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Schwarze Tränen

Ian

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02.03.2005
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Schwarze Tränen

Elarin trat hinter der Säule hervor. Seine Mutter, die Königin, entdeckte ihn sofort, in ihrem Blick lag ein stummer Vorwurf. Er ignorierte sie und ging mit trotzig erhobenem Kopf hinüber zur Jagdgesellschaft, die er der Tradition nach eigentlich hätte anführen sollen. Einige Leute nickten ihm zu, andere schienen ihn bewusst zu übersehen. Er suchte sich einen unauffälligen Platz am Rand der Gruppe.
Sein Herz tat einen Sprung, Linn stand wenige Meter entfernt, wunderschön wie immer, doch unerreichbar für ihn. Als sie in seine Richtung sah, senkte er hastig den Blick.
„Du hättest längst hier sein sollen“, flüsterte die Stimme seines Vaters neben ihm.
Elarin sah ihn an, und las trotz der Worte ein stilles Verständnis in dessen Augen.
"Die Llarh müssen zurückgedrängt werden, damit sie sich nicht in den Elbenreichen ausbreiten. Es ist Tradition, dass der Prinz die Jagd begleitet!“, fuhr sein Vater fort.
Die Llarh waren eine Art großer Wildkatzen, die Jagd hatte zum Ziel, einige der Leittiere zu töten und so ihrer Ausbreitung entgegenzuwirken.
Ehe Elarin etwas entgegnen konnte, ertönte das Horn. Die Jagd begann.
Rings um ihn herum begann die Verwandlung. Arme streckten sich, Hände verformten sich zu Klauen, Gesichter wurden länger, bekamen gefährliche Fänge. Haare schossen, wo vorher nur Haut gewesen war. Ein Hund knurrte wild, daneben fauchte eine Wildkatze, ein Fuchs huschte geschickt hin und her.
Jeder verwandelte sich. Jeder außer ihm.
Nefrin, sein Cousin hatte die Gestalt eines riesigen Wolfs angenommen. Einen Moment taxierte er Elarin mit einem boshaften Blick, dann stürmte er mit einem beeindruckenden Brüllen davon. Die anderen folgten ihm.
Elarin versuchte mitzuhalten, verlor jedoch bereits wenige Sekunden später den Anschluss, als sie hinter einer Wegbiegung verschwanden.
Verächtliche Blicke bohrten sich in seinen Rücken.
Er konnte ihr Geflüster beinahe hören.
Schwächling! Unwürdiger!
Gleich würden sie seinen Vater mitleidig ansehen.
Ich bin eine Schande für das Königshaus. Der Prinz ohne Magie. Am besten wäre ich nie geboren worden!
Kurz darauf erreichte er die Wegbiegung und entrann den unangenehmen Blicken.


