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In einer Pariser Bar

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29.10.2014
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In einer Pariser Bar

Entschuldigen Sie bitte, Madame? Ja genau, Sie! Hätten Sie wohl die Güte mir einen kurzen Augenblick zu widmen, also Ihre Erlaubnis, dass ich ein Wenig ihrer so kostbaren Zeit verschwenden dürfte? Ich bedanke mich vielmals, Mademoiselle. Es mag in der Tat etwas verstörend für eine Frau von ihrem Stand sein, an solch einem regnerischen Tag in dieser sonst so hinreißenden Stadt, von einem jungen Kerl in so lächerlich billigen, alten Klamotten wie mir angesprochen zu werden, mit dem Wunsch ihre so knappe Zeit zu stehlen, um mit Ihnen zu sprechen, aber ich bedanke mich zu tiefst, dass Sie mir quasi diese Audienz gewähren, um ausgerechnet mir zu zu hören. Danke vielmals!
Erkennen Sie die Musik, die der alte Wirt hinter dem Tresen auf seinem Grammophon aufgelegt hat? Was für eine Frage, natürlich erkennen Sie die zärtlichen Klänge, die mit einem leisen Kratzen aus dem Lautsprecher durch diesen Raum wandern. Der Ungarische Tanz von Brahms, natürlich. Ein absolutes Meisterwerk, falls Sie mich denn nach meiner Meinung zu dem Stück befragen würden. Beachtlich, dass solch ein stolzer Franzose, wie der Wirt einer vorgibt zu sein, an diesen Tagen noch freiwillig Brahms erklingen lässt, jetzt wo doch die Deutschen die Stadt besetzt haben. Sehen Sie aus dem Fenster, da patrouillieren schon wieder zwei von denen durch diese Gasse. Wenn man vom Teufel spricht, dann erscheint er stets höchstselbst neben einem, nicht wahr? Sie meinen, der Wirt spielt Brahms vielleicht aus Zwang, gerade weil die Deutschen in der Stadt sind? Gut, das wäre in der Tat durchaus möglich, aber wollen Sie wissen, was ich glaube? Er spielt es aus Sympathie! Er denkt, die Deutschen würden auch mit seinen Feinden in der Stadt aufräumen, wenn er ihnen die Stiefel leckt. Und natürlich, damit sie über seine illegalen Geschäfte auf dem Schwarzmarkt hinwegsehen. Seinen besten Wein hat er öffnen lassen, als einer der hohen Offiziere eines Abends hier über den Durst hinaus trinken wollte, im Schlepptau einige der schönsten Damen Paris'. Woher ich das weiß? Nun ja, sagen wir, dass ich nicht gerade schlecht informiert bin und das mir von Gott, oder wem auch immer, eine brillante Beobachtungsgabe gegeben wurde. Genau jene Gabe, welche mich auch zum Schluss führt, dass in Frankreich es entweder gar keinen Gott geben kann oder er vehement die Augen vor den Taten der Besatzern verschließt. Aber auch der Wirt wird das noch früh genug begreifen, zumindest falls Britannien fällt und die Deutschen mehr Truppen für 'Säuberungen' besitzen. Im Moment sind die Aktionen gegen uns Franzosen ja noch durchaus harmlos, wenn man das so sagen kann und das werden sie auch noch eine Weile bleiben, solange die meisten Soldaten an der Front und nur zum Urlaub in Paris sind.
