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Verspätung
(Das ist meine erste verfasste Kurzgeschichte. Ich bin ein kompletter Laie was das schreiben betrifft und es hätte mich nur einmal interessiert, wie die Kritik aussehen würde.)
20 Minuten Verspätung. Verdammt.
Obwohl ich die durchschnittliche Wirkungsdauer der von mir konsumierten Substanzen kenne, überkommt mich die betäubende Angst, ich könnte in der Zeit, die ich noch länger auf meinen Zug warten muss, nüchtern werden. Dann würde ich höchstwahrscheinlich den Schwanz einziehen und wieder nach Hause gehen, ohne dass etwas geschehen ist. Nichts geschehen. Wie an jedem anderen erbärmlichen vergangenen Tag in meinem Leben. Immer alles perfekt durchplant, dennoch nie etwas umgesetzt.
Aber heute nicht. Nein.
Ich begebe mich in die Bahnhofstoilette und ziehe den Rest von meinem Speed in die Nase. Dazu noch ein paar Nipper an der in meinem Rucksack mitgeführten Whiskeyflasche. Aber nicht zu viel, ich darf nicht betrunken sein. Nur ein bisschen für den Mut. Und um den Hass aufrecht zu erhalten. Dieser ist heute mein Freund, mein Gehilfe und meine Erlösung.
Während ich wieder zum Bahnsteig zurückgehe, läuft das Pep langsam meinen Hals hinunter. Ich weiss nicht warum, aber so ekelhaft dieser bittere Geschmack auch ist, ich mag ihn. Ich liebe ihn.
Endlich fährt er ein. Ich steige ins hinterste Abteil und setze mich neben eine alte Dame.
Zu alten Damen bin ich normal immer sehr höflich und zuvorkommend und spiele ihnen Interesse an ihren blöden Geschichten vor, die sie immer erzählen, wenn man einfach nur ungestört mit dem Zug fahren will.
Auch dieses mal erfüllt sich das Klischee und sie beginnt mich mit irgendeinem Mist zuzutexten.
Aber heute bin ich nicht nett. Heute darf ich nicht nett sein. Mich nicht ablenken. Deshalb blicke ich ihr ins Gesicht und bitte sie mit einem Grinsen endlich ihre Fresse zu halten. Wow. Das tat vielleicht gut. Diese plötzliche Entgeisterung in ihren Augen. Das darauf folgende empörte Schweigen. Herrlich.
Natürlich. Sie ist einsam, alle die sie kannte sind wahrscheinlich bereits tot oder senil und es war nicht korrekt von mir. Aber fuck it, ich war viel zu lange viel zu freundlich. Und ab heute bin ich ein neuer Mensch. Ein Mensch ohne Zukunft und ohne Vergangenheit. Es gilt nur das eine Ziel zu erreichen. Was davor war oder was danach kommt ist irrelevant.
Der Zug fährt los. Knapp eine halbe Stunde verbringe ich damit aus dem Fenster zu starren. Zum ersten mal sind meine Gedanken dabei nicht wirr und ich mache mir keine Gedanken über Gott und die Welt oder den Sinn des Lebens. Mein Kopf fokosiert sich nur auf meine Aufgabe.
Der Zug bleibt stehen. Ich dränge mich durch die Leute und verlasse den Zug. Meine Finger kramen den kleinen Zettel mit der Adresse aus meiner Hosentasche. Ich hoffe es ist die richtige. Sie MUSS die richtige sein.
Ich schwebe förmlich die Bürgersteige der mich umgebenden Großstadt entlang. Ich hasse große Städte. Nein. Ich hasse die Leute darin. Das tue ich. Die Ganzen Anzugträger mit ihren arroganten Blicken, die man ihnen am liebsten aus der Fresse schlagen möchte, die ganzen Halbstarken Kinder der Neureichen, die sich mit ihren schicken neuen Rollern treffen, nicht schätzen was sie haben und mich immer so verdammt blöd anstarren wenn ich vorbeigehe. Aber am schlimmsten sind immer noch diese pseudointelligenten Studenten-Neuzeit-Hippies. Die sind doch geistig hängen geblieben. Jeder normale Mensch merkt schon im Grundschulalter, dass er durch tragen von Strickjacken und Hipsterbrille oder durch ausschließliche Ernährung von überteuerten Bioprodukten nicht die Welt retten kann. Und in der Masse dieses organischen Abfallhaufens verlieren die Menschen, die noch echte Werte, echte Liebe und Aufrichtigkeit in sich tragen, den letzten Glanz in ihren Augen.