Gegen Mittag erreichte er das Hochplateau, auf dem er im Vorjahr einige Llarh beobachtet hatte, die an den Felswänden geklettert waren. Er hatte sich einen Plan zurechtgelegt, wie er eines der Tiere fangen und töten konnte, jedoch wirkte der Ort heute verlassen.
Er trat an den Rand des Überhangs und sah in das Tal hinunter. Ein Fluss schlängelte sich durch die Wälder die hunderte Meter unter ihm lagen. Die Bäume waren kaum zu erkennen.
Er schloss die Augen. Nur ein Schritt, und es wäre vorbei. Im Traum war er dutzende Male gesprungen.
Ein tiefes Knurren riss ihn aus seinen Gedanken. Wenige Meter entfernt duckte sich ein verletzter Llarh zum Angriff.
Sein Herz raste. Zitternd griff er nach seinem Schwert, gleichzeitig sah er sich nach einem Fluchtweg um. Flucht war seine einzige Möglichkeit. Nicht umsonst verwandelten sich die Jäger in Raubtiere, nur so waren sie annähernd so schnell wie ein Llarh.
Er hätte keine Chance.
Beinahe lautlos näherte sich das Tier. Elarins Körper kribbelte vor Anspannung, als er die Überlegenheit seines Gegners erkannte.
Plötzlich sprang der Llarh. Elarin hechtete zur Seite und landete hart auf dem Boden, nur knapp entging er den Fängen, die nach seiner Kehle schnappten.
Er schob sich rückwärts und suchte nach seinem Schwert. Es lag unter seinem Rücken, er würde nicht schnell genug daran herankommen. Hektisch versuchte Elarin, sein Jagdmesser aus dem Gürtel zu zerren.
Der Llarh griff erneut an. Elarin versuchte nach seinem Gegner zu treten und gleichzeitig wegzurollen, dabei rutschte er über den Rand der Kante. Instinktiv riss er die Arme hoch und sucht nach Halt.
Er fühlte etwas Weiches, und hätte beinahe losgelassen. Der Kopf des Tiers war nur wenige Handbreit von seinem entfernt. Das Messer hatte er ihm irgendwie in den Hals gestoßen, mit der anderen Hand klammerte er sich in das Fell des Tiers.
Aus dem Llarh wich das Leben, ein Zittern ging durch seinen Körper. In einem letzten Kraftakt spannte er seine Muskeln und stieß sich ab. Elarin wurde mitgerissen.
Er fiel, kopfüber, wie in seinem Traum.
Die erste Panik wich einem Gefühl der Ruhe. Der Llarh hatte ihm die Entscheidung abgenommen. Elarin schloss die Augen, ließ los und breitete die Arme aus.
Die Luft rauschte in seinen Ohren, er spürte wie sich jedes Härchen seines Körpers aufstellte, fühlte den Wind, die Geschwindigkeit.
Plötzlich zerrte ein heftiger Windstoß an ihm. Er wurde herumgerissen und schlug die Augen auf. Er fiel nicht weiter.
Da wo seine Arme sein sollten, waren schwarz gefiederte Flügel. Seine Magie war ERWACHT, im Angesicht des Todes.
Mit einem kräftigen Flügelschlag stieg er auf und segelte einen Moment, dann vollführte er eine Drehung und flog zurück in Richtung Felswand. Er suchte den Boden ab. Schnell fand er den Körper des Llarh.
Intuitiv drosselte er die Geschwindigkeit und ließ sich zu Boden sinken. Während der Landung verwandelte er sich in seine ursprüngliche Gestalt zurück.
Der Llarh lag reglos auf dem Boden, er wirkte älter und grauer als zuvor.
„Danke für diese Lektion“, flüsterte Elarin und kniete neben ihm nieder.
„Nimm die Finger von meiner Beute.“
Er fuhr herum. Nefrin, sein Cousin, trat aus einer Gruppe Bäume hervor.
Ein paar Sekunden starrten sie sich an, dann sah Elarin auf sein Messer, das noch im Hals des Llarh steckte.
„Ich habe seinen Lebensfaden mit meinem Messer durchtrennt. Wir haben dort oben gekämpft, dann hat er mich in die Tiefe gerissen“, sagte Elarin.
„Du? Dass ich nicht lache. Sieh dir seine Seite an. Ich habe ihn vor ein paar Stunden tödlich verletzt, du hast ihn nur gefunden! Außerdem wärest du nach so einem Sturz tot.“
