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Der Herr des Landes

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23.02.2014
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Der Herr des Landes

Kerzenlicht erhellte das Gemach und warf flackernde Schatten auf die kostbare Wandbespannung aus Samtbrokat. Mit andächtiger Mine kniete Jakob von Aicha vor einem Gnadenbild Mariens und lächelte. Doch er war weder in frommer Andacht, noch in nachlässigem Gebet versunken. Vielmehr erfreuten sich seine Gedanken an der Schönheit der Handwerkskunst, die in Figur und Gesicht der Gottesmutter so formvollendet Gestalt angenommen hatte. Ja, das Bildnis war ein Kleinod, wie man es in diesen freudlosen Tälern kein zweites Mal finden würde.
Wie eine Strafe Gottes war es ihm gewesen, als ihn sein Bischof als Inquisitor nach Wulsein im Wald geschickt hatte, von dem es hieß, dass Teufel und Hexen hier ihr schändliches Werk vollbrachten.
Doch was hatte er stattdessen vorgefunden? Ein paar verstreute Waldenser, Verführte höchstens, deren Glaube durch einen Mangel an kirchlicher Zuwendung verkümmert und missgebildet war. Einen Priester, der mehr dem Wein als der Messe zugetan war. Und eine Herde ungebildeter Dörfler, die ihn wie den Heiland höchstselbst beäugten, wann immer er einen Fuß auf die schlammige Straße der Siedlung setzte. Nein, es gab wenig Anlass zur Freude in diesem Elend aus Schatten und Geistlosigkeit.
Viele Sommer waren vergangen, seit er hierher gekommen war, im Jahre des Herrn 1407, dem siebten Jahr der Herrschaft König Ruprechts III. Doch Ruprecht war lange tot und ein anderer hatte nach der deutschen Krone gegriffen, ein Heißsporn aus dem Hause Luxemburg. Der Blick des Luxemburgers war nach Osten gerichtet, dorthin, wo der Deutsche Orden jüngst von den Barbaren Livlands so schändlich geschlagen wurde. Und auch Jakob drängte es danach, seine Tätigkeit an einen Ort zu verlegen, der mehr am Herzschlag der Geschichte lag.
Schon längst war er der lichtlosen Tälern Tirols überdrüssig geworden, konnte ihn nicht mehr sehen, diesen gebückten und dunklen Menschenschlag, der hier fernab des herzoglichen Innsbrucks ein kärgliches Dasein fristete.
Und so kam es, dass sich Jakob von Aicha, wann immer er nur konnte, in die wohlige Anschauung der Gottesmutter begab. Sie war ihm Trost und Hoffnung zugleich, und zu diesem Zwecke hatte er sie über die Alpen hergeschafft.
Wie ein Entrückter ließ er seinen verklärten Blick über das samtene Gewand Mariens schweifen, betrachtete den zierlichen Fuß, der festen Schrittes eine Schlange zertrat, wanderte hinauf zu dem juwelenbesetzten Kranz aus Sternen, und weiter, bis an dieses herrliche Gesicht aus Lindenholz, das milde und gütig auf ihn zurückschaute. Amen, Amen, welche Schönheit.
Die enorme Summe, die Kauf und Transport der Madonna gekostet hatte, war vergessen. Münzen brauchte man hier am Allerwenigsten. Es brauchte Standhaftigkeit und Glaube. Und mit beidem erfüllte ihn der Anblick der Regina coeli.

Ein jähes Klopfen riss ihn aus der Betrachtung. Mit steifen Gliedern erhob sich Jakob vom Polster der Betbank und strich den Stoff seiner Albe glatt.
"Bitte, tretet ein ...", seufzte er der Tür entgegen. Noch bevor er den Satz beendet hatte, schwang diese auf und Aegidius von Salurn, der jungenhafte Sekretär des Inquisitors, stürzte in das Gemach. Für einen kurzen Moment drohte ein Windstoß die Kerzen zu Füßen der Madonna zu löschen.
"Hochwürden mögen verzeihen, aber ich bringe dringende Kunde aus dem Dorf!", stieß Aegidius mit rasselndem Atem hervor. Selbst im Zwielicht des Zimmers sah Jakob, dass das Gesicht seines Sekretärs so fahl wie Asche war.
"Sprich frei heraus, mein Sohn", bat der Inquisitor und wies dem völlig durchnässten Jüngling einen Platz am Kamin zu. Er selbst setze sich an den Rand des Betts, welches mit seinem gedrechselten Aufbau aus Ebenholz und den darüber gespannten Stoffbahnen den größten Platz im Zimmer beanspruchte.
"Nun, was gibt es so Dringendes? Du keuchst ja, als hätte dich der Teufel gejagt."
"Es ist schauerlich, Herr! Ganz und gar schauerlich!"
"Also?"
Aegidius Stimme bebte vor Erregung. "Ihr kennt wohl Elias, den alten Köhler? Der draußen im Wald seine Hütte hat?"
Jakob nickte und legte die Stirn in Falten. "Elias ist mir bekannt, auch wenn er ein eher scheuer Geselle ist. Ich habe ihn nur zweimal gesehen, unten im Ort, wenn Markttag war."
"Und wisst Ihr auch von seiner Tochter?"
Der Priester schüttelte den Kopf. „Der Köhler hat eine Tochter, sagst du?“
"Sie heißt Anna, Herr", würgte Aegidius heraus, so als ob es ihm widerstrebte, den Namen der Frau auszusprechen. Doch Jakob hatte noch nie von einer Anna gehört. Unwillkürlich fuhr er sich mit der Hand durch den dichten Bart.
"Hör mal, mein Sohn ..." Eine üble Vorahnung ergriff von seinen Gedanken Besitz. "Wenn du beichten möchtest, dann ist dies der falsche Ort. Vielleicht sollten wir ..."
„Ihr versteht mich falsch, Hochwürden!“, unterbrach ihn der Sekretär und eine kräftige Schamesröte vertrieb die Blässe aus seinem Gesicht. „Mein Gewissen ist rein. Bitte, was ich Euch zu sagen versuche! Das Weib ist eine Hexe! Eine ganz abscheuliche Ausgeburt der Hölle!“ Der junge Mann bekreuzigte sich hastig und warf einen Blick über die Schulter, als ob er befürchtete, verfolgt zu werden.
„Das sind schwere Anschuldigungen, die du da vorbringst, Aegidius.“ Ein strenger Ton war jetzt in Jakobs Stimme getreten. „Willst du dich erklären?“
Der Sekretär nickte hastig: „Ja, das will ich, Herr! Auch wenn Ihr mir nicht glauben mögt.“
„In meinem Alter ist man bereit, an vieles zu glauben. Aber jetzt erzähl, was ist dir widerfahren?“
Und Aegidius begann zu erzählen.

„Wie Ihr wisst, war ich an diesem Nachmittag unten im Dorf und verteilte in Eurem Namen Aufträge an die Handwerksleute. Ich kam soeben von Zacharias, dem ich das Flicken des Dachstuhls anvertraut hatte, da waren laute Schreie am Waldrand zu hören. Natürlich lief ich hin, um nachzuschauen, und viel an Dorfvolk und Gesinde tat es mir gleich. Als wir den Ort erreichten, erblickten wir drei Männer, die aus dem Dickicht stürmten und dabei Flüche von sich gaben, wie ich sie noch nie zuvor vernommen hatte. Bei allen Märtyrern, die Kerle sahen schrecklich aus, mit wilden Gesichtern und schwarzen Bärten! Irgendetwas musste sie aufgeschreckt haben, denn sie waren völlig verängstigt, was so gar nicht zu ihrem rauen Äußeren passen mochte.
Einige der Dörfler brachten die Männer in das Gasthaus zum Guten Hirten, wo ich sie in Ruhe befragen konnte. Es waren Zigeuner, wie wir sehr schnell feststellten, fahrendes Volk, das über Ungarn nach Tirol gekommen war. Sofern ich die wenigen Brocken Deutsch verstanden habe, hatten sie im Wald ihr Lager aufgeschlagen und dort den Plan gefasst, das Haus des Köhlers zu überfallen und auszurauben. Als dieser wie jeden Nachmittag an seinem Kohlemeiler war, schlugen sie zu. Ihr Anführer verriet mir mit zitternder Stimme, dass sie unter dem Fußboden einen geheimen Keller entdeckten, den sie nach Lebensmitteln durchsuchen wollten. Aber stattdessen ... stattdessen ...“
Aegidius hielt in seinem Redefluss inne und schlug erneut ein Kreuz. Seine Unterlippe bebte.
„Sprich bitte weiter, mein Sohn! Was war unter den Dielenbrettern? Was haben die Männer gefunden?“
„Wir wollten es zuerst nicht glauben, Herr. Wie kann man auch etwas so Schreckliches glauben, selbst wenn man um all das Teufelswerk weiß, dass den Erdkreis heimsucht? Wie mag man verstehen, dass wir zwar im Angesicht Gottes leben, die Teufel aber direkt unter uns sind?“
Jakob blickte hinüber zu seiner Regina coeli und kniff die Augen zusammen. Er wusste, dass Schönheit und Verderbnis nah beieinander lagen, oft sogar näher, als ihm lieb war.
„Satan prüft uns Menschen, darob wir den rechten Pfad verlassen. Er verführt uns. Verdreht uns den Kopf, wenn wir es am wenigsten erwarten.“
„Dann war Satan heute leibhaftig zugegen!“, entfuhr es dem jungen Sekretär mit schriller Stimme. „Vier von uns machten sich auf den Weg zu Elias. Die Zigeuner weigerten sich mitzukommen, also sperrten wir sie im Gasthof ein.
Als wir an den beschriebenen Ort gelangten, stand die Tür zur Hütte offen. Der alte Elias war tot, erhängt an einem hohen Baum. Sein Kopf war ganz blau und geschwollen. Nach einigem Suchen fanden wir die Luke im Boden der Hütte, von der die Zigeuner gesprochen hatten. Stufen führten von dort aus in die Tiefe, aus der es feucht und moderig zu uns hinauf wallte. Wir brauchten eine Weile, bis entschieden war, wer voranging.
Schon beim Abstieg konnte man ein seltsames Zischen aus dem Untergrund hören, das anschwoll, je weiter wir nach unten drangen. Es war gespenstisch, doch kein Wort vermag den Schrecken zu beschreiben, dem wir uns gegenübersahen, als wir das Ende der Treppe erreichten. Eine mitgebrachte Fackel spendete nur spärliches Licht, aber es genügte, um mir ein Stoßgebet an alle Heiligen abzuringen.
Vor uns erhob sich inmitten eines lebenden Meeres aus Nattern ein abscheulicher Götze. Das Bildnis war mannshoch und aus massivem Gold gegossen. Der Körper des Idols sah aus wie der eines Menschen, doch wo gemäß göttlicher Schöpfung der Kopf sein sollte, ragte nur das Haupt einer riesigen Schlange in das Zwielicht der Kaverne. Ihr Maul war geöffnet, so dass wir die Fänge sehen konnten, und die Augen des Götzen waren Rubine, die wie Feuer im Licht der Fackel funkelten.
Bei allen Erzengeln, ich bezeuge Euch, dieses Ding ist von einem bösen Geist beseelt, so wie es uns inmitten dieser zischenden Schlangenbrut anstarrte. Und die Gebeine! Herr, ich sagte Euch ja bereits, dass der Boden der Höhle voller Nattern war, aber dazwischen … sie wandten sich um dutzende Schädel und Knochen, die unzweifelhaft menschlicher Natur waren!
Dann erblickten wir das Mädchen. Die Tochter des Köhlers kniete zur Rechten des Götzen, das Gesicht in die Hände gelegt, als wäre sie im allerfrömmsten Gebet vertieft. Sie sah nicht, dass wir kamen, aber sie wehrte sich wie eine Besessene, als wir sie ergriffen und aus der Grotte zerrten. Obwohl wir zu viert waren, hatten wir alle Mühe, das Weib nach oben zu tragen. Hier, seht!“
Er zog den Saum seines Gewands am Arm hinauf und enthüllte einen tiefen Kratzer.
„Anna fluchte und schrie in gotteslästerlicher Art und Weise, und sie hörte nicht auf zu schreien, bis einer der Männer sie mit einem Knüppel bewusstlos schlug.“
„Wo ist sie jetzt?“, unterbrach der Inquisitor die abenteuerliche Erzählung des Sekretärs. Er hatte sich vom Bett erhoben und Pergament und Federkiel aus einem Fassadenschrank geholt.
„Wir haben sie ebenfalls im Hirten eingeschlossen, dann rannte ich zu Euch.“
„Du hättest sofort zu mir kommen sollen. Es war töricht, ohne meine Erlaubnis in den Wald zu gehen. Ohne Zweifel bist du auf den Versammlungsort eines Hexenzirkels gestoßen. Das ist eine sehr ernste Angelegenheit, die ich dem Bischof unverzüglich mitzuteilen habe. Schwörst du auf die blutenden Wunden unseres Herrn Jesus Christus, dass du die Wahrheit sprichst?“
Der junge Sekretär nickte hastig und zeigte erneut auf die Kratzspur an seinem Arm. „Und auf meine eigenen, Hochwürden.“

