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Xaver hört auf

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11.12.2014
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Xaver hört auf

„Weißt, Xaver, es ist nicht gut,
wenn man zu viel nachdenkt.
Da kommt das Hirn durcheinander.
Manchmal muss man einfach das
machen, was einem grade so einfällt.
Weißt, wie ich mein‘, Xaver?“
„Und wenn mir der Baum einfällt?
Die große, alte Eiche wenn mir einfällt,
geht das dann auch, Vitus?“
„Ja, wennst meinst, Xaver,
dann geht das auch.“​

***

„Manchmal braucht das Nachdenken ja eine Zeit,
bis es funktioniert!“


Hausbesetzungen gibt‘s ja öfter mal. Und Baumbesetzungen auch. In der Stadt, da klettern Leute schon mal auf Bäume oder ketten sich an deren Stämme an, damit sie nicht gefällt werden, oder damit keine Autobahnen gebaut werden, oder damit der Strom billiger wird und solche Sachen eben. Da gibt‘s dann auch welche, die haben eine Ausdauer wie die Ochsen. Die sitzen sogar über Nacht da oben im Baum. Oder gar für mehrere Tage und Nächte. Und da schauen sie dann runter und passen auf, dass ja keiner mit der Kettensäge kommt oder mit dem Bagger, oder damit ihnen keiner eine Stromrechnung bringt.
Dass mal jemand in so einem Baum oben sitzt, das gibt‘s natürlich auch in Augsee. Beim Zwetschgenpflücken oder Kinder beim Kraxeln, das gibt‘s schon. Aber dass der dann nicht mehr runter will, das hat‘s noch nie gegeben in Augsee.
Und ich weiß jetzt auch nicht, ob es das überhaupt irgendwo schon mal gegeben hat, dass gar ein recht alter Mann hoch droben auf den Ästen einer recht alten Eiche sitzt und tagelang oben bleibt.
So alt wie die Eiche ist der Saumberger Xaver zwar noch nicht, aber der 70er vom Xaver, der liegt ja mindestens schon drei oder vier Jahre zurück. Und jetzt sitzt er da oben im Baum und schaut runter auf die Leute.
Die Sommersonne wandert langsam ihrem Höchststand zu und im Schatten der Eiche, in deren Geäst der Xaver hockt, da sitzt der Obermeier Vitus in einem Klappstuhl. Er beobachtet wortlos vergnügt das ratlose Treiben rund um den Baum und nimmt einen großen Schluck aus seiner Bierflasche. Als nämlich der Vitus gehört hat, dass der Xaver auf der Eiche sitzt, da hat er sich schon gedacht, dass das noch länger dauern würde. Und da hat er sich beim Kirchenwirt gleich mal eine Halbe Bier mitgenommen, als er auf dem Weg zum Dorfplatz war.
Der Fritz, der Wirt, der war auch schon auf der Stiege vor seinem Wirtshaus gestanden und hatte nachdenklich das Spektakel betrachtet, das sich nur hundertfünfzig Meter weiter auf dem Dorfplatz abspielte.
Vitus stellt seine Flasche neben sich auf den Boden und schaut hoch zum Xaver. Der hat es sich mittlerweile auf den großen Ästen recht gemütlich gemacht, wie es ihm scheint. Den Hintern hat er in die Gabelung zweier starker Äste eingepasst, links und rechts vom Hauptast hängt ein Bein herab. Zurückgelehnt auf die beiden Äste, die der Gabelung entspringen, hat er die Hände hinter dem Kopf verschränkt und blickt jetzt in die grüne Krone der Eiche hinauf.
„Wenn der da runter fällt, der ist hin!“, meint eine Stimme in der Menge. „Das geht ja mindestens vier Meter runter!“, meint eine andere. „Ach was, fünf!“, korrigiert eine dritte.
Nur, dass Sie‘s wissen: drei Meter achtzig geht‘s rauf zum Xaver. Höher wäre es eh nicht gegangen, weil seine Leiter nur drei Meter fünfzig lang war. Die hat dann die Hilde, Xavers Frau, wieder mit heimnehmen müssen, nachdem er oben war. Zum Runtersteigen hat er nämlich eine Strickleiter dabei.
Normalerweise würde das in Augsee ja niemanden groß interessieren, wenn da mal wer im Baum sitzt. Auch wenn‘s kein Zwetschgen- oder Apfelbaum ist. Da würde man hochgrüßen und vorbeigehen und das wär‘s gewesen. Da gäb‘s gar nicht groß was zum Staunen. Denn manchmal, da sind die Menschen eben ein wenig wunderlich, weiß man in Augsee. Und dass der da oben irgendwann auch mal wieder runterkommen wird, das weiß man auch.
Das mit dem Xaver, das ist aber jetzt etwas anderes. Nicht nur, weil Leute in seinem Alter eher selten auf Bäumen herumklettern, sondern auch, weil unter der Astgabel, in der er gerade liegt, eine Hängematte hängt und darüber ist ein Rucksack am nächsthöheren Ast aufgehängt. Und direkt am Stamm der Eiche, dort, wo sich Xavers Sitzast noch nicht gabelt, da hat er seine Strickleiter aufgewickelt. Darum sieht es jetzt gar nicht danach aus, als würde der Xaver einfach mal nur schauen, wie weit‘s da runter geht oder ob man vielleicht nach Sonnberg rübersieht oder so was eben. Nein, wer so eingerichtet ist, der möchte da länger bleiben, ein wenig wohnen gar. Weil ein Kissen hat er ja auch noch bei sich. Und das finden dann auch die Augseeer etwas eigenartig. Darum sind sie hingegangen, um zu sehen, was der Xaver da macht.
Die Trautmannsdorfer Marianne hat ihn entdeckt, als sie auf dem Weg zum sonntäglichen Gottesdienst war. Von der Ferne kann man ihn ja wegen der vielen Blätter kaum sehen, den Xaver. Nur wenn man direkt – fast schon drunter – daran vorbeigeht und hochschaut, sieht man ihn.
Sie hat sich zwar gewundert, als Sie den Xaver da oben sah, wie er gerade Brotzeit machte, und er sie kauend mit einem Kopfnicken grüßte – ein Brotzeitbrett hatte er auf dem Schoß und schnitt darauf gerade sein G‘selchtes in Stücke –, aber weil es ihr schon pressierte, da hat sie sich nur gedacht, der Xaver würde schon einen Grund haben, an diesem warmen Sommermorgen auf der alten Eiche Brotzeit zu machen.
Manchmal braucht das Nachdenken ja eine Zeit, bis es funktioniert. Als sie aber dann in der Kirche von ihrer Banknachbarin erfahren hat, dass der Xaver gestern auch schon auf der Eiche saß und wohl auch die ganze Nacht da oben verbracht hatte, da fiel ihr auch die Hängematte ein. Über die hatte sie vorher gar nicht nachgedacht. Weil sie hatte da ja vor lauter Eile gerade keine Zeit, darüber nachzudenken. Aber in der Kirche hatte sie Zeit. Und als sie ihre Gedanken fertiggestellt hatte, über den Xaver und seine Hängematte, da war sie sich plötzlich ganz sicher, dass es auch für den Xaver nicht normal war, auf einem Baum zu übernachten.
Nachdem der Gottesdienst aus war, informierte sie daher den Fischer Albert von dem erwähnenswerten Vorfall. Der Fischer Albert ist der Lokalredakteur vom hiesigen Tagblatt und ist immer recht froh, wenn die Trautmannsdorfer Marianne ihm von den Geschehnissen in Augsee berichtet. Denn die weiß immer Sachen, wo man meint, die gibt‘s gar nicht. Weil sonst gibt‘s in Augsee ja weniger Berichtenswertes. Außer dem Dorffest vielleicht, denn da hat‘s meistens einen Spaß genauso wie einen Ärger. Und das mögen die Leute dann ganz gerne lesen.
Noch bevor der Xaver in der Zeitung stand, versammelten sich also an diesem Sonntag Vormittag die ersten Augseeer um die Eiche am Dorfplatz.
Fritz lud gleich, nachdem sich der Vitus sein Bier bei ihm geholt hatte, einen Kasten Bier auf einen Handwagen und mischte sich damit unter die Menge. Denn als Kirchenwirt-Wirt weiß er ganz genau, dass die Leute nach der Kirche ihren Frühschoppen brauchen. Und nach einer halben Stunde holte er zwei neue Kästen.

***

„Weisst Vitus, in einen kleinen Kopf, da passt halt
auch nur ein kleines Hirn hinein!“


