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Machtlos

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26.08.2014
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Machtlos

Ich stand da, hielt den Atem an. Ich wollte schreien, doch meine Stimme versagte. Ich lauschte in die drückende Stille der Nacht hinein. Sie dröhnte in meinen Ohren. Sie drang in mich ein. Sie durchströmte meinen Körper. Wie tausend Messerstiche glitt sie an mir herunter, bis zu meinen Füßen und weiter. Und doch war ich leer. Ich konnte nichts denken, nichts riechen, nichts fühlen. Ich konnte nicht atmen. Die Schwärze der Nacht umklammerte mich. Sie schnürte mir die Kehle zu. Plötzlich stiegen die Erinnerungen in mir auf. Erinnerungen an das, was ich getan hatte. Schon wieder. Schuldgefühle schlugen mit Stahlfäusten auf mich ein. Ekel überkam mich. Und dann wurde alles kalt. Ich zitterte am ganzen Körper. Dabei war es eigentlich eine angenehm warme Sommernacht. Tränen stiegen in meinen Augen auf. Sie liefen an meinen Wangen herunter, schossen in immer größeren Mengen an meiner Nase vorbei, stürtzten sich über mein Kinn und tropften schließlich auf meine Brust, wo sie sich in einem stetig wachsenden dunklen Fleck auf dem hellgrünen Shirt sammelten. Langsam kehrte das Gefühl in meine Beine zurück und ich rannte los. Ich rannte immer weiter. Meine Beine trugen mich fast von allein. Ich hatte nicht gewusst, dass ich so schnell rennen konnte.
Ich wetzte durch die Straßen, stapfte durch die Pfützen, fiel über ein rostiges Fahrrad, irrte immer weiter in das Herz dieser toten Stadt hinein. Irgendwann, ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen war, konnte ich nicht mehr. Meine Knie knickten zu den Seiten weg und ich brach zusammen. Ich lag auf den nassen Pflastersteinen des Marktplatzes. Am Boden kauernd presste ich meinen überhitzten Schädel auf die kalten Steine. Mein hechelnder Atem durchbrach die Stille in meinem Kopf und machte den Weg frei für eine Vielzahl anderer dumpfer, schriller und pfeifender Geräusche. Es war, als hätte jemand die Lautstärke einer Stereoanlage binnen einer Sekunde von stumm auf maximal gedreht. Die Stadt schrie. Sie schrie mich an. Brüllte von allen Seiten. Sie stellte mich bloß, zeigte mit dem Finger auf mich. Wie ein Schwerverbrecher enttarnt, wurden mir meine Sünden vor Augen geführt während ich mich in meiner Schuld suhlte. Wie ein Schwein. Wie ein Schwein sich im Dreck wälzt, so hatte ich mich im Essen gewälzt. In der Milka Nougat Schokolade, den Erdnusskeksen, dem Baumkuchen, den Paprika Pringels, den Käsestangen, den Pommes rot-weiß, der Hawaii Pizza, dem Eibrötchen und, nicht zu vergessen, dem Bauer Stracciatellajoghurt. Ich hatte all das in mich hineingeschaufelt. Alles war irgendwo in meinem Bauch verschwunden. Es würde sich ausbreiten und im ganzen Körper verteilen. Sich in meinen Armen, meinen Beinen und an meinem Rücken festsetzen und die Anzeige der Waage ins Unermessliche hinaufbefördern. Das Fett würde schwabbelnd über meinen Hosenbund quillen, meine Brüste würden immer tiefen hängen, meine Arme die Jackennähte zum Platzen bringen. Mein Körper wäre nicht mehr der, der er mal war und auch niemals wieder so werden. Ich würde hässlich und fett als alte Frau eines Tages sterben. Und die Sargträger würden sich weigern meinen Sarg zu tragen um ihren Rücken zu schonen.
Nein, dazu durfte es nicht kommen! Ich musste meine Schuld begleichen, mit Liegestützen meine Sünden ungeschehen machen.