Ob ich Ihre Zeit stehle, um über die Besatzung zu plaudern, oder ob ich noch zum Punkt meiner Unterhaltung kommen werde? Ja und Nein, das ist wahrlich nicht einfach zu beantworten, Madame. Oh schauen Sie, schon wieder zwei Soldaten, die durch die Gasse marschieren, als würden sie nach etwas suchen. Warum ich so zittere? Ich verstehe, Sie kennen mich nicht Madame, haben mein Bild noch nicht in der Tageszeitung gesehen und vielleicht ist das auch besser so. Nein, ich bin kein Schwerverbrecher, zumindest würde ich mich nicht so bezeichnen, und keine Sorge, Sie müssen sich nicht vor mir fürchten, denn ich bin kein Scharlatan, der Ihnen etwas antun möchte.
Ich bin ein Patriot, genau wie Sie einer sind, zumindest, wenn Sie ihrem Vater im Geiste so ähnlich sind, wie im Gesicht. Sie kennen ihren Vater nicht, Madame? Da bin ich mir sicher, denn er kannte auch Sie kaum, denn er verlor Sie nach der Trennung aus den Augen und ihre Mutter hat Ihnen bestimmt erzählt, er sei gestorben. Einem Unfall soll er zum Opfer gefallen sein? Ja, zumindest, wenn Sie die Gestapo als Unfall bezeichnen möchten, können Sie das gerne so ausdrücken. Aber ich bin ebenfalls nicht hier, um Sie zum Grab eines Mannes zu führen, der Sie nicht kannte und den Sie nicht kannten, damit sie so etwas wie 'Abschied' nehmen können oder Frieden zu schließen. Keineswegs! Ich bin hier, um Sie zu bitten, das zu retten, wofür ihr Vater gestorben ist und wofür auch ich bald mein Leben hergeben werde, sobald die Deutschen mich gefunden haben.
Ich werde Ihnen unter den Tisch einige Dokumente geben, zusammen mit einer krakeligen Notiz auf der eine Adresse steht. Ich möchte Sie bitten, diese Dokumente dort für mich abzugeben, denn ich bin bereits ein Totgesagter und würde meine Kameraden bloß in Gefahr bringen, falls ich dort auftauchte. Erfüllen Sie einem Verzweifelten, der Sie lieber zu einem anderen Anlass getroffen hätte, einen letzten Wunsch, Madame. Nein, tun Sie es nicht für mich oder ihres verstorbenen Vater Willens, tun Sie es für das Überleben der Republik. Ich sehe, Sie verstehen und packen die Dokumente in ihre Handtasche. Verlassen Sie das Gebäude am Besten durch den Hinterausgang, gleich neben den Toiletten und verschwinden Sie durch die kleine Gasse gleich links. Viel Glück und nun schnell!
Da geht sie hin, in ihren Händen das Schicksal unseres Kampfes und in meinen Händen das, was bleibt, wenn eine so wunderschöne Mademoiselle zum Abschied die Hand gibt. Ach, wie gerne hätte ich den Krieg überlebt und sie besser kennen lernen wollen, nein, wie gerne wünschte ich, diesen Krieg gäbe es nicht und ich hätte sie zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort kennengelernt. Doch im Zeichen dieser Stunde muss ich sie hoffnungslos wegschicken und auf mein Ende warten. Was für ein garstiges Ereignis ist bloß dieser Krieg? Doch man muss ihn kämpfen oder man hat ihn bereits verloren. Wirt? Einen Cognac, am besten gleich doppelt und zwei davon! Ja, natürlich kann ich ihn bezahlen, wenn es sein muss auch im Voraus. Nein, er glaubt mir und ich muss ihn erst vor dem Verlassen bezahlen. Narr! Wenn er wüsste, dass ich diesen Ort bloß in einem dreckigen Sack verlassen würde.
Da draußen marschieren zwei weitere Soldaten vorbei, doch dieses Mal haben sie mich erkannt und betreten das Lokal. Es hat keinen Zweck mehr zu leugnen, wer ich bin, dieses Mal habt ihr gewonnen! Ihr legt an, gewährt mir keinen fairen Prozess? Das sieht euch ähnlich! Erlaubt ihr mir wenigstens im Stehen zu sterben? Nun gut, dann stehe ich und verspreche euch, nicht stumm zu sterben. Vive la resistance! Vive la republique!

