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Das Mädchen aus dem Zug

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20.10.2014
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Das Mädchen aus dem Zug

Es war genau der richtige Tag um im Zug zu sitzen und über ihre Liebe nachzudenken. Das Wetter war stürmisch und regnerisch, ähnlich der Unruhe ihres Herzens. Sie wusste nicht, was richtig, was falsch war, was gut und was schlecht. Nur eines wusste sie: Umkehren war gewiss unmöglich! Dafür war es zu spät, seit Monaten war es zu spät. Draußen verfärbte sich der Himmel rasant lila, die Wolken wuchsen zu einer grauen Wand. Die ersten dicken Tropfen fielen auf die Erde und klatschten an die Scheibe. Ja, sie liebte ihn. Sie liebte ihn von Anfang an. Auch wenn sie es natürlich nicht zu Beginn bemerkt hatte.

In einer anderen Stadt, Stunden von dem Mädchen im Zug entfernt, beinahe so weit entfernt, als wäre es in einer anderen Zeit, fuhr ein Mann zum Bahnhof. Er war in fantastischer Stimmung und dieses angenehme Kribbeln erfüllte seine Bauchgegend. Es war dieses Kribbeln, das man verspürt wenn man zum ersten mal kurz davor ist jemanden zu küssen, wovon man schon nächtelang vorher geträumt hat. Dieses Kribbeln, wenn der Mensch, der einem am nächsten steht, den Gedanken ausgesprochen hat, den man in der gleichen Sekunde gedacht hat und man sich wissend anlächelt. Es war die pure Freude. Er freute sich ungemein, denn in weniger als zwanzig Minuten würde er endlich wieder sein Mädchen in die Arme ziehen können, seinen Kopf in ihrem roten Haar vergraben und ihre warme Wange an seinem Hals spüren können. Im Radio liefen gerade die Nachrichten. Er schaltete es ab. Für schlechte Neuigkeiten war er nicht in der Stimmung. Die Ampel schaltete auf grün und schneller als sein Nebenmann überhaupt reagieren konnte, hatte er die Ampel längst hinter sich gelassen. Er parkte neben einem grauen Mercedes und machte sich auf den Weg einen Kaffee beim Bäcker in der winzigen Bahnhofshalle zu holen.

Ein Mädchen fuhr mit dem Zug, ein Mann rührte in seinem Kaffee und ein Junge küsste seine Freundin, während sie an der Ampel auf das grün für die Fußgänger warteten. "Du schaffst das schon, wirklich! Jeder Idiot schafft das!" Sie seufzte nur als Antwort und lief über die Straße. Er hatte Mühe sie einzuholen und ihre Hand zu nehmen. Sie bogen um die Ecke und gingen auf ein Gebäude zu. "Fahrschule" war in großen, gelben Buchstaben auf die Fensterfront geklebt. Er begleitete sie kurz hinein und sie setze sich neben einen Jungen, der über seinem Bogen saß. "Hier kann man sich doch anmelden, oder?!" Der Junge nickte. "Siehst du, alles in Ordnung!" Der Freund strich seiner Freundin über den Kopf und ging wieder nach draußen. Floyd sah sich nervös um. Ja, ihr Freund hatte recht. Jeder Idiot schafft das. Warum sie nervös war, wusste sie nicht einmal. Es war eben eine neue und ungewohnte Situation für sie. Nichts weiter. Doch der Raum gefiel ihr. Er war kaum 30m² groß und dennoch vollgestopft mit allem möglichen Kram. Natürlich Tische und Stühle samt Schüler und einem Schreibtisch mit PC, Fernseher und Tafel. Die Wände waren über und über bedeckt mit Postern von Verkehrsregeln, Führerscheinklassen und Modellen von Bremsen, Reifen, Scheinwerfern. Eigentlich alles ziemlich langweilig und trocken und dennoch fühlte sie sich geborgen. Ihre Anspannung legte sich und schon fand sie es albern, dass sie vor Nervosität ihren Freund gebeten hat sie mit hierher zu begleiten. Zum Glück kannte sie niemanden, denn irgendwie war es ihr jetzt schon fast peinlich. In der Zwischenzeit kamen immer mal wieder einige Leute rein, nahmen sich einen Bogen vom Schreibtisch und setzen sich. Während sie gerade überlegte, ob sie sich auch einen holen müsse, öffnete sich die Tür erneut. Ein Mann betrat den Raum. Zielstrebig steuerte er auf den Schreibtisch zu. Jetzt dämmerte es Floyd. Es war wohl der Lehrer und bei ihm müsse sie sich anmelden. Sie erhob sich und ging zu ihm. Nachdem sie ihn aufgeklärt hatte und während er die Formulare hervorholte, schaute sie auf seine Hände. Es waren sehr schöne Hände. Sanft. Außerdem fand sie seine Stimme sehr angenehm, seltsam beruhigend. Sie nahm sich einen Bogen und die Formulare und das Buch und setze sich wieder. Die Frau neben ihr bemerkte grinsend: "Er gibt dir in deiner ersten Stunde einen Bogen?! Nicht sehr sinnvoll." Floyd grinste zurück "Ich weiß.." Trotzdem füllte sie alles aus und gab ihren Bogen wieder ab. Es war mitten im September und draußen war es schon am dämmern. Nach der Theorie ging sie wieder zu ihrem Freund. Er fuhr sie nach Hause.