Xaver Saumberger ist dreiundsiebzig Jahre alt und lebt seit seiner Geburt hier in Augsee. Früher hatte er am Rande des Dorfes eine kleine Landwirtschaft. Aber die hat er vor vielen Jahren schon aufgelassen. Die Tiere und ein paar Felder hat er verkauft, ein paar andere Felder und Wiesen sind verpachtet. Seither lebt er mit seiner Frau Hilde in dem Sacherl und kommt ganz gut zurecht. Finanziell und so. Denn Hilde und Xaver sind immer schon ein genügsames Ehepaar gewesen.
Der Max, ihr Sohn, lebt schon lange in München. Dort hat er seine Frau, die Lisa, kennengelernt, und dort ist er dann auch geblieben. Seither sehen sie sich nur noch selten. Denn der Max hat keine Zeit, nach Augsee zu fahren und der Xaver keine Lust, nach München zu fahren. Die Hilde hätte zwar Lust, traut sich aber alleine nicht.
Dass der Xaver da nicht hinfahren will, das liegt jetzt aber gar nicht so sehr am Max, „Der wär‘ mir wurscht“, sagt er immer. Aber die vielen Autos und die vielen fremden Menschen, die immer irgend etwas einkaufen müssen oder andere ganz wichtige Sachen machen müssen, die machen den Xaver ganz nervös. Und die vielen hohen Häuser und die Züge, die unter dem Boden fahren müssen, weil oben gar so viele Autos fahren und die Häuser stehen und die Leute gehen: Dem Xaver gibt‘s da von allem zu viel. Sogar Wirtshäuser gibt es so viele, dass man, wenn man da am Abend mal in eins reingeht, am nächsten Tag gar nicht mehr wissen kann, in welchem man eigentlich war.
Einmal, vor einigen Jahren, als der Max wieder einmal Geburtstag hatte, besuchten Hilde und Xaver ihn und seine Lisa in München. Mit dem Zug fuhren sie vom benachbarten Sonnberg nach München. Sonnberg, drei Kilometer von Augsee entfernt, ist ja auch schon eine Stadt. Aber die hätte leicht im Münchner Hautbahnhof Platz, meint der Xaver immer.
Als sie nach eineinhalbstündiger Fahrt am Münchner Hauptbahnhof vom Zug ausgestiegen waren, da war der Xaver gleich recht verwirrt. Wegen der vielen Leute, den vielen Zügen, den vielen Treppen und wegen dem, dass er nicht wusste, wie‘s jetzt weitergehen soll.
Er wusste zwar, dass die U-Bahn unter dem Boden fährt, aber nicht, welche Treppe denn nun die richtige ist, um zum richtigen Zug hinunterzukommen. Und als sie dann endlich unten waren, da wussten die Hilde und er nicht, welche Bahn jetzt nach Milbertshofen fahren würde. So musste er also andere Leute fragen. Fremde Leute findet der Xaver aber verwirrend. Vor allem, wenn sie kein richtiges Bayerisch sprechen, weil dann versteht er sie auch noch schlecht.
Jedenfalls war der Xaver schon so nervös, dass er in der Folge den ganzen Weg vom Hauptbahnhof bis raus nach Milbertshofen bei jeder U-Bahnstation aussteigen musste, um seine Blase zu entleeren. Und die Hilde musste auch aussteigen damit sie mit ihm wieder die nächste Bahn nehmen konnte.
Zum Feiern hatten sie dann natürlich nicht mehr viel Zeit. Also haben sich alle ein wenig beeilt mit dem Feiern. Doch als er mit seiner Hilde wieder nach Hause fahren sollte, da wollte der Xaver nicht. Die Hilde und der Max und die Lisa hatten große Mühe, ihn davon abzuhalten, dass er zu Fuß nach Hause geht.
Xavers knochiges Gesicht mit der etwas zu großen Nase ist das ganze Jahr über braun gebrannt und wirkt ein wenig verwittert mit dem grauen, stoppeligen Bart. Die weiß-grauen Haare sind zwar nicht lang aber wuscheln recht üppig über Xavers Schädel und lassen längst noch keinen Blick auf seine Kopfhaut zu. Seine sehnigen Arme und Beine sind dünn und auch ein wenig faltig, aber er kann immer noch recht kräftig zupacken, mit den Armen. Und auf den Beinen steht er meistens auch noch recht stabil. Beim Maßkrugstemmen, beim Augseeer Dorffest zum Beispiel, da kann ihm auch heute noch keiner das Wasser reichen. Fast fünf Minuten hält er den Zweieinhalb-Kilo-Krug am ausgestreckten Arm in der Waagrechten, bevor er ihn austrinkt.
Beim Dorffest und öfter mal im Biergarten beim Kirchenwirt, da mag der Saumberger Xaver schon mit dem einen oder anderen ein wenig zusammensitzen. Nur nicht zu oft, und nur mit Leuten die er schon kennt. Xaver redet nicht viel aber schimpft ganz gerne. Vor allem über den Bürgermeister. Mit dem hat er vor ein paar Jahren auf dem Dorffest einmal heftig gestritten, infolge dessen ihn der Bürgermeister einen Troglodyten schimpfte. Und das kann der Xaver gar nicht haben, wenn einer beim Beschimpfen nicht mal verständlich bayerisch spricht. Denn für den Xaver gründet die bayerische Streitkultur darauf, dass ein Wort das andere gibt. Das müssen Sie sich dann so vorstellen: Wenn jetzt der Bürgermeister den Xaver zum Beispiel einen Esel geschimpft hätte, dann hätte der Xaver zum Bürgermeister gesagt:
„Du Ochs‘“.
Weil der Ochse ist ja ein größeres Rindvieh als der Esel. Also hätt‘s dann weitergehen können mit dem Beschimpfen. Jetzt hat aber der Bürgermeister den Xaver einen Troglodyten genannt. Also hätte der Xaver den Bürgermeister zum Beispiel einen dicken Homunculus schimpfen müssen. Dann hätt‘s wieder gepasst. Aber der Xaver wusste ja nicht was ein Troglodyt ist. Und wenn du das nicht weißt, wie sollst du dann auf einen dicken Homunculus kommen? Also hat der Xaver den Bürgermeister einen dicken Deppen genannt und ist heimgegangen.
Der Xaver ist auch kein Umweltschützer. So was braucht‘s in Augsee auch gar nicht. Das kleine Dorf mit seinen zwei Wirtshäusern liegt im südöstlichen Bayern, umgeben von hügeligen Wäldern und durch den Inn vor dem benachbarten Österreich geschützt. Da ist die Umwelt eh in Ordnung. Das merkt man schon an den riesigen, uralten Kastanienbäumen im Biergarten beim Kirchenwirt. Und an der über 250 Jahre alten Eiche am Dorfplatz.
Ja, und diese Eiche, die müssen Sie sich jetzt schon so richtig groß vorstellen. Also nicht wie:
„Oooh, ist das eine schöne große Eiche!“, sondern eher wie:
„Ja, mich leckst am Arsch! Ist das ein Prackl von einem Baum!“
Auf einer Höhe von knapp eineinhalb Metern können drei Männer den Stamm gerade mal so eben umfassen – wenn sie sich anstrengen und sich nur an den Fingerkuppen berühren. Als man damals den Dorfplatz neu angelegt hat, mit Pflaster und so, da hat man ihr inmitten der Pflasterfläche eine ganze Wiese gelassen. So thront sie jetzt auf einem runden Rasenplatz mit wohl zwölf Metern Durchmesser, der rings herum mit niedrigen Sträuchern eingefasst ist. Auf dem angrenzenden Pflaster stehen zwei Sitzbänke und selbst da sitzt man noch unter dem Laubhimmel der Eiche. Außer im Winter, da hat‘s kein Laub.
Der Xaver hat diese Eiche schon immer ganz besonders gern gemocht.
Im Gemeinderat von Augsee hat man bereits öfter über diesen Baum diskutiert:
„Ooh, die Eiche, die Eiche ist ja viel zu groooß für unseren kleinen Dorfplatz. Ooh! Und das Laub jeden Herbst, das viele Laub, ooh, aah, das ist ja soooo viel!“ und so.
Aber niemand wagte es bisher, die Fällung der Eiche wirklich zu beantragen.
Dabei ist der Augseeer Dorfplatz ohnehin recht großzügig angelegt. Da könnte man ohne weiteres einen Fußballplatz hineinlegen. Umgeben ist er vom Rathaus, von der Grundschule und vor ein paar Jahren hat auch Pfarrer Wohlfahrts Pfarrheim hier ausreichend Platz gefunden. Und ganz am Rand von diesem Dorfplatz ist auch noch ein Brunnen. Man weiß ja in Augsee, dass manche Gemeinderäte diesen Brunnen lieber in der Mitte des Platzes gehabt hätten. Genau da, wo die Eiche steht.

***

„Die Marianne hat gesagt,
dass sie‘s gleich gesagt hat!“


„Xaver! He, Xaver! Möchst nicht lieber mit heimkommen? Hernach friert‘s dich recht und dann wirst du mir noch krank.“
Der Hilde wäre es lieber gewesen, wenn der Xaver diesen Abend wieder mit nach Hause gekommen wäre. Aber weil sie schon wusste, dass er das nicht machen wird, hat sie ihm einen Brotzeitkorb und eine Decke mitgebracht.
„Schau, Xaver, ich hab dir einen heißen Tee mitgebracht. Und noch ein Stückerl G‘selchtes und ein Brot. Und ein Bier habe ich dir auch rein getan in den Korb“, ruft sie in den Baum hinauf.
Der Xaver ist auch für einen Brotzeitkorb gut gerüstet. Er richtet sich von seiner knorrigen Lagerstatt auf und lässt ein Seil, an dessen Ende ein Karabiner befestigt ist, zu seiner Hilde hinunter. Die hängt den Korb ein und der Xaver zieht ihn langsam zu sich hoch. Das Seil mit dem Korb wickelt er um den Ast an dem sein Rucksack hängt. Wie ein Lampenschirm baumelt der Korb jetzt wenige Zentimeter über seinem Kopf.
Der Menschenauflauf ist jetzt am späten Nachmittag schon etwas weniger geworden. Denn es sind mehr gegangen, als neu hinzugekommen sind. Aber so zehn, fünfzehn Leute stehen noch da auf dem Dorfplatz und plaudern und lachen und trinken Bier und einer beißt gerade in eine Wurstsemmel. Auch der Vitus sitzt noch in seinem Klappstuhl und bestellt sich noch eine Halbe beim Fritz, dessen dritter Kasten jetzt auch gleich leer sein wird.
Natürlich haben die Leute den Xaver immer wieder gefragt, warum er da oben sitze und nicht mehr runterkommen möchte, und wie lange er denn da bleiben möchte. Aber der Xaver hat nicht darauf geantwortet. Auch nicht, als ihn der Messner fragte:
„Gegen was protestierst du denn, Xaver?“
Eine zwar gute Frage, die dem Xaver aber dennoch keine Antwort wert war. Also machten sich die Leute eben ihre eigenen Gedanken.
„Ja mei, das ist schon schade, dass der Baum jetzt wegkommen soll, gell?“, konstatiert die Trautmansdorfer Marianne und bemüht sich, ein trauriges Gesicht zu machen.
„Wer hat denn das beschlossen, dass die Eiche gefällt werden soll?“, fragt der Fischer Albert mit dem kleinen Block in der Hand, den er als Redakteur immer bei sich hat – ebenso wie seine Fotokamera, auf der er bereits eine Menge Fotos vom Xaver auf dem Baum hat. Nur eines mit dem Gesicht vom Xaver fehlt ihm, weil der Xaver die ganze Zeit nicht mehr heruntergeschaut hat vom Baum. Darum hat der Fischer Albert nur Fotos vom Xaver seinem Hintern in der Astgabel und seinen runterhängenden Beinen machen können.
„Ja, das muss schon der Gemeinderat beschlossen haben. Die im Gemeinderat haben ja eh immer schon über die Eiche geschimpft. Wegen dem Laub und weil sie so groß ist und so!“, weiß die Marianne und der Albert kritzelt mit einem stummeligen Bleistift etwas in seinen Block.
„Also ich meine ja, dass man so was nicht tun darf!“, diktiert die Marianne dem Albert und vergewissert sich mit drängendem Blick auf den Block, dass ja auch alles richtig aufgeschrieben wird, was sie sagt.
„Denn weißt, die Eiche, die ist ja schon so alt. Die steht ja schon hier, so weit kann ich gar nicht zurückdenken. Also mindestens schon …, ich weiß jetzt auch nicht so genau, aber schon eeewig lange! Aber ich hab‘s ja gleich gesagt, dass es irgendwann einmal soweit kommen wird, dass sie umgehauen wird!“
„Wer weiß denn, wie alt die Eiche ist?“, fragt der Albert ganz reportermäßig die noch herumstehenden Leute und notiert die Antworten nebeneinander in seinen Block: 100, 200, 500, 750, fast 1000.
„Ja, warum soll sie denn weg? So geht‘s doch auch wieder nicht! Die ist ja kerngesund, die Eiche. Möchten die da etwas herbauen? Ein Denkmal für den Bürgermeister vielleicht!“
Der Messner erntet Zustimmung und Gelächter gleichermaßen für seine entrüstete Einlassung.
„Jetzt verschwindet‘s doch endlich mal und lasst‘s mir meine Ruhe, Hergottsakramentnocheinmal!“, schallt es plötzlich vom Baum herunter, als wäre es ein göttliches Donnergrollen geradewegs vom Himmel herab – wenn man sich das Fluchen mal wegdenkt.
Aber es war nur der Xaver. Und alle sind still und schauen hinauf zum Xaver, als würden sie auf ein himmlisches Zeichen warten.
„Habts ihr nichts besseres zu tun, als da herumzustehen und blöd daherzureden? Lassts mir jetzt gefälligst meine Ruhe und gehts heim oder zum Wirt — oder auf die Straß‘ und lassts euch dort von einem Laster überfahren, zefix!“
Der Xaver ist jetzt ein wenig ungehalten geworden, weil ihn seine Blase schon arg drückt. Und er will diese nicht vor den Augen der ganzen Leute entleeren. Er sitzt jetzt aufrecht auf einem der gegabelten Äste und beide Beine hängen nun auf der selben Seite herunter, baumeln direkt über dem Vitus in seinem Klappstuhl.
Der Vitus lacht glucksend in sich hinein. Er wird noch ein wenig beim Xaver bleiben wenn die anderen weg sind. Ob sie dann was miteinander reden oder nicht, das wird sich zeigen.
Da es nun schon langsam dunkel wird und auch der Fritz mit seinem Bierkarren nicht mehr da ist, machen sich die Leute schwatzend auf den Weg nach Hause. Und bald kehrt Stille ein auf dem Dorfplatz. Nur ein leises Plätschern ist zu hören, nachdem der Xaver ein paar Kletterbewegungen gemacht hat und sich nun aufrecht auf dem Ast stehend mit einer Hand am Stamm festhält. Der Vitus schiebt seinen Klappstuhl ein wenig weiter weg und setzt sich wieder hinein.