 

Anmerkungen des Verfassers:

Ich bin mir ziemlich sicher, dass das die erste Kurzgeschichte ist, die ich in meinem Leben verfasst habe. Was ich mir dabei gedacht habe, sollen die zukünftigen Schulklassen im Unterricht bestimmen und interpretieren ^^

Inspiriert wurde ich (wie man unschwer erkennen kann) von einem Roman von Albert Camus, 10 Punkte für den/diejenige der/die weiß, welcher.

Also nun bitte ich um schonungslos ehrliches Lob und/oder Kritik! Dankeschön! :)

 

Hallo Asmodi
und willkommen bei den Wortkriegern,

die Geschichte schreckt mich durch die gewählte Formatierung ab. Warum ist das alles Kursiv? Damit sinnentleerst du doch die Hervorhebung. So schaffst du es lediglich, dass es anstrengend wird, deinen Text zu lesen. Also, schleunigst ändern, dann trudeln sicher auch Kommentare zum Inhalt der Geschichte in.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Asmodi noch mal,

na so ist das doch gleich viel leserlicher. :)

Du willst ehrliche Kritik, hier kommt sie :aua:

Warum suchst du dir für deine allererste Kurzgeschichte eine so verdammt schwere Form aus? Da tun sich selbst routinierte Schreiber schwer mit, das durchzuhalten. Das so hinzubekommen, ohne das es erzwungen aussieht, lebendig ist und bleibt.
Warum willst du in diesem Monolog verharren? Das passt einfach nicht zu deinem gewählten Setting. So wirkt das arg gekünstelt, wie auf einer Theaterbühne und unfreiwillig komisch stellenweise.
Nein, deine Geschichte funktioniert so nicht, dafür willst du viel zu viel zeigen - und hast nur das Mittel es in dem briefartigen Monolog mit aufzunehmen, zu benennen. Was den text rigide macht und ihm jede Dramatik und Glaubwürdigkeit nimmt.

Ich werde Ihnen unter den Tisch einige Dokumente geben, zusammen mit einer krakeligen Notiz auf der eine Adresse steht.
das ist so eine unfreiwillig komische "Szene"
Wer spricht da? Die Regieassistenz? Ganz sicher nicht der plappernde Held.
Und da sind wir auch schon bei einem nächsten Problem. Deine Figur schwafelt einfach zu sehr.
Gleich zu Beginn
ätten Sie wohl die Güte mir einen kurzen Augenblick zu widmen, also Ihre Erlaubnis, dass ich ein Wenig ihrer so kostbaren Zeit verschwenden dürfte?
das ist doppelt und dreifach und sagt doch wenig - und ist obendrein widersinnig, da er ja keineswegs Zeit verschwendet. Weder die seine - noch ihre.
Nee, in meinen Augen ist das ein Schuss in den Ofen. Aufgrund der gewählten Form.
Wähle eine klassische Form, zeige uns die Szene, zeige die Figuren, mach knackige Dialoge draus, der Konflikt ist doch da. Zwischen den beiden, dann noch die Spannung durch die suchenden Soldaten. Das sind doch Zutaten für eine spannende Geschichte. Jetz musst du sie nur noch in Szene setzen, anstatt sie einem selbstverliebten "Ansager" in den Mund zu legen.

grüßlichst
weltenläufer

 

Wie ich bereits erwähnte ist der Stil von Albert Camus' Der Fall beeinflusst, jener schrieb ein ganzes Buch als Monolog. Es war auch absolut nicht mein Anspruch "knackige Dialoge" in "Szene" zu setzen, sondern eben eine Geschichte als Monolog zu erzählen. Natürlich respektiere ich deine Meinung dazu, immerhin habe ich dazu aufgefordert (jedwede) Kritik zu äußern, auch wenn ich noch auf jemanden hoffe, der nicht darüber hinweg sieht, das Kunst mehr ist als "klassische", konventionelle Formen. Der Text war, auch wenn es mein erster Versuch an einem Text war, doch genau so geplant, da mir der Stil besonders zusagt. Es ist die Geschichte eines "Schwaflers" und einer überrumpelten Frau, die seinen Worten lauscht. :)

