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Coco Loco

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31.08.2014
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Coco Loco

„Könntest ruhig `n bisschen dankbarer sein. Is‘ nich selbstverständlich, dass ich dir ständig das Kind abnehm.“
„Irgendwann muss ich doch mal von den scheiß Schulden runter kommen!“
„Hättest es auch anders haben können. Mit neunzehn `n Kind andrehn lassen …“
„Mama, hör auf, Selena kriegt doch alles mit! Tschüss mein Schatz, und sei schön lieb bei der Oma.“ Ohne ein weiteres Wort verließ ich die Wohnung.

Ich musste kräftig in die Pedale treten, weil ich viel zu spät dran war. Vor zehn Tagen war mein Fiesta endgültig verreckt. Mario, mein privater Automechaniker, hatte mir zweihundert Euro in die Hand gedrückt. „Dann musst du es wenigstens nicht verschrotten lassen.“ Ich wusste, dass er die Karre in alle Einzelteile zerlegen und bei Ebay mindestens das Fünffache rausholen würde. Sei’s drum. Ich hatte mir von dem Geld das Fahrrad gekauft. Mehr war im Moment nicht drin und ich musste irgendwie zur Arbeit kommen.
Zehn Minuten später stand ich vor dem Coco Loco, eine Tex-Mex-Bar, in der ich zweimal pro Woche am Abend jobbte. Ich schloss mein Rad an einen Laternenpfahl und betrat das Lokal.
Ich war froh, Detlef nirgends zu sehen. Jenny war dabei, Cocktails zu mixen, und klopfte auf ihre Armbanduhr.
„Mann Lisa, es geht echt nicht, dass du dauernd zu spät kommst! An Tisch drei und fünf warten die jetzt schon seit fünfzehn Minuten aufs Essen, und ich kann mich nicht zerreißen. Geh gleich in die Küche.“
„Sorry, hatte wieder eine scheiß Diskussion mit meiner Mutter.“
„Dann nimm dir endlich einen Babysitter!“
„Genau, dann kann ich die paar Kröten von hier gleich dem Babysitter hinterherschmeißen.“ Sie warf mir einen genervten Blick zu. Schnell nahm ich die Essensbons, die neben der Kasse hingen und ging die drei Stufen zur Küche hoch. Zweimal Mozzarellasticks, Chickenwings und Chili con Carne.
Ich riss den Gefrierschrank auf und pulte mit bloßen Händen die Mozzarellasticks aus der Packung. Das Fett in der linken Friteuse war dunkelbraun. Angeekelt warf ich die panierten Sticks hinein, passte aber auf, dass das Fett nicht auf meine Klamotten spritzte. Dann holte ich die Hähnchenflügel aus der anderen Eistruhe. Der Einfachheit halber lagen sie offen zwischen den eisverkrusteten Wänden herum. Ich zählte zehn Stück ab und ließ sie in die zweite Friteuse gleiten, wo das Fett noch einigermaßen okay aussah. Jenny machte anscheinend wirklich nur noch das Nötigste.
Es war mir schleierhaft, wie Detlef bisher um eine Kontrolle vom WKD herumgekommen ist. Sie hätten die Bude noch am selben Tag dichtgemacht und als erstes den Kammerjäger gerufen. Als ich die Woche vorher im Keller ein neues Bierfass angeschlossen hatte, war mir eine Ratte über die Füße gelaufen. Ich weigerte mich, noch einmal da runter zu gehen.

Fünf Minuten später brachte ich das Essen an die Tische und ging dann zu Jenny hinter die Theke. Ich war heute schon acht Stunden in der Tchibo-Filiale herumgestanden und meine Beine fühlten sich bleischwer an. Aber die Bezahlung bei Detlef war gut, ich bekam acht Euro die Stunde, plus Trinkgeld. Woanders zahlten sie meist nur sechs Euro. Jenny bongte einfach einen Teil der Getränke nicht ein, so fiel das Trinkgeld immer ziemlich üppig aus. Das war ihre kleine Rache an Detlef.
Noch mindestens ein halbes Jahr musste ich durchhalten, dann wäre ich von meinen Schulden so ziemlich runter. Aber dann brauchte ich immer noch ein neues Auto. Es war zum Verrücktwerden.
„Shit, Detlef ist im Anmarsch.“ Jenny nickte zum großen Glasfenster hin. Er kletterte gerade aus seinem schwarzen Cayenne , den er wie immer bis direkt vor die Eingangstüre gefahren hatte. Auf der Beifahrerseite stieg Oksana aus, mit weißer Lederjacke und fünfzehn Zentimeter-Stilettos. Sie lebte seit ein paar Jahren mit Detlef zusammen und Jenny hat mir erzählt, dass sie früher in Detlefs Nachtclub gearbeitet hat.
Sogar durch die Scheibe konnte man erkennen, dass sie wieder mal stritten. Oksana fuchtelte wild mit ihren Fingern vor Detlefs Nase herum, er machte eine abfällige Geste. Nach einer kurzen, heftigen Diskussion stürmte Oksana zum Hauseingang nebenan. Ihre Wohnung lag direkt über der Bar. Detlef zischte ihr etwas hinterher und betrat dann die Bar.

„‘N Abend, die Damen“, er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und bleckte sein gelbes Gebiss, „euch laufen sie die Bude auch nicht gerade ein.“ Er setzte sich auf seinen Stammplatz am schmalen Ende des Tresens. Wie immer trug er seinen langen, schwarzen Ledermantel. Seine bloße Anwesenheit verursachte mir jedes Mal eine Gänsehaut. Er stützte die Ellenbogen auf die Bar und fuhr sich durch sein schlechtgefärbtes, pechschwarzes Haar.
„Verdammte Weiber“, nuschelte er in sich hinein. Er fing an, nervös mit den Fingern auf den Tresen zu trommeln. Am Handgelenk glänzte eine schwere, goldene Uhr.
„Blondie“, er nickte mir zu, „mach mir einen Jacky, mit wenig Eis und viel Zitrone.“ Ich konnte seinen Blick auf meinem Hintern spüren, als ich mit dem Rücken zu ihm an der Zapfanlage stand.
„Du weißt, dass du jederzeit bei mir im Club anfangen kannst.“ Ich stellte ihm den Drink etwas zu schwungvoll vor die Nase, so dass er überschwappte.
„Tss tss tss, bist du nervös?“
„Im Keller sind Ratten.“ Jenny baute sich vor ihm auf und hatte eine Hand in die Hüfte gestemmt.
„Und?“ Seine Augen waren zu Schlitzen verengt. „Soll ich ihnen mit dem Baseballschläger eins überziehen? Du führst den Laden hier.“ Sie sah ihm provozierend ins Gesicht.
„Es gehört ja wohl kaum zu den Aufgaben der Geschäftsführung, deinen versifften Keller von Ungeziefer zu befreien. Ruf einen Kammerjäger.“
Er schloss seine nikotinverfärbten Finger um das Glas und nahm einen kräftigen Schluck. Dann wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund.
„Jenny-Maus, wenn du keine Ratten willst, dann schwing deinen Arsch zum Baumarkt und kauf ein paar Fallen.“ Sein Mund umspielte ein fieses Grinsen. „ Siehst langsam richtig unappetitlich aus, verschreckst noch die letzten Kunden.“ Er spielte auf Jennys neues Lippenpiercing an. Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
„Weißt du was Detlef, fick dich doch. Bald schmeiß‘ ich den Scheiß hier sowieso hin.“ Er stieß ein kehliges Lachen aus. Wir wussten alle, dass das so schnell nicht passieren würde. Sie drehte sich abrupt um und fing mit wütendem Elan an, Biergläser zu spülen.

