Winterfreundschaft
1. Der kleine Igel
Überall auf den Wiesen und Feldern ringsherum liegt der Schnee schon ganz hoch. Die Luft im Wald ist eiskalt geworden. Der Winter ist urplötzlich mit aller Macht ins Land gekommen.
Ein kleiner Igel sitzt zitternd und mit knurrendem Magen im Unterholz.
Es ist sein erster Winter, und der kam so überraschend für ihn, dass er sich noch gar keinen Winterspeck angefressen hat.
Und nun hat er solchen Hunger, dass an Winterschlaf fürs erste nicht zu denken ist.
Nach einigem Hin und Her Überlegen beschließt der kleine Igel, sich in die Eiseskälte hinaus zu wagen und nach Futter zu suchen.
Es dauert nicht lange, da muss er zu seinem Entsetzen feststellen, dass all die kleinen Tierchen, die ihm normalerweise als Nahrung dienen, unter dem Schnee verschwunden sind.
Jetzt beginnt es auch noch zu schneien. Der kleine Igel friert erbärmlich und wünscht sich nichts mehr, als in seinen Unterschlupf unterm Gehölz zurück zu kommen. Aber da bemerkt er, dass er nicht mehr weiß, wo er ist. Durch die weiße Schneedecke sieht alles gleich aus und er kann sich nicht mehr erinnern, aus welcher Richtung er kam. Die Spuren, die seine kleinen Füßchen im Schnee hinterlassen haben, verschwinden schnell unter den herabfallenden Flocken.
Voller Angst beginnt der kleine Igel zu weinen und rollt sich verzweifelt zu einer stacheligen Kugel zusammen. Da erfasst ihn plötzlich ein starker Windstoß und er kullert einen kleinen Hügel hinab. Er rollt und rollt und ihm wird ganz schwindelig, da prallt er plötzlich an etwas hartes. Verwundert blinzelt er zu dem großen, weißen Ding hinauf. Was ist denn das?
Vor ihm steht ein Gebilde aus drei Schneekugeln, in dem mehrere Steine und Zweige stecken, und da, ganz oben … das kleine Igelherzchen macht einen Sprung! Da, in der obersten Kugel, steckt eine große, saftige, leuchtend orange Karotte! Dem Igel läuft das Wasser im Mäulchen zusammen. Aber so schnell wie seine Begeisterung kam, verfliegt sie auch schon wieder. „Wie soll ich denn da drankommen?“, fragt sich der kleine Igel traurig und fängt wieder an zu weinen. „Das ist ja viel zu hoch oben...“
Da hört er plötzlich eine sanfte Stimme hinter sich fragen: „Wieso weinst du denn?“
2. Der Hase
Ein Hase sitzt in seiner Höhle und starrt trübsinnig aus dem Fenster. Draußen schneit es dicke Flocken. „Der Winter beginnt aber sehr früh in diesem Jahr“, murmelt er vor sich hin. Zum Glück hat ihn seine Mutter schon als kleines Hasenkind gelehrt, dass man nie früh genug anfangen kann, sich Vorräte anzusammeln. „Man kann ja nie wissen!“ hatte sie stets gesagt.
Deshalb hat der Hase auch trotz des überraschenden Wintereinbruches eine voll gefüllte Vorratskammer. Aber dennoch ist er traurig. Er ist nämlich ganz allein. Seine Geschwister haben alle schon im Frühjahr den Bau verlassen, um selbst Familien zu gründen und im späten Sommer ist seine Mutter gestorben. Nun ist nur er in der alten Höhle zurückgeblieben.
Und gerade jetzt, in der kalten Einsamkeit des hereinbrechenden Winters, sehnt er sich doch so sehr nach Gesellschaft. Nach einem Freund, mit dem er lachen, spielen und Geschichten erzählen könnte. Aber er weiß ja, dass alle anderen Tiere entweder im Winterschlaf liegen oder in ihren kuscheligen Höhlen beieinander sitzen und sich so vor der Kälte schützen.
Und trotzdem steht er schließlich auf, atmet er einmal tief durch und tritt hinaus in den Schnee.
„Man kann ja nie wissen!“, sagt er zu sich selbst und marschiert los.
Er spaziert langsam über die verschneiten Wiesen, zu den Hügeln hinüber. Hier fahren die Kinder aus dem Dorf am Waldrand immer mit ihren Schlitten. Aber sogar die sind bei dem starken Schnee lieber in ihre warmen Häuser geflüchtet.
Von der Weite sieht er bereits, dass sie heute schon einen großen Schneemann gebaut haben, der am Fuße des Hügels steht. Und er sieht noch etwas, ein brauner Punkt neben dem Schneemann.
Als er näher kommt, bemerkt er, dass der braune Punkt eine stachlige Kugel ist. „Das ist ja ein Igel“, denkt er sich, „aber wieso ist der denn nicht in seiner Blätterhöhle und hält Winterschlaf?“.
Da sieht er, dass der kleine Igel von Weinkrämpfen geschüttelt wird und fragt ihn mit sanfter Stimme, um ihn nicht zu erschrecken: „Wieso weinst du denn?“
3. Der Beginn einer Freundschaft
Als der kleine Igel sich überrascht umdreht, entdeckt er den Hasen, der ihn freundlich mit fragendem Blick ansieht. „Was ist denn mit dir?“, fragt er erneut.
„Ach,“,schluchzt der Igel und schnieft laut, „ich hab solchen Hunger und finde nichts zu fressen, außer der Möhre da oben. Und an die komme ich nicht ran.“
„Aber das ist doch gar kein Problem,“, meint da der Hase, macht einen großen Sprung, und schon hat er die Karotte in der Hand. Lächelnd hält er sie dem staunenden Igel hin.
Mit großen Augen nimmt der sie entgegen und flüstert: „Danke!“. Sofort fängt er an zu fressen und erzählt währenddessen dem Hasen schmatzend seine Geschichte.
Der kleine Igel tut dem Langohr schrecklich leid und so lädt er ihn ein, den restlichen Winter bei ihm in seiner warmen, gemütlichen Höhle zu verbringen. Vorräte hat er schließlich genug! Die reichen sicher auch für Zwei.
Das Igelchen ist sehr dankbar und nimmt den Vorschlag sofort freudig an. Und so machen sie sich gemeinsam auf den Weg zurück zum Hasenbau.
Sie verbringen eine lustige und aufregende Zeit miteinander, in der sie zusammen lachen, im Schnee spielen, sich Geschichten erzählen und zusammen aus der Vorratskammer naschen. Der Igel fühlt sich so wohl bei dem Hasen, dass er seinen Winterschlaf glatt vergisst.
Als der Frühling beginnt, sind die Beiden bereits die besten Freunde geworden.