Ich hievte mich auf den Bauch und drückte mich mit den Armen vom Boden ab. Die Arme zitterten, so erschöpft war ich noch von meinem Sprint. Nicht einmal eine Liegestütze schaffte ich. Ich hockte auf dem Boden und wusste, ich würde es wieder tun. Es gab keinen anderen Ausweg. Ich lies meinen Blick über den menschenleeren Marktplatz schweifen. Niemand da, der sich für mein Leid interessierte. Niemand, der mich aufhalten könnte. Niemand, der mich komisch ansehen würde. Niemand da, der sich um mich sorgen würde. Wie immer.
Ich kroch über den Platz, schleifte meinen prall gefüllten Bauch hinter mir her, zwang mich immer weiter zu gehen, obwohl der Bauch so sehr schmerzte.
Und dann war ich endlich angekommen. Mein Ziel: Ein Mülleimer im Mittelpunkt des Platzes. Ich kniete mich vor ihn. Seine Wände waren aus rostigem Metall. Innen befand sich eine blaue Mülltüte, die an den Seiten über das Metall gestülpt war. In der Tüte war eine leere Verpackung von chinesischen Nudeln, ein kaputtes Hundespielzeug, ein angebissener Apfel und ein paar Zigarettenstümmel. Das Ganze war vom Regen in eine graue, stinkende Suppe verwandelt worden. Nicht zu vergleichen mit den glänzend weißen Keramikwänden einer Toilettenschüssel oder eines Waschbeckens. Aber das Fett, die Kalorien und der Zucker hatten es nicht anders verdient. Hier gehörten sie hin: In einen stinkenden, ekelhaften Abfalleimer, wo sich niemand mehr um sie scheren würde. Ich klammerte mich mit beiden Händen an die metallenen Gitterwände, schloss die Augen und atmete tief durch. Die rechte Hand löste ich von dem Behälter, die Finger der linken Hand vergrub ich zwischen den Gitterstäben.
Ich rülpste ein paar mal. Dann schob ich den Zeigefinger meiner rechten Hand tief in meinen Mund hinein.
Mein Bauch rumorte und mein Hals brannte, doch ich hörte erst auf zu würgen, als mein Magen absolut nichts mehr hergab. Ich war frei. Frei von der Schuld und dem Fett. Aber ich fühlte mich nicht frei. Ich hatte es wieder nicht geschafft, mich zu wiedersetzen. Nicht dem Drang, zu essen und auch nicht dem Drang, dieses wieder loszuwerden, hatte ich standhalten können. Ich war vollkommen machtlos. Ausgeliefert. Mein Körper war nicht länger der meine.
Ich zog mich am Mülleimer hoch, wieder auf die Beine. Ich starrte auf das Erbrochene in seinem Innern.
Ich stand da, hielt den Atem an. Ich wollte schreien, doch meine Stimme versagte. Ich lauschte in die drückende Stille der Nacht hinein. Sie dröhnte in meinen Ohren. Sie drang in mich ein. Sie durchströmte meinen Körper. Wie tausend Messerstiche glitt sie an mir herunter, bis zu meinen Füßen und weiter. Und doch war ich leer. Ich konnte nichts denken, nichts riechen, nichts fühlen. Ich konnte nicht atmen. Die Schwärze der Nacht umklammerte mich. Sie schnürte mir die Kehle zu. Plötzlich stiegen die Erinnerungen in mir auf. Erinnerungen an das, was ich getan hatte. Schon wieder. Schuldgefühle schlugen mit Stahlfäusten auf mich ein. Ekel überkam mich. Und dann wurde alles kalt. Ich zitterte am ganzen Körper. Dabei war es eigentlich eine angenehm warme Sommernacht. Tränen stiegen in meinen Augen auf. Sie liefen an meinen Wangen herunter, schossen in immer größeren Mengen an meiner Nase vorbei, stürtzten sich über mein Kinn und tropften schließlich auf meine Brust, wo sie sich in einem stetig wachsenden dunklen Fleck auf dem hellgrünen Shirt sammelten. Langsam kehrte das Gefühl in meine Beine zurück und ich rannte los. Ich rannte immer weiter. Meine Beine trugen mich fast von allein. Ich hatte nicht gewusst, dass ich so schnell rennen konnte.