 
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Hallo Asmodi,
da hast du dir ja was wirklich Schweres ausgesucht. Mir gefällt dein Mut, die üblichen Bahnen zu verlassen, gebe dir aber trotzdem zwei Sachen zu bedenken.
Vorweg aber, ich hab deinen Monolog schon voller Interesse gelesen. Das hätte ich einfach nicht erwartet, dass da eine kleine Resistance-Geschichte rauskommt. Von daher hast du auf jeden Fall mal mein Interesse.
Die erste Bedenklichkeit ist ganz allgemeingültig, Wir sind heutzutage das "Sehen", doch sehr gewohnt, so dass es sich sogar beim Schreiben leichter anfühlt, eine Situation bildlich, szenisch zu begleiten, wenn man sich mal drauf einlässt. Und wenn man Anfang steht, ist es vielleicht besser, nicht gleich einen Marathon zu machen, wenn man mit dem Joggen anfangen will.
Der zweite Grund ist viel wichtiger. Er liegt an den Konstellationen in deiner Geschichte. Der Mann ist ein gesuchter Widerstandkämpfer, würde der tatsächlich nonstop in einer Kneipe (einer Bar) vor den Ohren eines opportunistischen Wirtes seine Rede abhalten? Du sagst wahrscheinlich, dass er doch flüstert, aber angesichts der Handlung, der Motive wirkt es doch ein bisschen so, als würdest du die Situation brechen, um deine Monolog-Idee unbedingt durchführen zu können.
Ich glaube, ich würde da doch ein bisschen anfangen zu spielen. Wenn er ihr Vertrauen durch sein Geschwalle gewonnen hat, dann sollte seine Sprechart sich ändern, er sollte kürzer, knapper werden, vielleicht kann man ihm anmerken, dass er leiser redet. Ich weiß nicht, ob das klappt, ich hab nur mal nachgedacht über deine ursprüngliche Intention - und ob man die retten kann. So wie es momentan aussieht, ist sie für mich halt nicht glaubwürdig.

So, das wars erst mal. Ich melde mich viellleicht später noch mal, denn ich finde, dass man deinen Text auch ein wenig kürzen könnte. Ich weiß, er soll ja schwallen, aber manchmal ist das trotzdem ein bisschen zu viel und zu wiederholend.
Bis demnächst
Novak

 

Hallo,

der Text wirkt unfreiwillig komisch, weil die Dialogform einfach nicht echt und authentisch klingt. Wie Camus klingen wollen, heißt nicht, wie Camus zu klingen. Novak hat zu dem Sujet schon vieles gesagt, dem ich mich anschließen würde. Dialog, die Art, wie gesprochen wird, passt auch einfach nicht zu einem Kämpfer der Resistance. Es gibt, für Dialoge, einen guten Tip - wenn es geschrieben klingt, neu schreiben. Noch ein Tip: Den Text laut vorlesen. Man spürt sofort, wo es unrund ist. Dein Text ist ein Text, den es als echten Dialog nie geben würde, weil kein Widerstandskämpfer in heimeliger Atmosphäre so viel redet. Hier wäre Kargheit gefragt, und du stellst schon auch den Formalismus über den Inhalt.

Kunst ist sicher mehr als das Verwenden "klassischer" Formen, aber leider sollte man dieses Handwerk erst einmal sicher beherrschen, bevor man sich an seine Dekonstruktion wagt.

Gruss, Jimmy

 

Ich glaube nicht, dass es die Absicht eines solchen Textes ist, authentisch zu klingen. Eine Entfremdung von realistischen Gegebenheiten ist doch Teil dieses Stils, ebenso das etwas zu barocke Sprachbild. Style over substance quasi. Es ist nicht mein Stil, aber ich kann schon sehen, dass hier eine Literaturform der Jahrhundertwende adaptiert wurde. Es ist schon richtig, dass der Monolog hier mehr einem Bühnenschauspiel gleicht und niemand so geschwollen reden würde. Aber nochmal: Das ist Teil dieses Stils und mag nur subjektiv kritisiert werden. Insofern bin ich ein wenig geschockt ob einiger harschen Antworten.

