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Minimales Profil einer Kurzgeschichte

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29.01.2010
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Minimales Profil einer Kurzgeschichte

Weshalb sollte man sich Gedanken machen, über ein minimales Profil für eine Kurzgeschichte? Das ergibt sich doch bereits aus den Begriffen kurz und Geschichte. So mancher Pädagoge etwa steht vor der Aufgabe, seinen Schülern auch diese Literaturform nahezubringen. Oft stützt sich dies direkt auf kleinen Werken, deren Inhalt hinterfragt und gedeutet wird. Ob der spezifische Charakter des gewählten Formats dabei immer durchdringt, sei dahingestellt.

Das Problem im Verständnis einer Kurzgeschichte erscheint mir dahingehend, dass sich auch die Literaturwissenschaft – eine retrospektive Disziplin – sich eher zurückhaltend gibt, dieses Format im deutschsprachigen Raum verbindlich zu definieren. Immerhin ist unbestritten, dass nicht jede kurze Geschichte auch eine Kurzgeschichte darstellt. Im literarhistorischen Rückblick lassen sich denn auch verschiedene Ausformungen der Kurzgeschichte unterscheiden. Heute verweist man oft auch auf die amerikanischen Short Storys und die typisch deutschen Nachkriegs-Kurzgeschichten, wie sie für einige Jahre Aktualität genossen. In Frankreich gar, gibt es kein namentliches Äquivalent für diese Topoi. Der Sprachschatz hat zwar das Wort topo für eine kurze mündliche oder schriftliche Darstellung, für Kurzgeschichten bedient man sich jedoch des Anglizismus, wenn es überhaupt einer Charakteristik zugeordnet wird. Dabei schrieben auch bekannte französische Schriftsteller so manch typische Kurzgeschichte.

Die minimalen Verbindlichkeiten, welche sich für eine Kurzgeschichte m. E. dennoch aufdrängen, sind in der Kürze und den Kriterien, was eine Geschichte zu einer solchen macht, gegeben:

Die Kürze bestimmt, dass die Handlung sich erheblich stark fokussierter als bei einer Novelle oder einem Roman darstellen muss. Dies kann nicht durch ein Herabbrechen einer derartigen Vorlage erfolgen, eine solche Verknappung würde sich als verstümmelnd weisen, als vielmehr durch Einschränkung auf einen knappen Handlungsspielraum. Auch stellt es keinen Auszug aus einem Roman dar, da es die Kriterien für eine Geschichte, wie es sich nachfolgend noch zeigt, an sich kaum erfüllen könnte. Der Fokus ist diesbezüglich auf ein Geschehen gerichtet, das dem Leser eine in sich geschlossen Geschichte darbietet.

Eine Geschichte wiederum ist nicht einfach eine textliche Abfolge von Geschehen, sondern zeichnet sich durch bestimmte Kriterien aus. Bereits in der Antike benannte Aristoteles in seiner Poetik solche wegweisend. Er formulierte es als grundlegend, dass Geschichten einen Anfang, eine Mitte und ein Ende aufzuweisen haben, sowie in der Art ihrer Anordnung Vergnügen bereiten. Es gibt verschiedene Theorien, die eine solche Ausbildung der Form ermöglichen. Ein gemeinsamer Nenner ist, in Vertiefung zu Aristoteles damaliger Sicht, dass eine Geschichte einer Wandlung bedarf. Der Einstieg erfolgt meist über eine Ausgangssituation, dem eine Verkehrung der Gegebenheiten folgt, und eine Lösung, die den Wandel als bedeutsam ausweist. Selbst wenn das Ende offenbleibt, es noch verschiedene Entwicklungen ermöglichte, sollte dieses Kriterium hierbei inhärent sein.

Wer sich mit Literatur beschäftigt, wird über kurz oder lang feststellen, dass die Ausgestaltung von Geschichten noch vielerlei Komponenten einbezieht, auch die Kurzgeschichte sich nicht allein an den beiden Genannten orientiert. Für angehende Autoren ist es jedoch angezeigt, sich schrittweise der Materie anzunähern und nicht gleich zu erwarten, ihnen sei allein mit einer Idee nun ein bahnbrechendes Werk gelungen. Wenn sie erst mal die genannt minimalen Anforderungen, was eine Geschichte ausmacht, beachten und verinnerlichen, werden sie weniger dem Irrtum unterliegen, ein Textformat für eine Kurzgeschichte auszugeben, dass dieses Kriterium absolut nicht zu erfüllen vermag.

 

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