***

„In der Früh‘, Vitus, da hab ich noch nicht
einmal gewusst, dass ich die nicht kenne!“


Es ist Montag Morgen. Einige Kinder haben sich mit großen Schultaschen auf dem Rücken unter dem Baum zusammengerottet und blicken respektvoll ins Geäst hinauf. Der Xaver hat sich gestern Abend noch recht akrobatisch aber erfolgreich in seine Hängematte hineingearbeitet und schaut jetzt von da drin halb aufgerichtet hinab auf die Kinder, die ihn auf dem Weg zur nahen Schule oben im Baum entdeckt haben. Die anfängliche Überraschung weicht immer mehr der Belustigung.
„He, was machst denn du da oben?“ ruft ein kleines Mädchen amüsiert und interessiert dem Xaver zu.
Und der Xaver hätte geantwortet, wenn er gedurft hätte.
„Ja, was soll denn das? Man glaubt‘s ja nicht! Schauen Sie nicht gleich, dass Sie von da oben verschwinden. Sie machen den Kindern Angst. Ja, wo sind wir denn? Ja, das gibt‘s ja nicht!“, peitscht es jäh in seinen Gehörgang und er muss sich erst auf die andere Seite umdrehen, damit er die Frau Lehrerin sieht.
Emilia Knoll, 59 Jahre, von Geburt an unverheiratet, ist eine willensstarke Lehrerin, wie man sie noch von früher kennt: fürsorglich streng mit ihren Schülern und eindringlich belehrend den Eltern gegenüber – denn zum Lernen ist es nie zu spät, meint sie immer. Und bei ihrer unendlichen Mission gegen Unwissen und Unschicklichkeit duldet sie keinen Widerspruch.
Der Xaver kennt das Fräulein Knoll ja nicht. Er ist ja eher selten in der Schule. Und mit fremden Leuten redet der Xaver nur, wenn‘s unbedingt sein muss. Und jetzt muss das nicht sein. Auch fühlt er sich nicht mobilisiert, der Anweisung des Fräulein Knoll zu folgen. So zieht er seinen Kopf wieder zurück in den Schutz der bauchigen Hängematte.
„Kinder! Ab in die Schule! jetzt gleich! Aber sofort! Alle!“, schickt Fräulein Knoll die Kinder sanft und verständlich auf den rechten Weg, um sich und ihrer Missbilligung freies Feld zu verschaffen.
„Jetzt hören Sie mal, Sie alter Depp,“ wendet sie sich nun wieder dem versteckten Xaver zu.
„Mir ist das völlig wurscht, wer Sie sind und gegen was Sie da oben protestieren oder welchem kranken Geist Sie sonst folgen, aber meine Kinder lasse ich mir nicht von Ihnen verängstigen“, sagt das kinderlose Fräulein Knoll mit erhobener Stimme und winkendem Zeigefinger.
„Und wenn Sie nicht sofort verschwinden, dann werde ich mich an den Bürgermeister wenden und die Polizei werde ich auch holen!“
Der Xaver hat auch dazu nichts zu sagen. Emilia Knoll sieht auf die Uhr und stellt fest, dass es jeden Moment zum Unterrichtsbeginn gongen wird. Eine Verspätung wäre keinesfalls in Ordnung. Deshalb verabschiedet sie sich jetzt vom Xaver:
„Bis zur großen Pause sind sie weg! Spätestens! Oder sie werden mich kennenlernen!“
Der Rest des Vormittags verlief ganz gut für den Xaver. Zur großen Pause um halb zehn Uhr waren weder die Kinder noch sonst irgendwer erschienen. Auch das Fräulein Knoll musste er nicht näher kennenlernen. Selbst nach Schulschluss waren keine Kinder oder Lehrerinnen zu sehen. Offenbar waren die Schüler zur Hintertür rausgebracht worden, damit sie sich nicht vor dem Xaver fürchten mussten. Und der Schulbus für die auswärtigen Kinder hält sowieso auf der anderen Seite des Dorfplatzes hinter dem Pfarrheim.
Pünktlich um halb Zwölf brachte ihm seine Hilde eine Gulaschsuppe mit Kartoffeln. Mit seinem Karabiner-Seil holte er den alten blechernen Wehrmachtsnapf zu sich hoch und winkte Hildes Frage unbeantwortet ab:
„Wann kommst denn wieder heim, Xaver?“
Gerade nachdem er seine Suppe gegessen hatte, kam der Fritz vorbei und legte ihm wohlwollend zwei Flaschen Bier in den heruntergelassenen Korb. Dies entlockte dem Xaver dann doch ein Wort, oder besser zwei Worte:
„Danke, Fritz!“
Woraufhin ihm der Fritz versicherte:
„Das passt schon, Xaver.“
Denn der Fritz war schon beeindruckt vom Xaver seinem Protest. Zwei Tage und zwei Nächte war er jetzt schon da oben auf der Eiche.
„Und wennst mal auf‘s Klo musst, dann kommst einfach rüber, gell?“
Eigentlich hat der Xaver ja schon mit dem Besuch vom Bürgermeister gerechnet, wie ihm das Fräulein Knoll versprochen hatte.
„Aber“, so denkt sich der Xaver, „der wird sich wohl noch ein paar Schimpfwörter ausdenken müssen. Das g‘wamperte Würschtl, das g‘wamperte!“
Was soviel meint, dass der Bürgermeister so etwas wie ein kleines Würstchen mit ausladendem Bauch sei. Das kann man sich jetzt schlecht vorstellen, darum stellen Sie sich einfach einen kleinen dicken Mann mit Glatze vor – weil so eine Wursthaut hat ja auch keine Haare.
Auch an diesem Tag zeigt sich der Sommer von seiner sonnigen Seite. Der Xaver sitzt im Schatten des Laubes auf seinem Ast. Er ist ganz froh um das Kissen, das ihm seine Hilde mitgegeben hatte und drapiert es auf den Ast, um etwas weicher zu sitzen. Zwischendurch war er schon mal ein Stück höher geklettert. Nur der Bewegung wegen und um zu sehen, wie weit es da runter geht. Denn irgendwie wird er langsam ein wenig steif in den Gelenken und mancher Knochen schmerzt an ungewohnten Druckstellen.
Es ist halb sechs Uhr abends, als der Xaver so dasitzt und überlegt, ob er die gähnende Leere um die Eiche herum dazu nutzen sollte, ein wenig Wasser zu lassen. Da sieht er plötzlich eine Gruppe Menschen die Straße heraufkommen. Schnurstracks fluten dreißig, vierzig Leute den Dorfplatz und nähern sich strammen Fußes der Eiche und dem Xaver. Einige von ihnen tragen Schilder, die sie in die Höhe halten.
„DER BAUM MUSS BLEIBEN!“ steht in großen handschriftlichen Buchstaben auf einer Tafel, „DIE EICHEN DÜRFEN NICHT WEICHEN!“ auf einer anderen. Es steht zwar nur eine einzige Eiche da, aber das hätte sich nicht so schön gereimt. Am besten gefällt Xaver das Schild mit der Aufschrift: „LIEBER WEG MIT DEM BÜRGERMEISTER, STATT WEG MIT DER EICHE!“
Die Leute breiten Decken aus und stellen Stühle auf – auch der Vitus ist wieder mit seinem Klappstuhl da. Andere schleppen riesige Kühlboxen und Körbe an. Ein junges Paar breitet ein großes Leintuch auf dem Pflaster vor der Eiche aus, auf dem steht: „WEIL UNS DAS GEFÄLLT, WIRD HIER NICHTS GEFÄLLT!“
Und es kommen noch mehr. Die meisten davon setzen sich zu den anderen unter die Eiche. Andere wiederum filmen oder fotografieren die Szenerie im Herumgehen. Auch der Fritz ist mit seinem Handwagen voller Bier und Wurstsemmeln wieder da und der Fischer Albert fotografiert und notiert auch wieder. Es werden an die hundert Leute sein, die sich hier unter dem Xaver versammelt haben. Die Schilderträger wandern in einer Reihe unermüdlich um den Baum und intonieren ein unendliches und ebenso monotones:
„Der Baum muss bleiben der Baum muss bleiben der Baum muss bleiben …“
Dem Xaver ist das alles gar nicht recht.
Da steht der Vitus von seinem Klappstuhl auf, den er diesmal nicht so nah am Stamm aufgestellt hat, und winkt dem Xaver mit einer Zeitung zu:
„He Xaver, du stehst in der Zeitung!“
Der Xaver lässt den Korb hinunter und der Vitus versteht sogleich, dass er die Zeitung in den Korb legen solle.
„EINSAME PROTESTAKTION IN AUGSEE“, steht auf der Titelseite des Tagblatts.
„XAVER SAUMBERGER BESETZT ALTE EICHE UM FÄLLUNG ZU VERHINDERN“, heißt es im Untertitel, gefolgt von einem großen farbigen Foto von der Eiche und dem Xaver seinem Hintern in der Astgabel.
Dem Xaver ist das alles gar nicht mehr recht.