Nachdem Jakob von Aicha den Brief an seinen Bischof aufgesetzt hatte, begab er sich mit Aegidius hinunter ins Dorf, wo man Anna und die Zigeuner in Gewahrsam hielt. Schwere Wolken kauerten über der Siedlung und vergossen Regenschauer, so dass die einzige Zufahrtsstraße zu einer Schneise aus Morast geworden war, in der die Kutsche des Inquisitors mehrmals liegen blieb.
Wulsein im Wald bestand aus nicht viel mehr als einer trostlosen Ansammlung geduckter Steinhäuser und Hütten, die sich am Fuße der Burg in ein namenloses Tal zwängte. Die Unwetter der letzten Tage hatte einige Dächer zum Einsturz gebracht, und auch der Dachstuhl der kleinen Kirche im Ort – ein schlichter, romanischer Bau ohne jeden Schmuck – wies erhebliche Schäden auf.
Wie ein einsamer, kleiner Stern am Nachthimmel, war der Gasthof zum guten Hirten der einzige Fleck in Wulsein, an dem so etwas wie Geselligkeit und Frohsinn existieren mochte. Frohsinn jener Art wohlgemerkt, der einem Geistlichen wie Jakob von Aicha natürlich verwehrt blieb.
Das Verhör der Zigeuner förderte indessen wenig mehr zu Tage, als Aegidius Bericht bereits zu entnehmen war, und der Inquisitor beschloss in einem Anflug von Überdruss, die Fremden der Gerichtsbarkeit des Dorfbüttels zu übergeben. Sollte dieser doch mit dem gottlosen Geschmeiß fertig werden, das vom Osten her ins Reich strömte.
Da die Tochter des Köhlers bewusstlos blieb, ließ Jakob sie von einigen Dörflern hinauf zur Burg bringen. Dann machte er sich selbst auf den Weg, die geheime Opferstätte in Augenschein zu nehmen. Als er eintraf, fand er alles genauso vor, wie man ihm geschildert hatte. Der Leichnam Elias‘ im Astwerk eines Baums, die Luke im Boden, die Treppe in die Tiefe und der abscheuliche Schlangengötze in einem Meer aus Gewürm.
Befehle wurden erteilt, und Jakob wies Aegidius an, eine detaillierte Zeichnung des Ortes anzufertigen, die ebenfalls an den Hof des Bischofs ging. Die Gebeine wurden sorgsam aus der Grotte geborgen und für den Transport nach Innsbruck vorbereitet, wo eine Kongregation über ihren Wert als Reliquien bestimmen sollte. Dann legte man Feuer in der Kaverne und wartete, bis alles darin vernichtet war.

Nach der Abendvesper in Wulsein kehrte Jakob zurück auf die Festung, um sich dem Verhör von Anna zu widmen.
Als er durch die niedrige Tür in das Verlies trat, funkelte ihn das Mädchen auf der Pritsche mit wilden Augen an. Überhaupt wirkte ihre ganze Erscheinung ungezähmt und unterschied sich deutlich von der gedrungenen Statur der gewöhnlichen Talbewohner.
Ihr Haar war flachsblond und stand in wilden Strähnen vom Kopf ab. Unter dem gelben Schopf blitzten die Augen, blau und eisig wie ein Gletschersee. Ihr Gesicht war auf unnatürliche Weise schön und trug trotzdem Spuren einer animalischen Natur, die Jakob Unwohlsein bereitete. Sie war größer als er selbst und noch dazu ungewöhnlich kräftig für ein Weib dieser Gegend. Der Inquisitor ahnte, dass dies kein gewöhnliches Verhör werden würde. Er schlug ein Kreuz in die Luft und nahm auf einem Schemel Platz. Über der Pritsche kauerte ein Schmerzensmann in einer Mauernische und blickte vorwurfsvoll auf ihn herab.
„Nun Anna. Das ist doch dein Name, oder? Anna die Köhlerstochter?“
Das Mädchen schwieg.
„Ich bin Vater Jakob, entsandt vom Hof des Bischofs, um Wulsein zurück in den Schoß der Heiligen Mutter Kirche zu führen. Hast du schon von mir gehört?“
Als Antwort erntete Jakob wieder nur Schweigen und seine Worte hallten von den Wänden des Gewölbes wider. Aber das kümmerte ihn nicht. Verhöre dieser Art waren selten einfach und glichen am ehesten der Belagerung einer feindlichen Burg. Der Kunstgriff war es, die Mauern des Widerstands nach und nach abzutragen, Stein für Stein. Um dieses Handwerk auszuführen, hatte die Inquisition im Laufe ihres Bestehens ein breites Arsenal an Techniken und Verhörmethoden entwickelt, jede einzelne davon akribisch im Feld erprobt. Jakob war kein Freund der peinlichen Befragung, doch im äußersten Notfall schreckte auch er von den Vorzügen der Folter nicht zurück. Also ließ er einen Büttel zu sich kommen und zeigte Anna eine kleine Auswahl seines Instrumentariums. Der Anblick von Eisendorn, Zwinge, Messer und Zange schien den Starrsinn des Mädchens etwas aufzuweichen.
„Erzähl mir von der Höhle unter den Dielen eurer Hütte. Welchem Dämon dientest du dort unten?“
Die Stimme von Anna klang heiser, als sie antwortete. „Es gibt keine Dämonen unter meinem Haus, noch gibt es Dämonen, wie Ihr sie zu kennen glaubt. Was Ihr dort gesehen habt, ist der Herr dieses Landes.“
„Der Herr dieses Landes und aller Länder ist Jesus Christus, unser Herr und Gott. Leugnest du Gott und seinen eingeborenen Sohn?“, bohrte der Inquisitor nach, bemüht, seinem Tonfall sowohl Milde als auch väterliche Strenge zu verleihen.
„Ich leugne keinen Gott, aber ich diene allein dem Herrn des Landes.“ Trotz mischte sich in die Stimme des Mädchens.
„Und wer ist dieser Herr?“, wollte Jakob wissen. „Ist es der Schlangengötze aus der Grotte? Wem gehören die Knochen, die wir dort unten fanden?“
„Sie gehören dem Herrn. Alles hier gehört ihm. Er war schon hier, bevor ihr nach Wulsein kamt und meine Vorfahren vertrieben habt.“
Jakob zuckte zusammen. Was warf die Dirne ihm vor?
„Mädchen, ich habe niemanden vertrieben. Meine Aufgabe ist es, dem Treiben des Teufels Einhalt zu gebieten, ganz gleich in welcher Gestalt er in Erscheinung tritt. Die Schlange ist das ureigene Symbol des großen ...“
„Ihr seid ein Narr, Pfaffe“, fiel Anna ihm ins Wort. „Nicht Ihr habt meine Vorfahren vertrieben, sondern die endlose Schar an Männern, die Euch vorausgegangen sind. Völlig gleich, ob sie in Brünne oder Priestergewand daherkamen. Ich mache Euch daraus keinen Vorwurf, das ist der Lauf der Dinge. Lange vor Euch lebten andere Menschen in diesem Tal, herrliche Krieger, und ihr König hieß Alboin. Ihr edles Blut ist dünn geworden in den Strömen der Zeit, aber noch fließt ein Rinnsal durch diese Adern.“ Sie deutet auf sich selbst. „Meine Mutter gab all dies an mich weiter. Ich lernte das Wissen der Alten. Ich bin die letzte in dieser Reihe und bewahre es bis heute.“
„Und dein Vater? War Elias auch ein Hexer?“
„Er hatte nichts damit zu schaffen, obwohl er von allem wusste. Seine Vorfahren kamen aus dem Land der Böhmen hierher. Er beschützte mich und meine Mutter.“
Der wache Blick des Inquisitors verharrte für einen Moment auf dem gemarterten Heiland in der Mauernische. Das Mädchen schien aufrichtig zu sein, dazu mit einem Mal redselig, als habe sie sich mit den Konsequenzen ihres Tuns bereits abgefunden. War dies allein der angedrohten Folter zuzuschreiben?
„Warum hat sich Elias erhängt, wenn er euch doch ein so guter Beschützer sein wollte? Wir fanden seinen Leichnam vor der Hütte, kurz bevor man euch zu Füßen des Götzen ergriff. Willst du mir verraten, was dort passiert ist?“
Doch Anna schüttelte nur den Kopf, und ihre blonde Mähne flog dabei von einer Seite zur anderen. Jakob seufzte.
„Und dieser König Alboin, von dem du erzählt hast. Wer ist das? Ist er der Anführer eures Hexenzirkels?“
Jetzt entfuhr dem Mädchen ein lautes Lachen, so dass die goldene Kette auf ihrem Busen bebte. Es war kein fröhliches Lachen, sondern eines voller Verachtung und Hohn.
„Ihr versteht mich nicht, Jakob von Aicha. Ihr seht nur Hexen und Teufel am Werk, überall wo eure Füße den Staub dieser Erde berühren. Der Herr dieses Landes lacht über Euch und eure Engstirnigkeit. Er verflucht Euch. Die Schlangen der Erde werden sich erheben und Euresgleichen in den Abgrund reißen. Ihr werdet erfahren, was es heißt, die Hölle zu ...“
Der Schlag kam schnell und unerwartet. Jakob starrte auf seine Faust, dann auf den kleinen Blutstropfen, der von Annas aufgeplatzter Lippe perlte. Für einen kurzen Moment fühlte er eine merkwürdige Schuld; dann erlangte er die Fassung zurück.
„Wir werden sehen.“ Er rief den Büttel zu sich, der vor der Zellentür gewartet hatte, und gab ihm Anweisungen, das Foltergerät vorzubereiten. „Vielleicht kann Schmerz deinen Geist reinigen und deine Seele auf das Gericht Gottes vorbereiten. Du wirst für deine Ketzerei sterben. Aber das weißt du schon, nicht wahr?“
Anna spuckte vor ihm aus. „Ich weiß, welches Schicksal Euch bestimmt ist, Pfaffe. Ich habe es gewusst, von dem Moment an, als Ihr in diese Zelle kamt. Ich sah es ganz deutlich vor mir, so wie die Zeichen, die ich im Flug der Vögel oder im Astwerk der Bäume sehe. Seid Ihr mit Eurem Schöpfer im Reinen?“
„Genug jetzt mit dieser Blasphemie!“ Ungeduldig gab er dem Büttel ein Zeichen. „Beginnt mit den Daumenschrauben!“