 

Insofern bin ich ein wenig geschockt ob einiger harschen Antworten.

Hallo Exilfranke,

jedem Kommentator ist es freigestellt, seine Meinung kundzutun, solange sie sich in freundlichem Ton auf den Inhalt bezieht. Es sollte nicht in deiner Hand liegen, andere Kommentatoren in die Schranken zu weisen. Harsch ist anders - nicht umsonst steht bei uns gleich zur Begrüßung:

Lass dich auf unsere manchmal etwas ruppig wirkende Art ein; du wirst feststellen, dass du hier als Autor viel dazulernen, als ernsthafter Kritiker viel weitergeben und als Leser hohe Textqualität erwarten kannst.

Ich werde hier auch keine off topic- Diskussion zulassen, es war nur ein rein informativer Beitrag von mir.

 

Hallo Asmodi

Wenn du einen Monolog willst, dann muss es eben ein Monolog sein. Aber mach ihn bitte so gut, wie du kannst.

Die Frau wirkt auf mich irritierend. Sie sitzt nur da, guckt, hört zu, packt ein und geht. Sicher könntest du im Spiegel seiner Rede ein wenig mehr von ihr zeigen. Sie wirkt sonst so passiv, im Grunde wie unbeteiligt und geistesabwesend, geradeso als ginge es für sie um nichts Wichtiges. Dass sie kurz zögert oder auch wiederstrebend einwilligt, wäre meiner Ansicht nach menschlich oder natürlich. Immerhin droht auch ihr, was ihm dräut. Dadurch würde die Geschichte noch um ein Quäntchen spannender.

Dass der Monolog des Helden stellenweise künstlich wirkt, mag sein. Dass der Franzose insbesondere einer Frau gegenüber redet, wie es dem Deutschen natürlich scheint, wäre jedoch unpassend. Eine gewisse Künstlichkeit oder Kunstfertigkeit, meine die des Scharmierens, mag demnach vor allem im ersten Teil der Geschichte angebracht sein.

Ob Camus dem Stil der Geschichte Pate stand, ist übrigens belanglos. Wirken muss das Ganze aus sich selber heraus.

Bis auf Weiteres und Gruß
teoma

 
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Hallo Asmodi,

das, was bleibt, wenn eine so wunderschöne Mademoiselle zum Abschied die Hand gibt.

find ich gut.

Das ist ein gelungener Einstand. Sprachlich nicht unangenehm zum Lesen.
Ich hab mich kurz gefragt, ob er der Vater des Mädchens ist, aber das passt dann nicht ganz zum Schluß. Ich mag auch die Idee, dass der Wirt, der auf dem Schwarzmarkt handelt, Brahms aus Sympathie spielt, extra für die Besatzung ... wie sich welche gleich anbiedern wollen .. wie die Idee stückweise eingeführt wird, find ich gut.
Den Ton finde ich insgesamt für einen, der trotzig dem Tod ins Gesicht schaut, altmodisch und passend. So als schwafelnder war er mir nicht unsympathisch. Der Text hat auch einen Spannungsbogen, das find ich auch gut. Zum Schluß weiß ich halt nicht … also wenn der Text wirklich aus 41 wäre, oder irgendwie Nachkriegslit, wäre das ja interessant, aber so habe ich das Gefühl ... ich meine, wer damals gelebt hat und über den Krieg schreibt (und das haben seeeehr viele) das hat doch einen ganz anderen Geschmack als wenn du das jetzt machst, oder? Heute muss man so was wie WW2 doch fast zwangsläufig total verdrehen und vermischen und irgendwie pervertieren, inglorious Basterds usw., weil so was Straightes ... das gibt es doch alles tausendfach. Und das hier ist auch straight, da ist ja nix Neues drin, mit der man auf der kurzen DIstanz wirklich punkten kann, gut, du sagst ja auch, an Camus angelehnt. Also ich find es sind gute Ansätze drin, habs gern gelesen.

