.
Sie verstand sofort und nahm ihm die Hundeleine wieder aus der Hand.
- Gib mir lieber den Hund, der zieht immer so stark. Er ist so ungestüm.
Am Strand waren nicht viele Leute.
- Oh, noch andere Hunde, wie schön. Komm, wir gehen ins Wasser!
- Ich komme gleich nach. Ich muss die kleine Schwimmweste anlegen, damit ich nicht ersaufe, falls ich Krämpfe bekomme.
Wieder die Erinnerung an das Handicap. Aber er erzählte es mit einem Lächeln, als fände er das amüsant. Sie lächelt zurück.
- Du könntest die Weste dem Hund leihen, der hat auch immer Angst, unterzugehen.
Abends schlägt er vor:
- Komm, gehen wir was essen. Wir suchen uns ein Restaurant mit Terrasse, wo der Hund mit rein darf.
Er bewegt sich mit steif gehaltenem Rücken vorwärts, greift nach ihrer Hand.
Wie peinlich, ist ihr erster Gedanke. Sieht ja aus wie Muttern, die ihren gebrechlichen Sohn ausführt. Sie beugt sich zu dem Hund herunter, als müsste sie das Halsband kontrollieren. Als sie sich wieder aufrichtet, legt er seinen Arm um ihre Schultern. Vom Regen in die Traufe, denkt sie. Er stützt sich auf sie, und schließlich lässt sie ihn doch gewähren.
- Danke, sagt er nur. Der Tag war etwas anstrengend für mich.

(6)
SMS von ihm an sie: 31.Juli, 17 Uhr – bin in Nizza angekommen. Wo bist du?
SMS von ihr an ihn: Bin eben auf der Autobahn. Noch ein paar km bis zur Abfahrt Sisteron.
SMS von ihm an sie: Fahr nicht so schnell. Und gib mir ab und zu Bescheid, wo du bist.
SMS von ihr an ihn: 18Uhr30, fahre eben an Grenoble vorbei.
SMS von ihm an sie: Du bist gut vorangekommen!
SMS von ihr an ihn: 19Uhr30, kurz vor Genf – fahre jetzt in die Schweiz rein
SMS von ihm an sie: Du fährst zu schnell!
SMS von ihr an ihn: 23Uhr, komme eben bei Basel aus der Schweiz.
SMS von ihr an ihn: 24Uhr30, bin zu Hause angekommen. Bin jetzt außer Betrieb… (grins)
++++
- Hallo, Leah – wie geht's! Ihre Freundin ist on-line auf MSN.
- Oh, bist du wieder zurück, wie war es und wie ist ER?
- Ach, es waren 2 wunderschöne Tage. Er ist ein so fröhlicher Mensch, trotz allem voller Optimismus. Ab September soll er eine Art Chemotherapie bekommen, die die Krankheit zumindest verlangsamen soll.
- Und? Was jetzt?
- Was – was jetzt!? Da kann nichts draus werden, es geht eben nicht. Erstens mag ich große kräftige Typen. Und zweitens ist er nicht frei. Aber er ist sowas von höflich, zuvorkommend, zärtlich, nett und lieb…. Aber ich denke, ich werde ihn nicht wiedersehen. Wahrscheinlich habe ich in der Nacht sogar geschnarcht.
+++++
- Mein Liebling, bist du online?
- Welchen Liebling meinst du? Ja, ich bin da. Ich arbeite an einer Übersetzung.
- Ich dachte schon du wolltest mich nicht mehr, vielleicht warst du von unserem Treffen enttäuscht?
- Nein, nein, ich habe zwei super Tage mit dir verbracht. Sie werden mir eine wirklich schöne Erinnerung bleiben.
- Da bin ich aber froh. Ich hatte schon Angst, du schickst mich zum Teufel.
- Nein, warum sollte ich. Vielen, vielen Dank für diese 2 wunderbare Tage, das Restaurant, die Bootsfahrt, und das Frühstück in der Sonne auf der herrlichen Terrasse über dem See.
Seine Augen strahlten in die Webcam.
- Ich muss DIR danken, dass du gekommen bist.

