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‘Never not ever
ever again
over and over and over and over again’
III.
So saßen wir also da, am vertrauten Tisch mit vertrauten Manieren. Es war wie eine Versuchsanordnung. Ich hatte die Klamotten aufgetragen, die sie so mochte. Immer. Und ich trug sie mit der Attitüde, die sie so mochte. Auch immer.
Wir redeten, gingen die Sätze immer wieder durch. Ohne Gefühlsduselei, ohne Pathos, ohne verklärende Retrospektive. Wie eine Montageanleitung für das Modell „Trennung“. Man hätte auch einfach die Schwingungen der Stimmbänder, den Ton der Worte, weglassen können und sich stattdessen in albernen Mundbewegungen versuchen können – so sehr hörten wir einander zu.
Dann vibrierte der Tisch, ich erschrak und innerhalb von Millisekunden griff sie reflexhaft nach ihrem Handy. Ich sah wie das Gerät ihr Gesicht mit seinem unnatürlich grellen Licht erhellte und so erwischte ich den Moment in ihren Augen, der mir verriet was „Vergangenheit“ bedeutet. Ich war Vergangenheit.
Fassung, Fassung, Attitüde - Wut. Ein Trauerspiel.
Meine Stimme gewann an Ton, Worte formten meine Wahrheit und ich spürte die Ambivalenz tief in der Magengrube. Sie hob ihren Blick und schaute mich entsetzt an. Das alte Muster steht mir gut, dachte ich, weiter. Die Schwere wegschieben, notfalls mit Ausdruck. Notfalls mit sämtlichen Tricks, die ich nie beherrschen wollte, strategisch mit der Vertrautheit spielen.
Es funktionierte. Ich gewann Land.
Ich spürte, dass ich mich mitsamt meinen Worten löste, so als ob ich das alles jemand anderem sagen würde. Ich saß auf meiner Insel, nun gewappnet für ihre Wahrheit.
Sie weint.
Ich bleibe regungslos, denke: Selbst schuld.
Sie steht auf, sie nimmt meine Hand, ich gebe nicht nach. Ich bleibe stolz.
Sie zieht meine Hand, meinen Arm und dann den Rest an physischem Überbleibsel nach wochenlanger Appetitlosigkeit von meinem Stuhl und ich gebe nach, folge ihr nach, blind durchs Dunkle, automatisiert, alles auf Anfang, aufs Bett. In mein Bett.
II.
Er trug eine runde, kleine Brille aus mattem Metall, die ihn wie eine Mischung aus Hypnotiseur und Yoga-Lehrer aussehen ließ. Er war von hagerer, hochwüchsiger Gestalt und im Unterschied zu allen anderen Therapeuten deren Sessel, Couches und Stühle ich bereits besetzt hatte, gestikulierte er viel. Nicht fließend, sondern energisch, so als ob er sich die Worte aus der Luft zu zufächeln versuchte. Ich mochte ihn. Er analysierte trocken, aber heute erwischte ich eine beinahe romantisch anmutende Ader bei ihm.
Verärgert über die Zeit, die ich damit vergeudet hatte um ihn auf den neusten Stand zu bringen, verärgert darüber wie oft ihr Name fiel, lehnte ich mich seufzend und ratlos, wie sonst, zurück an die Lehne der mediterranen Couch. Er sah mich sekundenlang intensiv an und fing an den Zustand, für dessen Beschreibung ich nach 1000 Worten immer noch kein passendes Adjektiv gefunden hatte in drei handliche Sätze herunterzubrechen. Ich schluckte.
Dann sprach er von Liebe. Und davon zu kämpfen und zu entscheiden.
Schweigend entschied ich nach 86 Minuten, dass ich in viel zu vielen Jahren zu viele falsche Entscheidungen und Entscheidungsaufschiebungen getroffen hatte. Die Lebensangst, die Blamageangst, die Angst vor der Angst haben aus mir eine verkorkste Karikatur gemacht.
Sie hatte sich in eine Karikatur verliebt und ich hatte irgendwann angefangen, mich so zu mögen.
Nach 90 Minuten verließ ich seltsam geerdet dieses Haus, das unscheinbar wie das Haus einer älteren, einsamen Dame inmitten eines Wohngebietes lag und trat meinen Weg nach Hause an. Es war ein sonniger, belaubter Montag im Oktober. Die Zeit der Ernte, das Rad, das abwärts dreht, die Sonne, die jeden Tag tiefer sinkt.
I.
Es war Mai als ich abends nach einem verwirrenden, enervierenden Tag, der untergründig voller Blamagen und Herzrasen steckte, zu ihr fuhr. Sie wollte kochen und Rotwein trinken.
Als sie sich umdrehte um mit Gewürzen über Kochtöpfen zu hantieren musste ich sie bereits für einen Moment zu lange umarmt haben, denn plötzlich hielt sie inmitten ihrer Bewegung inne und schaute mich für Sekundenbruchteile von der Seite an.
Nach dem Essen ließ ich mich auf der graumelierten Couch nieder, sie neben mir, Gläser, Rotwein, ungewohntes Schweigen.
Unweigerlich näherten sich unsere Körper und wir drehten uns zusammen zu dieser einen Figur, die nie einen Hauch von Anzüglichkeit hatte. Etwas war anders.
Sie sprach gerade noch so laut, dass ihre Stimme einen Ton hergab, der sich melodisch auf- und abschwingend durch den Raum bewegte. Ich bemerkte, dass ich sie nicht anschaute, sondern anstarrte und inmitten des Satzes, den sie gerade in diese absolute Stille hineinplatzieren wollte, hielt sie inne und schaute mich mit diesem einmaligen, ruhenden Blick an.
„Glaubst du etwa wirklich, dass du mich so um den Finger wickeln kannst?“, fragte ich und versuchte dabei so angestrengt ironisch zu schauen bis meine Mundwinkel anfingen zu zucken.
„Ja“, antwortete sie, nun lächelnd.
Ich wartete noch gerade so lange bis sie ihre Augen schloss, lehnte mich vor und ohne einen Moment von Skrupel küsste ich sie.
Eine Bewegung ergoss sich in die andere und die Figur die sonst den Schutz des eines über den anderen bedeutet hatte verwandelte sich langsam, vorsichtig zu einem einzigen rhythmisch-fahrigen Takt, der alles Denkbare auslöschte.
Mit tauben Lippen und einem Brennen in jeder Muskelfaser sank ich in die Kissen.
Die Sonne ging gerade auf und suchte sich durch die Vorhänge eine Lücke um den Tau auf meinem Körper trocknen zu lassen.