Am gleichen Abend lag der Lehrer aus der Fahrschule auf seinem Sofa. Sein dicker Kater mit dem schwarzen, dichten Fell hatte sich auf seinem Bauch zusammengerollt und schnurrte zufrieden. Der Fernseher lief. Auf dem Tisch wartete sein halb aufgegessenes Käsebrot darauf komplett gegessen zu werden. Aber er hatte keinen Appetit mehr. Das er überhaupt was essen konnte hatte ihn gewundert. Er zappte weiter. Das Haus war leer. Immer noch. Ständig spürte er ihre Abwesenheit. Am Anfang konnte er es beinahe körperlich fühlen. Mit der Zeit hatte er sich schon fast dran gewöhnt. Die Waschmaschine rumpelte im Keller und er ging nach draußen hinters Haus und zündete sich eine Zigarette an. Der Rauch in seiner Lunge gab ihm etwas Beruhigendes. Er war warm. Leiser Regen plätscherte auf das Glasdach seiner Terrasse. Ihrer Terrasse. Immer noch waren auf den Steinfliesen die Abdrücke der Tontöpfe zu sehen, in denen ihr Basilikum wuchs, der Oregano und vor allem der duftende Rosmarin. Er merkte, wie sich dieses vertraute Gefühl erneut in seiner Magengegend breit machte. Diese heiße Wut. Aber er wollte heute Abend nicht wütend sein. Er wusste nicht warum, aber heute Abend wollte er nicht wütend sein, am besten wollte er nie wieder wütend sein. Er drückte die Zigarette aus und zappte auf dem Sofa zurückgekehrt das Programm weiter.

In der gleichen Stadt in welcher auch die Fahrschule war, fand eine Beerdigung statt. Mal wieder. Die Überalterung der Bevölkerung machte auch vor dieser Kleinstadt nicht halt. Aber diesmal war es kein Mensch, der schon ausreichend vom Leben gesehen hatte um es ruhigen Gewissens verlassen zu können. Es war eine junge Frau, noch fast ein Mädchen. Ihre Familie und Freunde versammelten sich vor der Kirche. Niemand sprach besonders viel. Das gerade ihr dieses Unglück widerfahren ist... Man liest in den Zeitungen von solchen Fällen, manchmal sieht man es sogar in den nationalen Nachrichten im Fernsehen, aber nie hat es einen sonderlich berührt. Man war so abgestumpft von der täglichen Flut schlechter Neuigkeiten der Medien. So abgestumpft.. doch jetzt war kaum ein Mensch anwesend, dem keine Tränen über die Wange liefen.