(7)
- Guten Abend! Wie geht es Dir? Kann ich dich sehen? - tippt er in das Fenster des Messenger. Seit einiger Zeit waren ihre Gespräche etwas seltener geworden, hauptsächlich, weil sie öfters telefonierten. Sie akzeptierte sofort die Webcam.
- Und wie geht es Dir? Du siehst müde aus.
- Ich hatte eine Menge zu tun. Und der Krankenhaus-Dienstag, wenn ich den ganzen Tag am Tropf hänge, macht mich auch nicht lustiger. Zum Glück haben sie dort niedliche Krankenschwestern.
Das bringt sie zum Lachen. Mit traurigem Gesicht schnüffelt er:
- Eine hat zumindest einen üppigen Busen. Wenn die mir die Nadel setzt, das lohnt sich!
Auf der anderen Seite des PC schüttelt sie mit dem Kopf und macht Ts, ts, ts,….
- Aber ich hoffe doch, dass ich DEINEN bald wieder sehe. Kommst du mich bald besuchen?
Sie grinst ihn an, tut, als wäre sie überrascht.
- Was denn? Möchtest du nicht ? Ist mir egal, ICH will dich wiedersehen.
Sie antwortet zögernd: - Ja, schon… aber ich mag nicht so gern fliegen, das weißt du doch. Ich überleg's mir.
- Ich hoffe es. Überlege nicht zu lang, im November ist das Wetter noch einigermaßen.

SMS von ihr: Bin am Flughafen. Fahren mit einem Bus bis an den Flieger. Oh Gott, ich steh total neben meinen Schuhen. Schalte jetzt das Handy aus.
Er freute sich. Bis zum Schluss hatte er gefürchtet, der Mut würde sie verlassen. In weniger als 90 Minuten würde sie vor ihm stehen. Warum es ihn so bewegte, wollte er nicht zugeben. Aber er fieberte dem Augenblick entgegen.
SMS an sie: Ich warte auf dich, meine zarte Liebste.
Er stand am Fuße der Treppe und wartete. Der Hauptteil der Menge, die mit dem Flug aus Straßburg gekommen war, war schon vorbei. Nur noch ein älterer Herr tastete sich vorsichtig die Treppe herab. Er bekam ein komisches Gefühl in der Magengegend. Wo blieb sie??

(8)
Die eindrucksvolle Anflugschneise 200m über dem Meer auf den Flughafen von Nizza. Das Wasser glitzerte, die Stadt lag in hellem Sonnenlicht, keine Turbulenzen. Ihr war komisch im Bauch. Endlich die Landebahn, und dann das Handy wieder anschalten. Eine SMS von ihm.
Sie zweifelte. Jetzt ist es zu spät, warf sie sich vor. Du wärst besser zu Haus geblieben. Aber sie musste ja den Flieger verlassen. Langsam folgte sie den Menschen, die zum Ausgang strebten. Vor ihr der ältere Herr tat sich schwer mit seiner Reisetasche auf der Treppe. Sie bot ihm Hilfe an und übernahm seine Tasche, ging langsam hinter ihm die Treppe hinab.
Unten sah sie ihn stehen, sah sein Gesicht voller Sorge - aber als er sie endlich bemerkte, ging darauf die Sonne auf.
- Ich dachte schon, du hättest es dir noch anders überlegt.
- Nein, aber jetzt muss ich mich erst mal beruhigen. Ich glaub, ich hab Herzflattern.
- Komm, wir gehen zur Haltestelle. Wir fahren mit dem Bus in die Stadt.

- 3 Tage nur wir zwei. Ich bin so froh, dass du gekommen bist.
Sie gehen zum alten Schloss hinauf, vermeiden Treppen. Auf dem ansteigenden Weg legt sie ihren Arm um seine Taille, um ihn zu stützen. Von oben hat man einen freien Blick auf den Hafen.
- Was soll das nur werden mit uns. Ich muss verrückt sein. Ich hätte nicht kommen sollen, seufzt sie.
- Das darfst du nicht so sehen, Liebes. Wir müssen uns an das kleinste Stückchen Glück klammern, das wir noch haben können. Wer weiß, wie lange das noch anhält. Das "heute" muss für uns zählen, nicht etwas anderes, was "hätte sein können". Denk nicht an den Rest, genieße die Zeit, die wir zusammen verbringen dürfen.
- Ich versuch's. Was machen wir morgen?
- Morgen zeig ich dir Monaco. Ich hab uns schon bei Caroline zum Tee angemeldet! Er lacht spitzbübisch.
- Oh, da freu ich mich schon drauf! Aber am Sonntagmorgen, da steh ich nicht auf. Kein Hund, der raus muss – das muss ich unbedingt genießen!
Am Sonntag war der Himmel dunkel und es regnete.