***

„An der Glatze sieht man‘s ganz genau,
wenn einer gleich platzt!“


„Ja Herrschaftszeiten, was ist denn hier los? Seids ihr alle vom Teufel geritten? Was soll denn dieser Aufstand hier?“
Der Bürgermeister hat sein Auto gleich auf der Hauptstraße stehen gelassen. Mit einem Aktenkoffer in der Hand steht er nun inmitten der Demonstranten und man hat den Eindruck, dass er recht überrascht ist, weil er den Mund so weit auf hat, auch wenn er gerade nichts sagt.
Bürgermeister Helmut Haberecht war übers Wochenende verreist und wurde heute Vormittag von Fräulein Knoll telefonisch darüber informiert, dass der Saumberger Xaver im Baum sitzt und die Schulkinder verängstigt. Sie hatte kurz nach ihrer Zurechtweisung des Baumbesetzers von den Lehrerkollegen erfahren, dass es sich um einen gewissen Saumberger Xaver handele, welchen sie da auf dem Baum kennenlernen musste.
Der Bürgermeister wendet sich hoch zum Xaver. Er hat es ja nicht recht glauben können, als er hörte, dass der alte Saumberger auf der Eiche hocke. Aber der Geschäftsleiter der Gemeinde, der ihn gleich nach dem Fräulein Knoll auch auf dem Handy angerufen hat, hat ihm dasselbe erzählt und noch dazu, dass der Xaver schon seit Samstag auf dem Baum sitze.
„Xaver, sag‘ einmal, spinnst du jetzt komplett? Komm sofort da runter und lass diesen Blödsinn sein! Nachher fällst du noch runter, du alter Depp!“
Der Xaver hätte ihm in diesem Moment gerne auf die Glatze gespuckt, dem Bürgermeister, weil der gerade so günstig unter ihm steht. Aber das gehört sich nicht.
„Ja, da frag‘ ich mich schon, wer da überhaupts spinnt! Ich glaub eher, dass der Bürgermeister und seine Gemeinderäte spinnen! Unsere Eiche wollts ihr umhauen, ja habts ihr‘s noch alle? Das kommt überhaupt nicht infrage!“, baut sich der Messner vor dem Bürgermeister auf.
Hans Hohl, Geschäftsleiter der Gemeinde Augsee, ist gerade eben auch hinzugekommen und schiebt den Messner vorsichtig ein wenig weg vom Bürgermeister, damit er diesen nicht ungewollt zusammentrete, weil der Bürgermeister ist eher klein für seine Größe und der Messner eher groß.
„Ja Hergottsakrament, was habts ihr denn alle!“
Der Bürgermeister Haberecht hat noch nicht gemerkt, dass sich auch der Pfarrer Wohlfahrt dem Spektakel nähert, sonst hätte er wahrscheinlich nicht so geflucht.
„Wer sagt denn, dass die Eiche gefällt werden soll?“
„Jetzt tu‘ nicht so scheinheilig, nur weil der Pfarrer da ist. Das habts ihr in eurem stillen Kämmerlein beschlossen, gib‘s doch zu, du Haderlump, du Umweltschänder!“, hilft ihm die Trautmannsdorfer Marianne, sich zu erinnern.
„Und das mit deinem Denkmal, das kannst du gleich vergessen. Weil ein Bürgermeister, der so hinterfotzig mit seinen Wählern und der Natur umgeht, für den gibt‘s kein Denkmal!“, stellt der Bäckermeister Wolf klar.
Einer aus der Blumenstraße meint: „Jaaa, ein Denkmal möcht‘ er haben, der Bürgermeister, der g‘spinnerte. Aber für die Sanierung von der Blumenstraß‘ ist kein Geld da!“
Und dem Schmalzeder Karl ist dann noch eingefallen, dass der Bürgermeister ihm einmal die Polizei geschickt hat, wegen dem Karl seinem Hund, der ihm immer zu laut gebellt hatte, dem Bürgermeister:
„Was möcht‘ man denn schon erwarten, von einem, der einem den Hund wegnehmen lassen will! Meinst vielleicht, wenn‘s keine Bäum‘ mehr gibt, verschwinden auch die Hund‘?“
Und irgendwer sagt dann noch, dass es in der Gartenstraße immer noch keine 30er-Beschränkung gäbe.
Jetzt gerät alles schon ein wenig durcheinander, weil gar zu viele auf einmal auf den Bürgermeister einschimpfen.
„Aber Leute, Leute, jetzt beruhigts euch doch. Das kann man doch in aller Ruhe miteinander ausreden. Lassts doch den Bürgermeister mal erklären, warum die Eiche denn weg soll!“
Pfarrer Wohlfahrt müht sich salbungsvoll um Deeskalation, ohne zu merken, dass er sein Öl ins lodernde Feuer gießt. Denn dem kleinen Herrn Bürgermeister schießt jetzt die Zornesröte so in den Kopf, dass seine Glatze wie eine glühende Herdplatte leuchtet. Der Xaver denkt sich:
„Wenn ich dem jetzt auf die Platte spucken würd‘, da würd‘s ganz schön zischen!“
„Ja, Himmelhergottsakramentnocheinmal, ich weiß nichts davon, dass die Eiche weg soll! Wer sagt denn so was? Sagt das der Xaver oder wer?“
Bürgermeister Helmut Haberecht wirft seinen Aktenkoffer zornig zu Boden und stampft mit einem seiner kurzen Beine kräftig daneben auf. Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen schaut er hoch zum Xaver, der sogleich in das Eichen-Geäst hinaufblickt, als würde ihn das alles gar nichts angehen.
„Jetzt wenn du nicht gleich da runterkommst, dann hol ich die Polizei. Und dann lass ich die ganze Versammlung hier auflösen – von Amts wegen. Ihr habts es doch alle nicht mehr ganz beieinander!“
Er dreht sich zweimal um die eigene Achse und verteilt stechende Blicke an die Umstehenden.
Der Vitus macht sich noch eine Halbe auf und lehnt sich gemütlich in seinen Klappstuhl zurück. Denn von da aus hat er das Gemenge rund um den Bürgermeister bestens im Blick.
„Früher, da hätt‘s jetzt Watsch‘n gegeben!“, denkt er sehnsüchtig an die heitere alte Zeit zurück.
Bürgermeister Haberecht hebt seinen zerschundenen Aktenkoffer auf, packt seinen Geschäftsleiter am Arm und zieht ihn stampfend mit sich über den Dorfplatz zum Rathaus.

***

„Wenn einer nicht so viel redet, dann hat man auch Zeit,
drüber nachzudenken, was er einem sagen möcht‘!"


