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Farbengefängnis
Eines Morgens als ich aus der trügerischen Illusion meines Lebens erwachte und die schattenhafte Reflektion meines Ichs im Spiegel sah, bemerkte ich, dass meine Iris, einem Plättchen gleich auf meinem Augapfel auflag. Wie im Bann befühlte ich sie, verschob sie und nahm sie schließlich heraus. Ich spürte, wie feine Äderchen abrissen und ich blickte auf die kleine, runde Platte in meiner Hand. Ihre Farbe war leicht grünlich, eher grau, und sie schwamm in einer blutigen Flüssigkeit. Als ich wieder in den Spiegel blickte sah' ich, dass sich hinter meiner Iris eine riesige Dimension voller Farben befand. Sie liefen in sich zusammen, vermischten sich und trennten sich wieder, während leise tröpfelnd das Rot aus meinem Auge floss. Mir wurde gewahr, dass ich diese Farben heraus nehmen müsste um sie zu begreifen, um sie richtig erkennen zu können, und so öffnete ich meine Augenlider um das rundliche Gebilde des Augapfels heraus zu nehmen. Mir wurde plötzlich klar, dass die Welt nur so leer und grau war, weil wir alle, jeder für sich, einen Teil der Farben in uns gefangen halten. Noch war die weiße Kugel durch einen Strang mit mir verbunden, doch trennte ich den roten Faden, der dieses Gefängnis in mich festhielt mit einem Schnitt ab. Immer mehr Rot floss aus der leeren Höhle, die das Gefängnis hinterlassen hatte. Mit gemischten Gefühlen blickte ich nun auf die Kugel in meiner Hand. Langsam, und ganz vorsichtig öffnete ich mit Hilfe eines Messers die Schichten, als auf einmal und plötzlich, ein wildes Farbengewirr aus ihm heraus drang. Erschrocken lies ich die Kugel fallen. Der Boden benetzte sich mit einem See aus Gelb, Rot und Blau. Schon bald bildeten diese elementaren Farben mannigfaltige Töne, und Nuancen, die mir bis dahin vollkommen unbekannt waren. Der Anblick des Farbgewimmels auf meinen Boden lies meinen Kopf pochen, hastig und übersättigt vom Schmerz verschloss ich mit meiner Hand die Augenhöhle und mein sich noch immer im Kopf befindendes Farbengefängnis. Ich lies mich zu Boden fallen, und wimmerte. Einige Minuten verbrachte ich so, bis ich es langsam wagte, wieder hinzusehen. Doch die Farben waren verloschen. Eine Art Fehlsichtigkeit hatte mich erfasst. Ich konnte nur noch die unterschiedlichen Schattierungen wahrnehmen, alle Farben waren verschwunden. Von meinen Empfindungen gänzlich überrascht sprang ich auf und zertrat die nun leere Hülle der Farben. Es erklang ein leises knacken. Dann vernahm ich von irgendwo weit her Stimmen und realisierte, wie graue Menschen hereinkamen und mich festhielten. Sie waren so farblos. Ich schrie und weinte, und sie injektierten mir eine Flüssigkeit. Mir wurde schläfrig und ich hörte nur noch, wie sie sagten, der Wahnsinn hätte mich ergriffen. Eine hochgradige Schizophrenie soll ihr trauriges Ende gefunden haben. Eine Störung meines Gehirns brachte mich dazu, mich selber zu verstümmeln. Doch sie hatten keine Ahnung, keine Ahnung von Allem. Sie kannten das Gefängnis nicht, sie werden die Farben niemals befreien können, auf ewig grau und trist, es gab keinerlei Hoffnung mehr für sie. Bemitleidenswert, wie sie sind, werden sie niemals von der Wahrheit kosten, während sie mich, die sie ihnen zeigen könnte, ruhig stellen werden, im ewigen Dämmerschlaf voller Neuroleptika und Beruhigungsmittel. Die Wahrheit ertränkt in Amisulprid. Clozapin. Olanzapin. Quetiapin. Risperidon. Ziprasidon und Zotepin.