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Countdown

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13.12.2014
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Countdown

Ich merke nun dass ich alleine bin. Dass ich es immer war. Dass jeder alleine ist.​

Ein einzelner Sonnenstrahl fällt durch das Loch in der Mauer und ich kann beobachten wie er langsam mit der Sonne wandert. Drei Handbreit seit wir hier sind. Drei Stunden, die wir auf dem Boden gekauert und gewartet haben. Alle in derselben Position, die Waffe umklammert und bereit, jeden Moment unser Leben zu riskieren. Ein bisschen wie Roboter, denke ich und muss beinahe lachen, weil die Situation so seltsam surreal erscheint. Wenn wir…

Leises Knirschen durchbricht die vollkommene Stille, warme Reifen auf trockenem Sand. Sie kommen. Alle wenden leicht den Kopf und warten auf das Signal, das die Leiterin dieser Operation geben wird. Umklammern ihre Waffen noch etwas fester, sodass die Fingerknöchel weiß hervortreten. Das Knirschen der Reifen kommt näher. Eins…Zwei…Drei Autos…Oder? Und dann wieder Stille. Autotüren werden geöffnet. Stiefel im Sand. Plötzlich kann ich nur an ein einziges Wort denken. Lächerlich. Was mache ich hier überhaupt? Die Aktion ist eigentlich sinnlos, ein Kampf nur um des Kampfes Willen. Als ich damals dazu kam, dachte ich, wir könnten es schaffen, unser Land von der Unterdrückung befreien. Endlich. Aber inzwischen sind wir nicht mehr die Einzigen, die das Land retten wollen. Auch die Soldaten wollen Gerechtigkeit, nur mit anderen Mitteln. Und nun sind wir hier, kämpfen gegeneinander und dabei doch eigentlich für dasselbe.

Ein schriller Pfiff. Eine Millisekunde Ruhe vor dem Sturm. Dann die erste Explosion. Plötzlich ist es hell im Raum, eine Wand liegt zu Staub zerfallen im Sand. Im ersten Augenblick blendet mich die Sonne, dann kann ich die Soldaten sehen. Versteckt liegen sie unter ihren Wagen, haben sich in benachbarten Häusern positioniert. Die ersten Schüsse fallen. Ich kauere immer noch in derselben Position auf dem Boden, versuche mir in dem plötzlich losbrechenden Kampf Überblick zu verschaffen.

Hinter einer Mauer bemerke ich einen einzelnen Soldaten, rechts, nicht weit von mir. Er hat mich noch nicht entdeckt. Geduckt schleiche ich im Schatten des Hauses in seine Richtung, dabei berechne ich mechanisch meine Chancen, ihn zu überraschen. Er hat mich immer noch nicht gesehen. Fünfzehn Meter. Zehn Meter. Das reicht. Ich hebe meine Waffe und ziele. Jetzt. Die Kugel trifft ihn knapp unterhalb seines Helmes in die Schläfe. Er ist sofort tot. Noch bevor sein Körper auf dem Boden aufkommt, schließt sich Bedauern wie eine kalte Faust um mein Herz und lässt mich aufkeuchen. Um mich herum geht der Kampf weiter, als wäre nichts geschehen. Dabei ist gerade ein Mensch gestorben. Aber alle anderen sind viel zu beschäftigt mit ihrem eigenen Überleben.

Aus dem Augenwinkel sehe ich etwas auf die staubtrockene Erde fallen. Ein leises, dumpfes „Klonk“. Ich drehe meinen Kopf und erblicke eine Handgranate. Ein kleines, khakifarbenes Ding. Unscheinbar. Und doch trägt es den Tod in sich. Ich weiß, sobald der Stift einer solchen Granate gezogen wurde, dann bleiben Dreißig Sekunden bis zu Detonation. Dreißig Sekunden um zu fliehen, in Panik auszubrechen, eine Warnung zu brüllen. Oder nichts davon zu tun. Mein Blick schwenkt nach oben und ich sehe einen Soldaten. Auf dem Kopf trägt er einen Helm und sein Mund und seine Nase sind von einem schmutzigen Tuch bedeckt. Alles grün, grau und braun. Dann treffen sich unsere Blicke für einen Sekundenbruchteil und in seinen stahlgrauen Augen lese ich Angst, sogar Panik, Reue, Wut, Hass und Bedauern. „Warum?“, schreien seine Augen. „Warum?“ Er ist genauso verloren wie ich. Wie wir alle.