MfG,

JuJu

 

Hallo Asmodi

Willkommen hier im Forum.

Bei Erscheinen hatte ich Dein Stück gesehen, nach einigen Zeilen jedoch wieder ausgeblendet, da der Stil mich nicht ansprach. Nachdem ich die eingehenden Kommentare mitverfolgte, nahm ich mir vor es doch noch als Ganzes zu lesen.

Im gesamten Kontext konnte ich damit mehr anfangen, erkannte auch in einigen Sätzen die Denkweise von Camus, wobei ich La Chute von ihm nie las. Ob es als eigenständige Interpretation und ein Abriss zu seinem erwähnten Roman Bestand haben kann, entzieht sich folglich meiner Beurteilung.

Stellvertretend habe ich ein Resümee gelesen und nach einer Rezension in Feuilletons renommierter Zeitungen Ausschau gehalten. Martin Z. Schröder schrieb in der Süddeutschen Zeitung am 24.09.2004 über das Hörbuch "Der Fall".

Zitiert nach Süddeutsche Zeitung:
[Es] "ist weder interessant noch unterhaltend, von Spannung ganz zu schweigen." Wirre Gedanken, Sprachbombast - ein ehemaliger Anwalt hat einen Zuhörer gefunden und redet auf ihn ein, "über seine Selbstverliebtheit, seine Selbstsicherheit, seine Selbsterkenntnis", vor allem aber über seine Bußfertigkeit, denn eine Frau ist in den Tod gesprungen, und er hat ihr nicht geholfen. Doch, so Schröder, "geschwollener kann man kaum büßen" als mit diesem "eitlen, säuerlichen, humorlosen Geschwafel".
Ein hartes Urteil, erhielt Albert Camus für diesen Roman doch den Nobelpreis. Die Jury war also zu einem andern Schluss gekommen. – Darin zeigt sich jedoch auch die Schwierigkeit, eine Adaption – und ist sie noch so kurz - im Geiste des Werkschöpfers zu verfassen. Camus Werke waren ja nie unumstritten, zwei, drei fanden gute Resonanz, andere erheblich weniger. Auf dieser Basis ist es ein sehr gewagter Schritt, einen solchen Versuch anzugehen und setzt eine sehr tiefe Vertrautheit voraus.

Beim Lesen Deiner Geschichte ging es mir vorerst annähernd wie Schröder [vorstehend zitiert], da Du mit einer gekünstelten Sprache eröffnest, auch wenn ich mir die Sätze in Französisch vorstellte, versuchte die Authentizität des Sprachgebrauchs zur Besatzungszeit zu intonieren, es wirkt mir übertrieben, eher der Kaiserzeit angemessen. Vergleichsweise habe ich mal das Buch La peste von Camus zur Hand genommen, sein Französisch ist da nicht abweichend von der gängigen Sprache, was natürlich nicht zwingend ein Indiz sein kann, dass er es in La Chute nicht doch tat.
Im weiteren Verlauf glättet es sich, der Monolog gewinnt an umgangssprachlicher Form, erhebt die Handlung zu einem gerafften Ablauf, dem Wortwitz nicht abgeht. Doch in diesem, Camus als spiritus rector wahrzunehmen, sein Denken widerspiegelnd, fällt mir da nicht so leicht. In manchen Dingen erkannte ich ihn, bei andern Sätzen schlichen sich mir Zweifel ein.
Einzelne Passagen bleiben für den Leser auch nur relativ verständlich, etwa als er zu der Dame über ihren Vater spricht. Zu Recht mag der Leser die Frage einbringen, woher der Protagonist wissen will, wer ihr Vater ist. Solch hypothetische Auftritte machen eine Geschichte schwer nachvollziehbar, lassen sie als unfertig aufscheinen. Der fatalistische Ausgang stimmt mit dem Denken von Camus aber schon überein.

auch wenn ich noch auf jemanden hoffe, der nicht darüber hinweg sieht, das Kunst mehr ist als "klassische", konventionelle Formen.

