Mitglied
- Beitritt
- 09.09.2013
- Beiträge
- 298
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 13
Die Bewerbung
Unsicher betritt der Bewerber das Büro des Geschäftsführers eines kleinen Unternehmens. Der Geschäftsführer nimmt seine Brille ab und deutet auf den Stuhl am runden Tischchen.
„Bitte nehmen Sie Platz. Ich habe mir gerade nochmals die Unterlagen angeschaut, die Sie uns per Mail zukommen ließen.“
Etwas schüchtern setzt sich der Bewerber und blickt auf den Boden.
„Möchten Sie einen Kaffee?“ Der Geschäftsführer versucht den Bewerber aufzumuntern.
„… Ja.“
„Mit oder ohne Milch? … Zucker?“
„Egal.“
Die Sekretärin bringt den Kaffee, ohne Milch und ohne Zucker.
„Was interessiert Sie denn an unserer Firma besonders?“, fragt der Geschäftsführer, nachdem die Sekretärin den Raum verlassen hat.
„Ich muss Ihnen zuerst sagen, dass ich im Leben bisher immer Pech hatte und ich diese Stelle in Ihrer Firma endlich als etwas betrachte, was mir Glück bringen könnte.“
„Erklären Sie das bitte genauer.“
„Sehen Sie; andere Menschen haben mich nie gemocht. Alles, was ich in meine Hände nehme, fällt heraus. Mädchen kümmern sich nicht um mich.“
„Das klingt nicht gut.“
Der Bewerber nimmt einen Schluck Kaffee. Er hält die Tasse zu hoch. Schwarzer Kaffee läuft den Mund herunter und tropft auf das weiße Hemd. Zittrig stellt der Bewerber die Kaffeetasse neben die Untertasse und sagt leise:
„Bitte verzeihen Sie. Ich sagte ja gerade, dass ich Pech habe, wo man Pech haben kann.“
„Ist ja nichts Schlimmes passiert.“
„Eben. Aber mir passiert so was immer. Anderen nicht.“
„Also, warum haben Sie sich bei uns beworben? Was bringen Sie für Fähigkeiten mit?“
„Das ist so … Ich glaube, dass Sie mich verstehen, denn bei mir läuft oft was schief, wofür ich eigentlich nichts kann.“
„Hm.“
„Bei der letzten Bewerbung ist mir der Zug davon gefahren und ich kam zu spät zum Gespräch.“
„Jeder kann doch einen Zug verpassen. Hat man Sie nicht noch einmal eingeladen?“
„Nein; denn Züge warten nicht und ich hatte gar nicht die Möglichkeit, rechtzeitig am Bahnsteig zu sein.“
„Weshalb? … Wie wurden Sie aufgehalten?“
„Ich sagte doch schon, dass mich das Unglück verfolgt. Ich bin an diesem Tag später als sonst aufgewacht und habe dann meine sauberen Kleider nicht gefunden.“
„Das stört am frühen Morgen.“
„Ja … und zu der Vorstellung eine Woche davor konnte ich nicht gehen, weil ich krank geworden bin.“
„Eine plötzliche Erkältung?“
„Nicht ganz. Da ich doch immer Pech habe, ist mir das Geld ausgegangen. Ich konnte zwei Tage nichts zum Essen kaufen und hatte nur noch eine Flasche Zwetschgenwasser im Schrank.“
„Das ist ja alles sehr traurig.“
„Genau. Besonders vor Bewerbungsgesprächen passieren solche Katastrophen. Ich bin froh, dass ich es zu Ihnen geschafft habe.“
Der Geschäftsführer blickt auf die Uhr.
„Dann geben Sie mir mal Ihre vollständigen Bewerbungsunterlagen.“
Der Bewerber sucht in seiner Tasche. Dann blickt er den Geschäftsführer weinerlich an.
„Sehen Sie. So ist das Schicksal immer zu mir. Die habe ich jetzt vergessen.“