Die letzten Worte hatte Nefrin mehr geknurrt als gesprochen, er verwandelte sich in seine Wolfsgestalt.
„Willst du wissen, wie ich heruntergekommen bin?“
Elarin streckte seine Arme zur Seite. Die Magie durchflutete ihn, sein Köper krümmte und verformte sich, Federn schossen aus der Haut. Kurz darauf hatte er die Gestalt eines schwarzen Raben angenommen.
„Du hast es also endlich geschafft. Ein Rabe? Zu etwas Besserem bist du nicht in der Lage?“
Nefrin sprang los, gleichzeitig stieß Elarin sich ab. Er war nicht schnell genug, mit einem knackenden Geräusch gruben sich Nefrins Zähne in seinen Flügel.
Er wurde hochgerissen, dann krachte er mit dem Rücken hart auf den Boden. Der Wolf grub die Krallen tief in seinen Flügel, der in einem unmöglichen Winkel abstand.
„Ich werde dich und deine Familie töten. Die Königswürde wird auf unseren Zweig der Familie übergehen, und wir werden herrschen! Deine Leiche wird nie jemand finden, alle werden glauben, dass du fortgelaufen bist, was von einem Feigling wie dir ja nicht anders zu erwarten ist.”
In Elarin zerbrach etwas, unbändiger Hass stieg in ihm auf. Wütend hackte er nach Nefrins Augen, doch der öffnete blitzschnell sein Maul und biss zu.
Ein grauenvoller Schmerz durchzuckte ihn und breitete sich aus, er fühlte sich, als würde er in Stücke gerissen.
Dann änderte sich etwas. Plötzlich sah er auf Nefrin hinunter, sah ihn vor, über, und neben sich. Erst schwindelte ihm, dann erkannte er sich selbst. Dutzende seiner selbst, große, finstere Raben, überall um Nefrin herum.
Der Wolf schnappte nach ihm, doch Elarin war schneller. Er wich aus, flatterte weg und hackte gleichzeitig von der anderen Seite in eines der Augen. Wütend heulte Nefrin auf.
Einige Vögel schnappten nach dem verbliebenen Auge, andere zerfetzten ihm den Hals. Elarin griff mit dem ganzen Schwarm an.
Etwas knurrte über ihm. Ein Teil seiner Aufmerksamkeit wandte sich dem Geräusch zu. Von einem Felsen sprang eine Wildkatze auf ihn herunter.
Erneut zerriss er, spaltet sich weiter auf und verwendete einen Teil auf den neuen Angreifer. Er wich aus, dann kreiste er auch diesen Gegner ein. Einen Angriff führt er auf Augen und die empfindliche Nase, die größten Vögel ließ er auf Kehle und Muskeln los.
Nach ein paar Minuten bluteten beide Gegner heftig, kurz darauf brachen sie fast zeitgleich zusammen.
Elarins Hass flaute ab, die Schwärme vereinten sich zu einer schwarzen, brodelnden Gestalt, dann verwandelte er sich zurück. Seine Verletzungen schlossen sich erstaunlicherweise in Sekundenschnelle.
Sein Cousin verwandelte sich nur langsam zurück. Unzählige Wunden verteilten sich über dessen Körper, er würde nicht überleben.
Sein Herz setzte einen Schlag aus, als er den zweiten Angreifer erkannte. Linn lag halb zerfetzt vor ihm auf der Erde. Er fühlte nach ihrem Puls, doch es war nichts mehr zu spüren. Das Leben war aus ihr gewichen.
Schwarze Tränen liefen seine Wangen hinunter und tropften zischend auf den Boden, dann stieß er einen krächzenden Schrei aus.
Er hatte die Liebe seines Lebens getötet.
Das Gras um ihn verwelkte und wurde schwarz, Bäume verloren ihre Farbe, Pflanzen verdorrten und Tiere zerfielen zu Staub.
Elarins Kraft wuchs mit jeder Sekunde.
Abrupt endete der Schrei. In einer fließenden Bewegung stieß er sich vom Boden ab, verwandelte sich in einen Schwarm Raben und stieg zum Himmel auf.
Voller Entsetzen kreiste er einen Moment über den Leichen und dem toten Land, dann flog er davon. Hier gab es keinen Platz mehr für ihn.