„Hab Dank Aegidius, du kannst jetzt zu Bett gehen.“ Der Sekretär legte den Stapel Bücher ab, verbeugte sich hastig, und verschwand ohne weitere Fragen aus dem Kabinett seines Herrn. Jakob nahm einen Schluck Wein zu sich und seufzte schwer. Ihm brannten die Augen. Durch das Butzenglas der schmalen Fenster sah er den bleichen Schein des Mondes zwischen den Wolken schimmern.
Schon seit Stunden wälzte er alte Folianten aus der Bibliothek der Burg und seinen eigenen Beständen. Nachdem die Folter bei Anna keinerlei Erfolg gezeigt hatte, war er aufgewühlt und voller Fragen zurück in sein Gemach gekehrt. Einige Minuten verharrte er schweigend vor der herrlichen Silhouette der Regina coeli und dachte nach. Sie waren nicht zimperlich gewesen. Und doch schwieg das Mädchen zu allen Fragen ihrer Peiniger. Nur ein Satz verließ ihre Lippen, immer wieder, ganz gleich, ob sie die Haut ritzten, das Fleisch versengten oder mit eisernen Zangen ihre Fingernägel zogen.
„Er verflucht Euch! Der Herr des Landes verflucht Euch!“
Und nun suchte er nach einer Antwort in den antiken Schriften, die fleißige Mönchshände vor Jahrhunderten für die Nachwelt abgefasst hatten. Gott allein wusste um das Wissen, das so unscheinbar zwischen den wurmstichigen Buchdeckeln verborgen lag. Und bei den himmlischen Heerscharen, es war nicht immer christlich, was seine müden Augen darin lesen mussten.
Langsam brannte das Kaminfeuer herunter, doch nach mühevollem Studium wurde er endlich fündig.
Der besagte Foliant war eng mit karolingischen Minuskeln beschrieben und stellte eine Art Chronik der Besiedlung jener Region dar, zu der auch Wulsein gehörte. Mit zitternden Fingern blätterte Jakob in den Seiten des brüchigen Pergaments, dessen Inhalt aus der Feder eines italischen Mönchs namens Paulus Diaconus stammte. Letter um Letter transkribierte er das altertümliche Latein in eine lesbare Form, bis schließlich seine Augen auf einen vertrauten Namen stießen.
Alboin Rex!“ Jakob hielt inne. Mit einem Mal war sein Geist hellwach und er vergaß die späte Stunde und die Schwere seiner Lider.
Mit neu erwachtem Ehrgeiz übertrug er den Text auf frisches Pergament und sog das überlieferte Wissen des italischen Mönchs in sich auf.
Auch Bruder Paulus behauptete, von einem alten Volk abzustammen, das dereinst aus dem Norden nach Italien kam und dort sesshaft wurde. Es soll ein kriegerisches Volk gewesen sein, heidnische Barbaren, die alte Teufel verehrten und aufgrund ihrer langen Bärte vom christlichen Volk als Langobarden verspottet wurden. Ihr Heerführer hieß Alboin, und er gründete ein mächtiges Reich, das dem alten Rom an Glanz und Herrlichkeit ebenbürtig gewesen sei. Es reichte bis an die Alpen und Padua war seine Hauptstadt. Von hier herrschte Alboin als Halbgott über die unterworfenen Römer. Und obwohl er in Christi Namen getauft war, verfiel er den Irrlehren des Arius und stellte sich alsbald gegen die Eine und Heilige Katholische Kirche.
Oberflächlich und schwach soll Alboins Christentum gewesen sein, durchsetzt mit den abergläubischen Bräuchen und Vorstellungen, die den langen Weg nach Süden überdauert hatten. Die Langobarden mochten der heiligen Messe gelauscht und ihre goldenen Kreuze offen am Gewand getragen haben, aber in ihren Herzen blieben sie die schreckliche Heiden, die sie immer schon gewesen waren.
Auch Alboin opferte im Geheimen seinen Göttern, warf bei Vollmond das Los und wahrsagte aus Innereien und Vogelflug.
Jakob fröstelte, als er von den tiergesichtigen Götzen las, die in den verborgenen Hainen der Langobarden angebetet wurden. Pyramiden aus Schädeln hatte man zu ihren Füßen aufgetürmt und in den dunklen Wäldern, die ihre Kirchen waren, bogen sich die Äste schwer unter der Last der aufgeknüpften Menschenopfer. Durchs ganze Jahr waren heidnische Priester damit beschäftigt, die unheiligen Altäre der Götzen feucht zu halten. Doch die Andeutungen des Paulus Diaconus gingen noch weiter. Fast versagten Jakobs Nerven, als er die Vita des heiligen Bischofs Barbatus von Benevent überflog, aus der der Mönch zitierte.
„Heilige Mutter Gottes, steh mir armen Sünder bei … die Schlange!“ Erneut las er den Absatz, der seine Aufmerksamkeit so schrecklich in den Bann geschlagen hatte. Doch es bestand kein Zweifel. Der Text sprach von einem goldenen Idol, gekrönt mit dem Haupt einer riesigen Schlange. Der Heilige Barbatus kannte die dunklen Geheimnissen seiner Schäfchen und hatte das Idol in einer mondlosen Nacht gestohlen. Um seine dämonische Macht für alle Ewigkeit zu bannen, ließ er es einschmelzen und das gewonnene Gold zu Abendmahlskelchen gießen. Doch er musste geahnt haben, dass es noch viele weitere dieser Kultbilder gab. Zu viele, um sie alle aufzuspüren. Und einige überdauerten den Lauf der Jahrhunderte. Bis heute.
Staub wirbelte auf, als Jakob das Buch voller Schauder zuschlug. Das Mädchen sprach also die Wahrheit. Wie auch sonst konnte die Tochter eines armen Köhlers, die weder des Lesens noch des Schreibens mächtig war, von diesen Dingen wissen? Und das Idol, das er mit eigenen Augen gesehen hatte? War es nicht von gleicher Form, wie jenes, das der Heilige Barbatus aus dem Hain der Langobarden stehlen und einschmelzen ließ? Er musste mehr von Anna in Erfahrung bringen, wollte er die dichten Nebelschleier der Vergangenheit beiseite wischen und ans Licht zerren, was dahinter seit Urgedenken verborgen lag. Der morgige Tag würde die Antwort bringen.