(9)
- Guten Abend! Bist Du da? Wo warst Du die paar Tage? Du hast mir gefehlt.
- Hello ! Ja, jetzt bin ich wieder anwesend. Ich war dem Hund im Wald unterwegs. Bin ausgerutscht - Wadenbein gebrochen. Morgen bekomme ich einen Rollstuhl.
- Oh du Arme – jetzt wirst du sogar noch vor mir im Rollstuhl sitzen. Nur DU wirst später wieder aufstehen können….
Er lacht. Der Rollstuhl schwebt wie ein Damoklesschwert über seinem Haupt und er macht sich darüber lustig.
- Na, du amüsierst dich wohl königlich mit deinem Gefährt!
Sie zeigte ihm, wie sie um das Sofa herum lenkte.
- Ja, antwortet sie, es ist wirklich lustig. Du müsstest mich im Supermarkt sehen, wie ich durch die Gänge brause.
- Hoffentlich bis du im Mai wieder auf den Beinen.
- Aber bestimmt! Anfang April wird der Gips abgenommen. Was ist denn im Mai?
- Da komm ich dich besuchen, wenn ich darf.
- Nein! Ich hab mich verhört. Du verschaukelst mich. Bitte nicht sowas!
- Doch, doch. Ich komme zu Dir, eine Woche. Zwischen zwei Behandlungen. Ich fühle mich stark genug. Wenn es dir recht ist! Ich schreibe dir dann alle Daten in einer mail.
SMS von ihm an sie: Ich sitze im Flieger. Bin aufgeregt.
SMS von ihr an ihn: Was? Du? Aufgeregt? OK, ich warte auf dich.
Der Flieger aus Nizza landet planmäßig. Er kommt mit den ersten Passagieren die Rolltreppe herunter, strebt an ihr vorbei, die an einem Pfosten herumlungert. Endlich dreht er sich um, sieht, wie sie auf ihn zukommt. Und wieder geht die Sonne in seinem Gesicht auf.
- Freust du dich nicht, dass ich da bin? fragt er erstaunt, als er die Tränen in ihren Augen sieht.
- Mist! sagt sie. Ich wollte nicht so sentimental sein. Komm, fahren wir heim.
4 Tage Tourismus mit ihm. Abends: Sofa. Eine angenehme Ruhe geht von diesem Mann aus. Aber sie sieht ihm die Müdigkeit an, fühlt die Anstrengung, die er macht, um mitzuhalten. In den Thermen in Baden-Baden steigt er auf eine Waage und stellt lachend fest:
- Oh, ich habe wieder 2 kg abgenommen. Ich werde bald eine Mannequin-Figur haben!
Und sie wischt heimlich ihre Tränen mit dem Badetuch weg.
- So, meine Liebste, in zwei Stunden geht mein Flieger. Vielleicht solltest du gleich wieder wegfahren, damit wir nicht wieder sentimental werden.
- Nein, ich werde mich schon beherrschen. Ich möchte dich eiskalt was fragen.
- Frag mich alles!
- Antworte mir frei heraus. Wenn du nicht diese Krankheit hättest, würdest du dann mit mir zusammen sein? Würdest du den Mut haben, alles hinzuwerfen, um mit mir zu leben?
- Ach, Liebling… Ich denke schon. Aber ich kann es mir nicht mehr vorstellen, die Kraft dazu zu finden. Nie hätte ich gedacht, dass es mich nochmal so schlimm erwischt.
Sie schaute ihm fest in die Augen.
- Gut, sagte sie. Das wollte ich hören. Merke dir nur eins: Ich habe akzeptiert, was du mir in Nizza geraten hast. Lass uns jede Minute auszukosten, die wir zusammen verbringen dürfen. Ich werde nichts von dir verlangen. Aber wisse, dass du dich auf mich verlassen kannst, was immer passieren könnte. Wenn du mich brauchst, werde ich für dich da sein.
Er antwortete nicht, sah sie nur an und seine Augen wurden feucht. Sie umarmte ihn und flüsterte ihm ins Ohr: - So, und jetzt hau ab. Schick mir nur eine SMS, wenn du heil gelandet bist.