Hier gilt es m. E. zu differenzieren, von wessen Werk nun die Rede sein soll, Deines oder das von Camus, auch wenn nach juristischem Verständnis jedermann das Recht hat, seine Schöpfung als Kunst zu bezeichnen.

Zu Camus Prosawerken und seinen theoretischen Schriften schrieb Heiner Wittmann (in Kunst und Moral):

Zitiert nach Heiner Wittmann:
„Als Antwort auf das Absurde in der Welt entwickelt er eine Ästhetik, die er mit der Autonomie der Kunst begründet und die er zugleich den Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts entgegensetzt.“

Diese Aspekte in seinem Werk sind bekannt und zeigen ihn aus einer etwas besänftigten Perspektive, als er allgemein bekannt wurde. Vordergründig steht immer seine Philosophie, im Grenzbereich zwischen Existenzialismus und Absurdem. Dies ohne eine negative Konnotation. – In seiner Philosophie hat er m. E. einen entscheidenden aber konsequent weiterführenden Schritt unterlassen, nämlich die Erklärung einer Gesetzesmässigkeit zu finden, was seiner Denkweise jedoch eine Retusche gegeben hätte. – Sein Tod durch den Autounfall hatte es vielleicht vorweggenommen.

Doch der Anspruch, dass das vorliegende Stück als „Kunst“ verstanden werden kann, nur weil es sich an Denkweisen aus einem umfassenden Werk eines Andern bedient, ist wohl doch etwas sehr hoch gegriffen. Zumindest interpretiere ich Dein vorstehendes Zitat entsprechend wörtlich. – Doch denke ich, Du hattest da ganz den Anspruch von Camus vor Augen.

Kunst lässt sich auch erst in einem umfassenden grösseren Werk definieren, in der sich die Fertigkeit beweisen muss und – die sich vorab meist auf konventioneller Basis aufgebaut hatte.

Desungeachtet, fand ich Deine Geschichte soweit interessant, regte sie mich doch letztlich zur Auseinandersetzung damit an. Denkbar wäre sie mir vielleicht als Hommage an Camus geworden, wenn Du seine Denkweise in einer Kurzgeschichte der heutigen Zeit und in der gültigen Sprachform ausgedrückt hättest. So erkannte ich darin zwar durchaus einen Reiz, doch nachhaltig wird sie mir nicht im Gedächtnis bleiben.

Spannender wäre mir mal etwas zu lesen, das unbeeinflusst von andern Autoren, Deiner ureigenen Intention entsprungen ist. Ich denke, Potential bringst Du grundlegend mit.

Soweit meine subjektive Sichtweise, da ein weitergehender Vergleich sich mir entzog.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo und herzlich willkommen hierorts,

lieber Asmodi.

Ich hab den Monolog mit Interesse gelesen, frag mich aber, ob die (verkappt höfisch-blumige) Sprache angemessen ist oder ein literarischer Kunstgriff, der dann aber danebengegriffen hätte. Die Sprache, die wir da hören, ist eher dem Ancien régime eines Kaiserreichs bis 1918 zuzugestehen, im Zwoten Weltkrieg wäre sie als Schwulst angesehen worden.

Camus bezeichnet den Fall als Bericht, Ort ist eine Hafenkneipe in Amsterdam und einem Rechtsanwalt (Clement = der Milde, der Gütige) wird „der“ Fall durch einen Fremden erzählt. Fremde/s spielt von Anfang an in Camus’ Werk (buchstäblich seine wohl erste Novelle) eine Rolle und in Deiner Geschichte übernimmt der Icherzähler diese Rolle gegenüber einer Fremden. Verstehstu jetzt nicht, aber wart ab, wir lösen die Behauptung über die Sprache auf:

Der/die/das Fremde hieß im ahd. elilenti und wurde im mhd. bis zur Kenntlichkeit im nhd. verkürzt zum el(l)ende [= fremd, verbannt aber auch: jammervoll, unglücklich], was wörtlich übersetzt „ohne“ Land (lenti, lende), Heimat bedeutet.