Sphärische Klänge drangen von fern an Jakobs Ohr. Der Inquisitor wusste weder, wie er an diesen Ort gekommen war, noch, wo sich dieser Ort befand. Er stand auf einem kargen Plateau, dessen zerklüftete Flanke zu seinen Füßen steil abfiel. Weit unter ihm floss ein breiter Strom dahin, und sattes Palmgrün säumte die Ufer. Es war ein warmes Land, und obwohl die Sonne hoch am Himmel stand, spürte Jakob keine Hitze. Fern am Horizont ragten mächtige Bauwerke empor und er entsann sich, deren Formen schon einmal in der Aufzeichnung eines greisen Pilgers gesehen zu haben. Es waren Pyramiden, die uralten Grabmäler ägyptischer Könige.
Dann erspähte er die Quelle der merkwürdigen Klänge. Eine Reihe schmaler Boote trieb den Fluss hinab. Sie alle waren festlich geschmückt und erinnerten an eine prunkvolle Prozession zu Wasser. Auf den Booten drängten sich fremdartige Menschen mit dunkler Haut und noch dunkleren Augen. Sie spielten auf Instrumenten, die Jakob nicht kannte, und tanzten dazu in einem wilden Reigen. Und mehr als das.
Alles an diesem unheiligen Festzug schien auf ein großes Boot inmitten der kleineren Gefährte ausgerichtet zu sein, einer Barke, die an Pracht und Schönheit die anderen noch weit übertrumpfte.
Bug und Heck waren mit zahlreichen farbigen Ornamenten geschmückt und hier und dort glitzerten große Juwelen im Licht der Sonne. An Deck brannten Opferfeuer und ihr Rauch umhüllte die Silhouette einer massiven Figur, die zwischen zahlreichen Gaben aus Gold und Silber thronte. Doch bevor der Qualm sich verflüchtigte und Jakob einen Blick auf das Kultbild werfen konnte, verschwamm die Szene vor seinen Augen und veränderte ihr Aussehen.
Wo eben noch gleißender Sonnenschein aus dem Firmament brannte, funkelte jetzt ein riesiger Vollmond durch eine Reihe antiker Säulen. Über Jakobs Haupt spannte sich die hohe Decke eines Tempels, dessen Überreste er von einer seiner eigenen Reisen nach Rom nur allzu gut kannte. Im Gegensatz zu den Ruinen seinen Erinnerung, war der Tempel nun völlig intakt und erstrahlte wie zu Kaiser Augustus Zeiten in ursprünglicher Pracht. Dabei war es ein unscheinbares Heiligtum, nahezu klein im Vergleich mit den gewaltigen Gotteshäusern von Jupiter und Mars Ultor.
Verwundert wanderte Jakob in der Halle umher und ließ seinen Blick über Fresken und verworrene Muster aus Weinlaub und Mäander schweifen. Irgendwo außerhalb des Tempels plätscherte ein Brunnen verschwiegen in die Dunkelheit.
Der scharfe Duft von Weihrauch, Schweiß und einer weiteren, süßlichen Note, die er nicht zu erkennen vermochte, lockte ihn schließlich eine Treppe hinab, die sich wie aus dem Nichts vor ihm auftat. An ihrem Ende stieß er auf andere Menschen, Frauen wie Männer, die zu Füßen einer Statue auf den Boden knieten und beteten. Sie alle trugen Kleidung, die er am ehesten als Nachtgewand bezeichnet hätte, doch ihre Gesichter lagen hinter hölzernen Tiermasken verborgen. Fackeln an den Wänden spendeten spärliches Licht und ihr Schein ließ den Boden wie vor Nässe glänzen. Instinktiv kniete Jakob nieder. Als seine Hände den Marmor berührten, erkannte er, dass der Eindruck von Nässe mitnichten vom Licht der Fackeln rührte. Der Boden war feucht vor Blut.
Erschrocken hob er den Kopf. Doch noch bevor er seinen Blick auf das Standbild am Ende der Krypta richten konnte, veränderte sich die Szene erneut. Ihm schwindelte, und es war ihm, als flöge er in großer Höhe über eine endlose Abfolge rätselhafter Geschehnisse hinweg, deren wahre Bedeutung er höchstens erahnen, aber nicht begreifen konnte. Phantastische Städte wuchsen vor ihm in den Himmel und verfielen wieder zu Staub. Zwei Heere kleinwüchsiger Tiermenschen lieferten sich eine gewaltige Schlacht. Ein greiser König kniete an einem Meer, dessen blutrote Wellen tosend an das Ufer brandeten. Eine grüne Kugel von enormer Größe trieb durch die Schwärze eines endlosen Raums. Dann spürte Jakob wieder festen Boden unter seinen Füßen.
Noch immer war es tiefe Nacht, doch dieses Mal stand er unter freiem Himmel in einem Wäldchen aus Olivenbäumen. Wieder tauchte der Schein eines prallen Mondes die Landschaft um ihn herum in kaltes Licht. Es roch nach trockenem Holz, warmem Stein … und verwesendem Fleisch.
Irritiert schaute Jakob nach oben und erblickte zu seinem Erschrecken mehrere leblose Körper, die an groben Stricken von den Ästen der Bäume hingen. Im Nachtwind schwangen sie sanft hin und her. Panik erfasste ihn, und so hastete er einen schmalen Pfad entlang, von dem er hoffte, dass er ihn von diesem Ort des Todes fortführen mochte. Doch als das Unterholz plötzlich vor ihm aufbrach, sah er sich einem weitaus groteskeren Unheil gegenüber.
Eine große Gruppe seltsam gewanderter Gestalten stand auf der Lichtung inmitten des Wäldchens und starrte ihn an. Blondes oder rotes Haar fiel in langen Strähnen auf ihre Schultern und ihre Körper waren von bemerkenswerter Größe. Obwohl sie in kostbare Stoffe gehüllt und mit Geschmeide aus Gold behangen waren, konnte der Schmuck nicht über die animalische Wildheit ihrer Gesichter hinwegtäuschen - und Jakob bemerkte, dass er einen schwachen Schatten dieser wilden Züge auch auf dem so sonderbar schönen Antlitz der Köhlertochter gesehen hatte.
Die Menschen, deren nächtliche Zusammenkunft er so stürmisch unterbrochen hatte, standen im Halbkreis um einen Altar, der wenig mit der prächtigen Sakralkunst christlicher Mensen gemein hatte. Es war ein primitiver Steintisch, dessen raue Oberfläche eine beunruhigend dunkle Färbung aufwies. Doch weitaus beunruhigender war das Ding, das sich hinter dem Altar dem Mond entgegen reckte. Es war der goldene Schlangengötze aus der Hütte des Köhlers - das verfluchte Idol, das vier unglückselige Zigeuner durch Zufall unter den Brettern des Hüttenbodens entdeckt hatten. Verstohlen blitzten ihn die rubinroten Augen an und Jakob war es, als ob sie ihm direkt in die Seele starrten. Und plötzlich wusste er, aus welchem Schlund diese Schlange einst gekrochen war. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Donnerschlag.
Dieser Götze war älter als die Langobarden, ja sogar älter als das alte Rom und Memphis mit seinen sagenumwobenen Tempeln und Obelisken. Das barbarische Volk aus dem Norden hatte die Standbilder des namenlosen Gottes lediglich aus den Ruinen der römischen Zivilisation geborgen und in ihre eigene, von bösen Geistern und Dämonen beseelte Vorstellungswelt integriert. So, wie viele Jahrhunderte zuvor schon die Römer selbst den Glauben an die Schlange aus Ägypten nach Italien brachten. Es war dieses Bildnis, das er in der fackelbeschienenen Krypta des Tempels gesehen hatte. Genau, wie es die gleiche Schlange war, die inmitten der vorzeitlichen Flussprozession auf ihrer prächtigen Barke thronte. Als wäre sie schon immer da gewesen. Und nur Gott im Himmel mochte wissen, aus welchen vergessenen Abgründen der Geschichte die alten Ägypter diesen Dämon einst gehoben hatten.
Starke Arme griffen nach Jakob und packten ihn. Er schrie laut, als man ihn auf den Altar zerrte und mit groben Stricken band. Doch seine Rufe verhallten ungehört in der Nacht einer vergangen Zeit. Über ihm wölbte sich der Mond gewaltig aus dem nächtlichen Firmament und drohte, das Himmelszelt zu zerreißen. Die murmelnden Stimmen um ihn herum schwollen zu einem rhythmischen Gesang an. Ekstatisches Kreischen mischte sich mit der groteske Melodie und die Schatten wild zuckender Körper fielen auf das Gesicht des Inquisitors. Auf dem Höhepunkt des kakofonischen Reigens bemerkte er eine Bewegung am Rand seines Blickfelds. Er neigte den Kopf so gut es ging zur Seite und riss die Augen auf.
Das letzte, was Jakob von Aicha, demütiger Diener der Einen und Heiligen Katholischen Kirche sah, war der mächtige Kiefer der goldenen Schlange, der sich geifernd um seinen Schädel schloss.

Anna aus Wulsein, Tochter des Köhlers Elias aus Wulsein, starb am 25. Oktober im Jahre des Herrn 1416 in den reinigenden Flammen des Scheiterhaufens. Die Dörfler sagten, dass sie die Qual des Feuertods ohne Regung über sich hatte ergehen lassen. Andere wiederum tuschelten, dass sie von Beginn der Hinrichtung bis zu ihrem Tode geheimnisvoll lächelte. Ihre Asche wurde auf uneingeweihter Erde verstreut und schon bald von Wind und Regen hinfort getragen.
Was den Inquisitor Jakob von Aicha anbelangte, so konnte dieser die Hinrichtung der Hexe nicht mehr mitverfolgen. Er starb in der Nacht nach der Festnahme der Köhlerstochter in seinem Bett. Als Aegidius nach dem Bader schicken ließ, konnte dieser nur noch die Spuren einer unbekannten Vergiftung feststellen. Weder er, noch der junge Sekretär sahen die beiden kleinen Einstiche im Nacken des Verstorbenen, noch entdeckten sie, dass der zierliche Fuß der wunderschönen Regina coeli, die der Priester zu Lebzeiten so sehr verehrt hatte, nicht mehr länger auf dem Leib einer geschnitzten Schlange stand ...

 
Zuletzt bearbeitet:

Vorab möchte ich mich erstmal bei allen mitlesenden Tirolern für die hier getätigte Darstellung entschuldigen. Tirol ist wunderschön und seine Menschen sind optisch genauso breit aufgestellt, wie in allen anderen Ländern auch. Die hier getätigte Darstellung dient allein dem Ambiente.