Es war vor ungefähr zwei Wochen, da war der Saumberger Xaver beim Arzt. Nicht, dass ihm was gefehlt hätte, aber seine Hilde hatte gemeint, dass es wieder an der Zeit wäre, den Herrn Doktor Maurer zu konsultieren. Wegen der Vorsorge und so – obwohl der Xaver immer meint, dass es das nicht brauche, weil er der Entsorgung eh schon näher als der Vorsorgung sei.
Es war dann auch so, dass der Herr Doktor Maurer ganz zufrieden war mit dem Zustand vom Xaver. Er hatte ihn zwar noch in den dünnen Arm gestochen, um ihm Blut abzunehmen, aber der Doktor war sich auch ohne Blutuntersuchung schon sicher, dass dem Xaver nichts fehlen würde. Nur das Rauchen sollte er aufhören, dann würde er mindestens zehn Jahre länger leben. Aber das sagte der Doktor Maurer jedesmal zum Xaver.
Nach der erzwungen Untersuchung ging er mit dem Vitus noch auf eine Halbe Bier zum Kirchenwirt. Weil immer wenn ihm der Doktor Maurer Blut abgenommen hat, dann muss er das ja wieder auffüllen. Und da hilft eine Halbe Bier am besten, war sich der Xaver sicher.
„Und? Passt alles?“, fragte ihn der Vitus.
„Sowieso!“, antwortete der Xaver ausführlich und bestellte sich beim Fritz ein Bier.
„Der Doktor meint halt immer, dass ich das Rauchen aufhören soll! Aber das hat er vor dreißig Jahren auch schon gemeint!“
Wenn er mit dem Vitus alleine ist, dann redet der Xaver oft ein bisschen mehr als sonst. Weil den Vitus kennt er ja schon lange und der Vitus redet auch nicht so viel. Darum hat er ihm das auch erzählt, was der Doktor sonst so gesagt hat. Und weil ihm der Vitus dann Zeit gelassen hat noch ein wenig weiterzureden, meinte der Xaver:
„Weißt, Vitus, manchmal in der Früh, nach dem Aufstehen, da frag‘ ich mich schon, ob nicht der Husten vielleicht vom Rauchen kommt!“
Jetzt sagt der Vitus auch wieder was:
„Ja, dann hör halt auf mit dem Rauchen!“
Und da musste der Xaver schon nachdenken. Denn dass ein Doktor so was sagt, das ist ja ganz normal. Weil der muss das ja sagen. Aber dass sein Freund der Vitus das sagt, das war jetzt schon wichtig.
Der Vitus ist mit seinen sechsundsiebzig Jahren ja schon drei Jahre älter als der Xaver. Und weil er immer schon drei Jahre älter war als der Xaver, war er für den Xaver auch immer so was wie ein großer Bruder.
„Ich hab das seinerzeit so gemacht,“ erklärte der Vitus dem Xaver, wie er das Rauchen aufgehört hat, „ich hab alles, wobei ich sonst immer geraucht habe, erst einmal nicht mehr gemacht.“
Der Vitus war sich nämlich sicher, dass das Rauchen etwas mit dem Hirn zu tun hat, „weil wenn dein Hirn merkt, dass jetzt was ist, wo es noch nie einen Rauch gebraucht hat, dann braucht‘s ihn auch jetzt nicht!“
Der Vitus merkte am Xaver seinem Schauen, dass der das jetzt nicht verstanden hatte.
„Schau, Xaver, ich hab immer zum Kaffee eine Zigarette geraucht. Dann hab ich auf einmal keinen Kaffee mehr getrunken, sondern einen Tee. Und da hat mein Hirn gemeint: ‚He, das ist ja ein Tee. Da braucht‘s ja gar keinen Rauch dazu!‘, weißt, wie ich mein‘?“
Der Xaver war gerade so mit Nachdenken beschäftigt, dass der Vitus noch weiterreden durfte:
„Oder ich bin in den Wald hinausgegangen und mein Hirn hat gemeint: ‚Eha, da hab ich ja noch nie einen Rauch gebraucht! Dann braucht‘s ihn auch jetzt nicht!‘“
Und weil der Vitus gemerkt hat, dass der Xaver immer noch nicht mit dem Denken fertig war, hat er weitererzählt:
„Am Anfang hab ich mich sogar ein paar Tage ins Schlafzimmer eingesperrt, weil dort hab ich auch nie geraucht. Die Elfriede selig hätte das nämlich gar nicht gemocht!“
Dann blieb es still am Tisch. Die beiden prosteten sich zu und nahmen einen kräftigen Schluck aus dem Bierglas.
Auf dem Nachhauseweg war der Xaver alleine mit sich und der Vorstellung, wie seine Hilde sich freuen würde, wenn er nicht mehr rauchen täte. Aber so ganz verstanden hatte er den Vitus noch nicht. Weil im Wald, da hat der Xaver schon immer geraucht und ins Schlafzimmer möchte er sich nicht einsperren lassen. Und einen Tee, den mag er nicht. Außer, wenn es ihm ganz kalt ist, dann trinkt er auch mal einen Tee – und raucht eine Zigarette dazu. Da würde sein Hirn dann auch nicht verstehen, warum es keinen Rauch mehr brauchen sollte. Der einzige Ort, wo er tatsächlich noch nie geraucht hat, das wäre unter Wasser – oder auf einem Baum.

 

Schön. Ganz, ganz schön sogar.
Herzlich Willkommen Herr oisisaus.
Du bist noch am Ändern und ich hab sie schon ausgelesen. Das ist ein gutes Zeichen. Das ist so eine nette, hintergründige Geschichte voller Schmunzeleien und absurder Komik. Ich hab lachen müssen über die merkwürdigen Gestalten, die Augsee besiedeln und wie aus einem Baumhocker, der sich das Rauchen abgewöhnen will, ein Volksauflauf wird.
Ich möchte jetzt auch gar nicht groß rummäkeln oder was finden, ist mir grad wurscht.
Wenn ichs noch mal gelesen hab, fällt mir sicherlich noch was ein, was auch der Konstruktivität dient. Ich will jetzt einfach mal loswerden, dass deine Geschichte tierisch Spaß gemacht hat.
Viel Vergnügen noch hier.

 

Oh, vielen Dank,
ehrlich gesagt fällt mir ein Stein vom Herzen. Ich habe lange gebraucht, um mich durchzuringen, meinen Xaver "zu veröffentlichen". Habe u. a. auch befürchtet, dass ich mit meiner "liebenswürdigen bayerischen Grammatik" durchfallen könnte. Umso mehr freut es mich, dass er spontan schon mal ganz gut ankam. Natürlich steckt der Teufel im Detail und ich bin auch schon sehr gespannt, welche Impulse mir helfen werden, diese und ähnliche Geschichten (aus Augsee) noch etwas lesenswerter hinzukriegen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus oisisaus, willkommen hier.

Irgendwer hat mal gesagt, der Schreibstil von Wolf Haas' Brenner-Krimis sei ja eigentlich gar kein Schreibstil, sondern ein Redstil, weil er genau so artikuliert, wie man das in jedem Wiener Beisl zu hören bekommt, wenn einer zum Erzählen anfängt, und genau daran musste ich schon nach den ersten Zeilen deiner Geschichte denken. Und ich hoffe, dass du das jetzt als ganz großes Kompliment auffasst.
Wenn man diese Art von Stil mag, der durch das zeitweilige Ansprechen des Lesers ungemein persönlich und sympathisch klingt, wenn man dieses beinahe umgangssprachliche Erzählen ohne Rücksicht auf grammatische Korrektheit mag, wenn einem charmante Formulierungen allemal mehr wert sind als hochsprachliche Finesse, wenn man korrekte Syntax nicht unbedingt als das Maß aller Dinge betrachtet, sondern lieber lebendiges Dahinfabulieren hört, genau so, wie dem Volk der Schnabel gewachsen ist, dann ist man mit dieser herrlichen Geschichte bestens bedient.
Also mir hat das ausnehmend gut gefallen.

Mein einziger Kritikpunkt betrifft die Formatierung: Ich mag diese inflationäre Verwendung von Leerzeilen einfach nicht.
Vielleicht bin ich ja altmodisch, aber ich versteh den Sinn einfach nicht. Das hat doch nichts mit „besserer Lesbarkeit am Bildschirm“ zu tun, für mich ist das nicht mehr als eine modische Unsitte speziell bei Internet-Texten. Ein Buch mit so einem Text-Layout würde ich nach der ersten Seite unters Sofa pfeffern, ehrlich, und wenn’s von Djian wäre.


offshore

 

Hallo Oisisaus,

eine wirklich gelungene Geschichte über den ländlichen Wahnsinn. Verschrobene Figuren mit Mundart gemixt, das hat Charme. Ich kann mir das auch gut als Film vorstellen, mit den üblichen Verdächtigen (bayrischen Schauspielern).
Besonders nett finde ich, wo Du beschreibst, wie der Xaver nach München zum Geburtstag seines Sohnes fährt. Sehr lustig, aber auch sehr authentisch. Als Bewohner einer größeren Stadt kann man sich immer nicht vorstellen, dass es für einige Dörfler eine regelrechte Grenzerfahrung ist, in die "Stadt" zu fahren.
Habe eigentlich nix auszusetzen, okay, die Form finde ich auch etwas fragwürdig, aber ansonsten::thumbsup:

Hat Spaß gemacht,
viele Grüße Kerkyra

 

Habe gerade erst die Hälfte gelesen - werde morgen weitermachen - allerdings würde ich die Interpunktion noch einmal überarbeiten. Es fehlen doch noch viele Kommas, - aber das ist ja mehr so 'ne Kleinigkeit.

Morgen dann ein ausführlicherer Kommentar zur Geschichte.

 

Hallo oisisaus

Auch von mir ein herzliches Willkommen bei den Wortkriegern
(ois is aus? nix da, ganz viel is drin! ;))

Das hat mir ausgesprochen gut gefallen, denn ich mag diesen Stil, wenn er nicht zu übertrieben und als reiner Selbstzweck daher kommt. Dir gelingt es.
Feiner Wortwitz, gepaart mit Lokalkolorit und stringentem Erzählstil, so machts Spass.

Ich schreib mal mit, was mir beim Lesen auffiel:

Denn als Kirchenwirt-Wirt weiß er ganz genau, dass die Leute nach der Kirche ihren Frühschoppen brauchen.
nur Kirchenwirt, oder?

„Wer hat denn das beschlossen, dass die Eiche gefällt werden soll?“, fragt der Fischer Albert mit dem kleinen Block in der Hand, den er als nebenberuflicher Redakteur immer bei sich hat
Wieso plötzlich nebenberuflich? Hat das eine Bedeutung?

„Jetzt verschwindet‘s doch endlich mal und lasst‘s mir meine Ruhe, Hergottsakramentnocheinmal!“, schallt es plötzlich vom Baum herunter, als wäre es ein göttliches Donnergrollen geradewegs vom Himmel herab – wenn man sich das Fluchen mal wegdenkt.
Da würde ich den Nachsatz einschieben, so wird der Übergang zum nächsten Satz flüssiger: "... schallt es plötzlich vom Baum herunter, als wäre es – wenn man sich das Fluchen mal wegdenkt - ein göttliches Donnergrollen geradewegs vom Himmel herab."

Nur ein leises Plätschern ist zu hören, nachdem der Xaver ein paar Kletterbewegungen gemacht hat und sich nun aufrecht auf dem Ast stehend mit einer Hand am Stamm festhält. Der Vitus schiebt seinen Klappstuhl ein wenig weiter weg und setzt sich wieder hinein.
Authentisch, sehr gut. Menschliche Bedürfnisse werden in Geschichten gefliessentlich ausgeblendet, hier gehörts dazu - und das wirkt sympatisch, bringt einem die Figur noch näher, ach ich weiss auch nicht, wie ichs ausdrücken soll ...

Und der Xaver hätte geantwortet, wenn er gedurft hätte.
Hier stellt sich mir die Frage, warum durfte er nicht? Nur der Pointe willen? Aber ist kein grosses Ding, bin halt nur kurz gestolpert.