Dem Mädchen aus dem Zug glühten die Wangen, während sie mit geschlossenen Augen an ihn dachte. Die Wärme seines Körpers, seinen unwiderstehlichen Geruch, seine sanften Hände, die ihre Haare hinters Ohr strichen und seine weichen Lippen, die ebenjenes Ohr zärtlich küssten und nicht zuletzt seine starken Arme, die sie hin und wieder so fest drückten, wie sie nur konnten. Er war liebevoll zu ihr, so liebevoll wie man nur sein konnte. Er war ihr erster richtiger Geliebter. Und so viel mehr als das verband sie. Sie hatte ihm geholfen die härteste Zeit seines Lebens zu vergessen.

Ein Mann und eine Frau standen sich in ihrem Wohnzimmer gegenüber. Feindselig. Sie hatten beide einen Haufen DVDs in der Hand. Und stritten sich. Ja, sogar über die DVDs stritten sie sich. Die Frau warf dem Mann allerhand Anschuldigungen an den Kopf. Die wenigsten hatten mit den DVDs zu tun. Der Mann wurde laut, die Frau nur noch lauter. Ihre Ehe war vorbei. Dies war keine Vermutung, es war eine vollendete Tatsache. Die Scheidungspapiere waren unterzeichnet, die Anwälte standen in den Startlöchern. Während die Frau darüber diskutierte, wer bereits welche Bücher und welches Geschirr bekommen hatte, sah der Mann nur das braun ihrer Augen. Es war bernsteinbraun. Er hatte es geliebt, so wie er alles an ihr geliebt hatte. Ihre dunklen, gewellten Haare, ihr fülliger Körper, an dem die mehr als dreißig Jahre ihres Lebens nicht ganz spurlos vorbei gezogen sind. Er hatte ihr Lachen geliebt und ihr Weinen umso mehr. Man musste sie einfach umarmen, wenn sie weinte. Er hatte jede Kleinigkeit geliebt, wie sie auf dem Sofa ein Buch las, oder ihren Jogurt auskratze oder die Spagetti aufrollte. Doch jetzt... sah er nur noch eins, wenn er ihre Augen sah. Den panischen Ausdruck, als er die Tür öffnete und sie ihn entsetzt anstarrte, die Augen weit aufgerissen. Neben ihr lag ein fremder Mann, im Adamskostüm, ebenso wie sie selbst. Seit diesem Augenblick konnte er sie nur noch verachten. Sie hatte sein Herz in Stücke gerissen und natürlich war er an allem Schuld. Er wäre mit seiner Arbeit verheiratet gewesen, nie für sie da gewesen. Und wenn er dann zu Hause war, hätte er nur auf dem Sofa gelegen.. Ja, er hatte viel gearbeitet.. aber sie brauchten das Geld, die Hypothek auf dem Haus war noch sehr hoch gewesen. Aber jetzt, dachte er zynisch, jetzt konnte er so viel arbeiten wie es ihm passte und niemand würde sich darüber beschweren. Auch wenn er nicht froh war, wie es gekommen ist. Froh war er ganz und gar nicht. Trotzdem überreichte er ihr seufzend die DVDs in seiner Hand. Während die Frau erstaunt inne hielt, ging er und kam erst am Abend wieder, nachdem das Haus bereits leer war und nur noch seine Sachen verstreut herum lagen. Einzig die paar Teile im Badezimmerregal hatte sie da gelassen. Am nächsten Tag kaufte er als erstes ein neues Bett.

Floyd fand Gefallen am Theorieunterricht. Sie stellte fest, dass sie ein paar Jahre später mit dem Führerschein dran war, als die meisten anderen hier. Dennoch ging sie gerne hin. Sie mochte den kleinen warmen Raum und die Fragen der Bögen, sie mochte die Gummibärchen, die verteilt wurden und die entspannte Atmosphäre. Und auch wenn sie es sich nicht eingestand, am meisten mochte sie den Lehrer. Doch das sollte sie erst etwas später herausfinden, wichtig war es fürs Erste nur, dass sie hinging.

