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Eine Hinrichtung

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09.09.2013
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Eine Hinrichtung

Die Männer führen mich vor das Gebäude. Ich soll erschossen werden.
“Wir werden die Augen verbinden”, sagt einer von ihnen. Ich lehne ab. Noch glaube ich, dass mich kein Mann erschießen wird. Ich habe den Typen immer gedient, wenn sie auf meinen Körper scharf waren. Und geil waren die Kerle schnell. Bewundert haben sie mich. Und angebetet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es von denen einer übers Herz brächte, meinen Körper zu verletzen.

Es sei denn, es wären Sadisten unter ihnen, Befehlsempfänger oder Geisteskranke.

Mehr als zehn Soldaten stehen vor mir mit Gewehren. Was kann ich noch tun? Arme und Beine sind gefesselt.

Wohin werden sie schießen? In den Kopf? Werde ich gleich tot sein? Ins Herz? Da würde ich noch ein paar Sekunden mit Schmerzen leben und den Tod kommen fühlen. Oder wollen mich diese Militaristen vorsätzlich verletzen. Hassen sie mich? Schießen sie in den Bauch, in die Eierstöcke, durch die Schulter und in die Brüste, damit ich langsam krepiere? In ein Knie, so dass ich falle? Könnte ich wie ein Huhn am Schock sterben? Oder werden sie alle daneben schießen? Aber nein, einer hat eine Platzpatrone und jeder wird mit reinem Gewissen auf mich feuern. Aber vielleicht entfernen Streifschüsse meine Fesseln.

Ich schaue den Typen in die Augen. So, wie ich sie angeschaut habe, bevor sie mich ficken durften. Der eine glotzt teilnahmslos und blöd mit hellblauem, fast weißem Gesicht. Steif steht er da. Der daneben blickt entsetzt aus schwarzen Kugeln. Sein Körper zittert leicht. Ich spüre, wie mein altes Make-up im Schweiß davon schwimmt. Dann einer mit grünen Augen, ich glaube, darin Geilheit lesen zu können. Die Gewehre halten sie noch neben sich. Das nächste, dunkle Augenpaar lässt kein Gefühl erkennen. Ich gebe es auf, individuelle Blicke zu mustern, und versuche, gleichzeitig in alle Gesichter zu blicken, um in die Gewissen zu dringen.

Sie legen an ... Ein Ruf aus dem Gebäude, Befehlsgeschrei. In Erwartung der Schüsse schlägt mein Herz noch schneller. Ich verstehe bereits nichts mehr. Aber dann lassen alle Männer die Waffen sinken und ihre Arme werden locker. Sie gehen ins Haus. Ich werde zurückgelassen. Der Staubgeruch der Luft kommt wieder zu mir. Kann ich mich freuen?

Ich atme langsamer. Jetzt kommen Frauen aus dem Gebäude.
Mit Gewehren.

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Fugusan,
welch einfühlsame Vorgesetzte es doch gibt. Im Zweiten Weltkrieg war man im Osten nicht ganz so empfindsam, fürchte ich.
Aber worum geht es eigentlich in der Geschichte? In dem inneren Monolog der Frau, den wer geschrieben hat? Lebt sie noch und ist sie die Autorin? Wer ist der Erzähler?
Ist die Wahl von Icherzählung ungünstig, besser eine personale Erzählweise, sodass es eine Parabel sein könnte?
Mir gefällt dieser Text deshalb, weil er wenig erzählt, nur konstatiert.
Die innige Verbindung von Körpern wird bedeutungslos, wenn es um Befehl oder Vorteil geht. Ist das so?
Lässt ein Professor eine miserable Studentin durchfallen, obwohl er mit ihr vorher im Bett war? Wenn die Beisitzer scharfe Konkurrenten sind, schon, er darf sich nicht blamieren.
So kann man von deinem Text ausgehend doch gewisse Erkenntnisse gewinnen.
Deswegen bin ich mit der Lektüre sehr zufrieden.
Fröhliche Grüße
Wilhelm

