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Undercover Callboy
„Ich..äh...ich wollte wirklich nicht...“
Dem jungen Mann lief der Schweiß von der Stirn. Es hätte des großen, hellen Lichtkegels nicht bedurft, um ihn zu Wärmen. Aber zum Wärmen war das Licht auch nicht gedacht.
Der verächtliche Blick, dem ihm sein Gegenüber zuwarf, brachte ihn zum Schweigen.
„Nein, natürlich wolltest Du nicht“, sagte der hagere Mann mit russischem Akzent. „Aber Du hast, sonst würdest Du jetzt nicht hier sitzen.“
Irgendwo hinter dem Lichkegel ertönte ein kehliges Lachen. Der junge Mann konnte aufgrund des gleißendes Lichtstrahls, der ihm direkt in die Augen schien, nicht erkennen, wer sonst noch im Raum war, aber es mussten mehrere Helfershelfer dieses filmreifen Oberschurken sein.
Sein Gegenüber warf einen eindringlichen Blick nach hinten. Das Lachen verstarb.
„Wir werden schon noch herausfinden, wer Dich hierhergeschickt hat“, sagte der Russe nun.
„Das ist alles ein Missverständnis. Ich wollte nicht hierhin, wirklich nicht. Ich wurde gerufen, ein Notfall, hieß es...“
„Schweig!“ herrschte ihn der andere an. „Denkst Du wirklich, ich glaube Dir auch nur ein Wort?“
Der andere schwieg. Das erschien auch geboten, in seiner Lage. Nur nichts Falsches sagen, sonst würde hier sehr bald etwas sehr, sehr Unschönes geschehen. Obwohl – das Unschöne war eigentlich schon geschehen, das Unschönste, was man sich vorstellen konnte, um genau zu sein. Der Worst Case, sozusagen. Code Red. Roter Alarm - oder wie immer das hieß.
Er ließ mutlos den Kopf hängen. Er saß in der Patsche, ganz, ganz tief. Und er hatte keine Ahnung, wie er sich hier wieder herausholen sollte.
„Nein“, setzte der Russe jetzt wieder ein, „Du wirst schon noch reden und uns alles verraten, was Du weißt. Da bin ich mir ganz sicher. Aber nicht hier. Hier ist der falsche...Ort.“
„Können Sie vielleicht das Licht etwas tiefer richten?“ fragte der Junge vorsichtig. „Es blendet.“
Diesmal kam das Lachen von allen im Raum. Es mussten vier oder fünf sein, dachte er. Viel zu viele, um selbst als muskelbepackter Kämpfer mit ihnen allen fertig zu werden. Wie sollte er da jemals eine Chance haben?
„Ich erzähle Dir jetzt mal, was ich denke“, sagte der Russe.
Das ist ja wie im Film, dachte der Junge. Jetzt erzählt der böse Schurke seinem armen Opfer noch den Plan zur Erlangung der Weltherrschaft. James Bond fiel ihm ein. Aber zumindest bei James Bond kam danach immer unweigerlich das Töten der Opfer an der Reihe. Er schluckte. James Bond konnte sich befreien. Aber er war nicht James Bond...
„Was riecht'n hier so komisch?“ kam es von hinter der Lampe. „Hat sich der kleine Callboy etwa vor Angst in die Hosen gemacht?“ Wieder das Lachen aus allen Kehlen.
Callboy – so hatten sie ihn genannt. Eine Frechheit! Wenn die wüssten...
„Ich bin kein Callboy!“
„Hat Dich jemand gefragt?“ Das Gesicht des Russen kam seinem gefährlich nahe. Der Junge konnte seinen alkoholgeschwängerten Atem riechen. Er schwieg.
„Natürlich bist Du kein Callboy. Du bist ein Nichts. Irgendein Phantom, geschickt von NSA, CIA oder MI6. Was weiß ich. Aber wir sehen sofort, wenn jemand nicht dazugehört. Sich anders benimmt. Die hätten Dich besser informieren sollen. Ist nicht leicht hier für jemanden von Deiner Sorte.“
Schon wieder diese Beleidigungen!
„Es war eine Wette!“ gab er trotzig zurück.
