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Gedanken über Äonen hinaus

Monster-WG
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10.09.2014
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Gedanken über Äonen hinaus

Dieser kurze Brief soll nicht unbedingt mein letzter, aber mein ernsthaftester sein.
Es geht um nicht mehr, aber auch um nicht weniger als um mein Ableben und um meine Habe, die so plötzlich dann zum Nachlass wird.

Alle, die schon vor mir gelebt haben, fallen mir ein und auch das, was sie gehabt haben, bzw. vererben und zurücklassen mussten. Ich stelle mir vor, dass die Begünstigten häufig gar nicht diese schönen Sachen wert waren, denn vielleicht lagen diese glücklichen Erben ihr halbes Leben auf der faulen Haut und taten in der anderen Hälfte keinen Handschlag. Und dann sagt der Notar: So, und diese perlmuttverzierte Taschenuhr mit echt goldenem Deckel gehört jetzt Ihnen. Oder diese schönen Anzüge, fast nicht getragen und exakt Ihre Größe! Oder diese Reederei, sie besteht aus vierzehn Frachtschiffen, acht Tankern, einem Kreuzfahrtschiff und eigenen Hafenanlagen mit dem zwölfstöckigen Firmengebäude.

Meine Gedanken sind so wirr wie das ständige Gefliege von diesem komischen Falter. Ran an die heiße Glühbirne meiner Schreibtischlampe, aua, er fällt runter, bekrabbelt sich, startet wieder und fliegt erneut den gleichen Kurs, aua und das macht er schon die ganze Zeit, da ich hier brüte und sinniere. Die erste halbe Stunde konnte ich mich gar nicht ernsthaft auf mein Schreiben konzentrieren, doch jetzt beachte ich ihn nicht mehr so sehr.

Viele haben ja auch etwas geerbt, was sie überhaupt nicht wollten und dann hat ihr Leben einen völlig unerwarteten Verlauf genommen und Dinge sind passiert, die sie sich nie und nimmer hätten träumen lassen – gute und schlimme. Der Falter tut mir leid; aber natürlich lasse ich ihn leben, nur kann ich ihn nicht vor die Tür setzen, denn es ist bitterkalt und das würde ihn gleich umbringen. Doch steter Anflug, stetes Aua, steter Absturz ist ja auch kein Leben. Aber ich lasse ihn gewähren, denn es ist ja ein biologisches Programm, was ihn steuert.
Wie ist das eigentlich mit meiner Steuerung? Ich bin mir nicht sicher. Und die anderen Milliarden Erdbewohner um mich herum – werden die alle gesteuert? Aber wie, von wem, warum und wohin?

Ich hätte diesen Brief nie anfangen sollen. Je mehr ich über alles nachdenke, auch über das mir unerklärliche Tun meines Falters, desto mehr Beispiele und Gegenbeispiele fallen mir ein und ich komme mit meinem Text nicht so richtig weiter.

Wenn ich also eines beliebigen Tages - gerne im November - sterbe, dann ist das völlig in Ordnung, denn irgendwann muss es ja sein. Aber die Macht meines Testamentes würde dann, nachdem meine Asche längst ins Meer gestreut wurde, andere Menschen vielleicht belasten und ihnen eventuell Probleme bescheren, die sie in ihrem bislang gewohnten Leben nicht kannten. Habe ich ein Recht dazu, Situationen zu schaffen für die noch Lebenden, obwohl ich doch schon tot bin? Ich weiß nicht ein und ich weiß nicht aus.
Der Falter lässt nicht locker, doch ich verliere den roten Faden.
Liegt in seinem Verhalten die Antwort auf meine Fragen? Er ist ein Geschöpf wie Du und ich. Vierzig Jahre in einer Firma, Goldene Hochzeit nächstes Jahr, ein Vierteljahr vor November. Der Falter hat deutlich an Energie verloren, er braucht lange, um wieder auf die Beine zu kommen für den nächsten Start. Ich glaube nicht, was ich sehe. Macht der das wirklich so weiter bis zum letzten Tropfen Sprit? Da – aua , schon wieder! Das ist kein schönes Schauspiel.

Ich befinde mich etwas neben mir.
„Lieber Gott“, höre ich mich sagen „Du hast aber auch Ideen!“

 

Hi josefelipe,
nette Gedanken eines sehr tierliebenden Menschen. Ehrlich, diese verdammten Nachtfalter konnte ich noch nie leiden.
Mir wäre es lieber gewesen, wenn ich gewusst hätte ob der Mann denn überhaupt was ordentliches zu veerben hatte. Wenn der nur eine Brockhaussammlung hat und ein paar Tausender, wären seine Grübeleien über das Testament ziemlich unangebracht.

Nitpicking:

denn vielleicht lagen diese glücklichen Erben ihr halbes Leben auf der faulen Haut und taten in der anderen Hälfte keinen Handschlag.
Und warum liegen sie in der anderen Hälfte, der ohne Handschlag, nicht auf der faulen Haut? Was tun sie stattdessen?

Der letzte Satz sagt mir auch nicht so zu, der hat irgendwie zu wenig Power als Pointe.

cu,
Irony

 

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