Für gewöhnlich schlafen Menschen, die sich ein Bett teilen, unruhiger, als alleine. Dennoch geben die meisten Menschen dieser Art zu ruhen den Vorzug. So auch diese beiden Menschen. Von schlafen konnte bei ihnen nicht die Rede sein. Sie lagen aneinander geschmiegt unter der Decke. Schlief der eine ein, war der andere wach. Der Mann schnarchte ein wenig und auch wenn es beinahe laut war mochte das Mädchen sein Schnarchen. Es bewies, dass sie neben ihm lag. Neben dem Mann, der sie nicht schlafen ließ. Kaum war sie eingedöst, legte er einen Arm um sie oder zog sie näher zu sich heran oder nahm ihre Hand oder drückte ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. Woraufhin ihr Herz ungemein schnell schlug und es ihr wiederum unmöglich machte weiter zu schlafen. Kaum war er eingedöst, drehte sich das Mädchen zu ihm herum, kuschelte sich an ihn, seufzte zufrieden, woraufhin sein Herz ungemein schnell schlug und es ihm wiederum unmöglich machte weiter zu schlafen. Dieses Spiel, so alt wie die Menschen selbst, ist dennoch sehr erschöpfend und irgendwann schliefen beide in den Armen des anderen ein.

Auf der Beerdigung der jungen Frau war ein Mann anwesend, den nur einige ihrer Angehörigen kannten. Seit dem Moment in dem ihm klar wurde, was ihr widerfahren war, gab es kaum eine Minute in der er keine Träne in den Augen hatte. Während des Gottesdienstes war er sehr bemüht sich zusammenzunehmen. Er hatte sie nie weinen gesehen. Sie war eine starke Frau gewesen. Fröhlich, mutig, gewitzt, intelligent.. die Liste konnte er ewig fortführen. Kaum eine Sache hatte sie aus der Fassung gebracht und wenn dies doch einmal der Fall war, so gab sie sich dennoch Mühe es zu verbergen. Natürlich hatte sie auch viele schwache Momente gehabt. Schließlich war sie ein gefühlvolles Mädchen. Dann nahm er sie stets fester in die Arme und legte seinen Kopf auf ihre Haare und streichelte sie... er hätte wieder weinen können. Aber er wollte stark sein, für sie. Doch als der Gottesdienst beendet wurde und er sich für immer von ihr verabschieden musste, brach er zusammen. Es war unglaublich unfair... Warum hatten sie so wenig Zeit gehabt? Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Sie gehörten einer blonden jungen Frau, die sich zu ihm gestellt hat. Sie reichte ihm ein Taschentuch und umarmte ihn lange. Auch für sie war es ein wahnsinniger Verlust. In dem Ding vor ihnen lag die beste Freundin der blonden, beinahe schon eine Schwester...

Floyds erste Fahrversuche verliefen problem- und ereignislos. Ihren Freunden erzählte sie lediglich von ihrem neu gewonnenen Freund. Auch wenn sie es sich nicht eingestand, der Mann neben ihr faszinierte sie mehr, als klug war. Irgendwas war da.. Sie wusste noch nicht, was es war, aber es gab eine merkwürdige Verbindung zwischen ihnen.Nebenbei bemerkt, sie musste über alle seine Witze lachen, seine Geschichten, bewunderte seinen Musikgeschmack, was man natürlich nur für nötig hält, wenn er dem eigenen Geschmack entspricht, sein Geruch brachte sie schier um den Verstand. Dabei wurde die ganze Situation nicht dadurch besser, dass es ihm ähnlich erging. Sie war so erfrischend anders. Natürlich war sie etwas älter, als normalerweise seine Schüler waren, aber da dies nur ein sehr geringer Unterschied war, spielte es kaum eine Rolle. Es war ihm klar, dass es absolut und um jeden Preis unerhört war. Und doch, sie gefiel ihm, sehr sogar. Die Art wie sie lachte machte ihn schon beinahe glücklich und er gab sich stets Mühe ihr Lachen erneut erklingen zu lassen. Da sie beide den gleichen Humor hatten, war das nicht sehr schwer. Auch wenn er sich bemühte es zu verstecken, so entging es Floyd nicht, dass es etwas in seinem Blick gab. Er sah sie nie auf unangebrachte Weise an, dennoch tief in seinen Augen leuchtete nicht gerade selten eine kleine Flamme auf.