Es ging so schnell, dass er erst den Schmerz wahrnahm und dann sah, wie der Russe seine Faust zurückzog. Dem Jungen wurde auf einmal speiübel. Jetzt nicht dem Boss vor die Füße kotzen. Er keuchte. „Ich habe Dir gesagt, Du sollst nicht reden!“ Der Russe maß ihn mit einem Blick, mit dem man eine lästige Fliege beäugt, bevor man sie erschlägt.
„Sie hielten das wohl für eine gute Idee, was? Dich so auszustatten? So eine Art Undercover-Callboy solltest Du sein, nicht wahr? Das war Dein Auftrag. Aber leider haben sie sich den falschen für diese Mission ausgesucht. Sie hätten eben keine wirkliche Schwuchtel nehmen sollen.“ Er sah auf die eng sitzende Jeans des Jungen. Der schluckte nur und sagte nichts. Er hatte ja versucht, es ihnen zu erklären. Dabei war es wirklich nur eine Wette gewesen. Seine Kumpel hatten eine Stange Geld geboten, wenn er sich nachts auf den Schwulenstrich traute – in entsprechenden Klamotten.
Es war eine bierselige Laune gewesen, vielleicht auch eine Spur Abenteuer: Was passierte da eigentlich? Laufen da wirklich alle so herum, wie es in den Filmen gezeigt wurde? So schlimm konnte das ja gar nicht sein, oder?
„Warum nicht?“ hatte er sich schließlich gedacht und sich dabei sehr mutig gefühlt. Einige hatten ihm bewundernde Blicke zugeworfen. Jeder wusste doch schließlich, dass auf diesem Strich nicht nur Liebeshungrige umhergingen, sondern auch mit Drogen gedealt und andere wirklich illegale Sachen gemacht wurden. Aber dass es so schlimm werden würde, damit hatte er in seinen schlimmsten Träumen nicht gerechnet.
Naja, er hatte ja auch nicht ahnen können, dass ihn die anderen plötzlich allein lassen würden, um kichernd einem Schwulenpärchen zu folgen, das sich kurz zuvor gefunden hatte. Er hatte ihnen noch hinterherrufen wollen, aber da hatte dieser Russe ihn auch schon angequatscht. So eine Scheiße! Und jetzt saß er hier, in einem Schuppen nicht weit entfernt in einer Seitenstraße, auf diesem wirklich unbequemen Stuhl, die Hände hinter dem Rücken gefesselt und mit der Perspektive, bald gefoltert zu werden. Wenn er das richtig verstanden hatte. Er kannte sich in Gaunergepflogenheiten bislang recht schlecht aus.
„So, dann werden wir Dich nun mal an einen Ort bringen, an dem Du kleines Plappermaul richtig gut reden kannst.“ Der Russe grinste, doch dann flog die Tür des Schuppens aus ihren Angeln. Der Junge hörte einen ohrenbetäubenden Knall, und dann mehrere Augenblicke gar nichts mehr. Der Russe lag vor ihm auf dem Boden und bewegte sich nicht. Es regnete Staub und Holzsplitter. Durch den Rauch kamen plötzlich seltsame Gestalten gerannt, sie waren ganz in schwarz gekleidet, hatten Helme auf dem Kopf – und Gewehre in den Händen. „SEK, Sie sind umstellt. Hände hinter den Kopf und keine Bewegung!“ Die Stimme kam ihm seltsam vertraut vor. Er brauchte eine Weile, bis er die Orientierung wiedergewonnen hatte. Was zum Teufel ging hier vor? Dann erkannte er eine Gestalt durch den sich lichtenden Nebel auf ihn zukommen, während die Männer in Schwarz die Helfershelfer abführten. Aber das war doch... „Tom!“ rief er, und eine Welle der Erleichterung durchströmte ihn. Aber wie konnte sein Kumpel jetzt hier sein? Er war doch vorhin mit den anderen dem Schwulenpaar hinterher gelaufen?
„Tut mir leid, Kollege!“ sagte Tom und beugte sich zu ihm herunter, um ihm die Fesseln aufzuschneiden. „Wir brauchten für diese spezielle Mission eine wirklich überzeugende Persönlichkeit. Mir ist niemand besseres eingefallen, um die Aufmerksamkeit dieser Gangster zu erregen, die wir schon eine Weile beobachten, aber nie auf frischer Tat ertappen konnten.“
„Tom...“ flüsterte der Junge schwach. Er erinnerte sich nun vage daran, dass dieser mal erwähnt hatte, bei der Polizei zu arbeiten. Dann wurde er ohnmächtig.