So, nach langer Zeit mal wieder ein Beitrag im KuGi-Bereich. Die Idee zu dieser Geschichte geisterte mir schon eine ganze Weile im Kopf herum. In ihr habe ich historische Daten und Begebenheiten mit frei Erfundenem oder Verändertem angereichert. Der historische Anspruch gilt für die herrschenden Monarchen, und auch der Bericht des Paulus Diaconus über die Langobarden ist echt. Der Schlangengötze aus der Heiligen-Vita ist bis heute umstritten: einige sagen, dies sei Propaganda der Katholiken gegen die arianischen Langobarden gewesen, anderen wiederum verweisen auf Schlangenkulte in anderen germanischen Volksgruppen. Am Ende war es aber eine schöne Grundlage für diese klassische Horrorstory.

 

Hallo Exilfranke,

da stimme ich Dir zu: Es ist eine schöne Grundlage für eine Horror-Geschichte.
Eine KG ist Deine vom Umfang her aber nicht mehr, oder? Es ist auch zu viel Stoff/Inhalt für eine KG, finde ich.
Habe Deine Geschichte gerne gelesen, weil Du gut schreiben kannst und auch entsprechend recherchiert hast. Nur wenige historische/Logikfehler habe ich gefunden, z.B., daß ein Junker die Folterwerkzeuge herbeibringt, das wäre unter der Würde eines Ritters gewesen, eher ein Büttel oder eben Folterknecht. Dann, daß sich der Inquisitor das Wort nehmen lässt oder persönlich zuschlägt, daß die "Hexe" noch ihren Goldschmuck trägt und daß die Folter ohne Grund angewandt wird (es gab ja keine offenen Fragen?).
Ich bin ein großer Fan von (guten) Mittelalter-Horrorgeschichten (und Filmen), wenn Du noch sowas schreibst, dann werde ichs auf jeden Fall lesen.

 

Hallo Exilfranke,

da stimme ich Dir zu: Es ist eine schöne Grundlage für eine Horror-Geschichte.
Eine KG ist Deine vom Umfang her aber nicht mehr, oder? Es ist auch zu viel Stoff/Inhalt für eine KG, finde ich.
Habe Deine Geschichte gerne gelesen, weil Du gut schreiben kannst und auch entsprechend recherchiert hast. Nur wenige historische/Logikfehler habe ich gefunden, z.B., daß ein Junker die Folterwerkzeuge herbeibringt, das wäre unter der Würde eines Ritters gewesen, eher ein Büttel oder eben Folterknecht. Dann, daß sich der Inquisitor das Wort nehmen lässt oder persönlich zuschlägt, daß die "Hexe" noch ihren Goldschmuck trägt und daß die Folter ohne Grund angewandt wird (es gab ja keine offenen Fragen?).
Ich bin ein großer Fan von (guten) Mittelalter-Horrorgeschichten (und Filmen), wenn Du noch sowas schreibst, dann werde ichs auf jeden Fall lesen.


Lieber Florio,

ich hatte schon nicht mehr mit einer Rückmeldung gerechnet, von daher freue ich mich sehr, dass dir die Geschichte gefallen hat. Was den Umfang anbelangt, so teile ich deine Befürchtung. Dabei habe ich schon sehr gestrafft und gekürzt, bevor ich sie hier einstellte. Ich persönlich täte mich schwer damit, einen so langen Fließtext am Monitor zu lesen. Rein formal (ich habe eben nachgeguckt, knapp 16 Normseiten) geht die Story wohl noch als KuGi durch, ist auf den Forendurchschnitt hin betrachtet aber sehr lang. Insofern ein großes Dank von meiner Seite aus, dass du sie durchgelesen hast.

Deine Verbesserungsvorschläge habe ich bereits eingearbeitet: Der Junker ist jetzt ein Büttel, die goldene Kette braucht es nicht. Ob und wie ich die Folterszene bearbeite, muss ich nochmal drüber schlafen. Letzten Endes resultierte die angewandte Folter aus den nicht zufriedenstellenden Antworten von Anna, die Jakob rätselhaft und vage blieben.

Momentan bin ich mit meinem Roman-Projekt gut ausgelastet, von daher befürchte ich, dass Der Herr des Landes in absehbarer Zeit die einzige KuGi von mir bleiben wird. Sollte ich wieder in dem Feld schreiben, lasse ich es dich gerne wissen.

Einen schönen Start in die Woche!

x-Franke

 

Lieber Exilfranke!

Eine wirklich spannende Historik-Schauergeschichte.

Obwohl es bei solchen Geschichten, zumal es hier auch um Glaubens- und Aberglaubensfragen geht, viel Anlass zu Ironie gibt, hast du hier einen durchgängig neutralen Ton getroffen.

Es gibt kaum etwas zu bemängel. Der Einstieg ist schon ein wenig schwierig. Du könntest mal versuchen, da etwas anders zu sortieren und mit diesem Gedanken anfangen:
Wie eine Strafe Gottes war es ihm gewesen, als ihn sein Bischof als Inquisitor nach Wulsein im Wald geschickt hatte, von dem es hieß, dass Teufel und Hexen hier ihr schändliches Werk vollbrachten.
Den inneren Konflikt: Wunschvorstellung gegen Gehorsam voranstellen und dann die Örtlichkeit beschreiben:
Kerzenlicht erhellte das Gemach und warf flackernde Schatten auf die kostbaren Tapeten aus Samtbrokat. … usw.

Das Gold scheint mir verloren. Wäre es nicht im Interesse der Kirche gewesen, dieses ihren Schätzen hinzuzufügen?

Gern gelesen

 

Hallo Exilfranke

Annähernd im Stil der Origo gentis, erzählst Du uns Lesern eine frei erfundene Sage, die in der Erzählform durchaus in die geschilderte Zeit passt. Ich habe das Geschehen mit Interesse verfolgt und mich an den Details erfreut, welche es mir ermöglichte Bilder davon vor dem inneren Auge zu erschaffen. Zwar war es mir nicht zwingend spannend, aber vor der gezeichneten „historischen“ Kulisse doch unterhaltsam. ;)

Es kamen mir nur wenig kritische Gedanken zur Darlegung, meist lösten sich gedankliche Einwendungen auf, bevor ich dazu kam sie tiefer zu hinterfragen. Doch zwei Punkte blieben mir noch haften, nicht allzu wesentlich, doch beim Lesefluss ein Zögern verursachend:
Im einleitenden Satz sprichst Du von Tapeten aus Samtbrokat. Waren es nicht eher Wandbespannungen als denn Tapeten? Letztere wurden schon damals mit Leim aufgeklebt, was mir bei Brokat nicht nur frevlerisch, sondern auch handwerklich schwieriger erscheint.
Das andere war die Sprache von Anna, die gegenüber den Zigeunern sich in unverständlichen Lauten artikulierte. Dem Inquisitor gegenüber gab es dann keine Sprachprobleme. Die ungarischen Zigeuner hingegen sprachen Deutsch, was dem Sekretär gegenüber schwer verständlich war. Hier konnte ich nicht recht abschätzen, woran sich diese babylonische Verwirrung aufbaute.

Noch drei Kleinigkeiten, die sich mir beim Lesen abhoben:

Seine Vorfahren kamen [aus] dem Land der Böhmen hierher.

Dieser Götze war älter als die Langobar[d]en, ja sogar älter als das alte Rom und Memphis mit seinen sagenumwobenen Tempeln und Obelisken.

Die Dörfler sagten, dass sie die Qual des Feuertods ohne Regung über sich ergehen hatte lassen.

Die Dörfler sagten, dass sie die Qual des Feuertods ohne Regung über sich hatte ergehen lassen.

Bei den gewählten Stichworten wirkt mir Horror eher etwas fremd, auch wenn das Geschehen sich gruseliger Elemente nicht völlig entzieht und die Klassierung doch eine flexible Bandbreite hat. Dies ist keine Kritik, es fragt sich dabei einzig, ob eingefleischte Leser dieser Spezies sich darin finden werden?

Schöne Grüsse

Anakreon

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin Asterix,

keine Gallier hier, dafür Langobarden! Und: Danke fürs Lesen und Kommentieren, ich weiß das zu schätzen.

Obwohl es bei solchen Geschichten, zumal es hier auch um Glaubens- und Aberglaubensfragen geht, viel Anlass zu Ironie gibt, hast du hier einen durchgängig neutralen Ton getroffen.

Schön, dass dir das aufgefallen ist. Es wäre einfach und auch wirklich überstrapaziert gewesen, den Inquisitor als antiklerikales Zerrbild auftreten zu lassen. Da die Geschichte aber keinen Helden hat, wählte ich das Mittel einer eher distanzierten Betrachtung. Nur den armen Langobarden, denen tat ich natürlich eher unrecht. Kriegerisch waren die schon, aber sicher keine zauberwirkenden Dämonen-Diener. Nach allem, was wir wissen, sind die Kerls recht fix zum Christentum konvertiert und haben das auch sehr stolz gezeigt. Also sorry dafür.

Es gibt kaum etwas zu bemängel. Der Einstieg ist schon ein wenig schwierig. Du könntest mal versuchen, da etwas anders zu sortieren und mit diesem Gedanken anfangen:

Das bereitet mir Kopfzerbrechen. Der Einstieg ist sehr konstruiert (wie das oft mit Einstiegen ist) und sicher nur schwer aufzubrechen, ohne etwas fallen zu lassen. Spontaner Einfall wäre eine Umstellung. Funktioniert das so besser?