Das Mädchen im Zug musste an ihre erste richtige Verabredung mit ihm denken. Da wo sie herkamen, gab es nicht allzu viele Möglichkeiten für eine solche Gelegenheit, daher holte er sie ab und sie verbrachten den Abend bei ihm. Sie aßen Pizza und schauten ein paar Filme. Da sie sich schon eine Weile kannten, war ihr Verhältnis sehr vertraut gewesen, eigentlich wie immer. Dennoch war sie den ganzen Abend über angespannt gewesen. Allerdings auf eine angenehme Art und Weise. Ein Treffen zwischen ihnen in dieser Form war für beide neu. Und vor allem war man an einem Punkt angelangt, an dem man sich der Zuneigung des Gegenüber sicher war, denn das Risiko ging man nun zusammen ein. Man wusste nur noch nicht, was man mit sich anfangen sollte. Sie mussten sich erst einmal langsam aneinander auf diese Art gewöhnen. Sie erinnerte sich schmunzelnd daran, dass er nicht mal auf ihrer Seite des Sofas saß. Es gab keine Berührung, von einem Kuss ganz zu schweigen. Sie waren beide so schüchtern gewesen, so zurückhaltend, obwohl das sonst überhaupt nicht ihrem üblichen Verhalten entsprach. Das hielt sie beide dennoch nicht davon ab, sich wieder zu sehen. Seitdem holte er sie jedes Wochenende zu sich. Wie merkwürdig das alles war...

Wie es abends nicht selten der Fall war, saß er auf dem Sofa, neben ihm sein schwarzer, dicker Kater, der zufrieden schnurrte. Er dachte an seinen Arbeitstag. Und daran, dass es ihn gewissermaßen betäubte, wenn er bis zu zwölf Stunden am Tag im Fahrschulauto saß und sich die Ohren von seinen Fahrschülern abquatschen ließ. Es war angenehm, man musste nicht nachdenken und wenn man zu hause war, war man zu müde um nachzudenken. Natürlich konnte er sich eigentlich genug ablenken. Er traf sich oft mit seinen Kumpels, mindestens einmal unter der Woche und am Wochenende. Und mittlerweile, wie ihm in diesem Augenblick bewusst wurde, war das Gröbste Überstanden. Er dachte kaum noch an sie und wenn es doch einmal vorkam, dann nie mit Bedauern. Oder Wut. Gleichgültig war sie ihm auch nicht geworden, wie wäre das auch möglich? Aber es war nahe an der Gleichgültigkeit dran. Zum ersten mal seit einigen Wochen dachte er daran, dass seine Scheidung nun schon mehr als zehn Monate zurücklag, und das Ende seiner Ehe schon über ein Jahr her war. Es war eine sehr schwere Zeit gewesen... Erneut erkannte er erleichtert, dass das Gröbste Überstanden war. In den letzten Wochen ging es ihm nicht nur besser, es ging ihm viel besser. Er versuchte den Grund dafür zu finden und plötzlich kamen ihm ihre Augen in den Sinn, ehrlich und intelligent. Beinahe schwarz waren sie. Die Pupille konnte man nie erkennen, es sei denn die Sonne schien mitten hinein. Und ihr rotes Haar...