 

Psychische Krankheiten sind ja immer etwas heikel und schwierig als Aussenstehender authentisch rüberzubringen.. würde mich interessieren wie ihr über die Verwendung "solcher Themen" denkt und natürlich über Meinungen und Kritik speziell zu dieser Geschichte! Dazu sei noch gesagt, dass ich mich noch in den Anfängen des Schreibens befinde...;)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Grela,

willkommen hier im Forum.

Zu deiner Geschichte - obwohl ich die Problematik wahrnehme - kann ich nicht sehr viel dazu sagen. Ich hätte mir nur gerne eine Wende gewünscht. Mehr als eine Kurzgeschichte, da kann einiges zusammen kommen, wenn du dich dranhängst. z.B kann dein Prot, wie orientsonne schon sagte, an Selbstvertrauen/Selbstwertgefühl dazu gewinnen, sich durchackern und es am Ende schaffen. So in etwa, wie ein ultimatives Buch zur Selbsthilfe. (Da spiele ich jetzt auf die satanistische Bibel an - ja ich hab sie zum Teil mal gelesen - so viel Stuss, wie man meint, steht da gar nicht drin).

Dadruch, dass dein Prot am Ende wieder da liegt, sich immer noch nicht besser fühlt, entsteht natürlich eine Dramatisierung, die den Leser und seinen Gedanken zurückwirft und fragt: Wie kann sich die Lage des Prots verbessern?

Deine Einleitung fand ich sehr gut. Ein klarer Konflikt (mit sich selbst), wird veranschaulicht und schön beschrieben.

Der Rest der Geschichte ist dir auch gut gelungen, ich hätte mir da nur mehr Stoff gewünscht. Also für eine Kurzgeschichte gut, aber da kann noch mehr. :)

Keep it up,
Hank

 

Hallo Grela.
Ich fand die Geschichte überwiegend gut. Die Einleitung ist toll. Der Vorgang des Erbrechens ist gut geschildert. Was mir auch gut gefallen hat, war die Endlosschleife, die Du durch die Wiederholung der Tränen, des Laufens angedeutet hast. Denn das ist die Bulimie, eine Endlosschleife.

Kritikpunkte.
Bei der Essstörung geht es ja vor allem um die Problematik, dass sich das gesamte Leben um das Essen dreht. Ich hätte es wichtig gefunden, den Prozess der Überhöhung des Themas Lebensmittel mit hinein zu nehmen. Denn das ist der springende Punkt.

Dann fühlt sich ein Bulimiker nach dem Erbrechen erst mal ziemlich gut. Das fehlt hier.

Aber die Ansätze finde ich gut gelungen, Kompliment.
Natürlich kann man über das Thema schreiben. Warum nicht. Ich bin auch nicht der Typ Leser, der das alles bis Adam und Eva erklärt haben will. Ich gebe mich gerne mit einer Sequenz zufrieden, wenn die mich begeistert.
Viel Freude hier, und Spaß beim Schreiben,
wünscht Gretha.

 

Liebe Grela,

Ich finde es sehr interessant, dass du über Bulimie schreibst und versuchst dich in die Gefühlswelt einer Betroffenen hineinzuversetzen. Es ist dir sehr gut gelungen die Verzweiflung des Mädchens zu beschreiben. Ihr Selbsthass ist allerdings stark übertrieben und mir persönlich zu melodramatisch. Sie leidet darunter, dass sich anscheinend niemand für sie interessiert und hat schreckliche Schuldgefühle. Ihr ist nicht klar, dass nur sie alleine nicht mehr zurechtkommt, doch anstatt sich Hilfe zu suchen, suhlt sie sich in Selbstmitleid. Das macht sie mir unsympathisch.
Während mir der Anfang nicht gefallen hat, fand ich das Ende, besonders die letzten Sätze, wirklich toll. Das Laufen sehe ich als eine Art von Befreiung von der Machtlosigkeit.
Ich würde mich freuen noch mehr von dir zu lesen.

Liebe Grüße

Madita

 

Hej Grela,

& willkommen hier.

Ich schreib mal beim Lesen mit:

Dabei war es eigentlich eine angenehm warme Sommernacht.
Ich meine, es ist schon deutlich geworden, dass es hier nicht um eine Kälte geht, die man durch Wolldecken vertreiben könnte.