Detlef hat sie mies abgezockt. Jenny hat mir die Geschichte vor ein paar Monaten erzählt. Sie hatte einige Jahre bei ihm im Tirili an der Türe gestanden. Das Tirili war sein Nachtclub, offiziell ein Striptease-und Lapdanceschuppen. Aber für zahlungskräftige Kundschaft gab es Separées, wo die Damen auch andere Wünsche erfüllten. Natürlich illegal. Vor zwei Jahren hatte Detlef ihr das Coco Loco zur Pacht angeboten. Es war vorher schon eine Kneipe, aber sie musste noch mal dreißigtausend für die Renovierung und neue Möbel reinstecken. Das Geld hat Detlef ihr geliehen. Der Laden war auch ganz gut angelaufen, aber irgendwann waren die Ausgaben einfach immer höher gewesen als die Einnahmen. Pacht, Nebenkosten, Werbung, Vorkasse für Getränke und Essen und die Raten an Detlef. Nach einigen Monaten war ihr der Traum vom eigenen Laden mächtig über den Kopf gewachsen.
Jenny behauptete, dass Detlef das von Anfang an so geplant hätte. Er hatte den Pachtvertrag zurückgenommen und ihr die Schulden erstmal gestundet. Dafür musste sie jetzt den Laden hier normal weiterführen und nebenbei sein Schwarzgeld waschen. Jeden zweiten Abend legte er ihr unauffällig einen Umschlag mit ein paar Tausendern auf den Tresen, Geld
von den illegalen Bumsgeschäften, die er in seinem Club und weiß Gott wo, am Laufen hat. Für dieses Geld musste Jenny dann fiktive Bons an der Kasse ausdrucken. Damit es nicht so auffiel, bediente sich Detlef großzügig an den Getränkevorräten, hauptsächlich Champagner. Den trank hier eh kein Schwein, und Oksana badete wahrscheinlich darin.
„Irgendwann stoß‘ ich dem Wichser ein Messer in die Rippen“, sagte Jenny regelmäßig, wenn Detlef wieder einmal besonders unverschämt und eklig war. Ich traute ihr das sogar zu. Wäre nicht ihr dreizehnjähriger Sohn Benny gewesen, hätte sie wahrscheinlich schon lange die Kasse geplündert und sich irgendwo in die Sonne abgesetzt.

Zum Glück verschwand Detlef schon nach dem zweiten Drink nach oben. Er nahm wie immer die Treppe, die direkt aus der Bar nach oben führte. Er und Oksana hatten sich die Maisonette-Wohnung ausbauen lassen, zu einem Palast der Geschmacklosigkeiten in Schwarz und Gold. Nach einiger Zeit fing das Geschrei an, irgendwann hörten wir Gepolter. Ich registrierte das kaum noch, denn es ging beinahe ständig so. Manchmal stundenlang.
Der Abend in der Bar war relativ ruhig, und schon kurz vor Mitternacht hatte ich den letzten Tisch abkassiert. Ich stibitzte mir eine Kippe aus Jennys Packung und trat vor die Türe. Eigentlich hatte ich aufgehört, aber bei der Arbeit gönnte ich mir ab und zu mal eine. Draußen hatte es ziemlich abgekühlt und mich fröstelte es in meinem dünnen T-Shirt. Ich nahm einen letzten, langen Zug und wollte gerade wieder reingehen, da hielt ein Taxi vor dem Lokal. Im selben Moment schwang die Haustüre nebenan auf und Oksana kam herausgestürmt. Mit eiligen Schritten tippelte sie an mir vorbei zum Taxi, und blieb dabei mit ihrem Trolley, den sie hinter sich her zerrte, an meinen Füßen hängen.
„Hey!“, rief ich erbost, doch sie schien mich überhaupt nicht wahrzunehmen. Kopfschüttelnd ging ich wieder rein. Jenny war in der Küche. „Oh Mann, ich glaub die Alte hat endgültig ihre Sachen gepackt und haut ab. Ziemlich eilig hatte die‘s.“ Jenny winkte ab.
„Wenn du wüsstest, wie oft die schon ausgezogen ist. Spätestens nach zwei Tagen steht die wieder auf der Matte. Hör mal, ich muss jetzt noch das Fett in der Friteuse wechseln. Kannst du das Geld hochbringen? Bitte! Ich kann den Typen heute echt nicht mehr ertragen.“

Widerwillig ging ich die Treppe zur Wohnung hoch. Einerseits froh, dass Oksana weg war, andererseits gruselte es mich, mit Detlef allein zu sein.
Ich hatte die beiden schon in schlimmen Situationen erlebt. Einmal hatte Detlef mich hereingerufen, als er es ihr gerade von hinten besorgt hat. Ich war vor Scham beinahe gestorben und die beiden hatten sich kaputtgelacht. Und einmal hatte mir Oksana beinahe einen Teller an den Kopf geworfen, als sie dabei gewesen war, den ganzen Geschirrschrank zu zerdeppern.
Die Türe stand einen Spalt breit offen, als ich oben ankam. Eine unnatürliche Stille lag in der Luft. „Detlef?“ Ich hatte keinen Bock, ihn auf dem Klo zu erwischen. Ich drückte zweimal auf den Klingelknopf neben der Türe, doch es rührte sich nichts. Ich räusperte mich. „Detlef?“ Ich klingelte noch einmal und klopfte dann gegen die Türe. Sie schwang einen halben Meter auf und stoppte dann. Ein paar Füße in schwarzen Socken ragten hinter der Tür hervor. Ich zuckte zurück, der Umschlag mit dem Geld fiel mir aus der Hand und ich stürmte panisch die Treppe zur Bar hinunter.
„Was ist denn los?“ Jenny kam aus der Küche. Sie trug eine Schürze und an den Händen rosafarbene Gummihandschuhe, die beinahe bis zu den Ellenbogen reichten.
„Gott Jenny, ich glaube Detlef liegt da oben, da ist was passiert, ich hab nur seine Füße gesehen …“
„Jetzt mach mal langsam.“ Sie strich sich mit dem Handrücken eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Vielleicht ist er nur rotzbesoffen. Komm, ich geh‘ mit hoch.“ Sie ging Richtung Treppe. Ich packte sie an der Schulter.
„Spinnst du? Ich geh‘ da nicht mehr hoch, was ist, wenn er tot ist? Oder vielleicht ist noch jemand in der Wohnung … lass uns lieber die Polizei holen.“
„Quatsch. Jetzt stell dich nicht so an.“ Sie schüttelte meine Hand ab. „Und wenn er tot ist, dann hol ich mir zumindest das Geld von heute.“ Sie sah meinen entgeisterten Blick und zuckte mit den Schultern. „Wieso, das ist der Wichser mir schuldig.“ Energisch stapfte sie die Treppe hinauf. Ich rang kurz mit mir, doch dann ging ich ihr nach.