Die blonde Frau und der Mann hatten sich ein wenig abseits der restlichen Gesellschaft auf einer Mauer niedergelassen. Keiner von ihnen brach das Schweigen. Der Gedanke, dass beide noch ein ganzes Leben Zeit hatten zu reden und jemand, der ihnen so viel bedeutet hat, nie wieder dazu fähig war Worte aus ihrem Mund fallen zu lassen, dieser Gedanke kam beiden sehr grausam vor. Nach einiger Zeit begann der Mann zu reden: "Wie dämlich ich war. Kannst du dir vorstellen, dass ich es ihr nie gesagt habe?... Ich.. kann dir gar nicht sagen, wie sehr mich das quält." Die blonde Frau wartete, ob er weiter reden wollte. "Ich habe sie so sehr geliebt,..." Sie drückte seine Hand. "Das wusste sie! Sie wusste, dass du sie liebst und sie liebte dich ebenso! Jedesmal, wenn sie oder ich auch nur deinen Namen erwähnten.. sie konnte nicht an dich denken ohne ein Lachen auf den Lippen. Ihre Augen haben geglänzt, als würde ein ganzes Feuerwerk in ihnen stattfinden... Du hast sie so glücklich gemacht!" "Ich weiß nicht, ob ich mir das je verzeihen kann." Er schluchzte tief und die blonde Frau legte ihren Arm um ihn. Sie sah ihn an und alles was neben ihr saß, war ein gebrochener Mann. Tränen waren auf sein Jackett und ihr Kleid getropft, sie konnte seine Tränen nicht von ihren eigenen unterscheiden. "So viel Zeit.., die uns einfach genommen wurde.. Ich dachte, wir hätten noch unser ganzes Leben gehabt uns zu sagen, dass wir uns lieben.. ich wollte doch nie etwas überstürzen.." "Ich weiß.. und sie wusste das auch, glaub mir. Sie sprach mit so viel Wärme von dir. Du warst der liebenswürdigste Mann, den sie je kennengelernt hat. Sie hat dich so bewundert.." Nun konnte auch die blonde Frau nicht mehr an sich halten und schluchzte ungemein. "Ich vermisse sie unglaublich.. Ich vermisse es, mit ihr bis spät in die Nacht auf meinem Bett zu sitzen und über Gott und die Welt zu reden. Ihre Witze, über die sie selbst stets am meisten gelacht hat. Weißt du, dass wir immer zusammen beim Friseur waren? Alle waren immer so begeistert von ihren Haaren.. Ihre roten Haare vermisse ich so sehr, wie alles andere an ihr.." Die blonde Frau vergrub ihren Kopf an seiner Schulter.

Das Mädchen im Zug musste eingedöst gewesen sein. Als sie erwachte, hatte sich das Wetter noch weiter verschlechtert, die Welt draußen war von einer feinen Nebelschicht überzogen. Und auch hier drin, dachte sie, hatte sie das Gefühl, dass sie nicht scharf sehen konnte. Die Landschaft draußen war ihr mittlerweile vertraut, in wenigen Minuten muss der Zug ankommen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, während sie daran dachte, dass sie endlich wieder bei ihm sein konnte. Sie sehnte sich so sehr nach seiner Umarmung und freute sich darauf seine Stimme zu hören und über seine Witze zu lachen. In freudiger Erwartung zog sie ihre Jacke an und nahm ihren Rucksack. Ihre Beine zitterten vor Aufregung. Endlich kam die Durchsage. Sie stand auf und ging zur Tür. Der Zug hielt. Sie drückte den Knopf und trat nach draußen. Auf dem Bahnsteig sah sie sich um. Er war nicht hier.. Warum war er nicht hier? Große Enttäuschung breitete sich in ihr aus. Er hatte gesagt, er würde sie abholen, er war nie unzuverlässig.. Sie wartete noch einen Augenblick. Menschen drängelten sich an ihr vorbei. Aber etwas stimmte nicht... Waren sie.. waren sie etwa durchsichtig? Sie erklärte sich für verrückt. Ja, das waren mit Sicherheit die Hormone.. Oder so.. Sie stieg die Treppe hinab und ging in die winzige Bahnhofshalle. Durch die großen Fenster schien auf einmal die Sonne, mitten in ihr Gesicht, sie blendete sie. Doch trotzdem konnte sie ihn erkennen. Er stand mit einem Becher Kaffee in der Hand vor der Anzeigetafel. Die Augen weit aufgerissen vor Entsetzen, der Mund stand offen. Langsam, ganz langsam, wie in Zeitlupe ließ er den Kaffee fallen. Der Becher berührte den Boden und sie vernahm ein dumpfes Platschen. Sie sah sich um. Alles um sie herum bewegte sich in Zeitlupe. Es war ein riesen Durcheinander. Polizisten. Menschen, mit entsetzten Gesichtern, die sich Taschentücher vor die Augen hielten. Menschen, in Decken gehüllt, die auf dem Boden saßen. Es dämmerte ihr. Es war etwas passiert, etwas schreckliches. Sie rannte auf ihn zu. Das Tempo verschnellerte sich allmählich. Sie rief seinen Namen. Er schien etwas zu hören. Sie rief ihn erneut. Er schaute sich um, sah sie an, sah durch sie hindurch. Sie wollte endlich ihre Arme um ihn schlingen. Da war er auch schon weg. Sie rannte durch ihn hindurch. "Nein..." war alles was sie rausbekam. Heiße Tränen liefen ihr über die Wange. "Nein.. nein.. NEIN!" Sie drehte sich um. Und sah auf die Anzeigetafel. Wörter, die ihr sofort ins Auge stachen: "schweres Zugunglück" "Unzählige Tote" ... Weiter konnte sie nicht lesen. Er sah sie an. Sah er sie an? Sah er sie? Sie sah den Schmerz in seinen Augen. Sie wollte ihn berühren und hob ihre Hand. Aber da war fast keine Hand mehr. Sie sah an sich herunter und alles was sie sehen konnte waren nur noch ein Hauch von einem Körper. Wieder schien ihr die Sonne mitten ins Gesicht und diesmal war sie allumfassend. Die Sonne nahm sie mit.