„Kinder! Ab in die Schule! jetzt gleich! Aber sofort! Alle!“, schickt Fräulein Knoll die Kinder sanft und verständlich auf den rechten Weg,
Das sanft beisst sich etwas mit den Ausrufezeichen, ev. nur eines nach Schule reicht.

„Ja, Himmelhergottsakramentnocheinmal, ich weiß nichts davon, dass die Eiche weg soll! Wer sagt denn so was? Sagt das der Xaver oder wer?“ [...]
Bürgermeister Haberecht hebt seinen zerschundenen Aktenkoffer auf, packt seinen Geschäftsleiter am Arm und zieht ihn stampfend mit sich über den Dorfplatz zum Rathaus.
Nicht ganz befriedigend, aber hier brauchts halt diesen Kunstkniff des verärgerten Abgangs nach links, um die Falschinformation der Baumbeseitigung weiterhin über der Szenerie schweben zu lassen.

Perlen:
Als sie nach eineinhalbstündiger Fahrt am Münchner Hauptbahnhof vom Zug ausgestiegen waren, da war der Xaver gleich recht verwirrt. Wegen der vielen Leute, den vielen Zügen, den vielen Treppen und wegen dem, dass er nicht wusste, wie‘s jetzt weitergehen soll.
Er wusste zwar, dass die U-Bahn unter dem Boden fährt, aber nicht, welche Treppe denn nun die richtige ist, um zum richtigen Zug hinunterzukommen. Und als sie dann endlich unten waren, da wussten die Hilde und er nicht, welche Bahn jetzt nach Milbertshofen fahren würde. So musste er also andere Leute fragen. Fremde Leute findet der Xaver aber verwirrend. Vor allem, wenn sie kein richtiges Bayerisch sprechen, weil dann versteht er sie auch noch schlecht.
Denn dem kleinen Herrn Bürgermeister schießt jetzt die Zornesröte so in den Kopf, dass seine Glatze wie eine glühende Herdplatte leuchtet. Der Xaver denkt sich: „Wenn ich dem jetzt auf die Platte spucken würd‘, da würd‘s ganz schön zischen!“
„Bis zur großen Pause sind sie weg! Spätestens! Oder sie werden mich kennenlernen!“
Der Rest des Vormittags verlief ganz gut für den Xaver. Zur großen Pause um halb zehn Uhr waren weder die Kinder noch sonst irgendwer erschienen. Auch das Fräulein Knoll musste er nicht näher kennenlernen.
Der Vitus merkte am Xaver seinem Schauen, dass der das jetzt nicht verstanden hatte.
und noch viele andere :D

Danke für diese humorvolle Kleinstadtgeschichte, in der jeder jeden zu kennen scheint und doch nichts so ist, wie es scheint.

Gruss dot

 
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Hallo an alle, die sich schon mit meinem "Xaver" beschäftigt haben,
es freut mich sehr, dass meine ersten Gehversuche eine doch recht positive Resonanz bewirkt haben. Ich finde das sehr motivierend.


Hallo ernst offshore,
da bin ich wohl ein wenig übers Ziel hinaus geschossen, mit den Absatzabständen. Jetzt, wo ich das angepasst habe, finde ich auch, dass es lesbarer ist. Aber ehrlich gesagt hatte ich mir über die Formatierungsfeinheiten gar keine große Gedanken gemacht.

Hallo Jynx,
die kursiven Zitate sollen so etwas sein wie eine "Kapitel- oder Szenenüberschrift". Ich hab daher im Rahmen meiner Umformatierung der Absatzabstände versucht, auch diese Zitate besser abzuheben. Mir persönlich sind sie sehr wichtig, weil ich damit diese - wie soll ich sagen? - "sympathisch infantile Weisheit" der jeweiligen Szene zusammenfassen möchte. Und dies eben bewusst nicht als Zwischenüberschrift, sondern auf dialogische Art und Weise.
Den Schluss sehe ich persönlich gar nicht so sehr als Pointe (ist jetzt ein wenig auch Definitionssache), sondern als das letzte Glied, das dem Leser ermöglicht, das Rätsel zu lösen, also die Antwort auf das Warum zu finden.

Hallo dotslash,
vielen Dank für deinen ausführlichen und differenzierten Kommentar. Ich vermute mal, dass nicht viele gleich den Inhalt meines Nicknames richtig interpretieren können. Ich war fast ein wenig überrascht ;-)

Also der Kirchenwirt-Wirt ist bewusst so gewählt. Zum einen natürlich auch als Wortspiel, zum anderen aber auch, weil es m. E. konsequenter Weise auch so heißen muss: Nehmen wir an, das Wirtshaus würde sich "Zur Kastanie" nennen. Dann würde der Wirt auch "Kastanienwirt" heißen. Da aber nun das Gasthaus "Zum Kirchenwirt" heißt, muss infolgedessen der Wirt eben auch Kirchenwirt-Wirt heißen ;-)

"Nebenberuflicher Redakteur", stimmt, "nebenberuflich" ist überflüssig. Da hab ich mich wohl zu sehr von den realen Gegebenheiten in meinem Heimatdorf leiten lassen.

"...geradewegs vom Himmel herab – wenn man sich das Fluchen ...": Auch hier stimme ich dir zu, dass es eingeschoben flüssiger wäre. Aber die bayerische Grammatik (zumindest so, wie ich sie erlebe!-)) nutzt häufig das "Anhängsel". Sozusagen um eine Art zweiten Gedanken deutlich zu machen und ihn gleichzeitig zu intensivieren. Ich habe daher dieses "Ergänzenden-Gedanken-hinten-dranhängen" häufiger verwendet.

"... hätte geantwortet, wenn er gedurft hätte.": Xaver durfte nicht, weil er vom Fräulein Knoll unterbrochen wurde - Sie hat ihn sozusagen nicht reden lassen. "Und wenn du jemanden nicht reden lässt, dann darf der auch nicht, selbst wenn er gemocht hätte!" ;-)

"...schickt Fräulein Knoll die Kinder sanft und verständlich ...": Ja, das soll reine Ironie sein. Durch die nachdrücklichen Ausrufezeichen kennzeichne ich tatsächlich den harschen Nachdruck ihrer Worte und ironisiere mit der besänftigenden Beurteilung des Erzählers.

" ... ich weiß nichts davon, dass die Eiche weg soll! ...": Hier weiß ich nicht so recht, ob ich dich richtig verstanden habe. Mir ging es an der Stelle tatsächlich darum, dem Leser zu verstehen zu geben, dass der bislang naheliegende Gedanke, die Eiche solle gefällt werden, falsch ist.

Noch ein Wort zu einer "Perle": Es freut mich, dass du gerade die Bahnhofszene als Perle empfindest - wie wohl auch Kerkyra -, denn diese Stelle hat mich besonders zahlreiche Überarbeitungen gekostet, bis ich den Eindruck hatte, dass auch das rüberkäme, was ich mir so vorstellte.

Grüße an alle
oisisaus

 
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Also hier - wie angedroht - mein Kommentar zur Geschichte in ihrer Gänze.

Durch und durch bleibt ein sehr, na wie soll man sagen..., hochwertiger Eindruck zurück. Es wirkt, als ob du eine ganz genaue Vorstellung davon hättest, wie man formuliert und du klatscht die Wörter auch sehr geschickt und durchdacht aneinander. Ohne die ständigen Leerzeilen gefällt es mir auch viel besser. Dieses Springen; für mich war das ebenfalls nichts.

Ob Xavar mir jetzt sympathisch war? - Ne, eher nicht. In dieser bayrischen Idylle fühlt sich das Leben einfach zu klein und unbedeutend an, als dass ich jetzt unbedingt davon erfahren möchte. Das ist aber keine Kritik an der Geschichte, sondern einfach subjektive Wahrnehmung. Die Geschichte an sich, würde ich auch eher für eine halten, die dem älteren Publikum gefällt und vielleicht der ein oder anderen Landnase - im besten Sinne, versteht sich -. Hier geht's nicht um große Gefühle oder Ereignisse, da setzt sich ein verdammt verschobener Xavar auf einen Baum und bleibt halt da.

Natürlich... und das wird die nächsten zwei Jahre auch noch so bleiben, wenn sie jemand auf einen Baum setzt... muss man dabei an "Nichts, was im Leben wichtig ist" denken. Ob das gewollt ist oder nicht, kann ich natürlich nicht sagen.

Ohne das Sujet und bayrischer Lokaljargon jetzt mein bevorzugtes Territorium sind, habe ich die Geschichte trotzdem gern gelesen. An Stil und Ausdruck lässt sich mMn nicht viel meckern, nur die Interpunktion weißt an vielen Stellen noch Schwachstellen auf. Allerdings bin ich zu faul, als dass ich jede Stelle heraussuchen möchte...

Kleines Beispiel

Der Xaver ist jetzt ein wenig ungehalten geworden(,) weil ihn seine Blase schon arg drückt

 

Hallo MeMo,

nun, als Drohung habe ich deine Vorabinfo keineswegs empfunden. Es freut mich vielmehr, dass du dir wirklich nochmal Zeit genommen hast.

Ich denke, es ist nahe liegend, dass eine Geschichte wie "Xaver" alleine schon des Jargons wegen etwas polarisierend ist - unabhängig davon, ob Landnase oder Stadtmurmel. Und du hast zweifellos recht: "Die Baumbesetzung" ist jetzt sicher kein spannendes Thema, ebenso wenig, wie der letztendliche Grund dafür.
Mir machte es bei dieser Geschichte einfach Spaß, Typen darzustellen und Charaktere zu (über)zeichnen - wohlgemerkt: ohne sie gänzlich der Lächerlichkeit preiszugeben.
Darauf richteten sich meine Bemühungen mehr aus, als darauf, einen mitreißenden Handlungsbogen zu konstruieren. Falsch oder richtig? Das muss jeder für sich entscheiden.
Insofern ist natürlich auch die niederbayerische Landidylle keine spektakuläre Location. Aber mit Blick auf meine o. g. persönliche Intention die einzig authentische.
So, und demnächst mach ich mich nochmal in Sachen Interpunktion drüber. Wäre doch gelacht, wenn ich mir da nicht noch einen Punkt von dir holen könnte ;)

Grüße nach Irgendwo
oisisaus

 

MeMo schrieb:

Die Geschichte an sich, würde ich auch eher für eine halten, die dem älteren Publikum gefällt und vielleicht der ein oder anderen Landnase - im besten Sinne, versteht sich
Hallo dot, offshore, Jynx und Kerkyra, ihr landnasigen Altlinge im besten Sinne.
Ich musste so lachen, als ich das eben las, lieber MeMo. Nimms mir nicht übel, ist nicht bös gemeint. Da befinde ich mich ja schließlich bester Gesellschaft.
Das ist jetzt mal ausnahmsweise eine Stelle, wo ich sagen möcht, alte Knacker haben einen sauguten Geschmack.
Übrigens stimmts leider gar nicht. Hier in Frankfurt warn zum Beispiel bei Wolf Haas, eine ganze große Menge junger Leute. Weiß ich, weil ich wegen denen in eine hintere Reihe musste.
Wolf Haas Lesungen - übrigens sehr zu empfehlen. Den möchte man adoptieren, wenn er fertiggelesen hat. Nein, vorher schon.