„Unglaublich“, sie schüttelte bedächtig den Kopf, „hat das Schwein endlich gekriegt, was es verdient. Hätte ich der Alten gar nicht zugetraut.“
„Bitte Jenny“, sagte ich ängstlich, „lass uns jetzt die Polizei holen.“ Ich war schon wieder draußen auf der Treppe. Ein Blick auf den leblosen Detlef, dessen Kopf in einer Blutlache lag, hatte mir gereicht. „Meinst du wirklich, es war Oksana?“
„Pffh, was glaubst du wohl, warum sie es vorhin so eilig hatte? Jetzt komm her und hilf mir mal. Ich will in den Tresor schauen.“
„Bist du verrückt?“ Meine Stimme wurde schrill. „Komm da sofort raus, wir verwischen sonst noch irgendwelche Spuren oder so. Ich hol jetzt die Polizei!“
„Hey Lisa“, Jenny kam auf den Treppenabsatz. „Jetzt überleg doch mal“, sagte sie und fuchtelte mit den Gummihandschuhen vor meinem Gesicht herum, „wir können das Geld aus dem Tresor nehmen und keiner wird es vermissen!“ Ich starrte sie ungläubig an. „Und wenn doch, dann kann man es immer noch Oksana in die Schuhe schieben.“
„Du spinnst doch total, ich hau jetzt ab!“ Ich drehte mich um und lief die Stufen hinunter.
„Jetzt warte!“ Sie holte mich ein. Ihre Hände krallten sich in meine Oberarme. „Hör mir mal zu“, sie hatte mich gegen die Wand geschoben und stand direkt vor mir. Ich konnte ihren säuerlichen Atem riechen. „Das ist unsere Chance! Ich hab mich jahrelang von diesem Arschloch demütigen lassen. Jetzt kann er bezahlen. Ihm tut’s eh nicht mehr weh. Wir müssen jetzt nur die Nerven behalten. Also reiß dich zusammen!“ Ihr Gesicht hatte einen wilden Ausdruck angenommen, aus dem Mundwinkel lief ein Speichelfaden. Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich versuchte, mich loszumachen, doch sie hielt mich fest an die Wand gedrückt. In meinem Kopf drehte sich alles. „Ich weiß, dass er mindestens fünfzehntausend da drin hat“, redete sie weiter, „vielleicht mehr“, ihr Blick bohrte sich in mich hinein, „du wärst auf einen Schlag deine Schulden los!“
„Jenny, bitte“, ich fing an zu weinen, „ich kann das nicht, lass mich jetzt einfach nach Hause gehen, okay?“ Sie ließ mich abrupt los. Ich wischte mir die Tränen am Ärmel ab. Voller Verachtung funkelte sie mich an.
„Tja, ich hab gewusst, dass du den Schwanz einziehst. Die Kohle liegt vor deiner Nase, und du willst sie nicht. Dann hau doch ab!“ Den letzten Satz spuckte sie mir beinahe ins Gesicht. Für einen Augenblick starrten wir uns feindselig in die Augen. Meine Gedanken rasten. Vielleicht hatte sie recht, ich könnte sofort die Schulden begleichen, und vielleicht bliebe sogar noch was übrig für ein neues Auto. Ich müsste Selena nicht mehr zu meiner Mutter geben. Verzweifelt vergrub ich mein Gesicht in den Händen und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Jenny sah mich abschätzig an.
„Okay“, flüsterte ich, „lass uns nachsehen.“

Zaghaft folgte ich ihr wieder nach oben. Unterwegs bückte sie sich nach dem Umschlag, den ich vorher verloren hatte. Wir betraten die Wohnung. Detlef lag regungslos im Flur, kerzengerade auf dem Rücken. Er musste umgefallen sein wie ein Baum.
Ich konnte gar nicht richtig hinsehen und bekam am ganzen Körper Gänsehaut. Neben seinem Kopf lag der hölzerne Baseballschläger, den er zur Selbstverteidigung immer zuhause aufbewahrte.
„Sieh ihn dir an.“ Sie stand mit verschränkten Armen da und starrte feindselig auf ihn herab. „Jetzt kommst du dir wohl nicht mehr so toll vor was?“ Sie holte aus und versetzte ihm mit ihren Bikerboots einen heftigen Tritt in die Seite.
„Verdammt Jenny!“, ich packte sie am Arm und zog sie zurück, „hör auf mit dem Scheiß! Such jetzt den Tresor, sonst bin ich weg!“ Sie blickte mich unverwandt an.
„Du hast keine Ahnung, was dieses Dreckschwein so alles mit den Mädels im Club angestellt hat.“ Sie schien durch mich hindurchzusehen. „Wenn die nicht gespurt haben, gab’s Schläge. Oder Schlimmeres. Die Meisten sind eh illegal hier. Nach denen kräht kein Hahn.“ Ich wollte das alles in dem Moment nicht hören.
„Bitte Jenny, wo ist der Tresor?“
Sie fuhr sich mit den Händen, die immer noch in den rosa Gummihandschuhen steckten, durch die Haare. Ein Ruck ging durch ihren Körper und im nächsten Moment schien sie sich wieder gefasst zu haben.
„Okay, den Schlüssel trägt er immer an einer Kette an der Hose …“ Sie beugte sich nach unten und tastete seinen Hosenbund ab.
„Shit, er liegt drauf. Hilf mir mal.“ Ich schüttelte mich, aber dann ging ich in die Knie und versuchte, nicht in Richtung seines Kopfes zu sehen. „Ich dreh ihn und du ziehst die Kette raus.“
„Oh Gott, mir wird gleich schlecht!“ Aber das Geld war zum Greifen nah.
„Himmel Arsch, der ist schwer wie ein Zementsack“, fluchte Jenny, als sie ihn an der Hüfte etwas anheben wollte. „Hast du’s endlich?“ Ich bekam die Kette zu spüren und zog sie aus der hinteren Hosentasche. An einem Karabinerhaken war ein Schlüssel festgemacht.
„Warte, lass mich, ich hab Handschuhe an.“ Sie knipste den Schlüssel ab und wischte danach die Kette mit einem Geschirrtuch sauber, das sie im Schürzenbund stecken hatte. „Fass am Besten nichts mehr an. Der Tresor ist hier in der Kammer.“ Sie ging zu einer Tür, die vom Flur abging und in eine kleine Abstellkammer führte. Hinter der Türe war ein Wandtresor eingelassen.
„Detlef hat öfter vor meinen Augen den Tresor geöffnet und das Geld reingelegt“, erklärte sie mir. Ich stand direkt hinter ihr und sah ihr über die Schulter.
„Vielleicht hat Oksana den Tresor schon geleert“, murmelte ich nervös, als sie den Schlüssel ins Schloss steckte.
„Wohl kaum.“ Sie drehte den Schlüssel zweimal herum und löste dann den Riegel. Wir hielten beide den Atem an, als sie die Türe öffnete.
„Hah!“, triumphierend sah sie mich an. Mehrere dicke Bündel Geldscheine, auf den ersten Blick hauptsächlich Fünfziger und Hunderter, lagen darin. Außerdem ein paar Schatullen, wo wahrscheinlich Oksanas Goldschmuck drin war. Mein Herz klopfte wie verrückt.
„Gib mal den Umschlag. Wir nehmen nur das Geld. Schmuck ist zu auffällig.“ Ich hielt zitternd den Umschlag auf und sie stopfte die Geldbündel hinein.
„Grrh … Okssa …ah …“ Wir standen beide da wie vom Donner gerührt. „Oksah … na.“ Jenny schlug mir schnell die Hand auf den Mund, denn ich war dabei, laut loszubrüllen.