"Kerzenlicht erhellte das Gemach und warf flackernde Schatten auf die kostbaren Tapeten aus Samtbrokat. Mit andächtiger Mine kniete Jakob von Aicha vor einem Gnadenbild Mariens, der Gottesmutter, und lächelte. Doch er war weder in frommer Andacht, noch im nachlässigen Gebet versunken. Vielmehr erfreuten sich seine Gedanken an der Schönheit der Handwerkskunst, die in Figur und Gesicht der Gottesmutter so formvollendet Gestalt angenommen hatte. Ja, dieses Bildnis war ein Kleinod, wie man es in diesen freudlosen Tälern kein zweites Mal finden würde.
Wie eine Strafe Gottes war es ihm gewesen, als ihn sein Bischof als Inquisitor nach Wulsein im Wald geschickt hatte, von dem es hieß, dass Teufel und Hexen hier ihr schändliches Werk vollbrachten.
Doch was hatte er stattdessen vorgefunden? Ein paar verstreute Waldenser, Verführte höchstens, deren Glaube durch einen Mangel an kirchlicher Zuwendung verkümmert und missgeformt war. Einen Priester, der mehr dem Wein als der Predigt zugetan war. Und ein Haufen ungebildeter Dörfler, die ihn wie den Heiland höchstselbst beäugten, wann immer er einen Fuß auf die schlammige Straße der Siedlung setzte. Nein, es gab wenig zu lachen, in diesem Elend aus Schatten und Geistlosigkeit.
Viele Sommer waren vergangen, seit er hierher gekommen war, im Jahre des Herrn 1407, dem siebten Jahr der Herrschaft König Ruprechts III. Doch Ruprecht war lange tot und ein anderer hatte nach der deutschen Krone gegriffen, ein Heißsporn aus dem Hause Luxemburg. Der Blick des Luxemburgers war nach Osten gerichtet, dorthin, wo der Deutsche Orden jüngst von den Barbaren Livlands so schändlich geschlagen wurde. Und auch Jakob drängte es danach, seine Tätigkeit an einen Ort zu verlegen, der mehr im Fokus des Weltgeschehens lag.
Schon längst war er den lichtlosen Tälern Tirols überdrüssig geworden, konnte ihn nicht mehr sehen, diesen gebückten und dunklen Menschenschlag, der hier fernab des herzoglichen Innsbrucks ein kärgliches Dasein fristete.
Und so kam es, dass sich Jakob von Aicha, wann immer er nur konnte, in die wohlige Anschauung der Gottesmutter begab. Sie war ihm Trost und Hoffnung zugleich, und zu diesem Zwecke hatte er sie über die Alpen hergeschafft.
"

Das Gold scheint mir verloren. Wäre es nicht im Interesse der Kirche gewesen, dieses ihren Schätzen hinzuzufügen?

Um es einzuschmelzen für güldene Messpokale? Ich weiß nicht, ob das zu Jakobs eher franziskanischer Veranlagung passt. Damit würde ich sicher auch ein wenig mehr die mir auferlegte Neutralität verletzen. Sicher wäre eine solche Kette schon weitaus früher von einem der Dörfler genommen worden.

Ich habe mich über dein positives Feedback sehr gefreut! Vielleicht mache ich nochmal einen Ausflug in den KuGi-Bereich.

Exilfranke

Lieber Anakreon,

Dein ausführlicher Kommentar verlangt nach einer ausführlichen Antwort. Das kann ich erst später bewerkstelligen, da ich jetzt aufs Tablet switche und zur Uni fahre. Bitte noch etwas Geduld. Danke!:)

 

Lieber Exilfranke!

Den überarbeiteten Anfang kannst du nehmen. Liest sich besser.

Ich bin ein Verfechter des zündenden ersten Satzes, daher kam meine Anmerkung.

Lieben Gruß!

 

Lieber Exilfranke,
Heilige und Hure – so setzte sich so manches Frauenbild im 19. Jahrhundert zusammen. Wir begegnen der Regina Coeli, vielleicht mehr als Geldobjekt als als Heilige, in einer nächtlich-schaurigen Stimmung (Schauerromantik lässt grüßen) mit dem Jakob von Aicha im intimen Gebet. Angesichts der Harmlosigkeit der Bevölkerung von Wusein (Wohlsein) scheint es übertrieben, einen Inquisitor dorthin zu schicken. Was blieb dem Armen anderes übrig, als es sich mit der Jungfrau Maria wohlsein zu lassen („wohlige Anschauung der Gottesmutter“). Erinnert natürlich an die erotisch gefärbte Szene im „Namen der Rose“ (Ubertin von Casale).
Die Tochter des Elias (das ist der Prophet, der im Feuerwagen gen Himmel fuhr), übrigens mit dem Namen der Großmutter von Jesus mütterlicherseits (also Mutter Marias) ausgestattet, der Schönheit und Liebreiz bedeutet, also Anna, steht im Verdacht, eine Hexe zu sein.
Unter den Dielenbrettern des Bodens in ihrem Haus habe man eine Höhle entdeckt, in der inmitten von Nattern und Menschengebeinen eine Statue steht, ganz in Gold mit einem Schlangenkopf. Gleich daneben betet Anna.
In dem Verhör vertritt Anna die Tradition aus der Zeit des Königs Aboin, dessen letzte Nachkomme sie ist. Dieser ist der Herr des Landes. Nachforschungen haben ergeben, dass die Aussagen des Mädchens historisch belegt sind.
Anna soll weiter verhört werden, aber es kommt trotz Folter nichts heraus. In der Nacht nach dem Verhör träumt Jakob davon, wie er auf dem Altar älterer Religionen geopfert wird.
Und er stirbt an einer Vergiftung.
Die Schlange, auf der die Marienstatue gestanden hat, ist verschwunden. Anna wird hingerichtet.
Es ist alles in der Geschichte, was zu einem Mittelalterepos gehört. Dabei ist dir die Stimmungsschilderung gut gelungen (1. Szene). Die Schilderung der Lebensumstände von Anna kommt zu kurz. Allerdings hast du ihr Verhalten bei den Verhören gut herausgearbeitet. Die Entdeckung durch die Zigeuner und die Gefangennahme sind etwas zu lang geraten im Verhältnis zu den anderen Teilen.
Sachlich souverän, dem Genre angemessen entwickelst du ein anschauliches Bild von Elementen mittelalterlichen Lebens. Deine Sprache ist flüssig, klar und eindeutig; sie ist angenehm zu lesen.
Auch wenn es juckt: In die weitere Tiefe sollen andere graben, und da gibt es noch einiges zu holen.
Hüte dich vor Hexen und Schlangenbissen
Fröhlichst
Wilhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Anakreon,

danke fürs Lesen und deine freundlichen Worte.

Annähernd im Stil der Origo gentis, erzählst Du uns Lesern eine frei erfundene Sage, die in der Erzählform durchaus in die geschilderte Zeit passt. Ich habe das Geschehen mit Interesse verfolgt und mich an den Details erfreut, welche es mir ermöglichte Bilder davon vor dem inneren Auge zu erschaffen. Zwar war es mir nicht zwingend spannend, aber vor der gezeichneten „historischen“ Kulisse doch unterhaltsam

Klasse. Rein aus Interesse würde ich die fehlende Spannung gerne einmal festmachen, nur für den Fall, dass ich es das nächste Mal besser machen möchte. Ist das Ende vorhersehbar? Oder liegt das Problem darin, dass ich noch zu zahm mit meinen Charakteren umgehe? Vielleicht ist diese Art von "Schauer-Geschichte" auch einfach eine Spur zu altbacken, um noch wirklichen Nervenkitzel hervorzurufen. Bin ja nicht wirklich vertraut mit moderner Horrorliteratur.

Im einleitenden Satz sprichst Du von Tapeten aus Samtbrokat. Waren es nicht eher Wandbespannungen als denn Tapeten? Letztere wurden schon damals mit Leim aufgeklebt, was mir bei Brokat nicht nur frevlerisch, sondern auch handwerklich schwieriger erscheint.

Ich meine, an diesem Punkt meiner Arbeit, über die Entwicklung der Tapete zu Beginn der Renaissance gelesen zu haben ... aber du hast Recht: Dein Vorschlag mit der Wandbespannung gefällt mir auch besser. Klingt einfach runder. So besteht die Gefahr, gleich zu Beginn aus dem Setting zu fliegen.

Das andere war die Sprache von Anna, die gegenüber den Zigeunern sich in unverständlichen Lauten artikulierte. Dem Inquisitor gegenüber gab es dann keine Sprachprobleme. Die ungarischen Zigeuner hingegen sprachen Deutsch, was dem Sekretär gegenüber schwer verständlich war. Hier konnte ich nicht recht abschätzen, woran sich diese babylonische Verwirrung aufbaute.

Ist vermerkt und wird nochmal einer Überarbeitung von mir angefügt. Wäre ich damit vertraut, ich täte sie gerne ein paar Sätze gebrochenes "langobardisch" reden lassen.

Bei den gewählten Stichworten wirkt mir Horror eher etwas fremd, auch wenn das Geschehen sich gruseliger Elemente nicht völlig entzieht und die Klassierung doch eine flexible Bandbreite hat. Dies ist keine Kritik, es fragt sich dabei einzig, ob eingefleischte Leser dieser Spezies sich darin finden werden?

Gute Frage, Anakreon. Ich bin mit modernem Horror kaum vertraut, vor allem nicht auf Basis längerer Geschichte. Ich kenne Clive Barker. Stephen King schreckt mich durch seinen Stil ab. Thomas Ligotti liegt mir sehr ... aber ist das noch modern? Ich habe früher viel Lovecraft gelesen, das mag sicher durchscheinen. Bei Lovecraft steht der Meta-Horror ja über allem. Nicht die Geschichte ist gruselig, sondern die darum entworfenen Kosmologie mit all ihren Konsequenzen. Für unsere modernen Lesegewohnheiten ist das natürlich heute etwas angestaubt. Am Ende des Tages geht es bei mir um eine Hexe mit langer "Traditionslinie", die eben Rache durch eine Verwandlung von Fleisch in Materie nehmen kann. Ob das Motiv rüberkam, dass Elias' Tod durch Erhängen dafür Bedingung war? Ich denke nicht. Das ist nicht wirklich gruselig, seltsam vielleicht, phantastisch ja. Von daher stimme ich dir zu. Jemand, der hier Horror sucht, könnte am Ende enttäuscht sein, "nur" eine historisches G'schichterl mit phantastischen Elementen zu finden. Sofern es dir als Mod also möglich ist, darfst du den Horror gerne entfernen. Danke für den Hinweis.

Besten Gruß!

Exilfranke

 

Hallo Exilfranke

Rein aus Interesse würde ich die fehlende Spannung gerne einmal festmachen, nur für den Fall, dass ich es das nächste Mal besser machen möchte. Ist das Ende vorhersehbar? Oder liegt das Problem darin, dass ich noch zu zahm mit meinen Charakteren umgehe?