Tränen stiegen in meinen Augen auf.
Da musste ich an eine Zeichentrickfigur denken. Wobei, auch bei denen steigen keine Tränen auf, sondern sammeln sich als eine Art wässrige Blase am untere Augenrand.

schossen in immer größeren Mengen an meiner Nase vorbei
Das find ich zuviel. Zwischen hinunter laufen und "schiessen" besteht ein Unterschied.

stürtzten sich über mein Kinn
stürzten

irrte immer weiter in das Herz dieser toten Stadt hinein.
Wieso ist diese Stadt tot?

In der Milka Nougat Schokolade, den Erdnusskeksen, dem Baumkuchen, den Paprika Pringels, den Käsestangen, den Pommes rot-weiß, der Hawaii Pizza, dem Eibrötchen und, nicht zu vergessen, dem Bauer Stracciatellajoghurt. Ich hatte all das in mich hineingeschaufelt. Alles war irgendwo in meinem Bauch verschwunden.
Naja. Das ist ja auch nicht gerade ein Standardessen. Mir ist schon klar, dass Du das drastisch schildern musst, aber irgendwie wirkt diese Aufzählung auf mich unfreiwillig komisch. Und das soll Dein Prot ja nicht sein.

Das Fett würde schwabbelnd über meinen Hosenbund quillen
quellen

schleifte meinen prall gefüllten Bauch hinter mir her,
Auch das ist als Bild zu drastisch. Subjektive Eindrücke hin oder her, einen Bauch hinter sich her schleifen, das kann Jabba the Hutt und vielleicht irgendwelche Hängebauchschweinsorten. Sollte Dein Prot wirklich solche Dimensionen annehmen, dann würde das mit dem eingangs geschilderten Sprint nicht gut zusammen passen.

Ich war vollkommen machtlos. Ausgeliefert. Mein Körper war nicht länger der meine.
Soweit ich weiß, geht es gerade bei Bulimie erstmal um genau das Gegenteil. Das Gegessene wieder auszuwürgen, bedeutet ja, die Kontrolle zu behalten.

Einen ganzen Absatz zu wiederholen finde ich (in Anbetracht der Gesamtlänge Deiner Geschichte) schon etwas viel.

Ich glaube, Du hast Dich mit dem Thema etwas übernommen. Grundsätzlich finde ich es völlig in Ordnung, sich jedes Thema auszusuchen, dass einem interessant erscheint, aber dann sollte man sich schon darüber informieren.
(nebenbei: Bulimie als psychische Krankheit zu bezeichnen find ich schon heftig. )

Mir fehlt der Hintergrund. Auch wenn es um eine Essstörung geht. Das ganze ist sehr plakativ dargestellt. Ich erlebe Deine Erzählerin zwar in Aktion, aber die Tatsache, dass sie Schuldgefühle hat, rennt und sich auf die Erde wirft, kotzt und weiß, dass das alles sich wiederholen wird, macht für mich noch keine Figur aus, mit der ich mitfühlen kann. Ich weiß dann, dass es in der Geschichte um Bulimie gehen soll. Was diese Störung eigentlich ausmacht, wie der Alltag von so jemandem aussehen mag oder was für Hoffnungen und Sorgen diese Person vllt mit allen anderen Menschen teilt, davon erfahre ich nichts.

Wie gesagt, ich glaube, Du hast Dich mit dem Thema übernommen.

Ich wünsch Dir trotzdem weiterhin viel Erfolg beim Schreiben,

Gruß
Ane

 

Euch allen vielen Dank fürs lesen und zeitnehmen und kommentieren! Ich bin jetzt zu faul auf alles einzugehen aber eure Kritiken sind sehr hilfreich:) Mal sehen, wa sich davon so umsetzen kann!
Hach ich mags hier jetzt schon;)

Grüße
Grela

 

Kleiner, nett gemeinter Rat. Alle, die Deine Geschichte gelesen haben, sich Gedanken darüber gemacht und was dazu getippt haben, waren nicht zu faul, das zu tun. Wenn Du gerne möchtest, dass es so bleibt, ist die "bin zu faul"-Einstellung einigermaßen verkehrt.

 

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