„Wer … issda? Ahh …“ Fassungslos sahen wir zu, wie Detlef sich langsam zu uns umdrehte. Es war wie in einem Horrorfilm, wo der Totgeglaubte noch einmal aufersteht, um seine letzte Tat zu vollbringen. Seine linke Gesichtshälfte war voller Blut, teilweise schon verkrustet. Er blickte uns verwirrt an. Man konnte sehen, wie es in seinem Gehirn arbeitete. Panisch sah ich Jenny an, doch die schien genauso schockiert zu sein wie ich. Stumm schauten wir zu, wie Detlef vergeblich versuchte, sich aufzurichten. Wie ein Käfer ruderte er mit den Armen.
„Wasis hier los?“ Seine Stimme klang verwaschen, wie bei einem Betrunkenen. Er fasste sich an die Kopfwunde und sah erstaunt auf seine blutige Hand. Dann fiel sein Blick auf den Baseballschläger. Ich presste mich gegen den Türrahmen und wollte am liebsten mit der Wand verschmelzen. Seine Augen flackerten und sein Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze.
„Ihr, ihr … wollt mich fertchmachn!“ Er stieß einen gurgelnden Laut aus. Jenny erwachte aus ihrer Starre.
„Das war Oksana, sie hat dich zusammengeschlagen! Wir wollten gerade die Polizei rufen, wir dachten, du bist tot!“ Ihre Stimme war unnatürlich hoch. Ich wollte wegrennen, raus aus dieser Wohnung, auf mein Fahrrad steigen und nach Hause fahren, doch ich war wie gelähmt.
„N … nich Oksana … ihr wollt mein Geld stehl’n.“ Er starrte auf das Geldbündel, dass Jenny immer noch in ihrer Hand hielt. Sie schleuderte es weg wie eine entschärfte Handgranate.
„Mach euch fert’ch. Das wirsdu bereun.“ Er schloss die Augen und lallte: „Ruf `n Doktor.“ Sein Kopf kippte zur Seite.
Ich spürte, wie meine Beine nachgaben. Langsam ließ ich mich an der Wand nach unten gleiten und kauerte mich am Boden zusammen. „Wir müssen einen Krankenwagen rufen“, sagte ich lahm. Jenny kniete sich neben ihn und hielt ihren Kopf ganz nah an sein Gesicht. Nach ein paar Sekunden drehte sie sich zu mir um. Ihr Gesicht war wutverzerrt.
„Er atmet noch! Verdammte Scheiße, ich lass mir das jetzt nicht kaputtmachen!“, rief sie aufgebracht. „Was glaubst du, was los ist, wenn wir jetzt die Bullen holen? Schau ihn dir doch an, der kratzt sowieso ab! Und wenn nicht, bleibt er wahrscheinlich für immer ein sabbernder Sack! Ich bring das jetzt zu Ende.“

Ich steckte mitten in einem Albtraum. Jenny stemmte sich hoch und nahm den hölzernen Schläger in die Hand. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich sie an. Ich fühlte mich wie in einer Seifenblase, unfähig, irgendetwas zu tun. Ihr Gesicht glich einer wächsernen Maske.
„Wir haben keine Wahl!“, flüsterte sie gepresst. Sie hob den Baseballschläger mit beiden Händen über den Kopf und ließ ihn nach unten sausen.
Im gleichen Moment duckte ich den Kopf und presste die Hände auf meine Ohren. Irgendjemand schrie wie am Spieß. Jenny rüttelte mich an den Schultern, da merkte ich, dass es mein Geschrei war. Sie holte aus und gab mir eine schallende Ohrfeige. Ich war sofort still.
„Los, du gehst jetzt nach Hause. Ich regle das mit der Polizei, du versaust mir das sonst noch, bist ja völlig durch.“ Sie zerrte mich auf die Beine und schob mich aus der Wohnung. Wie eine Marionette ging ich Stufe für Stufe die Treppe nach unten.
„Wo sind deine Sachen?“ Sie blickte mich streng an. Ich nickte zur Küche hin. In Windeseile hatte sie meine Jacke und meine Umhängetasche geholt.
„Komm jetzt!“ Ich stand da mit hängenden Schultern. Sie versuchte, mir die Jacke anzuziehen. „Mann Lisa! Jetzt reiß dich mal zusammen!“ Sie hielt mich an den Oberarmen fest und sah mir fest in die Augen. „Wir dürfen jetzt keinen Fehler machen, hörst du? Du fährst nach Hause und du weißt von nichts. Ich hab ihn gefunden, okay? Und er war schon tot. Hey“, sie schüttelte mich wie eine Stoffpuppe, „hörst du mir überhaupt zu?“ Ich nickte langsam.
„Hier“, sie nahm den Umschlag mit dem Geld und stopfte ihn in meine Tasche, „du versteckst das irgendwo bei dir zuhause. Ich melde mich morgen, okay?“ Ich nickte noch einmal. Sie brachte mich zum Ausgang, drehte den Schlüssel im Schloss und schob mich vor die Türe.
Die kühle Nachtluft raubte mir beinahe den Atem. Es war kein Mensch zu sehen, die Straße war wie ausgestorben.
„Lisa“, sie nahm meine Hand, die immer noch wie verrückt zitterte, „jetzt beruhig dich mal. Es wird alles gut, du wirst sehen. Und jetzt fahr nach Hause.“
Wie in Trance ging ich zu meinem Rad, bekam irgendwie das Schloss auf und fuhr los. Ich konnte das Geld in der Tasche spüren. Es wog eine Tonne.