Ich hätte ihn gerne einmal zu Hause getroffen, auf ein Bier oder zwei. Woher weiß ich, dass er nicht mein bester Freund hätte sein können? Woher können wir wissen, dass wir nicht alle hätten Freunde sein können, in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort? Ein Krieg zwischen Freunden, vielleicht. Die Zeit läuft ab. Ein paar Sekunden bleiben mir noch. Der erste Impuls ist zu rennen, um das Leben zu retten, so ist der Mensch. Überlebenswille. Doch ich merke, ich weiß, dass ich nicht mehr rennen will. Wofür? Da ist niemand, der mich liebt, nicht mehr. Niemand der mich braucht. Da ist nichts mehr, hier ist Schluss. Meine Karten sind gespielt. Ich kann nicht sagen, ob mein Dasein gut oder schlecht war, ob schwarz oder weiß. Unwichtig. Die Zeit läuft. Ich würde gerne noch einmal den Soldaten sehen, der mir jene Entscheidung abgenommen hat, die ich schon so lange vor mir herschiebe. Wenn ich noch fühlen könnte, dann würde ich jetzt wohl Erleichterung empfinden, Dankbarkeit.

5… Ich habe das Gefühl, der Himmel war noch nie so orange wie in diesem Augenblick. Er ist alles orange dieser Welt auf einmal. Ein wunderschöner Sonnenuntergang. Die Ironie ist so bitter, dass ich sie schmecken kann. Und doch beruhigt es mich, ich stelle mir vor, dass die untergehende Sonne all die Seelen mit sich nimmt, die heute hier körperlos zurückgelassen wurden. Ich hoffe sie nimmt mich auch noch mit, ich hoffe ich schaffe es noch rechtzeitig.

4… Ich spüre das Pulsieren meines Blutes, Rauschen in meinen Ohren, als würde man an einer Muschel lauschen.

3… Ich höre nichts mehr, alle Geräusche sind tot. Endlich. Vollkommene, wunderschöne Stille.

2… Mein Herz ist so leicht, so frei. Irgendjemand, Irgendetwas hat ihm seine Last genommen. Endlich, endlich.

1… Ich merke nun, dass ich alleine bin. Dass ich es immer war. Dass jeder alleine ist. Und ich akzeptiere es. Ich kann nun loslassen, jetzt, da ich das erkannt habe. Alles ist gut. Ich bin frei.

0.

 

Ich merke nun[,] dass ich alleine bin. Dass ich es immer war. Das jeder alleine ist.
*
Du hast so was wie Todessehnsucht (hier sogar mit dem titelgebenden countdown), wenn die ersten beiden Erzählungen Deine Themen angeben,

liebe MadMaid.
*
So will’s mir jedenfalls erscheinen. Und doch, wie es sich in einem Kommando/Einsatz unter kriegerischen Bedingungen gehört, die Flüchtigkeit des einen Jahres ist wie verflogen …, wenn ich das mal so sagen darf, bis auf eben das oben im Zitat nachgetragene Komma. Was Deine Mordsgeschichte („Soldaten sind sich alle gleich / Lebendig und als Leich.“ Wolf Biermann, Soldat) von andern unterscheidet, ist die gelegentlich Reflexion, die sie schon allein aus dem Genre hervorhebt – und doch ist meine Frage, welche Ängste einen jungen Menschen zu solchen Gedanken führen. Denn das eigentliche Problem ist doch die Struktur Befehl und Gehorsam, die es auch in schlichten Werkstätten und Büros gibt und erst recht am Fließband.
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Einmal wäre hier ein Artikel oder zumindest eine …r Endung und beim Infinitiv ein Komma nachzutragen

Ich weiß, sobald der Stift einer solchen Granate gezogen wurde, dann bleiben Dreißig Sekunden bis zu [der] Detonation. Dreißig Sekunden[,] um zu fliehen, in Panik auszubrechen, eine Warnung zu brüllen.
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Hier würd ich radikal den Konjunktiv irrealis durchzuziehn empfehlen:
…., ich stelle mir vor, dass die untergehende Sonne all die Seelen mit sich nimmt, die heute hier körperlos zurückgelassen wurden. Ich hoffe sie nimmt mich auch noch mit, ich hoffe ich schaffe es noch rechtzeitig.
Das sähe dann etwa so aus:
…, ich stelle mir vor, dass die untergehende Sonne all die Seelen mit sich [nähme] , die heute hier körperlos zurückgelassen wurden. Ich hoffe[,] sie [nähme] mich auch noch mit, ich hoffe[,] ich schaff[t]e es noch rechtzeitig.
Beim letzten kann man ggfs. auch eine würde-Konstruktion verwenden.
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Nun lass ich mich von Deinem dritten Thema überraschen!
*
Friedel

 

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