Die Königin führte den König von den anderen fort. Sobald sie außer Hörweite waren, öffnete sie ihre Hand. Eine schwarze, matt glänzende Feder lag darin.
"Jetzt haben wir Gewissheit“, sagte der König mit brüchiger Stimme, „der Fluch hat sich nach Jahrhunderten doch noch erfüllt.“
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen.
„Hätten wir es ihm sagen sollen?“, fragte die Königin.
Der König schüttelte kaum merklich den Kopf. „Wir hätten es ihm dadurch nicht leichter gemacht.“
Gemeinsam wandten sie sich der untergehenden Sonne zu. Die Königin verschränkte ihre Finger mit denen des Königs.
„Viel Glück, mein Sohn.“ flüsterte der König.
Hinter ihnen suchten die Ältesten des Elbenvolks nach einer Erklärung.

 

Ergänzende Texte, die nicht Inhalt der Geschichte selbst sind, bitte immer in einem separierten Nachtrag aufführen.

Ian schrieb einleitend:

Beitrag eines beendeten Schreibwettbewerbs, Limit 10.000 Zeichen. Hintergrundgeschichte zu einem Nebencharakter eines Romans den ich hoffentlich irgendwann mal schreiben werde.

 

Hallo Ian

So, nun habe ich mich noch in den Inhalt vertieft. :)

Eine spannende Geschichte aus dem Bereich der Fantasy, die Du hier vorlegtest. Anfänglich war ich mir jedoch nicht sicher, in welche Richtung sie sich bewegen wird, da eine Jagdgesellschaft verschiedene Möglichkeiten der Zuordnung offen lässt. So zögerte ich einen Moment, ob eine Treibjagd auf Tiere mich wirklich unterhalten könnte. Das Durchhalten und Weiterlesen lohnte sich dann.

Es sind auch eher nicht zwingend unbefriedigende Dinge, die mich als Leser an einigen Stellen aus dem Takt brachten.

Er ignorierte sie und ging mit trotzig erhobenem Kopf hinüber zur Jagdgesellschaft, die er der Tradition nach eigentlich hätte anführen sollen.

Da die Jagdgesellschaft in Bereitschaft stand, also noch nicht losgezogen war, wäre es ihm möglich gewesen, die Führung wahrzunehmen. Da erschien mir das „eigentlich“ nicht formvollendet, stattdessen ein Satz, der etwa aufgezeigt hätte, dass inzwischen ein anderer Jagdteilnehmer mit der Führung beauftragt wurde, dünkte mich anschaulicher.

Er suchte sich einen unauffälligen Platz am Rand der Gruppe.

Dadurch nahm er für seine Position eine mir nicht unbedingt plausible Haltung ein. Bei einem vorgehenden „Führungswechsel“ egalisierte sich dies dann jedoch.

Elarin versuchte mitzuhalten, verlor jedoch bereits wenige Sekunden später den Anschluss, als sie hinter einer Wegbiegung verschwanden.

Vielleicht ist es übertrieben, aber ich schaffe mir bei solchen Schilderungen eine bildliche Vorstellung. Da erscheinen mir Sekunden doch eine knappe Zeit, den Anschluss zu verlieren. Es sei denn, die Gruppe rast im Höllentempo davon.

Das Messer hatte er ihm irgendwie in den Hals gestoßen, mit der anderen Hand klammerte er sich in das Fell des Tiers.

Das „irgendwie“ klingt mir nach einer Verlegenheit des Erzählers, da er den Moment des Zustossens verpasste. Eine unverfängliche Variante wäre mir etwa, wenn dies instinktiv noch im Fallen geschehen wäre.

Seine Magie war ERWACHT, im Angesicht des Todes.

In literarischen Texten wirken mir Hervorhebungen kursiv gesetzt ansprechender. Ausnahmen davon sind mir eher angezeigt, wenn der Protagonist z. B. einen Hotelnamen in grossen Lettern liest. Eben plakativ, wie Werbung ist. Wobei das visuell ins Auge springende mich als Leser dann sofort dahin lenkt und schon bin ich raus aus dem Lesefluss.

Ich habe ihn vor ein paar Stunden tödlich verletzt, du hast ihn nur gefunden!

Auch hier machte mich die Zeitangabe eher stutzig, wenngleich eine Verletzung natürlich nach Stunden noch zum Tod führen kann. Mit einem variablen Zeitbegriff wäre es mir eleganter gelöst.

Soweit mein kritisches Aufmerken beim Lesen, was der gebotenen Unterhaltung jedoch keinen starken Abbruch tat.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon,
Vielen Dank für deine Kritik. Es freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat.
Deine Kritikpunkte kann ich soweit nachvollziehen. In der nächsten Überarbeitung werde ich weiter am Text feilen um die entsprechenden Stellen transparenter bzw. schlüssiger zu machen.
Grüße Ian

 

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