 

Hallo Kerkyra

Ich fand Deine Geschichte, ein Mix aus den Nöten einer jungen, alleinerziehenden Mutter und einem unglücklichen Zufall, der sie in Versuchung führt sich an einem kriminellen Akt zu partizipieren, unterhaltsam zu lesen. Es ist nicht ein aalglatter Krimi, die Figuren nicht so ausgeklügelt wie bei Donna Leon – was in einem kurzen Format auch schwer möglich wird. Dennoch vermag es wohl im Ausdruck des Existenzkampfes für manche Leserin ein indirektes Identifikationspotential aufzuweisen. Dies fand ich gelungen daran.

Die einleitende Szene wirkte mir etwas fremd zur nachfolgenden Handlung, doch egalisierte es sich mir, da sie letztlich nicht den gängigen Typ der Bardame in einem zwielichtigen Lokal abgab und an sich konstant brav blieb.

Der Schluss ist mir der wunde Punkt, das abrupte Ende, das eine eigentliche Wendung in der Geschichte vorenthält. Als offenes Ende, was bei Geschichten eine Variante sein kann, greift es hier meines Erachtens nicht da allzu vieles unbeantwortet bleibt. An dieser Stelle ist dem Leser das weitere Schicksal von Lisa nicht gleichgültig. Kippen ihre moralischen Bedenken und Ängste? Wird es für sie möglicherweise ein Ausweg aus finanziellen Nöten oder ein Abdriften in ein Leben, das sie sich nicht wünschte? Ja und Detlef, hat es ihn voll erwischt? Tja und dann noch der Betrag, den die beiden einheimsen, erscheint mir doch recht mickrig, für das Risiko, das die beiden da auf sich nehmen. Für mein Empfinden solltest Du hier noch nachsetzen, es zu einem Abschluss bringen, der den Lesern das Gefühl gibt, so ist es gewesen und befriedigt unterhalten seinen Gedanken dazu nachhängt.

Der Titel war mir etwas beliebig und nichtssagend, beinah hätte ich den Text nicht aufgeklappt, da ich gerne ansprechende Türöffner mag. Aber dies ist natürlich subjektiv, andern genügt vielleicht schon, dass er exotisch klingt.

Dennoch, trotz des Mäkelns, gern gelesen. ;)

Schöne Grüsse

Anakreon

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Kerkyra, hab den Text bisher nur angelesen aus Zeitgründen.
Und da bin ich gleich auf ein paar Probleme gestoßen, die mich beim Lesen genervt haben.
Ich schreib mal mit, dann siehst du, was ich meine:

„Könntest ruhig `n bisschen dankbarer sein. Is‘ nich selbstverständlich, dass ich dir ständig das Kind abnehm‘.“ Meine Mutter nahm einen langen Zug aus ihrer Zigarette und sah mich schmollend an.
Okay, ich krieg durch die Sprache und durch die Zigarette eine gute Vorstellung von der Mutter, ohne dass ich viel von ihr weiß. Musst du das schmollend unbedingt behalten? Klingt nicht gut, ist außerdem unnötig, dass sie nicht gut gelaunt ist, weiß man aus der wörtlichen Rede. lass die Rede doch ihre Arbeit tun.

„Oh bitte, ich muss jetzt echt los. Du weißt, dass ich dir dankbar bin, aber ich bin doch diejenige, die hier zwei Jobs macht. Irgendwann muss ich doch mal von den scheiß Schulden runter kommen!“
„Pah! Hat dich doch niemand gezwungen, dass du dir mit neunzehn von dem Versager `n Kind andrehn lässt! Hättest dich auch anders entscheiden können.“
Okay, ich werd in die Probleme der Icherzählerin eingeführt. Aber es kommt mir ein bisschen vor wie GeSPRÄCHSANTEIL, UM UNBEDINGT EINE Information an den Leser unterzubringen.
Ist vielleicht Geschmackssache, aber vielleicht kriegst du die wörtliche Rede ja ein bisschen natürlicher hin.

„Mama, hör auf, Selena kriegt doch alles mit.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. Resigniert drückte ich meiner Dreijährigen einen Kuss auf die Stirn. Sie stierte wie hypnotisiert in den Fernseher. „Tschüss mein Schatz, und sei schön lieb bei der Oma.“ Ohne ein weiteres Wort verließ ich die Wohnung.
Hier musst du jetzt aufpassen, dass du die jeweils neue wörtliche Rede in die nächste Zeile bringst, und sie auch von den Aktionen anderer Figuren trennst, sonst bezieht Leser sie auf die Figur. Gleich nach derersten Rede kommt ein "Sie" und wenn du nur das schreibst an der Stelle, denkt man, du beziehst dich weiter auf die Rednerin, also die Icherzählerin. Mit "Sie" ist aber wohl die Mutter gemeint, sonst passt das vom Verhalten her gar nicht. Also da mal die Bezüge prüfen.
Das zweite fette "Sie" bezieht sich auf die Tocher, die Dreijährige. Sowohl grammatikalisch als auch inhaltlich. Nicht, dass das auch noch auf die Mutter bezogen sein sollte.

Ich musste kräftig in die Pedale treten, weil ich viel zu spät dran war. Vor zehn Tagen war mein Fiesta endgültig verreckt. Mario, mein privater Automechaniker, hat mir zweihundert Euro in die Hand gedrückt. „Dann musst du es wenigstens nicht verschrotten lassen.“ Ich wusste, dass er die Karre in alle Einzelteile zerlegen und bei Ebay mindestens das Fünffache rausholen würde. Sei’s drum. Ich hab mir von dem Geld das Fahrrad gekauft. Mehr war im Moment nicht drin und ich musste irgendwie zur Arbeit kommen.
Das Perfekt, das hier reingerutscht ist, stört mich. Vielleicht hast du es extra gemacht, weiß ich ja nicht, aber es wirkt unprofessionell. Entweder Prät und PQP oder Präsens und Perfekt.

Dann hab ich aufgehört, liegt aber nicht am Inhalt, sondern an meiner Zeit. Ich merke aber, dass ich zunehmend ungeduldig werde, wenn ich gleich in den ersten Zeilen Fehler entdecke und dann keine Lust mehr habe, Geschichten am PC zu lesen. Da ich weiß, dass du Interesse an guten Texten und der Überarbeitung hast, wollte ich dir das mal schnell schreiben, bevor ich später irgendwann weiterlese.
Also bis dann und alles Gute
Novak

 

Hallo Anakreon,

freue mich über Deine Kritik und dass Du Dich gut unterhalten hast.
Ja, das mit dem offenen Schluss...
Krimi als Kurzgeschichte ist natürlich immer schwierig, weil man den "Klassiker", Hinführung zur Tat/Höhepunkt Tat/Aufklärung in dieser Kürze kaum hinbekommt.

Ich gebe Dir aber recht, es ist etwas unbefriedigend. Ich würde das Ding so weiterdenken, dass Lisa natürlich einknicken wird und das ganze Ding auffliegt. Das könnte man aus ihrem vorherigen Verhalten vielleicht schließen.
Ich hatte über einen alternativen Schluss nachgedacht, bei dem am Ende Lisa auf der Polizeistation sitzt und diese ganze Erzählung quasi gerade zu Protokoll gegeben hat. Aber irgendwie erschien mir das so unelegant...

