Mitglied
- Beitritt
- 15.05.2014
- Beiträge
- 37
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 10
Doom & Gloom
Ich zerfetzte die übrig gebliebenen Seiten, warf sie ins Feuer. Sie brannten und sie glühten und sie zerfielen. Nichts waren sie wert, keiner wollte sie haben. Und das Feuer erlosch und die Dunkelheit siegte; gewann; beanspruchte den gesamten – wenn auch kleinen Raum – für sich. Shit.
Heute Morgen war ich noch davon überzeugt, ich könnte es schaffen. Ich brachte ihm den Stapel. Den ganzen Stapel, voll mit Buchstaben; Wörtern die Sätzen bildeten; Sätze, die sich zu einem Text formten; Text, der sich unter sich selbst begräbt. Er schickte mich fort. Seine Sekretärin schickte mich fort. Er wollte mich nicht sehen. Zeitverschwendung. Man wollte nichts riskieren für einen kleinen Schreiberling. Ein junger Bursche, der nur vom Ficken und vom Saufen schrieb und sich beim Stammtisch-philosophieren in seinen eigenen Worten verlor. Man wollte nichts riskieren, bevorzugte die etablierten Schriftsteller, die schon seit Jahren gute Werke für den Verlag schrieben. Und wenn die tot seien, dann bettete sich der Verlag daneben.
Für den Penner hätte ich mich nicht aus dem Bett geschlagen, morgens um neun, aber ich tat es trotzdem, noch wusste ich ja nichts von seinen zerschlagenden Plänen; seinen vernichtenden Gedanken; dem erbärmlichen Leben. Dieses arrogante Arschloch – ich bekam ihn seit Wochen nicht mehr zu Gesicht – würdigte nur sich selbst und sein Geld und die Sekretärin, in die er ab und zu seinen Schwanz steckte, statt seine Frau zu ficken. Sollte ich dafür seine Frau ficken? Nein, ich besorgte mir eine Flasche Whisky – billigen Seven Oaks – versank in dem kalten, alten und knatternden Stuhl, wärmte mich am Feuer.
Und wieder blieb mir nichts. Abgespeckt mit Floskeln.
Aber der Tag würde kommen. Der Tag , an dem ihn die Dunkelheit holt, und mich das Licht des Olymps.
Morgen. Morgen wird mich niemand abwimmeln. Ich würde aufstehen – nachdem ich alles verbrannt hatte – neuanfangen und ihm den besten Shit, der sogar die grössten Autoren der Weltgeschichte in den Schatten stellt, auf den Tisch knallen und danach seine Sekretärin auf dem Empfangstresen nageln. Er würde zuschauen, mir dann einen Vertrag in die Hand drücken bei dem ich gewinne und er keinen Cent sieht, nur, weil er mich berühmt machen will, und mich in den Himmel jubeln.
Ein Geschrei weckte mich. Wie jeden Morgen, war es der Nachbar, der seinen üblichen Sonnentanz tanzte und wie ein Indianer jaulte. Es war acht, es regnete. Ich hielt inne. Dann schnappte ich mir die Flasche, trank einen Schluck und fiel zurück in die harte Decke; auf das härtere Kissen; in die Hölle eines Langschläfers. Dieses Mal trieb er es zu weit. Sein bayrisches Jodeln; sein Vuvuzela-Getriller; seine schräge Stimme, (ich hatte einen Kater verdammt, warum verstand er das nicht) wenn er die vorbeilaufenden Leute begrüsste. Ich stand auf und riss das Fenster auf und die Wut tobte. Sie tobte in mir wie nie zuvor. War er der Katalysator, an dem ich mich austoben sollte? Der arme nine-to-five Bürger – wenn auch Hobby-Hippie – das arme kleine Würstchen von neben an, das selbst nur zu überleben versuchte? Stille. Ich blickte zurück ins Zimmer. Da lag es noch. Das letzte übrig Gebliebene. Das Erste. Das Manuskript in der Schublade. Ficken, Freundschaft und Gedächtnislücken.
Ich schnappte mir die alte Hose und das alte Hemd, schlüpfte in die Lederjacke und stieg in die verkommene Karre, schaltete den stotternden Motor an und fuhr los. Heute. Der Tag. Kein Zurück. Geradeaus. Ich musste zwar ein paar Mal nach links und nach rechts abbiegen, an einer Kreuzung quietschend bremsen und halten, aber die rote Ampel war mir egal. Ich raste. Mein Puls; Blut in meinen Venen; Benzin im Tank. Mein Fuß zerquetschte förmlich das Gummi des Lederstiefelsohle, die meine nackten Zehen und das Pedal nur wenige Zentimeter trennte. Im vierten Gang durch die Innenstadt, keine Rücksicht auf vorgebebene Geschwindigkeitsbegrenzungen, parkte ich mein Auto – erneut quietschend – auf dem Parkplatz, der für den schrecklichen Evan vorgesehen war. (schräg, mit dem Heck noch auf der Strasse). Evan war der Möchte-gern Verleger; der Typ, der nichts riskieren wollte; der Penner mit der Saki-Fresse. Ich stieg aus, stürmte an der netten, von Lust geschwängerten Theresa – sie hatte diesen er-ist-in-einem-Meeting-Blick – vorbei, stiess die Tür auf und pfefferte ihm das Manuskript auf den Tisch. Er war geschockt, still; brachte kein Wort heraus – zu Ungunsten seines Telefongespräches – und starrte mich an. Ich stand fordernd vor ihm, brauchte keine Worte, der Hörer fiel auf den Tisch. Wer auch immer da dran war, musste warten.