Hier, im Mai 2010, endet nur meine Erzählung.
Die Geschichte selbst geht weiter. Man trifft sich weiterhin zwei Mal im Jahr. Jedes Mal muss sie feststellen, dass er noch ein bisschen weniger geworden ist. Mittlerweile mit einem Herzschrittmacher und einem Atemgerät für die Nacht ausgestattet - das Voranschreiten der Krankheit scheint gestoppt, zumindest aber wesentlich verlangsamt. 2014 im Juni : letztes Treffen in Nizza, für einen halben Tag.

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Pharo,

erster Beitrag ... und ich hab ihn nicht nur ganz gelesen, er hat mir auch sehr gut gefallen. GERNE hätte ich noch weiter gelesen. Mist. Warum hast Du es enden lassen? So abrupt?

Na gut. Es geht ums Kennenlernen und vor allem ums Vertrauen geben. Schick Vertrauen in die Welt. Was damals ohne Netz in der Kneipe oder sonstwo schon schwierig genug war, ist ja im Netz noch deutlich schwerer. Zwei Mal musste googeln, bei der Krankheit und bei diesem Lächel-Typ (uärks!). Da war mir die Krankheit schon lieber, obwohl durchaus tödlich.

Was mir anfangs ein wenig Schwierigkeiten bereitet hat, war die leserliche Trennung von im Chat geschriebenen Text und der Erzählung. Klar, ist ja kein Dialog. Gibt es dafür eigentlich schon Regeln im Deutschen? Chat-Texte? Hm, interessante Frage.

Also, mach gerne weiter so. Trotz keiner Action, eine Geschichte zweier Menschen, die sich langsam annähern. Obwohl nicht mehr die jüngsten, nehmen sie doch den beschwerlichen Weg des Kennenlernens auf sich und geben der Sache immer wieder eine Chance. Daran können sich viele Menschen ne Scheibe oder zwei abschneiden.

Grüße
Morphin

 

Hello Morphin
Es freut mich, dass Dir meine Geschichte gefallen hat. Ich habe sie an diesem Punkt enden lassen, weil alles was vorher kam, schon das Wesentliche ist. Es gibt keinen Ausweg aus der Situation und ich glaube, ich könnte das, was nachher kommt, nicht mit der gleichen Leichtigkeit schildern.
Eigentlich ging es mir ja hauptsächlich darum, ob mein "Stil" gut ankommt.
Danke für diese Ermunterung, weiter zu machen.
Grüsse
ph

 

Hallo Pharo13,

frage mich, ob die Geschichte zumindest teilweise autobiografisch ist. Einige Dialoge und besonders die SMS-Kontakte kommen mir so vor, als hättest du sie der "Realität" entnommen, auch ich finde da vieles zu langatmig. Die Geschichte an sich gefällt mir, auch mit der Botschaft, eine Sache nicht aufzugeben, nur weil sie nicht sehr zukunftsträchtig ist, kann ich etwas anfangen. Nur finde ich da manches etwas klischeehaft formuliert. Z.B.:

Lass uns jede Minute auszukosten, die wir zusammen verbringen dürfen. Ich werde nichts von dir verlangen. Aber wisse, dass du dich auf mich verlassen kannst, was immer passieren könnte. Wenn du mich brauchst, werde ich für dich da sein.

Ich denke, man könnte die Geschichte gut "entschlacken", dadurch würde sie gewinnen.
Noch eine Kleinigkeit. Bei

Wie gross bist du, fragte sie später mal.

dachte ich, es gibt einen Zeitsprung. Das ist ungünstig formuliert.

Liebe Grüße
Cleng

 

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