Danke für Deine Zeit,
Kerkyra


Hallo Novak,

danke schon mal für Deine Kommentare. Ich habe im ersten Teil schon mal etwas abgeändert, und hoffe, dass das jetzt etwas "natürlicher" rüberkommt.

Das Perfekt, das hier reingerutscht ist, stört mich. Vielleicht hast du es extra gemacht, weiß ich ja nicht, aber es wirkt unprofessionell. Entweder Prät und PQP oder Präsens und Perfekt.
Hier hast Du mich erwischt. Das ist echt mein Schwachpunkt, mit den Zeiten herum zu jonglieren. Ich kenne die Regeln eigentlich, aber wenn ich das dann immer wieder durchlese, hört sich das so falsch an. Ich habe ein Riesenproblem mit diesem ständigen hatte, und ich weiß nicht, wie man diese dauernden Wiederholungen von diesem Hilfsverb vermeiden kann. Es hört sich besch... an.

Hat mich gefreut,
Kerkyra

 

Nur ganz schnell zu deinem Problem: Wenn du das mal bei den Profis liest, die machen sich das ganz einfach. Ein einziger Satz wird ins PQP gesetzt, der nächste Satz ist schon wieder im Prät, Leser machen das mit, weil sie über den ersten Satz zeitlich eingeordnet haben.
Hier jetzt hast du es übrigens doch gut gemacht. Ich find es jetzt völlig okay und überhaupt nicht hatte-lastig.
Viele Grüße
Novak

 

Hallo,

ich schreibe mal mit:

„Könntest ruhig `n bisschen dankbarer sein. Is‘ nich selbstverständlich, dass ich dir ständig das Kind abnehm.“
Oh bitte, ich muss jetzt echt los. Du weißt, dass ich dir dankbar bin, aber ich bin doch diejenige, die hier zwei Jobs macht. Irgendwann muss ich doch mal von den scheiß Schulden runter kommen!“
„Hättest es auch anders haben können. Mit neunzehn `n Kind andrehn lassen…“
„Mama, hör auf, Selena kriegt doch alles mit.“
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. Resigniert drückte ich meiner Dreijährigen einen Kuss auf die Stirn. Sie stierte wie hypnotisiert in den Fernseher. „Tschüss mein Schatz, und sei schön lieb bei der Oma.“ Ohne ein weiteres Wort verließ ich die Wohnung.

Fett könnte raus, wird griffiger, oder? Und dann diese Adjektive wie resigniert, hypnotisiert, das klingt so schnell hintereinander komisch, und ich würde das eher dem Leser zeigen. Tut der Text also so schon, der Leser denkt das mit.

Ich war froh, Detlef nirgends zu sehen. Jenny war dabei, Cocktails zu mixen, und klopfte verärgert auf ihre Armbanduhr. verärgert - würde ich rausnehmen. Der Dialog danach macht es klar, wie die Stimmung ist.

Ganz auf neureiche Russin getrimmt, mit weißer Lederjacke und fünfzehn Zentimeter-Stilettos. Neureiche Russen: Das wird klar durch die Beschreibung danach, würde ich rausnehmen. Und Maserati finde ich hier fast zu heavy, zu krass.

Sie war eine eingebildete Kuh und wenn sie ab und zu in der Kneipe rumhing, führte sie sich auf wie die Kaiserin von China.Raus, meine ich, weil das einfach klar ist. Erwähnenswert wäre das Gegenteil, wenn sie nett wäre. Kaiserin von China, das klingt auch irgendwie albern, finde ich jedenfalls.

Sogar durch die Scheibe konnte man erkennen, dass sie wieder mal stritten. Oksana fuchtelte wild mit ihren goldberingten Fingern umher und keifte irgendwas an Detlef hin, der eine abfällige Geste machte. Nach einer kurzen, heftigen Diskussion stürmte Oksana zum Hauseingang nebenan. Ihre Wohnung lag direkt über der Bar. Detlef zischte ihr etwas hinterher und betrat dann die Bar.

Too much. Goldberingt, das überbetont alles, da wird es mir zu viel, und ich erwarte auch nur ein Klischee noch. Hinkeifen? Ich kenne das nicht, ist das was Spezielles? Also hier sagt man das nicht so!:D Liest sich komisch. Und das die Wohnung direkt über dieser verkommenen und schmutzigen Bar liegen soll - da würde ich nochmal drüber nachdenken. Ich finde, das passt zum Setting nicht so. Er hat einen Nachtclub, fährt dicke Schlitten, hat eine Ex-Nutte am Start, die er aushält, und dann lebt er über einer Bar mit schlechtem Frittenfett in den Töpfen, wo jederzeit das Amt kommen könnte? Oder die Polizei, die ihn wegen irgendwas im Nachtclub fragen möchte? Hm.

Wie immer trug er seinen langen, schwarzen Ledermantel, den er wohl nur zum Schlafengehen auszog.
Das mit dem Schlafengehen würde ich rausnehmen. Du machst das ja gerne, diese Vergleiche oder diese Betonung, aber ich finde das nimmt der Geschichte etwas die Glaubwürdigkeit, also jedenfalls geht es mir beim durchlesen so. Dieses Überbetonen finde ich nicht gut. Nicht, weil ich hier den Minimalismus predigen will, sondern weil ich dann den Text nicht richtig ernst nehmen kann. Der Text braucht so etwas nicht, das sind Anhängsel, die nichts tun, die den Leser nirgends hinleiten, und auch sonst keine Funktion haben. Finde ich jedenfalls!

Du weißt, dass du jederzeit bei mir im Club anfangen kannst.“ Ich stellte ihm den Drink etwas zu schwungvoll vor die Nase, so dass er überschwappte.
„Tss tss tss, bist du nervös?“ Er grinste schmierig und stierte mir in den Ausschnitt. Schnell drehte ich mich weg und holte einen Lappen, bevor er sehen konnte, dass ich rot wurde.
„Im Keller sind Ratten.“ Jenny baute sich vor ihm auf und hatte eine Hand in die Hüfte gestemmt.

Geil fände ich:
"Du weißt, dass du jederzeit bei mir im Club anfangen kannst.“
"Im Keller sind Ratten."
:D
Die Tätigkeitsbeschreibungen, wegdrehen, stieren, die finde ich störend, auch das schmierig. Wird klar, dass er so ist, du hast die gesamte Figur so angelegt.

Okay, habs gelesen. Das Setting ist gut, da bietet sich einiges an. Allerdings würde ich mir die Figuren noch einmal ansehen. Diese Jenny, wenn die schon einen eigenen Laden hatte und auch von seinen Machenschaften weiß, und im Rotlicht gearbeitet hat, dann ist die eiskalt. Die nimmt den Basi und schlägt ihn tot, und die würde auch die Protagonistin umlegen, wenn sie sich ihr in den Weg stellt.
Ich glaube auch, dass die nicht so mit ihm reden würden, so überlegt und formuliert. Wenn er da wieder aufwacht, dann sind die aufgeregt und voller Adrenalin, dann stocken die rum und wissen nicht, was sie tun sollen, sind hysterisch, also zumindest die Protagonistin.