Egal, vielleicht hat man im Paris der Besatzungszeit so gesprochen. Meinen alten Herrn kann ich da nicht mehr fragen ...

Neben einigen Schnitzern (wie Zeichensetzung), die zu korrigieren wären, mag eine kleine Veränderung die Lesbarkeit für das sich schwertuende Auge (das dann niemals den Ulysses zu Ende lesen könnte, wenn zum Schluss - 18. Kap. - Molly’s Monolog ohne Punkt und Komma über achtzig Seiten sich hinzieht.) Aber da liegt vielleicht das Problem hier! Mein Tipp:

Mach einfach einen Pseudo-Dialog daraus.

Wie?

Bring den Zeilenumbruch, wenn aus dem Monolog zu erkennen ist, wenn sich was getan hat. Ich mach mal den Anfang - in eckigen Klammern schreib ich eine Art Regieanweisung, was die andere Person betrifft – die dann nach den Zeilenumbrüchen wieder gelöscht werden..

Also zum Anfang (erster Absatz, der nur scheinbar jetzt zerschlagen wird): Gleichzeitig werden erste Schnitzer ausgebügelt:

„Entschuldigen Sie bitte, Madame?
[Die Frau schaut auf]
Ja genau, Sie!
[Sie sehn sich an]
Hätten Sie wohl die Güte[,] mir einen kurzen Augenblick zu widmen, also Ihre Erlaubnis, dass ich ein Wenig ihrer so kostbaren Zeit verschwenden dürfte?
[Er freut sich]
Ich bedanke mich vielmals, Mademoiselle.
[Er macht eine Pause, schaut sie an]
Es mag in der Tat etwas verstörend für eine Frau …
[usw]

Nun, die zitierten Zeilen haben sich mehr als verdreifacht, was aber durch die Wegnahme der Regieranweisungen, also den Klammeraussagen, teilweise wieder reduziert wird

„Entschuldigen Sie bitte, Madame?
Ja genau, Sie!
Hätten Sie wohl die Güte[,] mir einen kurzen Augenblick zu widmen, also Ihre Erlaubnis, dass ich ein Wenig ihrer so kostbaren Zeit verschwenden dürfte?
Ich bedanke mich vielmals, Mademoiselle.
Es mag in der Tat etwas verstörend für eine Frau …
[usw]

Der Umfang der Geschichte wird sich um den Preis der besseren Lesbarkeit verdoppeln …

Ein Komma (Infinitivgruppe ist vom Substantiv abhängig) hab ich nun schon nachgetragen. Es kommen aber noch einige:

für eine Frau von ihrem Stand
Höflichkeitsform: Ihrem

… von einem jungen Kerl in so lächerlich billigen, alten Klamotten wie mir angesprochen zu werden, ...
Der Zusammenhang „Kerl“ und „ihm“ geht durch den Einschub der Klamotten ein wenig verloren. Bissken Möbelrücken kann’s beheben:
… von einem jungen Kerl [wie mir] in so lächerlich billigen, alten Klamotten […] angesprochen zu werden, …

Hier Zeichen + Höflichkeitsform
… mit dem Wunsch[, I]hre so knappe Zeit zu stehlen, um …
…, aber ich bedanke mich zu tiefst,
zutiefst
…, um ausgerechnet mir zu zu hören.
zuzuhören

So, genug für heute (der Komm ist ja schon länger als der Text), aber ich bin von überzeugt, dass Du aus eigenem Interesse die Korrekturen vornimmst

Tschüss und ein schönes Restwochenende wünscht der

Friedel

 

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