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In einer Pariser Bar
Entschuldigen Sie bitte, Madame? Ja genau, Sie! Hätten Sie wohl die Güte mir einen kurzen Augenblick zu widmen, also Ihre Erlaubnis, dass ich ein Wenig ihrer so kostbaren Zeit verschwenden dürfte? Ich bedanke mich vielmals, Mademoiselle. Es mag in der Tat etwas verstörend für eine Frau von ihrem Stand sein, an solch einem regnerischen Tag in dieser sonst so hinreißenden Stadt, von einem jungen Kerl in so lächerlich billigen, alten Klamotten wie mir angesprochen zu werden, mit dem Wunsch ihre so knappe Zeit zu stehlen, um mit Ihnen zu sprechen, aber ich bedanke mich zu tiefst, dass Sie mir quasi diese Audienz gewähren, um ausgerechnet mir zu zu hören. Danke vielmals!
Erkennen Sie die Musik, die der alte Wirt hinter dem Tresen auf seinem Grammophon aufgelegt hat? Was für eine Frage, natürlich erkennen Sie die zärtlichen Klänge, die mit einem leisen Kratzen aus dem Lautsprecher durch diesen Raum wandern. Der Ungarische Tanz von Brahms, natürlich. Ein absolutes Meisterwerk, falls Sie mich denn nach meiner Meinung zu dem Stück befragen würden. Beachtlich, dass solch ein stolzer Franzose, wie der Wirt einer vorgibt zu sein, an diesen Tagen noch freiwillig Brahms erklingen lässt, jetzt wo doch die Deutschen die Stadt besetzt haben. Sehen Sie aus dem Fenster, da patrouillieren schon wieder zwei von denen durch diese Gasse. Wenn man vom Teufel spricht, dann erscheint er stets höchstselbst neben einem, nicht wahr? Sie meinen, der Wirt spielt Brahms vielleicht aus Zwang, gerade weil die Deutschen in der Stadt sind? Gut, das wäre in der Tat durchaus möglich, aber wollen Sie wissen, was ich glaube? Er spielt es aus Sympathie! Er denkt, die Deutschen würden auch mit seinen Feinden in der Stadt aufräumen, wenn er ihnen die Stiefel leckt. Und natürlich, damit sie über seine illegalen Geschäfte auf dem Schwarzmarkt hinwegsehen. Seinen besten Wein hat er öffnen lassen, als einer der hohen Offiziere eines Abends hier über den Durst hinaus trinken wollte, im Schlepptau einige der schönsten Damen Paris'. Woher ich das weiß? Nun ja, sagen wir, dass ich nicht gerade schlecht informiert bin und das mir von Gott, oder wem auch immer, eine brillante Beobachtungsgabe gegeben wurde. Genau jene Gabe, welche mich auch zum Schluss führt, dass in Frankreich es entweder gar keinen Gott geben kann oder er vehement die Augen vor den Taten der Besatzern verschließt. Aber auch der Wirt wird das noch früh genug begreifen, zumindest falls Britannien fällt und die Deutschen mehr Truppen für 'Säuberungen' besitzen. Im Moment sind die Aktionen gegen uns Franzosen ja noch durchaus harmlos, wenn man das so sagen kann und das werden sie auch noch eine Weile bleiben, solange die meisten Soldaten an der Front und nur zum Urlaub in Paris sind.
Ob ich Ihre Zeit stehle, um über die Besatzung zu plaudern, oder ob ich noch zum Punkt meiner Unterhaltung kommen werde? Ja und Nein, das ist wahrlich nicht einfach zu beantworten, Madame. Oh schauen Sie, schon wieder zwei Soldaten, die durch die Gasse marschieren, als würden sie nach etwas suchen. Warum ich so zittere? Ich verstehe, Sie kennen mich nicht Madame, haben mein Bild noch nicht in der Tageszeitung gesehen und vielleicht ist das auch besser so. Nein, ich bin kein Schwerverbrecher, zumindest würde ich mich nicht so bezeichnen, und keine Sorge, Sie müssen sich nicht vor mir fürchten, denn ich bin kein Scharlatan, der Ihnen etwas antun möchte.
Ich bin ein Patriot, genau wie Sie einer sind, zumindest, wenn Sie ihrem Vater im Geiste so ähnlich sind, wie im Gesicht. Sie kennen ihren Vater nicht, Madame? Da bin ich mir sicher, denn er kannte auch Sie kaum, denn er verlor Sie nach der Trennung aus den Augen und ihre Mutter hat Ihnen bestimmt erzählt, er sei gestorben. Einem Unfall soll er zum Opfer gefallen sein? Ja, zumindest, wenn Sie die Gestapo als Unfall bezeichnen möchten, können Sie das gerne so ausdrücken. Aber ich bin ebenfalls nicht hier, um Sie zum Grab eines Mannes zu führen, der Sie nicht kannte und den Sie nicht kannten, damit sie so etwas wie 'Abschied' nehmen können oder Frieden zu schließen. Keineswegs! Ich bin hier, um Sie zu bitten, das zu retten, wofür ihr Vater gestorben ist und wofür auch ich bald mein Leben hergeben werde, sobald die Deutschen mich gefunden haben.
Ich werde Ihnen unter den Tisch einige Dokumente geben, zusammen mit einer krakeligen Notiz auf der eine Adresse steht. Ich möchte Sie bitten, diese Dokumente dort für mich abzugeben, denn ich bin bereits ein Totgesagter und würde meine Kameraden bloß in Gefahr bringen, falls ich dort auftauchte. Erfüllen Sie einem Verzweifelten, der Sie lieber zu einem anderen Anlass getroffen hätte, einen letzten Wunsch, Madame. Nein, tun Sie es nicht für mich oder ihres verstorbenen Vater Willens, tun Sie es für das Überleben der Republik. Ich sehe, Sie verstehen und packen die Dokumente in ihre Handtasche. Verlassen Sie das Gebäude am Besten durch den Hinterausgang, gleich neben den Toiletten und verschwinden Sie durch die kleine Gasse gleich links. Viel Glück und nun schnell!
Da geht sie hin, in ihren Händen das Schicksal unseres Kampfes und in meinen Händen das, was bleibt, wenn eine so wunderschöne Mademoiselle zum Abschied die Hand gibt. Ach, wie gerne hätte ich den Krieg überlebt und sie besser kennen lernen wollen, nein, wie gerne wünschte ich, diesen Krieg gäbe es nicht und ich hätte sie zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort kennengelernt. Doch im Zeichen dieser Stunde muss ich sie hoffnungslos wegschicken und auf mein Ende warten. Was für ein garstiges Ereignis ist bloß dieser Krieg? Doch man muss ihn kämpfen oder man hat ihn bereits verloren. Wirt? Einen Cognac, am besten gleich doppelt und zwei davon! Ja, natürlich kann ich ihn bezahlen, wenn es sein muss auch im Voraus. Nein, er glaubt mir und ich muss ihn erst vor dem Verlassen bezahlen. Narr! Wenn er wüsste, dass ich diesen Ort bloß in einem dreckigen Sack verlassen würde.
Da draußen marschieren zwei weitere Soldaten vorbei, doch dieses Mal haben sie mich erkannt und betreten das Lokal. Es hat keinen Zweck mehr zu leugnen, wer ich bin, dieses Mal habt ihr gewonnen! Ihr legt an, gewährt mir keinen fairen Prozess? Das sieht euch ähnlich! Erlaubt ihr mir wenigstens im Stehen zu sterben? Nun gut, dann stehe ich und verspreche euch, nicht stumm zu sterben. Vive la resistance! Vive la republique!