 

Hallo Wilhelm,

welch einfühlsame Vorgesetzte es doch gibt.
Es muss jemand aus dem Gebäude beobachtet haben, dass das so nicht funktioniert. An dem selbstbewussten Verhalten der Protagonistin am ehesten.
Aber worum geht es eigentlich in der Geschichte? In dem inneren Monolog der Frau, die wer geschrieben hat? Lebt sie noch und ist die Autorin? Wer ist der Erzähler?
Gute Fragen! Wenn die Protagonistin die Autorin ist, muss sie ja überlebt haben. Die Protagonistin könnte am Schluss sagen: „Ich lüge.“ Dann wäre die Geschichte nicht wahr, weil sie lügt, und die Geschichte wäre wahr, weil sie lügt. Denn es könnte auch Lüge sein, dass sie lügt (Lügner-Paradox). Ein Widerspruch, ein Selbstbezug, mit dem das ganze Weltall kämpft.
Mir gefällt dieser Text deshalb, weil er wenig erzählt, nur konstatiert.
Das freut mich. Ich habe versucht, eine maximale Kürze zu erreichen. (Du hast die korrigierte Version gelesen.)
Die innige Verbindung von Körpern wird bedeutungslos, wenn es um Befehl oder Vorteil geht. Ist das so?
Das ist genau die Frage in der Geschichte. Es baut mich auf, dass Du das erkannt hast. Es gibt keine Antwort und weil es keine Antwort und Formel gibt, liefern solche Situationen unendlich Stoff für Geschichten.
(In einer möglichen Weiterführung dieser Geschichte arbeitet die Protagonistin an einem Projekt mit, bei dem Substanzen entwickelt werden, die Männer besonders scharf machen sollen, wenn sie Frauen sehen (Zwangsviagra). Man möchte Männer komplett abhängig machen. Da läuft natürlich was schief und die Protagonistin ist die Schuldige. Man braucht ja immer einen Schuldigen.)
So kann man von deinem Text ausgehend doch gewisse Erkenntnisse gewinnen.
Deswegen bin ich mit der Lektüre sehr zufrieden.
Schön zu lesen. Der Text hat ja bereits polarisiert.
Viele Grüße und ein schönes Wochenende
Fugu

 

Hallo Fugusan,

die folgenden Sätze

Mehr als zehn Soldaten stehen vor mir mit Gewehren. Was kann ich noch tun? Arme und Beine sind gefesselt.
passen besser weiter oben nach dem zweiten.

In ein Knie, so dass ich falle?
Wie denn? Selbst in dieser Situation sollte ihr klar sein, dass sie stramm gefesselt ist.

Der Text ist so kurz geworden, dass er für mich keine Geschichte mehr ist – eher ein Schnappschuss.

Frohes Fest
kinnison

 

Hallo kinnison,
besten Dank für Deine Kommentare.

kinnison schrieb:
Der Text ist so kurz geworden, dass er für mich keine Geschichte mehr ist – eher ein Schnappschuss.
Stimmt. Ich versuche, eine Geschichte daraus zu machen.
In ein Knie, so dass ich falle?
Wie denn? Selbst in dieser Situation sollte ihr klar sein, dass sie stramm gefesselt ist.
Sie ist nicht angebunden. (Und wenn sie es wäre, könnte sie sich das Fallen bei einem kaputten Knie trotzdem vorstellen, weil ein bösartiger Schütze die Absicht haben könnte, sie so imaginär zu fällen.)
Die Reihenfolge der Sätze am Anfang könnte man ändern. Mir gefällt es aber besser, wie es ist. Oder ich erkenne nicht, was Du genau meinst.
Viele Grüsse und ebenfalls frohe Festtage,
Fugu

 

Hallo Fugusan,

zu Inhalt und Stil Deiner Geschichte wurden schon viele hilfreiche Hinweise gegeben. Ich möchte nur kurz was zum Thema Wundballistik und Waffentechnik sagen.