Hm, ganz einfach beantworten lässt sich dies nicht, da es immer auch von der Handlung abhängt. Ich denke, dass Spannung für den Leser sich etwa aus offenen Fragen oder auch Szenen, in denen ein Mitfiebern sich einstellt, solche Momente erzeugen. Bei Geschichten mit klassischen Themen lässt sich der Ausgang meist eher annähernd erahnen, was derselben jedoch kein Abbruch tun muss. Es kommt da wohl drauf an, wie die Handlungen dosiert alarmierend auftreten. Dies hast Du durchaus getan, doch vielleicht hätte es ein wenig mehr Vertiefungen vertragen. Wenn ich etwa an kritische Szenen wie die des Erhängten denke, oder das Geschehen in der Gruft mit dem Götzen und den Schlangen, da böten sich Momente für Angst und Schrecken. Ob ich etwas spannend wahrnehme, schuldet es natürlich meiner Subjektivität, die nur für mich spricht. Für Asterix war es spannend, wenn ich mich recht erinnere. So mag es durchaus sein, dass Leser welche Sagen und Legenden des Mittelalters bevorzugen, darin eine faszinierende Spannung entdecken.
Ich habe noch kurz bei Fritz Gesing nachgeschlagen, der sich in einem Buch über Kreativ schreiben ausliess. Zu Spannungserzeugung schrieb er u. a.: “Sie wird dann am angenehmsten empfunden, wenn sie, erstens, ein mittleres Maß an Aktivierung erzielt und, zweitens, rhythmisch erfolgt.
Dies bedeutet, daß zu geringe Aktivierung Langeweile und Monotonie nach sich zieht, zu hohe jedoch Überanspannung und Streß. Und dementsprechend zielt der Rhythmus auf Abwechslung, auf eine Wellenbewegung von Anspannung und Abspannung, von Bewegung und Ausruhepause.“
Zur Orientierung am Geheimnis, was hier tragend sein könnte, bemerkt er: „Im Zurückhalten von Informationen, Verrätseln und erzeugen von suspens (= schwebende Ungewissheit) besteht die klassische Methode […].“

Zum Thema und Stichwort Horror muss ich eingestehen, dass ich noch weniger professionelle Literatur als Du dazu kenne, obwohl ich ein paar Geschichten dieses Genre hier veröffentlichte. Seinerzeit sprach mich eine Moderatorin auf ein Gesellschaftsstück an, das ich verfasste und das von einem alten Mann erzählte, der seine verstorbene Frau einbalsamiert (nach der Methode von Alfredo Salafia, die einen makellosen Erhalt gewährt) zu Hause aufbewahrte. Ich setzte mich dann mal theoretisch mit dieser Richtung des „Unheimlichen“ auseinander und verfasste ein paar Texte. Für passionierte Horror-Leser waren diese jedoch meist zu seicht, da ich sie eher mit einer Prise schwarzem Humor versah oder dem Faible darin nachhing, sie als Gratwanderung zwischen Wirklichkeit und Wahn zu erschaffen.
An sich deckt Horror eine grosse Bandbreite ab, die Klassiker des Unheimlichen bis hin zu Vampiren und Zombies so manches umfassen kann. Ich habe deshalb etwas Skrupel, einem Autor das von ihm gewählte Stichwort zu löschen. Wenn Du es selbst so einschätzt, dass es hier weniger passt, ist es Dir als Autor jedoch jederzeit möglich es zu ändern, zu löschen oder durch ein anderes zu ersetzen.

Ich hoffe, dies hilft Dir soweit weiter, wobei die Erzeugung von Spannung für jeden Autor immer wieder eine Herausforderung bleiben dürfte, die mal mehr und mal weniger gelingt.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Lieber Wilhelm,

freut mich, dass du neben der irren Arbeit an deinem Romanprojekt noch die Zeit gefunden hast, meinen Ausflug ins späte Mittelalter zu lesen.

Wir begegnen der Regina Coeli, vielleicht mehr als Geldobjekt als als Heilige, in einer nächtlich-schaurigen Stimmung (Schauerromantik lässt grüßen) mit dem Jakob von Aicha im intimen Gebet. Angesichts der Harmlosigkeit der Bevölkerung von Wusein (Wohlsein) scheint es übertrieben, einen Inquisitor dorthin zu schicken. Was blieb dem Armen anderes übrig, als es sich mit der Jungfrau Maria wohlsein zu lassen („wohlige Anschauung der Gottesmutter“). Erinnert natürlich an die erotisch gefärbte Szene im „Namen der Rose“ (Ubertin von Casale).

Oder bspw. an die Lactatio-Wunder eines Bernard von Clairvaux. Deine Zusammenfassung des Plots hat mich gefreut, zeigt sie doch, dass man dem Story-Verlauf gut folgen konnte, und das trotz der Zeitsprünge die Handlung gut nachvollziehbar blieb.

Es ist alles in der Geschichte, was zu einem Mittelalterepos gehört. Dabei ist dir die Stimmungsschilderung gut gelungen (1. Szene). Die Schilderung der Lebensumstände von Anna kommt zu kurz. Allerdings hast du ihr Verhalten bei den Verhören gut herausgearbeitet. Die Entdeckung durch die Zigeuner und die Gefangennahme sind etwas zu lang geraten im Verhältnis zu den anderen Teilen.

Das waren auch die Stellen, die ich stark gerafft hatte. Ich wollte eine handlungsgetriebene Story schreiben und drohte, mich in einem Sittengemälde des Mittelalters zu verlieren. Und dann kommt man sehr schnell in das kitschige Wasser der "Wanderhure" oder der "Hebamme". Auch bei dem Bericht von Aegidius habe ich schon stark gekürzt, bevor ich es hier einstellte, da ich deine Befürchtung teilte. Wo man da noch den Rotstift ansetzen könnte, weiß ich nicht.

Sachlich souverän, dem Genre angemessen entwickelst du ein anschauliches Bild von Elementen mittelalterlichen Lebens. Deine Sprache ist flüssig, klar und eindeutig; sie ist angenehm zu lesen.

Danke dafür. Das geht wie Honig hinunter. Würdest du sagen, dass man inzwischen - auch im Vergleich zu meinem Roman-Projekt - einen eigenen Stil erkennen kann?

Herlichst!

Exilfranke

 

Ich mag alte Sprache,

lieber Exilfranke,

Grund genug, Dich heute noch einmal zu besuchen. Zwar muss man es nicht anwenden, haben doch selbst die Altvorderen C. F. Meyer wie auch sein größerer Zeitgenosse Gottfried Keller in ihren historischen Erzählungen auf alte Sprachweisen verzichtet (Keller hat sogar die Gedichte des von Kürenberg ins Neuhochdeutsche übertragen), aber schnell reichert die alte Sprache sich mit relativen Modernismen an, wie hier der „Fokus“

…, der mehr im Fokus des Weltgeschehens lag
Der erst in unserer Zeit durch die Jounaille in den allgemeinen Sprachgebrauch überging. Ein zwotes Mal geschieht es nicht ganz so pompös an einem Dachstuhl
, dem ich die Reparatur des Dachstuhls anvertraute,
Sprechen die beiden Latein?, fragte ich mich zunächst, denn ansonsten gilt, dass der Ausdruck „Reparatur“ erst im 18. Jh. ins Deutsche aufgenommen wurde.

Hinzuzurechnen ist in diese Kategorie eigentlich, was noch in einer Zeit, da hövesches Benehmen als fein und gesittet galt, hovelichkeit auch förmlich zu hören war

Was hat [E]uch so eilig hergetrieben?
(Da solltestu den gesamten Text noch einmal durchschauen und abwägen, wie die standesmäßigen Positionen der Figuren zueinander stehen).

eine einzelne Kommasetzung wäre nachzutragen

Natürlich lief ich hin[,] um nachzuschauen,

Einmal schnappt die Fälle-Falle zu

Schon längst war er den lichtlosen Tälern Tirols überdrüssig geworden,
besser Genitiv
Schon längst war er de[r] lichtlosen Tälern[…] Tirols überdrüssig geworden, …

Bissken Stilistik

Gnadenbild Mariens, der Gottesmutter, …
Die Beifügung ist entbehrlich, umso mehr, als kurz darauf die Beifügung wieder verwendet wird

Ähnlich weiter unten

Über ihm wölbte sich der riesige Mond gewaltig aus dem nächtlichen Firmament
Was ein wenig der Gigantonomie anheim fällt „riesige … gewaltig“: Genügt nicht ein Adjektiv?

… deren Glaube durch einen Mangel an kirchlicher Zuwendung verkümmert und missgeformt war.
Hier drängt sich mir „missgebildet“ statt „…geformt“ auf
Amen, Amen, welche Schönheit.
Klingt da nicht mehr als nur ein Aussagesatz!
Für einen kurzen Moment drohte ein Windstoß die Kerzen zu verlöschen.
Die Kerze kann verlöschen, der Windstoß kann sie [aus]löschen.

… die unheilige Opferstätte in Augenschein zu nehmen.
Besser „unselige“ (heilig sind die wenigsten Stätten)
Irrelehren
Besser „Irrlehren“

Flüchtigkeit (gegen Ende des Textes)

…, das vier unglückselige Zigeuener
Verstohlen blitz[t]en ihn die rubinroten Augen an und Jakob war es, …

Noch 'ne letzte Anmerkung
Es soll ein kriegerisches Volk gewesen sein, heidnische Barbaren, die alte Teufel verehrten und aufgrund ihrer langen Bärte vom christlichen Volk als Langobarden verspottet wurden.
Da muss Diaconus einem Überlegenheitswahn anheimgefallen sein. Schließlich ist die norditalienische Landschaft nach den Langobarden benannt und einiges – wie der Lombard – im Finanzwesen nach diesen Barbaren benannt, deren Name nach der Ursprungssage von Wodan selber kommt.