Er war ihre erste Liebe gewesen und sie war seine letzte.

 

Hallo Leute,
ich bin neu hier und dies ist mein erster Versuch eine Kurzgeschichte zu schreiben :)
Ich freue mich auf eure Kritik, Anregungen, Verbesserungsvorschläge,...

 

Tagchen Minion und mein allerherzlichstes willkommen hier :thumbsup:.

Blöderweise muss ich gleich zu Beginn sagen, dass mir dein Einstand ganz und gar nicht gefallen hat und ich ab der Hälfte nicht weiter gelesen habe.
Dafür gibt es drei Gründe.

1, Deine Geschichte liest sich wie ein Zeitungsbericht. Kaum Dialoge, sondern lediglich Erklärungen dafür, was eben so los ist, obwohl du viele Stellen hast, an denen du Dialoge reinpacken könntest, wie z.B. bei dem Mädchen und ihrem Freund, die zur Fahrschule gehen. Da könntest du, anstatt einfach nur zu schreiben, dass sie nervös war, einen Dialog draus bauen, der das verdeutlicht. Oder bei dem Noch-Ehepaar, das sich streitet. Da hättest du den Streit auch im Dialog schreiben können und ich bin mir sicher, dass es da noch die eine oder andere Stelle mehr gibt. Das würde die Geschichte voran treiben und man würde die Charaktere kennenlernen.

2, Wiederholungen von Hilfsverben

als wäre es in einer anderen Zeit, fuhr ein Mann zum Bahnhof. Er war in fantastischer Stimmung und dieses angenehme Kribbeln erfüllte seine Bauchgegend. Es war dieses Kribbeln, das man verspürt wenn man zum ersten mal kurz davor ist jemanden zu küssen, wovon man schon nächtelang vorher geträumt hat. Dieses Kribbeln, wenn der Mensch, der einem am nächsten steht, den Gedanken ausgesprochen hat, den man in der gleichen Sekunde gedacht hat und man sich wissend anlächelt. Es war die pure Freude. Er freute sich ungemein, denn in weniger als zwanzig Minuten würde er endlich wieder sein Mädchen in die Arme ziehen können, seinen Kopf in ihrem roten Haar vergraben und ihre warme Wange an seinem Hals spüren können. Im Radio liefen gerade die Nachrichten. Er schaltete es ab. Für schlechte Neuigkeiten war er nicht in der Stimmung. Die Ampel schaltete auf grün und schneller als sein Nebenmann überhaupt reagieren konnte, hatte er die Ampel längst hinter sich gelassen.

Das liest sich nicht sonderlich schön. Bei den zwei "können" in dem einen Satz bin ich mir nicht so sicher. Wenn du es so wolltest, fände ich es voll okay. Da passt die Wiederholung irgendwie, aber da da so viele Wiederholungen drin sind, wirkt es nur wie eine weitere.

3, So viele verschiedene Charaktere und kaum welche bekamen zu Beginn ein Gesicht. Da gibts ein Mädchen, einen Freund, einen Fahrlehrer, ein Ehepaar. Evtl. ändert sich das ja in der zweiten Hälfte der Geschichte ja, aber da es die ganze erste Hälfte nicht der Fall war, fand ich die alle unglaublich langweilig und da sie mich nicht interessierten, interessierte mich auch nicht, wie es mit ihnen weitergeht.