Mir kommt diese Oksana so vor, als bräuchtest du die nur für den Mordversuch. Die hat sonst keinen Dialog. Ich würde die rausnehmen, und es Jenny machen lassen. Sie geht nach oben, weil sie ihm irgendetwas zu sagen hat, Bestellung oder wegen Geld, und da erwischt sie ihn in einer Situation, auf dem Klo oder wasweißich, und hat einen Kurzschluss. Das empfände ich als sofort nachvollziehbar, oder aber du baust die Oksana aus, also vielleicht hat die sogar eine gemeinsame Vergangenheit mit Jenny, die beiden haben gemeinsam angeschafft oder so, die reden miteinander, keine Ahnung. So wirkt die Figur wie so ein Stichwortgeber.

Ich habe sie gerne gelesen, das Ende finde ich auch gut, für diese Geschichte, man könnte sogar früher ausgehen, als Jenny sagt, "Ich mach das", oder so, dann steht es richtig offen und verstört.
Ich weiß nicht. Wenn du die KG verdichtest, verknappst, dann hast du ein sehr gutes Genre-Stück, aber es müsste schon härter sein in dem Sinne, dass die Sprache reduzierter ist. Es passt besser zu diesem Sujet, finde ich.

Gruss, Jimmy

 

Hallo Kerkyra,
ich hab jetzt mal die anderen Kommentare nicht gelesen, ansonsten bin ich jedes Mal total befangen.
Der Anfang gefällt mir nicht. Da ist diese ganze Info drin, wie es denn so in ihrem Leben aussieht und man merkt sehr stark, wie das alles an den Leser geht. Ich hätte mir gewünscht, wenn der Hintergrund subtiler in die Geschichte eingeflochten wäre.
Dann auch diese ganzen Adjektive wie wegwerfend, resigniert, hypnotisiert, das zieht sich eigentlich durch den ganzen Text, das klingt auch alles nicht so schön. Das ist so die einfache, grobe Lösung um etwas zu vermitteln, hier fehlt einfach die sprachliche Eleganz. Ein sprachlich anspruchsvoll gestalteter Text macht aber immer einen besseren Eindruck. Da gibt es natürlich keinen Patentrezept, es kann sowohl schlicht als auch verschwurbelt oder bilderreich sein, aber es liest sich ganz anders, wenn der Autor eine eigene Syntax benutzt, einen Klang in seine Sätze reinbringt, Melodie usw.
So ist hier halt ganz vieles auf einem beinahe alltagssprachlichen Niveau und auf diese Weise ist es schwieriger Stimmung zu erzeugen. Da fällt mir aus der Gegenwartsliteratur "Faserland" ein, von Christian Kracht, da klappt es ziemlich gut, aber hier finde ich, dass du es dir zu einfach machst. So ein paar Sachen vllt, um das zu verdeutlichen:

weil ich viel zu spät dran war
Vor zehn Tagen war mein Fiesta
Mehr war im Moment nicht drin
Es war mir schleierhaft
Sie war eine eingebildete Kuh
Ich war geschockt
Da sind noch viel mehr solcher Dinger drin, das liest sich einfach uninspiriert, finde ich.
Zum Plot jetzt. Also meins ist das nicht wirklich, aber das ist Geschmackssache. Es ist auf jeden Fall schlüssig aufgebaut, da gibt es keine Längen, die Figuren sind glaubwürdig, der Spannungsbogen passt. Also man merkt auf jeden Fall, dass du erzählen kannst und nachdem ich aufgehört habe auf den Stil zu achten, habe ich das eigentlich gerne gelesen. Ich bin nicht so ein Fan von Dialogen, aber deine klangen meist ziemlich authentisch. Vllt ist es stellenweise zu dick aufgetragen, der Detlef ist irgendwie zu typisch, aber so die gesamte Konstellation geht schon auf, finde ich. Auch das mit dem Spannungs-Twist am Ende, das ist zwar ziemlich klassisch, aber in diesen Grenzen gut gelöst. Aber wie gesagt, ich bin kein Leser von solchen Genre-Geschichten, das werden viele Leute ganz anders sehen, glaube ich.
So, ich hoffe, du kannst mit meinen Anmerkungen was anfangen.
Liebe Grüße,
randundband

 

tagchen Kerkyra

Also im Großen und Ganzen gefällt mir deine Geschichte. Ist eigentlich nicht so ganz mein Genre, aber die Figuren stimmen - die verschiedenen Reaktionen der beiden Frauen auf das Geschehene wirken sehr authentisch - und die Geschichte ergibt Sinn. Es wurde in einem anderen Kommentar schon genannt, dass der erste Absatz zu 'erklärend' wirkt und das sehe ich ähnlich. Der Dialog mit der Mutter liest sich, als hättest du auf kleinstem Raum versucht, eine Hintergrundgeschichte zu erklären, was mir nicht so gut gefallen hat. Aber dann habe ich eigentlich alles sehr gerne gelesen und war durchaus neugierig, wie die Sache ausgeht. Hat Spaß gemacht.

Zwei Sachen sind mir aufgefallen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das regionale Sprachunterschiede sind oder Idiolekt oder sonst was...

[...]diejenige, die hier zwei Jobs macht.
Ich denke, dass das definitiv nicht falsch ist, aber ich bin da kurz hängen geblieben, weil ich drüber nachdenken musste, wieso ich finde, dass sich zwei Jobs haben besser anhören würde. Keine Ahnung, aber ich würde haben bevorzugen.

Aber die Bezahlung bei Detlef war gut, ich bekam acht Euro auf die Stunde, plus Trinkgeld.
Ist dieses auf nötig? Also ich habe hier (Bayern) sehr viele Freunde, die in der Gastronomie arbeiten und auf die Stunde habe ich noch nie gehört. Keine Ahnung, ob man das woanders anders sagt.

Bitte korrigiere mich, wenn die beiden "Tipps" blödsinnig sind, und das wirklich nur Kleinigkeiten sind, die eben verschieden gesagt werden.

Ansonsten muss ich noch sagen, dass ich das Ende zwar voll okay fand, aber es mich nicht ganz befriedigt hat. Es ist offen, das finde ich schon mal gut, aber ein offenes Ende hättest du schon einige Absätze vorher bringen können, dann wäre mehr Platz zum spekulieren gewesen, ohne, dass irgendwelche nötigen Informationen gefehlt hätten. Also ich fände das Ende besser, wenn es eher kommen würde, oder dann eben um einiges später und du die Geschichte noch auflöst. So ist es für mich nichts vollkommen Halbes und nichts vollkommen Ganzes.