Also ... oisisaus (keine Sorge, wir WolfHaasenLiebhaber verstehn das schon) nur noch mal zu deiner neuen Formatierung. Die ist viel besser jetzt. Die kleinen Zwischenüberschriften kommen viel viel besser zur Geltung.
Inhaltlich haben die was von Valentinscher Weisheit.
Ach ja, wollt ich noch sagen: ich könnt mich schon über die Zwischenüberschriften wegschmeißen.

Und damit ich nicht so unkonstruktiv hier rumgröle, kriegst du jetzt noch was zum Verbessern:

Beim Zwetschgen pflücken oder Kinder beim Kraxeln, das gibt‘s schon.
Beim Zwetschgenpflücken
Die Substantivierung bezieht sich ja auf pflücken: beim Pflücken

Das mit dem Xaver, das ist aber jetzt etwas anderes. Nicht nur, weil Leute in seinem Alter eher selten auf Bäumen herumklettern, sondern auch KOMMA weil unter der Astgabel KOMMA in der er gerade liegt, eine Hängematte hängt und darüber ist ein Rucksack am nächsthöheren Ast aufgehängt.

Und direkt am Stamm der Eiche, dort KOMMA wo sich Xavers Sitzast noch nicht gabelt, da hat er seine Strickleiter aufgewickelt.

Sie hat sich zwar gewundert, als Sie den Xaver da oben sah, wie er gerade Brotzeit machte KOMMA und er sie kauend mit einem Kopfnicken grüßte – ein Brotzeitbrett hatte er auf dem Schoß und schnitt darauf gerade sein G‘selchtes in Stücke –, aber weil es ihr schon pressierte, da hat sie sich nur gedacht, der Xaver würde schon einen Grund haben, an diesem warmen Sommermorgen auf der alten Eiche Brotzeit zu machen.

Der Fischer Albert ist der Lokalredakteur vom hiesigen Tagblatt und ist immer recht froh KOMMA wenn die Trautmansdorfer Marianne ihm von den Geschehnissen in Augsee berichtet.

So und weil ich jetzt nichts mehr finde und keine Zeit mehr habe, mach ich einfach mal Schluss.
LG Novak

 
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Hallo oisisaus

Ich vermute mal, dass nicht viele gleich den Inhalt meines Nicknames richtig interpretieren können. Ich war fast ein wenig überrascht ;-)
Wir hatten mal einen assimilierten Bayern in unserem Handballverein, und da wir anderen jeweils SMS in Schweizerdeutsch austauschten, texte er völlig zurecht in Bayrisch. Deshalb sprang es mir ins Auge ... :D

Kurz noch zu zwei Anmerkungen:

"Zum Kirchenwirt" heißt, muss infolgedessen der Wirt eben auch Kirchenwirt-Wirt heißen
Ah, jetzt. Aber da du das Lokal nirgends mit vollem Namen nennst, dachte ich beim Kirchenwirt handle es sich eben um die Person vom Lokal "(Zum) Kirchenwirt".

Und da hat er sich beim Kirchenwirt gleich mal eine Halbe Bier mitgenommen, als er auf dem Weg zum Dorfplatz war.
im/ausm Kirchenwirt, und die ganze Sachlage wäre (für mich) klar gewesen.
Egal, passt auch so.

Hier weiß ich nicht so recht, ob ich dich richtig verstanden habe. Mir ging es an der Stelle tatsächlich darum, dem Leser zu verstehen zu geben, dass der bislang naheliegende Gedanke, die Eiche solle gefällt werden, falsch ist.
Ach so, dann hatte ich das falsch verstanden, heisst, der Bürgermeister war noch der letzte der das Gerücht hätte bestätigen können, und ab da ist allen klar, es geht gar nicht um den Baum.
Ab dem Zeitpunkt, da die Trautmansdorfer Marianne dem Lokalredakteur das Gerücht ins Notizbuch diktiert hat, dachte ich mir schon, dass Xavers Hochsitzmarathon nichts mit dem Baum zu tun haben kann, das wäre zu einfach gewesen. Und so amüsierte ich mich auf dem Weg zur Auflösung, warum Xaver im Baum hockt, über die gerüchtehalber fehlgeleiteten Dorfbewohner. Auch wenn man es dann weiss, die Geschichte bleibt amüsant und lässt sich gut mehrmals lesen, dann halt mit der Sichtweise des Vitus im Liegestuhl.

 
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He, ich noch mal. Ganz kurz nur.
Hab vorhin meinem Freund deine Geschichte vorgelesen. Er hat an vielen Stellen ziemlich gelacht.
ABER: Beim Voresen ist mir aufgefallen, dass du ziemlich in der Schreibzeit gewechselt hast. mal Präsens, mal Präteritum, das geht wild durcheinander.
Und: Xavers Alter wird zweimal unterschiedlich angegeben. Am Anfang ist er 73 oder 74 und weiter hinten, als der Baumbesetzungsgrund aufgelöst wird, ist er jünger.

LG Novak

Nachträgliches Edit: Ohje, so kanns gehen. Das Alter stimmt. Hab ich mich so getäuscht oder hast du es hoffentlich nur grad geändert???? Das mit den Zeiten stimmt aber immer noch.

 
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Das ist eine wunderbare Geschichte, sie hat mir sehr gefallen.

Meine Lieblingsstelle war das mit dem Troglodyten und wie man sich auf bayrisch richtig streitet. Das fand ich großartig. Überhaupt war die Geschichte so folgerichtig, erzählt. Mit dem "unerhörten" Ereignis angefangen und das dann logisch weitergedacht. Warum steigt man denn sonst auf Bäume, wenn sie nicht gefällt werden sollen?

Und als dann auf den Bürgermeister dieser ganze Quatsch einprasselt, was die Leute so haben, das mochte ich auch sehr. Das ist ja schon satirisch, dass die Leute der Politik die Schuld geben, obwohl die sich überhaupt nichts zu Schulden kommen lässt, in dem Fall. Und sogar absurde Gerüchte (Der will sich da ein Denkmal bauen) werden dann einfach rumgeschleudert. Ist ja völlig hohl. Jetzt hat man grad mal die Gelegenheit, seinem "allgemeinen Unbehagen" Ausdruck zu verleihen und dann wird das genutzt. Wunderbar auch der Satz: Der Bürgermeister war etwas klein fürs eine Größe.

Die Geschichte hat auch mich sehr an Wolf Haas erinnert.

Der ist für mich ein herausragender Autor. So in Gedanken vergleich ich den immer mit einem ganz anderen mit Palahniuk, von Fight Club. Palahniuk beschreibt immer im Detail, wie Sachen funktionieren, wie die Welt funktioniert, was man Stoffliches mischen muss, um einen Effekt zu erreichen, wie die Dinge sind, wie Physik, wie Abläufe funktionieren. Er hat eine große Weltkenntnis.

Das hat Haas nicht. Haas hat eine große Menschenkenntnis, er weiß, wie Menschen funktionieren. Wie Menschen denken und reden. Warum Menschen etwas angekokeltes Gulasch mögen oder warum man den Bauch einzieht, wenn man einer schönen Frau begegnet oder wie isch Menschen positionieren, wenn sie fotografiert werden. Und er hört genau hin, wie Menschen in verschiedenen Situationen miteinander reden. Das hast du zum Beispiel im Text, als Vitus und Xaver sich unterhalten und es geht um einen ärztlichen Rat und Vitus wechselt auf einmal in eine formalere Sprachebene.

Ich finde diese Menschenkenntnis wertvoller beim Erzählen. Und ich finde der Text hier hat auch diese Eigenschaften. Das ist nichts Spektakuläres, nichts Effektheischendes, sondern es hat was sehr Warmes, etwas sehr Beruhigendes auch, anderen Menschen in den Kopf zu sehen und dabei nicht zu erschrecken. Dinge zu begreifen, Dinge anzunehmen, mit der Welt im Reinen zu sein, zu verstehen, dass der "andere" nichts Böses im Sinn hat, seine eigenen Gründen hat, sein eigenes Wertesystem, aber das auch er sehr menschlich ist. Ich glaube das vergessen wir mit unserer Erzähltradition und unserer Erzähl-Ästhetik häufig. Wenn man sich Palahniuk wieder anschaut, das ist eine sehr einsame Perspektive als einzig Wissender unter Blinden. Und das ist eine Perspektive der Isolation die wir in unserer aktuellen Erzählkultur massiv verfolgen, weil's so schön dramatisch ist, weil es so schön ist, sich mit einem Helden zu identifizieren, der was Besonderes ist, weil sich Leser selbst oft einsam fühlen, als einzig "Denkende" und "Fühlende" wahrnehmen.

Das ist, wenn man sich anschaut, was so an Geschichten in der "Mainstream-Kultur" hochkommt mit kleinen ausgewählten Eliten, während der Rest eine nicht-fühlende, uneingeweihte, uninteressante Masse ist, schon ein komischer Trend.

Das ist die große Stärke dieser Erzählhaltung, dass es alles erdet, dass alles menschlich ist, dass es alles einschließt. Der wamperte Bürgermeister, die tratschsüchtige Marianne, die kinderlose Lehrerin - das ist schon alles okay, das gehört so alles zum Menschsein, zu diesem Mikrokosmos dazu. Das akzeptiert man alles, der Mensch ist halt so. Und wenn einer auf einen Baum steigen will, dann soll einer auf einen Baum steigen. Er wird schon einen guten Grund dafür haben. Da kann man sich schon mal mit solidarisieren.