Könnte ich wie ein Hase oder Huhn am Schock sterben?

Meinem Wissen nach tritt der Schocktod bei Schussverletzungen nur auf, wenn Schrotmunition verwendet wird. Es gab zwar Gerüchte, Treffer mit einem Geschoss der 5,45 x 39 mm - Patrone des AK74-Sturmgewehrs an einer beliebigen Stelle würden einen sofortigen Schocktod bewirken, aber das sind Übertreibungen.

Du beziehst Dich ja auch direkt auf Hase und Huhn, die man grundsätzlich mit Schrotmunition bejagt. Erschießungen werden/ wurden meines Wissens nach jedoch nicht mit Schrotmunition ausgeführt.

Insofern ist die Gedankenkette Deiner Protagonistin zwar möglich, basiert aber auf einer Falschannahme. Ich würde das rausnehmen.

Der psychologische Zweck der Platzpatrone liegt darin, dass der Erschiessende, wenn der dann das Opfer daliegen sieht, blutüberströmt, wimmernd, keuchend, in Krämpfen, glauben solle, er könne unschuldig sein. Die Platzpatrone soll ein Trauma verhindern. Möglicherweise würde sonst niemand mehr solch einen Job machen.

Von der Theorie her ist das richtig und bei Erschießungen tatsächlich üblich. Allerdings fühlen sich Platzpatronenschüsse und Schüsse mit scharfer Munition recht verschieden an. Ich würde den Unterschied wahrscheinlich bemerken. Vielleicht bewirkt die psychische Anspannung in dieser Situation, dass der Schütze den Unterschied nicht bemerkt, aber ich habe da so meine Zweifel.

Gruß Achillus

 

Hallo Fugusan,

es ist sicherlich schwierig, diese Extremsituation zu beschreiben. Du findet in dem Buch von Litell "Die Wohlgesinnten" viele Beispiele von Hinrichtungen. Auch in dem Buch "Verbrechen der Wehrmacht" zeigen viele Bilder und Kommentare die Situation, die du beschrieben hast.
Den Kern der Situation bringst du allerdings schon auf den Punkt: die panische Raserei einer Frau, die hingerichtet werden soll. Auch die sexuelle Komponente bei Hinrichtungen hast du erkannt. Dass man alles etwas präziser formulieren kann, ist schon klar. Dies ist Litell eigentlich schon gelungen. Dass deine nüchtern und kalte Erzählweise nicht allen gefällt, das musst du hinnehmen. Vielen gilt nichts schrecklicher als die Aussage: "Da gingen beiden die Augen auf und sie erkannnten, dass sie nackt waren." (1 Moses 3, 7)
Insofern gelungen, als durch deine Darstellung das Nacktsein von Menschen, wie es in Extremsituationen häufog zu finden ist, seine "wahre" Persönlichkeit zum Vorschein bringt.
Fröhlichst
Wilhelm

 

Hallo Achillus,
vielen Dank für Deine Informationen. Ich kann Deine Argumente nachvollziehen.

Achillus schrieb:
Du beziehst Dich ja auch direkt auf Hase und Huhn,
Den Hasen habe ich gestrichen, weil ich mit Hasen keine Erfahrung habe. Anders mit Hühnern, zumindest europäische Legerassen können am Schock sterben, wenn sie nur ein Hund abschleckt oder ein Fuchs kratzt. Asiatische Kampfhühner sind stabiler. So kann ich mir bei einem europäischen Zuchthuhn gut vorstellen, dass es am Schock nach einer Schussverletzung sterben könnte.