Glaube, dass ich nicht mehr zu sagen habe. Hat auf jeden Fall Spaß gemacht, deine Geschichte zu lesen.

lg zash

PS jimmy hat gesagt:

Mir kommt diese Oksana so vor, als bräuchtest du die nur für den Mordversuch. Die hat sonst keinen Dialog. Ich würde die rausnehmen, und es Jenny machen lassen. Sie geht nach oben, weil sie ihm irgendetwas zu sagen hat, Bestellung oder wegen Geld, und da erwischt sie ihn in einer Situation, auf dem Klo oder wasweißich, und hat einen Kurzschluss. Das empfände ich als sofort nachvollziehbar, oder aber du baust die Oksana aus, also vielleicht hat die sogar eine gemeinsame Vergangenheit mit Jenny, die beiden haben gemeinsam angeschafft oder so, die reden miteinander, keine Ahnung. So wirkt die Figur wie so ein Stichwortgeber.
Dem stimme ich zu, obwohl mir das während dem Lesen nicht aufgefallen ist, erst, als jimmy es sagte.

 

Hallo Jimmy,

wow, da hast Du Dir ja wirklich Zeit genommen. Freut mich. Und ich habe auch schon viele Deiner Vorschläge in eine neue Version eingearbeitet. Du hast recht, das war teilweise echt zu viel des Guten. Auch in den späteren Dialogen habe ich einige Zwischensätze gestrichen. Man kann wirklich die Dialoge für sich sprechen lassen und sollte dem Leser mehr zutrauen.
Das ist noch so ein bisschen mein Problem - ich will zu viel erklären.

Mir kommt diese Oksana so vor, als bräuchtest du die nur für den Mordversuch. Die hat sonst keinen Dialog. Ich würde die rausnehmen, und es Jenny machen lassen.
Damit wäre mein Plot zunichte gemacht und ich müsste die ganze Story neu schreiben. Nein, die Jenny ist gar nicht so super krass drauf. Das ist eine reine Affekthandlung mit dem Baseballschläger. Und deshalb brauche ich Oksana. Für die Drecksarbeit.

Also Dankeschön für Deine konstruktive Hilfe,
LG Kerkyra


Hallo Randundband,

danke für Deinen Kommentar.

Der Anfang gefällt mir nicht. Da ist diese ganze Info drin, wie es denn so in ihrem Leben aussieht und man merkt sehr stark, wie das alles an den Leser geht. Ich hätte mir gewünscht, wenn der Hintergrund subtiler in die Geschichte eingeflochten wäre.

Du hast recht, ich hab`s geändert. Hoffe, dass es jetzt besser ist.

So ist hier halt ganz vieles auf einem beinahe alltagssprachlichen Niveau und auf diese Weise ist es schwieriger Stimmung zu erzeugen
Das alltagssprachliche kommt natürlich durch die Protagonistin, die hier die Erzählerin ist. Und die ist halt etwas einfacher gestrickt und verwendet keine elegante Sprache :D

Freut mich, dass Du es, obwohl genrefremd, doch gerne gelesen hast. Danke für Deine Zeit,

Schönen Abend, Kerkyra


Hallo zash,

Aber dann habe ich eigentlich alles sehr gerne gelesen und war durchaus neugierig, wie die Sache ausgeht. Hat Spaß gemacht.
:D das freut mich natürlich sehr.

und auf die Stunde habe ich noch nie gehört. Keine Ahnung, ob man das woanders anders sagt.
keine Ahnung, vielleicht ist das meine Erfindung;) ... ich hab's rausgenommen.

Ansonsten habe ich den Anfang geändert, gefällt mir auch besser so. Und sonst noch so einiges rausgestrichen.
Auf das Ende will ich leider weiterhin beharren;).

Ja, ich danke Dir für Deine Zeit und Deine Anmerkungen, hat mich sehr gefreut,

viele Grüße, Kerkyra

 

Hallo Kerkyra –

wie schon mal behauptet: Du probierst halt alle literarischen Genres aus, was gut ist, denn die wirklich guten Erzählungen (von der kurzen Geschichte über die Novelle zum Roman hin) sind alles auf einmal, von allem Anfang an und lassen sich eigentlich keinem Genre zuordnen. Dabei gelingt Dir ganz gut die Identifikation mit dem eigentlichen Opfer – der Icherzählerin „Lisa“ ganz gut (bis hin zum Sprachverhalten – muss man sich sorgen?) Aber gehn wir zum Trivialen über (in der Reihenfolge der Erscheinung, ist für Dich dann schneller zu finden, auch ohne Suchfunktion):

Mit neunzehn `n Kind andrehn lassen…“
Besser zwischen dem letzten Wort und den Auslassungspunkten eine Leerstelle, denn wie’s da steht, bedeutet es, dass am letzten Wort wenigstens ein Buchstabe fehle, was beim „lassen“ eher unwahrscheinlich ist)
„Mama, hör auf, Selena kriegt doch alles mit.“
Nur ein Aussagesatz? Liegt doch zwischen Wunsch und Befehl …!
verursachte mir jedesmal eine Gänsehaut
Jedes Mal jedes Mal auseinander
Separé[e]s
nochmal
noch mal – immer auseinander, da eigentlich „noch einmal“
irgendwann waren die Ausgaben einfach immer höher gewesen, als die Einnahmen.
In dem Fall Komma weg!, beim traditionellen Vergleich
Jenny behauptete, dass Detlef das von Anfang an so geplant hatte
Behauptung eines andern in indirekter Rede, besser Konjunktiv: „…, dass Detlef das von Anfang an so geplant habe, besser sogar: hätte
Zum Glück verschwandt …
verschwandQUOTE]„Hey!“[,] rief ich erbost, …[/QUOTE]
wiederwillig
widerwillig
An einem Karabiner[haken] war ein Schlüssel festgemacht.
Einen Karabiner wird niemand in einer Hosentasche tragen können, selbst nicht zerlegt …
„Hah!“[,] triumphierend sah sie mich an.
Er schloß die Augen
schloss
…, ich lass mir das jetzt nicht kaputtmachen!“[,] rief sie aufgebracht.

Genug für heute und vorsorglich schon mal’n schönes Wochenende.
Werden wohl Weihnachten im Biergarten verbringen (oder Grillen), was mir beides recht wäre

Friedel

 

Lieber Friedel,

meine Schulzeit (und der Deutschunterricht) ist ja nun auch schon eine Weile ums Eck, darum bin ich Dir wirklich sehr dankbar für Deine unermüdlichen Versuche, uns allen die deutsche Rechtschreibung immer wieder nahe zu bringen. Und ich ärgere mich jedes Mal aufs Neue, wenn ich sehe, dass das bei mir in der Hauptsache Flüchtigkeitsfehler sind. Trotzdem habe ich, seit ich hier im Forum bin, durch Dich wieder sehr viel aufgefrischt. Danke dafür.
Hab auch alles schön brav verbessert:D.

Auch Dir ein schönes Wocheneende und vorab schon mal ein schönes, weihnachtliches Grillen im Biergarten:thumbsup:

Kerkyra

 

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