Ich hab die Geschichte sehr gerne gelesen, wirklich ein hervorragendes Debüt, von den erzählerischen Anlagen und auch sprachlich finde ich das schon sehr gereift. Gut, klar, es gibt deutliche Anleihen (in meinen Augen zumindest) an Wolf Haas, aber das ist etwas, das ich nicht ankreiden würde, weil so halt kaum einer schreibt und keiner gut schreibt. Und das ist ein angenehmer, fremder Ton, der mir viel lieber ist, als wenn einer einen "Mainstream-Sound" zum Vorbild nehmen würde.

 

Hallo Novak,
tut mir leid, aber Xavers Alter ist und war 73.:)

Tja, und das andere, die Sache mit der Zeit, das musste ja kommen.

Also, sicher hast du Recht, dass da noch ein paar Unstimmigkeiten drin sind. Mein Problem ist, dass ich das unnötiger Weise verkompliziert habe. Ich habe mich gleich am Anfang dazu entschlossen, den Erzähler dabei sein zu lassen. Also Präsens.

Das wurde aber zunehmend kompliziert, da aus dieser Sichtweise natürlich einige Dinge bereits wieder Vergangenheit waren, so z. B. sitzt also der Xaver im Baum und der Vitus sitzt mit seinem Bier darunter: so der Erzähler, der gewissermaßen dabei steht.
Dann wirft der Erzähler kurz einen Blick zurück, als Vitus sich vorher sein Bier vom Kirchenwirt mitnahm. Also Vergangenheit. Soweit, so gut.

Meine teilweise Ratlosigkeit liegt im Wesentlichen darin, dass das Erzähltempus Präsens in der Folge sowohl Präteritum, Perfekt und auch Plusquamperfekt bedarf - wobei sich mir schon die Frage aufgeworfen hatte, vielleicht ganz auf das Präteritum zu verzichten und die Vergangenheit nur mit Perfekt resp. Plusquamperfekt abzubilden!? Was dem bayerischen Sprachgebrauch ohnehin näher käme.

Wie auch immer: Hätte ich das (durchaus üblichere) Präteritum als Erzählzeit gewählt, müsste ich lediglich zwischen Präteritum und Plusquamperfekt wechseln.

Jedenfalls mag darin eine gewisse Verwirrung beim (Vor)lesen entstehen, obschon ich die Zeitsprünge vom Ablauf her für unumgänglich halte. Der größere Kuddelmuddel in meiner Geschichte liegt meines Erachtens mehr in der Verwendung von Präteritum vs. Perfekt.

Ich hoffe, dass ich damit klar machen konnte, dass du da sehr wohl einen Nerv getroffen hast, der mich bereits viele Nerven gekostet hat. Aber irgendwie komme ich aus dem Schlammassel nicht raus - außer ich würde die Erzählzeit generell ins Präteritum verlegen. Aber ich möchte das doch nicht :(

 

Hej oisisaus,

sie wurde ja schon viel gelobt, Deine Geschichte, und ich schließe mich dem an.

Ich mochte besonders die Figur des Vitus. Ich finde den schön eingesetzt, wie er nicht nur Auslöser des Ganzen ist, sondern durch die Zitate und als ständiger Zuschauer eine Art stilles Zentrum der Geschichte bildet (außerdem hieß mein Ur-Großvater so, aber das nur nebenbei)

Und bald kehrt Stille ein auf dem Dorfplatz. Nur ein leises Plätschern ist zu hören, nachdem der Xaver ein paar Kletterbewegungen gemacht hat und sich nun aufrecht auf dem Ast stehend mit einer Hand am Stamm festhält. Der Vitus schiebt seinen Klappstuhl ein wenig weiter weg und setzt sich wieder hinein.
Das hier fand ich toll.

weil so eine Wursthaut hat ja auch keine Haare.
Das hat mir auch gefallen und ich hab's mir nochmal rausgesucht (davor hast Du übrigens die Anrede klein).

Gerne gelesen. :)

Gruß,
Ane

 

Hallo Quinn,

vielen Dank für deine umfassende Beschäftigung mit meinem "Erstlingswerk". Es freut mich auch, dass du ein paar Stellen und Situationen zitiert hast, die mir selber auch am Herzen liegen, oder wo ich dankbar war für die eine oder andere spontane Eingebung, die mir einfach Spaß machten ("... er ist klein für seine Größe ...").

Du holst in deiner Analyse teils recht weit aus, triffst aber damit in manchen Bereichen meine persönliche Intention sehr gut. So ist der alte Vitus in dieser Geschichte eigentlich mein "geheimer Held". Daher hast du Recht: In seiner letztendlichen Funktion als Xavers Ratgeber brauchte ich eine Figur, die den ... sagen wir mal "intellektuell eher einfach strukturierten", aber auch bockigen Xaver zu einer Maßnahme leitet, indem er Anstöße gibt ohne lehrmeisterlich zu sein. Ja, und eben das hat sich in einer tendenziell formaleren Sprache niedergeschlagen die aber dennoch in eben dessen Erfassungsspektrum verbleibt.

Weißt du, ich lese erschreckend wenig. Oder anders ausgedrückt: ich lese beruflich bedingt zwar viel, aber davon nur sehr wenig Literarisches als vielmehr reine Sachtexte. Auch Wolf Haas kenne ich daher mehr aus den Verfilmungen seines Brenners und nur aus einem einzigen Buch von ihm. Dieses Buch hat mich weniger inspiriert als vielmehr darin bestärkt, dass es sprachlich gesehen auch so gehen kann - ohne mir anzumaßen, dass ich es ihm je gleich tun könnte! Aber es macht mich schon ein wenig stolz, dass die Kommentare hier öfter mal eine Verbindung zu ihm herstellen.

Wie ich weiter vorne auch MeMo schon dargelegt hatte, sehe ich meine Ambitionen weniger darin, spektakuläre, aufrüttelnde, hoch spannende, drastische Geschichten zu verfassen, sondern darin, Typen und Charaktere zu (über)zeichnen. Sie mit ihren sympathischen Schwächen und verborgenen Stärken humoristisch darzustellen ohne sie lächerlich zu machen. Und mit dem Mittel der Überzeichnung bietet die Realität einen unglaublichen Fundus für unterhaltsame Erzählungen, die immer auch ein Stück Authentizität bewahren.

Obschon es mich einiges an Überwindung kostete, meinen Xaver hier einzustellen, bin ich mittlerweile froh, es gemacht zu haben. Denn ich fühle, wie mich die Motivation beschleicht, weiterzumachen.

 

Hallo Ane,
Danke für das Lob und Danke für den Hinweis. Ist schon geändert.
Für mich ist ja auch der Vitus der heimliche Held der Geschichte.

Viele Grüße aus Niederbayern

 
Zuletzt bearbeitet:

Zeit des Troglodyten, aus seiner Schublade herauszukommen und „dass Dir d'Arbet guat von da Hand ganga is, sag i“, gemeinsam mit’m Ludwig, dem Thoma, und noch dazu 'n guten Tach und'n gutes neues zu wünschen, bervor't wieder rum is',

lieber oisisaus,
aber find’s dann doch eine furchtbare Zeitverschwendung

[f]ast fünf Minuten […],den Zweieinhalb-Kilo-Krug am ausgestreckten Arm in der Waagrechten [zu halten]
, bevor er ihn austrinkt. Und wenn ich schon nicht Erbsen zählen mag, dann muss ich doch beim Fräulein Knoll intervenieren, denn glaubt’s einer, das hätt’s nicht die Höflichkeitsform kons’quent ang’wendt?

„Ja, was soll denn das? Man glaubt‘s ja nicht! Schauen sie nicht gleich, dass sie von da oben verschwinden. Sie machen den Kindern Angst. Ja, wo sind wir denn? Ja, das gibt‘s ja nicht!“ […] und er muss sich erst auf die andere Seite umdrehen[, / ah, verdammich, jetzt ist doch ’ne Erbse mit reingekommen!] damit er die Frau Lehrerin sieht.
[…]
„Jetzt hören Sie mal, Sie alter Depp,“ wendet sie sich nun
an mich. So’n Gefühl hab ich jedes Mal, aber gilt ja gar nicht mir
wieder dem versteckten Xaver zu.
„Mir ist das völlig wurscht, wer sie sind und gegen was sie da oben protestieren oder welchem kranken Geist sie sonst folgen, aber meine Kinder lasse ich mir nicht von ihnen verängstigen“, sagt das kinderlose Fräulein Knoll mit erhobener Stimme und winkendem Zeigefinger.
„Und wenn Sie nicht sofort verschwinden, dann werde ich mich an den Bürgermeister wenden und die Polizei werde ich auch holen!“

So, heut muss ma’ Jever dran glauben …, der Xaver hats ja schon,

meint der Friedel

 

Hallo Friedel,

"Wenn immer alles richtig wär', das wär' ja auch langweilig.
Weil, worüber möcht' man denn dann überhaupts noch streiten,
wenn eh alles richtig ist?"​

Weißt, man glaubt's ja gar nicht, Friedel, was einem doch immer wieder für Fehler durchrutschen! Bei mir, da gibt's ja Fehler, die mach ich halt, weil ich's nicht anders weiß, die sind mir dann praktisch nicht wisslich. Und dann mach ich wieder Fehler, wo ich weiß, dass sie Fehler sind, welche sich mir aber nicht hinreichend zu erkennen geben. Aber dass ich jetzt ausgerechnet dem Fräulein Knoll einen solchen Mischmasch hab' in den Mund gelegt, das ist ja geradezu unverzeihlich - drum hab ich's natürlich auf der Stell' ausgebessert, die Stell'n, und dank' dir recht herzlich bei einer Halben Weißbier für deine offensive Korrektive. Aber erst heut' auf'd Nacht. Weil die Augseer Gendarmen, die mögen das immer nicht, wennn ich vor'm Autofahr'n ein Bier hab.

In diesem Sinne,
nochmal herzlichen Dank für deine Hilfe und die ermutigende Einschätzung meiner Bemühungen.

Grüße aus dem tiefen Niederbayern
oisisaus

 

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