Herzog-Friedrich-Straße. Hier muss es sein.
Wie ich es mir gedacht habe handelt es sich bei der Hausnummer 23 um ein Reihenhaus. Ich muss am Anfang schnell handeln, damit die Nachbarn nichts merken. Zumindest so lange nicht bis ich hier fertig bin.
Ich drücke den Knopf der Klingel. Zwanghaft versuche ich die Gedanken abzuwehren, die mich anflehen, einfach wegzugehen.
Ich rede mir ein, dass ich keine Angst kenne. Ich bin auf Pep. Ich habe getrunken. Ich brauche keine Angst zu haben, denn die Drogen regeln alles. Was jetzt auch immer passieren wird. Ich werde nicht zögern.
Die Tür öffnet sich. Ich erkenne ich sofort wieder. Er ist zwar 12 Jahre älter geworden und richtig fett, aber er ist es.
Ich werde begrüßt mit einem freundlichen: "Ja bitte, was kann ich für sie tun?".
Das nette Grinsen verlässt sofort diesen Planeten als sich meine Antwort als einen wuchtigen Tritt in den Bauch entpuppt, der für mich zweierlei Nutzen hat: Mein Gegenüber schweigt, da ihm kurzzeitig an Luft mangelt. Ausserdem taumelt er weit genug nach hinten, sodass ich mir schnell Zugang in das Haus verschaffen und die Tür in Eile hinter mir schließen kann.
Fuck. Was ist wenn noch jemand im Haus ist? Hat er Besuch? Hat er Familie? Ich entschließe mich den nun am Boden Röchelnden einfach danach zu fragen. Zu meinem Glück schüttelt er mit dem Kopf. Diese Antwort verschafft mir die Gewissheit, bei meinem heutigen Weg in die persönliche Erlösung nicht gestört zu werden.
Ich springe auf dieses Erbärmliche Stück Fleisch und verlängere seinen Zustand temporärer Verwirrtheit mit zwei Faustschlägen ins Gesicht. Lange genug um mein Springermesser aus der Tasche zu holen. Ich packe ihn am Schopf und halte ihm die Klinge an den Hals.
Ich sollte erwähnen, dass ich gerade nirgendwo lieber wäre als in meiner Wohnung, in meinem kuschligen, warmen Bett. Ich habe eine Scheißangst. Ich habe wahrscheinlich sogar mehr Angst wie der Typ auf dem ich gerade knie. Er scheint sich nicht an mich zu erinnern. Ist ja jetzt auch schon verdammt lange her. Er hält mich wahrscheinlich für einen Einbrecher, anstatt die menschgewordenen Ausgeburt der Hölle, die ich für ihn verkörpern sollte. Aber es ist nachvollziehbar, denn nach all der Zeit bin ich nun der größere, bin ich nun der Stärkere. Heute haben sich die Rollen getauscht. Ich merke dass dies alles war was ich brauchte. Ich muss ihn nicht töten. Ich will ihn nicht töten. Dieser erbärmliche Haufen erregt keinen Hass mehr in mir, nur noch Mitleid. Ich sehe ihm tief in die Augen und erkenne dabei meine. Tränengenässt und weit aufgerissen. Aufgrund meiner inneren Spannung übergebe ich mich. Ich habe noch nie so viel gekotzt. Und auch noch nie jemandem direkt ins Gesicht. Ich erhebe mich, schenke ihm noch einen letzten Blick und verlasse das Haus durch die Türe.
Auf meinem Rückweg sind mir auf einmal die Menschen um mich egal. Mir ist egal, dass nun all diese verachtungswerten Geschöpfe einen Mann anstarren, der erhobenen Hauptes, komplett nassgeschwitzt, voll mit seiner eigenen Kotze und mit einem breiten Grinsen seine ersten Schritte in seinem neuem Leben über den Asphalt ihrer Stadt setzt.