Achillus schrieb:
Allerdings fühlen sich Platzpatronenschüsse und Schüsse mit scharfer Munition recht verschieden an. Ich würde den Unterschied wahrscheinlich bemerken. Vielleicht bewirkt die psychische Anspannung in dieser Situation, dass der Schütze den Unterschied nicht bemerkt, aber ich habe da so meine Zweifel.
Dann ist der psychologische Effekt wohl nur vor dem Schießen da. Ich habe das überinterpretiert. Vielleicht ist es bei älteren Gewehren anders.
Freut mich, dass Du den Text gelesen hast.
Viele Grüße Fugu

Hallo Leafgreen,
immerhin findest Du das Thema an sich nicht langweilig. Ansonsten gefällt Dir ja überhaupt nichts an dem Text. Die Situation ist hart wie die Worte hier, da gibt es auch keine Füllungen und Hoffnungen mehr.
Zu 1. Bei Erschießungen sind es immer mehrere Schützen, die gleichzeitig feuern. Die Wahrscheinlichkeit für einen Treffer soll erhöht werden. Zudem ist das ein militärisches „team building event“.
Zu 2. „Folterknechte“ ist das Bild.
Zu 3. Selbstmörder schießen sich in den Kopf. Aus gutem Grund.
Zu 5. Die Keimzellen sollen zerstört werden. Außerdem: Eier – Eierstöcke, männlich – weiblich. Dass ich jetzt da noch erklären muss, enttäuscht mich. Manchmal sagen sogar Frauen; „Das geht mir auf die Eierstöcke.“
Zu 9. Aus dem Norden mit Melaninmangel. Vom Aussterben bedroht.
Zu 10. Sie sieht die Augen als Gewehrkugeln.
Alle Deine weiteren Kritikpunkte haben andere auch schon angesprochen und Du kannst die Antworten in den Kommentaren zu den Kommentaren finden.
Wegen Liebe und Gutmütigkeit werden Menschen oft in die Hände der Justiz getrieben und dann sind sie der Willkür ausgeliefert. Und Sexuelles ist meist dabei.
Ich hoffe, der Text macht Dich nun nicht mehr wütend, sondern zeigt, wie die Brutalität der Menschen, Männer und Frauen, auf den Punkt gebracht wird. Dazu kommt hier noch die Dummheit und Unfähigkeit der Männer. Es ehrt mich, dass es sich für Dich so liest, als hätte es ein Jugendlicher geschrieben, denn Gehirne altern schnell.
Und wie bereits erwähnt wird dieser Abschnitt ein Teil einer Geschichte. Danke fürs Reinschauen.
Viele Grüße Fugu

Hallo Wilhelm,
freut mich, dass Du wieder hier bist.
Das Buch von Litell kannte ich noch nicht. Danke für den Hinweis. „Verbrechen der Wehrmacht“ habe ich noch nicht gelesen.

Wilhelm Berliner schrieb:
Insofern gelungen, als durch deine Darstellung das Nacktsein von Menschen, wie es in Extremsituationen häufig zu finden ist, seine "wahre" Persönlichkeit zum Vorschein bringt.
Ich wollte zuerst sagen, dass Du dies und das Vorige sehr schön formuliert hat, aber es ist richtig und wahr und für die Geschichte zu schön. Zur Nacktheit gibt es noch zu bemerken, dass es bei Erhängten - wahrscheinlich wegen der Sauerstoffreduktion und der Regulation durch das parasympatische Nervensystem – manchmal zur Erektion kam (siehe dazu auch: der Tod des David Carridine).
Danke für Deine Interpretationen.
Frohe Festtage und viele Grüße
Fugu

PS: Ich habe auch Deine Antwort zu Wolfswelten gelesen. Sobald ich Zeit finde, kommentiere ich weiter. Spätestens beim nächsten Kapitel.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Fugusan,

Sie ist nicht angebunden.
Schon gut. Ich habe immer im Kopf, dass die Hinzurichtenden an einen Pfahl gebunden werden ...

Frohe Feiertage!
kinnison

 

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