Und nun ja, glaube, das war's. Lass dich von mir ja nicht entmutigen, nimm dir Kritik evtl. zu Herzen und mach schön weiter, dann klappt's schon irgendwie :thumbsup:.

liebste Grüße
zash

 

Hallo Minion,

auch ich muss leider sagen, dass mir deine Geschichte nicht so gut gefallen hat.
Es gibt zu viele Geschichten in deiner Geschichte und keine ist richtig fertig.
Nimm doch die einzelnen Geschichten auseinander und mach jeweils eine eigene davon. Dann kannst du Dialoge einbauen, den Personen Charakter und der Geschichte einen roten Faden geben, die am Ende für den Leser dann eine Moral haben sollte.
Viel Spaß dabei!
Herzliche Grüße
Emma

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Minion,

Auch wenn sie es natürlich nicht zu Beginn bemerkt hatte.

besser:
Auch wenn sie es natürlich zu Beginn nicht bemerkt hatte.
oder:
Auch wenn sie es zu Beginn nicht bemerkt hatte.


Für schlechte Neuigkeiten war er nicht in der Stimmung.
Für schlechte Neuigkeiten war er nicht in Stimmung.


Die Ampel schaltete auf grün und schneller als sein Nebenmann überhaupt reagieren konnte, hatte er die Ampel längst hinter sich gelassen.
Die Ampel schaltete auf Grün, und schneller als sein Nebenmann reagieren konnte, hatte er die Kreuzung hinter sich gelassen.

Er begleitete sie kurz hinein und sie setze sich neben einen Jungen, der über seinem Bogen saß.
Das „kurz“ würde ich weglassen, und es ist wichtig, sich den Grund dafür vor Augen zu führen. Mit dem „kurz“ verlässt du die Szene. Dadurch wird der Satz zu einem Bericht. Verstehst du? Wenn der Autor weiß, dass der Kerl nur kurz drinnen ist, dann ist das eine Nacherzählung der Szene. Wenn er in der Szene bleibt, sieht er bloß, dass er reingeht. Diese unmittelbare Qualität ist höher zu bewerten als das Wissen, dass er kurz drinnen ist.


Warum sie nervös war, wusste sie nicht einmal.

Tu öfter mit der Anordnung der Satzglieder herumspielen, bevor du dich für eine Variante entscheidest.


Er war kaum 30m² groß und dennoch vollgestopft mit allem möglichen Kram.

Um einen Raum erlebbar zu machen, sind die Infos, die man von einem Makler erwartet, oft nicht die erste Wahl.


Es gibt einen Linklater-Film namens Slacker, in dem die Kamera immer wieder den Dialog verlässt, wenn ein neuer Mensch die Szene betritt, und mit dem sie dann mitläuft wie ein schlecht erzogener Hund. Vielleicht hast du so was ähnliches versucht. (Das dachte ich mir jedenfalls im ersten Teil der Geschichte). Dadurch kann sich natürlich nie eine „richtige“ Geschichte (im üblichen Sinn) entwickeln. Bei Linklater funktioniert das eine Spur besser, weil die Leute alle auf eine extrem faszinierende Art monologisieren, und die neu eingeführten Protagonisten einfach den Wahnsinn der letzten Szene irgendwie fortführen. Bei dir sind die Elemente oft womöglich zu alltäglich.

Der letzte lange Absatz holt dann den Text doch wieder in ein Kurzgeschichtenformat zurück, es geht um einen Bahnunfall, eigentlich klassischer Kurzgeschichtenstoff. Die rätselhaften Passagen davor können jetzt anders interpretiert werden. Auf jeden Fall – das ist mein abschließendes Resümee – ist es ein experimenteller Text, auf den man sich anders einlassen muss als auf eine Kurzgeschichte.

liebe Grüße

baronsamedi

PS: Und mach noch ein paar Beistriche! Auch solche harmlosen Fehler stören den Lesefluss.

 

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