Was bleibt zu sagen?
Gern gelesen vom

Friedel

 

Lieber Friedrichard,


Grund genug, Dich heute noch einmal zu besuchen. Zwar muss man es nicht anwenden, haben doch selbst die Altvorderen C. F. Meyer wie auch sein größerer Zeitgenosse Gottfried Keller in ihren historischen Erzählungen auf alte Sprachweisen verzichtet (Keller hat sogar die Gedichte des von Kürenberg ins Neuhochdeutsche übertragen), aber schnell reichert die alte Sprache sich mit relativen Modernismen an, wie hier der „Fokus“

auf ein Zweites. Ich bin gerade ein wenig verunsichert, auf was du dich beziehst. Zumindest für die Dialoge habe ich mich bewusst einer pseudo-altertümlichen Sprache bedient, der Fließtext selbst ist - meine ich zumindest - nicht auf Mittelalter getrimmt und entspricht meinem normalen Stil. Trotzdem hast du ein paar gute Punkte angesprochen. Hier bspw.:

…, der mehr im Fokus des Weltgeschehens lag. Der erst in unserer Zeit durch die Jounaille in den allgemeinen Sprachgebrauch überging. Ein zwotes Mal geschieht es nicht ganz so pompös an einem Dachstuhl

Aus Fokus wird jetzt Puls der Zeit, wobei auch hier fraglich ist, ob das passt. Ich wollte auch erst Herzschlag schreiben, aber das hätte mir die Satz-Melodei zerschossen.

Und der Dachstuhl wird jetzt nicht mehr repariert, sondern geflickt ... das klingt doch gleich ganz anders. Ich bin beim Schreiben im Übrigen davon ausgegangen, dass die beiden deutschen Kirchenmänner auch miteinander Deutsch sprechen.

(Da solltestu den gesamten Text noch einmal durchschauen und abwägen, wie die standesmäßigen Positionen der Figuren zueinander stehen).

Wenn du noch ein paar Beispiele nennen würdest, wäre mir klarer, was genau du damit meinst.

Was ein wenig der Gigantonomie anheim fällt „riesige … gewaltig“: Genügt nicht ein Adjektiv?

Geh ich d'accord mit, das tut nicht Not! Unnötig und redundant.

Hier drängt sich mir „missgebildet“ statt „…geformt“ auf

ist geändert.

Die Kerze kann verlöschen, der Windstoß kann sie [aus]löschen.

Man lernt nie aus.

Besser „unselige“ (heilig sind die wenigsten Stätten)

Gilt das auch für zwei spätmittelalterliche Geistliche?

.Da muss Diaconus einem Überlegenheitswahn anheimgefallen sein. Schließlich ist die norditalienische Landschaft nach den Langobarden benannt und einiges – wie der Lombard – im Finanzwesen nach diesen Barbaren benannt, deren Name nach der Ursprungssage von Wodan selber kommt.

Jaha, schön, dass du es ansprichst, hier habe ich natürlich meiner Phantasie etwas mehr Freiraum eingeräumt ... zum Leidwesen der historischen Fakten. Wobei natürlich auch die Frage gestellt werden darf, ob dieser Hintergrund allzeit bekannt war. Also wussten die Einwohner der Lombardei, dass der Name von den alten Langobarden rührt?

Ich bedanke mich recht herzlich und freue mich hierüber:

Was bleibt zu sagen?
Gern gelesen vom
Friedel

Der Exilfranke

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich bin gerade ein wenig verunsichert, auf was du dich beziehst. Zumindest für die Dialoge habe ich mich bewusst einer pseudo-altertümlichen Sprache bedient, der Fließtext selbst ist - meine ich zumindest - nicht auf Mittelalter getrimmt und entspricht meinem normalen Stil.
Hallo X-Franke (schöner Name, insbesondere da ich vor wenigen Wochen die Begenung mit dem großen Karl hatte),

was Dein normaler Stil sei, erfahre ich jetzt das erste Mal (keine bange, es ist bestimmt nicht das letzte Mal), aber er gefällt mir durchaus und dass die Dialoge nicht in der Sprache Oswalds (v. Wolkenstein), der ja aus Tirol stammt, geführt werden, ist mir auch klar (ich selbst schreck nicht davor zurück, klassisches Mittelhochdeutsch - also dass der Stauferzeit - einzubauen in historisierende Texte, selbst gotisch ist da einmal problemlos erfolgt), aber der Hinweis galt eigentlich den beiden großen Schweizern, die gänzlich in ihren historischen Erzählungen auf alte Sprache zugunsten der modernen verzichteten. Und Deine verwendete Sprache wirkte ein wenig altertümelnd ohne Staub angesetzt zu haben - und ich wusste halt nach den zwo Texten nicht, dass es Dein eh bevorzugter Stil ist. Irren ist halt menschlich. Und die Sympathie wächst, wenn einer folgende Probleme wälzt und mit den Worten offensichtlich ringt:

Trotzdem hast du ein paar gute Punkte angesprochen. Hier bspw.:

Aus Fokus wird jetzt Puls der Zeit, wobei auch hier fraglich ist, ob das passt. Ich wollte auch erst Herzschlag schreiben, aber das hätte mir die Satz-Melodei zerschossen.

Den Puls gibt's übrigens als puls schon in der mhd. Heilkunde.

Ich bin beim Schreiben im Übrigen davon ausgegangen, dass die beiden deutschen Kirchenmänner auch miteinander Deutsch sprechen.
Hussiten? Nee, ein Scherz von mir. Aber sicher ist es nicht, dass Geistliche sich unbedingt der Sprache des Volkes (diutisc > diut(i)sch) bedienten - bis zu Luthers Zeiten hin.

Was nun die Höflichkeitsformen anbetrifft, so solltestu davon ausgehen, dass der standesmäßiig Niedrigere statt "du" und "ihr" Ihr und bevorzugt Euch verwendete, während in die andere Richtung das Überlegenheitsgefühl zu einem nur scheinbaren vertrauten du geriet. Die Hierarchie spiegelt sich in der gesprochenen wie geschriebenen Sprache wieder.

Besser „unselige“ (heilig sind die wenigsten Stätten)
Gilt das auch für zwei spätmittelalterliche Geistliche?
Denk schon, insebsondere wenn wir die Gefährdung der kath. Welt durch Hus berücksichtigen.

Also wussten die Einwohner der Lombardei, dass der Name von den alten Langobarden rührt?
Wahrscheinlich zumindest die gebildeten Schichten mit ihrem lateinischen Erbe und der aufkommenden Renaissance. Die Gechichtsschreibung war da ausgereifter als in dem immer noch als barbarisch (wieder die Bärte!) geltenden Mitteleuropa und die Dichtung war keine Hofberichterstattung mehr ...

... meint zumindest der

Friedel

 
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Lieber Friedel,

Und Deine verwendete Sprache wirkte ein wenig altertümelnd ohne Staub angesetzt zu haben

So würde ich das auch einschätzen!:)

Den Puls gibt's übrigens als puls schon in der mhd. Heilkunde.

Dann denke ich, dass das klar geht. Alternative war noch "am Busen der Geschichte", aber das ergibt vermutlich nur in meinem Kopf Sinn.

Hussiten? Nee, ein Scherz von mir. Aber sicher ist es nicht, dass Geistliche sich unbedingt der Sprache des Volkes (diutisc > diut(i)sch) bedienten - bis zu Luthers Zeiten hin.

Ja, aber wohl doch nur in der Messe. Wir reden ja hier nicht von Kardinälen oder hohen Prälaten aus Roma Aeterna, sondern von Geistlichkeit aus Þeodisk'en Landen. Aber sei's drum, wir wollen hier ja auch nicht päpstlicher sein als der Papst. Umberto Eco hatte ja auch keine Probleme damit, auch wenn sein William von Baskerville etwas anderer Natur war.;)

Was nun die Höflichkeitsformen anbetrifft, so solltestu davon ausgehen, dass der standesmäßiig Niedrigere statt "du" und "ihr" Ihr und bevorzugt Euch verwendete, während in die andere Richtung das Überlegenheitsgefühl zu einem nur scheinbaren vertrauten du geriet. Die Hierarchie spiegelt sich in der gesprochenen wie geschriebenen Sprache wieder.

Danke, nun ist es auch bei mir angekommen. Ich werde den Text daraufhin noch einmal überarbeiten!

Danke dir für deine Rückmeldung und für diesen interessanten Diskurs in die mittelalterliche Welt - das war sehr erhellend und hat mich dazu getrieben, mich noch mehr mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Gruß zur Nacht!

Exwelsche

 

Magst du mich aufklären?

Lützelbörger? O man, kann’s ja auch nicht,

lieber Exilfranke!
Lützelbörger = Luxemburger, die zu Zeiten Deiner Geschichte ihre Macht ausweiteten, ein Wortspiel, hervorgerufen durch

Exwelsche

Der Linie germanistischer Zungen vom mutmaßlichen þeodisc (evtl. auch …disk)über diutisk übers schon dem durchschnittlichen Auge erkennbaren diut(i)sch in volkssprachlicher Hoch-form für jene Stämme, die nicht Romanen = walhisk / welsch oder Lateiner sind, wie z. B. frenkisq (das noch im Niederländischen [der Angelsachse nennt es mit feiner Ironie dutch] und z. B. Kölsch weiterlebt)u. a. stammesgeschichtliche Ausprägungen …

Ich hoffe, dass ich die Frage beantworten konnte.
Ich spiel halt gern mit Sprache …

Gruß und vorsorglich ein schönes Wochenende vom

Friedel

 

Lieber Friedrichhard,

nun komme ich doch nochmal dazu, dir zu antworten, nicht aber, um weitere Etymologien zu wälzen, sondern um dich mit einer überarbeiteten Version heimzusuchen, in der ich - so hoffe ich jedenfalls - sämtliche Euch/euch und Ihr/ihr, sowie Ihr/Du-Stellen korrigiert habe. Du magst ja gerne nochmal drüberlesen, wenn es deine Zeit erlaubt, und mir mitteilen, ob das nun so alles im richtigen Sinne ist. Die relevanten Stellen befinden sich zu Anfang im Gespräch mit Aegidius und danach etwas mittig beim Verhör von Anna.

Ein schönes Wochenende wünscht,

der Exilfranke

 

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