»Was soll der Mist, Sie Freak? «
»Sie lesen den Scheiss jetzt. Und dann verlegen Sie ihn. Seit Monaten hör ich dieselbe Kacke; dieselben Ausreden; das blutige, ängstliche Geschwafel eines geldgierigen, alten Sacks. Sie wollen nichts riskieren? Sie trauen sich nicht, endlich mal aus ihrer Komfortzone heraus zu stapfen und das Richtige zu tun? Wie sind Sie überhaupt so bekannt geworden und so erfolgreich, wenn Sie überhaupt nicht den Mumm dazu haben, etwas Unkonventionelles auszuprobieren? Alle grossen Autoren wurden ausgelacht, beschimpft, für Narren gehalten und nach ihrem Tod waren sie die Geilsten; die, die in die Ewigkeit gefeiert werden; die, von denen unsere Kindeskinder – Sie sind ja gerade dabei, es zwei Frauen gleichzeitig zu besorgen – noch lesen werden. Oder bringt es ihre Frau nicht mehr? Was gefällt Ihnen an mir nicht? Sie haben kein einziges Buchmanuskript gelesen, meine Short Stories nur in diesen Schmuddel Magazinen publiziert, so sehr waren Sie beschäftigt ihre Sekretärin zu bumsen. «
Piep, piep, piep. Jemand legte auf. Das Geschrei war wohl zu viel.
»Wissen sie, wer da dran war? «
»Das interessiert mich nicht die Bohne. «
»Dann wissen sie, wie sehr mich ihre Ansprache berührt hat. Hauen sie ab und setzen sie nie wieder einen Fuss in dieses Gebäude. «
Mir stank es. Erst schaute ich ihn böse an. Seiner Aufforderung kam ich nicht nach. Ich sprang auf ihn, segelte über den verdammten Mahagoni Schreibtisch. Meine Beine blieben an der Kante hängen, ich krachte unkontrolliert und mit voller Wucht in ihn hinein. Wir fielen, samt dickem Ledersessel. Evans Bauchspeck und die Lederpolster bremsten meinen Sturz, wenn auch nur leicht. Er keuchte. Ich nahm alles in Zeitlupe wahr. Der Sturz, sein Gesicht; die dicken roten Backen; die Schweissperlen, die daran herunterliefen und an seinem ekelerregenden Doppelkinn festhielten und auf den Perserteppich - er hatte ihn damals ganz stolz präsentiert, ich war mir sicher, dass er teuer war - abperlten, und den Schlüssel seines Porsche, der in hohem Bogen an uns vorbei flog und in greifbarer Nähe liegen blieben.
Mein Zeitgefühl kehrte zurück. Ich begann, wie ein Irrsinniger auf sein Gesicht einzudreschen. Immer wieder und wieder und wieder. Seine Nase krachte fürchterlich. Sein Blut befleckte den Boden; versickernd in den Fasern; vermischte sich mit einem merkwürdigen Fleck. Oh Theresa. In welcher Welt mussten wir leben. Einer Welt, in der du von einem dicken Geldsack gefickt wirst. Dieses verschissene Geld. Ich hörte weder ihren Schrei, noch nahm ich das Telefonat mit der Polizei wahr, das sie just in dem Moment führte. Als ich allerdings wieder halbwegs zur Besinnung kam, konnte ich ahnen, dass die Bullen auf dem Weg waren.
Ich stand auf, richtete meinen Blick auf den Schwabbel - er hatte keinerlei Ähnlichkeit mehr mit Evan dem Schrecklichen - so voller Blut. »Fick dich du Bastard «, sagte ich ohne jegliches Gefühl in meiner Stimme. »Wenn du mich anzeigst, erzähl ich deiner Frau von deinem kleinen Geheimnis, verstanden? « Er nickte schwach, aber das reichte mir. Ich griff mir die Schlüssel seines Autos und verließ das Büro. Draußen steckte ich mir die Hälfte einer Kippe an - sie waren im Kampf ein wenig eingeknickt - warf die Schlüssel auf den Rücksitz meiner Karre. Ich würde ihn holen, wenn die Bullen kapiert hätten, dass der Alte mich nicht anzeigte.
Nach 72 Stunden Inhaftierung, in denen ich einige nette Bekanntschaften machen durfte, kehrte ich zum Parkplatz zurück, nur war da keine Karre mehr vorzufinden. Abgeschleppt und verschrottet? Geklaut?
Shit. Und wieder saß ich da, in dem kleinen Zimmer. Die Flasche Whisky, umschlossen mit beiden Händen.